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| Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 4·99 Leitthema: Impfen 308 Das Paul-Ehrlich-Institut ist u.a. zu- ständig für die Zulassung von Impfstof- fen. Im Referat Arzneimittelsicherheit werden Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen* aus der Spon- tanerfassung zentral erfaßt und wissen- schaftlich bewertet. Die pharmazeuti- schen Unternehmer sind nach dem Arz- neimittelgesetz verpflichtet, Informatio- nen über Verdachtsfälle schwerwiegen- der unerwünschter Arzneimittelwirkun- gen innerhalb von 15 Tagen der Behörde anzuzeigen. Alle nicht-schwerwiegen- den Verdachtsfälle sind als sogenanntes „line-listing“ in periodischen Abständen zu melden. Die gesetzlich geregelten Meldeverpflichtungen beziehen sich im Sinne des Verbraucherschutzes mithin auf Verdachtsfälle, d.h. der Kausalzu- sammenhang zwischen einem uner- wünschten Ereignis und einer Arznei- B. Keller-Stanislawski · Paul-Ehrlich-Institut, Langen Aufgaben des Paul-Ehrlich-Instituts * Ein ausführlicherer Beitrag über Impf- nebenwirkungen folgt in einer der nächsten Ausgaben dieser Zeitschrift. Dr. Brigitte Keller-Stanislawski Referat Arzneimittelsicherheit, Paul-Ehrlich- Institut, Bundesamt für Sera und Impfstoffe, Paul-Ehrlich-Straße 51–59, D-63225 Langen mittelgabe muß nicht definitiv bewiesen sein. Die Meldeverpflichtung ergibt sich in der Regel aus dem spontan geäußer- ten Verdacht eines Angehörigen eines Gesundheitsberufes. Da Ärzte gemäß Standesrecht der Arzneimittelkommisi- on Deutscher Ärzte Verdachtsfälle uner- wünschter Arzneimittelwirkungen be- richten sollen, steht das Paul-Ehrlich-In- stitut in regem Austausch mit der Arz- neimittelkommision der deutschen Ärz- teschaft. Aufgabe der Spontanerfassung ist das rasche Erkennen von bislang unbe- kannten und/oder schwerwiegenden Arzneimittelrisiken. Die Bewertung von Einzelfallberichten vollzieht sich dabei auf zwei Ebenen, der Bewertung des in- dividuellen Einzelfalls und die Interpre- tation aller verfügbaren aggregierten Daten zum wissenschaftlichen Kennt- nisstand. Im Rahmen der Spontanerfas- sung können jedoch zumeist lediglich Hypothesen generiert werden, die Hy- pothesentestung muß durch andere wissenschaftliche Ansätze erfolgen wie z.B. breit angelegte epidemiologische Studien. Impfstoffe gehören zu den ver- träglichsten Arzneimittel. Impfkompli- kationen sind äußerst selten. Dennoch stellen Impfungen hinsichtlich mögli- cher Gesundheitsschädigungen einen besonders sensiblen Bereich dar, da vor- wiegend Gesunde, insbesondere gesun- de Kinder, Impfungen als prophylakti- sche Maßnahme erhalten, die u.U. über den Individualschutz hinausgeht und dem Allgemeinwohl dient. Daher ist ei- ne eingehende Recherche und detail- lierte wissenschaftliche Bewertung je- des Verdachtsfalles einer unerwünsch- ten Arzneimittelwirkung von besonde- rer Bedeutung. Die Angst vor Nebenwirkungen wird oft als Grund für eine mangelnde Impf- beteiligung angegeben. Diese Angst ist unbegründet. Impfungen zeigen weit seltener schwere Nebenwirkungen als die meisten anderen Medikamente, bei- spielsweise auch solche, die der Patient rezeptfrei in der Apotheke selbst kaufen kann. Ursache für diese Angst vor Impfungen sind unter anderem: Die gelegentlich schlechten Erfahrun- gen der heutigen Großeltern mit dem ehemaligen Pockenimpfstoff oder Impfungen in den Kriegs- und Nach- kriegsjahren. Die fehlende Unterscheidung zwi- schen normalen Impfreaktionen aufgrund der Impfstoffwirkung (ab- geschwächte Zeichen der zu verhin- dernden Erkrankung) und echten Impfkomplikationen. U. Quast · Deutsches Grünes Kreuz e.V.,Marburg Mehr Aufklärung nötig: Hoher Nutzen von Impfungen und die extreme Seltenheit von Impfkomplikationen Dr. Ute Quast Deutsches Grünes Kreuz e.V., Schuhmarkt 4, D-35037 Marburg

Mehr Aufklärung über den hohen Nutzen von Impfungen und die extreme Seltenheit von Impfkomplikationen

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| Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 4·99

Leitthema: Impfen

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Das Paul-Ehrlich-Institut ist u.a. zu-ständig für die Zulassung von Impfstof-fen. Im Referat Arzneimittelsicherheitwerden Verdachtsfälle unerwünschterArzneimittelwirkungen* aus der Spon-tanerfassung zentral erfaßt und wissen-schaftlich bewertet. Die pharmazeuti-schen Unternehmer sind nach dem Arz-neimittelgesetz verpflichtet, Informatio-nen über Verdachtsfälle schwerwiegen-der unerwünschter Arzneimittelwirkun-gen innerhalb von 15 Tagen der Behördeanzuzeigen. Alle nicht-schwerwiegen-den Verdachtsfälle sind als sogenanntes„line-listing“ in periodischen Abständenzu melden. Die gesetzlich geregeltenMeldeverpflichtungen beziehen sich imSinne des Verbraucherschutzes mithinauf Verdachtsfälle, d.h. der Kausalzu-sammenhang zwischen einem uner-wünschten Ereignis und einer Arznei-

B. Keller-Stanislawski · Paul-Ehrlich-Institut, Langen

Aufgaben des Paul-Ehrlich-Instituts

* Ein ausführlicherer Beitrag über Impf-nebenwirkungen folgt in einer der

nächsten Ausgaben dieser Zeitschrift.

Dr. Brigitte Keller-StanislawskiReferat Arzneimittelsicherheit, Paul-Ehrlich-

Institut, Bundesamt für Sera und Impfstoffe,

Paul-Ehrlich-Straße 51–59, D-63225 Langen

mittelgabe muß nicht definitiv bewiesensein. Die Meldeverpflichtung ergibt sichin der Regel aus dem spontan geäußer-ten Verdacht eines Angehörigen einesGesundheitsberufes. Da Ärzte gemäßStandesrecht der Arzneimittelkommisi-on Deutscher Ärzte Verdachtsfälle uner-wünschter Arzneimittelwirkungen be-richten sollen, steht das Paul-Ehrlich-In-stitut in regem Austausch mit der Arz-neimittelkommision der deutschen Ärz-teschaft.

Aufgabe der Spontanerfassung istdas rasche Erkennen von bislang unbe-kannten und/oder schwerwiegendenArzneimittelrisiken. Die Bewertung vonEinzelfallberichten vollzieht sich dabeiauf zwei Ebenen, der Bewertung des in-dividuellen Einzelfalls und die Interpre-tation aller verfügbaren aggregiertenDaten zum wissenschaftlichen Kennt-

nisstand. Im Rahmen der Spontanerfas-sung können jedoch zumeist lediglichHypothesen generiert werden, die Hy-pothesentestung muß durch anderewissenschaftliche Ansätze erfolgen wiez.B. breit angelegte epidemiologischeStudien. Impfstoffe gehören zu den ver-träglichsten Arzneimittel. Impfkompli-kationen sind äußerst selten. Dennochstellen Impfungen hinsichtlich mögli-cher Gesundheitsschädigungen einenbesonders sensiblen Bereich dar,da vor-wiegend Gesunde, insbesondere gesun-de Kinder, Impfungen als prophylakti-sche Maßnahme erhalten, die u.U. überden Individualschutz hinausgeht unddem Allgemeinwohl dient. Daher ist ei-ne eingehende Recherche und detail-lierte wissenschaftliche Bewertung je-des Verdachtsfalles einer unerwünsch-ten Arzneimittelwirkung von besonde-rer Bedeutung. ❑

Die Angst vor Nebenwirkungen wirdoft als Grund für eine mangelnde Impf-beteiligung angegeben. Diese Angst istunbegründet. Impfungen zeigen weitseltener schwere Nebenwirkungen alsdie meisten anderen Medikamente, bei-spielsweise auch solche, die der Patientrezeptfrei in der Apotheke selbst kaufenkann.

Ursache für diese Angst vor Impfungensind unter anderem:

◗ Die gelegentlich schlechten Erfahrun-gen der heutigen Großeltern mit demehemaligen Pockenimpfstoff oderImpfungen in den Kriegs- und Nach-kriegsjahren.

◗ Die fehlende Unterscheidung zwi-schen normalen Impfreaktionen

aufgrund der Impfstoffwirkung (ab-geschwächte Zeichen der zu verhin-dernden Erkrankung) und echtenImpfkomplikationen.

U. Quast · Deutsches Grünes Kreuz e.V., Marburg

Mehr Aufklärung nötig:Hoher Nutzen von Impfungen und dieextreme Seltenheit von Impfkomplikationen

Dr. Ute QuastDeutsches Grünes Kreuz e.V.,

Schuhmarkt 4, D-35037 Marburg

Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 4·99 | 309

◗ Die oft ungenügende Diagnostik beiErkrankungen nach Impfungen oderallzu großzügige Anerkennung sol-cher Erkrankungen als Impfschaden.

◗ Unbewiesene Spekulationen über ne-gative Folgen von Impfungen, dienicht nur bei Laien und Medien beste-hen, sondern auch bei Ärzten und an-deren Personen aus dem Bereich derHeilberufe.

◗ Ein unvollkommenes Wissen über diescharfe Überwachung und Kontrollevon Impfstoffen.

Deshalb ist zu fordern:◗ Eine gezielte Ausbildung von Ärzten

und medizinischem Personal überImpfreaktionen und Impfkomplika-tionen.

◗ Eine gezielte Medien-Informationüber die Seltenheit von Impfkompli-kationen.

◗ Eine gezielte Medien-Informationüber den hohen Nutzen von Impfun-gen.

◗ Die Erarbeitung von Minimalkriteri-en für die Diagnostik bei Erkrankun-gen nach Impfung und Verdacht aufImpfkomplikation.

◗ Die Erarbeitung von Qualitätsstan-dards bei der Erstellung von Gutach-ten zu vermuteten Impfschäden sowieausschließliche Einsetzung qualifi-zierter Gutachtern.

◗ Die jährliche Veröffentlichung durchdie Behörde von anerkannten Impf-schäden mit Details zur Impfung, Jahrder Impfung bzw. des Auftretens derErkrankung, Art des Impfschadensund seine Anerkennungskriterien so-wie die geschätzte Anzahl von durch-geführten Impfungen im Veröffentli-chungsjahr. ❑

Aufgrund der systematischen Nichtbe-achtung der sozialrechtlich gefordertenHausarztbindung (§ 76 SGB V) durchdie Selbstverwaltung, ist die Verantwort-lichkeit eines einzelnen Arztes für einelebensbegleitende Versorgung nicht im-mer möglich. Zunehmender Tourismusund die immer kürzer werdenden Rei-sezeiten sowie ein relativ hoher Anteilvon Einwanderern aus Regionen, in de-nen Infektionskrankheiten endemischauftreten, stellen bei unzureichendemImpfschutz der Bevölkerung eine laten-te Seuchengefahr dar. Vor diesem Hin-tergrund müssen Strukturen geschaffenwerden, die es erlauben, nach einer kon-sequenten Durchimpfung der Kleinkin-der auf breiter Basis Auffrischungsimp-fungen im Jugend- und Erwachsenenal-ter durchzuführen. Auch dies ist ein Ar-gument für eine obligatorische Haus-arztbindung der gesamten Bevölkerung.

Der BDA hat ein Konzept für einfreiwilliges Primärarztsystem vorgelegt,in dem Anreize für Versicherte geschaf-fen werden, einen Hausarzt zu wählenund diesen als ersten Ansprechpartnerbei Gesundheitsstörungen aufzusuchen.

„Die lebensbegleitende hausärzt-liche Betreuung würde eine ständigeÜberprüfung und ggf. Ergänzung des

Impfstatus ermöglichen.”

Es ist eine bekannte Tatsache, daßDeutschland im internationalen Ver-gleich gravierende Impflücken aufzu-weisen hat. Die gesunkene Häufigkeitvon Erkrankungen, gegen die es Imp-fungen gibt, führte hierzulande zu ei-nem nachlassenden Bedrohungsgefühlund zunehmender Impfmüdigkeit inder Bevölkerung.Auch wenn in der Ärz-teschaft der Eindruck entstanden ist,daß Wundstarrkrampf oder Diphtherienicht mehr in Deutschland vorkommen,dürfen gerade Hausärzte in ihren Bemü-hungen nicht nachlassen, einen mög-lichst umfassenden Impfschutz in derBevölkerung aufzubauen.

Die Sensibilität der Hausärzte ge-genüber den Defiziten bei der Impfquo-te muß sicher erhöht werden, dazu wirdder BDA in Kürze ein Impfmanual her-ausgeben. Es ist aber auch immer deut-licher geworden, daß die Versorgungs-strukturen in Deutschland nicht geeig-net sind, eine ausreichende Durchimp-fungsrate der Bevölkerung zu erreichen.Eine Lösung des Problems stellt auchnicht die rein quantitative Erhöhung derimpfberechtigten Ärzte dar, ist doch derwesentliche Vorteil des Impfens beimHausarzt die Koordination und die Rea-lisation eines notwendigen Impfmana-gements. Leider ist festzustellen, daßnicht alle Altersgruppen in der hausärzt-lichen Praxis kontinuierlich betreut wer-den können.

„Die Sensibilität der Hausärzte gegenüber den Defiziten bei derImpfquote muß erhöht werden.”

K.-D. Kossow · Berufsverband der Allgemeinärzte Deutschlands – Hausärzteverband –

e.V. (BDA), Achim

Hausärzte müssen als Impf-manager gestärkt werden

Dr. Klaus-Dieter KossowBerufsverband der Allgemeinärzte Deutschlands

– Hausärzteverband – e.V. (BDA),

Am Alten Mühlenberg 3, D-28832 Achim