4
06 | 16 Individumass Me! Kaufst du noch oder individualisierst du schon? Carina Bohlender Illustration: Indre Bergner

Mehrwert_Nr16A1

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Kaufst du noch oder individualisierst du schon?

Citation preview

Page 1: Mehrwert_Nr16A1

06 | 16

Individumass Me! Kaufst du noch oder individualisierst du schon? Carina Bohlender

Illus

trat

ion:

Indr

e B

ergn

er

Page 2: Mehrwert_Nr16A1

07 16 |

Die Nike’s in den Lieblingsfarben, Müsli ganz nach meinem Geschmack und selbst der Wand-schrank schmiegt sich passgenau der unvorteilhaften Dachschräge an. Was vor einem Jahrzehnt noch eine sündhaft teure Einzelanfertigung war, machen Unternehmen heute über webbasierte Produkt-Konfiguratoren zu einem erschwinglichen Preis möglich. Hinter diesem hochindividualisierten Angebot steckt ein modifiziertes Konzept der Mas-senproduktion: Willkommen beim Prinzip Mass Customization.

Henry Ford sagte einst: „Any customer can have a car painted any colour as long as it is black”. Ford, der mit der Weiterentwicklung der Fließband-technik im Jahre 1913 den Meilenstein für die indus-trielle Massenfertigung setzte, würde sich beim

Kunden des 21. Jahrhunderts mit solch limitieren-der Wahlmöglichkeit nicht gerade beliebt machen. Sei es nun die Farbe des geliebten Autos oder die unzähligen anderen Attribute in unserer bunten Konsumwelt – der Kunde wünscht sich Variation, Individualität und vor allem eins: Ein Recht auf Mitbestimmung.

Individualität von der Stange

Mass Customization, erklärt in wenigen Wor-ten? Individualität von der Stange! Doch bleiben wir korrekt. Mass Customization ist aus den englischen Begriffen mass production (dt. Massenproduktion) und customization (dt. kundenindividuelle Anpas-sung, Personalisierung) zusammengesetzt und wird im Deutschen als kundenindividuelle Massenferti-gung bezeichnet. Das Produktionskonzept vereint den Individualitätswunsch des Kunden mit den Vor-zügen der Massenproduktion: Der Kunde kann sich aus einer Auswahl massengefertigter Module sein Wunschprodukt zusammenstellen und das Unter-nehmen die individualisierte Ware zum Preis eines vergleichbaren Standardprodukts auf dem Markt anbieten.

Die begriffliche Abgrenzung zur individuellen Einzelanfertigung ist essentiell, denn dabei wird bei jeder produzierten Einheit nicht nur ein völlig

neues Produkt, sondern auch ein großer Teil des Erstellungsprozesses neu geschaffen. Auch die Ver-wechslung mit der Variantenanfertigung ist in der Vielfalt der betriebwirtschaftlichen Begrifflichkeiten schnell geschehen. Doch die kundenindividuelle Massenfertigung bietet dem Kunden weit mehr, als aus einer begrenzten Anzahl vorgegebener Produktvarianten die auszuwählen, die seiner Vorstellung am nächsten kommt. Bei der Mass Cus-tomization wird ein Produkt mit vorgegebenen Attributen konfiguriert und erst nach Auftragsein-gang produziert.

Mass Customization – Ein Kind des digitalen Zeitalters?

Bei den Anhängern der Porter‘schen Markt-theorie dürfte das Produktionskonzept für Wider-spruch sorgen. Nach der Alternativhypothese des bekannten Managementtheoretikers basiert der Unternehmenserfolg auf einer eindeutigen Ent-scheidung zwischen Kostenführerschaft und Diffe-renzierung. Die Mass Customization hingegen strebt die Zielerreichung beider Dimensionen an – ein indivi-dualisiertes Angebot zu möglichst niedrigen Preisen. Wie ist das möglich? Professor Frank Huber der Johan-nes Gutenberg-Universität Mainz liefert die Antwort: „Der Spagat zwischen niedrigen Herstellungskosten und Einzelfertigung erschien früher unmöglich. Heute

sorgen Informations- und Kommunikationstech-nologien [IKT] wie Produktkonfiguratoren dafür, dass das für den Käufer optimale Produkt mit den Fähigkeiten des Unternehmens zusammen gebracht werden kann“. Der Siegeszug der IKT verspricht auch hybriden Marktstrategien enorme Erfolgspo-tenziale, allen voran das Paradebeispiel der Mass Customization.

Nach Branchenkennern beläuft sich die Zahl der deutschen Mass Customizer auf über 400 Unternehmen, darunter tummeln sich zahlreiche E-Commerce Start-Ups. Die Produktindividuali-sierung kommt bei Bekleidung, Lebensmitteln und Fotodrucksachen besonders gut an. Spread-

„ Any customer can have a car painted any colour as long as it is black. ”

Nach Branchenkennern beläuft sich die Zahl der deutschen

Mass Customizer auf über 400 Unternehmen.

Page 3: Mehrwert_Nr16A1

08 | 16

shirt, Mymuesli, PosterXXL & Co sind längst in aller Munde und eine beliebte Antwort auf die Frage nach dem perfekten Geschenk. Auch die etablierten Marken mischen mit. Webbasierte Produkt-Konfiguratoren wie NIKEiD oder Tchibo’s „Mein Privat Kaffee“ verleihen selbst Markenware die nötige Portion Individualität. Der Kaffee-Spe-zialist praktizierte Mass Customization übrigens schon vor dem Internetzeitalter. Bereits 1987 konnte der Kunde in den Tchibo-Filialen seinen individu-ellen Privat-Kaffee mischen, mit persönlichem Namen und Etikett.

Die Produktindividualisierung live im statio-nären Handel miterleben – dieses Geschäftsmodell kennt man auch aus dem 21. Jahrhundert, man denke nur an Subway. Die Zusammenstellung meines Lieblingssandwichs ist schließlich nichts anderes als kundenindividuelle Massenfertigung; nur auf realem Boden. Auch Langnese ist auf den Geschmack gekommen und gehört somit zu den wenigen Anbietern, die das Franchise Konzept mit Mass Customization verbinden. In der „Langnese Happi-ness Station“ gibt es mehr als 15.000 Kreationen für das individuelle Eiscreme-Erlebnis. Magnum, Cornetto, Solero – warum nicht alles auf einmal und von jedem nur das Beste?

Qual der Wahl oder Mehrwert?

Mass Customization betrifft alle Prozesse der Wertschöpfungskette, daher sollte sie nicht blind-links nach dem Mitläuferprinzip in das Geschäfts-modell integriert werden. Am Anfang steht die Frage

nach dem Sinn. Besteht überhaupt Nachfrage nach einer Bandbreite an konfigurierten Produkten oder sind einige Varianten ausreichend? Die nächste Herausforderung stellt sich in der Implementierung

eines Mass-Customiziation-Systems, das die identi-fizierten Schlüsselattribute effizient variieren kann. Kennt der Mass Customizer die Präferenzen seiner Kunden an dieser Stelle nicht ausreichend, ist das Produktionskonzept von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Das Mass-Customization-System wird mit Selbstverwirklichungs- und Spaßpotenzial wäh-rend des Erstellungsprozesses und der intuitiven Bedienung des Produkt-Konfigurators gekrönt.

Während die Start-Ups unter den Mass Cus-tomizern ihre Strategie von Anfang an auf das Produktionskonzept ausrichten, müssen sich eta-blierte Unternehmen beim Schritt in Richtung kundenindividuelle Massenfertigung strategisch umorientieren. Die neuen Mass Customizer kön-nen ihr Kundenmanagement plötzlich nicht mehr an den Einzelhändler outsourcen, sondern müssen die Interaktion mit dem Kunden selbst in die Hand nehmen. Hoher Aufwand in der Kundenberatung, veränderte Anforderungen an die Logistik und erhöhte Qualitätskontrollen bringen viele Unter-nehmen an ihre Grenzen.

Das Opfer der Retoure. Kostenfaktor oder erfolg-reiche Kundenbindung?

Sei es das junge Start-Up oder der Markenriese, jeder Mass Customizer muss sich zwangsläufig mit einer Frage befassen, die ein enormes Kostenpoten- zial birgt: Wie gehe ich mit Retouren um? Die Unter-nehmen sind rechtlich zunächst aus dem Schneider, da personalisierte Produkte nach dem BGB vom Rückgaberecht ausgeschlossen sind. 5 Prozent der

Mass Customizer bieten ihren Kunden diesen Service trotzdem an, obwohl die individualisierten Produkte nicht wei-

terverkaufbar sind. Elmar Kühn, Global Manager Customer Service bei Spreadshirt, erklärt: „Und dennoch, wenn jemand etwas zurückgeben möchte, dann kann er das ohne Umstände tun, denn schließ-

Am Anfang steht die Frage nach dem Sinn.

Page 4: Mehrwert_Nr16A1

09 16 |

Carina Bohlender studiert seit 5 Semestern Medienwirtschaft an der Hochschule der Medien in Stuttgart.Den Sommer versüßte sie sich an der Langnese Happiness Station – hmm, lecker…Mass Customiziation par excellence!

lich wollen wir nicht auf Biegen und Brechen eine niedrige Rückgabequote, sondern vor allem zufrie-dene Kunden.“ Die Käufer der individualisierten

Shirts scheinen diese Kulanz nicht auszunutzen, denn das Leipzi-ger Unternehmen kommt auf eine beeindruckend geringe Retouren-Quote von 1,9 Prozent. Und der

typische Onlineshopper mit seiner „lieber zu viel als zu wenig bestellen“-Attitüde? Nun, den hat eine gelungene Kundensensibilisierung zu Verstand gebracht, denn er weiß: Seine retournierte Ware endet im schlimmsten Fall im Schredder. Ist die Ware nicht mit persönlichen Daten wie Name oder Telefonnummer bedruckt, bleibt sie vor der Ver-nichtung verschont, und zwar für den guten Zweck. Mit einem Retouren-Spendenanteil von 60 Prozent übernimmt Spreadshirt eine wahre Vorbildfunktion in Sachen Corporate Responsibility.

Die Zukunft ruft nach Individualität

Die Experten sind sich einig: Obwohl mas-sengefertigte Standardprodukte künftig noch den größten Anteil am Konsumgütermarkt ausmachen werden, wird das Angebot der Mass Customizer weiter steigen und qualitativ hochwertiger werden. Die Delphi-Studie zum Thema „The Future of Mass Customization“ erwartet im Kleidungsbereich einen

Mass-Customization-Anteil von bis zu 30 Prozent. Bei den Produktionsgütern ist hingegen noch Luft nach oben. Auch Alexander Ertner, Leiter Marke-ting/Vertrieb chocri GmbH, sieht das Produktions-konzept in der zukünftigen Konsumwelt: „Warten

Sie ab: Individuelle Kurzzeitbüroräume oder indivi-duelle Autolacke für Autos in einer Gegend mit viel Regen – das alles werden wir sehr kurzfristig noch erleben.“ Technologieinnovationen stehen als Trei-ber der Mass Customization jedenfalls auf unserer Seite. Eine spannende Entwicklung vollzieht sich aktuell mit dem 3D-Drucker, der ein am PC konfigu-riertes Wunschprodukt schichtweise übereinander drucken kann. Visionäre sehen in der sogenannten Long Tail Customization eine Revolution der Indus-trie, und das nicht ohne Grund. Entwickler tüfteln bereits am 3D-Druck von Textilien, Häusern, bis hin zu Organen. Das als die höchste Evolutionsstufe der Mass Customization betitelte Verfahren ist längst unter uns, Dita Von Teese trägt jedenfalls schon ein Designerstück aus dem Drucker.

Entwickler tüfteln bereits am 3D-Druck von Textilien,

Häusern, bis hin zu Organen.

www.egoo.deHier findest du ein große Auswahl an Anbietern indi-vidualisierbarer Produkte!