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MEIN SV WERDER
DIE GRÖSSTEN MOMENTE
MEIN SV WERDER
DIE GRÖSSTEN MOMENTE
MEIN SV WERDER 6
Impressum
EIN OFFIZIELLES LIZENZPRODUKT DES SV WERDER BREMEN
Copyright @ 2018 spobucom Redaktionsbüro MünchenAm Kugelspiel 1486938 Schondorf
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion/ProduktionSpobucom, Schondorf
AutorenStefan FreyeHeinz FrickeUlrich Kühne-Hellmessen
Mit Gastbeiträgen vonKlaus Allofs, Frank Baumann, Rune Bratseth, Dieter Eilts, Torsten Frings, Willi Lemke, Frank Ordenewitz, Uwe Reinders, Wynton Rufer, Thomas Schaaf, Hans Schulz, Mirko Votava, Rudi Völler, Thomas Wolter
KorrektoratMichael Köhler, Frankfurt am Main
FotosWitters Sportfotografiepicture alliance
Grafik/LayoutVéronique de Céa, Berlin
Technische UmsetzungImpress Media, MönchengladbachProjektmanagementVera Terfeld
VertriebspartnerDie Werkstatt Verlagsauslieferung, Rastede
Zu bestellen unter www.werderbuch.de
Alle statistischen Daten haben den Stichtag 30.6.2018 (Saisonende 2017/18).
Weitere Informationen finden Sie unter www.spobucom.de
ISBN978–3–7307–0448–6
88
37 172
114
118
12MEIN SV WERDER
13 MEIN SV WERDER
Max Kruse ist der Spezialist für die Standards. Während sich die Berliner Abwehr formiert, ist sein Blick auf den Strafraum fixiert. Wo ist mein Mann? Gut nur, dass der Schiedsrichter nicht eingreift. Die Lage des Balles entspricht zugegebenermaßen nicht ganz den Regeln.
Das ist Chefsache
18MEIN SV WERDER
Die Lage ist einmalig. Wenn auch die Zufahrt über den Osterdeich so manchen Fan nervt, so ist das Stadion direkt an der Weser dennoch ein besonderes, gern besuchtes Schmuckstück. Seit dem 2012 abgeschlossenen Umbau, fasst die Arena 42.000 Zuschauer und gehört der Bremer Weser-Stadion GmbH, an der zur je 50 Prozent die Stadt Bremen und der SV Werder beteiligt sind.
19 MEIN SV WERDER
Das stolze Schmuckstück
20MEIN SV WERDER
Wenn das Flutlicht angeht oder Werder zum Heimspiel bittet, fällt eine ganze Stadt ins Fußballfieber. Wie weit die Identifikation der Bremer mit Werder reicht, zeigt auch dieses Haus: Auf der Fassade der Fußballkult-stätte sind unter anderem Otto Rehhagel und Thomas Schaaf verewigt, mit Meisterschale und DFB-Pokal dekoriert. Das Foto stammt aus dem Mai 2016, als ganz Bremen solidarisch gegen den Abstieg kämpfte.
Bremen ist Werder
21 MEIN SV WERDER
62MEIN SV WERDER
DIEGO RIBAS DA CUNHA: Antreiber im Bremer Mittelfeld von 2006 bis 2009.
Wer kannte einen Johan Micoud, wer einen Diego, bevor sie in Bremen explodierten? Wer hätte auf einen in Schalke auf der Tribüne sitzenden Mesut Özil gezählt? Klaus Allofs hat sie alle geholt. Er hat damit ein beson-deres Näschen bewiesen und außerordentlichen Fußballverstand. Hier erzählt er, wie er drei große Regisseure gefunden und nach Bremen geholt hat.
DIE GROSSEN REGISSEURE
63 MEIN SV WERDER
JOHAN MICOUD: »Le Chef« von 2002 bis 2006. MESUT ÖZIL: Dribbler, Passgeber, Vorbereiter und Torjäger von 2008 bis 2010.
64MEIN SV WERDER
» Wer wie ich 13 Jahre in einem Bundesliga-Club als Sport-
chef arbeitet, der hat viel erlebt und ebenso viel zu erzählen.
Das gilt auch für meine Werder-Zeit von 1999 bis 2012. Sie
komplett in Erinnerung zu rufen würde jeden Rahmen spren-
gen, deswegen will ich mich hier auf ein Kapitel beschrän-
ken, das mir besonders am Herzen liegt und dem ich die
Überschrift »Meine drei großen Spielmacher« geben möchte.
Sie wissen schon, wovon ich rede? Natürlich ist die Rede von
Johan Micoud, Diego und Özil – von jenen drei Weltklasse-
fußballern, die alle zwei Dinge gemeinsam hatten: Sie waren
die Dirigenten ihrer Zeit in der Werder-Mannschaft. Und ihre
Verpflichtung war letztlich nur möglich, weil sie bei ihren Ver-
einen davor wohl unterschätzt, wenn nicht sogar verkannt
wurden.
JOHAN MICOUD (2002–2006)
Man muss sich in meinem Job ja ständig umhören, sich
ein Netzwerk aus Freunden, Spielerberatern, Medienleuten
aufbauen, wenn man in der ersten Liga erfolgreich mitmi-
schen will. Viele Informationen bringen im Nachhinein oft
wenig ein, doch als ich eines Tages so um die Jahreswen-
de 2001/2002 erfuhr, dass Johan Micoud Probleme beim
AC Parma habe, läuteten bei mir sofort die Alarmglocken.
Micoud? Da musste ich mich mal schlauer machen, denn
ich wusste aus meiner französischen Fußballvergangenheit
in Bordeaux, wie viel man in Frankreich von Johan Micoud
hielt – für viele galt er dort als der Kronprinz des unnach-
ahmlichen Zidane. Also bin ich aktiv geworden. Und irgend-
wann trafen wir uns in Nizza, im legendären »Negresco« an
der ebenso legendären Promenade des Anglais. Johan hatte
seinen Berater und Ehefrau Anna mitgebracht, die vor allem
alles über Bremen wissen wollte – Schulangebote, Einkaufs-
möglichkeiten, Erholungswert und so weiter. Und es erwies
sich als sehr vorteilhaft, dass meine Französischkenntnisse
noch ausreichten, alles zu erzählen. Jedenfalls hatte ich beim
Rückflug schon das Gefühl, dass die Geschichte zu stemmen
wäre. Es kam dann noch zu einem zweiten Treffen in Bremen.
Auch das passte, danach war alles in trockenen Tüchern.
Johan erfüllte bei Werder alle Erwartungen, obwohl die Skep-
sis anfangs noch groß war. Denn international war er für viele
ja ein unbeschriebenes Blatt, obwohl er sofort Spitzenverdie-
ner bei Werder war. Doch er hatte im Team schnell Kontakt,
schoss Tore und hob das Bremer Spiel vor allem dank seiner
überragenden Dirigentenfähigkeiten auf ein Niveau, das man
vorher an der Weser nicht gekannt hatte. Irgendwann war
Johan für die Medien »Le Chef«, und diesen Ehrennamen
hatte er verdient, er war auf dem Platz der unbestrittene Boss.
Etwas schwerer als die Fans taten sich die Medien mit Johan.
Er war nicht unbedingt pflegeleicht, und anfangs hieß es, er
gebe überhaupt keine Interviews. Dann wollte er angeblich
nur auf Französisch und Englisch reden. Doch Fakt ist: Nach
einiger Zeit verstand Johan sehr gut deutsch, doch nicht gut
genug, um es auch öffentlich zu sprechen. Nach vier Jahren
kam dann ein Angebot aus Bordeaux, es zog ihn zurück zu
seinem alten Verein. Und in der Region lebt er heute immer
noch – als Besitzer und Betreiber eines Weinguts.
DIEGO (2006–2009)
Die Geschichte seiner Verpflichtung begann schon einige
Jahre früher. Da reiste ich durch Südamerika auf der Suche
nach Talenten für Werder. Dabei sah ich auch ein Spiel des
FC Santos, in der mir ein 18-Jähriger sofort auffiel. Weil er
den Ball perfekt behandelte, sehr dribbelstark war und weil er
unglaubliche Pässe schlagen konnte. Und er trug trotz seines
jugendlichen Alters schon die Rückennummer 10 – wie einst
auch Pelé. Seither ist sie in Brasilien eine besondere Auszeich-
nung. Ich habe dann auch seinen Vater kennengelernt, der
die geschäftlichen Dinge für den Sohn regelte. Doch Diego
ging zum FC Porto nach Portugal – er wollte wohl erst einmal
dort sein Glück versuchen, wo man wie daheim portugiesisch
sprach. Ich habe dann seinen Weg weiter verfolgt und daher
auch mitbekommen, dass es in Porto so einige Probleme gab.
Diego verstand sich nicht mit dem holländischen Trainer, sein
Vater stritt sich mit dem Präsidenten, und Diego saß immer
öfter auf der Tribüne. Ich habe dann versucht, einen neuen
von Klaus Allofs
»IHRE VERPFLICHTUNG WAR LETZTLICH NUR MÖGLICH, WEIL SIE BEI IHREN VEREINEN DAVOR WOHL UNTERSCHÄTZT, WENN NICHT SOGAR VERKANNT WURDEN.« (Klaus Allofs)
TRAUM- UND ERFOLGSDUO: Manager Klaus Allofs mit Trainer Thomas Schaaf.
65 MEIN SV WERDER
Kontakt herzustellen,
das glückte auch ir-
gendwann, doch ich
muss sagen: Es war
wesentlich schwie-
riger als bei Micoud.
Wir brauchten einen
Dolmetscher, die an-
dere Mentalität der
Südamerikaner, vor allem die des Vaters, machte es auch
nicht einfacher. Doch wir blieben hartnäckig, wir suchten
ja einen internationalen Klassemann als Nachfolger für Jo-
han. Werder musste dann auch ziemlich tief in die Tasche
greifen, doch es rechnete sich im Nachhinein vielfach. Weil
Diego zum Star und Publikumsliebling in Bremen wurde, weil
er unglaubliche Tore schoss. Und weil wir – als er dann zu
Juventus wechselte – über 20 Millionen und damit gut das
Vierfache dessen bekamen, was wir einst nach Porto über-
wiesen hatten.
MESUT ÖZIL (2008–2010)
Für mich ist Mesut auch heute noch, trotz der bekannten
Querelen nach der verkorksten WM 2018, ein Weltklasse -
spieler. Einer, den jede Mannschaft gebrauchen kann, auch die
deutsche Nationalmannschaft. Ich sage das mal vorab, weil
er damals, bei seiner Verpflichtung durch uns, auch umstrit-
ten war. Er galt zwar als ein großes Talent – mehr aber nicht.
Er war keinesfalls Stammspieler bei Schalke 04, saß sogar auf
der Tribüne, doch ich war mir sicher: Das kann ein Großer
werden. Es gab allerdings erst einmal interne Diskussionen
bei Werder. Vier Millionen für einen Nobody, der in Schal-
ke nur sporadisch spielte? Es gab Bedenken, doch ich habe
mich bekanntlich durchgesetzt. Mesuts Einstand in Bremen
war allerdings nicht gerade überzeugend. Er ist ein Junge, der
sich nicht sofort an eine neue Umgebung gewöhnt, er war
und ist auch heute noch ein eher schüchterner Mensch. Und
schließlich: Wir hatten damals noch Diego. Zwei Spielmacher
sind für jeden Trainer ein Problem. Das wusste auch Thomas
Schaaf. Als 2009 das Angebot von Juventus für Diego kam,
passte es uns bestens ins Konzept. Plötzlich hatte Mesut den
Raum, den er für seine genialen Pässe und seine blitzschnellen
Dribblings in die Tiefe brauchte, Mesut blühte richtig auf. Ich
behaupte mal: Er lieferte die logische Fortsetzung für Micoud
und Diego, alle drei haben große Verdienste darum, dass
Werder in ihrer Zeit eine deutsche Spitzenmannschaft war.
Mir war ziemlich früh klar, dass Mesut Özil irgendwann für
uns eine Nummer zu groß sein würde, und so kam es dann ja
auch: Real Madrid klopfte an, es gab praktisch keine Chance,
Mesut zu halten. Das Trostpflaster von 15 Millionen Euro war
ja schön. Und was für viele neu sein wird: Letztlich ist es Wer-
der zu verdanken, dass Mesut Özil viele Jahre zu einer Stütze
der deutschen Nationalmannschaft wurde. Denn wir hatten
ziemlich früh mitbekommen, dass sich auch der türkische
Fußballverband bei Mesut gemeldet hatte und ihn für seine
Nationalmannschaft wollte. Wir haben den DFB darüber in-
formiert, es kam zu einem Gespräch in Frankfurt, Mesut ent-
schied sich für den DFB. Und der profitierte davon jahrelang.
Dass es im Sommer 2018 zum Bruch kam, ist meiner Mei-
nung nach nicht vor allem Mesut anzulasten, so wie es teil-
weise dargestellt wurde. Es wurden überall Fehler gemacht,
und das Bild, das viele bei uns nun von ihm haben, stimmt
einfach nicht. Mesut ist keiner, der falsch spielt – er will vor
allem nur Fußball spielen. Und das kann er immer noch bes-
ser als die meisten seiner Berufskollegen. «
Klaus Allofs (geb. am 5. Dezember 1956 in Düsseldorf)
spielte von 1990 bis 1993 für Werder (78 Bundesliga-Spiele,
18 Tore). Otto Rehhagel holte den Stürmer, Vizeweltmeis-
ter von 1982 und 1986 und Europameister von 1980 aus
Frankreich zurück. Allofs schoss in 424 Bundesliga-Einsätzen
177 Tore, er wurde 1979 und 1985 Torschützenkönig der
Bundesliga.
Im Oktober 1999 wurde Allofs Nachfolger von Willi Lemke als
Vorstand Profifußball bei Werder, im Mai 2003 Geschäfts-
führer und im März 2009 Vorsitzender der Geschäftsfüh-
rung. Unter seiner Regie gewann Werder das Double (2004),
wurde Pokalsieger (2009) und zog zehnmal in einen europä-
ischen Pokalwettbewerb ein. Am 14. November 2012 wurde
sein Vertrag vorzeitig aufgelöst.
SCHARFSCHÜTZE AUF UND AUSSERHALB DES PLATZES: Der Brasilianer Diego ließ sich im Heidepark Soltau zum Cowboy machen.
VORSTELLUNG AM 1. FEBRUAR 2008: Trainer Thomas Schaaf, Neuzugang Mesut Özil und Manager Klaus Allofs.
76MEIN SV WERDER
»Antreten zum Abtakeln«, hatte der Stern getitelt und vor der Saison 1987/88 den Abgesang auf Werder angestimmt. Es kam anders. Vollkommen überraschend dominierte Werder die Liga und wurde Meister. Die Gründe beschreibt Frank Ordenewitz.
DAS MEISTERSTÜCK: Nach drei zweiten Plätzen in den Achtzigern holt Otto Rehhagel 1988 endlich die Meisterschale an die Weser.
Deutsche Meisterschaft 1988
DER TROTZ-TITEL
77 MEIN SV WERDER
» Es war unbeschreiblich. Mit dem Au-
tokorso durchs Viertel zum Rathaus,
und dann vor Zehntausenden auf
dem Marktplatz die Schale zeigen –
mehr kannst du als Bremer Fußballer
wohl nicht erleben. Die ausgelassene
Feier nach dem letzten Saisonspiel
war allerdings nur der Abschluss eines
mehrwöchigen Party-Marathons. Wir
hatten die Meisterschaft ja schon am
31. Spieltag perfekt gemacht, beim
1:0 in Frankfurt. Danach wurde der
Rückflug auf den Nachmittag des kom-
menden Tages verschoben und unser
Hotel in Wiesbaden auseinander-
genommen. Der eine oder andere war
am Ende nicht mehr Herr seiner Sinne,
daran erinnere ich mich genau. Aber
dieser Titel kam ja für uns alle überraschend. Klar, wer die
ganze Zeit oben mitspielt, gewöhnt sich irgendwann daran
und entwickelt dann auch viel Selbstvertrauen. Doch vor der
Saison hatten wir einen Umbruch. Deshalb traute man uns
nicht zu, dass wir an die erfolgreichen Vorjahre mit diversen
Vizemeisterschaften anknüpfen würden. Wir eigentlich auch
nicht. Leute wie Rudi Völler, Benno Möhlmann, Wolfgang
Sidka oder Bruno Pezzey lassen sich schließlich nicht so leicht
ersetzen. Auch der Torwartwechsel vom erfahrenen Dieter
Burdenski zum jungen Oliver Reck sorgte für ein Fragezei-
chen. Es wusste im Sommer 1987 eben niemand, wie die
Zugänge einschlagen würden und ob wir jungen Spieler die
Lücken schließen konnten. Aber es funktionierte. Ich feierte
mit mittlerweile 23 Jahren meinen Durchbruch und erzielte
15 Tore. Auch Spieler wie Thomas Wolter und Gunnar Sauer
sollten viel mehr Einsatzzeiten erhalten. Sie bewährten sich
ebenfalls. Bei den Neuen denke ich vor allem an drei Namen:
Uli Borowka, der durch seine Spielweise für viel Respekt beim
Gegner sorgte, Kalle Riedle, Siegtorschütze in Frankfurt und
ein echt außergewöhnlicher Stürmer, und schließlich auch
Rune Bratseth. Er war im Sommer aus Norwegen gekommen.
Die Schnelligkeit des »Elchen« galt als herausragend, ebenso
wie seine Sprungkraft. Wir sind nach einem Training mal bei
den Leichtathleten vorbeigekommen. Die Hochsprunglatte
lag bei 1,80 Meter. Da hat Rune nur gegrinst und ist einfach
drübergesprungen. Aber letztlich war es natürlich nicht nur
die Qualität der einzelnen Spieler, die uns so stark gemacht
hat. Es war Otto Rehhagel. Er hatte einen Riesenanteil an
diesem Erfolg, weil er uns einmal mehr zu einer mannschaft-
lichen Geschlossenheit geführt hat, die man in den meisten
anderen Teams vergeblich suchte. Das war damals ja seine
große Stärke. Otto hat die richtigen Spieler geholt, und dann
passte das eigentlich immer. So standen in jedem Jahr auch
immer Leute auf dem Platz, die das Heft in die Hand genom-
men haben, wenn es mal nicht so lief. Das konnte schon
vorkommen. Damals hat der Trainer nämlich nie viel auf den
Gegner geachtet. Matchpläne und solche Sachen waren
noch weitgehend unbekannt. Wir brauchten sie auch nicht.
Es konnte aber vorkommen, dass wir es mit einer Mannschaft
zu tun bekamen, die plötzlich viel stärker auftrat als erwartet
und uns Probleme bereitete. In der Meistersaison haben dann
Spieler wie Mirko Votava, Manni Burgsmüller, Uli Borowka
oder auch Rune Bratseth gesagt, wo es langgeht. Solche
Stützen in eine Mannschaft einzubauen war ein Verdienst
von Otto Rehhagel, dessen Training übrigens nicht für Über-
raschungen gesorgt hat. Wir wussten nämlich immer, was
kam, und unsere Konditionseinheit fand jeden Montag auf
der Finnenbahn im Stadtwald statt. Das war es dann. Aber
78MEIN SV WERDER
SEIN BESTES JAHR: Frank Ordenewitz, hier gegen den Hamburger Man-fred Kaltz, erzielte 15 Saisontreffer, so viele wie nie.
von Frank Ordenewitz
»DIESER TITEL IM JAHR EINS NACH VÖLLER, PEZZEY, MÖHLMANN KAM FÜR ALLE ÜBERRA-SCHEND. AUCH FÜR UNS.« (Frank Ordenewitz)
Otto hat eben diese verschworene Einheit geschaffen, auch
durch eine lange Leine. Denn natürlich wusste der Trainer,
dass wir einige Jungs dabeihatten, die gern mal um die Häu-
ser zogen. Ich gehörte auch dazu. Das hat ihn nie gestört,
solange die Leistung auf dem Platz stimmte. Und die stimmte
ja. Wir blieben nach dem 1:0 zum Auftakt bei Hannover 96
sieben weitere Spiele ungeschlagen und kletterten am sechs-
ten Spieltag auf den ersten Platz. Zwar fielen wir später noch
mal für zwei Wochen hinter den 1. FC Köln zurück. Aber ab
dem 13. Spieltag hieß der Spitzenreiter damals Werder Bre-
men. Bemerkenswert war sicher, dass wir mit Rune Bratseth,
Gunnar Sauer, Uli Borowka, Jonny Otten und Thomas Schaaf
fünf nominelle Abwehrspieler hatten, die auf mindestens
30 Einsätze kamen. Damit lässt sich wohl ganz gut erklären,
was Otto Rehhagel damals mit der »kontrollierten Offensive«
gemeint hat. Am Ende kassierte die Mannschaft jedenfalls
nur 22 Gegentreffer und stellte damit einen Rekord auf, der
erst rund 20 Jahre später gebrochen werden sollte. Und nach
dem Sieg in Frankfurt lagen wir uneinholbar vorn. Wie ge-
sagt: Eine Überraschung war das nicht mehr, weil wir uns als
Tabellenführer ja lange genug auf diesen Moment vorberei-
ten konnten. Mit etwas Abstand betrachtet, musste man sich
allerdings schon wundern: Wir wurden Meister und nicht die
Bayern! Dabei galten sie damals schon als Maß aller Dinge,
hatten mit Spielern wie Klaus Augenthaler, Andreas Brehme
oder Lothar Matthäus absolute Stars in ihren Reihen. Aber
wir setzten ihnen eben ein echtes Team entgegen, und wir
waren dabei noch ziemlich locker, denn wir hatten nichts
zu verlieren. So stellten sich die Erfolge beinahe von allein
ein, und dabei ragte in der ersten Saisonhälfte sicher das 6:2
gegen Spartak Moskau – nach 1:4 im Hinspiel – im UEFA-
Pokal heraus. Später, als wir im Halbfinale des DFB-Pokals
(gegen Frankfurt) und des UEFA-Pokals (gegen Leverkusen)
knapp ausgeschieden waren, konnten wir uns dann auf die
Meisterschaft konzentrieren. Aber ganz ehrlich: Mit der ein-
gespielten Mannschaft der Vorjahre wäre es wahrscheinlich
leichter für uns gewesen, den Titel zu holen. Bei den Vize-
meisterschaften 1983, 1985 und 1986 waren wir ja auch
sehr nahe dran. Aber wer weiß: Vielleicht haben uns diese
Erfahrungen und das böse Etikett des ewigen Zweiten erst
richtig stark gemacht. In jedem Fall hätten wir diese Begeis-
terung damals wohl nicht erlebt, wäre die Meisterschaft nur
eine von mehreren gewesen. Die Freude rund ums Rathaus
hätte sicher nicht diese Dimensionen angenommen. Das Bes-
te daran: Meine Eltern waren extra aus Dorfmark angereist
und bekamen mit, wie ihr Sohn gefeiert wurde. Für sie war
es bestimmt auch das größte Erlebnis. «
Frank Ordenewitz (geb. am 25. März 1965 in Dorfmark)
kam 1981 vom TSV Dorfmark nach Bremen, schaffte es über
die Jugend- und Amateurmannschaft zu den Profis, brachte
es zwischen 1983 und 1989 auf 125 Bundesliga-Spiele mit
37 Toren und machte 1987 zwei Länderspiele.1988 wurde
er mit dem Fairplay-Preis der FIFA ausgezeichnet. Er hatte in
einem Spiel von Werder Bremen gegen den 1. FC Köln dem
Schiedsrichter ein von ihm begangenes Handspiel im eige-
nen Strafraum gestanden und damit Köln einen Elfmeter
ermöglicht.
79 MEIN SV WERDER
WICHTIGER NEUZUGANG IN DER MEISTERSAISON: Uli Borowka, hier gegen den Hamburger Uwe Bein, kam aus Mönchengladbach.
SIEGESTAUMEL: Frank Ordenewitz und Gunnar Sauer (r.) mit Otto Rehhagel.
HIER SCHREIBEN DIE STARS
Die größten Momente der Werder-Geschichte ist eine Chronik der besonderen Art. Hier schreiben Bremer Fußball-Legenden wie Thomas Schaaf, Rudi Völler, Willi Lemke, Frank Baumann oder Wynton Rufer über die Höhepunkte ihrer Zeit in Bremen. Frank Neubarth erzählt, wie das erste Wunder von der Weser gelang; Thomas Wolter beschreibt das Phänomen Rehhagel, und eine Trainer-Hitparade belegt, wie erfolgreich Florian Kohfeldt wirklich arbeitet. Knapp 40 Beiträge über die größten, spektakulärsten Ereignisse ma chen dieses Buch zu einem außerordentlichen Nachschlagewerk über Werder Bremen, packend erzählt und mit den schönsten Fotos illustriert.
ISBN 978-3-7307-0448-6VERLAG DIE WERKSTATT