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DENKMAL- UND GESCHICHTSVEREIN BONN-RECHTSRHEINISCH e.V.
Der Merowinger-Friedhof von Ramersdorf Archäologische Grabungen am Bonner Bogen 2011
Anhang: Einstimmig angenommener Antrag um Unterausschuss Denkmalsschutz der Stadt Bonn
Merowingerzeitlicher-Friedhof, der größte im Rheinland.
Bei der jüngsten Grabungskampagne (Juni bis Dezember 2011) wurden im Neubau-Areal zwischen
Joseph-Schumpeter-Allee und Bundesbahntrasse in einer Tiefe von etwa 2,50 bis drei Meter nicht
weniger als 465 Grabstätten aufgedeckt (darunter 55 als Nachbestattungen). Bei früheren Grabungen waren bereits im unmittelbaren Bereich der Joseph-Schumpeter-Allee einerseits um 1998
(Grabung M. Gechter) 41 Bestattungsstellen sowie andererseits daran örtlich anschließend (Zufallsfunde bei
Bauarbeiten der ehemaligen Zementfabrik) a.) um 1935/1938 sowie b.) 1875 insgesamt rd. 13 (Steinkisten-) Gräber
aufgedeckt worden. Das jetzige Grabungsgelände schließt daran wiederum örtlich wie zeitlich unmittelbar an.
Das Ramersdorfer Gräberfeld insgesamt ist fränkischen Ursprungs. Es wird in das 6. bis 7.
Jahrhundert datiert (Phase der Merowinger), sein ältester Fund auf etwa 500 n. Chr. Mit seinen
rund 500 Grabstätten und deren reichem Beigabeninventar stellt es einen Friedhof von
außergewöhnlicher Bedeutung dar; abgesehen von dem – allerdings nachrömischen – Xanten-
Gellep ist er der größte im Rheinland.
Die Grabung von 2011 wurde im Auftrag des Rhein. Landesamtes für Bodendenkmalpflege durch
die Firma Archbau, Köln, durchgeführt; sie stand unter der der Leitung von Gary White.
Die Inhalte der Gräber wurden gesichert (Museen, Magazine, Werkstätten etc.), während die eigentlichen Grabstätten,
samt Steinplatten-Einfassungen und -abdeckungen, entfernt („vernichtet“) worden sind – ausgenommen die jüngste
Grabungskampagne. Von ihr sind einige wenige Steinkisten-Gräber entnommen, derzeit zwischengelagert, um auf der
nächsten großen Archäologie-Ausstellung 2015 (in Bonn) präsentiert zu werden. Weiteres Steinplatten-Material,
insbesondere große Deckplatten, ist (noch für ganz kurze Zeit!) vor Ort vorhanden und (derzeit, vorübergehend noch)
gesichert. Es soll kurzfristig vernichtet werden.
Einem am 8. 3. 2012 erfolgreich im Denkmalausschuss der Stadt Bonn von dessen Mitglied Carl J. Bachem, Denkmal-
und Geschichtsverein Bonn-Rechtsrheinisch e. V., gestellten Dringlichkeitsantrag zufolge sollen nun aber wenigstens
einige Steinkistengräber an Ort und Stelle verbleiben und nach Abschluss des anstehenden Neubauvorhabens in den
geplanten Grünanlagen neu errichtet werden, samt entsprechenden Informationstafeln. – (Stand 12. 3. 2012)
Heidnische und Christliche Gräber
Alle Gräber sind ost-westlich ausgerichtet, die Bestattungen mit Blickrichtung nach Osten. Ihre
Maße belaufen sich auf ca. 1,85 bis 3,20 in der Länge und 0,90 bis 2,00 Meter in der Breite
(Grabgruben) sowie 0,50 bis 0,60 in der Höhe (Steinkisten).
In die merowingische Zeitphase fällt der gesellschaftliche Übergang von der heidnischen Zeit in das
beginnende Christentum. Entsprechend ändern sich Lebensvorstellungen und Lebensweise. Diese
sind auch bei den Bestattungsformen festellbar.
So lassen sich – zeitlich wie auch örtlich – zwei Belegungsphasen unterscheiden: a. Heidnisch
Der Mensch als Einzellebewesen steht im Vordergrund. Entsprechend fallen die Beigaben
aus: sie sind auf eine Art irdischen Weiterlebens nach dem Tod ausgerichtet.
b. Frühchristlich
Der Mensch lebt im Familienzusammenhang: weg vom Individuum hin zur Gemeinschaft;
sein Leben ist auf ein Jenseits gerichtet. Auch hier entsprechen dem die Beigaben, die
allerdings folgerichtig kärglich sind.
(Der Mensch wird nackt geboren und auch entsprechend nackt (ohne Beigaben) beerdigt).
Die erste Phase des Gräberfeldes – 6. Jh. – findet sich auf einer Art Bodenwelle/Hügel:
Einfache Erdgräber (Gruben), teilweise mit erkennbaren Holzeinbauten (zur Gruben-
versteifung?), das ehem. Holz zu Asche verkommen (erkennbar in Bodenverfärbungen). –
Sie enthalten viele Beigaben.
Die zweite Phase des Gräberfeldes – 7. Jh. – stellt eine Art Erweiterung der ersten Begräbnisstätte
dar:
Alle Grabstätten sind von Steinplatten eingefasst – und teilweise bedeckt, sog.
Steinkistengräber –, praktisch finden sich keinerlei Beigaben.
Die Steinplatten sind unterschiedlich in Material und Form: a. Tuffstein, großformatig, kantig behauen, in Zweitverwendung nach ursprünglicher Verwendung
als Verblendplatten an römischen Bauten (vermutlich auf der linken Rheinseite)
b. Tuffstein wie vor, aber kleinformatig (wie doppeltes Ziegelsteinformat) c. Latitplatten (Siebengebirgsbasalt), flächig, aber leicht polygonal, großformatig als Deckplatten,
kleinerformatig als seitliche Stützwände.
d. Andesitplatten (wie vor)
Reiche Funde
Das (heidnische) Gräberfeld ist in früher Zeit schon gestört (beraubt) worden, vermutlich beim
Übergang zur christlichen Bestattung (in der unmittelbaren Nachbarschaft). Dabei dürften
insbesondere Beigaben aus Edelmetall, vor allem Gold, verloren gegangen sein. (Bei der Kampagne
2011 wurde nur ein einziger Gegenstand aus Gold geborgen.) Auch die (christlichen) Steinkisten-
gräber sind häufig gestört (zerschlagene Deckplatten).
Verblieben ist dennoch ein sehr großer und zum Teil hochkarätiger Fund-Reichtum.
Die (heidnischen) Bestattungen
erfolgten in der Regel mit Tracht, mit Halsschmuck, Ohrringen, Armreifen und Fingerringen;
bei Männern fanden sich zusätzlich reich verzierte Gürtel (mit Bronzeapplicken, eine einzige aus
Gold, und Hüfttaschen etc.), zusätzlich verschiedenartige Waffen.
Das Material ist Bronze und Eisen (Waffen), teilweise auch Silber (Gold fehlt), sowie Glas, Ton etc.:
Frauengräber / Schmuck: • Halsketten (Perlenketten) aus farbigen Glas- oder aus Tonperlen, auch Bernstein
• Ohrringe, Fingerringe
• Fibeln (Gewandspangen) aus Bronze (nicht Gold: vermutlich geraubt)
Männergräber / Waffen: • Hüfttaschen
• Lanzen(spitzen), Lang- und Kurzschwerter aus Eisen, sog. Schildbuckel (Metallmittelteil des
ehem. Holzschildes), drei Großäxte
Zusätzlich in den (heidnischen) Grabstätten vielerlei Alltagsgegenstände, u. a.: • Messer, Pinzetten Scheren (wie heutige Schafscheren) – zur Körperpflege: Haare-Schneiden,
Rasieren, Haare-Entfernen
• Trinkgläser (zerbrochen, aber reparierbar) aus grünlichem, bläulichem, braunen Glas
• (viel) Keramik.
Zudem auch Hinweise auf Pferde: • Reitsporne; in einigen Gräbern eisenbeschlagene Eimer (zum Pferde-Tränken)
Die Funde werden derzeit zunächst handwerklich bearbeitet (in Werkstätten und Laboratorien
mechanisch gereinigt, geröngt und chemisch bearbeitet); es schließt sich die wissenschaftliche
Wertung an (zeichnen, dokumentieren und mit anderen Fundstücken vergleichen); schließlich
folgt die Veröffentlichung (die sich der Grabungsleiter G. White selber vorbehalten will).
Wohnstätten (noch) unbekannt
Es stellt sich die Frage nach dem (großen) Siedlungsplatz der Bevölkerung, die hier ihre
Begräbnisstätte hatte. Bisher konnten Siedlungen jener Zeit in naher Entfernung nicht
nachgewiesen werden. In Vilich-Müldorf dagegen, allerdings ca. fünf Kilometer entfernt, wurde an
der B 56 (Sankt-Augustiner-Straße) bei Grabungen 2007 bis 2010 der größte bisher bekannte
merowingerzeitliche Siedlungsplatz im Rheinland festgestellt.
Ob hier ein Zusammenhang besteht, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten.
Das Gräberfeld liegt (wie das gesamte Gelände der ehemaligen Zementfabrik 1856 bis 1985) auf
einer hochwasserfreien Terrasse. Möglicherweise hat eine entsprechende Siedlung westlich
anschließend am Rheinufer gelegen (Stelle der heutigen Kaimauer der ehem. Zementfabrik); sie
könnte im Laufe der langen Jahrhunderte vom Rheinwasser (Prallufer!) weggespült worden sein
(Hinweis G. White).
Dem Friedhofsgelände benachbart sind die Ortschaften Ramersdorf und (Oberkassel-) Hosterbach,
die beide – bereits am Namen erkennbar – auf fränkische Gründungen zurückgehen; beide liegen,
jeweils etwa ein Kilometer entfernt, auf erhöhten Niederterrassen am Hang der nahen
Siebengebirgshügel. Im Bereich von Ramersdorf sind eisenzeitliche Funde wie auch fränkische
Streufunde gemacht worden. Ins Auge gefasst werden sollte auch der Platz auf dem Ennertsporn,
auf dem sich seit dem 13. Jh. die ehemalige Deutschordenskommende befindet; an ihrem Fuß lag,
weniger als einen Kilometer vom Merowinger-Friedhof entfernt, bis Ende des 19. Jh. ihr
landwirtschaftliches Anwesen, der sog. Eichhof.
Die Merowinger
zählen zu den „Franken“; sie sind nach deren ältestem Königsgeschlecht benannt (Name abgeleitet
von Merowech, ca. 447 bis 457). Das Reich der Franken erhebt sich nach der Zeit der
Völkerwanderung als neuer und machtpolitischer Schwerpunkt im germanisch-romanischen
Nordwesten. Aus der Synthese germanischer, römischer und christlicher Elemente entsteht die
fränkische Kultur. Die Verbindung mit dem Papsttum und die Errichtung des Kaiserreiches Karls d.
Gr. bestimmen die weitere geschichtliche Entwicklung des Abendlandes.
Das Frankenreich wird zeitlich in das der Merowinger und das der Franken gegliedert: Die
„Merowinger-Zeit“, auf das 5. bis 8. Jahrhundert angesetzt, ist die Phase des Übergangs von der
Spätantike zum frühen Mittelalter. (Der bekannteste Merowinger ist König Chlodwig (481 bis 511),
der 496 in der Schlacht (vermutlich) bei Zülpich die Reste der römischen Herrschaft bezwang und
zum Christentum übertrat). Die nachfolgende „Karolinger-Zeit“ wurde nach Karl dem Großen (768
bis 814) benannt.
___________________
Quellen:
Mündl. Mitt. von Grabungsleiter Gary White, 22. 2. 2012
„Archäologie-Sensation am Bonner Bogen“, General-Anzeiger 6. 1. 2012, S. 15 (1 Abb.)
„Der merowingerzeitliche Friedhof in Bonn-Oberkassel“ von M. Gechter, U. Müssemeier, F. Willer („Fundort
NRW. Millionen Jahre Geschichte“, Begleitb. z. gleichnam. Ausstell., Köln 2000
„Die Hüfttaschen waren mit Bronze beschlagen“, General-Anzeiger 2. 7. 1998
©Carl J. Bachem - 25. 2. 2012 / Fass. 10. 3. 2012
Bundesstadt Bonn TOP
BE
Dringlichkeitsantrag
öffentlich nicht öffentlich
Drucksachen-Nr.
Externes Dokument
Antragsteller/in Carl J. Bachem Eingangsdatum
gez. Carl J. Bachem 8. 3. 2012 f.d.R. Carl J. Bachem
Datum Unterschrift
Betreff
Merowinger-Gräber in Ramersdorf (Bonner Bogen)
* Zuständigkeiten 1 = Beschluss 2 = Empf. an Rat 3 = Empf. an HA 4 = Empf. an BV 5 = Anreg. an Rat 6 = Anreg. an HA 7 = Anreg. an FachA 8 = Anreg. an OB
Gremium Sitzung Ergebnis Z. *
Unterausschuss Denkmalschutz 8. 3. 2012. Einstimm.ngenomm.
Inhalt des Dringlichkeitsantrages
Die Verwaltung möge dafür Sorge tragen, das einige wenige der am Grabungsort im Ramersdorfer Feld (Bonner Bogen) von den umfassenden archäologischen Untersuchungen verbliebenen zahlreichen Steinplattengräber des dortigen ehemaligen Merowingerfriedhofes an Ort und Stelle verbleiben und nach Abschluss der dort jetzt anstehenden Baumaßnahmen in angemessener Form in Grünanlagen für die Öffentlichkeit sichtbar verbleiben, begleitet von entsprechenden Text- und Bildinformationen.
Begründung:
Die Ausgrabungen zwischen Juni und Dezember 2011 am Bonner Bogen sind abgeschlossen, die Funde reich, die Erkenntnisse fundamental: mit über 400 Grabstätten und an die 600 Bestattungen der größte merowingerzeitliche Friedhof der Rheinlande (6.-7. Jh.). Für die Geschichte der Stadt Bonn eine überraschend neue, herausragende „Historische Stätte“. An Ort und Stelle ist davon aber – bisher – nichts geblieben: die Grabungsstätte als solche ist völlig abgeräumt, die Funde sind in Werkstätten und Magazine verbracht – und die noch auf Halde lagernden vielen Steinkistengräber sollen in diesen Tagen vor Ort zu Steinschrott geschreddert werden. Der historische Ort hat dann seine Authentizität verloren. Daher sollte durch den Verbleib bzw. die Wiedererrichtung von einigen wenigen Steinkistengräbern die Erinnerung an diesen einmaligen Geschichtsort sichtbar wachgehalten werden.