MessiaensModi– · PDF fileDie vorstehenden Überlegungen haben übrigens nicht nur für die Musik von Messiaen Geltung, sondern darüber hinaus,

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  • Messiaens Modi Hilfen zum Erkennen

    Stefan Prey

    Bis auf geringfgige nderungen der Rechtschreibung und der Zitierweiseentspricht der folgende Text der Fassung aus der Musiktheorie, Heft 4/2005.

    Ein besonders heikles Thema im Gehrbildungsunterricht ist die Musik des 20. Jahr-hunderts.1 Folgende Strategien sind offenbar verbreitet:

    Die Musik des 20. Jahrhunderts wird berhaupt nicht bercksichtigt.

    Sie wird auf eher abstrakte bungen reduziert.

    Es werden nur tonal gut fassliche Beispiele gewhlt.

    Es werden nur Einzelstimmen aus mehrstimmigen Stzen erarbeitet.

    Das Klavier wird als Klangquelle bevorzugt.

    Das Erfassen der Tonhhen wird zugunsten anderer Parameter relativiert.2

    Das Problem besteht zumeist darin, das Erfassen der Tonhhen zu bewltigen. Dies ist ei-ne der Hauptschwierigkeiten des Gehrbildungsunterricht bei Musik des 20. Jahrhunderts.Allgemeine Prinzipien der Tonhhenorganisation sind nmlich hufig gar nicht bekannt,oder sie knnen nur durch eine langwierige Analyse herausgefunden werden. In beidenFllen fehlt eine entscheidende Hilfe fr das Hren.Anders ist das zumindest teilweise in der Musik von Messiaen. Seine Modi sind einSystem der Tonhhenorganisation, dessen Kenntnis das hrende Erfassen der Tonhhenerleichtert oder teilweise sogar berhaupt erst ermglicht. Im Folgenden soll ein Konzeptvorgestellt werden, mit dem es mglich ist, die Analyse und Hranalyse von MessiaensMusik zu erleichtern.

    1 Siehe hierzu die Ausfhrungen bei Ulrich Kaiser, Gehrbildung : Satzlehre, Improvisation, Hranalyse,Grundkurs, Kassel 1998, S. 128f.

    2 Irene Matz hat das in ihrem Konzept der Klangskizze methodisch und musikalisch sehr berzeugendumgesetzt. Vgl. hierzu ebenfalls Kaiser Gehrbildung S. 128.

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  • Wesentlich sind dabei die so genannten Modes transpositions limites 3. Damit sindSkalen gemeint, die mit mindestens einer ihrer Transpositionen identisch sind.4 Folgendesieben Skalen hat Messiaen aufgefhrt:

    Jeder Modus teilt die Oktave in gleiche Abschnitte, Modus 1 in sechs, Modus 2 invier, Modus 3 in drei und Modus 4 bis 7 in zwei. Jeder Modus kann in beliebigenTranspositionen verwendet werden. Die abgebildeten Versionen werden bei Messiaen als1. Transposition bezeichnet. Einen Halbton hher als die 1. liegt die 2. Transposition usw.Den Modus 1, die Ganztonleiter, hat Messiaen wohl hauptschlich aus systematischenGrnden aufgenommen und nach eigenen Angaben kaum verwendet.5 Er wird deshalbim Folgenden nicht weiter beachtet. Im brigen sind Messiaens Bezeichnungen nichtbesonders systematisch. So ist Modus 5 in Modus 4 oder Modus 6 enthalten, zhlt abertrotzdem als eigenstndiger Modus.6 Dagegen ist c-cis-dis-fis-g-a in Modus 2 enthalten,zhlt jedoch nicht als eigenstndiger Modus.Diese Moduslehre ist so kompliziert, dass eine blo begriffliche Kenntnis allein das schnel-le Erkennen der Modi noch nicht ermglicht. Dies gilt fr das Hren wie fr die Analyse.Wer mit Messiaens Musik noch nicht so vertraut ist, hat normalerweise erhebliche Schwie-rigkeiten, schnell und sicher zu erkennen, ob an einer bestimmten Stelle einer der Modes transpositions limites vorliegt, und wenn ja, welcher. Die Kenntnis der Modi ist zwareine notwendige Voraussetzung, doch keine hinreichende. Es muss also zustzlich gebtwerden, dieses Wissen auch auf das Gehrte oder Gelesene anwenden zu knnen.

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    Eine erhebliche Hilfe ist dabei die Fhigkeit, zu erkennen, dass ein bestimmter Modus garnicht vorliegen kann. Dabei hilft die Kenntnis bestimmter Tonkonfigurationen, die einenbestimmten Modus mit Sicherheit ausschlieen.7 Das soll am Beispiel des bekanntestenModus erlutert werden, nmlich an der Durtonleiter.Die Durtonleiter enthlt z. B. keinen bermigen Dreiklang, oder anders ausgedrckt,der bermige Dreiklang lsst sich in keiner seiner Transpositionen auf den weien Tas-ten des Klaviers spielen. Wer also bei der Analyse auf die Tonkombination c-e-gis stt,3 Olivier Messiaen, Technik meiner musikalischen Sprache [Technique de mon langage musical], erster

    Band, Text, bers. Sieglinde Ahrens, Paris 1966, S. 56ff. Der zweite Band enthlt die Notenbeispiele.Hier gibt es keine deutsche bersetzung.

    4 Diese Definition setzt voraus, dass ein Tonsystem mit einem geschlossenen Quintenzirkel zu Grundeliegt. Vgl. Messiaen Technique S. 56.

    5 Messiaen Technique S. 57.6 Messiaen Technique S. 60.7 Die folgenden berlegungen knpfen an das Konzept der pitch-class-sets von Allen Forte an. Allen

    Forte, The Structure of Atonal Music, New Haven und London 1973.

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  • wei sofort, dass hier keine Durtonleiter zu Grunde liegen kann. Dieser Sachverhalt wirdim Folgenden so bezeichnet: Der bermige Dreiklang ist eine Ausschlusskonstellationzur Durtonleiter.Dies gilt natrlich automatisch auch bei Akkorden oder Tonfolgen, die einen bermigenDreiklang enthalten, wie a-c-e-gis oder b-d-fis-as.Besonders interessant sind diejenigen Ausschlusskonstellationen, die so klein sind wiemglich. Sie enthalten selbst keine kleineren Ausschlusskonstellationen mehr, und sieverlieren ihre Eigenschaft, Ausschlusskonstellation zu sein, wenn ein einziger Ton ent-fernt wird. Solche Ausschlusskonstellationen werden im Folgenden als irreduzibel be-zeichnet. Dies gilt z. B. fr den bermigen Dreiklang. c-e-gis kann keiner Durtonleiterangehren, c-e dagegen sehr wohl. Deswegen ist der bermige Dreiklang eine irreduzibleAusschlusskonstellation zur Durtonleiter.Zu einem bestimmten Modus kann es nur eine begrenzte Anzahl solcher irreduziblerAusschlusskonstellationen geben. Ihre Gesamtheit wird im Folgenden als System derirreduziblen Ausschlusskonstellationen zu einem Modus bezeichnet. Ein solches Systemhat folgende wichtige Eigenschaft: Jeder Akkord, bzw. jede Tonfolge, die keiner einzigenTransposition eines bestimmten Modus angehrt, ist selbst irreduzible Ausschlusskon-stellation oder enthlt mindestens eine irreduzible Ausschlusskonstellation des Systems.Das System8 irreduzibler Ausschlusskonstellationen zur Durtonleiter besteht aus siebenTonzusammenstellungen, und zwar:

    Ausschlusskonstellationen zu Durc-cis-d Dreitonchromatikc-cis-ec-es-e

    Halbtonschritt neben kleiner Terz

    c-e-gis bermiger Dreiklangc-cis-fis-gc-d-fis-gis zwei Tritonic-es-fis-a

    Gemeint sind natrlich nicht die Klnge in ihrer absoluten Tonhhe, sondern in smtli-chen Transpositionen. Auerdem kommt es auch nicht auf die enharmonische Lesart an.So bezieht sich z. B. die dritte Ausschlusskonstellation auch auf c-dis-e und his-dis-e.Keine der beiden Tonfolgen gehrt einer Durtonleiter an.Solch ein System irreduzibler Ausschlusskonstellationen lsst sich zu jedem Modus auf-stellen. Wer das zu einem bestimmten Modus gehrige System kennt, kann in vielenFllen berraschend schnell feststellen, ob der fragliche Modus vorliegt oder nicht. FrMessiaens Modus 2 ergibt sich folgendes System:

    8 Die Systeme der irreduziblen Ausschlusskonstellationen wurden mit einem Computerprogramm be-stimmt. Wer also Fehler findet, ist herzlich gebeten, sie mitzuteilen an [email protected].

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  • Ausschlusskonstellationen zu Modus 2c-cis-d Dreitonchromatikc-d-e Zwei Ganztonschrittec-des-fc-e-f

    Halbtonschritt neben groer Terz

    c-e-gis bermiger Dreiklangc-d-g Zwei Quarten

    Am folgenden Beispiel9 wird deutlich, welche Hilfen die Ausschlusskonstellationen bieten.

    Der Anfang steht in der 2. Transposition von Modus 2.

    Der Spitzenton c3 wird ber die Folge von zwei Quarten erreicht, also ber die letzteAusschlusskonstellation der Aufstellung. Danach erscheinen weitere Ausschlusskonstella-tionen zu Modus 2, nmlich der bermige Dreiklang b-fis-d und die Folge von zweiGanztonschritten d-c-b. Vom Spitzenton an erklingt also eine Tonfolge, die nicht mehrdem Modus 2 angehrt.10

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    Ein System irreduzibler Ausschlusskonstellationen kann nicht nur fr jeden einzelnenModus bestimmt werden, sondern auch fr eine Kombination mehrerer Modi. Damit istfolgendes gemeint:

    Keine der gegebenen Konstellationen kommt in irgendeinem der gegebenen Modivor.

    Wird jedoch ein beliebiger Ton einer Ausschlusskonstellation entfernt, so kommtder entstehende Akkord in mindestens einem der gegebenen Modi vor.

    Jeder Akkord, der in keinem der gegebenen Modi vorkommt, ist eine der Aus-schlusskonstellationen oder enthlt eine der Ausschlusskonstellationen.

    9 Olivier Messiaen, Quatuor pour la fin du temps, Paris 1942, dritter Satz, S. 16, kurz vor Schluss. DieStelle wird von der B-Klarinette gespielt. Das Notenbeispiel gibt die klingende Tonhhe wieder, nichtdie notierte.

    10 Die einzige mgliche Deutung wre hier die 2. Transposition von Modus 7. Bei einem so kurzen Ab-schnitt besagt das jedoch nichts, da Modus 7 wegen seines groen Tonvorrats sowieso sehr hufigpasst.

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  • So hilft es z. B. bei der Analyse, zu wissen, welche Konstellationen weder in Modus 2 nochin Modus 3 vorkommen. Dafr ergibt sich folgendes erstaunlich bersichtliche System:

    Ausschlusskonstellationen zu Modus 2 und 3c-cis-d-dis Viertonchromatikc-des-es-f -gesc-f -fis-g Dreitonchromatik mit Tritonus zum mittleren Tonc-d-f -g viertniger Quartklang

    Folgendes Beispiel aus Messiaens Nativit du Seigneur11 zeigt, dass dieser Ansatz ntzlichsein kann:

    Die oberste Stimme beginnt mit einer chromatischen Folge von vier Tnen. Das ist dieerste Ausschlusskonstellation zu Modus 2 und 3. Beide Modi kommen also nicht in Frage.Eine nhere Prfung zeigt, dass das Beispiel im Modus 4 steht.Hier ist noch folgende interessante Eigenschaft von Messiaens Modus-System zu erwh-nen: Wenn Modus 2 und 3 ausgeschlossen sind, dann kommen nur noch die Modi 4, 5, 6und 7 in Frage. Ihnen ist allen gemeinsam, dass sie die Oktave in zwei Teile teilen und zujedem Ton gleichzeitig den Tritonus in der Skala enthalten. Diese berlegung ermglichtdie Rekonstruktion des theoretisch mglichen Tonvorrats und dies erleichtert natrlichwieder