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Handelsblatt 10 WIRTSCHAFT & BILDUNG MITTWOCH. 16. DEZEMBER 201 5. NR. 243 Mehr Bildung für Pädagogen AlJf die Lehrer kommt es an! Das haben viele Universitäten erkannt - zumindest im Ansatz. ..,. Etwa 80 Zentren für Lehrerbildung gibt es heute. ..,. Sie haben aber oft wenig Macht und Einfluss. Stefani Hergert Düsseldorf P raxisschock ist so ein Wort, das wohl jeder an- gehende Lehrer schon ge- hört hat - und vor dem sich so mancher fürchtet. Nach mindestens fünf Jahren Studi- um sollen die Pädagogen etwas kön- nen, für das sie die Universitäten und Pädagogischen Hochschulen nicht wirklich ausbilden: 2012 sag- ten in einer Allensbach-Umfrage 62 Prozent der Junglehrer, dass sie zu wenig auf die Berufspraxis vorberei- tet wurden. Über alle Altersstufen hinweg verband jeder fünfte Päda- goge mit dem Berufseinstieg eben jenen Praxisschock. Man könnte das als typisches Problem von Berufseinsteigern ab- tun, hinge von den Lehrern nicht so viel ab. Nicht zuletzt dem neusee- ländischen Bildungsforscher John Hattie ist es zu verdanken, dass nun wirklich allen klar ist: Es kommt in puncto Schülerleistungen vor allem auf sie an. Auch deshalb hat sich an den Hochschulen viel in Sachen Lehrerbildung getan: Etwa 80 Zen- tren oder Fakultäten (Schools of Education) gibt es im Land - doch ihre Möglichkeiten sind oft be- grenzt. Einer der Vorreiter Ist die Technl· sche Universität München (TUM). Sie geht noch einen Schritt weiter: DieTUMverzahntTheorie und Pra- xis noch stärker und kombiniert ein Masterstudium für Lehrer an Be- rufsschulen mit dem Referendariat (siehe Artikel unten). 2009 hatte die Universität als Ers- te die Lehrerbildung in einer School of Education gebündelt. „Wir sind eine Fakultät. Das klingt so trivial, aber wir sind damit insti- tutionell eingebunden", sagt School-Dekanin Kristina Reiss. Und so habe man durchaus Einfluss auf andere Fakultäten. Das ist entschei- Unterricht an einer Realschule: Jeder fünfte Lehrer hat nach dem Studium einen Praxisschock erlebt. LEHRERMANGEL GROSSE LÜCKE Bedarf Die Bundesländer ha- ben große Mühe, angesichts von 300000 Flüchtlingskin- dern die Zahl der Lehrer auf- zustocken. Laut Deutschem Philologenverband werden nach derzeitigem Stand rund 7 500 neue Stellen geschaf- fen, 20000 werden laut Kul- tusministerkonferenz allein für die 2014 und 2015 angekom- menen Flüchtlingskinder be- nötigt. Laut Verband vermi- schen viele Länder zudem ohnehin geplante neue Stellen mit „Flüchtlingslehrern". dpa dend, da die Lehrerausbildung an vielen Hochschulen lange ein Schat- tendasein fristete. Das ist zum Teil immer noch so. Und das liegt am System: Ange- hende Lehrer etwa in Mathematik studieren ihr Fach, lernen zudem, wie sie Mathematik didaktisch ver- mitteln, und besuchen Kurse in all- gemeiner Erziehungswissenschaft. Dafür sind unterschiedliche Fakul- täten zuständig. Gerade für man- chen Fachkollegen aber ist die Leh- rerbildung ein unbeliebtes Anhäng- sel. Die Folge: pf]ichtvorlesungen der Bereiche überschneiden sich gerne mal, die Studenten haben keine richtigen Ansprechpartner, und was sie im Praktikum oder im Praxissemester erleben, wird zu wenig reflektiert. All das sollen Schools ofEducati- on oder Zentren der Lehrerbildung ändern - auch die Politik macht hier mit der Qualitätsoffensive Lehrer- bildung und bis zu 500 Millionen Euro Fördergeldern Druck. „Das i st ein politisches Signal, dass die Leh- rerbildung ernst genommen wird", sagt Ekkebard Winter, Geschäfts- führer der Deutschen Telekom Stif- tung, die mit weiteren Partnern die Plattform „Monitor Lehrerbildung" aufgesetzt hat. Ohne den SChubser der Politik hätte wohl auch die TU Berlin im Oktober dieses Jahres nicht verkündet, dass sie eine School of Education grün- det, die die bisherigen Initiativen zur Lehrerbildung bündelt. Manchem Kollegen sei zuvor gar nicht so be- wusst gewesen, dass die Universität Lehrer ausbilde, sagt Ulf Schrader, Professor für Berufliche Bildung und Arbeitslehre an der TU Berlin. Der Haken: Die School werde erst einmal nur wenige eigene Mitarbeiter ha- ben. „Wir brauchen daher unser starkes, aktives Präsidium", sagt Schrader. Dass eine der Vizepräsi- dentinnen die Lehrerbildung im Ti- tel führe, bringe Aufmerksamkeit. Ähnlich ist auch die Situation an anderen Hochschulen. „Es hat sich einigesverbessert, aberdie Lehrer- bildung hat nach wie vor einen schweren Stand", resümiert Stif- tungs-Geschäftsführer Winter. Ge- rade den Zentren stellt er ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus: „Sie sind weitgehend Ritter ohne Schwert, haben oft keine Mittel, kei- nen Fakultätsstatus, keine Macht." Das Urteil gründet er nicht auf ein Bauchgefühl, sondern eine Studie seiner Stiftung, in der der Münste- raner Bildungsforscher Wolfgang Böttcher zehn solcher Schools und Zentren analysiert hat. Das Fazit: Sie unterstützen und beraten, aber sie steuern die Leh- rerbildung nicht, da sie nicht eigen- mächtig entscheiden. Die Zusam- menarbeit mit den Fächern und Bil- dungswissenschaften nehmen die Verantwortlichen meisten zwar als gut wahr, aber es gebe überall noch immer „Fachbereiche, die sich nicht einbringen und den Stellen- wert der Lehrerbildung weiterhin gering schätzen". Es gebe an vielen Standorten aber sehr kluge Ansätze, sagt Win- ter, etwa sogenannte Lehr-Lern-La- bore für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Die Universität Bochum, an der etwa 2 000 Studenten mit dem Ziel Lehrer studieren, hat solch ein La- bor, in dem Schulklassen forschen können.Lehramtsstudentensollen hier Unterrichtserfahrungen sam- meln. Das will Katrin Sommer, kommissarische Dekanin der Pro- fessional School of Education aus- bauen. „Wir wollen den Theorie- Praxis-Transfer weiterentwickeln - unter noch stärkerer Nutzung des Alfried Krupp-Schülerlabors." Da- mit kein Lehrer mehr den Praxis- schock erlebt.

MITTWOCH. 16. DEZEMBER 2015. NR. 243 Mehr Bildung · PDF fileEiner der Vorreiter Ist die Technl· sche Universität München (TUM). Sie geht noch einen Schritt weiter: DieTUMverzahntTheorie

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Page 1: MITTWOCH. 16. DEZEMBER 2015. NR. 243 Mehr Bildung · PDF fileEiner der Vorreiter Ist die Technl· sche Universität München (TUM). Sie geht noch einen Schritt weiter: DieTUMverzahntTheorie

Handelsblatt 10 WIRTSCHAFT & BILDUNG MITTWOCH. 16. DEZEMBER 2015. NR. 243

Mehr Bildung für Pädagogen AlJf die Lehrer kommt es an! Das haben viele Universitäten erkannt - zumindest im Ansatz. ..,. Etwa 80 Zentren für Lehrerbildung gibt es heute.

..,. Sie haben aber oft wenig Macht und Einfluss.

Stefani Hergert Düsseldorf

P raxisschock ist so ein

Wort, das wohl jeder an­gehende Lehrer schon ge­hört hat - und vor dem sich so mancher fürchtet.

Nach mindestens fünf Jahren Studi­um sollen die Pädagogen etwas kön­nen, für das sie die Universitäten und Pädagogischen Hochschulen nicht wirklich ausbilden: 2012 sag­ten in einer Allensbach-Umfrage 62 Prozent der Junglehrer, dass sie zu wenig auf die Berufspraxis vorberei­tet wurden. Über alle Altersstufen hinweg verband jeder fünfte Päda­goge mit dem Berufseinstieg eben jenen Praxisschock.

Man könnte das als typisches Problem von Berufseinsteigern ab­tun, hinge von den Lehrern nicht so viel ab. Nicht zuletzt dem neusee­ländischen Bildungsforscher John Hattie ist es zu verdanken, dass nun wirklich allen klar ist: Es kommt in puncto Schülerleistungen vor allem auf sie an. Auch deshalb hat sich an den Hochschulen viel in Sachen Lehrerbildung getan: Etwa 80 Zen­tren oder Fakultäten (Schools of Education) gibt es im Land - doch ihre Möglichkeiten sind oft be­grenzt.

Einer der Vorreiter Ist die Technl· sche Universität München (TUM). Sie geht noch einen Schritt weiter: DieTUMverzahntTheorie und Pra­xis noch stärker und kombiniert ein Masterstudium für Lehrer an Be­rufsschulen mit dem Referendariat (siehe Artikel unten).

2009 hatte die Universität als Ers­te die Lehrerbildung in einer School of Education gebündelt. „Wir sind eine Fakultät. Das klingt so trivial, aber wir sind damit insti­tutionell eingebunden", sagt School-Dekanin Kristina Reiss. Und so habe man durchaus Einfluss auf andere Fakultäten. Das ist entschei-

Unterricht an einer Realschule: Jeder fünfte Lehrer hat nach dem Studium einen Praxisschock erlebt.

LEHRERMANGEL GROSSE LÜCKE Bedarf Die Bundesländer ha­ben große Mühe, angesichts von 300000 Flüchtlingskin­dern die Zahl der Lehrer auf­zustocken. Laut Deutschem Philologenverband werden nach derzeitigem Stand rund 7 500 neue Stellen geschaf­fen, 20000 werden laut Kul­tusministerkonferenz allein für die 2014 und 2015 angekom­menen Flüchtlingskinder be­nötigt. Laut Verband vermi­schen viele Länder zudem ohnehin geplante neue Stellen mit „Flüchtlingslehrern". dpa

dend, da die Lehrerausbildung an vielen Hochschulen lange ein Schat­tendasein fristete. Das ist zum Teil immer noch so.

Und das liegt am System: Ange­hende Lehrer etwa in Mathematik studieren ihr Fach, lernen zudem, wie sie Mathematik didaktisch ver­mitteln, und besuchen Kurse in all­gemeiner Erziehungswissenschaft. Dafür sind unterschiedliche Fakul­täten zuständig. Gerade für man­chen Fachkollegen aber ist die Leh­rerbildung ein unbeliebtes Anhäng­sel. Die Folge: pf]ichtvorlesungen der Bereiche überschneiden sich gerne mal, die Studenten haben keine richtigen Ansprechpartner, und was sie im Praktikum oder im Praxissemester erleben, wird zu wenig reflektiert.

All das sollen Schools ofEducati­on oder Zentren der Lehrerbildung ändern - auch die Politik macht hier mit der Qualitätsoffensive Lehrer­bildung und bis zu 500 Millionen Euro Fördergeldern Druck. „Das ist ein politisches Signal, dass die Leh­rerbildung ernst genommen wird", sagt Ekkebard Winter, Geschäfts­führer der Deutschen Telekom Stif­tung, die mit weiteren Partnern die Plattform „Monitor Lehrerbildung" aufgesetzt hat.

Ohne den SChubser der Politik hätte wohl auch die TU Berlin im Oktober dieses Jahres nicht verkündet, dass sie eine School of Education grün­det, die die bisherigen Initiativen zur Lehrerbildung bündelt. Manchem Kollegen sei zuvor gar nicht so be-

wusst gewesen, dass die Universität Lehrer ausbilde, sagt Ulf Schrader, Professor für Berufliche Bildung und Arbeitslehre an der TU Berlin. Der Haken: Die School werde erst einmal nur wenige eigene Mitarbeiter ha­ben. „Wir brauchen daher unser starkes, aktives Präsidium", sagt Schrader. Dass eine der Vizepräsi­dentinnen die Lehrerbildung im Ti­tel führe, bringe Aufmerksamkeit.

Ähnlich ist auch die Situation an anderen Hochschulen. „Es hat sich einigesverbessert, aberdie Lehrer­bildung hat nach wie vor einen schweren Stand", resümiert Stif­tungs-Geschäftsführer Winter. Ge­rade den Zentren stellt er ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus: „Sie sind weitgehend Ritter ohne Schwert, haben oft keine Mittel, kei­nen Fakultätsstatus, keine Macht." Das Urteil gründet er nicht auf ein Bauchgefühl, sondern eine Studie seiner Stiftung, in der der Münste­raner Bildungsforscher Wolfgang Böttcher zehn solcher Schools und Zentren analysiert hat.

Das Fazit: Sie unterstützen und beraten, aber sie steuern die Leh­rerbildung nicht, da sie nicht eigen­mächtig entscheiden. Die Zusam­menarbeit mit den Fächern und Bil­dungswissenschaften nehmen die Verantwortlichen meisten zwar als gut wahr, aber es gebe überall noch immer „Fachbereiche, die sich nicht einbringen und den Stellen­wert der Lehrerbildung weiterhin gering schätzen".

Es gebe an vielen Standorten aber sehr kluge Ansätze, sagt Win­ter, etwa sogenannte Lehr-Lern-La­bore für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.

Die Universität Bochum, an der etwa 2 000 Studenten mit dem Ziel Lehrer studieren, hat solch ein La­bor, in dem Schulklassen forschen können.Lehramtsstudenten sollen hier Unterrichtserfahrungen sam­meln. Das will Katrin Sommer, kommissarische Dekanin der Pro­fessional School of Education aus­bauen. „Wir wollen den Theorie­Praxis-Transfer weiterentwickeln -unter noch stärkerer Nutzung des Alfried Krupp-Schülerlabors." Da­mit kein Lehrer mehr den Praxis­schock erlebt.

Ulf
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Ulf
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