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Click mit Kick Cloudworking boomt Massenleaks Man findet, was man sucht Medienpolitisches ver.di-Magazin. Juni 2016. Nr. 2 mmm.verdi.de E 2814 Jahrgang 65 MENSCHEN MACHEN MEDIEN Im Streaming-Zeitalter Wie verändern digitale Plattformen die Medien?

mmm.verdi.de MENSCHEN Jahrgang 65 MACHEN Click mit ......Annette Hess zu den renommiertesten Drehbuchautor_innen Deutschlands. Die dritte Staffel, die für die 49-jährige auch die

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Page 1: mmm.verdi.de MENSCHEN Jahrgang 65 MACHEN Click mit ......Annette Hess zu den renommiertesten Drehbuchautor_innen Deutschlands. Die dritte Staffel, die für die 49-jährige auch die

Click mit KickCloudworking boomt

Massenleaks Man findet, was man suchtMedienpolitisches ver.di-Magazin. Juni 2016. Nr. 2

mmm.verdi.deE 2814

Jahrgang 65

MENSCHENMACHEN MEDIEN

Im Streaming-ZeitalterWie verändern digitale Plattformen die Medien?

Page 2: mmm.verdi.de MENSCHEN Jahrgang 65 MACHEN Click mit ......Annette Hess zu den renommiertesten Drehbuchautor_innen Deutschlands. Die dritte Staffel, die für die 49-jährige auch die

6 IM STREAMING-ZEITALTER Von Günter Herkel

9 MEHR FUNKTIONALE ANGEBOTE Gespräch mit ManfredKrupp, Intendant des Hessischen Rundfunks

11 DAS START-UPFaktencheck: Was bisherüber das junge Angebot vonARD und ZDF bekannt ist

12 ZEIT DER EXPERIMENTE Live-Videostreaming, Chatbots, Sensoren –Pfeiler eines modernenJournalismus?

14 GRENZEN FÜR DAS AUDIOVISUELLE NETZ

Europa will auf der digitalen Bühne ganz vornmitspielen

16 REDAKTEURIN FÜR SOCIAL-MEDIA

Ein neues Berufsbild mit interessanten Herausforderungen

onlinE

immer aktuell informiert >> mmm.verdi.de

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PORTRÄT

4 BERUF Drehbuchautorin Annette HessSchreibkrisen? Klar habich die!

MEINUNG

5 GEFÄHRTEN: SATIRE UNDJOURNALISMUS

RECHT

17 VERTEILUNGSPLAN HINFÄLLIG

Entscheidung der VG Wortim September: Wie geht es weiter?

MEDIENWIRTSCHAFT

18 CLICK MIT KICK Cloudworking boomt: Neue Arbeitsteilung oder Ausbeutung mit Spaßfaktor?

BERUF

21 STARKER EINSATZ FÜR„MARTINI” KÜSTEREin Preis von Schauspiel-verband und ver.di

21 SCHON ENTDECKT? OXI UND OXIBLOG.DE

22 MAN FINDET, WAS MAN SUCHT Panama Papers: Hoher Anspruch der Öffentlichkeit an die Auswertung

24 NICHTS IST WIRKLICHPLANBARMareice Kaiser, Journalistin und Mutterzweier Kinder, eins ist schwerbehindert

28 BILDER ALS DOKUMENTDER REALITÄT –

WAS MUTEN WIR DEM BETRACHTER ZU?

Podiumsdiskussion beimLumix-Festival

28 SYNCHRON -SCHAUSPIELER SIND NICHT SELBSTSTÄNDIGBundessozialgericht zeigt den Weg für mehrRechtssicherheit auf

INTERNATIONALES

26 FASZINIERT UND ANGEWIDERTTrump und die Medien –ein symbiotisches, aberkein gleichberechtigtesVerhältnis

TARIFE UND HONORARE

29 ARBEITGEBER IN BLOCKADEHALTUNG

Tarifrunden Druckindustrie,Verlage und Redaktionen

30 REDAKTIONS -GESELLSCHAFT Erste Tarif-Regelung ihrer Art

30 ZEIT-ONLINEErfolgreiches Engagement

30 FRANKFURTER RUNDSCHAUÜbernommen, aberschlechter bezahlt

30 ZEITSCHRIFTENVERLAGEMehr Geld für Beschäftigtein Bayern

30 REUTERS Tarifabschluss erzielt

30 BERGEDORFER ZEITUNGSozialplan vereinbart

30 PRIVATER RUNDFUNK Dritte Tarifrunde ergebnislos vertagt

VER.DI UNTERWEGS

31 STOLZE TRADITIONSLINIE 150 Jahre: Ausstellung„Vom Deutschen Buch -druckerverband zur Einheitsgewerkschaft”

31 IMPRESSUM

Titelbild [M]: fotolia/ izabelita

Inhalt

IM FOKUS STREAMING-ZEITALTER

2 M 2.2016

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2.2016 M 3

Digitaler Bauchladen –Chance und HerausforderungFernsehen ist nach wie vor das beliebteste Medium in Deutschland. Das belegen sämtliche Studienund Umfragen jüngster Zeit. So attestiert die SevenOne Media-Studie des ProSiebenSat.1-Vermarktersdem Fernsehen mit 80 Prozent die größte tägliche Reichweite der Medien. Es folgen Radio (65 Pro-zent) und Internet (63 Prozent). Aber die Faszination der Bewegtbilder zeigt sich heute in unter-schiedlichen Formen. Vor allem die jüngere Generation entzieht sich mehr und mehr dem linearenFernsehen, ist eigener Programmgestalter. Die Kurve für die Nutzung von Streeming-Diensten undMediatheken steigt unaufhaltsam, wenn sie auch hierzulande nicht so steil abgeht, wie mitunterbehauptet wird – gern in einem Atemzug mit der Feststellung: das herkömmliche Fernsehen, unddie Zeitung gleich mit, seien tot.

Fakt jedoch ist, überall, auf allen Geräten, zu jeder Zeit sowohl Filme als auch andere audiovisuelle Ange-bote zu empfangen, gehört besonders bei den bis Anfang 30-Jährigen zum täglichen Medien-Konsum. Interessant dabei, dass auch die Zahlungsbereitschaft dieser Generation für Video-on-Demand durchausvorhanden ist. „Im Streaming-Zeitalter” angekommen – so der Themenschwerpunkt dieser aktuellen M-Ausgabe – sind folgerichtig auch der öffentlich-rechtliche und der private Rundfunk mit neuen Ange-boten – speziell auch für junge Leute – und der zunehmenden Einbeziehung digitaler Plattformen. Eineimmense Herausforderung für die Inhalte-Anbieter und für die konkrete journalistische Arbeit: Ist es sinn-voll und undifferenziert überhaupt zu bewältigen, den gesamten digitalen Bauchladen zu bedienen? Indiesem Zusammenhang stellt M auch die Frage, ob Live-Videostreamings, Chatbot, Sensoren … schonJournalismus sind „oder ab welchem Veredlungsgrad dies Journalismus wird?” Auch der europäische Blickfehlt nicht. Denn Europa will auf der digitalen Bühne ganz vorn mitspielen und ist deshalb dabei, „EU-weit gleiche Bedingungen für Unternehmen im digitalen Raum zu schaffen und dort regulierend einzu-greifen, wo Wettbewerb behindert wird”.

Die Veränderungen in der Medienbranche fordern ihren Tribut von den Beschäftigten. Dem muss auchdie Tarifentwicklung Rechnung tragen. Bei den laufenden Verhandlungen in der Druckindustrie, den Verlagen und Redaktionen legen die Arbeitgeber jedoch eine ausgeprägte Blockadehaltung an den Tag. M hat den derzeitigen Stand der Tarifrunden kurz zusammengefasst. Noch aktueller werden M-Leser_innenmit den Nachrichten auf M Online informiert sein. Wer immer auf dem Laufenden sein will, sollte hierklicken: https://mmm.verdi.de

Eine Bilanz zum Internationalen Tagder Pressefreiheit am 3. Mai zeigte:Der aktuelle Trend weist global eine

Verschlechterung der weltweitenLage auf. Deutschland rutschte im

Ranking von Reporter ohne Grenzenum vier Plätze ab. Aber es gibt auch

positive Entwicklungen.M Online: https://mmm.verdi.de

Editorial

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pätestens seit sie dasDrehbuch zu den erstendrei Staffeln der ARD-Er-folgsserie „Weissensee”geschrieben hat, gehört

Annette Hess zu den renommiertestenDrehbuchautor_innen Deutschlands. Diedritte Staffel, die für die 49-jährige auchdie letzte war, wurde in diesem Jahr sogarmit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.Und das, obwohl die gebürtige Hannove-ranerin die Geschichte, die sie schreibt,,nur’ von der anderen Seite der Mauer auserlebt hat. Eine Geschichte, der sie sich,um sie erzählen zu können, mit allen Sin-nen annähern musste – über die typi-schen Gerüche, das Essen oder die Musik.

So wie sie es immer tut, wenn sie histori-sche Stoffe umsetzt. Ob „Die Frau vomCheckpoint Charlie”, „Die Holzbaronin”oder zuletzt „Ku’damm 56”. Am meistenfaszinierten sie die Geschichten aus derGeschichte, erzählt sie auf dem diesjähri-gen Sehsüchte Filmfestival in Potsdam ineinem Podiumsgespräch. Aktuell arbeitetsie an einem Drehbuch, das zwischen1820 und 1831 spielt. Diese Zeit des Bie-dermeier bekommt sie noch schwer zugreifen. Einen Zugang zu ihr findet sie er-neut über ein sinnliches Detail aus demhistorischen Kontext: So hatte der Aus-bruch des Vulkans Tambora im Jahre1815 auch Jahrzehnte danach noch zuVeränderungen in der Farbgebung des Ta-geslichts geführt. Diese wunderschönenSonnenuntergänge verewigte WilliamTurner in seinen Gemälden. Anlass für

Annette Hess, sie ihrer Protagonistin, derGiftmörderin, als Kulisse zu geben.

Doch auch Annette Hess hat mal kleinangefangen. Und selbst heute schreibt sie nicht nur ‚große’ Sachen. Schließlichkönne kein Mensch davon leben, nur fürsKino zu schreiben, stellt sie nüchtern fest.Noch während sie bereits als Autorin für„Weissensee” arbeitet, füllen Bücher fürdie ARD-Serie „Tierärztin Dr. Mertens” ih-re Haushaltskasse auf. Dem Autor_innen-nachwuchs empfiehlt sie, sich für nichtszu schade zu sein, nicht einmal vor RTL-Reality-Formaten wie „Verdachtsfälle” zu-rückzuschrecken – wenn auch das Schrei-ben unter anderem Namen in diesem Fallangebracht sei, fügt sie durchaus ernstge-meint hinzu.

Sie selbst hat ihren Werdegang als Dreh-buchautorin der Entdeckung von RomanPolanskis Autobiographie zu verdanken,einer lustvollen Beschreibung des Lebensmit dem Film. Sie habe in ihr den Wunschgeweckt, Drehbuchautorin zu werden.Nach mehrmaligen Versuchen, einen Stu-dienplatz an der HFF Potsdam zu bekom-men, die unter anderem daran scheiter-ten, dass ihr Fürsprecher, der damaligeStudienleiter Regie, offenbar eine Stasi-Vergangenheit hatte, besorgt ihr die Film-hochschule schließlich, „aus schlechtemGewissen” wie Hess mit einem Lachensagt, ein Praktikum beim FernsehsenderSFB, einem Vorgänger des heutigen RBB.Nachdem dann doch noch ein Studiumin „Szenisches Schreiben” an der HdK

(seit 2001 UdK) Berlin gefolgt war, stelltesie jedoch fest, dass ihr das Erzählen überdie reine Sprache einfach zu wenig war.Sie will Bilder entstehen lassen, verwirftdeshalb die Idee mit dem Theater undgeht zurück zum SFB, wo sie zunächstSketche schreibt, bevor sie sich dann ganzdem Drehbuchschreiben widmet. Ob siedenn auch mal Schreibkrisen habe?„Mal?” Schreibkrisen habe sie in einerTour, gibt sie unumwunden zu. Die über-brückt sie dann aber einfach, indem siedie Titel für die einzelnen Szenen desDrehbuchs schreibt. Eine gute Gliederungist schließlich schon die halbe Miete.

Wer die besten Filme von Annette Hessgesehen hat, der weiß, dass ihre besonde-re Stärke darin liegt, vielschichtige und lebendige Figuren sowie komplexe, multi -thematische Plots zu konzipieren. Die Viel-schichtig- und Wandelbarkeit der Figurenversteht sie dabei als den Kitt, der die Ge-schichte zusammenhält und der trotz derVielfalt an unterschiedlichen Motivenund Erzählsträngen einen homogenenErzählfluss ermöglicht, ohne dass dabeider didaktisch-dokumentarische Zeigefin-ger zum Vorschein kommt. Das positiveFeedback auf Hess’ Arbeit scheint ihre Herangehensweise zu bestätigen. NachAusstrahlung der „Weissensee”-Folgenhat sie sehr viele Zuschriften bekommen,die Bestätigung und Zustimmung aus-drückten. Viele ehemalige DDR-Bürger er-kannten in der einen oder anderen Figursich selbst oder Verwandte und Bekanntewieder. Monique Hofmann <<

Schreibkrisen?Klar hab ich die!

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BerufDrehbuchautorin:Annette Hess

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s ist kurios: Während seit Jahren über die Kri-se des Journalismus diskutiert wird, lockt dieSatiresendung heute show regelmäßig 3–4Millionen Zuschauer_innen mit politischenInhalten vor die Bildschirme – eine Quote

von der klassische Politmagazine nur träumen kön-nen. Noch extremer ist die Lage in den USA. Dort dienen Satireformate gerade jungen Bürger_innen alswesentliche Informationsquelle zu politischen The-men. Ist Satire also der bessere Journalismus? Die Ant-wort lautet natürlich: nein!

Gewiss zielen Satiriker_innen mit ihren scherzhaftenWerken auf die Entlarvung gesellschaftlicher Schief-lagen. Dabei können sie aber keine dermaßen inten-sive Recherche betreiben wie investigative Redak -tionen. So wurde Verkehrsminister Dobrindt zwarmonatelang von satirischer Seite für seine Schonungder Autoindustrie kritisiert, echte Bewegung brachtejedoch erst die akribische Arbeit von Monitor und Spiegel rund um den „Opel-Skandal”. Allerdings ent-fachen nicht alle journalistischen Enthüllungen einesolche öffentliche Schlagkraft. An dieser Stelle kannSatire helfen. Der zentrale Vorteil liegt dabei in ihremspielerischen Wesen, bei dem sich Lachen und Infor-mation nicht ausschließen. Zum Beispiel nutzt die

heute show neben einfachen Pointen auch Bezügeauf bestehende journalistische Beiträge, die denernsten Kern ihrer Scherze untermauern. Da-durch erreicht sie nicht nur politisch interessier-te Bürger_innen, sondern auch solche, die pri-mär unterhalten werden wollen. Diese Zweit-verwertung von Journalismus kann dessenReichweite deutlich erhöhen – besonders über

das Fernsehen hinaus. Gerade über Online-Kanälewerden satirische Werke massenhaft geteilt und dis-kutiert. Zwar fällt die Balance zwischen Informationund Unterhaltung je nach Sendung sehr verschiedenaus, einige Produzent_innen nutzen aber bereits dieVorteile im Internet und ergänzen dort externe Quel-len, über die sich das Publikum genauer informierenkann. Neben der Reichweiten-Steigerung bestehenderBerichte kann Satire auch selbst Themen setzen. AlsMeister der Zuspitzung verstehen es Satiriker, denNerv der Menschen zu treffen. Dies können sie nut-zen, um Probleme in den medialen Fokus zu rücken,die zuvor eher vernachlässigt wurden. Das Lied „Er-dowie, Erdowo, Erdogan” von Extra3 und Böhmer-manns Magazin Royale entfachte folglich nicht nur ei-nen Social-Media-Hype, sondern auch eine Diskus -sion über die Presse- und Kunstfreiheit in der Türkeiund in Deutschland.

Durch das Hinterfragen der öffentlichen Berichter -stattung kann Satire auch die Medienlogik selbst zumObjekt der Kritik machen. Je stärker Themen vonjournalistischer Seite nicht angemessen besprochenoder diskutiert werden, desto mehr Fläche bietet diesfür satirische Angriffe. Das zeigt sich besonders deut-lich in den Vereinigten Staaaten. Dort wird der Satireauch deshalb ein hoher gesellschaftlicher Stellenwertzugesprochen, da sie sich der aufgeheizten Nachrich-tenlandschaft entgegenstellt. Der kritische Meta-Dis-kurs kann auch in Deutschland ein wichtiges Mittelsein, um Medienverdrossenheit zu begegnen. Satireist zwar kein Journalismus, kann im Idealfall aberdeutlich mehr sein als bloße Unterhaltung. Benedikt Porzelt <<

Gefährten: Satire und Journalismus

dr. Benedikt Porzeltforscht und lehrt als Medienwissenschaftlerseit mehreren Jahren zumSchwerpunkt Medien undPolitik. Sein besonderesInteresse gilt dabei derunterhaltsamen politi-schen Kommunikation.

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ie „Holzmedien” sind im digitalen Zeitalter eine aus-sterbende Gattung – Prognosen vom baldigen Endeder gedruckten Zeitung müssen angesichts rasantsinkender Auflagenzahlen wohl ernst genommenwerden. Auch dem linearen Fernsehen wird neuer-dings immer häufiger das Aus geweissagt – mit Verweis auf den rasant wachsenden Video-on-

Demand-Markt. Bis 2021, so prophezeit der Medien-ökonom Klaus Goldhammer von Goldmedia AnfangMai beim Medientreffpunkt Mitteldeutschland inLeipzig, werde dieser Markt jährlich um durchschnitt-lich 27 Prozent wachsen. Als entscheidende Vorteilegeben VoD-Liebhaber die Möglichkeit des zeitversetz-ten Sehens an. Ebenso sehr schätze diese Klientel dieAbwesenheit von nervtötender Werbung. Der größteTeil der gestiegenen Nachfrage werde sich auf bezahlteAbos bei den „großen Gorillas” der Branche konzen-trieren: auf Google, Amazon, Apple, Maxdome, Skyund auf Netflix. Und er zitierte Netflix-Gründer ReedHastings, der innerhalb der kommenden fünf bis zehnJahre analog zur Entwicklung in den USA auch inDeutschland ein Drittel aller Fernsehhaushalte – dasentspräche 13 Millionen – erobern will: „In zwanzigJahren werden die Kids fragen: Was soll das bedeuten,dass eine Sendung um acht anfängt?”

Ein äußerst ehrgeiziges Ziel, betrachtet man den Sta-tus quo. Derzeit nutzen nur 17 Prozent der deutschenTV-Haushalte Online-TV. Immerhin an die fünf Mil-lionen VoD-Abonnenten gibt es hierzulande, mit ei-ner klaren Schlagseite bei jüngeren Konsumenten. Da-raus bereits jetzt eine fehlende Perspektive für denherkömmlichen TV-Genuss zu diagnostizieren, er-scheint aber arg verfrüht. Die unlängst publiziertenErgebnisse der Untersuchung „Tendenzen im Zu-schauerverhalten” zeigen für 2015: Der Hype um Net-

IM fOKuS

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flix, Amazon Prime und Co. und ihre fantastischenSerien ist – gemessen am TV-Konsum von Otto Nor-malverbraucher – reichlich überzogen. Demnach er-reicht Amazon als hiesiger VoD-Marktführer gerademal vier Prozent der Bevölkerung, gefolgt von Netflixund Maxdome mit jeweils zwei Prozent. MarginaleWerte, die allerdings für die Zukunft viel Luft nachoben lassen.

Einstweilen gilt: Die Fernsehnutzung in Deutschlandwird nach wie vor eindeutig vom klassischen linearenFernsehen dominiert. Die durchschnittliche täglicheSehdauer der Gesamtbevölkerung stieg 2015 sogarleicht auf 223 Minuten an. Allerdings verliert der lineare TV-Konsum beim jüngeren Publikum an At-traktivität. Nach den Zahlen der Arbeitsgemeinschaftfür Fernsehforschung AFG/GfK sank im Zeitraum2009–2013 die entsprechende TV-Nettoreichweite beiden 14–49jährigen um 3,5 Prozent auf 61,6 Prozent.Ein nicht sonderlich dramatisch klingender Wert. Dienicht-lineare Nutzung über VoD oder Streaming-Por-tale entwickelte sich aber nicht so stark wie das immerbreitere Angebot.

Laut Digitalisierungsbericht 2015 erhöht sich die Zahlder Menschen, die regelmäßig professionelle Video-angebote auf Abruf nutzen, zwar kontinuierlich. Be-zahlte Abos spielen indes noch eine untergeordneteRolle. Die meisten dieser Nutzer_innen wählen kos-tenlose Videoportale wie YouTube, Vimeo oder denMicrosoft Online-Dienst MSN Movies, dicht gefolgtvon den Mediatheken der Fernsehsender. Dabei liegendie Mediatheken der öffentlich-rechtlichen TV-Anstal-ten vor denen der privaten TV-Konkurrenz. GenaueDaten dazu werden erst im Laufe dieses Jahres erst-mals vorliegen, wenn diese Angebote in die AGF/GfK-

das Zusammenwachsen des Fernsehens mit digitalen angeboten spiegelt sichvor allem in der zunehmenden nutzung von Streaming-Plattformen und Sender-Mediatheken. auch in deutschland verändert der Markteintritt großer Video-on-demand-anbieter wie netflix den Medienalltag – zugleich eine Chance, jungeZielgruppen mit neuartigen informationsformaten zu erreichen.

derzeit nutzennur 17 Prozent derdeutschen tV-Haus-halte online-tV. immerhin an diefünf Millionen Vod-abonnenten gibt eshierzulande.  

Im Streaming-ZeitalterVon Günter Herkel

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Forschung integriert werden. Im Vordergrund stehtdabei das zeitversetzte Anschauen von Lieblingsserienund -programmen. Aber auch hier ist das Verhältnisvon linear zu digital in der Regel eindeutig: Der erfolg-reichste Münsteraner „Tatort” erreichte im vergange-nen Jahr bei seiner Erstausstrahlung (plus Wiederho-lung) stattliche 15 Millionen Zuschauer. Dazu kamen552.000 On-Demand-Abrufe in der Mediathek. Beach-tenswert waren erste Versuche, erfolgreiche Serien wie„Weissensee” oder „The Team” schon vor der TV-Aus-strahlung in die Mediatheken zu stellen. Auch Serienwie der Eifel-Krimi „Mord mit Aussicht” oder Nach-mittagssoaps wie „Rote Rosen” und „Sturm der Liebe”erzielen regelmäßig hohe Abrufraten. Dabei ist derKonsum von illegal bei YouTube eingestellten Versio-nen noch gar nicht mitgerechnet.

Unzählige Special-interest-angebote

Klar ist: Die Mediennutzung dürfte sich in den nächs-ten Jahren weiter ausdifferenzieren. Der einstige reinbrancheninterne Wettbewerb zwischen frei empfang-baren TV-Sendern verwandelt sich mehr und mehr ineinen kaum noch überschaubaren Bewegtbildmarktmit einer Vielzahl neuer Player und Angebotstypen.Die Fragmentierung des klassischen Fernsehensnimmt zu: 2015 fiel der Marktanteil der „großenSechs” – das Erste, ZDF, ARD-Dritte, RTL, Sat.1 undProSieben – beim Gesamtpublikum erstmals unter dieMarke von 60 Prozent. Verschärfte Konkurrenz er-wächst aus einer Vielzahl von Special-Interest-Ange-boten; selbst die Popularität des lange Zeit stagnieren-den Pay-TV nimmt neuerdings zu. Zusätzlich ange-heizt wird der Wettbewerb durch große internationalePlayer wie YouTube, Facebook, Apple, Amazon undNetflix. Auf diese Entwicklung reagieren die etablier-ten TV-Sender, indem sie versuchen, auf dem neu ent-standenen Marktsegment des non-linearen Fernse-hens selbst mitzumischen. Zunächst in Form von Me-

diatheken, eigenen Videoportalen und Streaming-diensten von den Privatsendern.

In diesem Zusammenhang wird auch klar, wie über-fällig vor zwei Jahren die Transformation der früherenRundfunkgebühr in den Rundfunkbeitrag war. „Eskommt eben nicht mehr darauf an, ob jemand ein TV-Gerät oder ein Radio hat, unsere Inhalte müssen aufallen Verbreitungswegen zum Nutzer kommen”, sagtManfred Krupp, Intendant des Hessischen Rundfunks(HR), zugleich Vorsitzender der ARD-Verwertungs-kommission (s. Interview S. 9/10). Die Expansion desOnline-Marktes lasse allerdings derzeit den noch vorwenigen Jahren dominanten physischen Markt inForm von DVDs und Blu-rays schrumpfen. Wennman den „Tatort” überall auf YouTube finden könne,sei selbst ein solches Premium-Produkt nur nochschwer zu vermarkten. YouTube sei längst der am häu-figsten genutzte Kanal für die On-Demand-Produkteder ARD. 70 Prozent des Bewegtbildangebots zum Bei-spiel des HR werde inzwischen über YouTube abgeru-fen, konstatiert Krupp, ein großer Teil davon zu sei-nem Kummer illegal. Dieser grassierenden Videopira-terie versucht die ARD neuerdings durch ID-Kennun-gen und Sperrungsauflagen beizukommen.

Das Bestreben der öffentlich-rechtlichen Anstalten,auf allen Kanälen präsent zu sein, erschöpft sich nichtim Bereich Unterhaltung. Zur Erfüllung ihres Infor-mationsauftrags haben diverse Sender in jüngster Zeitdigitale Projekte gestartet, mit denen spezielle netzaf-fine User_innen erreicht werden sollen. So erweitertzum Beispiel der Rundfunk Berlin-Brandenburg seitEnde April sein bestehendes regionales Online-Infor-mationsangebot um die App rbb24. NDR Info initiier-te Anfang April mit „WhatsInfo” ein neues wöchent-liches Videoformat, in dem herausragende News poin-tiert fürs Smartphone aufbereitet werden: in Form eines Chat-Dialogs, garniert mit Fotos oder Video-

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sind 53 bzw. 58 Prozent der Nutzer_innen von Video-portalen und Streamingdiensten zwischen 14 und 29Jahre alt. Der Anteil der ab 50jährigen beläuft sichdemgegenüber nur auf 15 bzw. 10 Prozent. Die TV-An-bieter machen sich diese Erkenntnisse zunutze, indemsie jüngere Zielgruppen über ihre Mediatheken oderüber eine verstärkte Präsenz auf Videoportalen anzu-sprechen versuchen. „Die ARD hat mehr als 100 eige-ne Channels auf YouTube”, schätzt Manfred Krupp.Interessanterweise hat diese vielseitige Verfügbarkeitder Inhalte bislang nicht zu einer senderintern zu-nächst befürchteten „Kannibalisierung” geführt. Es istnicht erkennbar, dass sich die Nutzer in relevantemUmfang vom klassischen Fernsehen abwenden. Eben-so wenig leidet offenbar die Beliebtheit des einzelnenProdukts darunter. Das belegen laut „Media Perspek-tiven” zumindest Fallstudien von Nielsen aus den

USA, bei denen die Veröffentlichung einer TV-Sen-dung auf Netflix oder Amazon Instant Video dem„Quotenverlauf” dieses Programms im linearen Fern-sehen gegenübergestellt wurde. Hierzulande gibt esdazu noch keine validen Daten. Netflix hat bislangseine Abonnentenzahlen in Deutschland noch nichtveröffentlicht. Auch über konkrete Abrufzahlen füreinzelne Inhalte schweigt sich der US-Senkrechtstartereinstweilen aus.

Binge Watching auch hierzulande

Eine signifikante Veränderung des Sehverhaltens ha-ben Netflix und Co. immerhin auch beim deutschenPublikum schon bewirkt. Allmählich hält das auf demUS-Markt längst bekannte Phänomen des „Binge Watching” auch hierzulande Einzug. Gemeint ist dieChance, ganze Staffeln der persönlichen Lieblings -serie am Stück zu sehen, ohne auf die nächste Folgewarten zu müssen. Die fünfte Staffel von „House ofCards” dürfte von den Fans der Serie schon mit einigerSpannung erwartet werden. Möglicherweise mit mehrUngeduld als die US-Präsidentschaftswahlen. <<

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schnipseln. Und ein Jahr nach dem Start von „heu-te+” feierte im Mai das ZDF die nach eigener Einschät-zung gelungene crossmediale Vernetzung seines jun-gen Nachrichtenformats. Unnötig zu erwähnen, dassalle erwähnten Angebote auf Facebook und Twitterpräsent sind.

Private bauen digitalgeschäft aus

Auch die privaten TV-Konzerne bauen ihr digitalesAngebot aus, teils im eigenen Haus, teils durch Zukäu-fe. So vermarktet ProSiebenSat.1 über seine vor dreiJahren gegründete Firma Studio 71 international be-kannte YouTube-Stars wie Gronkh und Le Floid. Zu-letzt übernahm man die Mehrheit am Multichannel-Netzwerk Collective Digital Studio (CDS). Beide sindspezialisiert auf die Produktion von Inhalten für eineeher jugendliche Zielgruppe. Selbst die RTL-Group,lange vergleichsweise zögerlich im Aufbau des Digi-talgeschäfts, machte in den vergangenen Jahren mitmehreren großen Zukäufen von sich reden, darunterFirmen wie MCN Broadband TV, Divimove und Stylehaul. Erst vor einem Jahre bündelte die Gruppeihre Digitalaktivitäten im RTL Digital Hub, um ihrePosition bei Online-Video weiter auszubauen. RTL 2startete mit RTL II You eine neue Plattform, die Jugendliche mit einem gestreamten Programm an-sprechen soll.

Eine verwirrende Vielfalt, die allerdings teilweise ausder Not geboren wurde. Aus Sicht der Sender wäre eigentlich der Zusammenschluss zu größeren Verbün-den auf nationaler Ebene nötig, um dem aggressivenMarktansturm der internationalen Konkurrenz Parolizu bieten. Doch die gemeinsam von RTL und ProSie-ben.Sat.1 im Jahr 2011 geplante Plattform „Amazo-nas” scheiterte an den Bedenken des Bundeskartell-amtes. Begründung: Die Plattform hätte die beherr-schende Stellung von RTL und ProSiebenSat.1 auf demdeutschen Fernsehwerbemarkt verstärken können. Ebenso erging es der ARD bei ihrem Versuch, gemein-sam mit dem ZDF und einem Dutzend anderer Koope-rationspartner unter dem Namen „Germany’s Gold”eine eigene Plattform für VoD auf die Beine zu stellen.Auch dieses Projekt wurde 2013 von den Kartellwäch-tern untersagt, weil diese die geplante gemeinsameVermarktung und damit verbundene Preisabsprachender beiden Anstalten als problematisch einstuften. Dieöffentlich-rechtlichen Sender behelfen sich seither da-mit, ihre Angebote über einige private VoD-Anbieterund Livestream-Dienste zu verbreiten. So werden Pro-gramme von ARD und ZDF beispielsweise auf der On-lineplattform Zattoo angeboten. Ähnlich wie beim li-nearen TV können hier Filme und Live-Übertragun-gen in Echtzeit gestreamt werden.

Wie schon angedeutet, findet eine Verdrängung desklassischen Fernsehens einstweilen noch nicht statt.Es ist aber unübersehbar, dass die neuen Player ein we-sentlich jüngeres Publikum anziehen als die etablier-ten Sender-Schiffe. Laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2015

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| Zwar wird das Totenglöckchen für das lineareFernsehen noch nicht geläutet. Aber auch bei denÖffentlich-Rechtlichen stellt man fest, dass im-mer mehr Zuschauer zu nicht-linearen TV-Kon-sumformen abwandern. Wie reagiert die ARD-Verwertungskommission, deren Vorsitzender Siesind, auf diesen Trend?

Manfred Krupp | Das lineare Fernsehen wird nochüber viele Jahre dominant sein. Im Augenblick ist esnoch so, dass bedeutend mehr linear gesehen als non-linear abgerufen wird. Unsere vordringlichste Aufgabeist, das beitragsfinanzierte Programm unseren Nut-zern kostenfrei zugänglich zu machen. Das heißt, ers-te Priorität hat der Ausbau unserer Mediatheken. Wirwollen sie funktionsfähiger machen, einfacher steu-erbar und sie möglicherweise nach Genres sortieren.Dann erst kommt der Verwertungsbereich. Dort wol-len wir dafür sorgen, dass wir Zielgruppen, die wirüber die normale Verbreitung nicht mehr erreichen,möglicherweise über ein Verwertungsmodell errei-chen können. Denn wer sich freiwillig entscheidet,auf eine Verwertungsplattform zu gehen, der soll auchdort unsere Inhalte finden.

Bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten wird einGenerationenabriss beklagt. Vor allem die jungeGeneration ist fahnenflüchtig. Mit welcher Stra-tegie wollen Sie diese Generation erreichen?Zum einen werden wir demnächst ein junges Angebothaben nur im Netz, mit dem wir ganz gezielt auf diesehr junge Zielgruppe gehen. Zum anderen haben wirin der Entwicklung bestimmter Produktionen gelernt,dass wir mit unseren klassischen Produkten, vor allemmit unseren starken Marken und jüngeren Erzählfor-men junge Menschen durchaus erreichen können.Nach den positiven Erfahrungen mit der „Tages-schau”-App haben wir daher jetzt auch eine kosten-lose „Tatort”-App auf den Markt gebracht. Wir wissen,dass einige Zielgruppen verstärkt das Mobilgerät nut-zen. Deswegen müssen wir mehr Angebote für Mobil-geräte entwickeln.

Was haben Dienste wie Netflix oder Maxdomeden öffentlich-rechtlichen Mediatheken voraus?Bei den Angeboten wenig. Unser Angebot ist viel brei-ter und um einiges vielfältiger. Was sie uns voraus haben, ist eine einfache Funktionalität und insbeson-dere Empfehlungsmechanismen. Wer sich für einThema interessiert, kriegt dort gleich ein weiteres aufseine Bedürfnisse zugeschnittenes Angebot und wirddort auch zu anderen Angeboten übergeleitet. Wirsind in der Steuerung teilweise zu umständlich. Wirbieten zu wenig Vorsortierung etwa nach Genres.Zum Beispiel: Wer sich für Krimis interessiert, kann

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Mehr funktionale Angebote Gespräch mit Manfred krupp, intendant des Hessischen rundfunks und Vorsitzender der ard-Verwertungskommission

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gleich auf einen Blick alle Krimi-Angebote sehen. Wersich für Dokumentation, einen Teil unseres absolutenMarkenkerns, interessiert, kann die Dokumentatio-nen sehen. Und wenn ich eine Dokumentation zu ei-nem Thema habe, kriege ich gleich die Empfehlungfür die nächste. Da können wir von den kommerziel-len Anbietern noch einiges lernen.

Wo wollen Sie bei der Neuordnung der Mediathe-ken am ehesten ansetzen? Es gibt ja auch nochmedienrechtliche Einschränkungen...Wir haben eine bestimmte Verweildauer, die wir abernicht in allen Genres ausschöpfen. Deswegen wollenwir in einem ersten Schritt zunächst die Verweildauer,die uns gesetzlich zugestanden wird, ausschöpfen.Wir sind gerade dabei, die unterschiedlichen Verweil-dauerregelungen zwischen der Mediathek „Das Erste”und der ARD-Mediathek anzugleichen. Dazu findetgerade ein Drei-Stufen-Test beim Bayerischen Rund-funk statt. Das heißt, wir wollen unsere Inhalte längerkostenfrei verfügbar machen. Wir wissen aber auch,dass die Nutzung, je länger ein Produkt in der Media-thek ist, umso mehr absinkt. Deswegen ist es dannsinnvoll, in einen anderen Verwertungsweg zu gehen.Aber die Nutzer sollen erkennen, dass es ein Produktvon uns ist. Deswegen müssen wir drauf achten, dassimmer auch klar ist: Wer ist der Absender.

Die populärste Marke der ARD ist der „Tatort”,der non-linear am häufigsten abgerufen wird.Aber zu Ihrem Kummer nicht nur auf legalemWege. Wie gehen Sie mit der Videopiraterie um?Wir haben gerade bei YouTube Hunderte von Fassun-gen von „Tatorten”, die dort illegal eingestellt wordensind. Da hinterlegen wir – bei den „Tatorten” undauch bei den „Mittwochsfilmen”, bei wertvollen sze-nischen Produktionen – mit der Ausstrahlung schoneine Content-ID. Damit wird es möglich, bei YouTubedas illegale Herunterladen, das illegale Einstellen, dasurheberrechtlich problematische Verändern zu unter-binden. Da sind wir sehr gut aufgestellt und arbeitenauch sehr eng mit Google und YouTube zusammen.

Aufsehen erregt hat in der Branche die Koopera-tion mit Sky Deutschland. Was steckt dahinter?Wir haben gerade Neuland betreten mit „Babylon Ber-lin”. Das ist eine extrem anspruchsvolle und ambitio-nierte Produktion, die ein Produzent allein nicht hättestemmen können, weder ein öffentlich-rechtlicherSender noch ein Pay-TV-Sender. Da wir aber auchglauben, dass wir in Deutschland Innovation und an-dere Erzählformen brauchen, haben wir uns ent-schlossen, mit Sky und dem Produzenten zusammendiese Serie gleich in zwei Staffeln zu produzieren. Daskostet viel Geld, ist aber auch eine Investition. Siewird erst im Pay-TV bei Sky zu sehen sein, dann beiuns in der ARD, im Ersten. Wir sind sehr gespannt,wie das Experiment funktioniert.

Sie nutzen auch kommerzielle Plattformen, umein anderes, jüngeres Publikum zu erreichen:

zum Beispiel Entertain TV der Deutschen Tele-kom. Unter welchen Kriterien machen sie das?Es ist uns immer wichtig, dass unser frei empfangbaresProdukt auch dort gut sortiert empfangbar ist. Wirwollen nach Möglichkeit auf der Startseite auffindbarsein. Unsere Mediatheken sollen ohne weitere Zu-gangsschwellen genutzt werden können. Deshalb er-möglichen wir Entertain TV zum Beispiel, für einesehr begrenzte Zeit nach einer Genre-Sortierung dasanzubieten, was wir in den Mediatheken haben.

Sie arbeiten auch mit Netflix zusammen. Zumin-dest zwei Serien werden auch über Netflix ver-marktet...Es gibt Produkte, die wir an Amazon verkauft haben,es gibt Produkte, die einzelne Häuser an Netflix ver-kauft haben. Wir legen aber schon Wert darauf, dassman den Absender erkennt. Und wir werden in Zu-kunft bei den wichtigen Produktionen sicherzustellenversuchen, dass die Absenderkennung schon im Titeldrin ist. Das ist besonders wichtig für Anbieter wieNetflix, die eine vorgeschaltete Senderkennung, einesogenannte Pre-Roll, ablehnen.

Bei der Arbeitsgemeinschaft für Fernsehfor-schung (AGF), in der Sie die ARD vertreten, wirdverstärkt versucht, auch die Messung des non-linearen TV-Konsums voran zu treiben. Wie weitsind Sie da?Wir haben jetzt gerade einen großen Schritt getan, in-dem wir die Messungen auf Streaming ausgeweitet ha-ben. Dadurch erhalten wir sehr viele weitere Nut-zungsdaten. Der nächste Schritt wird sein, die Meß-systeme, die wir zurzeit im non-linearen Bereich beimwichtigsten Content-Anbieter, nämlich YouTube, ha-ben, vergleichbar zu machen mit der Fernsehnutzung.Da haben wir ein gemeinsames Projekt der AGF mitGoogle/YouTube. Und wir wollen auch auf anderenFeldern die Kooperation verstärken.

Wie sehen Sie die Chancen für eine große deutsche VoD-Plattform? Das Kartellamt ist jaseinerzeit bei Germany’s Gold in die Parade ge-sprungen.Das Kartellamt hat vor drei Jahren ei-nen sehr sinnvollen Ansatz verhindert,weil es nur auf den deutschen Marktgeschaut hat. Dieser Markt wird abergerade von internationalen Anbieternerobert. Nach rein deutschen Kriteriendurften wir mit Germany’s Gold nichtan den Start gehen. Wir sind im Augen-blick in Gesprächen mit Produzenten, obwir noch einen zweiten Anlauf starten.Nur mit erheblichen finanziellen Mittelnwird es möglich sein, jetzt in diesen schonvorsortierten Markt mit einer deutschenPlattform neu einzusteigen. Aber wir wis-sen nicht, ob wir überhaupt so weit kom-men. Das Gespräch führte Günter Herkel <<

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79,5% der Bevölkerung gehen zumindest gelegentlich ins Internet.Davon nutzen 82% Video,davon:

Videoportale 61%Fernsehsendungen live oder zeitversetzt 43%

Videokanäle 23%Videopodcasts 15%Video-Streamingdienste 15%Videos auf Facebook 30%Fernsehsendungen auf Facebook 8%nur Auszug (vgl. Quelle)

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och etwa vier Monate, dann soll das JungeAngebot von ARD und ZDF an den Start ge-hen. Einen Namen hat es noch nicht. Undmit welchen Inhalten es die junge Zielgrup-pe zwischen 14 und 29 Jahren erreichenwill, steht irgendwie auch noch nicht sorichtig fest. Auf der Media Convention inBerlin hat der ehemalige stellvertretendeProgrammverantwortliche bei ARTE undjetzige Programmchef des Jungen Ange-bots, Florian Hager, über den aktuellenStand berichtet. Einen Einblick in denEntstehungsprozess des „öffentlich-rechtlichen Start-Ups” gibt der vomTeam um Hager bestückte Blog, auf demsich Interessierte auch an der Namens-suche beteiligen können.

Fest steht: Das Gemeinschaftsprojektvon ARD und ZDF wird nur im Netzverfügbar sein. Mit dem 19. Rund-funkänderungsstaatsvertrag haben dieMinisterpräsidenten der Länder imHerbst 2015 beschlossen, dass es kei-nen linearen Jugendkanal, wie bisdato geplant, sondern ein nicht-li-neares, rein webbasiertes Angebotgeben soll. Eine gute Entscheidung,so äußert sich Helge Haas, Pro-grammleiter für Junge Angebotebei Radio Bremen, auf dem Blogwww.jungesangebotvonard und -zdf.de. Denn die Erfahrung bei Ra-

dio Bremen habe gezeigt, dass Bewegtbildangeboteim Netz deutlich besser auffindbar seien als auf denlinearen Spartenkanälen. Hagers Team ist derzeit vonFacebook über Snapchat bis zu YouTube und der Vi-deo-Plattform Twitch mit allen relevanten Playern, al-so Drittplattformen, im Gespräch. Dabei wird es fürjede Plattform originäre Inhalte geben statt ein unddesselben Inhalts, der für die verschiedenen Plattfor-men unterschiedlich aufbereitet wird. Der heteroge-nen Zielgruppe hat man mit einer Einteilung in viernach dem Alter gestaffelte Untergruppen Rechnunggetragen. Dementsprechend werden die Plattformenunterschiedlich gewichtet und die Inhalte thematischzielgruppenspezifisch angelegt. 14–16-Jährige nutzeneben mehr Snapchat und dafür wenig Facebook. Und14–19-Jährige erreicht man mit YouTube-Stars, wäh-rend sich die 20–29-Jährigen auf YouTube eher vonInformationen und Reportagen angesprochen fühlen.Schwierig ist sie allemal, diese Gruppe der 20–29-Jäh-rigen. Erreichen will man sie vorrangig mit Webseri-en. Durch den Rundfunkänderungsstaatsvertrag wur-

de den Anstalten zudem erstmals erlaubt, online fik-tionale Kauf produkte zu verbreiten, also ausländischeSpielfilme und vor allem Serien.

Neben der Verbreitung über Drittplattformen werdendie Inhalte allerdings auch noch in einem eigenenPlayer im Web sowie in einer App verfügbar sein, überdie sich die User_innen ihre Inhalte filtern und per-sonalisieren können. Zielgerät ist das mobile End -gerät. Das Design der App, das zurzeit noch von einerHand voll Freelancer_innen entwickelt wird, soll spä-ter auf die Gesamtmarke übertragen werden. Bevor eszur Entstehung dieser Gesamtmarke und auch einesNamens kommt, konzentrieren sie sich im MainzerStart-Up jedoch zunächst auf die Entwicklung der Inhalte. Erst der Content, dann die Marke. Das ist dieDevise. Wie dieser Content aussehen wird, darüber istbisher noch wenig bekannt. Der YouTuber Rayk An-ders wird sein Format „Armes Deutschland” künftigfür das Junge Angebot weiterführen. Produziert wirdes von RocketBeans TV, die möglicherweise auch dieProduktion weiterer Formate übernehmen werden.Grundsätzliches Ziel ist es jedoch, mit den YouTubernund anderen Kreativen, die man für das Projekt gewinnen kann, eigene Formate zu entwickeln stattderen etablierte Formate einfach zu übernehmen. DieAnmutung des übrigen (Nicht-YouTube-) Contentssteht noch relativ in den Sternen. Sicher ist nur, dassdie Inhalte mit der Zielgruppe entwickelt werden sol-len. Dafür beschreitet Hagers Team auch schon malungewöhnliche Wege. In der Mainzer Zentrale habensie Anfang April einen Hackathon veranstaltet, dessenErgebnisse, sowie übrigens auch alle anderen Soft-ware-Entwicklungen des Jungen Angebots, als OpenSource auf https://github.com/JungesAngebot zur Ver-fügung stehen. Und sie holen sich ihre Zielgruppemanchmal direkt von der Straße ins Büro, um sie zuihrem Mediennutzungsverhalten zu befragen und ihrFeedback zu den neuesten Produkten einzuholen.

Wenn das nicht unkonventionell ist! Doch einen unkonventionellen Weg wollte man ja schließlich ge-hen, mit dem neuen Jungen Angebot von ARD undZDF, mit dem sich die Öffentlich-Rechtlichen vom linearen Fernsehen verabschieden und mit Netflixund Co. zumindest mithalten wollen. Und auch feh-lende Transparenz und Partizipation des Publikumswird man den Machern des Jungen Angebots nurschwerlich vorwerfen können, wie und wann auchimmer das öffentlich-rechtliche Experiment schließ-lich an den Start geht. Denn noch fehlt die Ratifi -zierung des Vertrages durch alle Landtage. Wie vielZeit für Kreativität bleibt da eigentlich noch, bis zum1. Oktober 2016? Monique Hofmann <<

StReaMIng-ZeItalteR

Das Start-Up Faktencheck: Was bisher über das Junge angebot von ard und ZdF bekannt ist

Florian Hager, Programmchef des Jungen Angebots

uelleund mehr

www.ard-zdf-onlinestudie.de/fileadmin/Onlinestudie_2015/0915_Kupferschmitt.pdf

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och vor wenigen Jahren spucktennicht wenige Journalisten Gift undGalle, wenn sie nur das Wörtchen„Blog” hörten. Ganz anders heute:Livevideos über Periscope haben

sich im Fernsehjournalismus bereits als Zuschauer-Feedbackkanal etabliert. Und wenn Feinstaub-Senso-ren Messwerte an die Redaktion übermitteln, ist be-reits von „Sensorjournalismus”, alternativ auch von„Roboterjournalismus” oder „programmiertem Jour-nalismus”, die Rede.

In der Tat gibt es inzwischen unzählige Möglichkeitenüber das Internet Daten, Messwerte, Bilder, VideosKommentare und Bewertungen abzugreifen und wei-terzuverarbeiten. Es stellt sich die Frage, ob dies schonJournalismus ist oder ab welchem Veredelungsgraddies Journalismus wird? Manch ein Digiterati vertrittdie Ansicht, dass es schon Journalismus ist, auf allenPlattformen irgendwie präsent zu sein, also auch aufSnapchat oder in Multiplayer-Spielen. Das ist provo-kativ – ist aber im Sinne eines arbeitsteiligen Journa-lismus durchaus nachvollziehbar.

Im digitalen Raum kann alles als potenzielle Quellebegriffen werden, denn Journalist_innen definierenseit jeher selbst, über was sie berichten möchten undüber was nicht. Als Flaneur der diversen Livestreamsvon Twitters Livestreaming-App Periscope, Meerkat,über Facebook Live und die Gamer-VideoplattformTwitch bis hin zur Selbstdarstellungsplattform You-Now können Journalist_innen alles registrieren undverarbeiten, was gesendet und gestreamt wird. In ei-nem weiteren Schritt können sie die Community zurInhalteproduktion aufrufen – und selbst Inhalte pro-duzieren. Das Live-Streaming von Pressekonferenzengilt als wenig attraktiv. Gerne werden Interviews undVeranstaltungen live übertragen. Aus Syrien gibt esimmer wieder Periscope-Streams mit Stadtrundfahr-ten, die die momentane Lage dokumentieren sollen.

Mit neuen Live-Streaming-Diensten erweitern sichaber nicht nur die Distributions- und Dokumenta -tions-, sondern auch Interaktionsmöglichkeiten. ZDF-Moderator Daniel Bröckerhoff nutzt beispielsweise Periscope und Facebook, um darüber nach einer Sen-dung von „Heute+” Zuschauer-Feedback aufzugreifen,der im Netz über einen Livestream angeboten wird.WeltN24 versteht sie als Möglichkeit, mit den Zu-schauer_innen zu interagieren. Dabei galt übrigensPeriscope für das Einsammeln von Zuschauerkom-mentaren lange Zeit als die bessere Wahl, da „Face-book Livestream” die Interaktion nur auf das Ankli-cken eines „Herzchens” reduziert.

Eine spannende Frage ist, wie Facebook und Twitterselbst mit Video-Livestreams umgehen: Ob sie alsPlattform lediglich ein weiteres Feature anbieten oderselbst als Publisher in den Markt einsteigen wollen.Wie eine Personalie andeutet, könnten zumindest beiTwitter die Ambitionen höhergesteckt sein: Dort istseit kurzem Evan Hansen für Periscope zuständig, derzuvor für die Publishing-Plattform Medium und davorfür Wired als Redakteur gearbeitet hatte. Mittelfristigkönnten Facebook, Twitter & Co. nicht nur über eigene Kanäle, die mit definierten Formaten bespieltwerden, Publikum gewinnen, sondern auch Werbe-gelder generieren, die vormals ausschließlich an dieSender gingen. Die Plattformen können mit ihren An-geboten derzeit nur gewinnen, während die etablier-ten Anbieter einen Mehrwert erarbeiten müssen, derdas Publikum weiterhin an sie bindet.

nachrichtenschnipsel über Snapchat

Zur Rubrik „Interaktion” ist auch der Instant-Messa-ging-Dienst Snapchat zu rechnen, der vor allem unterJugendlichen und jungen Erwachsenen sehr beliebtist. Er eignet sich aufgrund seiner zahlreichen Bild-und Videobearbeitungsmöglichkeiten für Zuschauer-bzw. Leserfeedbacks mit emotionalen Statements. Einzelne Redakteur_innen experimentieren auch mitNachrichtenschnipseln. Der britische Journalistenaus-bilder Paul Bradshaw hat dazu bereits ein eigenes E-Book „Snapchat for Journalists” veröffentlicht, das„Good Practice”-Beispiele mit unterschiedlichen Toolsenthält.

Snapchat hat überdies das vertikale Videoformat be-liebt gemacht. Welches Videoformat aus journalisti-scher Sicht gewählt werden sollte, hängt davon ab,welches Publikum man mit welchen Inhalten anspre-chen möchte. Im Kommen ist das vertikale Format,da es Smartphone-Nutzer nicht zwingt, ihr Gerät um90 Grad zu drehen. Die 360-Grad-Perspektive weist inRichtung Virtual Reality: Die Videos müssen dann sogestaltet werden, dass das Ansehen mit VR-Brillen ei-nen journalistischen Mehrwert bietet. Besonders eig-net sich die Rundum-Perspektive für Events mit vielenAktivitäten oder ungewöhnliche Umgebungen. Diesstellt aber auch neue Ansprüche an Einordnung undKommentierung. Ein gutes Beispiel hierfür ist die virtuelle Rekonstruktion des irakischen Mosul Mu-seum, das 2015 von IS-Kämpfern zerstört wurde.Für das Projekt „RecoVR Mosul” wurden Fotosvon lokalen Besuchern, Touristen und US-Soldaten per Crowd-Sourcing gesammelt, umaus ihnen 3-D-Rekonstruktionen zu errechnen.Das Verfahren war in den letzten Jahren für

XXXiM FokUS

Zeit der Experimente live-Videostreaming, Chatbots, Sensoren – Pfeiler eines modernen Journalismus?

Manch ein digiterati vertrittdie ansicht, dass esschon Journalismusist, auf allen Platt-formen irgendwiepräsent zu sein

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Architektur projekte entwickelt worden. In dem virtu-ellen Museum können die Besucher dann eine VR-Führung machen. Begleitend dazu befassen sich zweiPodcasts mit ethischen und juristischen Fragen. DasProjekt wurde inzwischen in „Rekrei” umbenanntund verfolgt weltweit verschiedene Rekonstruktions-vorhaben.

datenanalysegleich einem WissenschaftlerÀ propos Crowd-Sourcing: Chatbots, also kleine Pro-gramme, die einfache Fragen beantworten können,könnten künftig auch Informationen bei den Leser -_innen abfragen, die dann zu Meinungsbildern zu-sammengeführt werden könnten. Ist das schon daten-gestützter Journalismus? Es gehört zur journalisti-schen Wertschöpfung, das Erfasste, Gesehene, Gemes-sene, Gehörte und Gefühlte zu erschließen. EinMehrwert entsteht beispielsweise dann, wenn diekomplexe Realität analysiert und erklärt wird, um ge-sellschaftliche Diskurse anzustoßen. Dazu gehört es,den Umfang und die Art der Daten- und Informati-onserfassung sowie ihre Grenzen und Beschränkun-gen zu reflektieren – und zu bestimmen, wie weit diejournalistische Recherche greifen soll. Journalistenmüssen also schon fast wie Wissenschaftler an Daten-analysen herangehen.

Beispielsweise wertet die Berliner Morgenpost die Datender Berliner Feinstaub-Messstationen aus. Aus diesenDaten werden einfache Informationen generiert undkommentiert. Diese Art von „Sensorjournalismus” ba-siert auf der Aggregation und Interpretation von Da-ten. Wie so oft im „Datenjournalismus” werden dieDaten aber bislang nicht ausreichend kritisch hinter-fragt, da die gelieferten Daten als gegeben hingenom-men werden. Unkommentiert bleibt, ob Stationen anwichtigen Straßen fehlen. Offen bleibt, was die gene-rierte Datenmenge über die Luftqualität in der Stadtwirklich aussagt. Dabei liegt die Frage nahe: Warumschlagen sich die bekannt gewordenen Manipulatio-nen von Dieselmotoren beispielsweise nicht deut -licher in den erfassten Werten nieder, die in Berlinüber das Jahr größtenteils unter der erlaubten Höchst-grenze bleiben?

Eventuell steckt hinter den schönen Berliner Werteneine größere Geschichte über die Effektivität staat licher Kontrollorga-ne. Eine journalistische Datenkon-trolle jenseits der automatisiertenContent-Generierung könnte sich loh-nen: So drohte das VerwaltungsgerichtWiesbaden vor kurzem dem hessischenUmweltministerium ein Zwangsgeld vonjeweils 10.000 Euro an, wenn die Luft-reinhaltepläne für Wiesbaden undDarmstadt nicht effektiver werden.Durchaus eine Steilvorlage für Ber-liner Journalisten.

Großer digitaler Bauchladen

Es ist zweifellos eine Zeit der Experimente. Doch Jour-nalist_innen sollten die neuen digitalen Werkzeugenicht nur aufgreifen, um „das junge Publikum” anzu-sprechen, das sich mehr und mehr von journalisti-schen Marken löst, weil es seine Neuigkeiten und In-formationen mit Hilfe von Plattform- und Commu-nity-Algorithmen kuratiert. Weil im Newsfeed von Fa-cebook oder Twitter Markennamen nach und nachihre Bedeutung verlieren, wird die Frage immer wich-tiger auf diesen Plattformen, wer etwas empfiehlt.Journalistische Produkte können den Kampf um dieAufmerksamkeit dieser Kuratoren nur dann für sichgewinnen, wenn sie etwas Besonderes darstellen.

Das Besondere im Journalismus basiert auch im digi-talen Raum auf einem bestimmten Set von Kompe-tenzen: An erster Stelle stehen Recherche und Moni-toring, gefolgt von der Erschließung und Darstellungkomplexer Zusammenhänge. Diese müssten verständ-lich medial umgesetzt werden, um einen Diskurs an-zuregen, der journalistisch moderiert werden kann.Für bestimmte Themen und Personen gilt es auf ver-schiedenen Wegen Aufmerksamkeit und damit Öf-fentlichkeit herzustellen. Viele Journalist_innen kön-nen oft alles irgendwie, doch besonders in großen Re-daktionen verlangt diese Anforderungsvielfalt eineSpezialisierung.

Qualität und Originalität sind auch im digitalenRaum Erfolgsfaktoren. Das bedingt erfahrungsgemäßeine Fokussierung auf bestimmte Themen und Werk-zeuge. Eine Strategie, die alle Plattformen, alle Toolsund jede News umarmen will, wird auf Dauer an Auf-merksamkeit verlieren, da sie aus Ressourcengründenkaum dauerhaft Qualität und Originalität produzierenkann – und sich damit wiederum im Newsfeed vonden anderen nicht unterscheidet. Keine Redaktionund kaum ein Verlagshaus wird den gesamten digita-len Bauchladen bedienen können. Für die gesamteMedienbranche sind damit erhebliche konzeptionelleund organisatorische Umbrüche vorgezeichnet. Christiane Schulzki-Haddouti <<

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Qualität undoriginalität sindauch im digitalenraum Erfolgsfakto-ren.

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Mit „Smart TVs” haben immer mehr Menschen nebenihren Computern, Smartphones und Tablets ein wei-teres Tor ins Internet zu Hause, über die sie Inhaltejeglicher Art direkt auf dem Fernseher abrufen kön-nen. Darüber hinaus sind die Hersteller von Fernseh-geräten mit ihren Benutzeroberflächen längst selbstzu Plattform- oder gar Inhalte-Anbietern geworden.Ob Datenschutz, Urheberrechte, Jugendschutz, Haf-tungsfragen oder die Sicherung von Vielfalt: Alles isttangiert. Das ist die Folie für die europäische Regulie-rung der audiovisuellen Medienlandschaft.

Im Mai vergangenen Jahres hat die Europäische Kom-mission ihre Strategie für einen europäischen digita-len Binnenmarkt vorgestellt, die bis Ende dieses Jahresin verschiedene gesetzgeberische Maßnahmen mün-den soll. Das Ziel: Europa soll auf der digitalen Bühneganz vorn mitspielen. Der Weg: EU-weit gleiche Be-dingungen für Unternehmen im digitalen Raumschaffen und dort regulierend eingreifen, wo Wettbe-werb behindert wird.

Ungleichgewicht nicht mehr zeitgemäß

Ein wesentlicher Baustein der Digitalagenda ist die Re-form der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste(AVMD), deren Entwurf Ende Mai veröffentlicht wur-de. Die Richtlinie schafft europaweite Standards füraudiovisuelle Medien und unterscheidet in ihrer gel-tenden Form zwischen linear ausgestrahlten TV-Pro-grammen sowie Inhalten, die nicht-linear, also aufAbruf zur Verfügung gestellt werden, wobei letztereweniger streng reguliert sind. Dass dieses Ungleichge-wicht in Zeiten von Smart TV und der zunehmendenBedeutung von Streamingdiensten wie Netflix undPortalen wie YouTube nicht mehr zeitgemäß ist, istaugenscheinlich. Denn immer mehr Nutzerinnenund Nutzer greifen heute gleichberechtigt auf alle In-halte zu, eine unterschiedliche Regulierungsdichte istüberholt. So ist zum Beispiel schwer nachvollziehbar,warum ein klassisches Fernsehprogramm strengerenJugendschutzregeln unterliegen soll als ein ausländi-sches Abrufangebot, wenn am Ende beide Inhalte fürdie Nutzerinnen und Nutzer nebeneinander auf demFernsehschirm zur Auswahl stehen.

Genau aus diesem Grund hatte auch die VereinteDienstleistungsgewerkschaft im Rahmen des Konsul-tationsverfahrens für eine Aufhebung der Unterschei-dung in lineare und nicht-lineare Angebote und für

einheitliche Mindeststandards bei der Regulierung ar-gumentiert. Die Neufassung der AVMD-Richtliniesieht künftig mindestens beim Jugendschutz ein glei-ches Schutzniveau für TV-und Abrufdienste vor.

Vorrang für publizistisch relevantes

Wie erfolgversprechend die Revision der Richtlinie beider Frage aussieht, wie künftig die Auffindbarkeit vonInhalten sichergestellt werden kann – eine Kernfrageder Medienregulierung – muss sich zeigen. Kabelan-bieter beispielsweise sind seit jeher verpflichtet, Pro-gramme wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk inihre Netze einzuspeisen („must carry”). Damit solltein Zeiten der Frequenzknappheit gewährleistet wer-den, dass für die Meinungsbildung relevante Inhalteauffindbar und frei verfügbar sind. Obwohl auf demSmart TV heute keine Knappheit mehr herrscht undunbegrenzt Inhalte eingespeist werden können, be-steht die sogenannte Gatekeeping-Problematik auchhier fort. Denn der Vielfalt gefährdende „Flaschen-hals” ist nicht verschwunden, er hat sich lediglich aufdie die Gerätehersteller bzw. Plattformbetreiber verla-gert. Sie entscheiden nun, welche Inhalte an welcherStelle auf ihren Plattformen stattfinden.

Vor diesem Hintergrund wird seit längerem diskutiert,die bestehende Must-carry-Regelung auszuweiten inRichtung einer privilegierten Auffindbarkeit („mustbe found”). Auch ver.di hatte sich entsprechend posi-tioniert und mit Kulturstaatsministerin Monika Grüt-ters eine prominente Befürworterin aus der Bundesre-gierung auf ihrer Seite. Die Begründung: Selbst eineverpflichtende Einspeisung von Inhalten bedeutetheute nicht, dass Programme von den Nutzerinnenund Nutzern in der riesigen Auswahl auch gefundenwerden. Meinungsrelevante Angebote sollten daherbevorzugt auf Smart-TV-Plattformen angezeigt wer-den. Die Bund-Länder-Kommission zur Medienkon-vergenz, bei der seit letztem Jahr Vertreterinnen undVertreter von Bundesregierung und Ländern gemein-sam Maßnahmen einer modernen Medienregulierungdiskutiert haben, konnte sich jedoch nicht auf eineeinheitliche Linie in dieser Frage einigen. Auch derEntwurf der Richtlinie über audiovisuelle Medien-dienste gibt keine europaweite Regelung vor. Sie erlaubt den Mitgliedstaaten aber, Plattformen Ver-pflichtungen in Sachen Auffindbarkeit und Zugäng-lichkeit von Inhalten aufzuerlegen, wenn diese vonallgemeinem Interesse sind.

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Grenzen für das audiovisuelle NetzEuropa will auf der digitalen Bühne ganz vorn mitspielen

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Wie wichtig technische Aspekte bei der Vielfaltssiche-rung sind, zeigt auch die Debatte um offene Stan-dards. Wie bei jeder neuen Technologie befinden sichauch bei Smart TV zahlreiche, technisch unterschied-liche Lösungen am Markt. Ob Fernsehgerätehersteller,Plattformanbieter oder Kabelnetzbetreiber: Alle stelleneigene Systeme zur Verfügung. Nicht selten habenKundinnen und Kunden auf dem Fernsehschirm so-gar konkurrierende Benutzeroberflächen zur Auswahl,je nachdem, welche Geräte sie nutzen. Das bedeutetfür Anbieter, ihre Inhalte für verschiedenste Standardszu programmieren.

Einige Fernsehsender, Gerätehersteller, Softwareunter-nehmen u.ä. haben deshalb den gemeinsamen offe-nen Standard HbbTV (Hybrid broadcast broadbandTelevision) initiiert, der in zahlreichen europäischenLändern genutzt wird und auf dessen Basis vor allemdie öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten inDeutschland sowie die Mediengruppe RTL und Pro-SiebenSat.1 ihre Smart-TV-Angebote bereitstellen. Einoffener Standard stellt sicher, dass Dritte jederzeit frei-en Zugang zur Benutzeroberfläche erhalten und ihreInhalte damit für die Endkunden verfügbar sind. VieleGerätehersteller und Diensteprovider haben jedochein Interesse daran, eigene proprietäre Lösungen inden Markt zu bringen, dessen Zugang sie steuern undauch lizenzrechtlich verwerten können.

Der Vorschlag der neuen AVMD-Richtlinie lässt dieseAspekte unbeantwortet. Er enthält keine Vorgabenzum technischen Plattformzugang. Denkbar ist je-doch, dass die oben genannte Möglichkeit der Mit-gliedstaaten, Anbieter zum Zugang zu verpflichten,hierfür genutzt wird. Deutschland könnte, sofern eswollte, zumindest dem öffentlich-rechtlichen Rund-funk gesetzlich den Zugang zu Plattformen gewähr-leisten.

Mehr datenschutz

Abseits der AVMD-Richtlinie lohnt ein Blick auf denDatenschutz. Persönliche Daten haben naturgemäßauch für audiovisuelle Anbieter eine entscheidendeökonomische Bedeutung. Denn auf ihrer Grundlagewird das Nutzerverhalten analysiert und Programm-empfehlungen werden zielgerichtet zusammenge-stellt. Mit der Verabschiedung der Datenschutz-Grundverordnung im April dieses Jahres hat das EU-Parlament einen wichtigen Schritt für mehr Daten-souveränität gemacht. Spätestens 2018, wenn dieVorgaben in nationales Recht umgesetzt sein müssen,werden vor allem ausländische audiovisuelle Medien-dienste strengeren Regeln unterliegen, die die Kun-dinnen und Kunden freuen dürften.

So greift künftig das sogenannte Marktortprinzip, wo-nach das Datenschutzrecht für alle Unternehmen gilt,die in Europa tätig sind, unabhängig davon ob sie hierauch ihren Sitz haben. Außerdem dürfen Daten nurnoch nach vorheriger Zustimmung verwendet wer-

den. Nutzerinnen und Nutzer können jederzeit Aus-kunft über die gespeicherten Daten einfordern, ihreEinwilligung zurückrufen sowie die Löschung ihrerDaten verlangen.

Neu ist auch das Recht auf Datenübertragbarkeit, wo-nach persönliche Daten von einem kommerziellenAnbieter zu einem anderen mitgenommen werdenkönnen. Auf diese Weise soll der Anbieterwechsel at-traktiver gemacht und damit zu mehr Vielfalt imMarkt beigetragen werden. Das kann sich theoretischauch auf Streamingdienste auswirken, indem Nutze-rinnen und Nutzer ein einmal angelegtes Profil mitEmpfehlungen und Bewertungen zu einem neuen An-bieter migrieren dürfen. Inwiefern das konkret in derPraxis funktionieren soll, muss sich zeigen. Gerade imBereich audiovisueller Bezahlangebote mit stark von-einander abgegrenzten Lizenzinhalten sollte die Wir-kung als nicht allzu hoch eingeschätzt werden.

kartellrechtliche Waffen

Bleibt am Ende das Wettbewerbsrecht, das Vielfalt ins-besondere dadurch sicherstellen will, dass Unterneh-men mit marktbeherrschender Stellung strengererKontrolle unterliegen. Bereits seit 2010 führt die EU-Kommission zum Beispiel ein Verfahren gegen Goo-gle. Der Vorwurf: Der Konzern benachteilige Mitbe-werber. Die Suchmaschine, die in Europa bis zu 90Prozent Marktanteil besitzt, bevorzuge bei Suchergeb-nissen ihren eigenen Preisvergleichsdienst. Bei An-droid, dem Google-Betriebssystem für Smartphones,das in Europa zwei Drittel Marktanteil besitzt, sorgendie Nutzungsbestimmungen dafür, dass andere Be-triebssysteme weniger attraktiv sind.

Dass die Kommission hart durchgreifen kann, hat siebereits 2013 bewiesen, als sie Microsoft eine Strafevon über einer halben Milliarde Euro auferlegte, umeine freie Browserwahl durchzusetzen. Im Fall Googlewird mit einer erheblich höheren Strafzahlung in Mil-liardenhöhe gerechnet. Noch schwerer würde für denKonzern allerdings wiegen, sollte er am Ende Einbli-cke in seinen Algorithmus gewähren oder die An-droid-Verträge ändern müssen, um das bisherige Ge-schäftsverhalten dauerhaft abzustellen. Die Unterstüt-zung von deutscher Seite müsste dabei sicher sein. Inder Stellungnahme zur EU-Konsultation über einenneuen Regelungsrahmen für Onlineplattformen undCloud Computing hat Deutschland erst Anfang Aprildieses Jahres mehr Transparenz gefordert. Zum Schutzder Nutzer_innen sollen Plattformen die zentralenKriterien des von ihnen verwendeten Algorithmus so-wie deren Gewichtung in verständlicher Sprache of-fenlegen. Seit März ermittelt zudem das Bundeskar-tellamt gegen Facebook. Der Verdacht: Der Konzernnutze bei der Gestaltung der Vertragsbestimmungenzur Verwendung von Nutzerdaten seine marktbeherr-schende Stellung aus. Vielleicht ist hier bereits einTrend erkennbar und es wird langsam enger für die„Googles dieser Welt”. Stephan Kolbe <<

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it dem Siegeszug von Social Mediaentstehen auch in den Redaktionenneue Berufsbilder, tradierte Berufewandeln sich, die Grenzen zwischenden einzelnen Tätigkeiten ver-

schwimmen. „Social-Media-Redakteur_in” ist solchein neues Berufsbild. Die ausgebildete Journalistin Tina Halberschmidt ist Teamleiterin für Social Mediabeim „Handelsblatt”. M sprach mit ihr über ihrenWerdegang, ihren Arbeitsalltag und über die Frage,was eine gute Social-Media-Redakteurin ausmacht.

Ihre journalistische Laufbahn beginnt Halberschmidtzunächst als Freie bei der WAZ-Mediengruppe (seit2013 Funke Mediengruppe), wo sie auch ihr Volonta-riat absolviert. Schnell macht sich die Affinität zu On-line bemerkbar. Sie wird Online-Redakteurin. Unteranderem wirkt sie am Aufbau des WAZ-Portals Der -Westen.de mit, das von 2007 bis 2012 als Online-An-gebot für die einzelnen Zeitungen der Verlagsgruppefungierte. Während eines Abstechers in dieUnternehmenskommunika tion der WAZ-Medien-gruppe betreut sie in ihrer Funktion als Online-Refe-rentin deren Social Media-Aktivitäten, bevor sie sichdann 2011 auf die Stellenausschreibung für eine So-cial Media Redakteurin beim Handelsblatt bewirbt.Fünf Jahre sind seitdem vergangen. Tina Halber-schmidt ist inzwischen festangestellte Social-Media-Teamleiterin und betreut gemeinsam mit zwei freienMitarbeiter _innen die Social-Media-Kanäle des Han-delsblatts auf Facebook, Twitter, Xing, LinkedIn, Ins-tagram und Google+.

Ebenso wie Social Media selbst, ist auch das Berufsbilddes Social-Media-Redakteurs ständiger Entwicklungund permanentem Wandel unterworfen. Hinzukommt, dass es sich um einen sehr facettenreichenBeruf handelt, dessen einzelne Tätigkeitsfelder je nachArbeitgeber stark variieren. Fragt man Tina Halber-schmidt nach ihrem Arbeitsalltag, wird schnell klar,dass eine klare Abgrenzung der einzelnen Tätigkeitenin einer Redaktion heute kaum noch möglich ist. AlsSocial-Media-Redakteurin bespielt sie nicht nur dieeinzelnen Social-Media-Kanäle des Handelsblatts mitden Beiträgen, die die Redakteur_innen in den einzel-nen Ressorts an sie weiterleiten. Als Teil der Redaktionsitzt sie am Newsdesk, beobachtet die sozialen Netz-werke, iden tifiziert Trending Topics und relevanteThemen. Kommt ihr ein besonders interessantes The-

ma unter, übernimmt siedessen redaktionelle Um-setzung auch schon malselbst. So schreibt sie Pos-tings für das Social Web,und weiterhin auch Bei -träge für Print und Online,ein Aspekt, den sie an ihrerPosition als Social-Media-Redakteurin beim Handels-blatt besonders schätzt. Da-neben wird sie gelegentlichals Community Managerin aktiv, kommentiert Beiträ-ge oder versucht, aus dem Ruder gelaufene Diskussio-nen wieder zurück in die richtigen Bahnen zu lenken– falls ihr die Zeit dazu bleibt, denn natürlich gehörtmittlerweile auch die (Weiter-) Entwicklung der Soci-al-Media-Strategie zu ihren Aufgaben.

Social-Media-Redakteurin, Community Managerin,Redakteurin und auch Referentin für Social Media,wenn sie ihre Kolleg_innen in Workshops im Umgangmit Facebook, Twitter und Co. schult. „Von allem einbisschen eben”, so Halberschmidt. Und es ist ebendiese Vielseitigkeit, für die sie ihren Job liebt. Kein Tagist gleich, ständig warten neue Herausforderungen.Selbst Hasskommentare und Trolle können diese Be-geisterung nicht trüben. Im Gegenteil, der Umgangmit diesem mittlerweile Social- Media-inhärentemPhänomen stellt für Halberschmidt eine dieser He-rausforderungen dar, die ihre Arbeit nie eintönig wer-den lassen. Auch wenn man in solchen Situationennatürlich eine „gehörige Portion Humor und Gelas-senheit” benötigt: „Da muss man manchmal schonein bisschen durchatmen und den Spaß an der Sachedarf man sich dann nicht verderben lassen”, sagt sie.Überhaupt sieht sie in der Liebe zum Social Web undim „Spaß an der Sache” die wohl wichtigste Eigen-schaft, die eine Social-Media-Redakteurin neben Krea-tivität und Vielseitigkeit mitbringen sollte. Eine jour-nalistische Ausbildung sei zwar von Vorteil, aber keinezwingende Voraussetzung. Vor allem sollte man esnicht als Last empfinden, abends oder auch mal amWochenende eine Facebook-Nachricht zu schreibenoder einen Tweet abzusetzen. Wenn sich in den Kom-mentarspalten etwas entwickelt, dann sei nun malschnelles Handeln gefragt. Offline gehen? Das machtsie auch, im Urlaub zum Beispiel – auch wenn esschwer fällt. Monique Hofmann <<

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Redakteurin für Social-MediaEin neues Berufsbild mit interessanten Herausforderungen

Tina Halberschmidt,Teamleiterin für

Social Media beim Handelsblatt

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er Bundesgerichtshof hat in SachenVerlegerbeteiligung bei der VG Wortentschieden – mit ernsten Konse-quenzen vor allem für die Verlage.Sie dürfen nicht mit pauschalen

Ausschüttungen an den Einnahmen der Verwertungs-gesellschaft beteiligt werden. Damit sind die Satzungund der Verteilungsplan der VG Wort „unwirksam”,schlussfolgert die VG Wort. Das gilt übrigens auch fürandere Verwertungsgesellschaften wie VG Bild-Kunst,GEMA und VG Musikedition.

Der Börsenverein hat auf das BGH-Urteil vom 21.April 2016 (Az.: I ZR 198/13) anders reagiert als nachder Reprobel-Entscheidung des Europäischen Ge-richtshofs im November 2015. Damals hatte derBuchverlegerverband noch gedroht, die VG Wort seigefährdet und Autorenhonorare würden gekürzt,wenn nicht auf EU-Ebene zügig ein Verleger-Leis-tungsschutzrecht eingeführt werde. Nunmehr sieht ermögliche „Rückzahlungen in dreistelliger Millionen-höhe” und die „Insolvenz etlicher kleiner und mitt-lerer Verlage” voraus. Hauptgeschäftsführer AlexanderSkipis: „Wir brauchen umgehend eine gesetzliche Kor-rektur der Entscheidungen von BGH und Europäi-schem Gerichtshof”. Vom Verleger-Leistungsschutz-recht keine Rede mehr. Börsenvereinsjustiziar Chris-tian Sprang argumentierte in einem langen Aufsatz of-fen dagegen. Ein eigenes Leistungsschutzrecht ginge„zu Lasten des Urhebers (dessen Rechtsstellung ge-schwächt würde) oder zu Lasten des Verlegers (dessenRecht nur pro forma bestünde und nicht selbstständigdurchsetzbar wäre)”. Sprang: „Bisher waren Urheberund Verlage von einem gemeinsamen Vorgehen in-nerhalb einer Verwertungsgesellschaft überzeugt; daskönnte sich – von beiden Seiten aus gesehen – schnelländern.”

Anders der Bundesverband Deutscher Zeitungsverle-ger (BDZV) und der Verband Deutscher Zeitschriften-verleger (VDZ): Im Verbund mit den europäischenZeitungs- und Zeitschriftenverlegerverbänden EMMA,ENPA, EPC und NME haben sie eine Lobby-Kampagnefür ein Verleger-Leistungsschutzrecht auf EU-Ebenegestartet. Bei den europäischen Journalistengewerk-schaften werben sie um Unterstützung. Doch welchenVorteil sollte es für Journalist_innen haben, wenn Zei-tungsverlage gegen die illegale Übernahme von Arti-keln vor Gericht gehen können, ohne nachweisen zumüssen, dass sie die Rechte der Urheber_innen erwor-ben haben. Oft haben sie diese Rechte gar nicht oderdurch Total-Buy-Out-Verträge zum Nulltarif geraubt.Ein Leistungsschutzrecht der Verlage würde die Rech-te der Urheberinnen und Urheber schwächen.

Das sieht bei einer Beteiligung der Verlage an den Aus-schüttungen der Verwertungsgesellschaften andersaus. Sie ist seit Jahrzehnten Praxis in den meisten eu-ropäischen Ländern und Voraussetzung für gemein-same Verwertungsgesellschaften von Urhebern undVerlegern, die für beide Seiten von Vorteil sind. Damuss man nur mal einen Blick über die Grenze wer-fen, zum Beispiel nach Belgien, um zu sehen, wieschwer sich die Journalisten-Verwertungsgesellschafttut, neue Lizenzverträge abzuschließen und wie hochderen Verwaltungskosten sind.

Auch die VG Wort ist 1958 gemeinsam vonAutoren_innen und Verlagen gegründet worden, üb-rigens nachdem eine reine Autoren-Verwertungsge-sellschaft kläglich scheiterte. Um mit Verlagsvertre-tern zusammenzuwirken, muss man nicht eine „Soli-dargemeinschaft von Autoren und Verlegern” be-schwören. Die gibt es im Pressebereich nicht und beider Reform des Urhebervertragsrechts schon garnicht. Eine Zusammenarbeit aber ist sinnvoll – wiebeim Presseversorgungswerk oder im Presserat.

Dass ohne Verlegerbeteiligung künftig mehr Geld beiden Autorinnen und Autoren ankommt, ist eher un-sicher. Schon beim Reprobel-Verfahren klagte jaHewlett-Packard mit dem Ziel, die Kopiergeräteabga-ben zu kürzen. Und nach dem BGH-Urteil forderte derUnternehmerverband BITKOM sofort, die „Urheber-rechtsabgaben auf den Prüfstand” zu stellen.

Um eine Verlegerbeteiligung an den Ausschüttungender Verwertungsgesellschaften im EU-Recht abzusi-chern, haben Bundesjustizminister Heiko Maas undKulturstaatsministerin Monika Grütters im Februar ei-nen Vorschlag an Kommissar Günther Oettinger ge-schickt. Das hat der Bundestag ausdrücklich unter-stützt und sich zusätzlich für die Prüfung von natio-nalen Regelungen ausgesprochen.

Derzeit ist die Verlegerbeteiligung durch das Reprobel-Urteil europarechtlich in Frage gestellt und nach derBGH-Entscheidung eine pauschale Verlagsausschüt-tung grundsätzlich nicht zulässig. Die VG Wort mussjetzt also ermitteln, welche Rechte die Verlage in denletzten Jahren rechtmäßig eingebracht haben und aufdieser Basis einen dreistelligen Millionenbetrag neuverteilen, vermutlich mehr an Autorinnen und Auto-ren als an Verlage. Darüber und über die Zukunft derVG Wort wird im September 2016 bei den außeror-dentlichen Versammlungen entschieden. Rüdiger Lühr <<

der autor ist Fachjournalist für Urheberrecht und Mit-glied des Verwaltungsrates der VG Wort

Verteilungsplan hinfälligEntscheidung der VG Wort im September: Wie geht es weiter?

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inordnung

des Urteils gegen die VG Wortvon rechts anwalt Wolfgang Schimmel

http://www.kunstundkultur-online.de/kulturpolitik1.html#bghvg

https://mmm.verdi.de/mei-nung/zu-viel-geld-fuer-zu-wenig-rechte-31471

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loudworker arbeiten, wann und wosie wollen. Sie schreiben Text, über-setzen, entwerfen Logos, testen Web-seiten oder entwickeln Software.Aufträge holen sie sich über digitale

Plattformen, dorthin liefern sie auch. Auftraggeberund Mitbewerber können in Japan sitzen oder nurzwei Straßen entfernt. Man lernt sie nicht kennen.Wie viel Geld solche Arbeit dem Einzelnen einbringt,ist vorab schwer zu sagen. Oft wenig, mitunter garnichts. Doch die neue digitale Arbeitsweise boomt.

Sie kenne bisher „keinen einzigen, der wirklich davonlebt”, sagt Gundula Lasch, die ehrenamtliche Vorsit-zende der ver.di-Bundeskommission für Freie undSelbstständige. Doch das Problem treibt auch sie um.Cloud- oder Crowdworking habe das Potenzial, dieArbeitswelt massiv zu verändern, schätzen Wissen-schaftler ein. Es ist keine Nische mehr. Einem Reportder Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolgesind weltweit auf elf großen Plattformen schon rund20 Millionen „Arbeiter auf Abruf” tätig. In Deutsch-land gäbe es immerhin 750.000, schätzt der DeutscheCrowdsourcing Verband. Die IG Metall spricht von ei-ner Million.

Cloudworking im engeren Sinne meint nicht jeneFormen der sogenannten Sharing Economy, wo diePutzhilfe oder ein Freizeit-Taxifahrer per App gebuchtwerden können. Es geht um Arbeiten, bei denen Wert-schöpfung ausschließlich webbasiert stattfindet. Auf-traggeber und Ausführende treten persönlich nicht inKontakt. Eine „Vertragsbeziehung” vermittelt die da-zwischen geschaltete Plattform, die die Geschäfts -bedingungen vorgibt und kräftig mitverdient. Provi-sionen von fünf bis 20 Prozent gelten als üblich.

outsourcing auf die Spitze getrieben

Vor allem Unternehmen sind es, die eine solche Ent-wicklung vorantreiben und die Vorteile von virtuel-lem Outsourcing und weitgehender Diversifizierungnutzen. Amazon hat mit seiner Plattform „Mechani-cal Turk” vorgemacht, wie Routineaufgaben in Micro-tasks zerlegt werden und digitale Fließband-Büro -arbeiter quasi per Stücklohn für minutenweises Ab arbeiten bezahlt werden. Daimler eröffnete 2008 –ohne Beteiligung des Betriebsrates – ein Tool „Busi-ness Innovation”. Die virtuelle Sammelbox für „inno-vative Ideen” brachte dem Konzern so einträglicheGeschäftszweige wie „car2go” ein, sogar ohne die sonstim Daimler-Vorschlagswesen übliche Prämie. Im Fo-kus steht kreatives Potenzial. „Wenn wir eine Agentur

beauftragen, bekommen wir drei Vorschläge”, erläu-tert etwa der Kommunikationschef von Greenpeace.Nachdem die Umweltorganisation eine Kampagneüber eine Plattform ausgeschrieben hatte, habe manaus 380 Vorschlägen in 980 Varianten wählen kön-nen. Die Masse macht es auch in anderer Beziehung:Plattformen wie die Berliner „CrowdGuru” of-ferieren potenziellen Auftraggebern inzwi-schen Dienste von 35.000 „Gurus”, dierecherchieren und Texte nahezu zujedem Thema schreiben – „nachMaß und auf Wunsch suchma-schinenoptimiert”. IBM experi-mentiert seit Längerem in derweltweiten Softwareentwicklungetwa über das interneCrowdsourcing-Programm „Li-quid”. Von „Working in theOpen” versprach man sich knall-harten betriebswirtschaftlichen Er-trag, auch eine Entwicklungskosten-Senkung um ein Drittel jährlich. Inzwi-schen ist man in Teilen davon wieder ab-gekommen. Auch wegen des riesigenOrganisations- und Kontrollaufwands. Denn solcheTools treiben „den Grad der Arbeitsteilung in völligneue Dimensionen”.

Content-Hölle oder Chance?

Autorin Tanja Stern berichtete in M Anfang 2014 überihre Erfahrungen mit Online-Textagenturen wie„Content” oder „Textbroker”. (https://mmm.verdi.de/beruf/das-anonyme-heer-der-schreibsklaven-6679)Ein 250-Wörter-Fachtext über Wurzelkanalbehand-lungen etwa brachte ihr 2,11 Euro ein. Tiefer könneman „nicht sinken”, resümierte sie und sah sich mitSchülern, die ihr Taschengeld aufbessern wollten, mitPensionären, Müttern in Erziehungszeit und Hartz-4-Empfängern in einem Pool. Von professionellenSchreibern, die das Arbeiten in der Wolke testeten,findet sich im Netz die Empfehlung, die Zeit besserfür die Suche nach ordentlich zahlenden Auftragge-bern zu verwenden. „Schleuderpreise für geistiges Ei-gentum” werden beklagt. Doch: Was die einen als„Content-Hölle” schnell wieder verlassen, gilt für an-dere als „revolutionär”. Man könne im Vergleich zuherkömmlichen Angestellten selbst bestimmen, was,wann und wie man arbeite. Für flotte Texter, die einegute Bewertung schaffen, lohne sich die Sache: „Denndie Anzahl der Aufträge wird größer, je höher die Be-wertung des Schreibers ist. Auch die Bezahlung ver-bessert sich definitiv”, versichern Befürworter. Ein IT-

Click mit KickCloudworking boomt: neue arbeitsteilung oder ausbeutung mit Spaßfaktor?

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eine aktuelleDarstellung der IlO zu inter-nationalem Crowdworking:http://tinyurl.com/ilo-studie

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Spezialist, der sich niedergelassen hat, wo an-dere Urlaub machen, berichtet, sich Arbeitin der Cloud aussuchen zu können und lo-cker 10.000 Euro im Monat zu verdienen.

Meist nur ein nebenverdienst

Wer die tausenden deutschen Clickwor-ker wirklich sind und unter welchen Be-dingungen sie arbeiten, weiß man bishernicht verlässlich. Zwei – nicht repräsenta-

tive – Studien, in denen Crowdworker be-fragt wurden, bringen gerade etwas Licht ins

Dunkel der Wolke. Die erste unter Federfüh-rung von „Mister Cloud”, dem Wirtschaftsinfor-

matikprofessor Jan Marco Leimeister, wurde von derHans-Böckler-Stiftung unterstützt. (http://boeckler.de/64540_64701.htm) Forscher der Universität Kassel ana-lysierten 100 deutsche Plattformen und bezogen Ak-teure sogenannter Microtask-, Marktplatz-, Design-und Test-Plattformen in ihre Befragung ein. In die

Auswertung gelangten 486 Antwor-ten. Neben der Tatsache,

dass die Clickworker eherjung, etwas überwie-gend männlich,durchschnittlich seit16 Monaten und imSchnitt auf zwei Platt-formen parallel tätig

sind, erfuhren die For-scher: Für knapp 80 Pro-zent der Clickworker istihre Tätigkeit „nur” einNebenverdienst. Sie sindeher gut gebildet: fast dieHälfte verfügt über einen

Univer sitäts- oder Fachhochschulabschluss mindes-tens auf Bachelor-Niveau. Es gibt spezielle Plattfor-men, die gezielt Studentenjobs anbieten. Auf den De-sign-Plattformen jedoch waren 53 Prozent der Befrag-ten freiberuflich tätig. Insgesamt traf Selbstständigkeitauf 37,3 Prozent aller Cloudworker zu. Bemerkens-wert: Die Mehrheit der Freien gab an, lieber in eineFestanstellung zu wechseln, falls sich ihnen die Mög-lichkeit dazu böte.

13,7 Stunden pro Woche betätigten sich die befragtenClickworker im Schnitt mit Auftragsarbeiten aus derWolke. Nicht überraschen dürfte, dass 83 Prozent vonzu Hause arbeiten, 16 Prozent sprachen von „wech-selnden” Arbeitsorten. Nur 17 Prozent sind aus-

schließlich tagsüber aktiv, 23 Prozent gaben an,„abends” tätig zu sein und 50 Prozent vermeldetenwechselnde Arbeitszeiten. Die Angaben zu den Ver-diensten differierten sehr stark – von null bis eben10.000 Euro pro Monat. Ein Durchschnitt ergab 540Euro. David Durham vom Kasseler Forschungsteamerläutert dazu, dass unterschiedliche Geschäftsmodel-le auf den Plattformen und bewusst genutzte Hierar-chien bewirken, dass viele Cloudworker für ihre Arbeitletztlich gar nicht entlohnt würden. Design-Plattfor-men loben gern „Wettbewerbe” aus und versprechenein „Preisgeld” für den Gewinner. Das ist wörtlich zuverstehen. Bereits der Zweitplatzierte womöglichmehrerer Nachbesserungsrunden und alle anderenTeilnehmer gehen finanziell leer aus. Das birgt Frus-trationspotential. Grob ließen sich die Arbeitskräftein der Cloud in zwei Gruppen teilen: in relativ gut be-zahlte Spezialisten und ein „digitales Prekariat”. Fastdie Hälfte der Crowdworker bezeichneten ihre Entloh-nung selbst als „ungerecht” im Bezug auf ihre Quali-fikation, 28 Prozent haderten im Vergleich zu Er-werbstätigen außerhalb der Cloud und 19 Prozent sa-hen Gerechtigkeitsdefizite gegenüber anderen Cloud-workern. Alarmierend: 34 Prozent derer, dieWolken-Arbeit als ihren Hauptberuf angaben, erklär-ten, nicht krankenversichert zu sein. 53 Prozent be-jahten zumindest eine Rentenversicherung.

an erster Stelle: Spaß

Der digitale Produktivkraftsprung befördert offenbareinen Unterbietungswettbewerb bei den Ausführen-den: Die Masse der neuen „Heimwerker” sitzt am vielkürzeren Hebel gegenüber Plattformen und Auftrag-gebern. Von „Machtbalance” kann keine Rede sein.Mitbestimmungsrechte sind für Cloudworker nichtvorgesehen, Organisation wird schon durch die AGBder Plattformen erschwert. Herauszufinden, wie Ar-beits- und soziale Bedingungen von den Crowdwor-kern selbst empfunden werden, war Bestandteil einerzweiten Untersuchung von Wissenschaftlern des Ber-liner Alexander von Humboldt Instituts für Internetund Gesellschaft, die von ver.di gefördert wurde.(http://tinyurl.com/zefohgr) Über Jovoto, eine Krea-tiv-Plattform, sowie eine IT-Crowdworking-Plattformwurden dabei 165 Clickworker befragt. Etliche Anga-ben – etwa zu Bildungsniveau und Zeitaufwand –bestätigen Befunde aus der ersten Studie. Nach derMotivation für die Tätigkeit im Netz gefragt, stand inStudie 2 „Spaß” an erster Stelle, gefolgt von „Zuver-dienst” und „Erlernen neuer Fähigkeiten”; auch„Wertschätzung zu erlangen” ist vielen wichtig. „Le-bensunterhalt” stand unter den gewählten Antwort-möglichkeiten an letzter Stelle. Dagegen wird Flexibi-lität geschätzt. Auch die (anonyme) Community seifür die Clickworker „offensichtlich ein wichtiges Ele-ment”, das Schutz und Unterstützung, zumindestaber ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermittele,stellen die Autoren fest. Die Arbeit der Cloudworkervon außen zu unterstützen, hielten die meisten Be-fragten für sinnvoll: vorrangig durch Evaluierung von

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Dieser tage werden ergebnisse einer dritten, umfassenderen Studie erwartet,an der sich ver.di, Ig Metall sowie der europäische gewerkschaftsdachverband unI beteiligten.Die Crowdworking-Befragung bezieht auch „analoge” tätigkeiten ein, die durch das netz ver-mittelt werden, etwa über Plattformen wie uber, Myhammer oder helpling.

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Plattformen oder durch die Zertifizierung dort gelten-der Arbeitsalgorithmen. Auf die Organisationsfähig-keit von Gewerkschaften setzen die Crowdworker da-gegen wenig. Knapp ein Drittel erwartet „heute nicht,dass Gewerkschaften die Rahmenbedingungen ihrerArbeit verbessern” könnten. Am ehesten sei denkbar,dass Gewerkschaften „Crowdworker beraten”, „alsneutrale Stelle” fungieren oder dass sie „bei Konflik-ten schlichten” könnten.

nicht im rechtsfreien raum

IG-Metall-Vize Christine Benner kritisiert Ausbeu-tungsverhältnisse in der Cloud „wie zum Beginn desIndustriezeitalters”. Bedingungen für „Gute Arbeit”sieht man auch bei ver.di weit entfernt. Dass „sichCloudworking ungeachtet aller möglichen oder rea-len Vorzüge für viele Akteure bislang als vornehmlichprekäre und nicht selten ausbeuterische Form der Er-werbsarbeit zu etablieren scheint”, gibt Lothar Schrö-der zu bedenken. Das müsse die Gewerkschaften aufden Plan rufen, so das für Innovation und Gute Arbeitzuständige ver.di-Bundesvorstandsmitglied. Durchdas digitale Outsourcing gerieten sämtliche an denArbeitnehmerstatus geknüpfte Errungenschaften –Mindestlöhne, Arbeitsschutz, Urlaub, Krankenversi-cherung, Altersvorsorge – unter Druck. Die in derCloud seien gänzlich außen vor. Denn als Arbeitneh-mer oder arbeitnehmerähnlich dürfte nur ein gerin-ger Teil einzustufen sein. Das Gros der formal Selbst-ständigen genießt keinerlei arbeitsrechtlichen Schutz,ist für solcherart Tätigkeit weder sozialversichert nochhat es eine Interessenvertretung. Arbeitsrechtler wieWolfgang Däubler betonen jedoch: „Die möglicher-weise bei manchen Arbeitgebern vorhandene Feststel-lung, Crowdworking könne sich praktisch im rechts-freien Raum vollziehen, trifft so nicht zu.” Däublermahnt an, dass die Unterschreitung von Tariflöhnenum mehr als zwei Drittel sittenwidrig sei und Entgelte„nicht Gegenstand einer Lotterie” sein dürften.

Hase oder igel sein?

„Das Cloudworking-Phänomen hat bei uns nochnicht breit um sich gegriffen, aber es hat eine Dyna-mik”, schätzt Nadine Müller ein, bei ver.di für Inno-vation und Gute Arbeit zuständig. Deshalb kümmereman sich verstärkt darum, wolle Beratungsangeboteattraktiver und besser auffindbar auf der ver.di-Web-site machen. Seit mehr als einem Jahr existiert eineBeratungsseite unter www.wir-sind-mehr-wert.de, die

auf Erfahrungen der Selbstständigenberatung Media-fon aufsetze. Künftig wolle man auch direkter auf sol-che Erwerbstätige zugehen und mit ihnen gemeinsamInteressenvertretung organisieren. Nicht nur der DGBfordert ein gesetzlich festgelegtes Mindesthonorar fürSolo-Selbstständige, darüber hinaus eine Erwerbstäti-genversicherung, die auch für Crowdworker geltenwürde. Auf der Digitalkonferenz re:publica verlangteIG-Metall-Vize Benner erneut gesetzliche Regelungenfür die Arbeitsbedingungen in der Cloud. Von Daten-und Urheberschutz ganz zu schweigen. Bundesar-beitsministerin Nahles hat im Zusammenhang mit„Arbeit 4.0” schon laut über eine Altersvorsorge für„digitale Tagelöhner” nachgedacht. Bis Jahresendesind aus dem Ministerium Vorschläge angekündigt.Beim Crowdsourcing-Verband sieht man bereits eine„regulatorische Welle auf das deutsche Crowdworkingzurollen”.

Das dürfte übertrieben sein. Allerdings werden Forde-rungen nach Mindesthonoraren für Selbstständige auchaußerhalb von Gewerkschaften lauter. Das erlebt Gun-dula Lasch von der ver.di-Selbstständigenkommissionin Debatten. Sie steht für momentan 30.000 freie undselbstständige ver.di-Mitglieder und ist überzeugt: „Ei-ne Chance, dass ver.di gestalterisch mehr leistenkann, gibt es nur, wenn auch zwischen den Fachbe-reichen Grenzen überwunden und Kräfte gebündeltwerden.” Cloudworking beträfe den IT-Bereich ebensowie Texter, Übersetzer oder Beschäftigte im Handel.„Schon innerhalb des Medienbereiches muss mansich anders aufstellen”, ist Journalistin Lasch über-zeugt, da Content bereits heute und zunehmend „me-dienübergreifend produziert” werde. Wenn Gewerk-schaften künftig ihrer Rolle als „zentrale Schnittstellezur Vertretung gemeinsamer Interessen” gerecht wer-den und eine Verbindung zu den Clickworkern her-stellen wollen, würden sie – so übrigens ein Fazit derzweiten Studie – nicht „umhinkommen, ebenfallsPlattformen zu bauen”. Helma Nehrlich <<

MeDIenWIRtSChaft

im Vergleich zur Führungsetage dieses (Plattform-d.r.) Unternehmens waren die Sklaventreiber in den SüdstaatenGutmenschen und die taktgeber auf den Galeeren liebe onkels. doch das ist egal, solange der Profit stimmt und fürjeden Mitarbeiter, der das Handtuch wirft, zwei neue anfan-gen. (netzbewertung von Melitta123)

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leimeister undseine forscherkollegen unter-scheiden nach deren Profilfünf grundsätzliche Plattform-arten: Microtask-Plattformen wieClickworker, Mylitteljob.de u.a.Marktplatz-Plattformen wieCrowdguru, content.de oderupwork.comdesign-Plattformen wie designenlassen.de oder 12designertesting-Plattformen wie testbirds.de odertesttailor.cominnovations-Plattformen wieJovoto oder unseraller.de

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Beschäftigungsstatus der Crowdworker (in Prozent)

angestellt

keine bezahlte tätigkeit(Schüler, Student, arbeitslos, etc.)

Selbstständig/freiberuflich

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weitere themeninformationen und Beratungsangebote finden sich unter: https://innovation-gute-arbeit.verdi.de/themen/crowd work

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It-CrowdQuelle: Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft

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Schon entdeckt?Engagierte Medien abseits des Mainstreams gibt eszunehmend mehr. Sie sind hoch interessant, aber oftwenig bekannt. deshalb stellt M in jeder gedrucktenausgabe und auf M online einige davon vor.

Oxi und oxiblog.de

„ein ‘nein’ fehlt meist in der Berichterstattung zu ökonomi-schen themen.” Diese Beobachtung hält der Publizist WolfgangStorz, ehe maliger Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, imeditorial seiner neuesten Zeitung fest. Die heißt Oxi, griechischfür „nein”, und ist seit dem 10. Mai an Kiosken zu haben. Im Juli2015 hatte griechenland bei der Volksbefragung zu den auf -gezwungenen Sparmaßnahmen mehrheitlich „oxi” (sprich:„ochi”) gesagt. In diesem geist soll nun eine neue Zeitung gemacht werden. Dazu gibt es das Oxiblog, mit täglich einemneuen artikel.

Wie lange es Blog und Monatszeitung geben wird, hänge vomerfolg der ersten ausgabe ab, sagt Storz im M-gespräch. Im Juniwerde entschieden, ob es bei der nun erschienenen ausgabebleibt, oder ob der Versuch auf ein ganzes Jahr angelegt wird.Die entscheidung wird wohl am Berliner franz-Mehring-Platzfallen. Der dortige Sitz der Zeitung Neues Deutschland wirdauch als Redaktionsadresse von Oxi angegeben. Der nD-Verlaghat das neue Blatt mit einer anschubfinanzierung unterstütztund zudem einer nD-Wochenendausgabe beigelegt. Chefredak-teur tom Strohschneider firmiert als Mitglied der Oxi-Redak -tion, und auch der trägergenossenschaft. erstellt wurde die Zeitung auf grund der unklaren Zukunft nicht von einer festenRedaktion, sondern von einem „netzwerk” sympathisierenderPublizist_innen, zum teil ebenfalls genossenschaftsmitglieder,erklärt Storz. alle hätten (niedrige) honorare erhalten.

Die 24-seitige erstausgabe enthält so einige bekannte namenin den autor_innenzeilen. Inhaltlich ist der Rote faden die Bedrohung, die der Kapitalismus für das Soziale darstellt, aus-führlich aufgezeigt am Bildungssystem. erfrischend ist die entscheidung, schon die ganze Seite 3 mit einem wirtschafts-soziologischen text zu füllen. eine sehr informative Doppelseitebehandelt ethische Banken und ihre Stellung in der Branche.gegen ende gibt es eine ebenfalls interessante (aber mit Zita-ten überladene) Seite zum frühsozialisten Robert Owen undseiner heutigen Relevanz. generell berichtet Oxi vor allem überWirtschaft und gesellschaft, weniger über Wirtschaftspolitik.Kurios ist eine anzeige im Impressum des Oxiblogs: gesuchtwerden autor_innen, die anonym schreiben, „weil ein Beitragfür Oxi sie mit ihrer arbeit für andere Medien in Konflikt bringenkönnte”. entsprechende Kontakte gebe es bereits, sagt Storz.Offensichtlich wird in manchen Redaktionen das „Ja”-Sagen er-zwungen. Ralf Hutter <<

Starker Einsatz für „Martini“ KüsterEin Preis von Schauspielverband und ver.di

m Rahmen des Deutschen Schauspielerpreiseswurde erneut der Sonderpreis „Starker einsatz”verliehen. Die von der ver.di-filmunion in Ko-operation mit dem Bundesverband Schauspiel(BffS) vergebene auszeichnung soll den fokus

auf jene Menschen am Set richten, die Verantwortung für ein fai-res und wertschätzendes Miteinander sowie für gute arbeitsbe-dingungen übernehmen. Die Wahl fiel in diesem Jahr auf den In-nenrequisiteur Martin Küster, bei seinen Kolleg_innen besser be-kannt unter dem Spitznamen „Martini”. In seiner laudatio hobSchauspieler Wanja Mues hervor, wie es Küster auf erstaunlicheWeise gelinge, Menschen zu verbinden: „er macht aus einem Seteine gemeinschaft von Menschen, die sich wieder daran erin-nern, dass sie den film lieben.” Denn nach einer Woche mit 14-Stunden-tagen könne man schon mal vergessen, dass mandiesen Job nicht mache, weil man dazu gezwungen worden sei,sondern weil man den film und filme eben liebe.

„angesichts eines auf allen ebenen immer weiter erodierendenSozialgefüges, angesichts des schleichenden abbaus unserer altersversorgung, angesichts seit Jahren zu knapp bemessenerBudgets, zu langer Drehtage und zu kurzer Drehzeiträume kannman schon mal den eindruck haben, im falschen film zu sein”,so Mues. und eben deshalb brauche es am Set filmschaffende,die sich für ihre Kolleg_innen und für faire arbeitsbedingungeneinsetzen, die aber nicht auf Veränderung warten, sondern ein-fach schon mal damit anfangen, zu verändern. Martin Küster seiso ein filmschaffender. einer, der den Mund aufmache, wenn et-was falsch läuft und der zu seinen leuten stehe und sich vor siestelle. und weil es noch viel mehr von diesen Menschen brauche,betonte Mues, dass diese auszeichnung auch als Statement dafürzu verstehen sei, dass es sich lohne, sich für gute Bedingungenund ein gutes Miteinander am Set stark zu machen. Die ehrungMartin Küsters mit dem „Starken einsatz” solle seinen Kolleg_in-nen am Set deshalb Mut machen, es ihm gleich zu tun.

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ver.di-Preisträger Martin "Martini" Küster mit seiner SchwesterStephanie Luttke nach der Verleihung des Starken Einsatzesbeim Deutschen Schauspielerpreis 2016 im Berliner Zoo-Palast

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Page 22: mmm.verdi.de MENSCHEN Jahrgang 65 MACHEN Click mit ......Annette Hess zu den renommiertesten Drehbuchautor_innen Deutschlands. Die dritte Staffel, die für die 49-jährige auch die

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assenleaks stellen Journalist_innenvor besondere Herausforderungen:Wie sollen sie ihre Geschichten indem Datenwust von Millionen Da-teien finden? Und welchen Anfor-

derungen muss ihre Datenanalyse genügen, zumal dieAnsprüche des Publikums an eine professionelle In-formationsaufarbeitung steigen? Eine Erschließungder Daten über eine Suchfunktion, wie sie die Süddeut-sche Zeitung vorgenommen hat, gehört mittlerweilezu den Basics. Die automatische Auswertung darf hierallerdings nicht stehen bleiben, mahnen Datenprofis.Denn sonst prägen unvermeidlich die Absichten undFähigkeiten der Rechercheure die Ergebnisse zu stark.2,6 Terabyte Daten, „das bislang größte Datenleck”sagt die Süddeutsche Zeitung. Auch sonst sind die„Panama Leaks” ein Projekt der Superlative: Sie ent-halten 11,5 Mio. Dokumente aus rund 40 Jahren, dieunter der Federführung von SZ und des „InternationalConsortium for Investigative Journalists” (ICIJ) vonfast 400 Journalist_innen aus mehr als 80 Ländern imZeitraum von einem Jahr ausgewertet wurden. Dieses Zahlenmantra findet sich immer wieder in denBerichten über die „Panama Leaks” – aber was genausagen sie über die Qualität der Rechercheergebnisseaus? Erst einmal wenig – und die Kritik an den Veröf-fentlichungen rund um die Panama Papers zeigt, dasssich Journalist_innen zunehmend neuen Anforderun-gen an ihre Profession ausgesetzt sehen. Sie müssengleich staatlich beauftragten Ermittlern möglichst alles auswerten – und möglichst objektiv bewerten.

Maschinelle aufarbeitung

Ein Blick auf die Analysemethode, die das „Interna-tional Consortium for Investigative Journalists” (ICIJ)den Journalist_innen für die „Panama Papers” vorge-geben hat, ist deshalb notwendig: Die geleakten Daten lagen zunächst als E-Mails, Bilder, Datenbank-formate, Word-Dokumente, Power-Point-Dateien, Ex-cel-Dateien und eingescannte Dokumente im PDF-Format vor. Über die Auswertungsmethode berichte-ten die SZ-Journalist_innen, dass das ICIJ die Scans,die aus technischer Sicht zunächst Bilder darstellen,mit einem optischen Erkennungssystem (OCR) bear-beitete, um den darin enthaltenen Text in maschinen-lesbaren Text umzuwandeln. In einem weiterenSchritt wurden die Dokumente in eine Datenbanküberführt und indexiert.

Für diesen Prozess verwendete das ICIJ das ProgrammNuix, das auch von Ermittlungsbehörden verwendetwird. Das ICIJ hatte es bereits bei den „Offshore Leaks” im Jahr 2013 eingesetzt. Zwei Wochen dauertees, die MossFon-Dateien elektronisch lesbar zu machen. Dabei indexierte das System den Text underschloss die Metadaten, aus denen hervorgeht, werdie Datei wann erstellt und geändert hat. Ein Drittelder Daten konnte danach als Duplikat erkannt undwegsortiert werden. Die Journalisten griffen anschlie-ßend über eine Suchmaske auf die in einer Datenbankerfassten Dateien zu.

Die Suchergebnisse zeigten, in welchen Dateien einName auftauchte. Die Analyse der Daten erfolgte da-mit weitgehend händisch durch die Journalisten. Sogriffen sie beispielsweise auf Listen der Parteispenden-Affäre oder auf die UN-Sanktionsliste zurück, was eineschnell zu produzierende Skandalisierung ermöglicht.Datenanalytikerin Annette Brückner (Blogs: police-it.org und cives), die selbst große Datenauswertungenfür Untersuchungsausschüsse und Sicherheitsbehör-den begleitet hat, erklärt, „dass eine solche Suche im-mer nur die Hypothese verifizieren kann, die manvorher aufgestellt hat.” Sie hält eine derart vorgenom-mene Auswertung für „eine sehr subjektive Ange -legenheit, da sie abhängig von den Absichten und Fä-higkeiten des Fragestellers ist.”

Man findet, was man suchtPanama Papers: Hoher anspruch der Öffenlichkeit an die auswertung

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stellenden Volltextsystem sei die Sache getan”, meintAnnette Brückner, „zumal sie die notwendigen finan-ziellen und technischen Mittel zum Aufbau einer sol-chen Index-Datenbank wahrscheinlich von keinemVerlag finanziert bekommen.” Gleichwohl sei aber zuerwarten, dass sich die Journalist_innen die Begrenzt-heit ihres Ansatzes bewusstmachen und diesen offen-legen.

Ursprünglich hatte die SZ eine Veröffentlichung desgesamten Datenbank-Korpus mit dem Argument ab-gelehnt, dass damit unter Umständen der Whistleblo-wer enttarnt werden könne. Anfang Mai hat das ICIJaber einen Teil der Daten in Form einer Datenbankdennoch veröffentlicht. Erste organisierte Auswertun-gen fanden bereits statt, so etwa im Rahmen einesHackathons in Brüssel. Es ist aber zu bezweifeln, dasssolche Auswertungsmarathons wesentliche Erkennt-nisse bringen werden, da für die Analyse wichtige Da-teiinhalte wie Bankkonten, E-Mails und Finanztrans-aktionen vor der Veröffentlichung entfernt wurden.Auch lassen sich die Eigentümer der Schattenfirmenkaum rekonstruieren, da diese oftmals nur in den E-Mails und internen Notizen genannt werden.Gleichwohl kann mit den Daten wohl die Rolle derBanken und Anwaltskanzleien untersucht werden, dieals Mittelsmänner auftreten.

Selektive Wahrnehmung

Schon sehr früh wurde die Publikationsstrategie derSüddeutschen Zeitung an den Pranger gestellt. Eine Kri-tik lautete: Sie vernachlässige die Amerikaner, wäh-rend sie Putin in den Mittelpunkt ihrer Skandalisie-rung rücke. Der jedoch sei gar nicht Bestandteil desLeaks, sondern nur seine Freunde. Die Kritik ist inzwi-schen weitgehend verstummt. Inzwischen ist ja ge-klärt, dass die USA kaum Bedarf an Briefkastenfirmenhaben, da einige ihrer Bundesstaaten selbst Steuer -oasen darstellen.

Neue Kritik wendet sich nun gegen die zurückhalten-de Berichterstattung über deutsches Finanzgebaren.Nur wenige neue Akteure aus Deutschland wurdenbisher ans Licht gebracht, wie eine inzwischen auf Wikipedia eingerichtete „Liste von Personen, die inden Panama Papers genannt werden” zeigt, obgleichnach SZ-eigenen Berichten über tausend Deutsche inden Dokumenten auftauchen sollen. Dafür hatten dieProtagonisten verjährter Skandale ihren Auftritt, so et-wa der altgediente Helfer der deutschen Sicherheits-dienste, Werner Mauss, und die Schmiergeld-erfahre-nen Siemensianer. Noch nicht wurde hingegen dieSteuer- und Immo bilienmarktpolitik der Bundesregie-rung beleuchtet. Das könnte sich lohnen, da eineNetzwerkanalyse der Parteispenden bei Zeit onlineschon vor Jahren eine auffallende Nähe der Immobi-lienbranche zur CDU aufgezeigt hat. Aufgrund derDatenbankbereinigung ist das aber mit den jetzt ver-öffentlichten Daten nicht von Dritten umzusetzen. Christiane Schulzki-Haddouti <<

DatenanalYSe

Laut einem Screenshot von Nuix kann das Auswer-tungssystem bestimmte Zusammenhänge auf einerZeitleiste anzeigen. Doch wesentliche weitere Analyse-schritte bleiben seitens des Systems aus. So hätten et-wa die relevanten Inhalte aus den erfassten Volltextenautomatisch extrahiert werden können: Ein auf semantische Auswerteverfahren gestützter Prozesskönnte Personen- und Firmennamen, Adressangaben,Telefonnummern, Steuernummern und andere Ob-jekte wie etwa Frachtcontainer automatisch extrahie-ren. Damit könnten in einem weiteren Schritt Be -ziehungen zwischen verschiedenen Personen überAdressen, Bankkonten, Kreditkartennummern undMittelsmänner grafisch dargestellt werden. Dieser Datenbestand könnte schließlich auf bestimmte Re-gionen, etwa Deutschland begrenzt werden, meintBrückner. Über solche systematischen Analyse-Schrit-te ist aber in den Berichten der SZ nichts zu lesen.

algorithmen zur Mustererkennung

Der Anspruch der Öffentlichkeit an die Auswertungvon Massenleaks ist inzwischen hoch: Nicht der jour-nalistische Scoop wird goutiert, sondern eine mög-lichst hohe Objektivität. Dies legt eine an professio-nell-wissenschaftlichen Maßstäben orientierte Aus-wertung nahe. Christian Nietner, Experte für MachineLearning-Algorithmen sagt, dass „ein wesentlicherTeil der Auswertung gar nicht in der Konsolidierungder Daten besteht, sondern im Aufdecken und Vali-dieren von unbekannten und eventuell auch nicht offensichtlichen Mustern und Zusammenhängen inden Daten.” Mit Algorithmen zur Mustererkennungkönnten automatisiert semantische, temporale, geo-grafische oder thematische Zusammenhänge in Tex-ten, und Bildern erkannt und sichtbar gemacht wer-den. Christian Nietner: „Sollten die herausragendenMöglichkeiten der Data Science dazu nicht oder nichtrichtig genutzt worden sein, wäre das fahrlässig.”

Die Erstellung einer solchen Datenbank kann Monatedauern. Über diesen Arbeitsschritt hat aber die SZ nieberichtet. „Man muss ein gewisses Verständnis dafürhaben, dass technisch unerfahrene Journalisten glau-ben, mit einem mit ihren Mitteln relativ leicht zu er-

Webseiten

the International Consortiumof Investigative Journalistshat die Internet-Seite https://panamapapers.icij.orgetabliert, auf der Informatio-nen – ebenso wie bei derSüddeutschen Zeitung –http://panamapapers.sued-deutsche.derund um das thema verfüg-bar sind.

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Bis zur Geburt ihres ersten kindes ver-lief ihr leben ohne große komplikatio-nen. dann kam ihre tochter mit einemseltenen Gendefekt auf die Welt und diefreie Journalistin Mareice kaiser er-kannte: nichts im leben ist wirklichplanbar. Wie sie trotz des Schicksals-schlags in ein glückliches und erfülltesFamilienleben fand und Beruf und Fa -milie mit der Pflege eines behindertenkindes verbindet, erzählt die Journalis-tin im interview. M gibt das in dem Buch„kinder + karriere = konflikt? – denkan-stöße für eine deutsche debatte” vontina Groll veröffentlichte Gespräch ineiner gekürzten Fassung wider.

Sie sind berufstätige zweifache Mut-ter. Für die meisten wäre schon daseine Herausforderung. Ihre ältesteTochter kam mit einem seltenenGendefekt zur Welt und ist mehrfach-behindert. Wie schaffen Sie das?Ich schaffe es, weil ich es will. Leicht istdas nicht immer, aber mir ist meine Ar-beit wichtig. Ich arbeite gerne – und ichbin gerne Mutter. Inklusion bedeutet fürmich eben nicht nur, dass meine behin-derte Tochter mit nicht behinderten Kin-dern zusammen eine Kita besucht, son-dern auch, dass ich als ihre Mutter eineneinigermaßen normalen Alltag lebenkann. Dazu gehört für mich eben auchmein Job. In unserer Familie klappt dasganz gut, weil der Vater meiner Kinderund ich uns die Care-Arbeit möglichstgleichberechtigt aufteilen. Problematischist für mich nach wie vor das traditionelleFamilienbild, das sich in einer Familie mitbehindertem Kind nochmal stärker zeigt.

Wie meinen Sie das?Unsere behinderte Tochter ist oft krank,und wenn mein Mann mit dem Kind insKrankenhaus fährt und ich später nach-

komme, werde ich schon böseangeguckt. Frei nach dem Mot-to: Eine Mutter hat bei ihremKind zu sein, besonders wennes krank ist.

Sie bloggen unter Kaiserin-nenreich.de über Inklusionund das Leben mit zwei Kin-dern, mit und ohne Behinderung. Wie kam es dazu?Das Blog war zum einen ein Mittel, dieGeburt meiner behinderten Tochter zuverarbeiten, zum anderen ist es auch einSchritt zurück in die Berufstätigkeit. Undnatürlich hat unsere Tochter unser Lebenverändert. Ohne sie hätte ich als Journa-listin und Bloggerin das Thema Inklusionvermutlich nicht gefunden.

Was wäre anders gelaufen?Das lässt sich ja nie sagen, nur vermuten.Ich habe vor der Geburt unserer Tochterein recht karriereorientiertes Leben ge-führt. Ich war fixiert auf meinen Berufund berufliches Vorankommen. Arbeithat heute nicht mehr die oberste Priori-tät. Aber ein Leben ohne Berufstätigkeit –nur mit Familie und Pflege des Kindes –das würde für mich auch nicht infragekommen.

Ihre Tochter war ein Wunschkind. Biszu ihrer Geburt war nicht abzusehen,dass sie nicht gesund sein würde.Die Kleine kam zur Welt und benötigtesofort Sauerstoff. Die Ärzte brachten un-sere Tochter auf die Intensivstation. Stun-denlang wussten wir gar nicht, ob sielebt. Irgendwann kam die Ärztin ohneunser Baby herein und teilte uns mit, dassunsere Tochter lebte. Sie war völlig ver -kabelt – nichts war so, wie es hätte seinsollen. Drei Monate lang hat es gedauert,bis wir wussten, was eigentlich los war. Es

gab auch einige Fehldiagnosen. Wir ha-ben dann selbst recherchiert und fandenmithilfe von Humangenetikern heraus,dass sie einen äußerst seltenen Chromo-somenfehler hat, der nur ein einziges Malauf der Welt dokumentiert ist.

Wie hat ihr Umfeld reagiert?Mit sehr viel Unsicherheit. Viele Bekann-te haben sich zurückgezogen, verhieltensich so, als sei unser Kind gestorben. Gra-tuliert haben uns nur wenige – was ver-rückt ist, denn wir waren ja trotzdem El-tern geworden. Einige Freunde habenaber ihre Unterstützung angeboten. Einpaar kamen ins Krankenhaus, andere ha-ben für uns Suppe gekocht. Ganz wichtigwar für mich, als Freunde unsere Tochterbeim Namen genannt haben – denn daszeigte, dass sie mein Kind als Mitglied derFamilie akzeptierten. Ein schwerbehin-dertes Kind zu bekommen vergrößert wieeine riesige Lupe die Qualität der Bezie-hungen, die man zu Freunden, Bekann-ten und Angehörigen hat. Und manch-mal trennen sich Wege auch.

Wie hat Ihr Arbeitgeber reagiert?Ich war freiberuflich tätig und wollte eigentlich nach sechs Monaten wieder ar-beiten. Der Vater meiner Tochter hattedrei Monate Elternzeit genommen undwollte dann wieder mit 30 Stunden proWoche als Texter in einer Agentur arbei-ten. Es war dann aber gar nicht absehbar,ob und wann ich wieder arbeiten könnte.

Mareice kaiser, Journalistin und Mutter zweier kinder, eins ist schwerbehindert

Nichts ist wirklich planbar

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Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden, damit sich Beruf undFamilie mit einem behinderten Kindüberhaupt vereinbaren lassen?Unsere Leistungsgesellschaft macht essehr schwer und natürlich auch, dass be-hinderte Kinder heute von vielen Men-schen als etwas angesehen werden, was„vermeidbar” gewesen wäre. Eltern vonbehinderten Kindern werden außerdemselten dazu ermutigt und wenig dabei un-terstützt, berufstätig zu sein. So wurde ichvon einer Mitarbeiterin der Agentur fürArbeit gefragt, warum ich denn über-haupt arbeiten gehen wollte. Denn mitPflegegeld könnte ich doch auch aufsto-ckend Arbeitslosengeld II beziehen undmich dann ganz um mein Kind küm-mern, damit hätte ich ja genug Stress.Dass Arbeit aber auch gesellschaftlicheTeilhabe bedeutet, Unabhängigkeit, einStück Normalität und insofern auch einewichtige Kraftquelle sein kann, das warfür die Beraterin ein ganz neuer Aspekt.Prinzipiell wünsche ich mir eine offeneGesellschaft, in der Menschen mit einerBehinderung willkommen sind. Ändernsollten sich einige Rahmenbedingungen.Es müssten Angebote für Familien mitschwerbehinderten Kindern geschaffenwerden, die auch von den Kassen undÄmtern übernommen werden. Die Büro-kratie rund um ein behindertes Kind istoft kräfteraubender als die Pflege des Kin-des selbst. Arbeitgeber müssten mehr Ver-ständnis haben. Politisch muss bei demThema Inklusion noch viel geschehen.Zwar gibt es heute viele Inklusionskinder-gärten und Schulen – allerdings bemerkeich noch oft Berührungsängste, wenn esum schwer mehrfach behinderte Kindergeht. Und was passiert danach? Unter-nehmen kaufen sich leider immer nochviel zu häufig frei, als einen schwer be-hinderten Menschen einzustellen. Ein Le-ben in einer Behinderteneinrichtungkann auch nicht die Antwort sein.

Wenn wir mit unserer Tochter das Hausverließen, hatten wir immer ein Sauer-stoffgerät für den Notfall dabei. Die Säug-lingspflege war sehr intensiv, unsereTochter hat mittlerweile die PflegestufeIII. Ihr Vater wurde nach kurzer Zeit vonseinem Arbeitgeber freigestellt, so konn-ten wir uns mit der intensiven Pflege un-serer Tochter abwechseln – und auch malmehr als zwei Stunden am Stück schlafen.Wir wussten nicht, ob unsere Tochter dieersten Monate überleben würde. Und wirhatten gleichzeitig kaum Zeit dazu, unszu sammeln. Denn wir waren ja ständigim Krankenhaus und bei Ärzten. Ich habezunächst ein volles Jahr Elternzeit ge-nommen, was auch die finanzielle Situa-tion etwas entspannt hat. Denn weil ichzuvor gut verdient hatte, bekam ich denHöchstsatz des Elterngelds. Nach undnach haben wir uns mit den finanziellen

Hilfen beschäftigt, die man mit einemschwerbehinderten Kind in Anspruch neh-men kann – Pflegegeld und Unterstüt-zung durch einen externen Pflegedienstetwa. Auch weil ein behindertes Kind viele teure Therapien und Hilfsmittel be-nötigt, die aber von den Krankenkassenzunächst einmal abgelehnt werden. Daskostet Zeit und sehr viele Nerven.

Sie haben sich bald für ein zweitesKind entschieden, obwohl Sie wuss-ten, dass die Wahrscheinlichkeit, dassauch dieses Kind behindert seinkönnte, bei 20 Prozent lag. Warum?Das waren egoistische Gründe. Ich wollteNormalität. Ich wollte ein gesundes Kindhaben – wie alle Eltern. Wir haben beimzweiten Kind alle Untersuchungen ma-chen lassen. Und das, obwohl ich bisheute nicht weiß, wie ich bei einer präna-talen Diagnose entschieden hätte. Allesging gut, zum Glück.

Wie waren die ersten Schritte Ihresberuflichen Wiedereinstiegs?Nach und nach zeigte sich, dass wir mitder Behinderung unserer Tochter so etwaswie einen normalen Alltag leben können.Auch wenn dieser anders ist als in Fami-lien, in denen die Kinder keine Behinde-rungen haben. Für uns war irgendwannauch klar, dass unsere Tochter in eine Kitagehen sollte. Da begann ich langsam wie-der, über Arbeit nachzudenken. Ich woll-te ein Blog zum Thema Inklusion starten.Mir war das Thema ja sozusagen vor dieFüße gelegt worden und ich hatte, jetztals Mutter, aber eben auch als Journalis-tin, ein großes Sendungsbewusstsein da-zu. Meine Recherchen hatten gezeigt,dass es hierzu noch kaum etwas gibt –und ich wusste, dass der Bedarf sehr großwar. Das ist auch eine Chance, unsere Ge-sellschaft behindertenfreundlicher zumachen.

Sie haben das Blog zunächst alsHobby begonnen.Es war ein Tool, um mir den Stress vonder Seele zu schreiben. Es hat gut getan.Ich schrieb, wann immer ich konnte. So-gar mit dem Laptop auf dem Spielplatz.Und das Blog kam an, die Zugriffszahlensind gewachsen. Mein Netzwerk erweiter-te sich und auf einmal kamen auch pro-fessionelle Anfragen über das Blog anmich als Journalistin. Aber mir fiel derSchritt zurück in den Beruf trotzdem sehrschwer. Weil ich mich wahnsinnig verun-sichert fühlte. In der Arbeitswelt interes-siert es keinen, wie stark du privat belastetbist. Da kommt es auf die Ergebnisse undLeistungen an. Ich war aber so lange ausdem Beruf raus und reduziert auf die Mut-terrolle, dass ich mich erst wieder darangewöhnen musste. Das war eine Heraus-forderung – aber eine, die gut getan hat.

Wer kümmert sich um die Kinder?Der Vater meiner Kinder arbeitet 25 Stun-den pro Woche in seiner alten Agentur.Daneben geht er in seiner Vaterrolle auf.Wenn unsere behinderte Tochter insKrankenhaus muss, bleibt er über Nachtdort. Im Alltag werden wir in den Näch-ten von einem Pflegedienst unterstützt.Durch ein großes Netzwerk, das ich orga-nisiert habe, kann ich verlässlich 30 Stun-den pro Woche als freie Journalistin ar-beiten. Es bedeutet viel Organisa tion fürmich – aber sie lohnt sich. Tagsüber besu-chen unsere Töchter gemeinsam einenKinderladen. Bis wir diesen gefunden hat-ten, war es allerdings eine Odyssee.

KInDeR + KaRRIeRe

ina Groll

kinder + karriere = konflikt?denkanstöße für eine deutsche debatte.Stark Verlagsgesellschaft mbh & Co.Kg, 2016, ISBn: 978-3-8490-1457-5, 17,95 eurowww.stark-verlag.de/produkte/ProduktDe-tail.asp?ID=e10800&St=1

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areice kaiser

alles inklusive: aus dem leben mit meiner behinderten tochtertaschenbuch, ISBn: 978-3-596-29606-4,14,99 euro. Voraussichtlich ab dem 24. november 2016 im Buchhandelwww.fischerverlage.de/buch/alles_inklusi-ve/9783596296064

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ournalisten sind scheußlich!”, ruft der republikanische Präsidentschaftskan-didat Donald J. Trump und zeigt mitdem Zeigfinger auf die Medien. „Ichwürde sagen, 75 Prozent der Journa-

listen sind nicht ehrlich. Mindestens! Es gibt auch einpaar nette, o.k. Aber die meisten sind es nicht!” DieTrump-Anhänger klatschen und schauen grimmig zur„press pen” rüber – was auf Deutsch übersetzt so vielwie „Medien-Gehege” heisst. Eine passende Bezeich-nung für die Gitterumzäunung im hinteren Dritteldes vollgepackten Saales. Darin eingepfercht sind dieJournalisten, die gekommen sind, um über eine wei-tere Wahlkampfrede des republikanischen Anwärtersfürs Weiße Haus zu berichten.

Alles andere als ideale Arbeitsbedingungen. Die meis-ten Medienvertreter_innen machen jedoch mit. Siehaben keine andere Wahl, wenn sie bei einer Trump-Veranstaltung dabei sein wollen. Und das wollen siealle. Sie nehmen auch in Kauf, dass sie vor dem Me-dieneingang stundenlang anstehen müssen – so etwain Iowa bei eiskaltem Wind und Minustemperaturen.Sie akzeptieren, dass sie von Trump-Anhängern be-schimpft werden. Die Kolleginnen und Kollegen vomNational Public Radio (NPR) wurden in einen Kurs ge-schickt, um zu lernen, wie man sich in einem aggres-siven Umfeld professionell verhält – etwas, was sonstnur bei Kriegsreportern getan wird, wie die Washing-ton Post in einem Artikel betonte. Zu Beginn desWahlkampfs war’s noch etwas einfacher. Oder norma-ler. Als Journalist_in hatte man die Möglichkeit, sichzuerst kurz etwas unter die Trump-Fans zu mischenund mit ihnen zu reden, dann erst ab in die „presspen”. Wenn man die Zeit etwas vergaß und die Inter-views etwas länger dauerten, dann war das auch keinProblem. Inzwischen wird jedoch genau kontrolliert,dass die Journalisten ohne Umwege ins „Gehege” ge-hen. Printjournalisten können sich als reguläre Besu-cher tarnen, der Radio-Korrespondent hat da mit sei-nem Mikrofon mehr Mühe.

Natürlich kann man Trump-Fans auch außerhalb vonWahlkampfanlässen anhauen und interviewen. Ab-lehnung und Skepsis verfliegen in der Regel, wennman erklärt, man komme aus der Schweiz und seineutral, gehöre also nicht zu den verhassten „Main-

Stream Media” (jene, die in den Augenvieler Trump-Fans links stehen und mitdem GOP-Establishment unter einer De-cke stecken). In der Regel wird dann ge-lobt, dass in der Schweiz jeder eine Waffezuhause habe – für den Reporter ist dasder Moment, bei dem er das Mikrofoneinschaltet und Fragen stellt – und keineDiskussion über die Schweizer Waffenge-setzgebung anzettelt.

Pöbeleien gern aufgegriffen

Damit keine Missverständnisse entstehen:Die Trump-Kampagne will sehr wohl, dass über sie be-richtet wird. Aber sie will auch steuern, wie und wo-rüber die Journalist_innen berichten. Und dass ist ihrbis jetzt recht gut gelungen. Die Medien in den USAund auf der ganzen Welt scheinen Donald Trump ver-fallen zu sein – seitenlang schreiben sie über ihn,stundenlang reden sie über ihn. Nicht erst seit letztemSommer, aber besonders oft, seit klar ist, dass derMann mit der rotblonden Helmfrisur ins Weiße Hauswill. Sie sind fasziniert und angewidert, verstört understaunt.

„Trump hat eine spezielle Gabe, auf Twitter und an-deren Social-Media-Kanälen politisch unkorrekte Aus-sagen oder Pöbeleien zu verbreiten, die von den Me-dien aufgegriffen werden”, erklärt Professor DavidKarpf von der George-Washington-Universität dasPhänomen. „Anders als reguläre Politiker kenntTrump kein Schamgefühl.” Das sorge für Wirbel undder wiederum für Schlagzeilen. Eine Feedback-Schlei-fe, die dreht und dreht. „Trump sagt jeden Tag so vielehaarsträubende Dinge. Die Journalisten können garnicht allen nachgehen. Und wenn sie mal einer Sacheauf den Grund gehen wollen, werden sie durch dienächste Provokation abgelenkt”, fügt der Medienpro-fessor an.

Dazu komme, dass man in den Redaktionen dank Einschaltquoten und Click-Zahlen genau sehe, wiepopulär Artikel und Beiträge über Donald Trump sei-en, sagt Karpf. Mit anderen Worten: Trump schockiert

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Fasziniert und angewiderttrump und die Medien – ein symbiotisches, aber kein gleichberechtigtes Verhältnis

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Er hat bereits angekündigt, dass er klagen gegen Journalisten ein facher möglich machen wolle. trump ist die Medien freiheit egal.

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und skandalisiert – und darüber zu berichten ist fürdie Medien gut fürs Geschäft. TV-Debatten mit Trumpsind Gassenhauer der Moderne und bescheren denTV-Sendern fette Einnahmen. Und im Internet istdie Trump-Show sowieso allgegenwärtig.

der reality-Star gibt den takt an

Nicht nur die Medien, auch Trump profitiert. Die Fir-ma Mediaquant hat berechnet, dass die bisherige Me-dienberichterstattung über den Geschäftsmann mehrals zwei Milliarden Dollar wert ist. Alle anderen Kan-didat_innen sind weit abgeschlagen. Kein Wunder, somusste Trump bis jetzt fast keine Werbespots schalten.Ein symbiotisches Verhältnis zwischen Trump undden Medien also. Aber kein gleichberechtigtes. DerReality-TV-Star gibt in dieser Zweierkiste klar den Taktvor. Für ihn sind die Medien ein PR-Arm. Wer ihnnicht lobt oder gar kritisiert, bekommt seinen Zorn zuspüren. Oft via Twitter, ungefiltert und meistens unterder Gürtellinie.

Es bleibt nicht nur beim verbalen Austeilen. TrumpsWahlkampfleiter Corey Lewandowski wurde in Flori-da angeklagt, weil er die Journalistin Michelle Fieldsder konservativen Internetplattform Breitbart Newsattackiert haben soll. Der Staatsanwalt hat das Verfah-ren kürzlich eingestellt. Ausländische Journalist_in-nen berichten, dass sie erstaunlich oft keine Akkredi-tierung erhalten für Anlässe mit Donald Trump – ihreBerichterstattung bringt keine zusätzlichen Wähler-

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> What a waste of time beinginterviewed by @anderson-cooper when he puts on reallystupid talking heads like timO’Brien-dumb guy with no clue!

> @politico covers me moreinaccurately than any othermedia source, and that is say-ing something. they go out oftheir way to distort truth!

> So the highly overrated an-chor, @megynkelly, is allowedto constantly say bad thingsabout me on her show, but I can’t fight back? Wrong!

> Sleep eyes @Chucktodd iskilling Meet the Press. Isn’t hepathetic? love watching himfail!

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Donald Trump in New York

stimmen. Beweisen lässt sich das freilich nicht. Nurselten erhält man mit der Absage die ehrliche Erklä-rung mitgeliefert, man gebe den nationalen und lo-kalen Medien den Vorrang.

Aber auch amerikanische Berufskolleginnen und -kol-legen landen schnell mal auf dem Trump’schen Index,wenn sie dem Präsidentschaftskandidaten zu kritischsind oder er mit deren Arbeit unzufrieden ist. Die po-litisch links stehende Zeitschrift Mother Jones hat kürz-lich über eine Reihe von Beispielen berichtet, bei de-nen Journalist_innen von Huffington Post, Univision,Politico oder National Review wenigstens vorüber -gehend keine Akkreditierungen mehr erhalten haben.

Was fair ist, definiert trump

Gut im Austeilen, schlecht im Einstecken? Er sei nichtdünnhäutig, wehrte sich Trump in einem Interviewmit der CBS-Fernsehsendung „60 Minutes”: „Ich habnichts gegen einen kritischen Artikel über mich, so-lange er fair ist.” Was fair ist, entscheidet freilich Donald Trump persönlich. Und für ihn ist kritisch oftwahnsinnig unfair. Und er vergisst nie. Noch heuteerwähnt er öffentlich Situationen, über die Journalis-ten nicht positiv genug berichtet hätten.

„Die US-Medien brauchen eine gut funktionierendeDemokratie. Und ich bin mir nicht sicher, ob wir einesolche haben würden unter einem PräsidentenTrump”, sagt David Karpf. „Er hat bereits angekün-digt, dass er Klagen gegen Journalisten einfacher mög-lich machen wolle. Trump ist die Medienfreiheitegal.“ Die Medien müssten realisieren, dass ihre Frei-heit unter einem Präsidenten Trump gefährdet sei,sagt der Professor. Umso erstaunlicher, dass die Me-dien nur an die nächste knackige Schlagzeile denken.Erst in jüngster Zeit wird vermehrt kritischer überTrump berichtet. Über Widersprüche. Über seine An-feindungen. Über seine politischen Ansichten, diesich in einem 24-Stunden-Newszyklus mehr als ein-mal ändern können. Die Website Politico dokumen-tierte neulich, dass Trump in einer einzigen Wochemindestens 60 falsche und fehlerhafte Aussagen ge-macht hat. Auch Blätter wie die New York Times be-ginnen, die Vergangenheit Trumps auszuleuchtenund seine politischen Aussagen stärker zu hinterfra-gen. Etwas, was schon viel früher hätte geschehen sol-len – so wie bei jedem anderen Kandidaten und jederanderen Kandidatin. Beat Soltermann <<

der autor Beat Soltermann ist USa-korrespondent von radio SrF in Washington. Sein artikel ist im Schweizer Medienmagazin„Edito” erschienen. Herausgeber: die SchweizerJournalisten, Schwei zer SyndikatMedienschaffender SSM undsyndicom – Gewerkschaft Medienund kommunikation.

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Synchronschauspieler sind nicht selbstständig

Bundessozialgericht zeigt den Weg für mehr rechtssicherheit auf

ynchronschauspieler_innen sind nicht selbstständig. Vielmehr handeltes sich bei ihrer tätigkeit um eine abhängige und damit sozialversiche-rungspflichtige Beschäftigung. Das verkündete das Bundessozialgerichtin Kassel ende april. Verhandelt wurde in zwei fällen die frage, wie dietätigkeit von Synchronschauspieler_innen sozialversicherungsrechtlich

zu beurteilen ist. auch wenn noch kein abschließendes urteil gefällt wurde,so stellten die Richter bereits klar, dass die art der tätigkeit eine abrech-nung auf Basis der Selbstständigkeit nicht zulässt.Damit bestätigten sie die Rechtsauffassung des landessozialgerichts Berlin-Brandenburg in der Vorinstanz sowie des Sozialgerichts Berlin, desSozialgerichts München und des landessozialgerichts München. Die dreigerichte fällten bereits urteile in vergleichbaren fällen, wonach die tätig-keit eines Synchronschauspielers nicht selbstständig abzurechnen ist, sondern als unständige Beschäftigung. Diese entscheidungen sind bereitsrechtskräftig.

hintergrund der Rechtsstreitigkeiten ist die seit einigen Jahren angewandteabrechnungspraxis bei der tätigkeit von Synchronschauspieler_innen.nachdem jahrzehntelang nicht in frage gestellt worden war, dass es sichbei diesen ungeschützten Berufen um eine abhängig Beschäftigung handelt, sorgte am 30. September 2005 ein Rundschreiben der Spitzenver-bände der Sozialversicherungsträger und das daraufhin von den Synchron-firmen vorgeschlagene sogenannte „16-fälle Modell” für heftige unruhe.Kern der neuen Betrachtung: Synchronschauspieler_innen sind selbststän-dig. Das an den Beschäftigungszeiten ausgerichtete abrechnungsmodellermöglichte den firmen eine unterschiedliche Interpretation und damit eine willkürliche anwendung. für die Synchronschauspieler_innen bedeutedas vor allem Rechtsunsicherheit. „Diese zu beseitigen, war und ist deshalbein Ziel der Klagen vor den Sozialgerichten. gleichfalls muss das willkür -liche Vorgehen der Sozialversicherungsträger gestoppt werden”, sagt tillVögler vom InteressenVerband Synchronschauspieler e.V. (IVS). Betrachtetman die aktuelle Rechtsbetrachtung des Bundessozialgerichts, dann seiklar: „Die Vorgehensweise der Sozialversicherungsträger widerspricht demSozialversicherungsgesetz. Sie ist damit rechtswidrig.”

Bis zu einem endgültigen urteil des Bundessozialgerichts wird jedoch nocheinige Zeit vergehen. es bedarf noch weiterer ermittlungen, „um abschlie-ßend feststellen zu können, welche art der abhängigen Beschäftigung inden konkreten fällen vorliegt. entweder müssen die einsätze der Synchron-schauspieler als „unständige” oder als „kurzfristige” Beschäftigung abge-rechnet werden. unzweifelhaft zum ausdruck brachten die Richter aller-dings: Wer überwiegend als Synchronschauspieler arbeitet, ist als unstän-dig Beschäftigter abzurechnen”, heißt es in einer Pressemitteilung des IVS.Zudem befinden sich acht, teils ruhend gestellte, weitere Verfahren zu die-ser frage vor verschiedenen gerichten in Deutschland. Sie werden durchden IVS finanziert und koordiniert und sollen nun wieder aufgenommenwerden.

angesichts der derzeitigen entscheidungen der Sozialgerichte mit der bis-herigen abrechnungspraxis unreflektiert fortzufahren, betrachtet der IVSals „grob fahrlässige Missachtung der gesetzlichen Regelungen”. Der Verbandstehe deshalb für baldige konstruktive gespräche mit der Rentenversiche-rung und den auftragsfirmen bereit, betont till Vögler. Karin Wenk<<

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Bilder als Dokument der Realität – was mutenwir dem Betrachter zu?

Opferfotos zwischenPressefreiheit

und Menschenwürde

Podiumsdiskussionim Rahmen des lumix festivals für

jungen fotojournalismus

am 18. Juni 2016 um 14 Uhr

im hörsaal des Design Centers,expo Plaza 2, 30539 hannover.

eintritt frei

Bilder haben eine emotionale Wirkungbeim Betrachter. Massenmedien nutzendiese Wirkung aus. Der Spagat zwischenjournalistischer haltung und auflagenstei-gerung bzw. Klickzahlen ist schwierig. DasPro und Kontra einer Veröffentlichung wirdoft heftig in den Redaktionen diskutiert.ethische fragen rücken dabei oft in denhintergrund. Die Verantwortung tragen dieRedaktionen, nicht allein der fotograf.Brauchen wir Regeln im umgang mit ge-waltdarstellungen in den Medien.

es diskutieren: Christoph Bangert, fotografund Buchautor „War Porn” (Köln); andreasfischer, Vorsitzender der Kommission fürJugendmedienschutz (Berlin), Direktor derniedersächsischen landesmedienanstalt(hannover); Sigrun Müller-gerbes, Mitgliedim Deutschen Presserat, Redakteurin „neueWestfälische” (Bielefeld); Julian Reichelt,Chefredakteur bild.de (Berlin); andreastrampe, leiter Bildredaktion Stern (ham-burg) und Michael Pfister, leiter Bildredak-tion Zeit Online (Berlin)

Begrüßung: udo Milbret, fotograf Moderation: Steffen grimberg, Journalist

information und anmeldung:andreas Fischer, 030 – 206 46 900

eMail: [email protected]

Udo Milbret, (dju in ver.di): Mobil 0171 – 535 59 66;

eMail: [email protected]

eine anmeldung ist für all jene erforder-lich, die kein eintritts-armband für daslumix-festival kaufen möchten. Bitte

melden Sie sich bis zum 15.6. an unter:http://tinyurl.com/zz8mqat

BeRuf

Pressemitteilungdes interessen -

Verbands Synchron -schauspieler e.V.

http://tinyurl.com/ivs-270416

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höhungsangebot vorgelegt, sondern statt-dessen auf die gewerkschaftliche forde-rung von 4,5 Prozent gehaltserhöhung mit„unkonkreten gegenforderungen” reagiert.nach 19 Monaten seit einer letzten er -höhung um 1,9 Prozent verzögerten die Ver-leger die Verhandlungen und wollten diegespräche auf Berufsjahresstufen, aner-kennung von Studienzeiten und Volontärs-entgelte ausweiten. eine solche Verbindungmit Strukturfragen des gehaltstarifs kriti-siert ver.di und fordert stattdessen einedeutlich bessere entlohnung. nächster Ver-handlungstermin: 22. Juni.

ergebnislos war im april die dritte Verhand-lungsrunde für die über 14.000 festen undfreien Journalist_innen an tageszeitungenabgebrochen worden. als „ungenügend”bezeichnete der stellvertretende ver.di-Vor-sitzende frank Werneke ein angebot derZeitungsverleger, das eine gehaltserhöhungvon zwei Prozent ab 1. Mai 2016, also nachvier leermonaten, für zwei Jahre vorsah. Die Verhandlung in Berlin war von erstenStreiks und aktionen in drei Bundesländernbegleitet worden. Im nordrhein-west -fälischen Ostwestfalen-lippe, in Stuttgart,Mannheim, Oberndorf und ludwigsburg be-kräftigten rund 300 Streikende die forde-rung der Deutschen Journalistinnen- undJournalisten-union (dju) in ver.di nach fünfProzent mehr geld für fest angestellte wiefreie Redakteur_innen, mindestens aber200 euro für Berufseinsteiger_innen. nächs-ter Verhandlungstermin: 15. Juni.

Bei der zweiten Verhandlungsrunde für dieBeschäftigten in den bayerischen Zeitungs-verlagen haben die arbeitgeber nun endlichein angebot vorgelegt, das jedoch deutlichhinter den erwartungen und notwendigkei-ten zurück blieb. Die tarifkommission stell-te einhellig fest: „Das reicht uns nicht!”ver.di Bayern fordert eine erhöhung derlöhne und gehälter um fünf Prozent, min-destens aber eine anhebung um 150 euro.auch für die azubis soll es fünf Prozentmehr geben. angeboten haben die Verleger1,5 Prozent ab 1. Mai 2016 und weitere 1,5Prozent ab 1. Mai 2017 bei einer laufzeit von25 Monaten und fünf nullmonaten vorweg.einen Sockelbetrag zur überpropor tionalenanhebung der unteren lohn- und gehalts-gruppen wurde vom Verlegerverband abge-lehnt, dies belaste die kleinen Verlage zusehr. Desweiteren forderten die arbeitgeberdie Streichung der haushaltszulage”, die imlohn- bzw. gehaltstarifvertrag geregelt ist.nächster Verhandlungstermin: 3. Juni. wen <<

hne fortschritte endetenam 24. Mai die dritte Verhandlungsrunde fürdie Beschäftigten in derDruckindustrie und die

auftakt-tarifrunde für die Zeitschriften -redaktionen. ver.di kritisiert die Blockade-haltung der arbeitgeber. In der Druckindus-trie beharrte der Bundesverband Druck undMedien auf seinem unzureichenden ange-bot. Der Verband Deutscher Zeitschriften-verleger stellte gar Vorbedingungen undverzögert damit die Verhandlungen. auch inden tarifbereichen Re dakteur_innen an ta-geszeitungen und angestellte in den baye-rischen Zeitungsverlagen laufen die tarif-verhandlungen weiter. In Bayern gingenDrucker, Redakteure und Verlagsangestelltegemeinsam auf die Straße.

Die gewerkschaftsseite habe sich in derdritten Verhandlung für die Druckindustrieernsthaft um eine einigung bemüht und ei-nen Vorschlag von 4,5 Prozent entgelterhö-hung bei einer laufzeit von zwei Jahren neueingebracht. Doch die gegenseite habe sichdem verweigert, sei „verhandlungsunwilligoder verhandlungsunfähig” gewesen undhabe sich keinen Millimeter bewegt. als „in-diskutabel” und „ausdruck mangelnderWertschätzung” gegenüber den Beschäftig-ten hatte ver.di-Verhandlungsführer frankWerneke bereits vor drei Wochen das ange-bot der Druckarbeitgeber bezeichnet, indem sie 1,2 Prozent lohnerhöhungen ab Ju-

ni 2016 mit einer laufzeit über 18 Monatevorgeschlagen hatten. Vor der Verhandlungin Berlin hatten sich deshalb Belegschaftenin mehr als 30 Betrieben an Warnstreiksund Protestaktionen beteiligt. nächsterVerhandlungstermin: 13. Juni.

Ähnlich kritisch sieht ver.di auch die hal-tung der Zeitschriftenverleger. Sie hättenzum Verhandlungsauftakt gar kein tarifer-

Arbeitgeber inBlockadehaltungtarifrunden druckindustrie, Verlage und redaktionen

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Mehr Geld für Qualität. Warnstreik vor dem Stuttgarter Pressehaus im April 2016 .

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dju-Aktive unterstützen am19. April in Nürnberg dieVerhandlungskommission in Berlin

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redaktionsgesellschaft

Erste Tarif-Regelung ihrer Art

eine tarifpremiere wurde im Mai in Stutt-gart besiegelt: Die gewerkschaften ver.diund der DJV unterzeichneten mit dem Ver-band Südwestdeutscher Zeitungsverlegereinen tarifvertrag. Der sichert tarifbindungfür die Beschäftigten der kürzlich gegrün-deten gemeinsamen Redaktionsgesell-schaft von „Stuttgarter Zeitung” und „Stutt-garter nachrichten”. Die tarifliche Regelungist bundesweit die erste ihrer art. „es gibtalternativen zur tarifflucht”, bewertet Sieg-fried heim, ver.di-landesfachbereichsleiterMedien, Kunst und Industrie, das jetzt un-terzeichnete Papier zur einbeziehung vonRedaktionsgesellschaften in das tarifver-tragsgefüge von tageszeitungsverlagen.Mehr auf M Online: >> http://tinyurl.com/gt2ec6k <<

Zeit-online

Erfolgreiches Engagement

als überzeugender erfolg gewerkschaftli-chen engagements wertete ver.di den Mitteapril bei Zeit-Online für 120 Beschäftigte er-kämpften tarifvertrag. In monatelangenauseinandersetzungen wurde die forde-rung nach tariflicher absicherung durchge-setzt. Das tarifergebnis bildet zu 90 Prozentdie flächen-tarifverträge für Zeitschriften-verlage ab, berücksichtigt aber auch diespezifischen Bedingungen der Online-Re-daktion des Zeit-Verlages. Die laufzeit deshaustarifvertrages geht bis ende 2019. nochbis anfang Juni wurden einige Details desVertrages diskutiert, bevor er unterschrifts-reif war. <<

Frankfurter rundschau

Übernommen, aber schlechter bezahlt

Die frankfurter Rundschau gmbh hat ange-kündigt, bisher rund 55 in einer Werkver-tragsfirma beschäftigte Redakteurinnenund Redakteure in eine neue tochtergesell-schaft „fR Redaktion gmbh” zu überneh-men. Dies wird von ver.di mit gemischtengefühlen aufgenommen. es sei zwar zu be-grüßen, dass alle Beschäftigten des bishe-rigen Dienstleisters „Pressedienst frank-furt” (PDf) übernommen werden sollen.

auch der redaktionellen arbeit werde dieablösung des Werkvertragskonstrukts si-cher zugutekommen. „leider aber soll esdabei bleiben, dass die betroffenen Redak-teurinnen und Redakteure des PDf schlech-ter bezahlt werden als die rund 35 bisherbei der frankfurter Rundschau beschäftig-ten Redakteure”, sagte der ver.di-landes-fachbereichsleiter hessen Manfred Moos imapril. >> www.medien-kunst-industrie-hessen.verdi.de <<

Zeitschriftenverlag

Mehr Geld für Beschäftigte in Bayern

für die Beschäftigten der bayerischen Zeit-schriftenverlage wurde ein neuer tarifver-trag abgeschlossen. Danach erhalten sierückwirkend zum 1. März 2016 zwei Prozentmehr entgelt, mindestens aber 60 euromehr. auch die ausbildungsvergütungenwurden um zwei Prozent angehoben. Dieentgelte und ausbildungsvergütungen er-höhen sich um weitere zunächst 1,2 Prozentzum 1. März 2017. Der tarifvertrag kann zum28. februar 2018 erstmals gekündigt werden(laufzeit 25 Monate). >> www.medien-kunst-industrie-bayern.verdi.de <<

reuters

Tarifabschluss erzielt

In der tarifrunde 2016 für die etwa 120 ar-beitnehmerinnen und arbeitnehmer dernachrichtenagentur thomson Reuters hatver.di gemeinsam mit dem DJV ein tarif -ergebnis erzielt. Danach gibt es seit aprilgehaltssteigerungen von mindestens 2,55Prozent und im Durchschnitt für alle Be-schäftigten etwa 2,9 Prozent. eine Befra-gung unter den Beschäftigten zum tarifer-gebnis hat eine Zustimmung von 85 Prozentergeben Die laufzeit des tarifergebnissesbeträgt ein Jahr. „Das tarifergebnis ist einespezielle lösung für das tarifliche entgelts-sytem der nachrichtenagentur Reuters. Ver-handelt haben wir in diesem Jahr vor demhintergrund niedriger Inflationsraten undeinem schwierigen Marktumfeld”, erklärtever.di-Verhandlungsführer Matthias von fin-tel. „Dennoch konnten wir dank einer ent-schlossenen und engagierten Belegschafterfolgreich kräftige tariferhöhungen durch-setzen, die dem hohen arbeitsdruck imnachrichtengeschäft gerecht werden.” <<

Bergedorfer Zeitung

Sozialplan wurdevereinbart

am 4. Mai wurde im Konflikt um die Schlie-ßung der Vorstufe der „Bergedorfer Zei-tung” in hamburg ein Sozialplan für die vonKündigung Betroffenen abgeschlossen. „ge-messen am ausgangspunkt der auseinan-dersetzung haben Betriebsrat, Belegschaftund gewerkschaften viel erreicht”, schätztMartin Dieckmann, ver.di-landesfachbe-reichsleiter Medien, Kunst und Industrie,ein. ursprünglich war die funke Medien-gruppe davon ausgegangen, dass mit demgeltenden Rationalisierungsschutzabkom-mens bereits ein Sozialplan vorliege. funkehatte die „Bergedorfer Zeitung” 2014 im Zuge des Übernahme-Deals von axel Sprin-ger übernommen und wollte 2016 im März41 Beschäftigte aus der Vorstufe kündigen.Beschäftigte aus Redaktion und Verlag so-wie aus anderen Betrieben, etwa dem „ham-burger abendblatt”, solidarisierten sich. Der jetzt vereinbarte Sozialplan übersteigtdie Regelungen des Rationalisierungs-schutzabkommens wesentlich. Vereinbartwurden: Deutlich höhere abfindungen, teil-abfindungen mit garantien für Beschäftigte,die in andere funke-unternehmen wech-seln können, und eine transfergesellschaftmit einer laufzeit von bis zu zwölf Monaten. Mehr auf M Online: >> http://tinyurl.com/z9ewpt4 <<

Privater rundfunk

Dritte Tarifrunde ergebnislos vertagt

Die dritte Runde der tarifverhandlungen fürdie mehr als 500 Beschäftigten der im tarif-verband Privater Rundfunk (tPR) zusammen-geschlossenen Rundfunksender ist am 13. Mai in Berlin ohne ergebnis zu ende ge-gangen. eine weitere Verhandlungsrundewurde für den 14. Juni in Berlin vereinbart.Der tPR bietet eine tariferhöhung von zweiProzent für eine gesamtlaufzeit von 24 Mo-naten und einmalige Zahlungen von 200 eurobzw. für niedrigere tarifgruppen 300 euround 400 euro an. Die wirtschaftliche lage derRadios biete jedoch ausreichend Potenzialfür tariferhöhungen. „Die angebote der arbeitgeber bleiben dagegen weit hinter unserer erwartung zurück”, sagte ver.di-Ver-handlungsführerMatthias von fintel. ver.diund DJV fordern eine erhöhung der gehälterum 4,5 Prozent ab april 2016 bei einer lauf-zeit von einem Jahr. <<

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iMPrESSUM: „M –Menschen Machen Medien“Medienpolitisches ver.di-Magazin, erscheint 2016 mitvier gedruckten aus gaben,die jeweils ein Schwer-punktthema behandeln. „M Online“ berichtet aktuellaus der Medien branche:https://mmm.verdi.de

Herausgeber: fachbereich 8 (Medien,Kunst, Industrie), Bundes-vorstand: frank Bsirske /frank Werneke

redaktion: Karin Wenk (verantwortlich),tel. 030/69 56 23 26anschrift: ver.di Bundesver-waltung / Karin Wenk, Re daktion M, Paula-thiede-ufer 10, 10179 Berlin, fax: 030/69 56 36 76, e-Mail:[email protected] für unverlangt eingesandteartikel und Bilder über-nimmt die Redaktion keineVerantwortung. gezeichneteBeiträge stimmen nicht immer mit der Meinung derRedaktion überein.

anzeigen: network Media gmbh, Bülowstr. 66, hof D/eingang D1, 10783 Berlin, fax 030/740 731 6-75, e-Mail [email protected]

ansprechpartner: nicoleStelzner, leitung Strategi-sche unterneh mens - entwicklung / Verkauf. tel. 030 / 740 731 6 – 00

gültige anzeigenpreisliste: nr. 21 gültig ab 1.1.2016

Gestaltung und druck:layout: Petra Dreßler, Berlin, tel. 030/322 18 57Druck und Vertrieb:alpha print medien ag(apm), Kleyerstraße 3, 64295Darmstadt

abonnementsverwaltung: Verlagsgesellschaft W.e. Weinmann mbh, Postfach 1207, 70773 filder-stadt, tel. 0711/700 15 30. fax: 0711/700 15 10. e-Mail: [email protected]

für Mitglieder der Medien-fachgruppen ist die Bezugs-gebühr im Mitgliedsbeitragerhalten.

Jedes heft kostet 9 euro (in-klusive Mwst.). Die ausgabenkönnen einzeln abonniertoder wie bisher als Jahres-abo erhalten werden.ver.di-Mitglieder aus ande-ren fachgruppen können Mzu einem ermäßigten Preisabonnieren.

Weitere Publikationen:„Kunst & Kultur“, verantwortlich: Burkhard Baltzertel. 030 / 69 56 – 10 60

„Druck + Papier“, verantwortlich: andreas fröhlich tel: 030 / 69 56 23 40

redaktionsschluss: M 02.2016: 09.05.2016M 03.2016: 24.08.2016ISSn-nr.: 09 46 – 11 32

VeR.DI unteRWegS

am 20. Mai, genau 150 Jahre, nachdem in leipzig 1866 abgesandte derdeutschen Buchdruckergehilfen ihren Verband gegründet hatten, wurdein der ver.di-Bundesverwaltung die Schau „Vom Deutschen Buchdrucker -verband zur einheitsgewerkschaft – ver.di. Solidarität. emanzipation. tarifkampf” eröffnet.Die Schau setzt früh an: Im Revolutionsjahr 1848 waren die Buchdruckermit forderungen gegen unmenschlich lange arbeitszeiten und hunger-löhne und dem entwurf eines ersten tarifvertrages aufgetreten. Der ver-rauchte zunächst mit der asche der Barrikaden, doch wurde die forderung nach einer gewerkschaftsgründung wieder aufgenommen.1873 führten sie schließlich zum abschluss des ersten reichsweiten tarif-vertrages. arbeitszeit, arbeitsbedingungen, entlohnung – diese grund -forderungen begleiten die gewerkschaftliche entwicklung bis heute.exemplarisch steht in der ausstellung das verlustreichen Ringen um denneunstundentag bis 1896. Die traditionslinie endet nicht beim Kampf derheinze-frauen um gleichen lohn für gleiche arbeit oder dem 13- wöchigenStreik der Ig Druck und Papier der Bundesrepublik um die einführung der35-Stunden-Woche 1984. neben historischen Meilensteinen ruft dieSchau, die überwiegend ehrenamtlich erarbeitet wurde, Bio grafien von26 bekannten und weniger bekannten gewerkschaftlichen Mitstreiter_in-nen ins gedächtnis.auch wenn die moderne Dienstleistungsgewerkschaft, die jetzt 15 Jahrealt wird, „organisatorisch und kulturell nicht mehr sehr viel gemein hat”

mit der frühen Vorgängerorganisation der Buchdrucker, sei ver.di „stolzauf diese traditionslinie”, erklärte der stellvertretende Vorsitzende frankWerneke zur ausstellungseröffnung. neh <<

Die Schau ist bis zum 30. Juni im foyer der Berliner ver.di-Zentrale (Paula-thiede-ufer 10) zu sehen. ein aufwändig gemachter, informativer Katalog bewahrt sie länger. Mehr über die 150jährige geschichte auf derbeeindruckend gestalteten Website: >> http://150jahrejung.verdi.de

Eröffnungsgäste und Zeitzeugen zugleich: Der frühere IG Medien-Vorsitzende Detlef Hensche (2.v.r.) und Werner Peplowski, der letzte Vorsitzende der IG Druck und Papier der DDR (2.v.l.), im Gespräch mit Michael Kopp, ver.di-Landesfachbereichsleiter SAT (l.), undAusstellungs macher Wolfgang Blumenthal (r.).

Stolze Traditionslinie150 Jahre: ausstellung „Vom deutschen Buchdruckerverband zur Einheitsgewerkschaft”

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Rundfunk im Abseits?

Wie viel Sport braucht das öffentlich-rechtliche Programm?

Eine medienpolitische Tagung von ver.di und DGB auf Einladung des Bayerischen Rundfunks am 25./26. Oktober 2016 in München

Sportübertragungen sind fester Bestand-teil des öffentlich-rechtlichen Programm-angebots. Doch was den einen das letzte„Lager feuer” ist, vor dem sich einMillionen publikum versammelt, ist denanderen die Verschwendung von Rund-funkbeiträgen. Insbesondere Großereig-nisse wie die Olympischen Spiele oderFußball-Meisterschaften und der damitverbundene kostspielige Rechteerwerb er-hitzen regelmäßig die Gemüter.

Muss der öffentlich-rechtliche Rundfunkim globalen Bieterkampf mithalten? Gehört mehr Breitensport ins Programm? Und plündern Sportbudgets Sende-

plätze für andere Inhalte? In diese und andere Fragen gewährt die Tagung Einblick.

Es sprechen und diskutieren u.a.:

• Frank Werneke, stellvertretender ver.di-Vorsitzender

• Reiner Hoffmann, DGB-Vorsitzender

• Ulrich Wilhelm, Intendant Bayerischer Rundfunk

• Joachim Herrmann, Innenminister Bayern

• Susanne Aigner-Drews, Geschäftsführerin Discovery Networks

• Hajo Seppelt, Sportjournalist des Jahres 2015, ARD-Dopingexperte

• Reinhard Grindel, Präsident Deutscher Fußball-Bund

• Dr. Heinz Fischer-Heidlberger, Vorsitzender der KEF

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Programm und Anmeldung unter www.rundfunk.verdi.de/medienpolitische-tagung