Mobilität älterer Menschen - State of the Art und Schlussfolgerungen für das Projekt COMPAGNO

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    Institut frsozial-kologische

    Forschung

    I S O E - D i s k u s s i o n s p a p i e r e 36

    Tomas Hefter, Konrad Gtz

    Mobilitt lterer Menschen

    State of the Art und Schlussfolgerungen fr das

    Projekt COMPAGNO

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    Tomas Hefter, Konrad Gtz

    Mobilitt lterer Menschen

    State of the Art und Schlussfolgerungen fr dasProjekt COMPAGNO

    Verbundpartner:

    DRK Vorderpfalz e.V., Ludwigshafen (Konsortialfhrer, Koordinator)

    Caritasverband Singen-Hegau e.V., Singen

    Institut fr Assistenzsysteme u. Qualifizierung (iAQ) e.V., Heidelberg

    Dr. Thomas + Partner GmbH & Co. KG, Karlsruhe

    [Netzfactor] GmbH, Bochum

    Minos GmbH, Polling

    Institut fr sozial-kologische Forschung (ISOE) GmbH, Frankfurt am Main

    http://www.isoe.de

    COMPAGNO ist ein vom Bundesministerium fr Bildung

    und Forschung (BMBF) gefrdertes Projekt mit dem Titel:

    COMPAGNO, personalisierter Begleiter Nutzung lokaler

    und regionaler Mobilittschancen fr Menschen bis ins

    hohe Alterhttp://COMPAGNO.de

    http://www.isoe.de/http://www.isoe.de/http://compagno.de/http://compagno.de/http://compagno.de/http://www.isoe.de/
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    Zu diesem Text

    Mobil zu sein ist ein menschliches Grundbedrfnis und gleichzeitig Bedingung sozia-

    ler Teilhabe in der Gesellschaft. Das Ziel von COMPAGNO ist es, Menschen bis ins

    hohe Alter in ihrer selbststndigen Mobilitt zu untersttzen. Dieses Diskussionspapiergibt einen berblick ber den aktuellen Stand der Forschung zur Mobilitt lterer

    Menschen. Es fasst zentrale Mobilittskenngren lterer Menschen aus verschiedenen

    Studien zusammen. Anhand gerontologischer Theorien und Anstze werden Zusam-

    menhnge zwischen Prozessen des Alterns und Vernderungen der Mobilitt herge-

    stellt. Zentrales Thema dieses Diskussionspapiers ist auerdem der komplexe Entste-

    hungsprozess von Mobilittsbarrieren im Alter. Zudem wird ein bestehendes Zielgrup-

    penmodell lterer Menschen fr COMPAGNO adaptiert. Im abschlieenden Kapitel

    werden Rckschlsse fr das weitere Vorgehen im Projekt COMPAGNO gezogen.

    About this text

    Mobility is a basic human need and at once a basic condition for social participation.

    The project COMPAGNO wants to enable elderly persons to stay mobile up to an old

    age. This discussion paper presents the state of the art of research in the field mobility

    of older people. It wraps-up central data on mobility and mobility behavior of the

    elderly from different studies. Connections between the ageing process and changes in

    mobility behavior are made on the basis of gerontological theories and approaches.Another central topic discussed in this paper is the complex process which leads to

    mobility-barriers for elderly persons. Additionally, an existing target group model of

    the elderly will be adapted for the project COMPAGNO. The closing chapter presents

    conclusions for the further work process in the COMPAGNO project.

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    ISOE-Diskussionspapiere, Nr. 36

    ISSN 1436-3534

    Tomas Hefter, Konrad Gtz

    Mobilitt lterer Menschen

    State of the Art und Schlussfolgerungen fr dasProjekt COMPAGNO

    Herausgeber:

    Institut fr sozial-kologische Forschung (ISOE) GmbH

    Hamburger Allee 45

    60486 Frankfurt am Main

    Frankfurt am Main, 2013

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    ber das Projekt COMPAGNO

    Der Verlust der Mobilitt ist eines der mageblichen Risiken des Alterns. Die Angst,

    Barrieren nicht mehr berwinden zu knnen, fhrt zum Rckzug in noch beherrsch-

    bare Bewegungsrume. Auch finden sich ltere Menschen in einer komplexer undschneller werdenden Mobilittswelt hufig nicht mehr zurecht. Ziel von COMPAGNO

    ist es, einen Beitrag zu leisten, damit sich Menschen bis ins hohe Alter selbstndig

    und sicher bewegen und Fortbewegungsmittel fr die aktive Teilhabe und Versorgung

    nutzen knnen.

    Im Projekt COMPAGNO wird ein Personalisierter Begleiter entwickelt, der es mobili-

    ttseingeschrnkten Personen ermglichen soll, angstfrei, zuverlssig, bequem und

    selbstndig mobil sein zu knnen. Durch eine Kombination aus technischen Assis-

    tenzsystemen, der Organisation professioneller und ehrenamtlicher Dienstleister und

    einem nutzergerechten Zuschnitt dieser Dienste fr die gesamte Mobilittskette wirdder komplette Reiseweg vom Ausgangspunkt bis zum Zielort abgedeckt. Alle auf das

    persnliche Profil der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnittenen Mobilittsangebote

    werden nahtlos verkettet: Beginnend mit Fuwegen ber den ffentlichen Personen-

    nahverkehr, regionale und berregionale professionelle Transportanbieter bis hin zu

    ehrenamtlichen Fahrdiensten sind alle relevanten Akteure beteiligt und eingebunden.

    Getestet und erprobt wird COMPAGNO in Neustadt an der Weinstrae und Singen-

    Hegau. Besonderer Wert wird dabei auf die Einbindung der zuknftigen Nutzer ge-

    legt, die durch ihr Feedback wichtige Hinweise zur Handhabbarkeit und Praktikabili-

    tt des Systems liefern knnen.

    Die im Projekt zu entwickelnden technischen Systeme dienen der Planung, Informati-

    on, Hilfe und Organisation der nahtlosen Mobilittskette. Sie erfassen und verwenden

    das persnliche Profil der Nutzer. Professionelle und ehrenamtliche Dienstleister ber-

    nehmen den Transport von A nach B in einer geschlossenen Kette oder begleiten die

    Kunden auf ihren Wegen. Dabei bilden die Informationen ber die rtlichen und regi-

    onalen Gegebenheiten der Mobilittsdienste, Wege, Strecken und Routen die Basis fr

    das technische Assistenzsystem. Vorhandene Barrieren (z.B. Treppen) werden erfasst

    und mit ihren Positionsdaten und ihrer Einstufung in einer Datenbank katalogisiert.

    Ein besonderes Interesse haben der Verbund und die assoziierten Partner an der fami-

    lien- und altengerechten Gestaltung und Entwicklung einer Infrastruktur, die mobili-

    ttseingeschrnkten Menschen den Verbleib im gewohnten Quartier und ein problem-

    loses Reisen ermglichen kann.

    http://COMPAGNO.de

    http://compagno.de/http://compagno.de/http://compagno.de/
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    Inhalt

    1 Einleitung .................................................................................................................................. 52 Bisherige Forschungsprojekte zu Mobilitt im Alter ....................................................... 82.1 ANBINDUNG ............................................................................................................................ 82.2 Erhaltung von Mobilitt zur sozialen Teilhabe im Alter ................................................... 9 2.3 MOBILATE: Enhancing Outdoor Mobility in Later Life ................................................... 102.4 Mobilitt im Alter: Kontinuitt und Vernderung ............................................................ 112.5 FRAME: Freizeitmobilitt lterer Menschen .................................................................... 122.6 SIZE: Life Quality of Senior Citizens in Relation to Mobility Conditions .................... 132.7 MOBIAL: Mobilitt im hheren Lebensalter .................................................................... 132.8 GOAL: Growing Older, staying mobile: Transport needs for an ageing society ....... 142.9 Alternsfreundliche Stadt ..................................................................................................... 143 Abgrenzung der Lebensphase Alter ............................................................................. 173.1 Gerontologische Theorien und Erklrungsanstze ........................................................ 18

    3.2 Lebensstilmodelle und Typologien lterer Menschen .................................................. 25

    4

    Mobilitt lterer Menschen ................................................................................................ 33

    4.1 Mobilittsressourcen und Verkehrsverhalten ................................................................ 33

    5 Mobilittsbezogene Beeintrchtigungen und Barrieren im Alter ............................... 445.1 Definitionen in COMPAGNO................................................................................................ 455.2 Personenbezogene Barrierefaktoren ............................................................................... 475.3 Umweltbezogene Barrierefaktoren ................................................................................... 485.4 Bewltigungsstrategien lterer Menschen..................................................................... 496 Schlussfolgerungen fr COMPAGNO ............................................................................... 52Glossar .................................................................................................................................................. 53

    Literaturverzeichnis ............................................................................................................................ 56

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    1 Einleitung

    Einfhrend mssen zunchst Mobilitt und Verkehr unterschieden werden.1 Mobilitt

    bezeichnet das Potenzial der Beweglichkeit2 zur Erfllung von Bedrfnissen z.B.

    Beweglichkeit, um Freunde zu treffen, um einzukaufen oder zum Arzt zu kommen.Verkehr bezeichnet dagegen die Handlungen, Mittel und Infrastrukturen, die wir fr

    Mobilitt bentigen.3 Kurz: Verkehr ist das Instrument, das Mobilitt ermglicht

    (Becker 2003: 3). Mobil zu sein ist ein menschliches Grundbedrfnis und gleichzeitig

    Bedingung sozialer Teilhabe in der Gesellschaft. Dies gilt generell, insbesondere aber

    fr ltere Menschen, fr deren Lebensqualitt und Wohlbefinden die Erhaltung auer-

    huslicher Mobilitt eine zentrale Rolle spielt. Mobilitt ist fr alle, aber eben auch fr

    ltere, Ausdruck einer selbststndigen Lebensfhrung und gesellschaftlicher Partizipa-

    tion. Insbesondere fr Hochaltrige ist Mobilitt auch Zeichen fr noch vorhandene

    Lebenskraft (Hieber et al. 2006: 5053). Mobilitt in Form von Reisen, Ausflgen oder

    Wanderungen ist durchaus auch Selbstzweck. Die Ermglichung, der Erhalt und die

    Verbesserung von Mobilitt ist daher entscheidend fr eine angemessene Gestaltung

    des dritten Lebensabschnittes (Rudinger/Schreiber 2006: 11).

    Mobilitt gewinnt mit zunehmendem Alter sogar noch an Bedeutung. So entfallen

    mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben beruflich bedingte Kontakte und neue

    zeitliche Freirume entstehen, die genutzt werden knnen. Die Kinder sind lngst

    erwachsen und haben das Elternhaus verlassen. In vielen Fllen muss z.B. der Verlust

    des Lebenspartners bewltigt werden. Alles Vernderungen, die ein erhhtes Ma an

    Mobilitt erfordern, wenn soziale Teilhabe erhalten werden soll (Mollenkopf/Fla-

    schentrger 2001: 11). Der Eintritt in die neue Lebensphase des Alters (zum Alters-

    begriff siehe Kapitel 3) ist hufig auch mit gesundheitlichen und psychischen Vern-

    derungen verbunden, die zu einer Einschrnkung von Mobilitt fhren knnen. Diese

    krperlichen und seelischen Beeintrchtigungen mit Folgen fr die persnliche Mobi-

    litt knnen eine selbststndige Lebensfhrung im Alter erschweren (Lubecki 2006:

    19). Rudinger und Schreiber (2006: 11) betonen, dass der Verlust der Fhigkeit zur

    Teilnahme an auerhuslichen Aktivitten Teil eines Teufelskreises der Immobilitt

    ist: Passivitt beeinflusst die Gesundheit negativ, was wiederum zu weiterer Isolati-

    on und Passivitt fhren kann.

    Aufgrund des demographischen Wandels wird das Thema Mobilitt der lteren Be-

    vlkerung in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. In den letzten Jahrzehnten zei-

    gen sich Tendenzen hin zu einer immer mobileren lteren Generation. Zentrale Mobi-

    1 Vgl. CITY:mobil1999, Beckmann 2007, Begriffsgeschichte Gtz 2007b.

    2 In Anlehnung an Rammler (2000), der auf das lateinische Mobilitas verweist und vom Seinszu-stand der Beweglichkeit spricht.

    3 Die dargestellte Unterscheidung zwischen Mobilitt und Verkehr legt es nahe von Verkehrsverhalten

    und nicht von Mobilittsverhalten zu sprechen. Wenn im nachfolgenden Text dennoch von Mobili-ttsverhalten die Rede ist, dann geschieht dies weil der Begriff zitiert wird.

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    littskenngren wie die Wegeanzahl und die Mobilittsquote haben in den letzten

    Jahren deutlich zugenommen (Infas/DLR 2010: 74, 170171) (siehe im Detail 4.1.5).

    Dies macht sich u.a. im Straenverkehr dadurch bemerkbar, dass derzeit die ersten

    Generationen alt werden, die ihr Leben lang Auto gefahren sind und die die Fahrt mit

    dem eigenen Pkw nicht missen mchten noch knnen: Sie haben ihr Leben daraufeingestellt. Es altern die ersten, die es gewohnt sind, Auto zu fahren. Zwei Facetten

    des gesellschaftlichen Wandels wirken hier zusammen: Die alternde Gesellschaft und

    die in Teilen weiter zunehmend [auto]mobile Gesellschaft (Schlag/Engeln 2005: 73).

    Fllt das Auto als Fortbewegungsmittel aufgrund altersbedingter Einschrnkungen

    weg und fehlen Routinen in der multimodalen Verkehrsmittelnutzung, stehen viele

    ltere Menschen vor der Herausforderung, ihre gewohnte Alltagsmobilitt aufrecht zu

    erhalten. Gleiches gilt bei altersbedingten Beeintrchtigungen, welche die Nutzung

    bereits gewohnter multimodaler Angebote erschweren. Hier sollte der COMPAGNO als

    personalisierter Begleiter eine sinnvolle Hilfe sein, die Nutzung multimodaler Ange-bote im Sinne einer nahtlosen Mobilittskette zu ermglichen.

    Dieser berblick zum Stand der Forschung zur Mobilitt lterer Menschen greift die

    wichtigsten Ergebnisse der bisherigen Forschung zum Thema auf. Zentrale Fragestel-

    lungen sind im Einzelnen:

    Welche Forschungsprojekte und Studien haben sich bisher mit dem Thema Mobili-tt und Alter beschftigt und welche Aspekte wurden dort wie bzw. mit welchen

    Methoden untersucht?

    Welche Definitionen und Abgrenzungen der Lebensphase Alter werden ver-wendet?

    Welche Theorien und Modelle zur Charakterisierung der Lebensphase Alter gibtes in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen?

    Welche Lebensstilmodelle und Typologien lterer Menschen wurden bisher ent-wickelt?

    Welche empirischen Erkenntnisse gibt es zu den Mobilittsressourcen und zumVerkehrsverhalten lterer Menschen?

    Welche mobilittseinschrnkenden Barrieren existieren fr ltere Menschen undwie gehen sie mit diesen Barrieren um?

    Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus den vorhandenen Erkenntnissen frdie Entwicklung des COMPAGNO ziehen?

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    Kapitel 1: Das Wichtigste auf einen Blick

    Zum Begriff Mobilitt: Mobilittals Potenzial der Beweglichkeit zur Erfllung von Bedrfnissen Verkehrals Instrument zur Ermglichung von Mobilitt

    Bedeutungshorizonte von Mobilitt allgemein und speziell fr ltere: Mobilitt ist menschliches Grundbedrfnis und Bedingung fr soziale Teilhabe Mobilitt ist Ausdruck einer selbststndigen Lebensfhrung Mobilitt ist Zeichen fr noch vorhandene Lebenskraft Mobilitt gewinnt mit zunehmendem Alter sogar an Bedeutung:

    Andere Verluste (z.B. soziale Kontakte) knnen teilweise ausgeglichen werden

    Folgen von Mobilittseinschrnkungen: Eigenstndige Lebensfhrung im Alter und soziale Integration wird erschwert Zunehmende Passivitt mit negativen Folgen fr den Alternsprozess (u.a. Gesundheit)

    Selbstverstrkender Teufelskreis von Passivitt und Isolation kann entstehen

    Fazit fr COMPAGNO: Der Erhalt von Mobilitt ist wichtig fr die soziale Teilhabe und Lebenszufriedenheit lterer

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    2 Bisherige Forschungsprojekte zu Mobilitt im Alter

    Eine Reihe von Forschungsprojekten und Studien hat sich bereits mit der Mobilitt

    und Verkehrsteilnahme lterer Menschen beschftigt. Gerontologische Untersuchun-

    gen mit Bezug zu Mobilitt gehen zurck bis in die erste Hlfte der 1970er Jahre.

    Gegenstand dieser Untersuchungen waren beispielsweise die Ursachen fr Fehlver-halten lterer Fugnger im grostdtischen Straenverkehr oder die Frage nach

    Gefhlen der Unsicherheit und Unfallursachen (Ernst 1999: 2933). Im Zentrum

    standen also neben mobilittsbezogenen Grunddaten (z.B. Fhrerscheinbesitz, Wege-

    zwecke, etc.) insbesondere Fragen der Verkehrssicherheit. In den frhen 1990er Jahren

    hat der Geograph Klaus Friedrich die Mobilitt lterer Menschen explizit unter Be-

    rcksichtigung rumlicher Aspekte im Sinne einer Mensch-Umwelt-Interaktion unter-

    sucht. Neben dem aktionsrumlichen Handeln wurden auch Befindlichkeiten, Wohn-

    biographien sowie der interpretative Raumbezug untersucht (nach Ernst 1999: 35).

    In den vergangenen Jahren stand die Mobilitt lterer Menschen wieder vermehrt imMittelpunkt wissenschaftlicher Untersuchungen. Diese betrachten Mobilitt meist

    ganzheitlicher als die frheren Untersuchungen. Im Folgenden werden einige dieser

    Forschungsprojekte, deren Fragestellungen, methodisches Vorgehen sowie zentrale

    Ergebnisse dargestellt.

    2.1 ANBINDUNG

    Das Projekt ANBINDUNG (ANforderungen lterer an eine Benutzergerechte Vernet-

    zung INDividueller UNd Gemeinschaftlich genutzter Verkehrsmittel)4 hatte zum Ziel,

    im Hinblick auf die speziellen Bedrfnisse der wachsenden Bevlkerungsgruppe der

    lteren Autofahrer flexible und kombinierte Formen der Verkehrsbeteiligung zu unter-

    suchen (Engeln/Schlag 2001: 7). Insbesondere wurde innerhalb von ANBINDUNG

    untersucht, inwieweit und in welchen Situationen fr ltere Menschen eine Kombinati-

    on und Vernetzung von individuellen (IV) und ffentlichen Verkehrsmitteln (V) mg-

    lich bzw. wnschenswert ist. Es wurden sowohl subjektive als auch objektive Schwie-

    rigkeiten der flexiblen Verkehrsmittelwahl untersucht. Vor allem die Thematik geeigne-

    ter Schnittstellen zwischen IV und V spielte hier eine Rolle. Auerdem wurden Vor-

    schlge fr eine altengerechte Vernetzung von IV und V gesammelt und bewertet.Zustzlich wurde die allgemeine Bedeutung von Mobilitt fr die Lebenssituation lte-

    rer Autofahrer sowie fr den Prozess des Alterns nher untersucht (ebd.: 5354).

    Es wurden nur aktive Autofahrer befragt, also Personen, die sowohl ber einen Fh-

    rerschein als auch ber einen Pkw verfgen. Die empirischen Erhebungen fanden in

    drei Untersuchungsschritten in den Jahren 1996, 1997 und 1998 statt. Die unter-

    schiedlichen Erhebungsphasen setzten sich zusammen aus einer Kombination von

    4 Projektlaufzeit von 1994 bis 1999, gefrdert durch das Bundesministerium fr Familie, Senioren,Frauen und Jugend.

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    persnlichen und telefonischen, strukturierten Interviews (Kombination von offenen

    und standardisierten Fragen) sowie der Erhebung des Verkehrsverhaltens mittels ei-

    nes siebentgigen Mobilittstagebuches. In einem zweiten Schritt wurde die tatschli-

    che Kombination von IV und V u.a. ber teilnehmende Beobachtung und Videoauf-

    zeichnung untersucht (ebd.: 57 ff). Warum gerade aktive Pkw-Fahrer wichtige Hin-

    weise fr die altersgerechte Verbesserung der V-Vernetzung beisteuern knnen, be-

    grndet Engeln (2001: 71) wie folgt: Bei lteren Autofahrern [handelt es sich] nicht

    nur um einen stark wachsenden Kundenkreis ffentlicher Verkehrsmittel, sondern

    darber hinaus um eine besonders kritische Nutzergruppe, die gut geeignet erscheint,

    Schwachstellen der Angebotsgestaltung ffentlicher Verkehrsmittel zu analysieren.

    Ein zentrales Ergebnis ist, dass mit dem V hufig negative Erlebnisse verbunden

    werden und er im allgemeinen Erleben zumeist nachteilig gegenber dem Pkw be-

    trachtet wird (Engeln/Schlag 2001: 19). Zwar sind viele Untersuchungsteilnehmer

    offen fr die Idee der Verkehrsmittelkombination, dennoch wird diese meist nur alszweite Wahl gegenber der Pkw-Nutzung angesehen. Nicht allein krperliche Her-

    ausforderungen sind es, welche die V-Nutzung erschweren, hufig sind kognitive

    Anforderungen mit ausschlaggebend. So stellt z.B. die Nutzung von modernen V-

    Umsteigepunkten oft eine besondere kognitive Herausforderung dar. Dies gilt beson-

    ders fr unerfahrene V-NutzerInnen. Der Kombination von Verkehrsmitteln wirken

    weitere Barrieren entgegen, wie z.B. lange Wartezeiten, Angst vor Kriminalitt oder

    ein geringeres Fahrvergngen (ebd. 1920).

    2.2 Erhaltung von Mobilitt zur sozialen Teilhabe im Alter

    Das internationale Projekt Erhaltung von Mobilitt zur sozialen Teilhabe im Alter 5,

    untersuchte parallel in Italien, Finnland und Deutschland die Mobilitt lterer Men-

    schen. Die Studie liefert vor allem Ergnzungen zu den bisherigen Untersuchungen,

    die sich in erster Linie mit dem tatschlichen Verkehrsverhalten beschftigen. Zentra-

    le Fragen waren, inwieweit uere Gegebenheiten oder gesundheitliche Probleme zu

    einem reduzierten Verkehrsverhalten fhren. Auerdem wurde untersucht, in wel-

    chem Umfang ein grerer Wunsch nach Mobilitt besteht und woran seine Verwirk-

    lichung im Einzelnen mglicherweise scheitert (Mollenkopf/Flaschentrger 2001: 5).

    Der Schwerpunkt lag auf der Erforschung von Bedrfnissen, Verhaltensweisen, Mo-

    tiven und Problemen lterer Menschen im Hinblick auf ihre realisierte und ge-

    wnschte Mobilitt (ebd.: 29).

    Das empirische Untersuchungsdesign bestand zunchst aus einer standardisierten

    Befragung zu Motiven, subjektiven und objektiven Faktoren, die potenziell Einfluss

    auf die auerhusliche Mobilitt lterer Menschen haben knnten. Unter anderem

    wurden ltere zu ihrer momentanen Wohnsituation, ihrem Wohlbefinden sowie ih-

    5 Projektlaufzeit von 1995 bis 1996, gefrdert durch das Bundesministerium fr Familie, Senioren,

    Frauen und Jugend.

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    rem subjektiven Sicherheitsempfinden in ihrem Wohnumfeld befragt. Flankiert waren

    die standardisierten Interviews durch ein Mobilittstagebuch, welches drei Tage lang

    ausgefllt wurde und dazu diente, realisierte, aber auch unterlassene Aktivitten zu

    erheben. In einem zweiten Schritt wurden 35 Personen im Rahmen von qualitativ-

    sozialwissenschaftlichen Methoden befragt und Fallstudien angefertigt. Im Mittel-

    punkt standen Aspekte wie z.B. subjektive Einschtzungen und Bewltigungsstrate-

    gien (ebd.: 13ff).

    Ein Ergebnis der Studie ist, dass die Mglichkeit, auch im Alter mobil und aktiv sein

    zu knnen, die Lebensqualitt wesentlich beeinflusst (ebd. 210). Es konnte belegt

    werden, dass Einschrnkungen der Mobilitt, sei es durch krperliche Beeintrchti-

    gungen oder durch fehlende private oder ffentliche Verkehrsmittel, mit einer Ab-

    nahme der Mobilitt einhergeht. Eng verbunden damit ist eine Abnahme der Zufrie-

    denheit mit den eigenen Mobilittsmglichkeiten. Dies legt die Vermutung nahe, dass

    ein Mobilittsrckgang kein freiwilliger altersbedingter Rckzug ist, sondern einenotgedrungene Reaktion auf die eingeschrnkten Mglichkeiten (ebd.).

    2.3 MOBILATE: Enhancing Outdoor Mobility in Later Life

    In MOBILATE6 wurden in fnf europischen Lndern Untersuchungen durchgefhrt.

    Neben Deutschland waren dies Italien, Finnland, die Niederlande und Ungarn. Das

    Hauptziel des Projektes bestand in der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen

    Mobilitt und mobilittsrelevanten person- und umweltbezogenen Faktoren einerseits

    und dem subjektiven Wohlbefinden, einem zentralen Aspekt der Lebensqualitt lte-rer Menschen, andererseits. Die zentrale Annahme bestand darin, dass Mobilitt auf

    dem Zusammenwirken zwischen Person, genutzten ffentlichen und privaten Trans-

    portmglichkeiten sowie der rumlichen, sozialen und technischen Umwelt basiert

    (Hieber et al. 2006: 2223). Dieser Hypothese folgend wurden sowohl Mobilittschan-

    cen, -grundlagen und -schwierigkeiten untersucht. Diese wurden mit anderen Aspek-

    ten wie Gesundheit, psychologischen und sozialen Ressourcen sowie mit der rumli-

    chen Umwelt in Verbindung gebracht. Ebenfalls wurden Bewltigungsmuster und ihr

    Zusammenhang mit der allgemeinen Lebenszufriedenheit untersucht.

    Methodisch konnte in MOBILATE teilweise an das Vorgngerprojekt Erhaltung vonMobilitt zur sozialen Teilhabe im Alter angeknpft werden. Es wurden nochmals

    dieselben Personen befragt wie 1995. Somit konnten Vergleiche hinsichtlich einer

    Vernderung oder Kontinuitt der Mobilittsmuster im Zusammenhang mit dem

    chronologischen Alter angestellt werden. Auerdem waren Kohorten-Vergleiche mit

    den anderen MOBILATE-Befragten mglich. Zentrale Fragestellung war hier, ob

    jngere und ltere Kohorten unterschiedliche Mobilittsmuster mit unterschiedlichen

    technischen Erfahrungen und Ressourcen zeigen (ebd.: 23).

    6 Projektlaufzeit 2000 bis 2002, gefrdert durch das 5. Forschungsrahmenprogramm der EuropischenUnion.

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    An den MOBILATE-Ergebnissen ist neben den Kohorten-Vergleichen auch der trans-

    nationale Vergleich interessant. Beispielsweise unterscheidet sich der Tagesgang der

    verkehrlichen Aktivitten in den Lndern z.T. sehr deutlich. Menschen mit gesund-

    heitlichen Einschrnkungen sind sowohl in den Hauptverkehrszeiten als auch in den

    Abendstunden weniger unterwegs. Die Dauer und die Hufigkeit der auerhuslichen

    Aktivitten lterer hngt stark mit dem persnlichen Gesundheitszustand zusammen.

    Mit schlechter werdender Gesundheit nehmen sowohl Dauer als auch Anzahl der

    Aktivitten tendenziell ab (Tacken et al. 2003).

    2.4 Mobilitt im Alter: Kontinuitt und Vernderung

    Das Projekt7 ist eine Fortschreibung der beiden letztgenannten Projekte Erhaltung

    von Mobilitt zur sozialen Teilhabe im Alter sowie MOBILATE (Hieber et al. 2006:

    15). Ziel der Fortschreibung war es, den Entwicklungsverlauf von Mobilitt und mo-bilittsrelevanten Aspekten im Alter ber einen Zeitraum von zehn Jahren darzustel-

    len. Dabei standen insbesondere mobilittsrelevante Vernderungen im Mittelpunkt,

    die sich im Verlauf des Alternsprozesses im Hinblick auf die individuellen Mobili-

    ttsmglichkeiten lterer Frauen und Mnner in ihrem konkreten Umfeld ergeben

    haben (ebd.: 33).

    Mobilittsrelevante Vernderungen wurden im Zusammenhang mit personen- und

    umweltbezogenen Aspekten betrachtet. Eine Fragestellung war, ob Vernderungen

    eher durch Entwicklungen im Bereich [der] persnlichen Bewegungsfreiheit (z.B.

    durch gesundheitliche Beeintrchtigungen) oder eher durch Vernderungen der Um-welt (z.B. durch vernderte Bedingungen der Infrastruktur) verursacht werden (ebd.).

    Untersucht wurde auch die Eigenwahrnehmung in Bezug auf die mobilittsrelevanten

    Vernderungen. Ziel der Untersuchung war es, Empfehlungen fr mobilittsunter-

    sttzende Manahmen zu geben.

    Methodisch orientierte sich die Studie an den beiden Vorgngerstudien, sowohl was

    die Auswahl der Erhebungsverfahren als auch die inhaltliche Ausrichtung betrifft.

    Von den 1995 ursprnglich 804 befragten lteren konnten 2005 allerdings nur noch

    82 erneut befragt werden.

    Die Untersuchung zeigt ber einen Zeitraum von zehn Jahren einen Rckgang der

    Zufriedenheit mit den Mobilittsmglichkeiten. Eine Verschlechterung der eigenen

    Mobilitt berichten vor allem die Befragten ber 75 Jahren. Grnde hierfr sind ge-

    sundheitliche oder finanzielle Einschrnkungen. Auch die Pflege von Angehrigen

    kann die Mobilitt einschrnken. Interessant ist auch die Feststellung, dass gesund-

    heitliche Einbuen, die eine sptere Mobilittseinschrnkung zur Folge haben (kn-

    nen), bereits lange vor Eintreten der eigentlichen Einschrnkung nachweisbar sind

    7 Projektlaufzeit 2005 bis 2006, gefrdert durch die Eugen-Butz-Stiftung.

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    (ebd. 170). Dies zeigte der Vergleich der Daten zwischen dem ersten und zweiten Be-

    fragungszeitpunkt.

    2.5 FRAME: Freizeitmobilitt lterer Menschen

    Im Zentrum von FRAME8 stand das Freizeit- und Verkehrsverhalten lterer Men-

    schen. Fragestellungen des Projekts bezogen sich allerdings nicht nur auf das tat-

    schlich realisierte Freizeit- und Verkehrsverhalten. Es wurden explizit Barrieren,

    subjektive und objektive Probleme identifiziert, die Mobilitt einschrnken knnen

    (Rudinger/Schreiber 2006: 12). Ein weiterer Fokus lag auf raumstrukturellen Unter-

    schieden. Da diese als wesentlich fr die Untersuchung dieser Fragestellungen ange-

    nommen wurden, erfolgte darber hinaus die Bercksichtigung objektiver verkehrs-

    und raumstruktureller Rahmenbedingungen (Wohnumfeld, Transportangebote) (Hie-

    ber et al. 2006: 24).Es wurden quantitativ und qualitativ sozialwissenschaftliche Methoden eingesetzt

    und eine raumstrukturelle Analyse durchgefhrt. Diese umfasste eine Untersuchung

    der Siedlungs- und Angebotsstruktur im Erhebungsraum, auf deren Grundlage die

    Untersuchungsgebiete przise ausgewhlt wurden (Rudinger/Schreiber 2006: 26).

    Konkret wurden unterschiedliche Untersuchungsgebiete im urbanen, suburbanen und

    lndlichen Raum fr die Studie ausgewhlt (Stadt Bonn, Rhein-Sieg-Kreis, Kreis Eus-

    kirchen). Anschlieend wurde mit der quantitativen Hauptuntersuchung in Form ei-

    nes standardisierten Fragebogens begonnen. Es wurden 4.500 Haushalte lterer Men-

    schen darin u.a. zu ihrer Wohnumfeldqualitt, der Verfgbarkeit, Bewertung, Wahr-nehmung und Nutzung von Verkehrsmitteln sowie zur Hufigkeit und Art von Frei-

    zeitaktivitten befragt. Zustzlich wurden qualitativ-sozialwissenschaftliche Inter-

    views in 30 Haushalten durchgefhrt (ebd.: 26ff).

    Interessant an den Ergebnissen von FRAME ist die explizite Bercksichtigung von

    raumstrukturellen Merkmalen des Wohnumfeldes bei der Betrachtung der Freizeitmo-

    bilitt. Es wurde festgestellt, dass sich die durchschnittliche Aktivittshufigkeit je

    nach Raumstruktur unterscheidet. Durchschnittlich sind ltere im suburbanen Raum

    etwas aktiver als diejenigen im urbanen und lndlichen Raum. Auch die Art der Frei-

    zeitaktivitten und die jhrlich zurckgelegten Distanzen unterscheiden sich je nachWohnstandort. Unterschiede zeigen sich auch im Modal Split. Der PNV-Anteil und

    der Anteil der zu Fu zurckgelegten Wege sind im urbanen deutlich hher als im

    suburbanen und lndlichen Raum (Ramatschi 2006: 73).

    8 Projektlaufzeit von 2000 bis 2003, gefrdert durch das Bundesministerium fr Bildung und For-schung.

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    2.6 SIZE: Life Quality of Senior Citizens in Relation toMobility Conditions

    Das europische Projekt SIZE9 hatte zum Ziel, die Mobilittssituation lterer Men-

    schen detailliert zu beschreiben. Es sollten Mobilittsbarrieren aus Sicht lterer er-

    forscht werden. Im Rahmen des Projekts sollten auch Vorhaben initiiert werden, diezu einer nachhaltigen Verbesserung der Mobilitt lterer Menschen beitragen knnen

    (Kaiser/Kraus 2005: 2). Empirisch wurden verschiedene quantitative und qualitative

    sozialwissenschaftliche Methoden eingesetzt. Zunchst wurden qualitative Einzelin-

    terviews und Fokusgruppen mit Senioren durchgefhrt. Parallel befragte das For-

    scherteam u.a. Gerontologen, Stadtplaner und Verkehrswissenschaftler. In Gruppen-

    und Tiefeninterviews wurden Chancen, Probleme sowie Lsungsmglichkeiten explo-

    riert. Zur Quantifizierung wurde eine standardisierte Befragung von Senioren und

    Experten zu den gleichen Themenbereichen angeschlossen.

    Zu mglichen Mobilittsbarrieren liefern die Ergebnisse aus SIZE zahlreiche Hinweise.

    Bemerkenswert ist, dass die sozial-emotionalen Aspekte des Aufenthalts auerhalb

    der eigenen Wohnung (.) fr ltere Menschen eine besonders hohe Bedeutung zu ha-

    ben scheint (ebd. 17). Viele ltere fhlen sich durch bedrohlich wirkendes (z.B. durch

    Jugendliche) bzw. diskriminierendes Sozialverhalten im ffentlichen Raum zuneh-

    mend unwohl. Dies kann sogar zu einem Verzicht auf auerhusliche Aktivitten fh-

    ren. Das eigene Auto bietet hier gegenber dem PNV deutliche Vorteile, so vermittelt

    es Schutz in Situationen sozialer Unsicherheit. Die Ergebnisse unterstreichen die

    Wichtigkeit, auch soziale und emotionale Aspekte von Mobilitt zu bercksichtigen.

    2.7 MOBIAL: Mobilitt im hheren Lebensalter

    Im Zentrum von MOBIAL10 stand die Untersuchung des Verkehrsverhaltens und der

    Mobilittsbedrfnisse, -motive und Einstellungen lterer Menschen. Untersucht wurden

    diese Aspekte in Bezug auf die verschiedenen Fortbewegungsarten als Fugnger, Rad-

    fahrer, Bus- und Bahn-NutzerInnen sowie auch fr Auto- und Motorradfahrer. Ver-

    kehrssicherheit und Unfallgeschehen wurden ebenfalls betrachtet. Neben Bedrfnissen

    wurden auch Probleme bei der Realisierung von Aktivitten untersucht. Es wurden 96

    problemzentrierte Interviews sowie eine standardisierte Erhebung mit Personen ber 60Jahren durchgefhrt (n= 1.283 Personen) (Limbourg/Matern 2009: 87 ff.).

    Fr COMPAGNO sind die Ergebnisse fr die Fortbewegung zu Fu und mit dem PNV

    von besonderem Interesse. Das Zufugehen spielt fr ltere insgesamt eine wichtigere

    Rolle als fr jngere Altersgruppen. Speziell fr ltere Menschen, die zu Fu unter-

    wegs sind, ist die Teilnahme am Verkehrsgeschehen hufig mit negativen Gefhlen

    9 Projektlaufzeit von 2002 bis 2006, gefrdert durch das 5. Forschungsrahmenprogramm der Europi-

    schen Union.10 Projektlaufzeit von 2007 bis 2008, gefrdert durch die Eugen-Butz-Stiftung.

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    verbunden. berforderung, Angst vor Unfllen und Kriminalitt spielen hier eine Rol-

    le. Die regelmige PNV-Nutzung nimmt mit zunehmendem Alter insgesamt zu. Der

    Anteil derjenigen, die den PNV vollstndig meiden, wchst ebenfalls. Es wurde au-

    erdem festgestellt, dass die Einschtzung, die PNV-Nutzung sei zu kompliziert mit

    zunehmenden Alter immer mehr ansteigt (ebd. 406 ff.).

    2.8 GOAL: Growing Older, staying mobile:Transport needs for an ageing society

    Das Ziel von GOAL11 ist es, einen Aktionsplan innovativer Lsungen zu entwickeln,

    um die Mobilittsbedrfnisse einer alternden Gesellschaft zu erfllen. Ein erster

    Schritt hierzu ist die Entwicklung von verschiedenen Profilen lterer Menschen. Diese

    Profile bercksichtigen sowohl physische und psychische Eigenschaften als auch Le-

    bensstile (siehe 3.2.1). Anhand der unterschiedlichen Profile soll es dann mglichsein, genauere Aussagen ber die gegenwrtigen und zuknftigen Mobilittsbedrf-

    nisse treffen zu knnen. Die Bedrfnisse sollen dabei in Bezug auf den ffentlichen

    Personennahverkehr, das Autofahren, das Radfahren und das Zufugehen untersucht

    werden. Zustzlich sollen andere Entwicklungen, die Einfluss auf die Mobilitt lterer

    Menschen haben knnen, untersucht werden. Hiermit sind explizit die neuen Mg-

    lichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik oder untersttzende Tech-

    nologien fr Autofahrer, z.B. Fahrerassistenzsysteme gemeint. Die Erkenntnisse aus

    der Literatur wurden systematisch gesichtet und vorhandene Datenquellen quantitativ

    re-analysiert. Mehrere Expertenworkshops dienen dazu, die Themenbereiche des Pro-

    jekts mit unterschiedlichen Stakeholdern zu diskutieren (GOAL Project Consortium

    2012b: 912). Als ein erstes Ergebnis wurde im Rahmen von GOAL eine Typologie

    lterer Menschen erarbeitet, die u.a. die Aspekte Gesundheit, Technikaffinitt und

    Aktivitt bzw. Mobilitt bercksichtigt (siehe hierzu im Detail 3.2.1).

    2.9 Alternsfreundliche Stadt

    Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e.V. (BAGSO), ein Dach-

    verband der Senioren in Deutschland, hat im Jahr 2011 eine Befragung zur Alterns-freundlichkeit von Stdten durchgefhrt. Neben den Themen Wohnumfeld und f-

    fentlicher Raum, soziales und kulturelles Leben stand auch der Bereich Mobilitt und

    Verkehr im Fokus der Befragung. Ziel war es, typische Problemlagen und Barrieren,

    aber auch Verbesserungen zu identifizieren. Als Befragungsinstrument diente ein

    sechsseitiger standardisierter Fragebogen, der sowohl in Papierform als auch Online

    beantwortet werden konnte. Insgesamt 1.956 Personen haben den Fragebogen ausge-

    fllt. Es handelt sich jedoch um keine reprsentative Erhebung, weil keine Zufalls-

    11 Projektlaufzeit von 2011 bis 2013, gefrdert durch das 7. Forschungsrahmenprogramm der Europi-

    schen Union.

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    stichprobe vorliegt. Die Befragten konnten den Fragebogen entweder ber die BAGSO

    Geschftsstellen beziehen oder auf der Internetseite des Verbandes online ausfllen.

    Auf eine reprsentative Zufallsstichprobe wurde bewusst verzichtet, weil die Befra-

    gung in erster Linie explorativen Charakter haben sollte (BAGSO 2012). Nichts desto

    trotz liefert sie Hinweise zu mglichen Mobilittsbarrieren.

    Beanstandet wird von den Senioren hufig ein Mangel an Sitzgelegenheiten und f-

    fentlichen Toiletten. Auerdem werden u.a. rcksichtslose Radfahrer und parkende

    Autos auf Gehwegen, zu komplizierte Fahrkartenautomaten und zu kurze Ampelpha-

    sen als mobilittseinschrnkend genannt. Neben Problembeschreibungen werden

    auch Informationen ber positive Vernderungen in der Wohnumgebung gegeben.

    Die hufigsten Verbesserungen gab es im Bereich Kultur, Service und soziale Begeg-

    nung. Die Befragten erwhnen auch Verbesserungen durch zustzliche Sitzgelegen-

    heiten, bessere Gehwege und im Bereich altengerechterer PNV (ebd.).

    Zwischenfazit

    Alle Studien und Projekte konzentrieren sich auf die Lebensphase des Alters. Inte-

    ressanterweise ist diese Lebensphase nicht immer trennschaff bzw. einheitlich abge-

    grenzt. Daher ist es wichtig, sich eingehender mit Definitionen des Alters zu be-

    schftigen. In den Fokus rcken dabei v.a. Disziplinen abseits der Mobilittsfor-

    schung, wie z.B. die Gerontologie. Das nachfolgende Kapitel widmet sich deshalb

    ausfhrlich dem Altersbegriff, verschiedenen Anstzen und Theorien, die sich mit der

    Lebensphase Alter beschftigen.

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    Kapitel 2: Das Wichtigste auf einen Blick

    Zahlreiche Projekte zum Thema Mobilitt im Alter: ANBINDUNG:Fokus auf Bedrfnissen lterer bei der kombinierten Verkehrsmittelnutzung

    aus Sicht von Autofahrern Erhaltung von Mobilitt zur sozialen Teilhabe:Untersucht wurden Einflussfaktoren auf das

    Verkehrsverhalten, Mobilittsbedrfnisse lterer sowie der Zusammenhang zwischen Mo-

    bilitt und Lebenszufriedenheit

    MOBILATE:Der Zusammenhang zwischen Mobilitt, personen- und umweltbezogenen Fak-toren sowie des subjektiven Wohlbefindens stand im Zentrum dieser Untersuchung

    Mobilitt im Alter:Fortschreibung von MOBILATE und dem Projekt Erhaltung von Mobilittzur sozialen Teilhabe

    FRAME:Thematischer Schwerpunkt der Studie war die Freizeitmobilitt lterer, mglicheMobilittsbarrieren und die Identifizierung von raumstrukturellen Unterschieden

    SIZE:EU-Projekt mit Fokus auf Mobilittsbarrieren und dem Umgang lterer Menschen mitdiesen

    MOBIAL: Untersuchung des Verkehrsverhaltens sowie von Mobilittsbedrfnissen und Bar-rieren lterer Menschen

    GOAL:Entwicklung eines Aktionsplans fr innovative Lsungen, um die Mobilittsbedrf-nisse einer alternden Bevlkerung zu erfllen

    Im Rahmen des Projekts wurde eine Typologie lterer Menschen mit Mobilittsbezug ent-

    wickelt. Befragung Alternsfreundliche Stadt:Deutschlandweite Befragung der BAGSO zum Thema

    Alternsfreundlichkeit in Deutschland

    Fazit fr COMPAGNO: Umfangreiche Informationen zum Thema Mobilitt lterer Menschen beschreiben den

    Stand der Forschung und sollten genutzt werden

    Das Thema Mobilittsbarrieren muss ganzheitlich betrachtet werden (v.a. Umweltebene,Personenebene, sozial-emotionale Ebene)

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    3 Abgrenzung der Lebensphase Alter

    Fr eine Abgrenzung der Lebensphase Alter sind sinnvolle Kriterien unerlsslich. In

    den Untersuchungen zur Mobilitt lterer erfolgt diese Abgrenzung sehr unterschied-

    lich. In einigen Studien wird als Altersuntergrenze 60 Jahre herangezogen (z.B. imProjekt FRAME und ANBINDUNG). In anderen Studien beginnt das Alter mit 65 Jah-

    ren (z.B. im Projekt Mobilitt im Alter). Es wird nach dem kalendarischen Alter, zum

    Teil auch nach unterschiedlichen qualitativen Kriterien des Alterns unterschieden: Es

    ist die Rede von Jungen Alten (FRAME, MiD 2008), alten Alten (MiD 2008),

    Hochaltrigen bzw. Hochbetagten. Fr eine Betrachtung der Lebensphase Alter

    greift eine rein chronologische Definition eindeutig zu kurz. In diesem Zusammen-

    hang betont die Sozialgerontologin Regina Ernst (1999: 16), dass die Beschreibung

    der Begriffe Alter und Altern (.) nicht eindimensional erfolgen [kann]. Eine An-

    nherung ist am ehesten dadurch mglich, dass verschiedene Wissenszweige, die

    interdisziplinr in der Gerontologie miteinander verknpft werden, relevante Teilas-

    pekte aufzeigen. Das rein kalendarische Alter ist fr die Art und Weise, wie der ltere

    Mensch auf seine Lebenslage reagiert, von geringerer Bedeutung. Diese Feststellung

    ist vermutlich auch auf das Verkehrsverhalten lterer Menschen bertragbar.

    Gerontologisch betrachtet steht nicht das Lebensalter im Vordergrund, sondern eine

    Vielzahl von individuellen Variablen und Rollen, die dem lteren Menschen als Ver-

    kehrsteilnehmer zugewiesen werden (ebd.: 17). Auch die Bercksichtigung medizi-

    nisch-biologischer Aspekte des Alterns gengt nicht, um die sehr komplexen Bedin-

    gungsgefge und Rollenzuweisungen der Verkehrsteilnahme im Alter adquat zu er-

    klren. Altern bezieht sich nicht nur auf Vernderungen der krperlichen Funktio-

    nen, sondern ist aus gerontologischer Sicht immer ein Prozess, der [in] psychologi-

    schen und sozialen Dimensionen abluft (ebd.: 17).

    Engeln und Schlag (2001: 26) betonen, dass Altern ein lebenslanger Prozess der Ver-

    nderung ist. Der Alterungsprozess ist irreversibel, d.h. nicht umkehrbar. Altern ist

    ein mehrdimensionaler Prozess: Er umfasst Gewinne und Verluste, Stabilitt und

    Abbau. Neben den Faktoren auf individueller Ebene spielen auch die Umgebungsbe-

    dingungen eine wichtige Rolle (siehe hierzu auch Kapitel 5). Ein weiteres typisches

    Kennzeichen des Alterns ist sein heterogener Verlauf. Es lassen sich interindividuelleund intraindividuelle Unterschiede (z.B. krperliche vs. geistige Fitness) bei bestimm-

    ten Fhigkeiten feststellen (ebd.).

    Beim Alternsprozess wird in der gerontologischen Forschung zwischen dem kalenda-

    rischen, dem biologischen, dem sozialen sowie dem psychologischen Alter unter-

    schieden. Das kalendarischeAlter(auch chronologisches Alter) lsst lediglich Rck-

    schlsse darber zu, inwieweit biologische Reifungsvernderungen im Zusammen-

    hang mit bestimmten Altersphasen zu erwarten sind.

    Im Zentrum des biologischenAlters steht die Vitalitt bzw. krperliche Gesundheit

    des Menschen, welche sich stark anhand der krperlichen Erscheinung orientiert (z.B.

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    Krperhaltung, Haut und Haare). Ausgangsgedanke ist, dass der Krper mit zuneh-

    mendem Alter an Selbstregulierungs- bzw. Adaptionsfhigkeit verliert. Meist ist ein

    Abbau von Leistungspotenzialen damit verbunden. Der Abbau der Leistungspotenti-

    ale ist aber oft kompensierbar und der ltere kann in verschiedenen Bereichen

    durchaus noch genauso leistungsfhig sein wie ein junger Mensch (ebd.: 27). Die

    Entwicklung des biologischen Alters hngt u.a. vom individuellen Lebensstil eines

    Menschen ab, z.B. von den Ernhrungsgewohnheiten.

    Auch das biologische Alter ist kein ausreichender Indikator fr die Frage, ob eine

    Person tatschlich alt ist oder nicht. Soziale Rahmenbedingungen wie der sozioko-

    nomische Status, soziale Normen und Rollenzuweisungen (z.B. die Rolle des Pen-

    sionrs) haben Einfluss auf die spezifische Form des Alterns. Hier spricht man vom

    sozialenAlter.

    DaspsychologischeAlterhingegen umschreibt verschiedene Bereiche der Psyche, die

    Gegenstand von Vernderungen im Alter sind. Damit gemeint ist die individuelleSelbstbeobachtung und -wahrnehmung des Alterungsprozesses. Die Beschreibung

    umfasst auch psychologische Vernderungen im Alter allgemein. Konkret spielen

    psychische Belastungen und Lebenszufriedenheit eine wichtige Rolle (ebd.).

    Einen integrierenden Altersbegriff stellt das funktionale Alter dar. Dieses beschreibt

    die krperliche und psychische Leistungsfhigkeit des einzelnen zur Bewltigung des

    Alltags und ungewohnter Situationen (Ernst 1999: 18). Das Konzept eines funktio-

    nalen Alters weist Parallelen zum Kompetenzmodell bzw. zu Coping-orientierten

    Anstzen auf (siehe auch03.1.7).

    Die unterschiedlichen Altersbegriffe knnen nur in einer ganzheitlichen und interdis-

    ziplinren Betrachtung dem komplexen Phnomen des Alterns gerecht werden. Das

    funktionale Alter ist hierfr ein erster Ansatz. Eine zentrale Frage ist allerdings, wie

    eine Definition von Alter in COMPAGNO im Sinne einer interdisziplinren Betrach-

    tung berhaupt operationalisiert werden kann.

    3.1 Gerontologische Theorien und Erklrungsanstze

    Neben unterschiedlichen Altersabgrenzungen gibt es in der gerontologischen For-schung auch eine ganze Reihe von Theorien und Modellen, die sich dem Alterungs-

    prozess und seinen Begleiterscheinungen widmen. Im Folgenden werden einige dieser

    Theorien und Modelle im Hinblick auf ihre Relevanz fr die Mobilittsforschung vor-

    gestellt.

    3.1.1 Disengagement-Theorie

    Die Disengagement-Theorie ist eine klassische Theorie der gerontologischen For-

    schung. Grundannahme dieser Theorie ist, dass Altern ein Prozess ist, der zu einemsowohl gesellschaftlich, als auch vom Individuum gewollten schrittweisen Rckzug

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    aus sozialen Rollen und Aufgaben fhrt (Hieber et al. 2006: 19). Derjenige Mensch

    ist im Alter glcklich, der sich von der sozialen Welt weitgehend gelst hat, wobei

    das Disengagement als Vorbereitung auf den bevorstehenden Tod gesehen wird.

    Durch die Reduzierung seiner sozialen Kontakte gewinnt der ltere Mensch zuneh-

    mend Freiheit, da er soziale Normen und Zwnge nicht mehr beachten muss (En-

    geln/Schlag 2001: 28). Dieser schrittweise gesellschaftliche Rckzug geschieht frei-

    willig und ist gleichzeitig mit einem Gewinn an Lebenszufriedenheit verbunden. Mit

    Bezug zur Mobilitt wrde dieses theoretische Verstndnis bedeuten, dass ltere

    Menschen nicht nur aufgrund umweltspezifischer Mobilittsbarrieren weniger Wege

    zurcklegen. ltere Menschen knnen auch freiwillig weniger Wege zurcklegen und

    dabei die Wege auswhlen, die notwendig und zentral fr die Aufrechterhaltung ei-

    ner selbststndigen Lebensfhrung sind. Gleichzeitig knnen eine strkere Ausrich-

    tung auf die Wohnung und die Entdeckung neuer innerhuslicher Aktivitten den

    Rckzug kompensieren (Hieber et al. 2006: 19).

    Unter empirischen Gesichtspunkten ist die Disengagement-Theorie umstritten. In

    verschiedenen Studien wurde eher das Gegenteil des Zusammenhangs von Lebenszu-

    friedenheit und gesellschaftlicher Aktivitt festgestellt. Je mehr Aktivitt, desto gr-

    er war die allgemeine Zufriedenheit (Engeln/Schlag 2001: 28).

    3.1.2 Aktivittstheorie

    Die Aktivittstheorie ist vor allem charakterisiert durch ihre Ablehnung der Disenga-

    gement-Theorie. Die Hauptthese der Aktivittstheorie lautet, dass mehr Aktivitt ver-

    bunden ist mit einer erhhten Lebenszufriedenheit. Demnach sollten im Alter mg-

    lichst viele Aktivitten und Rollen, die im bisherigen Leben von Bedeutung waren,

    auch im hheren Alter aufrechterhalten bleiben. Aktivitten, die durch den Alterns-

    prozess verloren gehen, sollen durch andere ersetzt werden. Der Verlust der Fhigkeit,

    Aktivitten und Rollen auszuben ist gleichbedeutend mit einer erhhten Unzufrie-

    denheit und kann Ursache fr Frustrationen sein. Im Hinblick auf das Thema Mobi-

    litt wre laut Aktivittstheorie demnach anzunehmen, dass auerhusliche Aktivit-

    ten einen zentralen Beitrag zur Lebenszufriedenheit leisten (Hieber et al. 2006: 20).

    3.1.3 Kontinuittstheorie

    Eine Position zwischen der Disengagement- und der Aktivittstheorie nimmt die

    Kontinuittstheorie ein. Ihre Kernthese ist, dass weder ein mehr noch ein weniger an

    Aktivitten im Alter entscheidend fr eine zufriedene Lebensfhrung sind. Vielmehr

    gilt es, bestehende und bereits im mittleren Erwachsenenalter angeeignete Aktivi-

    ttsmuster im Alter fortfhren zu knnen. Diese Fortfhrung ist es, die mageblich

    fr eine hohe Zufriedenheit im hheren Lebensalter verantwortlich ist. . Das Beibe-

    halten bisheriger Mobilitts- und Aktivittsmuster bedeutet Kontinuitt. Mobilitts-

    relevante Kontinuitt wre im Falle lterer Menschen ohne gesundheitliche Ein-

    schrnkungen die unvernderte Fortfhrung bisher ausgebter Aktivitten. Im Falle

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    von Mobilittseinschrnkungen aus gesundheitlichen Grnden scheint Kontinuitt

    eher unwahrscheinlich. Als Kontinuitt kann vor diesem Hintergrund aber auch das

    Leben mit Einschrnkungen nach einer gewissen Zeit der Anpassung und Bewlti-

    gung angenommen werden(ebd.: 20).

    3.1.4 Theorien der lebenslangen Entwicklung

    Grundidee der unterschiedlichen Theorien der lebenslangen Entwicklung ist, dass

    beim Menschen eine Entwicklung ber die gesamte Lebenszeit hinweg stattfindet.

    Diese Entwicklung ist geprgt durch Gewinne und Verluste. Mit zunehmendem Alter

    verschiebt sich das Verhltnis von Gewinnen und Verlusten zuungunsten der Gewin-

    ne (ebd.: 20).

    Die Bercksichtigung der positiven und negativen Seiten des Alterns findet sich auch

    im Konzept des erfolgreichen Alterns von Baltes und Carstensen. Erfolgreiches Alternist dadurch charakterisiert, dass es gelingt, ein Gleichgewicht zwischen den individu-

    ellen Bedrfnissen und den Anforderungen der jeweiligen Lebensphase herzustellen

    (zitiert nach Engeln/Schlag 2001: 29). Auch Mobilitt ist Teil einer lebenslangen

    Entwicklung. Verkehrsverhalten, Mobilittsbedrfnisse und -bedeutungen ndern

    sich im Lauf des Lebens. Mit zunehmendem Alter kommt es im Bereich Mobilitt

    hufig zu negativen Vernderungen bzw. Verlusten. Das heit, die Mehrzahl aller

    Menschen wird im Verlauf des Alternsprozesses mit Mobilittsvernderungen kon-

    frontiert werden und steht vor der Aufgabe, Mglichkeiten der Bewltigung zu ent-

    wickeln (Hieber et al. 2006: 21).

    3.1.5 SOK-Modell Selektive Optimierung mit Kompensation

    Eine Erweiterung der Theorien des erfolgreichen Alterns stellt das Modell der selek-

    tiven Optimierung und Kompensation dar. Dieses Modell geht von einem allgemeinen

    Adaptionsvorgang aus, in dem die Prozesse Selektion, Optimierung und Kompensati-

    on in Wechselwirkung zueinander stehen (Baltes/Baltes 1989). Selektion ist in diesem

    Sinne ein Auswahlprozess und eine Selbstbeschrnkung auf wichtige Verhaltensbe-

    reiche und Funktionen. Durch die Selektion wird eine Bndelung der (noch) vorhan-

    denen Potenziale und Ressourcen erreicht. In Zusammenspiel mit persnlichen Moti-

    ven, Fhigkeiten, Fertigkeiten und den Umweltanforderungen entscheidet sich das

    Individuum dafr, subjektiv weniger wichtige Ziele und Funktionsbereiche zugunsten

    persnlich wichtigerer Ziele und Funktionsbereiche aufzugeben (Rupprecht 2008:

    21). In engem Zusammenhang mit der Selektion steht auch ein Bestreben zur Opti-

    mierung von Kompetenzen. Dies trifft vor allem fr diejenigen Funktionsbereiche zu,

    die von der jeweiligen Person als wichtig fr die eigene Lebenszufriedenheit erachtet

    werden. Optimierung soll helfen, diese Bereiche weiterhin aufrecht zu erhalten. Kom-

    pensation im Sinne des SOK-Modells liegt vor, wenn verminderte Ressourcen und

    Mglichkeiten durch Anpassungen im Verhalten oder auch durch Hilfsmittelnutzung

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    (z.B. in Form eines Hrgerts) ausgeglichen werden (ebd.). In diesem Verstndnis

    erfllt auch der COMPAGNO eine Kompensationsfunktion.

    Das SOK-Modell lsst sich auch zur Erklrung eines vernderten Verkehrsverhaltens

    lterer Menschen anwenden. Nachlassende Informationsaufnahme und Verarbei-

    tungsfhigkeit bewirken z.B., dass ltere Menschen Zeiten, Orte und Umstnde ihrerVerkehrsteilnahme selektieren. Erfahrungen der berbelastung im Verkehr bewegen

    ltere u.a. dazu, ihre Verkehrsteilnahme einzuschrnken. Andererseits knnen Hand-

    lungsmglichkeiten durch die bung bestehender Fhigkeiten und Fertigkeiten, z.B.

    im Rahmen von Verkehrsprogrammen fr ltere Menschen als Fugnger, Radfahrer

    und auch Autofahrer optimiert werden. Zudem kann beispielsweise die Nutzung des

    Pkws eine Strategie sein, um alterskorrelierte, individuelle motorische Fhigkeitsver-

    luste zu kompensieren(Kocherscheid/Rudinger 2005: 2728).

    Eine ausfhrliche Darstellung des spezifischen Verkehrsverhaltens und typischer Be-

    wltigungsstrategien lterer Menschen im Straenverkehr erfolgt in Kapitel 04.1 undKapitel 06.3.

    3.1.6 Kognitive Theorie des Alterns

    Diese Theorie geht davon aus, dass nicht nur objektive Gegebenheiten fr den Alterns-

    prozess mageblich sind, sondern auch immer die subjektive Sichtweise des Indivi-

    duums fr das Empfinden des Alternsprozesses und die damit verbundene Lebenszu-

    friedenheit verantwortlich ist. Demnach kann die Wahrnehmung von Menschen in

    objektiv gleichen Situationen unterschiedlich ausfallen. Zentral ist hier die Kompe-tenz jedes Menschen, sich selbst mit seinen Strken und Schwchen zu erleben und

    mit diesen umzugehen. Damit einhergehend kann die individuelle Zufriedenheit unter

    hnlichen Lebensumstnden sehr unterschiedlich sein.

    Bezogen auf Mobilitt bedeutet die Kognitive Theorie des Alterns, dass es nicht nur

    darum geht, wie mobil ein lterer Mensch objektiv ist, sondern darum, als wie mobil

    er sich erlebt und welche Schlussfolgerungen er aus diesem Erleben fr sich zieht.

    Der Begriff des Kompetenzgefhls meint in diesem Zusammenhang vor allem das

    Gefhl, den Alltag, zu dem auch alltgliche Aktivitten zhlen, bewltigen zu knnen

    (sei es mit oder ohne Untersttzung) (Hieber et al. 2006: 21).

    3.1.7 Kompetenzmodell

    Durch die kognitive Theorie des Alterns wurde der Kompetenzbegriff eingefhrt. Das

    Kompetenzmodell fasst dessen Bedeutung in einem etwas anderen Sinn auf. Es geht

    davon aus, dass das Verhalten im Alter aus dem Verhltnis von Anforderungen an

    eine Person und deren Ressourcen zu ihrer Bewltigung verstanden werden muss.

    Somit beschreibt Kompetenz Interaktionen zwischen Person und Umgebungsfakto-

    ren (Ernst 1999: 19). Unter Kompetenz werden die Fhigkeiten eines Menschen zu-sammengefasst, jene Transaktionen mit seiner Umgebung auszuben, die es ihm

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    erlauben sich zu erhalten, sich wohlzufhlen und sich zu entwickeln (ebd.). Dieser

    Kompetenzbegriff ist relational und unabhngig vom Lebensalter einer Person gltig.

    Kompetenz ist ein Resultat aus lebensgeschichtlich gewachsenen persnlichen Res-

    sourcen und aktuellen Umweltanforderungen (ebd.). Menschen knnen daher nicht

    inkompetent oder kompetent sein. Vielmehr verhlt sich jeder Mensch anforderungs-

    abhngig in der sozialen und materiellen Umwelt entsprechend seinen persnlichen

    Fhigkeiten mehr oder weniger kompetent. Hierbei spielen auch subjektive Eigen-

    wahrnehmungen eine Rolle. Versteht man unter Kompetenz die Fhigkeit, Alltagsan-

    forderungen zu bewltigen, beinhaltet dies beispielsweise auch die aktive Verkehrs-

    teilnahme. Das Modell schliet die alltgliche Mobilitt mit ein. Im Sinne des Kompe-

    tenzmodells ist es ebenfalls, Hilfen zur Bewltigung von Alltagsanforderungen zu

    nutzen. Dies ist dann mit dem Modell vereinbar, wenn die persnlichen Ressourcen

    nicht ausreichen, um die Umweltanforderungen zu bewltigen, dies mit uerer Hilfe

    aber gelingt (ebd.: 21).

    Insofern knnen auch mobilittsuntersttzende Hilfen, sei es in Form von techni-

    schen Hilfsmitteln oder in Form von persnlichen Dienstleistungen, kompetenzfr-

    dernd wirken. In diesem Verstndnis ist auch der geplante COMPAGNO als techni-

    sche Mobilittshilfe bei entsprechender altengerechten Gestaltung und Usability

    ein Kompetenz untersttzendes Hilfsmittel zur Sicherung der alltglichen Mobilitt.

    3.1.8 kogerontologische Anstze

    In engem Zusammenhang mit dem Kompetenzmodell stehen kogerontologische For-

    schungsanstze. Sie gehen davon aus, dass Wechselwirkungen zwischen Menschen

    und ihrer Umwelt bestehen. Diese Wechselwirkungen haben direkten Einfluss auf den

    Alternsprozess. Umwelt schliet hier ausdrcklich sowohl die materiell-rumliche, die

    soziale sowie die sozialstrukturelle Umwelt mit ein (Hieber et al. 2006: 21). Altern ist

    nicht nur ein medizinischer, sozialer und psychologischer Prozess, sondern wird auch

    von zahlreichen Umweltfaktoren beeinflusst. Eine zentrale Annahme dieser Anstze

    besteht darin, dass anregende und frdernde Umwelten Verluste im Alter kompensie-

    ren und somit zu einer selbststndigen Lebensfhrung und Wohlbefinden beitragen

    knnen (ebd.).

    Umwelten knnen eine selbststndige Lebensfhrung auch erschweren. Bezugneh-

    mend auf den Kompetenzbegriff lassen sich daher kompetenz-frdernde und kompe-

    tenz-behindernde Umwelten unterschieden (Ernst 1999: 20). Es gibt ebenfalls die

    Annahme, dass mit abnehmenden Kompetenzen der Druck der Umwelt wchst und

    dadurch das Erleben und Verhalten sowie die Bewltigung dieser Vernderung auf

    Seiten der Person beeinflusst wird. Diese These unterstreicht die Bedeutung von

    Umweltbedingungen. Sie sollten so gestaltet sein, dass sie ein eigenstndiges, selbst-

    bestimmtes und selbstverantwortliches Altern auch im Falle von Kompetenzverlus-

    ten ermglichen (Hieber et al. 2006: 2122).

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    Wenn die Umweltbedingungen vorhandene Kompetenzen untersttzen, kann der

    Umweltdruck auf die Person mglichst klein gehalten werden. Fr Mobilitt im

    hheren Lebensalter sind kogerontologische Forschungsanstze sehr interessant. Sie

    stellen einen Zusammenhang zwischen Umweltbedingungen, Kompetenz und Lebens-

    alltag her. Damit schlieen sie auch die Verkehrsinfrastruktur und die Teilnahme am

    Verkehrsgeschehen mit ein.

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    Kapitel 3.1: Das Wichtigste auf einen Blick

    Altersbegriffe:Es gibt keine einheitliche Abgrenzung oder Definition der Lebensphase Alter

    Zahlreiche Abgrenzungen und Definitionen existieren nebeneinander:

    Kalendarischebzw. chronologischeAltersabgrenzung nach Lebensjahren Biologisches Alterim Sinne von Vitalitt und krperlicher Gesundheit Psychologisches Alteranhand typischer psychologischer Alterungsprozesse Soziales Alterals Folge sozialer Erwartungen und Normen an das Altern Funktionales Alterals bergreifender Ansatz, der sowohl krperliche und psychologische

    Prozesse als auch die Alltagskompetenz des Menschen bercksichtigt

    Gerontologische TheorienEine Vielzahl von Theorien versuchen den Alternsprozess zu erklren:

    Disengagement-Theorie:Allmhlicher Rckzug im Alter als natrlicher Prozess Aktivittstheorie:Gegentheorie zum Disengagement; These: Mehr Aktivitt ist verbunden

    mit grerer Lebenszufriedenheit im Alter

    Kontinuittstheorie:Entscheidend fr ein zufriedenes Altern ist die Fortfhrung bereits immittleren Erwachsenenalter angeeigneter Aktivittsmuster

    Theorien der lebenslangen Entwicklung:Menschliche Entwicklung ist ein lebenslangerProzess der sowohl Gewinne und Verluste beinhaltet. Erfolgreiches Altern ist durch ein

    Gleichgewicht zwischen Bedrfnissen und Anforderungen an die Lebensphase Alter cha-

    rakterisiert

    Kognitive Theorie des Alterns:Geht davon aus, dass der Alternsprozess nicht nur durch objek-tive sondern auch durch subjektive Sichtweisen des Individuums geprgt ist. Die Wahrneh-

    mung des Alters kann unter objektiv gleichen Bedingungen subjektiv sehr verschieden sein

    SOK-Modell:Geht von einem allgemeinen Adaptionszwang im Alter aus, der sich in denProzessen Selektion von Verhaltensbereichen, Optimierung von noch vorhandenen Kompe-

    tenzen und Kompensation von bzw. Anpassung an Einschrnkungen ausdrckt

    Kompetenzmodell:Unter Kompetenz wird hier die Fhigkeit verstanden, Anforderungender Umgebung an seine Person zu bewltigen, die notwendig sind, um sich erhalten und

    entwickeln zu knnen. Verhalten im Alter erklrt sich demnach aus dem Verhltnis von An-

    forderungen und vorhandenen Ressourcen zu deren Bewltigung (Coping)

    kogerontologie:Liegt die Annahme zu Grunde, dass der Alternsprozess wesentlich durchdie Wechselwirkungen zwischen lteren Menschen und ihrer Umwelt beeinflusst wird.

    Umwelten knnen sowohl kompetenzfrdernd als auch -behindernd wirken

    Fazit fr COMPAGNO: Eine Zielgruppenauswahl fr den COMPAGNO allein anhand des kalendarischen Alters ist

    nicht sinnvoll und wird dem komplexen Prozess des Alterns nicht gerecht

    Besonders kogerontologischer Ansatz und Kompetenzmodell sind vielversprechend frdas Verstndnis von Barrieren und der Einordnung des COMPAGNO als (frdernden) Um-

    weltfaktor

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    3.2 Lebensstilmodelle und Typologien lterer Menschen

    In der Markt- und Sozialforschung gibt es zahlreiche Anstze, sich der Lebensphase

    Alter anzunhern. Im Rahmen von Studien der Lebensstil- und Zielgruppenforschung

    spielt die Typologisierung der lteren Bevlkerung eine wichtige Rolle. Lebensstile im

    sozialwissenschaftlichen Kontext sind distinktive, relativ stabile, alltagsweltlich er-kennbare Muster der Lebensfhrung. () Lebensstile stellen (.) ein bewusst oder vor-

    bewusst aktiviertes Repertoire von Handlungsprogrammen bereit, die zu einem Ver-

    halten fhren, das fr den jeweiligen Lebensstil als angemessen, richtig, ntzlich,

    schn, lustvoll etc. und in der Bezugsgruppe als kommunizierbar gilt (Gtz et al.

    2011: 89) (ausfhrliche Definition siehe Glossar).

    Bereits 1991 hat das Sinus Institut zusammen mit Infratest Sozialforschung die Be-

    vlkerung zwischen 55 und 70 Jahren erstmals in unterschiedliche Lebensstilsegmen-

    te eingeteilt. Vier Segmente wurden gebildet: Die pflichtbewusst-huslichen lte-

    ren, die resignierten lteren, die aktiven neuen Alten sowie die sicherheits- undgemeinschaftsorientierten lteren (Infratest et al. 1991). Die neuere sogenannte TNS

    Best-Ager Typologie unterscheidet bei der Bevlkerung ber 50 Jahren insgesamt

    drei Gruppen. Die Passiven lteren, die Kulturellen Aktiven und die Erlebnisori-

    entierten Aktiven (Petras 2006). Die GFK sterreich unterscheidet in der Generation

    50plus Typologie die Flotten, die Zufriedenen, die Neugierigen und die Zurck-

    gezogenen (Sozialforschung GfK Austria 2008).

    Ohne auf die verschiedenen Lebensstiltypologien im Detail einzugehen, machen die

    Beispiele deutlich, dass es sich bei der lteren Generation keineswegs um eine homo-

    gene sondern um eine sehr heterogene Gruppe handelt, die sich in ihren Stilen der

    Lebensfhrung deutlich unterscheidet.

    3.2.1 Typologien lterer Menschen mit Mobilittsbezug

    Fr das Verkehrsverhalten und die Mobilittsbedrfnisse lterer spielen Lebensstilun-

    terschiede eine wichtige Rolle. Eine Fortentwicklung der Lebensstilforschung stellt

    hier das Konzept der Mobilittsstile dar. In diesem Forschungsansatz werden sozial-

    wissenschaftliche Methoden der Lebensstilanalyse mit Methoden der Verkehrsverhal-

    tensforschung integriert (vgl. hierzu Gtz 2007a). Dieses am Institut fr sozial-

    kologische Forschung entwickelte Konzept wurde bisher aber noch nicht mit dem

    Fokus auf ltere angewendet. Ein Zusammenhang zwischen Einstellungen und Ver-

    kehrsverhalten kann aber auch fr ltere Menschen angenommen werden.

    Das Institut fr Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) hat in einer Untersu-

    chung einen hnlichen Ansatz gewhlt und das Verkehrsverhalten von Senioren un-

    tersucht (vgl. Haustein/Stiewe 2010). Ausgehend von Ergebnissen einer telefonischen

    Befragung, wurden Informationen u.a. zu Einstellungen und Verkehrsverhalten ge-

    nutzt, um Mobilittstypen zu bilden. Die ILS-Studie unterscheidet zwischen vier ver-

    schiedenen Mobilittstypen.

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    Die Pkw-Fixierten zeichnen sich durch eine starke Affinitt zum Autofahrenund eine gleichzeitige Distanz zum PNV, Radfahren und Zufugehen aus. Sie

    fahren allerdings nicht berdurchschnittlich viel mit dem Pkw und sind insgesamt

    mit ihren Mobilittsmglichkeiten zufrieden.

    Eine zweite Gruppe sind die Jungen wohlhabenden Mobilen. Dieser Mobilitts-typ zeichnet sich durch ein subjektiv hohes Mobilittsbedrfnis aus. Die Pkw-

    Verfgbarkeit und die jhrliche Kilometerleistung mit dem Auto sind in diesem

    Segment sehr hoch. Kritisch anzumerken ist aber, warum in einer Studie zu lte-

    ren eine Gruppenbezeichnung gewhlt wird, die auf Junge verweist.

    Eine dritte Gruppe von lteren Menschen sind die Selbstbestimmt Mobilen.Auch hier ist die Pkw-Verfgbarkeit sehr hoch. Doch im Gegensatz zu den ande-

    ren Mobilittstypen haben die Selbstbestimmt Mobilen die hchsten Zufrieden-

    heitswerte in Bezug auf ihre Mobilittsmglichkeiten. Trotz weitverbreiteter Pkw-

    Verfgbarkeit sind sie anderen Verkehrsmitteln gegenber aufgeschlossen. Der vierte Mobilittstyp sind die V-Zwangsnutzer. In dieser Gruppe ist sowohl

    die Fhrerschein- als auch die Pkw-Verfgbarkeit sehr gering. Diese Gruppe ist

    besonders auf den PNV angewiesen und nutzt diesen intensiv. Der Frauenanteil

    ist in diesem Segment besonders hoch (Haustein/Stiewe 2010).

    Die ILS-Typologie ist fr die weitere Verwendung im Projekt COMPAGNO allerdings

    nur sehr bedingt geeignet, da keine Aussagen ber gesundheitliche Beeintrchtigun-

    gen oder Technikaffinitt der einzelnen Typen gemacht werden.

    Ein anderer Segmentierungsansatz wurde im EU-Projekt GOAL gewhlt (siehe 2.80).Im Zentrum steht hier die Identifizierung von physischen und mentalen Charakteris-

    tiken sowie von Mobilittsstilen lterer Menschen mit dem Ziel, daraus unterschiedli-

    che Profile zu entwickeln. Diese sollen dazu genutzt werden, die Bedrfnisse lterer

    in Bezug auf ihr Verkehrsverhalten strukturiert untersuchen zu knnen. Die Hauptda-

    tenquelle ist ein Datensatz aus dem Survey of Health, Agening and Retirement in

    Europe (SHARE). Dieser enthlt Daten lterer Menschen (ab 50 Jahren) zu gesund-

    heitlichen Einschrnkungen, Soziodemographie und zum Lebensumfeld fr 15 euro-

    pische Lnder. Insgesamt konnte auf Datenstze von ber 46.000 Personen zurck-

    gegriffen werden.

    Tabelle 1: Genutzte Variablen bei der statistischen Profilbildung

    Physische Gesundheit Gesundheitszustand allgemein, Parkinson, Hrfhigkeit, Seefhigkeit, Schmer-zen (Rcken, Knie, Hften, etc.), Ermdung, Schwierigkeiten mit der Mobilitt*

    (100m Laufen, Treppensteigen, Gegenstnde tragen, etc.), Nutzung von Hilfs-

    mitteln (Gehstock, Rollator, etc.)

    Mentale Gesundheit Depression, Hoffnungen fr die Zukunft, Interessen an unterschiedlichenDingen

    Kognitive Fhigkeiten Lesefhigkeiten, Nutzung eines Stadtplans in unbekannter Umgebung

    Sozio-Demographie Geschlecht, Alter, Einkommen, Bildung, Beschftigung, Haushaltshintergrund,Familienstand

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    Lebensumwelt Versorgungseinrichtungen im Wohnumfeld, Vandalismus und Kriminalitt imWohnumfeld, Versorgung mit PNV-Angeboten

    Mobilitt Fhrerscheinbesitz, Autoverfgbarkeit, Verkehrsmittelnutzung, Reiseverhalten,Tagesdistanzen, Aktivitten, Stressfaktoren

    Sonstiges Internetnutzung

    (Quelle: Eigene Darstellung basierend auf GOAL Project Consortium 2012b: 3435, 73

    74) Hinweis: *Diese Mobilittsfaktoren orientieren sich an den Kategorien der Interna-

    tionalen Klassifikation der Funktionsfhigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF)

    Die Typologie wurde durch Clusteranalysen der SHARE-Daten gebildet. Zustzlich

    wurden Daten zum Verkehrsverhalten aus dem Projekt Keep Moving (Niederlande),

    der MiD (Deutschland) und ISTAT (Italien) mit den SHARE-Daten kombiniert. Als

    Ergebnis konnten fnf unterschiedliche Profile identifiziert werden (siehe unten).

    Zustzlich wurden die Profile mit Ergebnissen aus anderen Studien qualitativ erwei-

    tert und beschrieben. Wissenslcken wurden auerdem durch eine ergnzende stan-dardisierte und qualitative Erhebung geschlossen (GOAL Project Consortium 2012a,

    2012b).

    Da die GOAL-Typologie sowohl Aspekte altersbedingter Einschrnkungen, des Ver-

    kehrsverhaltens als auch der Akzeptanz neuer Informations- und Kommunikations-

    technologien bercksichtigt, bietet sich eine Anwendung der Typologie fr die Ziel-

    gruppenauswahl innerhalb des Projekts COMPAGNO an.

    Abbildung 1: bersicht ber die GOAL-Profile (Quelle: Massink 2012)

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    Folgende fnf Profile wurden im Rahmen von GOAL identifiziert(siehe Abbildung 1):

    Fit as a FiddleDiese Gruppe setzt sich vor allem aus den jngeren und krperlich aktiven Senioren

    zusammen. Ein Groteil steht noch im Arbeitsleben und Mnner sind in diesem Seg-ment berreprsentiert. Prgendes Verkehrsmittel ist der eigene Pkw, wobei sich die

    durchschnittliche Anzahl der Wege und die Wegelnge nicht vom Bevlkerungs-

    durchschnitt unterscheiden. Die Fit as a Fiddle sind sehr aktiv, verfgen ber hohe

    Einkommen, exzellente soziale Netzwerke und sind mit ihrer Autonomie und Lebens-

    qualitt zufrieden. Die Nutzung von I&K Technologien ist durchaus weit verbreitet.

    An Oldie but a GoodieDie Mehrheit dieser Gruppe ist zwischen 80 und 90 Jahre alt. Alleinstehende Frauen

    sind berreprsentiert. Trotz des hohen Alters sind sie relativ fit und gesund und daher

    kaum in ihren Aktivitten eingeschrnkt. Hufig alleinstehend, mssen sie ihr tgliches

    Leben ohne Hilfe von anderen organisieren. Sie bevorzugen es, zu Fu zu gehen und

    den PNV zu benutzen. Sie unternehmen eher kurze und wenige Wege. Sie sind lieber

    auerhalb der Hauptverkehrszeiten unterwegs. Eine hohe Lebenszufriedenheit beein-

    flusst die krperliche Gesundheit und die Mobilitt in positiver Hinsicht. Neuen I&K

    Technologien stehen sie in der Regel skeptisch gegenber.

    Hole in the HeartMit einem Alter zwischen 50 und 75 Jahren ist diese Gruppe meist relativ jung, den-

    noch sind krperliche Einschrnkungen aufgrund chronischer Krankheiten verbreitet(z.B. Herz-Kreislauf Erkrankungen, Diabetes). Diese schrnken die alltglichen Aktivi-

    tten deutlich ein. Neben krperlichen Problemen bestimmen auch psychische Leiden

    wie Depressionen, Einsamkeit und allgemeine Lebensngste den Alltag. Die vorhan-

    denen Aktivitts- und Mobilittseinschrnkungen fhren mitunter zur sozialen Ex-

    klusion. Das dominierende Verkehrsmittel ist das eigene Auto, das wegen der gre-

    ren Bequemlichkeit und Einfachheit dem PNV vorgezogen wird. Aufgrund der ge-

    sundheitlichen Einschrnkungen werden nur wenige und kurze Wege unternommen.

    Gegenber I&K Technologien sind manche Mitglieder dieser Gruppe durchaus offen,

    andere lehnen sie allerdings klar ab.

    Care-FullDiese Gruppe der Hochaltrigen hat hufig verschiedene altersbedingte gesundheitli-

    che Probleme. Das Hren und Sehen ist eingeschrnkt und Krankheiten wie Parkin-

    son und Demenzerkrankungen treten auf. Ein Groteil ist auf Hilfe oder Pflege durch

    andere Personen angewiesen. Aufgrund der krperlichen Einschrnkungen sind sie

    nur noch selten auerhuslich mobil. Mobilitt wird durch die Untersttzung von

    Familienangehrigen oder durch Fahrdienstangebote gewhrleistet. Eher passive in-

    nerhusliche Aktivitten bestimmen den Alltag, weshalb die Tendenz zur sozialen

    Isolation besteht. Neue Technologien werden gemieden bzw. nicht aktiv genutzt.

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    Happily ConnectedSie zeichnen sich durch einen insgesamt sehr aktiven Lebensstil aus. Sie sind zwi-

    schen 60 und 75 Jahren alt, verheiratet oder leben in einer Paarbeziehung. Krperli-

    che Fitness und Mobilitt ist ein zentrales Element. Von groer Bedeutung sind die

    eigene Familie und die Wahrnehmung von zahlreichen sozialen Aktivitten. Die Frei-zeitaktivitten sind verbunden mit dem allgemein guten Gesundheitszustand und

    bedingen eine hohe Lebenszufriedenheit.

    Dominierendes Verkehrsmittel ist das Auto. Meist lenken Mnner den Pkw und Frauen

    sind nur Beifahrerinnen. Zahlreiche Wege und komplexe Wegeketten werden mit dem

    Pkw gemacht, wobei durchschnittlich weniger Kilometer gefahren werden als von

    jngeren Menschen in der Erwerbsphase. Sie nutzen ruhigere Straen und Verkehrs-

    zeiten oder verzichten auf Nachtfahrten. Die Affinitt fr I&K Technologien ist sehr

    gro. Dies ist besonders dann der Fall, wenn bereits whrend der Berufsttigkeit erste

    Erfahrungen damit gemacht wurden (GOAL Project Consortium 2012a, 2012b).

    Zwischenfazit zu Typologien lterer allgemein:

    Mit Bezug auf die oben dargestellten Theorien (siehe 3.1) lsst sich aus den Typolo-

    gien resmieren: bergreifende Theorien, die versuchen, einen einzigen Weg der Al-

    tersentwicklung zu verallgemeinern, greifen zu kurz. Die typologische Sichtweise legt

    die These nahe, dass bestimmte Gruppen von lteren eher mit Disengagement auf die

    altersbedingten Vernderungen reagieren so wie es die Disengagement-Theorie fr

    alle unterstellt, whrend andere Gruppen sich eher so verhalten, wie es die Aktivitts-Theorie beschreibt.

    3.2.2 Bewertung der GOAL-Typologie fr COMPAGNO

    Unter Bercksichtigung der verschiedenen vorliegenden Typologien eignet sich die

    GOAL-Typologie fr die Identifizierung von Zielgruppen fr den COMPAGNO. So-

    wohl aufgrund der breiten Datenbasis als auch der verwendeten Variablen ist sie em-

    pirisch valide und inhaltlich passend. Im Rahmen der empirischen Sozialforschung

    im Projekt kann eine weitere qualitative berprfung und ggf. Anpassung der Typo-logie erfolgen.

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    Abbildung 2: IKT-Nutzung zur Informationsbeschaffung nach GOAL-Typen (n= 439)

    (Quelle: GOAL Consortium 2012a: 111)

    Ausgehend von den Profilbeschreibungen lassen sich fr COMPAGNO potenzielle

    Zielgruppen identifizieren. Auswahlkriterien hierfr sind u.a.: Aktivittslevel/Gesund-

    heit, Verkehrsverhalten und die Affinitt fr die Nutzung neuer Informationstechno-

    logien. Speziell das letzte Kriterium ist ein Nadelhr fr den COMPAGNO.

    Besonders diejenigen Gruppen, die vermutlich am meisten von einem mobilittsun-

    tersttzenden COMPAGNO profitieren wrden (Hole in the Heart, An Oldie but a

    Goodie), sind aufgrund ihrer fehlenden Technikaffinitt nur schwer zu erreichen. Die

    Technikaffinitt der VertreterInnen von Hole in the Heart ist unterschiedlich. Daher

    ist diese Gruppe nicht komplett auszuschlieen. Das geringe Aktivittsniveau macht

    sie fr den COMPAGNO jedoch eher uninteressant (der COMPAGNO knnte dieses

    ggf. wieder anheben). Bei An Oldie but a Goodie kann auch das hohe Lebensalter

    einschrnkend wirken. Mit zunehmendem Alter wird die nderung von Mobilitts-

    routinen unwahrscheinlicher.

    Wir kommen daher zu dem Schluss, dass die Typen Fit as a Fiddle und Happily

    Connected die grten Potenziale aufweisen. Sie sind gegenber neuen Technolo-gien sehr offen (siehe Abbildung 2) und haben ein hohes Aktivittslevel. Aufgrund

    ihres relativ jungen Alters knnen deren Vertreter bei rechtzeitiger Routinenbildung

    im hheren Alter und bei krperlichen Beeintrchtigungen vom COMPAGNO profitie-

    ren. Eine frhzeitige Routinenbildung steigert die Wahrscheinlichkeit, dass die COM-

    PAGNO-Nutzung im hheren Lebensalter selbstverstndlich ist.

    Gnzlich ungeeignet fr den COMPAGNO-Einsatz ist die Gruppe der Care-Full. Sie

    ist aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht ohne fremde Hilfe auer Haus

    mobil. Auch fehlt es an der notwendigen Technikaffinitt, weshalb kein Nutzen des

    COMPAGNO zu erwarten ist.

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    Auch fr die Auswahl der COMPAGNO-Zielgruppen gilt, dass diese im Verlauf der

    sozial-empirischen Untersuchungen validiert werden kann.

    Tabelle 2: Zielgruppenauswahl fr COMPAGNO im berblick

    Geeignete Zielgruppen:

    Fit as a Fiddle Happily Connected

    Hohes Aktivittsniveau und generelle Offenheit fr neue

    Technik legen die COMPAGNO-Nutzung nahe

    Aber: Braucht diese Gruppe den COMPAGNO schon (Akzep-

    tanz fr ein Hilfsmittel)?

    Partiell geeignete Zielgruppe:

    Hole in the HeartBei vorhandener Technikaffinitt kann der COMPAGNO

    mobilittsaktivierend wirken

    Eher ungeeignete Zielgruppe:

    An Oldie but a GoodieAufgrund des hohen Lebensalters und der Technikdistanz

    schwierig zu erreichen. Bei vorhandener Offenheit fr IKT ist

    der COMPAGNO dennoch sinnvoll

    Gnzlich ungeeignete Zielgruppe:

    The Care-Full

    Nicht mehr auer Haus mobil aufgrund von Pflegebedrftig-

    keit

    Daraus ergibt sich folgende Darstellung der potenziellen COMPAGNO-Zielgruppen:

    COMPAGNO

    Abbildung 3: Potenzielle Zielgruppen fr COMPAGNO (orange hinterlegt)

    (Quelle: verndert nach Massink 2012)

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    Kapitel 3.2: Das Wichtigste auf einen Blick

    Hintergrund: Die ltere Generation ist keine homogene Gruppe. Vielmehr unterscheiden sich ltere

    Menschen stark hinsichtlich ihrer spezifischen Lebensstile Verschiedene Typologien versuchen diese Heterogenitt abzubilden Auch in den Typologien spiegeln sich die gerontologischen Theorien wider. Allerdings nicht

    als bergreifende, sondern als nebeneinander existierende Anstze (z.B. Disengagement

    neben Aktivitt oder Kontinuitt)

    GOAL-Typologie: Bercksichtigt wichtige Aspekte fr COMPAGNO: u.a. gesundheitliche Beeintrchtigungen,

    Verkehrsverhalten und Technikaffinitt

    Typologie-Bildung erfolgte auf breiter statistischer Basis und erscheint methodisch valide GOAL-Typologie wurde u.a. fr die Schaffung von passenden Mobilittslsungen fr ltere

    entwickelt

    Fazit fr COMPAGNO: Die GOAL-Typologie eignet sich gut fr die weitere Verwendung im Projekt. Das Erstellen

    einer vllig neuen Typologie fr COMPAGNO ist nicht notwendig

    Fr COMPAGNO relevante Zielgruppen: Fit as a Fiddle, Happily Connected, Hole in theHeart

    Eine Validierung und ggf. Adaption der Typologie kann und sollte im Zuge der weiteren so-zial-empirischen Forschungen noch vorgenommen werden

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    4 Mobilitt lterer Menschen

    Zum Verkehrsverhalten lterer und zu den Faktoren, die dieses Verhalten beeinflus-

    sen, liegen vielfltige Erkenntnisse vor. Inwiefern Mobilitt eingeschrnkt sein kann,

    welche Faktoren dies begnstigen und wie ltere Menschen mit krperlichen Ein-schrnkungen umgehen bzw. diese Einschrnkungen im Sinne eines Copings kom-

    pensieren, ist ebenfalls gut erforscht.

    4.1 Mobilittsressourcen und Verkehrsverhalten

    Die Studie Mobilitt in Deutschland 2008 (kurz: MiD 2008) beinhaltet Informationen

    zu Mobilittskenngren und zum Verkehrsverhalten der deutschen Bevlkerung

    (vgl. Infas/DLR 2010). Ein Schwerpunktthema der MiD 2008 ist der demographische

    Wandel. Die Bedeutung von Alter und Lebensphase fr das Verkehrsverhalten wird inder MiD hervorgehoben: Der Zusammenhang zwischen Alter und Mobilitt spiegelt

    vor allem die Bedrfnisse und Fhigkeiten zur Teilnahme am Verkehr whrend der

    verschiedenen Lebensabschnitte wider. Nahezu alle Mobilittskenngren Wege-

    aufkommen, Wegezwecke, Verkehrsmittelwahl, Tagesstrecken oder auch Start- und

    Endzeiten von Wegen weisen einen charakteristischen Zusammenhang mit dem

    Alter einer Person auf (Infas/DLR 2010: 74).

    Im Folgenden werden die Ergebnisse der MiD mit Fokus auf die Bevlkerung in

    Deutschland ab 60 Jahren dargestellt. Neben diesen wird vereinzelt auch auf Er-

    kenntnisse anderer Studien zurckgegriffen.

    4.1.1 Fhrerscheinbesitz

    Beim Fhrerscheinbesitz zeigt sich in den letzten Jahren eine Zunahme bei der Be-

    vlkerung ber 60 Jahren. 2008 hatten jeweils mehr als 90 Prozent der Mnner und

    mehr als 80 Prozent der Frauen im Alter zwischen 60 und 65 Jahren einen Fhrer-

    schein (siehe Abbildung 4). Bei Personen ber 65 Jahren weisen Frauen einen deut-

    lich geringeren Fhrerscheinbesitz auf als Mnner. Dieser Unterschied reduziert sich

    in den nachkommenden Alterskohorten immer weiter. Es ist von einer Angleichungzwischen Frauen und Mnner auszugehen (Infas/DLR 2010: 70).

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    Abbildung 4: Pkw-Fhrerscheinbesitz von Mnnern und Frauen nach Altersgruppen

    2002 und 2008 (Quelle: Infas/DLR 2010: 71)

    4.1.2 Pkw-Verfgbarkeit

    Die Pkw-Verfgbarkeit als Grundvoraussetzung der Pkw-Nutzung weist in verschie-

    denen Haushaltstypen und Altersgruppen (siehe Abbildung 5) deutliche Unterschiede

    auf. In Mehrpersonenhaushalten ist die Pkw-Verfgbarkeit sehr hoch, whrend sie in

    Einpersonenhaushalten und in Haushalten von Alleinerziehenden wesentlich geringer

    ausgeprgt ist. Insbesondere alleinlebende Personen, die 60 Jahre und lter sind, ha-

    ben oft keinen Pkw. Der Anteil autofreier Haushalte liegt hier bei 46 Prozent. Im Jahr

    2002 betrug er noch 59 Prozent. Von den Alleinerziehenden lebt ein Viertel ohne Au-

    to. Die Haushaltstypisierung macht deutlich, dass das Alter einen hohen Einfluss aufden Besitz beziehungsweise Nicht-Besitz eines Pkw hat (Infas/DLR 2010: 61).

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    Abbildung 5: Anzahl der Pkw in den Haushalten: gesamt 2002 und 2008 sowie nach

    Haushaltstypen 2008 (Quelle: Infas/DLR 2010: 62)

    Zur Pkw-Ausstattung der Haushalte liefert die MiD 2008 Aufschlsse darber, warum

    ein Haushalt auf einen Pkw verzichtet. In Rentner-Haushalten ist neben finanziellen

    Grnden vor allem der Gesundheitszustand bzw. das Alter ein hufiger Grund fr den

    Verzicht auf das eigene Auto. Zu hohe Pkw-Kosten, sind interessanterweise unter-

    durchschnittlich hufig der Grund fr einen Pkw-Verzicht.

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    Abbildung 6: Grnde fr den Verzicht auf einen Pkw nach Haushalts- und Kreis-

    typen (Quelle: Infas/DLR 2010: 59)

    4.1.3 Besitz von PNV-Zeitfahrkarten

    Ein Indiz fr die regelmige Nutzung ffentlicher Verkehrsmittel ist der Besitz von

    Dauerfahrkarten. Laut MiD 2008 besitzen immerhin 10 Prozent der Rentner in

    Deutschland irgendeine Form der Dauerkarte fr den PNV (Infas/DLR 2010: 72). Die

    MiD 2008 enthlt hierzu leider keine detaillierteren Daten.

    Im Projekt MOBIAL konnte nachgewiesen werden, dass mit zunehmendem Alter der

    Anteil der PNV-Nutzer mit PNV-Monatskarte ansteigt. Gleichzeitig verfgen viele

    Seniorinnen und Senioren ber einen Schwerbehindertenausweis, der ebenfalls zurPNV-Nutzung berechtigt (Limbourg/Matern 2009: 261262).

    4.1.4 Besitz von Fahrrdern

    Der Ausstattungsgrad mit Fahrrdern in Deutschland betrgt derzeit ca. 80 Prozent

    (Stand 2008). berdurchschnittlich gut ausgestattet sind vor allem die Haushalte der

    25- bis unter 55-Jhrigen mit einem Ausstattungsgrad von etwa 90 Prozent. Bei den

    70- bis unter 80-Jhrigen liegt dieser Anteil bei immerhin noch 67 Prozent, sowie bei

    ber 80-Jhrigen noch bei knapp 43 Prozent. Der Fahrradbesitz lsst keine direkten

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