1
Moderne Physik ware ohne ihn undenkbar ,,Ein Quertreiber und Schwerenoter, Clown und Einfaltspinsel ... I# Mit vierzehn Jahren hielt er die Formel exp(in) -1 = 0 fur die ,,bemerkenswerteste Formel in Mathe", wie er in sei- nem Tagebuch notierte. Auf der Suche nach einem geeig- neten Beinamen fur den kiinftigen Naturwissenschaftler entschieden sich seine Mitschuler einhellig fur den Titel ,,verriicktes Genie". ,,Es gibt zwei Arten von Genies, das gewohnliche und das magi- sche", philosophierte der Mathe- matiker Mark Kac, der die Lern- fortschritte des gesuchten Wis- senschaftlers an der Cornell-Uni- versitat beobachten konnte. ,,Ein gewohnliches Genie ist jemand, dessen Leistung du und ich voll- bringen konnten, wenn wir nur viele Male besser waren als wir sind. Die Art, wie der Geist eines gewohnlichen Genies arbeitet, ist kein Geheiinnis. Mit den Magiern verhalt es sich ganz anders. Sie sind, um einen mathe- matischen Fachbegriff zu ver- wenden, zu uns orthogonal. Sogar wenn wir verstanden haben, worin ihre Leistung besteht, bleibt uns die Vorge- hensweise ihres Geistes ein volli- ges Ratsel". Zumindest im Falle des gesuchten Wissenschaftlers hat Kac recht. Dieser ,,Magier hochsten Ran- ges", der die moderne Physik entscheidend gepragt hat, driickte sich Zeit seines Lebens vor der Lehre. Wenn er allerdings einmal eine Vorlesung hielt, dann tat er das in einer Weise, die uberall fur Aufsehen sorgte. Wahrend er selbst von seiner Art Vorlesun- gen zu halten enttauscht war, galt er als begabter Lehrer. Mit klei- nen Geschichten und Anekdoten reicherte er den Lehrstoff an und versuchte dadurch, bei den Zuhorern den ,,Enthusiasmus fur die Physik" zu wecken. Es war schwierig, in seinen Augen bestehen zu konnen. Kaum jemand vermochte bei- spielsweise, bei ihm zu promo- vieren. Wahrend des zweiten Weltkrieges legte er sich mit den militarischen Zensoren an, die die Ergebnisse seiner Arbeit als geheim einstuften. Das fur ihn typische starke Selbstbewugtsein war immer noch ungebrochen, als er knapp 70-jahrig in einer Kommission ein weltweit beach- tetes Ungluck bei der NASA zu untersuchen hatte. Seinen wahren Charakter verbarg er stets vor seinen Mitmenschen. Ein in Physikerkreisen minde- stens ebenso bekannter Wissen- schaftler, mit dem Gesuchten in einer Art Hai3liebe verbunden, meinte einmal: ,,Er liebte es, sich mit einem Gespinst von Mythen zu umgeben, und er verwandte viel Zeit darauf, Anekdoten uber seine Person in Umlauf zu brin- gen". Stets habe er gewitzter als die anderen erscheinen wollen. Und er habe sich in diesen Geschichten, so weifl es zumin- dest ein Biograph zu berichten, immer als ,,ein Quertreiber und Schwerenoter, Clown und Ein- faltspinsel" dargestellt. Kunste und Geisteswissenschaf- ten schatzte er nicht besonders. Er horte keine Musik, las keine Bucher und tat Philosophie als ,,nicht beweisbar" und ,,schwain- mig" ab - das Wort philosophical verballhornte der Englischspra- chige zu philozawfigal, um mit der Assoziation zu awful (hag- lich) seine abschatzige Meinung zum Ausdruck zu bringen. Den- noch befai3te er sich in seinen Buchern auch mit den Beziehun- gen von Religion und Naturwis- senschaft, mit Fragen der Schon- heit und der Ungewifiheit natur- wissenschaftlicher Erkenntnis. Immer wieder beschaftigte er sich mit handwerklichen und techni- schen Problemen - ZLI einer Zeit, in der er bereits hohe Physik trieb, soll er beispielsweise ver- sucht haben, den Mechanismus eines altmodischen Limonade- automatens zu verstehen und Plastikdrehknopfe von Radios mit verchromtem Metal1 zu beschichten. Haufig erscheint er in den Erzah- lungen seiner Mitmenschen wie ein kleiner Junge. So leitete er Ameisenstrai3en durch sein Buro oder uberraschte Niels Bohr auf einer Dinner- Party mit einem Xylophon, da8 er aus verschieden hoch gefullten Wasserglasern zusammengezim- mert hatte. Uberdies soll er viel Miihe darauf verwandt haben, seinen Hund zu lehren, Socken auf moglichst groi3en Umwegen zu apportieren. Und er sol1 ... aber vielleicht lassen wir diese Geschichten ruhen, die er selbst in Umlauf gesetzt hat. Andreas Loos, Erlangen Wer war das magische Physik- genie? Schreiben Sie die Losung auf eine Postkarte (keine Briefe) und schicken Sie sie an: VCH, Physik in unserer Zeit, Pappelal- lee 3,69469 Weinheim. Einsen- deschlufl ist der 1510.1997. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Wir verlosen dieses Ma1 drei Exemplare des Buches: Parfum, Portwein, PVC - Chemie im All- tag von J. Emsley. Auflosung aus Heft 4/97 Die brillante Physikerin ohne Lohn war Maria Goeppert- Mayer (1 906 bis 1972). Die Gewinner aus Heft 3/97 L. Friedmann aus Munchen, S. Schmid aus Bochum und R. Schofer aus Oldenburg. Wir gratulieren den Gewinnern ganz herzlich. In vino veritas Schlechte Zeiten brechen fur Weinpanscher an. Hilmar Forstel hat am Forschungszentmm Julich uber Jahre hinweg eine physikali- sche Analysemethode entwickelt, die es ihm ermoglicht, Weine einer strengen Reinheitskontrolle zu unterziehen. Bei diesem Ver- fahren nutzt er die selektive Speicherung der drei Sauerstoffisotope 16,17 und 18 in den Weinpflanzen. Je nach Herkunft der Probe sind diese Isotope in einem anderen Mischungsverhaltnis im Was- ser enthalten. Die Weinpflanze zieht das Wasser aus dem Boden, pumpt es in die Friichte und Blatter, wo ein Teil des Wassers ver- dunstet. In den Trauben reichert sich Wasser mit erhohten Anteilen an schwerem Sauerstoff-18 an. Im Wein bleibt dieses Jsotopenmu- ster" erhalten, dai3 sich ganz charakteristisch von dem von Quell- oder Leitungswasser unterscheidet. Wird nun Leitungswasser dem Wein zugesetzt, andert sich das Isotopenmuster entsprechend. Wichtig fur die Analysemethode ist auch die Tatsache, dai3 jedes Anbaugebiet und jeder Jahrgang sein ganz charakteristisches Isoto- penmuster besitzt. Durch den Vergleich mit lokalen Wasserproben und unverfalschtem Most kann Forstel im Labor nachweisen, woher der zu priifende Wein stammt und ob ihm Wasser hinzuge- fugt wurde. Die neue Methode wurde kurzlich von der Europai- schen Union anerkannt und wird nun auch bei Gerichtsverfahren dem Wein die Wahrheit entlocken. Erst kurzlich konnte Forstel einen italienischen Weinpanscher entlarven. KFA-Informationen Nr. 22 Neue Internet-Adresse: http://www.wiley-vch.deJphysics Physik in unserer Zeit / 28. jahrg. 1997 / Nr. J

Moderne Physik wäre ohne ihn undenkbar. ‚Ein Quertreiber und Schwerenöter, Clown und Einfaltspinsel…’

Embed Size (px)

Citation preview

Moderne Physik ware ohne ihn undenkbar

,,Ein Quertreiber und Schwerenoter, Clown und Einfaltspinsel ... I#

Mit vierzehn Jahren hielt er die Formel exp(in) -1 = 0 fur die ,,bemerkenswerteste Formel in Mathe", wie er in sei- nem Tagebuch notierte. Auf der Suche nach einem geeig- neten Beinamen fur den kiinftigen Naturwissenschaftler entschieden sich seine Mitschuler einhellig fur den Titel ,,verriicktes Genie".

,,Es gibt zwei Arten von Genies, das gewohnliche und das magi- sche", philosophierte der Mathe- matiker Mark Kac, der die Lern- fortschritte des gesuchten Wis- senschaftlers an der Cornell-Uni- versitat beobachten konnte. ,,Ein gewohnliches Genie ist jemand, dessen Leistung du und ich voll- bringen konnten, wenn wir nur viele Male besser waren als wir sind. Die Art, wie der Geist eines gewohnlichen Genies arbeitet, ist kein Geheiinnis. Mit den Magiern verhalt es sich ganz anders. Sie sind, um einen mathe- matischen Fachbegriff zu ver- wenden, zu uns orthogonal. Sogar wenn wir verstanden haben, worin ihre Leistung besteht, bleibt uns die Vorge- hensweise ihres Geistes ein volli- ges Ratsel". Zumindest im Falle des gesuchten Wissenschaftlers hat Kac recht.

Dieser ,,Magier hochsten Ran- ges", der die moderne Physik entscheidend gepragt hat, driickte sich Zeit seines Lebens vor der Lehre. Wenn er allerdings einmal eine Vorlesung hielt, dann tat er das in einer Weise, die uberall fur Aufsehen sorgte. Wahrend er selbst von seiner Art Vorlesun- gen zu halten enttauscht war, galt er als begabter Lehrer. Mit klei- nen Geschichten und Anekdoten reicherte er den Lehrstoff an und versuchte dadurch, bei den Zuhorern den ,,Enthusiasmus fur die Physik" zu wecken.

Es war schwierig, in seinen Augen bestehen zu konnen. Kaum jemand vermochte bei- spielsweise, bei ihm zu promo- vieren. Wahrend des zweiten Weltkrieges legte er sich mit den militarischen Zensoren an, die die Ergebnisse seiner Arbeit als geheim einstuften. Das fur ihn typische starke Selbstbewugtsein war immer noch ungebrochen, als er knapp 70-jahrig in einer

Kommission ein weltweit beach- tetes Ungluck bei der NASA zu untersuchen hatte.

Seinen wahren Charakter verbarg er stets vor seinen Mitmenschen. Ein in Physikerkreisen minde- stens ebenso bekannter Wissen- schaftler, mit dem Gesuchten in einer Art Hai3liebe verbunden, meinte einmal: ,,Er liebte es, sich mit einem Gespinst von Mythen zu umgeben, und er verwandte viel Zeit darauf, Anekdoten uber seine Person in Umlauf zu brin- gen". Stets habe er gewitzter als die anderen erscheinen wollen. Und er habe sich in diesen Geschichten, so weifl es zumin- dest ein Biograph zu berichten, immer als ,,ein Quertreiber und Schwerenoter, Clown und Ein- faltspinsel" dargestellt.

Kunste und Geisteswissenschaf- ten schatzte er nicht besonders. Er horte keine Musik, las keine Bucher und tat Philosophie als ,,nicht beweisbar" und ,,schwain- mig" ab - das Wort philosophical verballhornte der Englischspra- chige zu philozawfigal, um mit der Assoziation zu awful (hag- lich) seine abschatzige Meinung zum Ausdruck zu bringen. Den- noch befai3te er sich in seinen Buchern auch mit den Beziehun- gen von Religion und Naturwis- senschaft, mit Fragen der Schon- heit und der Ungewifiheit natur- wissenschaftlicher Erkenntnis. Immer wieder beschaftigte er sich mit handwerklichen und techni- schen Problemen - ZLI einer Zeit, in der er bereits hohe Physik trieb, soll er beispielsweise ver- sucht haben, den Mechanismus eines altmodischen Limonade- automatens zu verstehen und Plastikdrehknopfe von Radios mit verchromtem Metal1 zu beschichten.

Haufig erscheint er in den Erzah- lungen seiner Mitmenschen wie

ein kleiner Junge. So leitete er Ameisenstrai3en durch sein Buro oder uberraschte Niels Bohr auf einer Dinner- Party mit einem Xylophon, da8 er aus verschieden hoch gefullten Wasserglasern zusammengezim- mert hatte. Uberdies soll er viel Miihe darauf verwandt haben, seinen Hund zu lehren, Socken auf moglichst groi3en Umwegen zu apportieren. Und er sol1 ... aber vielleicht lassen wir diese Geschichten ruhen, die er selbst in Umlauf gesetzt hat.

Andreas Loos, Erlangen

Wer war das magische Physik- genie? Schreiben Sie die Losung auf eine Postkarte (keine Briefe) und schicken Sie sie an: VCH, Physik in unserer Zeit, Pappelal- lee 3,69469 Weinheim. Einsen- deschlufl ist der 1510.1997. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Wir verlosen dieses Ma1 drei Exemplare des Buches: Parfum, Portwein, PVC - Chemie im All- tag von J. Emsley.

Auflosung aus Heft 4/97 Die brillante Physikerin ohne Lohn war Maria Goeppert- Mayer (1 906 bis 1972).

Die Gewinner aus Heft 3/97 L. Friedmann aus Munchen, S. Schmid aus Bochum und R. Schofer aus Oldenburg.

Wir gratulieren den Gewinnern ganz herzlich.

In vino veritas

Schlechte Zeiten brechen fur Weinpanscher an. Hilmar Forstel hat am Forschungszentmm Julich uber Jahre hinweg eine physikali- sche Analysemethode entwickelt, die es ihm ermoglicht, Weine einer strengen Reinheitskontrolle zu unterziehen. Bei diesem Ver- fahren nutzt er die selektive Speicherung der drei Sauerstoffisotope 16,17 und 18 in den Weinpflanzen. Je nach Herkunft der Probe sind diese Isotope in einem anderen Mischungsverhaltnis im Was- ser enthalten. Die Weinpflanze zieht das Wasser aus dem Boden, pumpt es in die Friichte und Blatter, wo ein Teil des Wassers ver- dunstet. In den Trauben reichert sich Wasser mit erhohten Anteilen an schwerem Sauerstoff-18 an. Im Wein bleibt dieses Jsotopenmu- ster" erhalten, dai3 sich ganz charakteristisch von dem von Quell- oder Leitungswasser unterscheidet. Wird nun Leitungswasser dem Wein zugesetzt, andert sich das Isotopenmuster entsprechend.

Wichtig fur die Analysemethode ist auch die Tatsache, dai3 jedes Anbaugebiet und jeder Jahrgang sein ganz charakteristisches Isoto- penmuster besitzt. Durch den Vergleich mit lokalen Wasserproben und unverfalschtem Most kann Forstel im Labor nachweisen, woher der zu priifende Wein stammt und ob ihm Wasser hinzuge- fugt wurde. Die neue Methode wurde kurzlich von der Europai- schen Union anerkannt und wird nun auch bei Gerichtsverfahren dem Wein die Wahrheit entlocken. Erst kurzlich konnte Forstel einen italienischen Weinpanscher entlarven.

KFA-Informationen Nr. 22

Neue Internet-Adresse: http://www.wiley-vch.deJphysics

Physik in unserer Zeit / 28. jahrg. 1997 / Nr. J