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Halina Manikowska Princeps fundator im vorrechtsstädtischen Breslau. Von Piotr Włostowic bis zu Heinrich dem Bärtigen Stiftungen und frühstädtische Sakraltopographie Im früh- und hochmittelalterlichen Europa war es eine verbreitete Erscheinung, dem vom Menschen organisierten, von der Kirche geheiligten Raum und den darin befindlichen Reliquien symbolische Bedeutungen und sakrale Kraft zu verleihen. Gewiss waren sich die Stifter – die Bischöfe und Herrscher, mehr noch aber vielleicht die deren Werk schildernden Chronisten und Hagiografen – der besonderen Bedeutung und Funktion dieser spezifischen Sakraltopografie bewusst. Die von ihnen beschriebenen Bischofssitze und Klosterorte erweisen sich als in ihren Grundsätzen voll durchdacht und konsequent realisiert. In ein außergewöhnlich elaboriertes sakral- symbolisches Programm war etwa die Topographie von Bamberg eingeschrieben. Angefangen von der Stiftung Heinrichs II. über die Stiftungen des Bischofs Otto, seiner Nachfolger und des Ritters Reginold war der locus Babenbergensis aecclesiis et patrocioniis sanctorum in modum crucis undique munitus. 1 Originelle bzw. so komplexe Lösungen wie in Bamberg und Fulda 2 waren allerdings nicht sehr häufig. Daher wurden Sakralbauten bzw. Herrschersitze in anderen Orten, um ihnen eine besondere symbolische Bedeutung zu verleihen, nicht selten als Replik der berühmtesten Objekte und Städte 1 Otto Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen zur Kunstgeschichte des 11. und 12. Jahrhunderts für Deutschland, Lothringen und Italien. Berlin 1938, Stichwort Bamberg, bes. Nr. 99; Krzysztof Skwierczyński, Custodia civitatis. Sakralny system ochrony miasta w Polsce wcześniejszego śred- niowiecza na przykładzie siedzib biskupich [Custodia civitatis. Das sakrale Stadtschutzsystem im Polen des früheren Mittelalters am Beispiel der Bischofssitze], in: Kwart. Hist. 103, 1996, 3, 3–51. 2 Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen (wie Anm. 1), Stichwort Fulda, bes. Nr. 407. Vgl. auch die Klostertexte über die Bewirtschaftung ‚wilder‘ Gebiete, wo der Verlauf des gesamten Prozesses symbolisch aufgezeichnet wurde, z. B. Göttweik in Niederösterreich, ebd., Nr. 479: prius pascuis, nunc aedificiis (…) septem ecclesiis decoratur; quia septem donis Spiritus Sancti sublimatur. Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

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Halina Manikowska

Princeps fundator im vorrechtsstädtischenBreslau. Von Piotr Włostowic bis zuHeinrich dem Bärtigen

Stiftungen und frühstädtische Sakraltopographie

Im früh- und hochmittelalterlichen Europa war es eine verbreitete Erscheinung, demvom Menschen organisierten, von der Kirche geheiligten Raum und den darinbefindlichen Reliquien symbolische Bedeutungen und sakrale Kraft zu verleihen.Gewiss waren sich die Stifter – die Bischöfe und Herrscher, mehr noch aber vielleichtdie deren Werk schildernden Chronisten und Hagiografen – der besonderen Bedeutungund Funktion dieser spezifischen Sakraltopografie bewusst. Die von ihnenbeschriebenen Bischofssitze und Klosterorte erweisen sich als in ihren Grundsätzen volldurchdacht und konsequent realisiert. In ein außergewöhnlich elaboriertes sakral-symbolisches Programm war etwa die Topographie von Bamberg eingeschrieben.Angefangen von der Stiftung Heinrichs II. über die Stiftungen des Bischofs Otto, seinerNachfolger und des Ritters Reginold war der locus Babenbergensis aecclesiis etpatrocioniis sanctorum in modum crucis undique munitus.1 Originelle bzw. so komplexeLösungen wie in Bamberg und Fulda2 waren allerdings nicht sehr häufig. Daher wurdenSakralbauten bzw. Herrschersitze in anderen Orten, um ihnen eine besondere symbolischeBedeutung zu verleihen, nicht selten als Replik der berühmtesten Objekte und Städte

1 Otto Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen zur Kunstgeschichte des 11. und 12. Jahrhunderts fürDeutschland, Lothringen und Italien. Berlin 1938, Stichwort Bamberg, bes. Nr. 99; KrzysztofSkwierczyński, Custodia civitatis. Sakralny system ochrony miasta w Polsce wcześniejszego śred-niowiecza na przykładzie siedzib biskupich [Custodia civitatis. Das sakrale Stadtschutzsystem imPolen des früheren Mittelalters am Beispiel der Bischofssitze], in: Kwart. Hist. 103, 1996, 3, 3–51.

2 Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen (wie Anm. 1), Stichwort Fulda, bes. Nr. 407. Vgl. auch dieKlostertexte über die Bewirtschaftung ‚wilder‘ Gebiete, wo der Verlauf des gesamten Prozessessymbolisch aufgezeichnet wurde, z. B. Göttweik in Niederösterreich, ebd., Nr. 479: prius pascuis,nunc aedificiis (…) septem ecclesiis decoratur; quia septem donis Spiritus Sancti sublimatur.

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gestaltet.3 Am häufigsten berief man sich dabei selbstverständlich auf Jerusalem undRom. ‚Kopien‘ der Jerusalemer Heilig-Grab-Kirche wurden in Europa seit der Wendevom 9. zum 10. Jahrhunderts errichtet, sehr viele davon in der Zeit der Kreuzzüge. Einigevon ihnen, wie die in Paderborn, entstanden erst nach der gelungenen Mission einesspeziellen Boten, dessen Aufgabe darin bestand, am Originalort die genauen Maße desVorbildes zu ermitteln.4

Leider verfügen wir über keine Texte, die die Anwendung ähnlicher Programme undPrämissen im frühmittelalterlichen Polen beschreiben würden. Ein Versuch ihrerRekonstruktion muss sich daher in hohem Maße auf Analogien und Vorbilder auf demGebiet des Deutschen Reiches stützen. Zu einem solchen Vorgehen berechtigen auchdie böhmischen Quellen. Cosmas von Prag nahm an, dass die Errichtung der St.-Veits-Rotunde durch den hl. Wenzel wahrscheinlich nach dem Vorbild einer römischenKirche erfolgte.5 Ein römisches Vorbild nutzte auch Břetislav II., der Stifter einer derKirchen in Vyšehrad ad similitudinem ecclesiae Romanae s. Petri,6 während Vladis-lav II. in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts montem Ztrgow mutavit in montemSion, et de spelunca latronum faciens domum orationis erexit ibi talem fabricam, cui vixsimilis invenitur in ordine nostro.7 Wir dürfen uns von der Ungenauigkeit derarchitektonischen und topografischen Repliken, die die Menschen des Mittelalters alsgetreue Kopien der Grabeskirche oder des Petersdoms ansahen, obwohl sie ihrenOriginalen oft auf gar keine Weise ähnelten, nicht weiter beeindrucken lassen. WieRichard Krautheimer gezeigt hat, beruhte das Kopieren gar nicht so sehr auf einerWiederholung des Plans und der Bauform (ganz gleich in welchem Maßstab), sonderneher auf der Wiederholung jener Elemente, die das nachgebildete symbolischeProgramm ausmachten.8 Manchmal erwies sich schon die Verwendung desselben

3 Vgl. Roman Michałowski, Prüm i urbs Caroli. Monarsze fundacje na tle kultury politycznejwczesnych czasów karolińskich [Prüm und die urbs Caroli. Monarchische Stiftungen vor dem Hin-tergrund der politischen Kultur der frühkarolingischen Zeit], in: Edward Opaliński / TomaszWiślicz (Hrsg.), Fundacje i fundatorzy. Warszawa 2000, 11–36.

4 Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen (wie Anm. 1), Nr. 1048. Die erste Nachbildung des HeiligenGrabes in Europa entstand bereits im 5. Jahrhundert. Ausführlicher zu den mittelalterlichen Repli-ken der Kapelle des Heiligen Grabes und der Anastasis-Rotunde Zbigniew Bania, Święte miaryjerozolimskie. Grób Pański, Anastasis, Kalwaria [Heilige Jerusalemer Maße. Das Herrengrab, dieAnastasis-Rotunde und die Kalvarien-Kapelle]. Warszawa 1997.

5 Cosmae Pragensis Chronica Boemorum. Ed. Berthold Bretholz, in: MGH SS NS 2. München²1955, Kap. 17.

6 Chronicon Bohemicorum auct. anonymo, zitiert nach Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen (wieAnm. 1), 230.

7 Continuatio Gerlaci abbatis Milovicensis anno 1173, zitiert nach Lehmann-Brockhaus, Schriftquel-len (wie Anm. 1), 683.

8 Richard Krautheimer, Introduction to an Iconography of Medieval Architecture, in: Journal of theWarburg and Courtauld Institute 5, 1942, 1–33, bes. 14.

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Patroziniums als ausreichend, damit die similitudo offensichtlich wurde, so wie im Falleder von Břetislav II. gestifteten Prager Kirche.

Das Fehlen eines Hinweises auf ad similitudinem construxit im polnischenQuellenmaterial zwingt uns zu einer hypothetischen Deutung der symbolischen undideologischen Bedeutungen, die hier Sakralbauten einst verliehen wurden. DieAufdeckung solcher Bedeutungen bildet im allgemeinen seit langem einen wichtigenTeil kunsthistorischer Forschungen. Dagegen sind für Polen erst vor kurzem Versucheunternommen worden, die Topografie der frühstädtischen sakralen Zentren in dieserWeise zu deuten.9 Entsprechende Anstösse sind insbesondere Roman Michałowski zuverdanken. Der Warschauer Mediävist geht von der Grundannahme aus, dass – wie imgesamten christlichen Europa – „kirchliche Stiftungen – zumindest in einigen Fällen –Akte waren, mit deren Hilfe die piastischen Herrscher bemüht waren, ihrer großenMajestät Ausdruck zu verleihen oder die Rechtmäßigkeit ihrer Herrschaft zu bewei-sen.“10 Er konzentrierte seine ganze Aufmerksamkeit darauf, diese These anhand derwichtigsten Stiftungsunternehmungen in der Zeit vom 10. bis 13. Jahrhundert zu bele-gen. Das Gebiet, in dem Michałowski nach Vorbildern für die Stiftungsaktivitäten derpolnischen Herrscher und Möglichkeiten vergleichender Forschungen suchte, war inerster Linie das Römisch-Deutsche Kaiserreich. Die Entdeckung erstaunlicher Über-einstimmungen in den Patrozinien und der Verteilung der Kirchen zwischen dem otto-nischen Aachen und Krakau im 11. Jahrhundert, die von Aleksander Gieysztor alsbewiesen angenommen wurde,11 bildet eine der wichtigsten Errungenschaften seinerUntersuchungen. Da diese Analogien nicht als Zufall und auch nicht ausschließlich alsResultat irgendwelcher allgemeiner, europäischer urbanistischer Konzeptionen erklärtwerden können, gelangte Michałowski zu der Schlussfolgerung, dass die Situierung und

9 Es ist erstaunlich, dass der auf Richard Krautheimers Untersuchungen aufmerksam machendeArtikel von Maria Lodyńska-Kosińska, O niektórych zagadnieniach teorii architektury w średni-owieczu [Zu einigen Fragen der Architekturtheorie im Mittelalter], in: Kwart. Archit. Urb. 4,1959, 3–21 von der sich mit der städtischen Entwicklung im frühpiastischen Polen befassendenForschung bis in die 1990er Jahre nicht rezipiert worden ist. Ungewöhnlich selten berief man sichauch auf die von Marian Morelowski, Początki świadomej myśli urbanistycznej w Polsce przedkolonizacją XIII w. [Die Anfänge eines bewussten urbanistischen Denkens in Polen vor der Ko-lonisation des 13. Jahrhunderts], in: Jan Białostocki / Michał Walicki (Hrsg.), Sztuka i historia.Księga pamiątkowa ku czci profesora Michała Walickiego. Warszawa 1966, 39 vorgebrachteThese der ‚Anlegung‘ eines ‚Wegekreuzes‘, das aus entlang der wichtigsten Straßen errrichtetenmonumentalen weltlichen und kirchlichen Bauten bestanden habe.

10 Roman Michałowski, Princeps fundator. Monarchische Stiftungen und politische Kultur impiastischen Polen (10.–13. Jahrhundert), in diesem Band 37–108, hier 106; Ders., Kościół św.Mikołaja we wczesnopiastowskich ośrodkach rezydencjalnych [Die Nikolaikirche in frühpiasti-schen Residenzstädten], in: Społeczeństwo Polski Średniowiecznej 6, 1994, 63–74.

11 Aleksander Gieysztor, Politische Heilige im hochmittelalterlichen Polen und Böhmen, in: JürgenPetersohn (Hrsg.), Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter. Sigmaringen 1994, 325–341, hier 330f. An diese Konzeption und Forschungsmethode knüpft an Skwierczyński, Custodiacivitatis (wie Anm. 1).

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die Patrozinien eines Teils der Kirchen Krakaus aus der Zeit vor der Lokation einebewusste Nachbildung des in Aachen realisierten ottonischen Programms darstellten.12

Auf der Grundlage eines ähnlichen Verständnisses von frühmittelalterlichen Kir-chenstiftungen und einer gleichen Auffassung bezüglich der sakraltopografischenProblematik gelangte auch Krzysztof Skwierczyński zu der Feststellung, dass das ausWesteuropa und vor allem aus dem Reich bekannte, in den Residenzen der Monarchenund Bischöfe eingeführte urbanistische Programm auch in Polen realisiert worden sei.Die Kirchen, die hier die frühen Städte umgaben und gleichsam ein Bollwerk gegenböse Mächte, eine Art murus protectionis, bildeten, waren in Form eines Kreuzes imRaum situiert.13 Dies ist in Gnesen, Posen, Krakau und Breslau der Fall. In der erzbi-schöflichen Hauptstadt Gnesen bildeten dieses Kreuz: Im Norden die Heilig-Kreuz-Kirche, im Süden St. Laurentius, im Westen St. Peter und Paul und im OstenSt. Michael, während sich im Zentrum, im Schnittpunkt der Kreuzesarme, die wich-tigste Kirche befand: die Kathedrale zur Jungfrau Maria in der Vorstadt, der das Patro-zinium St. Adalbert hinzugefügt wurde.14 Aus dieser Analyse sind freilich mindestenszwei Gnesener Kirchen, die wahrscheinlich zu den ältesten Stiftungen in der Burgsied-lung und im Suburbium gehören, ausgenommen, nämlich St. Georg (eine vielleichtschon Ende des 10. Jahrhunderts existierende Kirche) und St. Johannes der Täufer. Diespäter bezeugten bzw. von den Archäologen auf eine spätere Zeit datierten GotteshäuserHeilig-Kreuz-Kirche (Ende des 12. Jahrhunderts), St. Michael (12. oder 13. Jahrhundert),St. Peter (nicht früher als 11., eher 12. Jahrhundert) und St. Laurentius (nicht vor derWende vom 11. zum 12. Jahrhundert),15 konnten Skwierczyński zufolge auch älterenUrsprungs gewesen sein, wovon die Patrozinien dieser Kirchen zeugen würden. Um dieszu belegen, konstruiert Skwierczyński eine doppelte Hypothese: Erstens erlaubten dieSituierung der Kirchen und ihre Patrozinien die Annahme, dass die urbanistische Ideemit ausgesprochen sakralem Charakter auch im westlichen Polen Anwendung gefundenhabe; zweitens könne dieses Programm daher auch auf Gotteshäuser bezogen werden,die zwar archäologisch heute nicht mehr greifbar sind, gleichwohl – worauf die Über-

12 Michałowski, Princeps fundator (wie Anm. 10), 39–49; Ders., Kościół św. Mikołaja (wieAnm. 10), S. 63–74.

13 Vgl. Skwierczyński, Custodia civitatis (wie. Anm. 1).14 Ebd., 8–10.15 Es ist unmöglich, hier die gesamte Literatur über die Patrozinien und die Datierung der Gnesener

Kirchen anzuführen; daher sei hier nur auf die bibliografische Zusammenstellungen enthaltendenArbeiten von Gabriela Mikołajczyk, Początki Gniezna. Studia nad źródłami archeologicznymi[Die Anfänge Gnesens. Archäologische Quellenstudien]. Warszawa-Poznań 1972, Maria Pie-trusińska, Katalog i bibliografia zabytków [Katalog und Bibliografie der Denkmäler], in: MichałWalicki (Hrsg.), Sztuka polska przedromańska i romańska do schyłku XIII wieku. Warszawa1971, 675–842 und insbesondere Zbigniew Pianowski, Sedes regni principales. Wawel i innerezydencje piastowskie do połowy XIII wieku na tle europejskim [Sedes regni principales. DieWawelburg und andere piastische Residenzen bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts vor dem europäi-schen Hintergrund]. Kraków 1994, 46–50 verwiesen.

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tragung des urbanistischen Plans hinweise – auf eine Zeitspanne zwischen der Wendevom 10. zum 11. und dem Beginn des 12. Jahrhunderts datiert werden können. Was diePatrozinien betrifft, so muss allerdings betont werden, dass es sich – zumindest in denmeisten Fällen – um solche handelt, die das ganze Mittelalter hindurch verwendetwurden.

Das häufige Fehlen archäologischer Zeugnisse und die noch häufigere Unmöglich-keit einer präzisen Datierung oder Feststellung der Funktion eines Bauwerkes, von demnur noch Fundamentreste erhalten sind, bedingt mithin einen rein hypothetischenCharakter aller derartiger Rekonstruktionen. Diese Schwierigkeiten treten in den For-schungen über Breslau in der Zeit vor der Lokation mit voller Kraft in Erscheinung. DieBreslauer custodia civitatis wurde von einer Reihe von Kirchen gebildet: im Norden dieMichaelskirche auf dem Elbing, die für die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts belegt ist,aber vielleicht eine noch ältere Herkunft besaß, da sich auf diesem Territorium jabereits im 11. Jahrhundert eine Siedlung befand; im Süden die Kirche St. Adalbert, dievon einigen Historikern als Stiftung des Bruders von Piotr Włostowic, Bogusław,angesehen wird,16 aber in Übereinstimmung mit den Ansichten der älteren Historiogra-fie und mit den Ausgrabungen auf dem Gebiet der Siedlung bei der Adalbertskirche vonSkwierczyński mindestens auf das 11. Jahrhundert datiert wird; im Osten die Kathed-ralkirche St. Johannes, die gleich nach der Errichtung des Bistums entstanden seinmuss, wenn auch wahrscheinlich nicht an derselben Stelle wie der Dom des BischofsWalter; und im Westen die Nikolaikirche, die mit größter Wahrscheinlichkeit nicht vorBeginn des 12. Jahrhunderts entstanden ist.17 Im Schnittpunkt der Kreuzesarme konntesich die dem hl. Martin geweihte Burgkapelle befinden.

Michałowskis und Skwierczyńskis Untersuchungen haben hinsichtlich der Stiftungs-programme im frühmittelalterlichen Polen, bei denen es sich in erster Linie um monar-chische Unternehmungen handelte, zu weitreichenden Interpretationen geführt. DieÜbereinstimmung der Patrozinien in den frühstädtischen Hauptzentren ist den Histori-kern schon früh aufgefallen. Doch hat die Analyse der einzelnen Patrozinien und dervon den Heiligenkulten zum Ausdruck gebrachten ideologischen Inhalte zunächst nichtzur Aufdeckung urbanistischer Konzeptionen mit sakralem Charakter im piastischenPolen und zur Deutung der in ihnen enthaltenen symbolischen Inhalte geführt. DieForschungen blieben weitgehend von der traditionellen Frage nach der Zeit des erstenAuftretens des jeweiligen Patroziniums bzw. Heiligenkultes, nach seiner lokalen bzw.regionalen Herkunft und seinem Weg nach Polen, seiner dortigen Verbreitung be-

16 Stanisław Trawkowski, Ołbin wrocławski w XII w. [Der Breslauer Elbing im 12. Jahrhundert], in:Roczniki dziejów społecznych i gospodarczych 20, 1958, 69–106, hier 85, der die früheren An-sichten der deutschen Historiografie widerlegt, die das Patrozinium dieser Kirche mit den Wall-fahrten von Prag zum Grab des hl. Adalbert nach Gnesen im 11. Jahrhundert in Verbindungbrachten.

17 Marta Młynarska-Kaletynowa, Wrocław XII–XIII w. Przemiany społeczne i osadnicze [DasBreslau des 12.–13. Jahrhunderts. Soziale und das Siedlungswesen betreffende Veränderungen].Wrocław 1978, 59f. Diese Ansicht teilt auch Skwierczyński, Custodia civitatis (wie Anm. 1), 20.

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stimmt. Daneben interessierte insbesondere die – mitunter sehr erfolgreiche – Aufklä-rung des jeweiligen politischen Kontextes des Auftretens neuer Patrozinien.18

Michałowski und Skwierczyński zufolge stellten die Kirchenpatrozinien und ihreräumliche Situierung also eine bewusste Verwirklichung westlicher urbanistischerKonzeptionen dar, die die frühstädtischen Zentren in von heiligen Patronen geschützteGebiete verwandelten, deren in den Kirchen und Kapellen aufbewahrte Reliquiendiesen Schutz noch verstärkten.19 Sowohl das gesamte Programm als auch zumindesteinige der davon betroffenen Gotteshäuser bildeten ein wichtiges Element, um dieMajestät des Herrschers zu demonstrieren; sie brachten die politischen Aspirationen derMonarchen und ihr Streben zum Ausdruck, sich und der ihrer Herrschaft unterworfenenBevölkerung den Schutz des Himmels zu sichern. Diese beiden Konzeptionen beein-drucken durch ihre Attraktivität. Es besteht keinerlei Grund, die Raumplanung sowichtiger Siedlungszentren wie der ersten sedes regni und der Bischofssitze vomEinfluss des damaligen urbanistischen Denkens auszunehmen und sie ihrer sakralenDimension zu berauben und allein der Wirkung landschaftlicher und wirtschaftlicherFaktoren zu unterstellen. Aber man kann nicht umhin zu bemerken, dass diese Hypo-thesen doch auf sehr schwachen Argumenten und recht zweifelhaften Prämissen basie-ren. Michałowski und Skwierczyński schildern die monarchischen Stiftungen so, alswären die Herrscher die einzigen Stifter in den Hauptstädten des regnum Poloniaegewesen.20 Sogar dem Prämonstratenserinnenkloster im Krakauer Stadtteil Zwierzy-niec, bei dem es sich eindeutig um die Stiftung eines Großen handelte, soll zunächst ein– sicher benediktinischer – Konvent vorausgegangen sein, der von einem der Piasten im11. Jahrhundert gegründet worden sei.21 Die Datierung der meisten in Betracht gezoge

18 Vgl. Gieysztor, Politische Heilige (wie Anm. 11) oder die sehr interessante Studie von MartaMłynarska-Kaletynowa, O kulcie św. Gotarda w Polsce XII–XIII wieku [Über den Kult des hl. Gott-hard in Polen im 12.–13. Jahrhundert], in: Społeczeństwo Polski Średniowiecznej 6, 1994, 75–90.Unlängst auch Jerzy Wyrozumski, O potrzebie badania najstarszych patrociniów [Zur Notwendigkeitder Erforschung der ältesten Patrozinien], in: Kwart. Hist. 100, 1993, 4, 63–72, hier 63f.

19 Vgl. auch Roman Michałowski, Translacja Pięciu Braci Polskich do Gniezna. Przyczynek dodziejów kultu relikwii w Polsce wczesnośredniowiecznej [Die Translation der Fünf PolnischenBrüder nach Gnesen. Ein Beitrag zur Geschichte der Reliquienverehrung im frühmittelalterlichenPolen], in: Halina Manikowska / Hanna Zaremska (Hrsg.), Peregrinationes. Pielgrzymki w kul-turze dawnej Europy. Warszawa 1995, 173–184.

20 Roman Michałowski, Princeps fundator. Studium z dziejów kultury politycznej w Polsce X–XIIIwieku [Princeps fundator. Studien zur Geschichte der politischen Kultur im Polen des 10.–13. Jahrhunderts]. Warszawa 1993, 110–112 macht auf den Stiftungselan der Großen im12. Jahrhundert aufmerksam, den er als Nachahmung des Herrschers (imitatio regni) deutet.

21 Michałowski, Princeps fundator (wie Anm. 10), 50; gemäß den Feststellungen von Teresa Rad-wańska, Krakowski kościół Najśw. Salvatora po badaniach archeologicznych w latach osiemdzie-siątych [Die Krakauer Kirche zum Allerheiligsten Salvator nach den archäologischen Untersu-chungen in den achtziger Jahren], in: Mat. Arch. 27, 1993, 19–21 und Jerzy Rajman, Norbertaniepolscy w XII wieku. Możni wobec ordines novi [Die polnischen Prämonstratenser im12. Jahrhundert. Das Verhältnis der Großen zu den ordines novi], in: Społeczeństwo Polski Śred-

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nen Gotteshäuser ist in der Regel sehr ungewiss und die Rückverlegung ihres Entste-hungszeitpunkts besitzt zumeist nur Wunschcharakter.

Das Breslauer ‚Kreuz‘ erfordert eine sehr frühe Datierung der fraglichen Gotteshäu-ser. Diese verfügen aber bisher nicht über entsprechend alte archäologische ‚Geburtsur-kunden‘. Wir müssen uns auch fragen, wessen Werk gerade eine solche sakrale Topo-grafie denn gewesen sein sollte. Über die Stifter der Breslauer Kirchen haben wir erstseit dem 12. Jahrhundert einige dürftige Kenntnisse. Doch die Entstehungszeit, dieStifter sowie die Funktionen vieler der ältesten Sakralobjekte können nur hypothetischrekonstruiert werden.22 Die auf dem Gelände der Burg errichtete Martinskapelle bietetdafür ein gutes Beispiel. Es scheint auch, dass der Anteil der piastischen Herzöge amAusbau des Breslauer Kirchennetzes nur gering und ihr Herrschaftssitz so bescheidenwar, dass die Stadt in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts auf Neuankömmlingenicht gerade den Eindruck einer Herzogsresidenz machte.23

niowiecznej 7, 1996, 71–105, hier 91f. erfolgte die Ansiedlung der Prämonstratenserinnen imKrakauer Zwierzyniec durch Jaxa wahrscheinlich nach 1158, und als ihr Gotteshaus fungierte dieKirche St. Augustin. Die Kirche St. Salvator wurde dem Kloster von Bischof Gedko Mitte des13. Jahrhunderts einverleibt – nach der Zerstörung der Klosterkirche erfüllte sie deren Rolle. DieVerbindung irgendeines Frauenklosters im 11. Jahrhundert (und dann eher in dessen erster Hälfte)mit eben dieser Kirche (das gemauerte Bauwerk wurde nach dem Beginn des 12. Jahrhunderts er-richtet) gründet sich somit ausschließlich auf Analogien zu Aachen und betrifft darüber hinausnur eine nicht verwirklichte Stiftungsabsicht.

22 Vgl. Adam Żurek, Wrocławska kaplica św. Marcina w średniowieczu [Die Breslauer KapelleSt. Martin im Mittelalter]. Wrocław 1996, bes. Kap. 1.

23 Vgl. Marian Morelowski, Rozwój urbanistyczny Wrocławia średniowiecznego [Die urbanistischeEntwicklung des mittelalterlichen Breslau], in: Karol Maleczyński u. a. (Hrsg.), Wrocław – Ro-zwój urbanistyczny. Warszawa 1956, 11–79; Stanisław Golachowski, Głos w dyskusji nad geneząrozplanowania średniowiecznego Wrocławia [Diskussionsbeitrag zur Genese der Stadtplanungdes mittelalterlichen Breslau], in: Kwart. Archit. Urb. 1, 1956, 67–78.

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ungefährer Verlauf der Flüsse

Wall der Burg

Besiedlungsgebiete aufgrund archäologischer Forschungen

Besiedlungsgebiet nach schriftlichen Quellen

Kirchen, Lage sicher und Lage unsicher

archäolog. Grabungen in der frühstädtischen Siedlung am linken Oderufer

Kretscham nach schriftlichen Quellen

Höfe nach schriftlichen Quellen

12345678910111213141516

BRESLAU um 1200

nachGroßpolen

Dom-insel

nachKujawien u.Mittelpolen

nachThüringenu. Lausitz

nachBöhmen

nachKleinpolenu. in die Rus’

Sand-

insel3

1

2

6

4513

11

14

12

15

78

910

16

ponssancti Mauritii

Oder

ELBING

Sitz des Herzogs und BurgkapelleDom mit BischofssitzMarienstift auf dem SandeVinzenzabteiMichaeliskirchePeterskircheAdalbertkircheMaria-Magdalenen-KircheKirche zur hl. Ägyptischen MariaMauritiuskircheElbinger JahrmarktMarkt am linken OderuferHof des Piotr Wlostowicehem. Hof des Mikora, im Besitz der Leubuser ZisterzienserHof des GeroWallonenviertel

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Princeps fundator im vorrechtsstädtischen Breslau 299

Das Stiftungsprogramm der Włostowicen

Im Jahr 1163 kehrte Bolesław der Lange aus dem Exil im Reich nach Schlesien zurück.Er war – wie Benedykt Zientara formulierte – ein wahrer Kosmopolit, der wie keinanderer Herrscher im damaligen Polen mit der Welt und ihren zivilisatorischen Errun-genschaften vertraut war.24 Selbst wenn der Aufenthalt Bolesławs des Langen in Romund Konstantinopel nur wahrscheinlich, der in Spanien und in der Provence höchstensmöglich und der im Heiligen Land fast sicher ist, kannte er das Reich und Norditalienzweifellos gut. Auch hielt er sich noch während des Seniorats seines Vaters lange in derKiewer Rus’ auf. Bolesław der Lange hatte also die großen Metropolen der damaligenWelt, herrliche, volkreiche Städte, prächtige Burgen und riesige romanische Kathedra-len gesehen. Und nun kam er in ein Herzogtum zurück, das hinsichtlich der Anzahlgemauerter Gebäude sogar noch hinter Masowien zurückstand. In den ersten Jahrenseiner Herrschaft gelang es ihm nicht, die Hauptstadt seines Herrschaftsbezirks zuerobern, denn Breslau war fest in der Hand Bolesławs IV. Kraushaar. So musste Bo-lesławs Herrschaft in Schlesien zunächst ohne dieses Zentrum, d. h. auch ohne vollstän-dige Souveränität und eine überzeugende Legitimation auskommen.25 Als er sichschließlich drei Jahre später doch noch in Breslau niederlassen konnte (wenn auch, wiesich erweisen sollte, nicht für immer, musste er sein Erbteil doch noch zwei weitereMale verlassen), fand er dort eine aus Holzbauten bestehende Burgsiedlung vor, die vonherrlichen Bauwerken umgeben war, die nicht monarchischer Herkunft waren: Auf derDominsel erhob sich die von Bischof Walter, einem treuen Mitarbeiter Bolesław Kraus-haars, erbaute Kathedrale und auf der Sandinsel sowie auf dem Elbing standen dieimponierenden Kirchen und Klöster des Piotr Włostowic und seiner Familie. DieRaumplanung Breslaus in der Mitte des 12. Jahrhunderts war also nicht nur das Werkder Herrscher, und die sichtbarsten und für die Sakraltopografie bedeutsamsten – weilmit wertvollen und zahlreichen Reliquien, Altären, Heiligenfiguren usw. ausgestatteten– Objekte hatten mit den Herrschern nicht viel zu tun.26

Die Annales Cracovienses notieren im Jahr 1145: Petrus cecatur (…) qui claustrum,Wratislavie construxit.27 Gemeint war die Stiftung einer Benediktinerabtei, die auf dieZeitgenossen großen Eindruck gemacht haben muss und die die erste große Bauunter-nehmung in Breslau darstellte, das neben der Kathedrale bis dahin nur einige kleine

24 Benedykt Zientara, Bolesław Wysoki – tułacz, repatriant, malkontent. Przyczynek do dziejówpolitycznych Polski XII w. [Bolesław der Lange – Vertriebener, Repatriant und Nörgler. Ein Bei-trag zur politischen Geschichte Polens im 12. Jahrhundert], in: Prz. Hist. 62, 1972, 367–394.

25 Zbigniew Dalewski, Władza, przestrzeń, ceremoniał. Miejsce i uroczystość stanowienia władcówpolskich do końca XIV w. [Herrschaft, Raum, Zeremoniell. Ort und Feier der Einsetzung der pol-nischen Herrscher bis zum Ende des 14. Jahrhunderts]. Warszawa 1996, 16f.

26 Außer Acht lasse ich hier selbstverständlich die ursprüngliche Stiftung der Kathedrale.27 Rocznik Traski [Die Annalen des Traska]. Ed. August Bielowski, in: MPH. Bd. 2. Lwów 1872,

826–861, hier 833.

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Kirchen besaß, die in den zeitgenössischen und etwas späteren Quellen als capellaebezeichnet werden.28 Die Kosten der Errichtung der drei im 12. Jahrhundert größtenBreslauer Kirchen betrugen – für jede getrennt – zwischen 50.000 und 100.000 MarkSilber.29 Und obwohl Piotr Włostowic die Steine für den Bau sicher aus dem ihmgehörenden Gebiet um den Zobtenberg herbeiholte,30 übertraf seine Stiftung dennochalle anderen Bauunternehmungen jener Zeit. Gewiss waren Piotr Włostowic und seinSchwiegersohn Jaxa keine gewöhnlichen Großen. Die Nachrichten der zeitgenössischenund späteren Chronisten sowie die legendäre Erinnerung der Nachwelt an diese beidenGestalten können hinsichtlich ihres Erzählungsreichtums ohne weiteres mit Überliefe-rungen mithalten, die Monarchen betreffen. Principes, domini, primi principum, duces,so bezeichnen sie die zeitgenössischen Quellen, und da sie mit den Rurikiden, denPiasten und der stodoranischen Dynastie der Heveller verschwägert waren, konnten sienicht nur monarchische Aspirationen hegen, sondern besaßen diese auch tatsächlich.31

Ehe Piotr Włostowic im Jahre 1153 starb (das Datum 1151 ist weniger wahrscheinlich),war er mehrfach Pfalzgraf sowie Statthalter von Schlesien. Selbst das für ihn tragischeUrteil der Blendung, der Verstümmelung seiner Zunge und der Verbannung konnteseiner stolzen Karriere kein Ende setzen. Seine Breslauer Stiftungen fallen in eine Zeit,in der er im Kreis der polnischen Großen eine führende Stellung einnahm und imregnum Poloniae eine erstrangige politische Rolle spielte.32 Als Motiv seiner zahlrei-chen Kirchenstiftungen führen die Historiker in Übereinstimmung mit der Quellenüber-lieferung jene Buße an, die ihm für seinen ‚patriotischen‘ Treuebruch und die Entfüh-rung des ruthenischen Fürsten Wolodar auferlegt worden sei. Die Faktizität der in denQuellen angeführten Zahl von 70 vel amplius Stiftungen wird von der Forschung aller-dings in Frage gestellt. Jan Długosz zählte im 15. Jahrhundert nur noch rund 40 Stiftun-

28 Vgl. Jerzy Piekalski, Wrocław średniowieczny. Studium kompleksu osadniczego na Ołbinie wVII–XIII w. [Das mittelalterliche Breslau. Eine Studie zum Siedlungskomplex auf dem Elbing im7.–13. Jahrhundert]. Wrocław 1991, 38.

29 Vgl. Tadeusz Lalik, Uwagi o finansowaniu budownictwa murowanego w Polsce do początku XIIIw. [Bemerkungen zur Finanzierung gemauerter Bauwerke in Polen bis zum Beginn des13. Jahrhunderts], in: Kwart. Hist. Kult. Mater. 15, 1967, 55–74.

30 Piekalski, Wrocław (wie Anm. 28), 37.31 Magistri Vincentii dicti Kadłubek Chronica Polonorum. Ed. Marian Plezia, in: MPH NS. Bd. 11.

Kraków 1994, III, 20: sanguinis princeps et principi dignitate proximus, vir magnanimitatis generosaelam strenuus manu, quam pectore industius, ecce! Ille famae celeberrimae Petrus Wlostides. StanisławTrawkowski, Piotr Włostowic, in: Emanuel Rostworowski (Hrsg.), Polski Słownik Biograficzny. Wars-zawa 1981, 355–358; Stanisław Bieniek, Piotr Włostowic. Wrocław 1965; Janusz Bieniak, Polska elitapolityczna XII wieku. Część III.A: Arbitrzy książąt – Krąg rodzinny Piotra Włostowica [Die polnischepolitische Elite des 12. Jahrhunderts. Teile III. A: Arbiter der Fürsten – der Familienkreis des PiotrWłostowic], in: Społeczeństwo Polski Średniowiecznej 4, 1990, 13–107.

32 Vgl. Janusz Bieniak, Polska elita polityczna XII wieku. Część III. B: Arbitrzy książąt – trudnepoczątki [Die polnische politische Elite des 12. Jahrhunderts. Teil III. B: Arbiter der Fürsten –schwierige Anfänge], in: Społeczeństwo Polski średniowiecznej 7, 1996, 11–44, hier 23.

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Princeps fundator im vorrechtsstädtischen Breslau 301

gen auf,33 während der Mediävist Marian Friedberg zu Beginn des 20. Jahrhundertslediglich acht Kirchen und Klöster für sichere Stiftungen des Piotr Włostowic hielt.Janusz Bieniak beziffert die Zahl seiner Stiftungen heute wiederum auf mindestenszwanzig Kirchen und Klöster, wobei er auch der bereits in der Chronica Polonorum desMagister Vincentius begegnenden Tradition Glauben schenkt, dass die Finanzierungdieser Stiftungen aus jenem Lösegeld erfolgt sei, das Piotr vom Fürsten Wolodar fürdessen Freilassung erpresst hatte.34 Nicht zu unterschätzen waren jedoch die Gnadener-weise, die ein so freigebiger Stifter erwarten durfte. Mit besonders großer Skepsisbegegnet der mittelalterlichen Tradition einer großen Zahl von Stiftungen des PiotrWłostowic der Kunsthistoriker Zygmunt Świechowski, der sich nachdrücklich dafürausspricht, als solche nur die völlig sicheren und die sehr wahrscheinlichen Stiftungenanzunehmen. Dabei handele es sich seines Erachtens lediglich um die beiden BreslauerAbteien auf dem Elbing und der Sandinsel sowie wahrscheinlich um die Kanonikerabteiauf dem Zobtenberg und möglicherweise die Kirche in Skrzyńsko.35

Die Entwirrung der Geheimnisse des Lebens und der Karriere sowohl des PiotrWłostowic als auch von Jaxa, die Feststellung seiner Nachkommenschaft und seinerweiteren Verwandtschaft, die Ermittlung der Größe seines Besitzes und der tatsächli-chen Anzahl seiner Stiftungen hat für die Historiker eine so schwierige und mühsameAufgabe dargestellt, dass bislang weder die Patrozinien analysiert noch der sakraleKontext der fraglichen Kirchenstiftungen in Betracht gezogen worden sind. Und da wodiese mit den politischen Möglichkeiten und Aspirationen des mächtigsten polnischenGroßen der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Verbindung gebracht worden sind, hatman sich über die Bedeutung und die Konsequenzen eines so umfangreichen Stiftungs-programms kaum Gedanken gemacht. Will man dem Modell Michałowskis Deutungs-kraft zumessen, so besteht freilich kein Grund, nicht auch den größten Stifter des12. Jahrhunderts in Betracht zu ziehen. Verwiesen sei hier lediglich auf seine wichtigs-ten Stiftungsunternehmungen in Schlesien. Das Geschlecht des Piotr Włostowic besaßin diesem Teilfürstentum tatsächlich umfangreiche Güter. Zu seinem riesigen Besitzgehörte, was von Bedeutung zu sein scheint, auch zumindest ein Teil des Zobtenberges

33 Ioannis Dlugossi Annales seu Cronicae incliti regni Poloniae. Liber 5. Ed. Zofia Budkowa u. a.Warszawa 1973, 25; Ioannis Dlugossi Liber beneficiorum Dioecesis Cracoviensis. Bd. 3. Ed. Ale-xander Przezdziecki u. a. Kraków 1864, 163; 183.

34 Bieniak, Polska elita (wie Anm. 31), 40f.35 Zygmunt Świechowski, Fundacje Piotra Włostowica [Die Stiftungen des Piotr Włostowic], in:

Jerzy Rozpędowski (Hrsg.), Architektura Wrocławia. Bd. 3: Świątynia. Wrocław 1997, 9–20 istder Meinung, dass als mögliche Stiftung Piotrs sowohl Skrzynno als auch Skrzyńsko in Fragekommen kann; hier wird aufgrund früherer Feststellungen von Marian Friedberg, RódŁabędziów [Das Adelsgeschlecht der Łabędź], in: Rocznik Towarzystwa Heraldycznego 7, 1926,1–100, hier 48f. die zweite Möglichkeit bevorzugt, der zufolge Skrzyńsko dem GeschlechtŁabędź gehörte, was die Information der Großpolnischen Chronik (dort aber Skrzynno) über eineSchenkung Bolesław Schiefmunds an Piotr wahrscheinlich macht.

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Die dritte große Klostergründung (der Reihenfolge nach die erste oder zweite) bilde-te der Benediktinerkonvent auf dem Elbing, ebenfalls unter dem Patronat der JungfrauMaria, für den Piotr Włostowic während seines Aufenthaltes zu Weihnachten 1144 inMagdeburg die Reliquien des hl. Vinzenz erwarb, die er am 6. Juni des darauffolgendenJahres in Gegenwart terre illius primates feierlich an die Oder überführen ließ und die

36 Trawkowski, Ołbin wrocławski (wie Anm. 16), 90, passim.37 Czesław Deptuła, Przyczynek do dziejów Ślęży i jej opactwa [Ein Betrag zur Geschichte des

Zobten und seiner Abtei], in: Rocz. Hum. 15, 1967, 2, 17–28.38 Zweifellos schließt die Stiftung Marias und Świętosławs, was die Aufschrift auf dem Stiftungs-

tympanon bestätigt, weder die Initiative noch die Beteiligung Peters an ihr aus, denn diese wurdeja zu seinen Lebzeiten realisiert.

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sowie weite Gebiete in der unmittelbaren Nachbarschaft der Breslauer Burgsiedlung,wahrscheinlich auch auf der Dominsel selbst. Das Breslauer Siedlungsgebiet auf beidenSeiten der Oder war vor der Mitte des 12. Jahrhunderts zum überwiegenden Teil Ei-gentum von Großen. Angehörigen der Familie Włostowic gehörten außerdem noch diegrößten und wichtigsten Handelseinrichtungen sowie alle wichtigen Oderüberfahrten!36

Czesław Deptuła zufolge errichtete Włost, Piotrs Vater, auf dem Zobtenberg oder inZobten am Berge (Górka) eine erste Kirche (1090).37 Hier entstand auch eine der wich-tigsten Stiftungen Piotrs – das Kloster der Regularkanoniker Unserer Lieben Frau, dasnach seinem Tode mit einer zweiten Augustinerabtei, dem Kloster Unserer Lieben Frauauf der Breslauer Sandinsel, verbunden wurde, das Piotrs Gattin und ihr gemeinsamerSohn Świętosław gestiftet hatten.38

Stiftungstympanon der St. Marienkirche im Kloster der Regularkanoniker auf derBreslauer Sandinsel, zweite Hälfte 12. Jahrhundert

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so wichtig waren, dass sie der Abtei das zweite, bald dominierende Patrozinium verlie-hen.39 Die Reliquien des hl. Vinzenz gehörten zu den wertvollsten und berühmtestenPartikeln jener Epoche. Zu ihrer Popularität trugen die verschiedenen Traditionen derAuffindung und Translation des Leichnams dieses Märtyrers bei. Die beiden wichtigs-ten dieser Traditionen trafen sich u. a. auf dem Breslauer Elbing. Die eine, AimonisTranslatio B. Vincenti, berichtet von der Entdeckung der heiligen Gebeine in Valenciadank der Hilfe eines gewissen Mauren Zacharias und ihrer späteren langen Wanderungnach Castres (obwohl sie nach Conques gelangen sollten).40 Die andere Tradition, ausder Vita Theoderichs, des Bischofs von Metz, berichtet vom langen Aufenthalt derReliquien im Kloster St. Vincenz bei Benevent, von ihrer nach den sarazenischenZerstörungen erfolgten Überführung nach Cortona, von der Verbringung eines Teils derPartikel nach Spanien und von der Reise Ottos I. nach Italien sowie vom Erwerb desLeichnams durch Theoderich.41 So gelangten die Reliquien nach Magdeburg, wo PiotrWłostowic sie dank der Fürsprache König Konrads III. vom dortigen Bischof erwarb.

Beide prächtige Abteien sind mit Gewissheit Stiftungen des Pfalzgrafen und seinernächsten Familienangehörigen. Aber vielleicht ist die Zahl der auf dem Gebiet vonBreslau von Piotr Włostowic errichteten Sakralbauten damit noch nicht erschöpft, auchwenn die Person des Stifters nicht immer sicher ist. Selbst wenn wir den unlängstvorgebrachten Vorbehalten gegen das Datum der Entstehung der Adalbertkirche inBreslau zustimmen würden, das auf den Beginn des 11. Jahrhunderts verschoben wur-de, in die Zeit, als dort eine beträchtliche Siedlung existierte, die während des Einfallsdes Böhmenherzogs Břetislavs zerstört und danach wieder aufgebaut worden sein soll,so bliebe doch immer noch die in der Tradition und durch Forschungen bestätigteStiftung der gemauerten Adalbert-Kirche durch die Familie Włostowic.42 Dieses Got-teshaus wurde zusammen mit einer beträchtlichen Versorgung, die auch das anschlie-ßende Gelände umfasste, von Piotrs Bruder Bogusław vor 1149 dem Kloster auf der

39 Damals wurde zur Feier dieses Ereignisses eine Gruppe Gefangener oder Kriegsgefangenerfreigelassen. Den politischen Aspekt dieser Translation und den Kontext des Bürgerkrieges be-handelt ausführlich Bieniak, Polska elita (wie Anm. 31), 20 f.

40 Patrologiae cursus completus: series Latina. Ed. Jacques-Paul Migne. Paris 1844–65, Bd. 126,1014–1026.

41 Vita Deoderici episcopi Mettensis auctore Sigeberto Gemblacensi. Ed. Georg Heinrich Pertz, in:MGH SS. 4. Hannover 1841, 464–484 sowie Patrologiae (wie Anm. 40), Bd. 37, 363. Die ver-schiedenen Traditionen analysierte unlängst Patrick J. Geary, Furta sacra. Thefts of Relics in theCentral Middle Ages. Princeton 1990; hier zitiert nach der französischen Ausgabe: Le vol de reli-ques au Moyen Age. Paris 1994, 195–199. Vgl auch Louis de Lacger, Saint Vincent de Saragosse,in: Revue de l´Eglise de France 13, 1927, 307–358, hier 307f.

42 Stanisław Trawkowski meinte jedoch, dass die Kirche mit diesem Patrozinium nicht vor demBeginn des 12. Jahrhunderts entstanden sein könne, und erkannte die dominikanische Traditionüber ihre Konsekrierung im Jahre 1112 für glaubwürdig an. Trawkowski zufolge war das Patrozi-nium dieser Kirche nur mit der Bußwallfahrt Bolesław Schiefmunds zum Grab des hl. Adalbertverbunden, und ihr Stifter konnte der Ahnherr der Włostowicen gewesen sein.

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Sandinsel geschenkt, d. h. es konnte dieser Familie also schon viel früher gehört haben.Eine spätere Tradition schließlich erblickte in Piotr Włostowic den Stifter der demhl. Martin gewidmeten Kapelle in der Burganlage, was nicht ausgeschlossen werdenkann, auch wenn diese Tradition vom letzten Erforscher dieses Gebäudes, Adam Żurek,verworfen wird.43 Dem können hinzugefügt werden: die Stiftung der Heilig-Kreuz-Kirche in Strzelno, wo sein Enkel gleichen Namens ein ungewöhnlich prächtiges Prä-monstratenserinnenkloster errichtete und auf diese Weise das von seinem Großvaterbegonnene Werk beendete, der schon Prämonstratenser in Kościelna Wieś bei Kalischangesiedelt hatte44, sowie die Beteiligung der Familie Włostowic an der Stiftung desJaxas in Miechów (sieben Dörfer, eine Kirche mit Zehntem, zwei Schänken und zweiSalinen), wofür sich sein Schwiegersohn mit der Errichtung der dem hl. ErzengelMichael geweihten Kirche auf dem Elbing revanchierte. Dabei kann es sich aber höchs-tens um die Errichtung eines gemauerten Neubaus anstelle der 1139 der Abtei vomBreslauer Bischof geschenkten Holzkirche gehandelt haben. Außerdem wissen wirnicht, wer der Stifter der Peterskirche auf der Dominsel war, die von dem GroßenMikora, der Janusz Bieniak zufolge ein Vetter des Piotr Włostowic war, überreichausgestattet wurde.45 Die genannten Kirchen, denen damals in Schlesien noch nichtsgleichkam, waren mithin entlang der wichtigsten, durch die Breslauer Siedlungenhindurchführenden Handelsstraße errichtet worden, mit ziemlicher Sicherheit von PiotrWłostowic. Den neuen Kirchen verlieh er das Patrozinium der Jungfrau Maria und derals Familiennekropole errichteten Benediktinerkirche auf dem Elbing stiftete er außer-ordentlich wertvolle Reliquien. Angesichts des Reichtums an Quelleninformationenüber Piotrs Leben und Wirken ist kaum anzunehmen, dass andere Reliquienerwerbun-gen dieses comes verschwiegen worden wären. Aber stand es nicht irgendwie mit PiotrsMagdeburger Aufenthalt in Verbindung, dass gerade in der Mitte des 12. Jahrhundertsin Breslau das Patrozinium des hl. Mauritius in Erscheinung trat? Gewöhnlich wird

43 Diese Tradition notierte zu Beginn des 16. Jahrhunderts Benedikt von Posen, der sich auf Anga-ben von Jan Długosz stützte. Nach Edmund Małachowicz, Wrocławski zamek książęcy i kolegiataśw. Krzyża na Ostrowie [Das Breslauer Herzogsschloss und das Heiligkreuz-Kollegiatstift auf derInsel]. Wrocław 1993, 7 war dies ursprünglich ein Holzbau; vor 1149 entstand an seiner Stelle ei-ne gemauerte Kapelle, die von Piotr gestiftet worden sein könnte; Żurek, Wrocławska kaplica(wie Anm. 22), Kap. 1 verwirft diese Tradition entschieden und hält sie für eine reine Spekulationvon Długosz; außer Zweifel steht lediglich, dass Bolesław IV. Kraushaar die Kapelle, die Żurekals Palastkapelle deutet, im Jahre 1149 der Abtei St. Vinzenz übergeben hat.

44 Rajman, Norbertanie polscy (wie Anm. 21), 80f. meint, dass Piotr neben der Kirche in Strzelnoauch ein Frauenkloster gestiftet habe, während die Stiftung seines Enkels im Kontext der damalsin den polnischen Klöstern durchgeführten Reform sowie einer Vergrößerung der gesamten An-lage (durch eine neue Kirche) erfolgt sei.

45 Als Stifter kann ein nicht näher bekannter comes Bezelin gelten, Kodeks dyplomatyczny Śląska[Schlesisches Urkundenbuch]. Ed. Karol Maleczyński. Bd. 1. Wrocław 1956, Nr. 55; zur Bestim-mung der Verwandtschaft zwischen Piotr Włostowic und Mikora Bieniak, Polska elita (wieAnm. 31), 50.

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Princeps fundator im vorrechtsstädtischen Breslau 305

vermutetet, dass die Wahl dieses Patrons auf Bischof Walter zurückging, den Bruderdes Płocker Bischofs Alexander, für den in Magdeburg ja die Bronzetüren der PłockerKathedrale angefertigt wurden, um so mehr, als sich auch in der Breslauer KathedraleReliquien des hl. Mauritius befanden. Das Schweigen über den Erwerb auch dieserReliquien durch Piotr konnte jedoch auch die Folge des besonderen Interesses an denReliquien des hl. Vinzenz gewesen sein, deren feierliche Translation ein wichtigesEreignis darstellte.

Alle diese Tatsachen, der im damaligen Polen unerhörte Elan und die Kunstfertigkeitder Architektur der beiden Breslauer Abteien sowie die außergewöhnliche Ausstattungder Breslauer Kirchen mit Stiftungstympana erlauben es, gerade die Familie Włostowicals voll bewusste Realisatoren eines Stiftungsprogramms anzusehen, dessen symboli-sche und ideologische Inhalte die Historiker in der Regel mit den piastischen Herr-schern in Verbindung bringen. Die Gründung eines Privatklosters, im Falle Piotrs undJaxas übrigens nicht des einzigen, die Situierung der Familiennekropole im wichtigstenvon ihnen sowie ihre Ausstattung mit wertvollen Reliquien garantierten dem Stifter dasewige Heil seiner Seele und boten sogar die Chance seiner kultischen Verehrung,46

wovon das Carmen Mauri zeugt. Die Stiftungstätigkeit Piotrs und seiner Familie lässtsich also im Modell des princeps fundator erfassen, was bedeutet, dass die in Breslauerrichteten Kirchen und Abteien nicht nur dem Stifter selbst Protektion und Gnadengarantieren sollten, sondern der gesamten Gemeinschaft, die das unter den Schutzheiliger Patrone gestellte Territorium bewohnte. Die Ausübung des Pfalzgrafenamtesund die außergewöhnliche politische Rolle, die er als zweiter Mann im regnum nachBolesławs III. Tod spielte, konnten Piotr auf den Gedanken gebracht haben, in einer dersedes regni die Hauptstadt seines Herrschaftsgebietes zu errichten. Zwar fehlt es anQuellenbelegen für diese These, doch die Anzahl der Stiftungen und ihre Qualitätübertrafen all das beträchtlich, was andere Große jener Epoche unternahmen, die imÜbrigen nicht weniger bemüht waren, ihre Präsenz in den wichtigsten Machtzentren desdamaligen Polen mit Hilfe einer frommen Stiftung zu unterstreichen.

Die wichtigsten Organisatoren des sakralen Raums in Breslau in der ersten Hälfte des12. Jahrhunderts waren in der Konsequenz ihrer Aktivitäten Piotr Włostowic und seineFamilie. Ihr Stiftungswerk betrieben sie mit einem Elan, mit dem die piastischen Her-zöge nicht mithalten konnten. Daher können wir annehmen, dass die von Bolesław demLangen in Breslau vorgefundenen Stiftungen des Piotr Włostowic und seiner Familieeine gewaltige Herausforderung für ihn bedeutet haben müssen. Diese war umso gravie-render, als die Włostowicen die Protektion Bolesławs IV. genossen. Um in den vollenMachtbesitz über das schlesische Teilgebiet zu gelangen, musste Bolesław der Langedie Herrschaft über Breslau besitzen, diese dort sichtbar machen und entsprechendabsichern.

46 Vgl. Roman Michałowski, Święta moc fundatora klasztoru (Niemcy XI–XII wieku) [Die heiligeKraft des Klosterstifters (Deutschland 11.–12. Jahrhundert)], in: Kwart. Hist. 91, 1984, 1, 3–24.

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Das Stiftungsprogramm Bolesławs des Langen undHeinrichs I. des Bärtigen

Die Anfänge der Herrschaft Bolesławs des Langen in Schlesien wurden mit der Stiftungdes Klosters Leubus verbunden, das zugleich als herzogliche Nekropole diente und inder Nähe seines damaligen Sitzes in Liegnitz sowie an der zu seinem wichtigsten Ver-bündeten führenden Straße gelegen war. Stanisław Trawkowski zufolge handelte es sichdabei nicht um eine Gründung auf freiem Felde (in cruda radice), sondern um dieAnsiedlung von Zisterziensern am Ort eines früheren Benediktinerkonvents.47 Wenigerhat man sich für die anderen Bauunternehmungen Bolesławs des Langen interessiert.Die meisten Historiker, Archäologen und Kunsthistoriker halten ihn für den Initiatordes Umbaus der Breslauer Burgsiedlung und der Errichtung einer gemauerten Burgresi-denz mit einer oder mehreren Kapellen. Eine abweichende Ansicht vertritt MarianKutzner, der diese mit der Leubuser Bauwerkstatt verbundene Unternehmung Heinrichdem Bärtigen zuschreibt.48 Im Lichte des oben Gesagten mag verständlich werden, dassjedoch eher Bolesław der Lange als Initiator der Errichtung eines neuen palatium undeiner prächtigen Kapelle anzusprechen ist. Das in den 1980er Jahren erneut untersuchteEnsemble verweist auf ein Bauwerk von hohem künstlerischem Rang, das EdmundMałachowicz auf die späten 1130er Jahre datiert.49 An den mehrstöckigen Donjon mitdem Grundriss eines Rechtecks von 14 x 15 Metern wurde auf der Ostseite eine Hofka-pelle mit unbekanntem Patrozinium angebaut, die auf einem kreisförmigen Fundamenteinen achtzehneckigen Grundriss besaß. In ihrer Mitte erhob sich ein dicker, sicher ausZiegelsteinen bestehender Pfeiler, der das Deckengebälk stützte. Die ganze Anlage unddie vermutete Architektur weisen den Bau möglicherweise als ein Reliquienoratoriumaus. Doch der Erhaltungszustand und die äußerst ungewisse Rekonstruktion des Ausse-hens dieses Objekts lassen keine Vermutungen darüber zu, ob es sich hier vielleicht umeine weitere Replik des Jerusalemer Tempels handelte, die an den Kreuzzug des schle-sischen Herzogs ins Heilige Land hätte erinnern sollen. Der kemenatenartige Wohnturmkonnte – sehen wir sein Vorbild in den im Elsass, in Lothringen und im Rheinland

47 Stanisław Trawkowski, Gospodarka wielkiej własności cysterskiej na Dolnym Śląsku w XIII w.[Die Wirtschaft des großen Zisterzienserbesitzes in Niederschlesien im 13. Jahrhundert]. Wars-zawa 1959; Alwin Schultz, Die Cisterzienser Klosterkirche zu Leubus. Breslau 1870, 75– 85;Waldemar Königshaus, Die Zisterzienserabtei Leubus in Schlesien von ihrer Gründung bis zumEnde des 15. Jahrhunderts, Wiesbaden 2004, 15–23.

48 Marian Kutzner, „Na drodze ku chwale“ – ideowe programy fundacji artystycznych księciaśląskiego Henryka Brodatego [„Auf dem Wege zu Ruhm und Ehre“ – ideologische Programmeder künstlerischen Stiftungen des schlesischen Herzogs Heinrich des Bärtigen], in: Michał Kacz-marek / Marek L. Wójcik (Hrsg.), Księga Jadwiżańska. Międzynarodowe Sympozjum Naukowe„Święta Jadwiga w Dziejach i Kulturze Śląska“, Wrocław-Trzebnica 22–23 czerwca 1993.Wrocław 1995, 135–148, hier 138, 146f.

49 Małachowicz, Wrocławski zamek (wie Anm. 43), 31f.

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verbreiteten Donjons der Fürsten und kaiserlichen Vasallen – ein Ausdruck der Verbin-dungen des schlesischen Herzogs mit dem Kaiser und seiner Anerkennung von dessenuniversaler Macht gewesen sein.50 Geht man davon aus, dass der sein Teilfürstentumzurückgewinnende Bolesław die örtliche Opposition, die ihm feindlich gesinnten ein-flussreichen Großen sowie die Vertreter der höheren Geistlichkeit, zu neutralisierenhatte,51 dann liegt es mehr als nahe, dass er auch Aktivitäten unternehmen musste, dieseine Herrschaft im symbolischen Bereich stärkten und seine Majestät manifestierten.Das von der Hauptstadt entfernte Leubus konnte nur eine schwache Demonstrationdieser Majestät darstellen. Daher entstanden neben dem Umbau der Burgsiedlung undder Errichtung einer Kapelle im vorlokationszeitlichen Breslau auch wichtige neueBauwerke. Auf dem linken Ufer der Stadt wurde am Ende des 12. Jahrhunderts dieKirche St. Maria Magdalena errichtet, die im zweiten Viertel des darauffolgendenJahrhunderts zur Pfarrkirche der nach deutschem Lokationsrecht gegründeten Stadtwerden sollte. Schließlich ist seit dem Ende des 12. Jahrhunderts ein allmählicherRückgang des Eigentums von Großen auf dem Gebiet der Breslauer Siedlungen er-kennbar. Diese Entwicklung hat Bolesławs Nachfolger, sein Sohn Heinrich I., derBärtige, dann noch beträchtlich intensiviert.

Benedykt Zientara hat die Stiftungen Heinrichs des Bärtigen – mit Ausnahme ihreswirtschaftlichen Kontextes – nicht eingehend interpretiert; in den frommen Werken desHerzogs sah er vornehmlich den starken Einfluss seiner gottesfürchtigen Gattin.52 DieGröße des Stiftungswerks Heinrichs resultierte zumindest teilweise aus seinem Koloni-sationsprogramm und aus den Bedürfnissen einer beschleunigten Entwicklung desschlesischen Teilfürstentums. Die Gründung und Reorganisation von Dörfern undStadtsiedlungen, in einigen Gebieten Schlesiens auch noch die Schaffung der Grundla-

50 So interpretiert Kutzner, Na drodze (wie Anm. 48), 146 diese Annahme; doch hält er die Bres-lauer Residenz für jünger und rekonstruiert sein Aussehen anders als Małachowicz.

51 Marta Młynarska-Kaletynowa, Najdawniejszy Wrocław [Das älteste Breslau]. Wrocław 1992, 76;Trawkowski, Ołbin wrocławski (wie Anm.16), 100f. unterstreicht, dass die Veränderungen, die indieser Zeit in beiden Klöstern stattfanden, nämlich die Unterstellung der Kanoniker auf der San-dinsel unter die Obedienz von Arrouaise und die Vertreibung der Benediktiner vom Elbing, an de-ren Stelle dann Prämonstratenser angesiedelt wurden, nicht nur einen Teil der vom Herzog un-terstützten Kirchenreform darstellten, sondern auch dazu dienten, den Włostowicen den Rest ihrerRechte auf dem Gebiet Breslaus zu rauben. Rajman, Norbertanie polscy (wie Anm. 21), 89 zu-folge wurde die Reform Cyprians auf dem Elbing, die in dem Augenblick begann, als dort um1190 die Prämonstratenser von Kościelna Wieś eintrafen, jedoch „mit der vollen Unterstützungvon Piotrs Nachkommen“ durchgeführt, umso mehr, da auch die Präpositur in Kościelna Wieśvon Piotr Włostowic gestiftet worden sei. Das Problem der ‚Beseitigung‘ der Großenherrschaft inBreslau und der ernstlichen Schwächung der Bedeutung dieser sozialen Gruppe in Schlesien ander Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert bedarf einer erneuten Untersuchung.

52 Benedykt Zientara, Heinrich der Bärtige und seine Zeit. Politik und Gesellschaft im mittelalterli-chen Schlesien. München 2002, bes. 314; dagegen hält Kutzner, Na drodze (wie Anm. 48), bes.147 diese Rolle Hedwigs für von ihren Hagiografen restlos erfunden.

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gen eines Pfarrnetzes erforderten den Bau neuer Kirchen, Kapellen und Klöster. ImVerlauf des 13. Jahrhunderts wuchs die Zahl der gemauerten Gebäude in Schlesien aufdas zwanzigfache; sind bis zum Ende des 12. Jahrhunderts lediglich 18 Pfarrkirchenund 15 Stadt- oder Marktkirchen dokumentiert, so sind bis 1228 dann schon ungefähr70 bis 75 weitere hinzugekommen.53 Selbstverständlich war nur ein Teil dieser Stiftun-gen das Werk des Monarchen, denn auf diesem Gebiet waren ja auch Bischöfe, Klösterund die Ritterschaft aktiv. Die im Kontext der Bewirtschaftung Schlesiens resultieren-den Stiftungen sollen uns hier nicht weiter interessieren.

Um die Motive zu ergründen, die Heinrich der Bärtige bei der Realisierung seinerStiftungsunternehmungen leiteten, müssen wir auf die Regierungszeit seines Vaterszurückgreifen. Die von den Kunsthistorikern wiederholte These, das 1202 gleich nachHeinrichs Herrschaftsantritt gestiftete Trebnitzer Kloster und dessen 1208 von MeisterJakob erbaute Kirche brächten die königlichen Aspirationen des neuen Herrschers zumAusdruck, kann nicht überzeugen. Als Heinrich seine Herrschaft in Schlesien antrat,ahmte er in gewisser Weise das Vorgehen seines Vaters nach. Auch er begann seineHerrschaftszeit mit einer Stiftung, die freilich viel prächtiger die seines Vaters war –nämlich mit dem Zisterzienserkloster Trebnitz. Dieses entstand 27 km nördlich vonBreslau ebenfalls an einer der wichtigsten schlesischen Straßen – dieses Mal an demnach Großpolen führenden Weg. Auch die Trebnitzer Kirche war von Anfang an alsletzte Ruhestätte des Stifters und als ‚Herrschaftskirche‘ geplant, und das letztlichrealisierte künstlerische Programm besaß einen in Polen damals einmaligen Rang.

Trebnitz war nicht das einzige für Heinrichs Bauunternehmungen charakteristischeWerk. Zwar ist die Frage, ob der Breslauer Fürstenhof auf dem linken Oderufer bereitsin der Regierungszeit Heinrichs des Bärtigen errichtet worden ist, noch immer ungeklärt(die meisten Historiker sprechen sich dafür aus, dass dies der Fall war), doch hat sichauch Edmund Małachowicz kürzlich dafür ausgesprochen, dass dort bereits ein HofHeinrichs des Bärtigen mit einer dem hl. Martin gewidmeten Palastkapelle (die denSpitalbrüdern mit dem Roten Stern geschenkte spätere Martinskirche) bestanden habe.54

Dagegen besteht kein Zweifel, dass Heinrich I. eine neue Residenz auf der LiegnitzerBurg errichten ließ. Deren architektonisches und symbolisches Programm ist von denKunsthistorikern bereits mehrfach analysiert worden. Nach dem erhaltenen archäologischenMaterial hat es sich nicht nur um die hervorragendste architektonische Unternehmung dieserArt im Polen der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, sondern auch um eine ganz bewussteAnknüpfung an das Programm der kaiserlichen Residenzen der Staufer und der Reichsfürs-

53 Tadeusz Kozaczewski, Przyczyny rozwoju budownictwa murowanego na Śląsku w XIII w. [DieUrsachen der Entwicklung der Maurerbauten in Schlesien im 13. Jahrhundert], in: Sobótka 30,1975, 1–40, hier 3f.

54 Edmund Małachowicz, Książęce rezydencje, fundacje i mauzolea w lewobrzeżnym Wrocławiu[Herzogliche Residenzen, Stiftungen und Mausoleen in Breslau auf dem linken Oderufer].Wrocław 1994, 15, 18f.; unter Heinrich II. war dies eher ein bescheidenes Herrenhaus mit einemsteinernen Turm, die eigentliche Residenz wurde erst unter Heinrich IV. errichtet.

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ten gehandelt. Im Lichte der neuesten deutschen Forschungen55 treten hier als Quelle derEntlehnung Burgen thüringischer Landgrafen (das schlesische Herzogspaar war mit diesenLandgrafen familiär verbunden) deutlicher in Erscheinung als die kaiserliche Burg in Eger,die bis vor kurzem als Modell des Liegnitzer palatium galt.56

Im politischen Programm der Stiftungs- und Bautätigkeit Heinrichs I. haben auch diePatrozinien der Kirchen eine wichtige Rolle gespielt; das gilt insbesondere für dieWidmung seiner ersten und wichtigsten Stiftung. Das Patrozinium des TrebnitzerKlosters St. Bartholomäus, das die starke Entwicklung des Kultes dieses Heiligen inSchlesien initiierte, ist der Forschung selbstverständlich aufgefallen. Neben dem Treb-nitzer Kloster trugen auch das Kloster der Augustiner-Präpositur auf der Sandinsel inNaumburg am Bober und die Kirche in Röchlitz, einem der Herzogssitze, dieses Patro-zinium. Auf der Suche nach einer Antwort, warum mindestens drei wichtige Kirchen-stiftungen Heinrichs des Bärtigen dieses Patrozinium trugen, ist darauf hingewiesenworden, dass sich der Tag des hl. Bartholomäus, der 24. August, mit dem Todestag derAdelheid, der Mutter Heinrichs des Bärtigen, deckte.57 Daher wurde angenommen, dassdie Wahl dieses Patroziniums Ausdruck eines sehr persönlichen Zuges der Frömmigkeitdes Herzogs und seiner besonderen Verehrung für diesen Heiligen gewesen sei.58 DieseAnsicht hat auch Benedykt Zientara wiederholt.59 Denn Heinrichs Mutter war, wieKazimierz Jasiński überzeugend nachgewiesen hat, nicht Adelheid, sondern eine nichtnäher bekannte Christina, die am 23. Februar verstarb.60 Daher muss dieses Problemerneut untersucht werden. Die Popularität der Verehrung des hl. Bartholomäus in Schlesi-en, von wo aus sie sich auch nach Kleinpolen verbreitete, lässt sich viel einfacher erklä-ren. Im 13. Jahrhundert wurde dieser Kult von der Herrscherfamilie propagiert. Einenzusätzlichen Impuls boten dabei die nach der Heiligsprechung Hedwigs einsetzendenWallfahrten nach Trebnitz, deren Höhepunkt auf das Fest der Translation dieser Heiligenim August fiel, nämlich auf den 25. August, also auf den Folgetag der Feier der Widmungdes Gotteshauses, mit der wiederum der einzige dort vor 1410 stattfindende Jahrmarktverbunden war.61 Derartige Jahrmärkte am Bartholomäustag gab es in Schlesien übrigensnicht nur in Trebnitz, sondern zum Beispiel auch in Liegnitz.

55 Fritz Viktor Arens, Die staufischen Königspfalzen. Bd. 4. Stuttgart 1977, 129–142; GüntherBinding, Die Zeit der Staufer. Burg Münzenberg, eine staufische Burganlage. Bonn 1963.

56 Vgl. Kutzner, Na drodze (wie Anm. 48), 146f.57 Die Frage der zweiten Ehe Bolesławs des Langen mit Christina und nicht Adelheid behandelt

ausführlich Kazimierz Jasiński, [Rezension], in: StŹrodł 14, 1969, 229–232. Zum TodesdatumDers., Rodowód Piastów Śląskich. Tom 1: Piastowie wrocławscy i legnicko-brzescy [DerStammbaum der schlesischen Piasten. Band 1: Die Breslauer und Liegnitzer-Brieger Piasten].Wrocław 1973, 46 sowie 49, Anm. 34.

58 Werner Marschall, Alte Kirchenpatrozinien des Archidiakonates Breslau. Köln-Graz 1966, 96.59 Selbstverständlich brachte er diese Verehrung des hl. Bartholomäus durch Heinrich den Bärtigen

nicht mit dem Todesdatum der Mutter des Herzogs in Verbindung.60 Jasiński, Rodowód (wie Anm. 57).61 Vgl. Halina Manikowska, Ruch pielgrzymkowy na Ślasku w póżnym średniowieczu – problemy

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310 Halina Manikowska

Gewölbeschlusssteinaus der SchlosskapelleLiegnitz, erste Hälfte13. Jahrhundert

Die Attraktivität des Bartholomäus-Kultes war unbestritten und wird in der Ikonogra-fie des heiligen Apostels und Märtyrers deutlich erkennbar, dem – wie in der populär-sten der zahlreichen Versionen seiner Legenden berichtet wird – bei lebendigem Leibedie Haut abgezogen wurde. Sein Fest wurde mit dem Ritus festi fori begangen. Wasaber waren die Anfänge dieses Kultes in Schlesien? Es scheint, dass er von Anfang anmit den dynastischen Kulten in Verbindung gestanden hat. Sein Weg nach Polen führtehöchstwahrscheinlich über das Deutsche Reich, denn Reliquien dieses Heiligen befan-den sich in vielen deutschen Kirchen, darunter auch in so eng mit Polen verbundenenwie dem Bamberger Dom oder der Abtei Zwiefalten. Der Leichnam deshl. Bartholomäus war, wie Gregor von Tours berichtet, auf wunderbare Weise in Liparientdeckt worden, von wo er im Jahre 808 nach Benevent gebracht worden war, um ihnvor den Gefahren der Sarazenenüberfälle zu schützen. Bereits vor dieser Translation

badawcze [Die Wallfahrtsbewegung in Schlesien im Spätmittelalter – Forschungsprobleme], in:Manikowska / Zaremska (Hrsg.), Peregrinationes (wie Anm. 19), 225–241, hier 229f.

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befanden sich Reliquien von ihm im Königreich León (im 6., vielleicht 7. Jahrhundert),im 9. Jahrhundert gelangten auch einige nach Aachen, und ein Schulterknochen vonihm befand sich außerdem in der Reliquiensammlung in Canterbury.62 PrinzipielleBedeutung für die Wege der Ausbreitung des Kultes des hl. Bartholomäus nach Polenscheint die von Otto III. vollzogene Translation von Benevent nach Rom besessen zuhaben. Der Leichnam des hl. Apostels ruhte in der dem hl. Adalbert gewidmeten Kircheauf der Tiberinsel. Das Bartholomäusfest hatte mehrere Daten; in der polnischen Pro-vinz wurde der Tag seiner Translation am 24. August gefeiert. Die Überführung derheiligen Gebeine nach Rom auf Veranlassung Ottos III. und in die dem hl. Adalbertgeweihte Kirche verband ganz offensichtlich diese beide Märtyrer. Das Fehlen einerfrüheren Bestätigung dieses Kultes in Polen in Form von Patrozinien wird durch denBericht des Gallus Anonymus aufgewogen, der allerdings eine Spekulation des Chro-nisten gewesen zu sein scheint. Im Jahre 1109 waren der Kaiser und sein Heer währendeines Kriegszuges gegen Polen bis vor Glogau gekommen, wo sie jedoch niemanderwartete. Erat enim sancti Bartholomei apostoli dies festus, quando cesar fluviumtransiebat et tunc totus civitatis populus divinum audiebat.63

Die schlesischen Quellen ermöglichen uns weder diesem Bericht vollen Glauben zuschenken noch ihn zu negieren. In Glogau gab es keine Bartholomäuskirche, zumindestwissen wir nichts von einer solchen. Es ist anzunehmen, dass Gallus die Schutzlosigkeitder auf den Angriff nicht vorbereiteten Stadt mit dem Datum dieses Geschehens inVerbindung brachte und das Verhalten der Bewohner mit ihrer Teilnahme am Gottes-dienst erklärte.64 Auf jeden Fall muss es sich um ein Fest gehandelt haben, das in derpolnischen Provinz begangen wurde, was um so wahrscheinlicher ist, als Bartholomäusja ein Apostel war. Auch in Böhmen war der Kult des hl. Bartholomäus mit der Dyna-stie und der Monarchie verbunden, wahrscheinlich nicht ohne Zusammenhang mit demKult des hl. Adalbert. Im Inventarverzeichnis der Prager Kathedrale aus der zweitenHälfte des 14. Jahrhunderts werden seine Reliquien unter denen der Patrone des König-reiches erwähnt.65 Selbst wenn es sich dabei nur um ein Geschenk Karls IV. für dieKathedrale gehandelt haben sollte, dürfte ihre Situierung im riesigen Reliquienschatz derPrager Kathedrale wohl kein Zufall gewesen sein. Hinzuzufügen ist, dass auch eine derKapellen in der Marienburg dem hl. Adalbert und dem hl. Bartholomäus gewidmet war.

62 Fernand Cabrol (Hrsg.), Dictionnaire d´Archéologie Chrétienne. Bd. 3. Paris 1913–1914, 499f.63 Galli Anonymi cronicae et gesta ducum sive principum Polonorum. Ed. Karol Maleczyński, in:

MPH NS. Bd. 2. Kraków 1952, 133.64 Ähnlich die geschilderten Kämpfe mit den Pomoranen um Nakel in derselben Zeit, wo der

Angriff wiederum in dem Moment erfolgte, als die Gläubigen am Fest des hl. Laurentius aus derKirche kamen, Galli Anonymi cronicae. Ed. Maleczyński (wie Anm. 63), 139.

65 Václav Vladivoj Tomek, Dějepis města Prahy [Geschichtsschreibung der Stadt Prag]. Praha ²1892.Aber im Kalender der Diözese Prag befindet sich das Fest des hl. Bartholomäus nicht unter denFesten mit verdoppeltem Ritus (dafür gibt es Feste von zehn anderen Aposteln), ebd. 197.

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Unabhängig davon, ob der Kult des hl. Bartholomäus in Schlesien vor der Herr-schaftsübernahme durch Heinrich den Bärtigen verbreitet war, darf die Verwendunggerade dieses Patroziniums wohl als eine Berufung auf den dynastischen Kult gedeutetwerden. Die Trebnitzer Abtei erhielt übrigens nicht nur wertvolle Reliquien, sondernder Herzog kümmerte sich darüber hinaus auch noch um ihre Verehrung. Während derfeierlichen Weihe der im Jahre 1214 fertiggestellten Krypta erhielt er von dem aufdieser Feier anwesenden Erzbischof Heinrich Kietlicz sowie den Bischöfen Laurentiusvon Lebus und Laurentius von Breslau, ein Ablassprivileg, das den Besuchern diesesGotteshauses am Tag der Kirchweihe einen vierzigtägigen Ablass gewährte.66 Das istdas älteste bekannte Ablassprivileg in der polnischen Provinz. Aus demselben Jahrstammt zwar auch das Ablassprivileg für Trzemeszno, das Heinrich Kietlicz aus Anlassder Wiehe des der hl. Katharina gewidmeten Altars gewährte, aber diese Urkunde istuns nur aus dem Kopialbuch der Klosterprivilegien bekannt und scheint etwas zweifel-haft zu sein.67 Die erfolgreichen Bemühungen um den Erwerb eines Ablassprivilegsstellten an der Schwelle des 13. Jahrhunderts ein Novum in Polen dar. In der TrebnitzerUrkunde wurde ausdrücklich auf den Initiator verwiesen – auf Heinrich den Bärtigen.Diese neue Form der Propagierung eines Kultes, die in Europa seit dem Ende des

66 Kodeks dyplomatyczny Śląska. Bd. 2. Ed. Karol Maleczyński. Wrocław 1959, Nr. 162, 121f.67 Kodeks dyplomatyczny Wielkopolski. Bd. 1. Ed. Ignacy Zakrzewski. Poznań 1877, Nr. 83.

312 Halina Manikowska

St.Marien- und St. Bartholomäus-Kirche,Zisterzienserinnenkloster Trebnitz, erste Hälfte 13. Jahrhundert

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14. Jahrhunderts schnelle Verbreitung fand (die früheren Kreuzzugsablässe wollen wirhier außer Acht lassen), war Kietlicz ganz sicher bekannt, aber gewiss war sie auchHeinrich dem Bärtigen nicht fremd, der im Reich mit ihr in Berührung gekommen seinoder über Hedwig davon gehört haben konnte. Die genaue Feststellung des Datums undder Wege der Ausbreitung des Kultes des hl. Bartholomäus nach Schlesien bedarf nochweiterer Untersuchungen. Aber schon heute kann festgestellt werden, dass die Stiftun-gen Heinrichs des Bärtigen und seine Propagierung dieses Kultes den Bartholomäus-Kult zu einem der für die Dynastie der schlesischen Piasten charakteristischen Kultebzw. Bartholomäus zu einem so genannten ‚politischen Heiligen‘ gemacht haben.

Eine der wichtigsten, wenn nicht überhaupt die wichtigste Nekropole dieser Dyna-stie, in der die sterblichen Überreste Annas, Heinrichs III., Heinrichs V. und Hein-richs VI. sowie zahlreicher piastischer Prinzessinnen, die Äbtissinnen dieses Klosterswaren, ihre letzten Ruhestätten fanden, befand sich in der Hedwigskapelle im Klosterder Breslauer Klarissen. Die den Klarissen gewährten Ablassprivilegien betrafen nureinige Feste, die aber alle (außer den Ordensfesten) mit den Patronen der BreslauerPiasten verbunden waren: mit der hl. Hedwig, der hl. Anna (der Patronin der Kloster-stifterin), mit der hl. Agnes (der Schutzheiligen der Agnes von Prag), und schließlichmit dem hl. Bartholomäus.68 Somit scheint es, dass das Patrozinium der Unterkirche desvon Heinrich IV. gestifteten Heilig-Kreuz-Kollegiatstiftes auf der Dominsel geradewegen seiner Verbindungen mit dem für die Linie der Breslauer Herzöge charakteristi-schen Kult gewählt wurde, einem Kult, der über den Horizont des Teilfürstentumshinausgehende politische Aspirationen zum Ausdruck brachte. Neben seinen Verbin-dungen mit dem Kult des Schutzpatrons Polens (des hl. Adalbert) konnte die Wahldieses Patroziniums für die wichtigste Stiftung Heinrichs und seine anderen Stiftungs-unternehmungen auch durch den im 12. Jahrhundert (u. a. dank der Zisterzienser)deutlich an Bedeutung zunehmenden Kult der Apostel beeinflusst worden sein, derenObhut der Herzog sein Teilfürstentum anvertraute. Wenn wir die populärsten Marien-patrozinien der unter seiner Herrschaft gegründeten Kirchen und die beliebten Patrozi-nien St. Michael und St. Nikolai außer Acht lassen, dann waren eindeutig die meistenKirchen dem hl. Andreas, dem hl. Jakobus, dem hl. Evangelisten Johannes und Johan-nes dem Täufer (dem Patron der Diözese) und dem hl. Petrus (manchmal zusammen mitdem hl. Paulus) gewidmet. Von der wahrscheinlichen Errichtung einer dem hl. ApostelMatthias gewidmeten Kapelle am Hofe Heinrichs des Bärtigen auf dem linken Oderuferwar bereits die Rede. Zahlreich vertreten waren auch solche Patrozinien wie St. Georgund St. Martin, aber diese traten vor allem in den Domänen der Ritterschaft in Erschei-nung.69

Da die von Heinrich dem Bärtigen ausgestellten Stiftungsdiplome nicht in seinerKanzlei entstanden sind, fällt es schwer, die Motive und Ziele seines Stiftungswerkes zu

68 Biblioteka Uniwersytetu Wrocławskiego M 1562, fol. 72V, 73.69 Vgl. Marschall, Alte Kirchenpatrozinien (wie Anm. 58), passim.

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314 Halina Manikowska

ergründen. In den erhaltenen Urkunden wird vor allem das devotionale Ziel der Stiftungunterstrichen, die der Herzog für das Seelenheil seiner Eltern und die Vergebung seinerSünden unternahm. Deshalb müssen wir auf die einzige Quelle zurückgreifen, die mehrDetails enthält, und zwar auf das Heinrichauer Gründungsbuch, das die Gründung desZisterzienserklosters in Heinrichau in den Jahren 1227 bis 1228 schildert. Darin wirdeine Rede zitiert, die Heinrich der Bärtige aus diesem Anlass gehalten haben soll: Patermeus, felicis recordationis dux Bolezlaus, cenobium Lubensis ecclesie pro suorumremedio peccaminum dundavit. Sed post eius obitum ego Trebnizcense sanctemoniali-um claustrum ad honorem Dei et beati Bartholomei fundavi. Unde videtur, si Deo etvobis omnibus placuerit, ut filius meus Heiniricus accipat huius claustri Heinrichowfunationis curam, quia sicut postmodum assignabitur patri meo memoriale Lubensium,michi Trebnizcensium, ita volo, ut hoc claustrum Heinrichow sit fundadtio et memorialefilii mei Heinrici suorumque successorum.70 Natürlich wissen wir nicht, ob Heinrichwirklich eine solche Rede gehalten oder ob der Verfasser des Gründungsbuches, AbtPetrus, einfach nur die logischen Schlussfolgerungen aus den einzelnen Stiftungen derschlesischen Piasten und insbesondere der Hartnäckigkeit gezogen hat, mit der Heinrichder Bärtige die nicht von ihm getätigte Stiftung in Heinrichau sich und seinen Nachfol-gern zuzurechnen forderte. Die dritte Herrschergeneration des schlesischen Teilfürsten-tums soll also ihre Herrschaft mit dem Akt der Stiftung eines Zisterzienserklostersbegonnen haben, denn Heinrich der Fromme war zum Zeitpunkt der Realisierung derHeinrichauer Stiftung bereits seit drei bis vier Jahren zur Mitregierung zugelassen.Gegen Ende des Lebens seines Vaters bemühte er sich übrigens, diese auf eine über-zeugendere, aber auch mit der Tradition seines Vaters und Großvaters brechende Weisezu legitimieren. Er siedelte in Breslau Franziskaner an und stiftete eine Kirche, die er zuseiner letzten Ruhestätte bestimmte.

Der in den Stiftungsurkunden hervorgehobene eschatologische Horizont dieser Stif-tungen steht nicht im Widerspruch zu einem weiteren Ziel, das ihnen gestellt wurde: Siesollten nämlich die Herrschaft des neuen Herrschers stärken und sie durch die Fürspracheder Heiligen und der Kirche absichern. Daher muss Bolesław der Lange als Initiator einessehr wichtigen liturgischen Elements der Legitimierung und Manifestierung der Machtder schlesischen Dynasten anerkannt werden. Jedoch wurden nur im Falle der TrebnitzerStiftung die Rolle und der Rang der dort befindlichen Reliquien hervorgehoben. Daher

70 Liber fundationis claustri Sancte Marie Virginis in Heinrichow. Ed. Roman Grodecki. Wrocław 1991,114; „Mein Vater, Herzog Bolesław seligen Angedenkens, hat das Kloster Leubus zur Sühnung seinerSünden gestiftet. Nach seinem Tode habe ich das Nonnenkloster in Trebnitz zur Ehre Gottes und desheiligen Bartholomäus gestiftet. Daher erscheint es recht, so es Gott und euch allen gefällt, dass meinSohn Heinrich die Sorge für dieses Kloster Heinrichau übernehme, denn wie man dermaleinst meinemVater Leubus, mir Trebnitz als Ehrendenkmal anrechnen wird, so will ich, dass dieses Kloster Hein-richau die Stiftung und das Ehrendenkmal meines Sohnes Heinrichs und seiner Nachfolger werde.“ DasGründungsbuch des Klosters Heinrichau. Aus dem Lateinischen übertragen und mit Einführung undErläuterungen versehen von Paul Bretschneider. Breslau 1927, 19.

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stellt sich die Frage, ob es neben den Hauptzielen dieser den Herrschaftsantritt begleiten-den Stiftung nicht doch auch noch andere Motive für ihre Realisierung gegeben hat.

Der Weg von Meißen über Schlesien nach Großpolen führte durch Liegnitz, Leubus,Breslau auf dem linken Oderufer, die Sandinsel, den Elbing und Trebnitz. Die beidengroßen Unternehmungen Heinrichs des Bärtigen, das Kloster in Trebnitz und die Resi-denz in Liegnitz – und man könnte auch noch das an dieser Strecke gelegene Röchlitz(Fürstenhof und Kirche) sowie Neumarkt (Stadtlokation, gemauerte Kirche und Sie-chenhaus) hinzufügen – veränderten somit das Antlitz dieser wichtigsten Verkehrsstraßegrundlegend. Sie wurde nun von den Residenzen und frommen Stiftungen der HerrenSchlesiens geprägt. Auch das Bild Breslaus hatte sich verändert. Der Ort war zu einerfürstlichen Stadt umgestaltet worden – durch die Errichtung eines Hauses für Kaufleute ander Überfahrt zur Sandinsel, die Stiftung des Heilig-Geist-Spitals, Investitionen auf demlinken Oderufer (Aushebung von Burggräben, Lokation einer neuen Siedlung, Errichtungzweier neuer gemauerter Kirchen, nämlich von St. Maria Magdalena noch zu LebzeitenBolesławs des Langen und St. Elisabeth im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts71), neueKirchen und ein gemauertes palatium auf der Dominsel und dem Elbing. Auf diese Weisewar der Eindruck, den Breslau noch zur Zeit des Piotr Włostowic auf Neuankömmlingegemacht hatte, wenn nicht verwischt, so doch erheblich abgeschwächt. Die Politik Hein-richs des Bärtigen gegenüber der Abtei auf dem Elbing, aber auch gegenüber anderenKlöstern (insbesondere Leubus), die ihre Einkünfte aus eigenen Handelseinrichtungen(Fleischbänken, Schänken) zogen, war zweifellos eine Folge seiner Pläne, die BreslauerSiedlung auf dem linken Oderufer auszubauen. In der Konsequenz des Verlustes einesbeträchtlichen Teils des Eigentums auf beiden Seiten der Oder und vor allem des Verlustsdes Jahrmarktes erlitten die Prämonstratenser spürbare Einbußen.72

Auffällig ist die Symmetrie bestimmter Elemente der Trebnitzer Stiftungen und bei-der Abteien der Familie Włostowic. Das Trebnitzer Tympanon scheint eine Antwort aufdie Stiftungstympana auf der Sandinsel und dem Elbing zu sein, und die Reliquien deshl. Bartholomäus, deren Übertragung nach Trebnitz große Bedeutung zugemessenwurde, eine Antwort auf die Reliquien des hl. Vinzenz und deren feierliche Translation.

71 Zu den ursprünglichen Gebäuden beider Kirchen Tadeusz Broniewski / Tadeusz Kozaczewski, Pierwot-ny kościół św. Marii Magdaleny we Wrocławiu [Die ursprüngliche Kirche St. Maria Magdalena inBreslau], in: Kwart. Archit. Urb. 12, 1967, 3–4, 3–22; Czesław Lasota / Jerzy Piekalski, Kościół św.Elżbiety we Wrocławiu w świetle badań archeologicznych [Die Breslauer Elisabethkirche im Lichtearchäologischer Untersuchungen], in: Mieczysław Zlat (Hrsg.), Z dziejów wielkomiejskiej fary.Wrocławski kościół św. Elżbiety w świetle historii i zabytków sztuki. Wrocław 1996, 11–18.

72 Vgl. vor allem Trawkowski, Ołbin wrocławski (wie Anm. 16) sowie Młynarska-Kaletynowa,Najdawniejszy Wrocław (Anm. 51). Die Verlegung des Marktes von vor der Abtei ans linke O-derufer und die Änderung seines Datums vom 6. auf den 24. Juni erfolgten 1232. Im Jahre 1224nahm Heinrich den Prämonstratensern die Schänke an der Elbinger Überfahrt weg. Und endlichgelang es ihm, sie durch Tauschgeschäfte und Entschädigungen auch der Gebiete und Einkünfteaus dem westlichen Teil des Elbing zu berauben, die Mikora dem Kloster Leubus geschenkt hatte.

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Der Märtyrer, aber auch Apostel, den die Legende nach seinem Tode auch mit Bene-vent sowie mit dem Kaiser verband, allerdings mit Otto III., und die Vergabe einesAblasses – all dies musste der Errichtung eines Pilgerzentrums dienen, das mit demexpansiven Kloster der Prämonstratenser effektiv konkurrieren konnte. Beide Zentrenrivalisierten übrigens das ganze Mittelalter hindurch verbissen miteinander. Das Elbin-ger Kloster konnte seine Bedeutung verteidigen, obwohl es nach der HeiligsprechungHedwigs schien, dass es zur Niederlage verurteilt wäre.

Das Ende des ‚petrinischen‘ Breslau erfolgte mit der Stadtlokation von 1242 undzwanzig Jahre später mit weiteren Veränderungen im städtischen Raum. Außerhalb derStadtmauern befanden sich der Kapitel- und Kathedralkomplex, die kleinen Kirchen aufder Dominsel und die beiden mächtigen Abteien. Am Ausgang des Mittelalters solltedie Rolle des fürstlichen Stifters vom Bürgertum und den Stadtbehörden übernommenwerden. Als letzter, dramatischer Akt der Zerstörung des von Piotr Włostowic geschaf-fenen Sakralraumes erfolgte schließlich im Jahre 1529 der Abriss der Gebäude seinerals Nekropole dienenden Abtei. Der auf einer einige Jahrzehnte später gemalten Stadt-karte Breslaus verewigte Anblick dieses Klosters lässt vermuten, dass seine Größe undArchitektur bis zum Schluss große Bewunderung geweckt haben muss.73

Das St. Vinzenzkloster auf dem Breslauer Elbing vor seinem Abriss im 16. Jahrhundert,Ausschnitt aus einer Kartenzeichnung von Bartholomäus Weiner 1562

73 Die hypothetische Rekonstruktion der Stiftung Piotrs und ihrer späteren An- und Umbauten stütztsich auf bereits nach dem Abriss des Klosters entstandene Zeichnungen und Ansichten sowie aufdie wenigen erhaltenen Elemente dieses Objekts, darunter das jedoch bereits aus nachprämonstra-tensischer Zeit stammende herrliche Portal.

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