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Morison, Stanley - Schrift Inschrift Druck

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STANLEY MORISON

SCHRIFTINSCHRIFT

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STANLEY MORISON

SCHRIFTINSCHRIFT

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STANLEY MORISON • SCHRIFT • INSCHRIFT • DRUCK

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STANLEY MORISON

SCHRIFTINSCHRIFT

DRUCK

Mit 28 Abbildungen

DR. ERNST HAUSWEDELL & COHAMBURG 1948

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Titel der Originalausgabe: »The Art of Printing« by Stanley MorisonAnnual Lecture on Aspects of Art, Henriette Hertz Trust of the British Academy, London 1937

Ins Deutsche übersetzt von Dr. Bernhard Bischoff

Gesetzt in Weiß-Antiqua-Schriften der Bauerschen Gießerei in Frankfurt am Main 1948

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Der Florentiner Buchhändler Vespasiano da Bisticci erzählt in einer bekannten Stelle seiner Erinnerungen, daß Herzog Fede-rigo von Urbino jeden Band in seiner Bücherei, deren Bau ihn

30 000 Dukaten gekostet hatte, in Scharlachrot und Silber binden ließ. Vespasiano beschreibt sie als kostbar und köstlich anzusehen: Alle Bücher waren makellos; alle waren auf Pergament geschrieben und alle wunder-voll ausgemalt. Vespasiano sagt weiter, daß »alle Bücher in dieser Bücherei über die Maßen gut und mit der Hand geschrieben waren«, und er versi-chert: »wäre da ein einziges gedrucktes Buch gewesen, es hätte sich in sol-cher Gesellschaft geschämt«. Gedruckte Bücher hatten nach Meinung des Herzogs und seines Buchhändlers keinen Platz in einer schönen Bücherei. So dachte man um 1490, und ähnliche Ansichten werden auch heutzutage gelegentlich ver-treten. Sammler von Geschmack und Kultur versagten und versagen dem Werk des Druckers Anerkennung als Kunstwerk. Das ist begreiflich, wenn, wie es gewöhnlich heißt, Drucker »Nachzügler der Schreiber« sind und »ihre Buchstabenformen alle von denen der Handschriften übernommen« haben — dann freilich ziehen wir das Original, das handgeschriebene Buch, der Nachahmung durch den Drucker vor.1

Danach wäre das Drucken nichts als ein armer Verwandter des Schrei-bens. Es sieht aus wie Schrift, ist aber keine Schrift: also ist es Nach-ahmung der Schrift, und Nachahmung kann an sich keinen Kunstwert besitzen. Damit wäre der Gegenstand unserer Untersuchung eigentlich erledigt, und ich brauchte den Leser nicht weiter zu behelligen. Die Sache erscheint jedoch sofort weniger einfach, wenn es jeman-dem einfallen sollte, die Frage zu stellen: »Was war und ist denn nun Druck?« Die Antwort muß von den besonderen Eigenheiten und Zwek-ken des Drucks ausgehen. Um diese zu finden, wollen wir das Druck-werk zunächst von andern zum Lesen bestimmten Erzeugnissen abgren-

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zen und es dann mit diesen vergleichen. Der Vergleich muß genau nach Maßgabe von Form und Inhalt der zu vergleichenden Dinge durchgeführt werden. Wenn Druck vorläufig bestimmt werden kann als »etwas zum Lesen« auf der Grundlage alphabetischer Zeichen, dann wird seine Form zu einem gewissen Grade vergleichbar mit Anwendungen desselben Alphabets auf alle andern Materialien. So mündet die Frage, welche Form des Alphabets denn dem Druck eigentümlich ist, von selbst in eine paläo-graphische Untersuchung. Die erste kritische Betrachtung des Drucks geht also aus von der Wissenschaft der alphabetischen Zeichen auf jeder Stufe ihrer Entwicklung und in jedem Stand ihrer Erzeugung: eingegra-ben, gemalt, gepreßt; auf Stein, Ton, Metall, Papyrus, Pergament oder Papier. Kenntnis der Stoffe, Werkzeuge, Zeichen, Abkürzungen und Techniken, die von Schreibern, Malern,

Steinmetzen, Notaren, Metallgie-

ßern usw. in früheren Zeiten gebraucht wurden, ist wesentlich für unsere Untersuchung über das Wesen — und folglich, falls überhaupt vorhan-den, den Kunstwert — jener besonderen Anwendung des Alphabets, die wir Druck nennen. Paläographie als Wissenschaft entstand nach der Veröffentlichung von Dom Jean Mabillons sorgfältiger Arbeit über die Schriftarten, Schreib-stoffe und Schreibtechnik der lateinischen Urkunden des Mittelalters (1685). Die Anwendung der analytischen Methode auf Inschriften, obwohl von Marini schon 1795 begonnen, entbehrte wissenschaftlichen Charak-ters, bis Mommsen 1863 mit Unterstützung der Berliner Akademie und in Vorwegnahme ähnlicher Bestrebungen in Frankreich das Corpus Inscrip-tionum begann. Als Hübner 1885 seine Exempla Scripturae Epigraphicae ver-öffentlichte, war es schon deutlich, daß die Beschäftigung mit Inschriften, der Philologen und Historiker den größten Wert beilegten, sich schnell zu einer eigenen Wissenschaft entwickeln würde: die Epigraphik trennte sich von der Paläographie. Weitere Abspaltungen folgten. Die Historiker erkannten bald den Nutzen paläographischer Methoden für das Studium von Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. Im Gefolge von Theodor v. Sickels Monu- menta Graphica Medii Aevi (1878) wurde die Untersuchung von Gestalt,

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Größe und Format der Urkunden, von Formeln und Schrifteigenhei-ten in Akten und Verträgen zu einer eigenen Wissenschaft, der Diplo-matik. Bradshaw, Proctor und Haebler übertrugen paläographische Methoden auf Druckerzeugnisse und schufen damit das neue Fach der Bibliographie. Obwohl also das eigentliche Anliegen der Paläographie die Beschäftigung mit allen Buchstabenformen ist, ist ihre Jüngerschar gespal-ten, sowohl nach Material und Technik des Gegenstands als auch nach den wissenschaftlichen Zwecken der Bearbeiter. Diese Unterteilung der Paläographie ist nutzlos für den Vergleich zwischen Druck und anderen Formen von Lese-Werk. Folglich kann die Frage, wie und wann Alphabete eigens für den Druck entwickelt wurden, nicht genau beantwortet wer-den. So ist zum Beispiel unser Wissen um die Schriften, die in den Jahr-zehnten unmittelbar vor Erfindung des Drucks angewandt wurden, ganz lückenhaft. Die Verbindungslinien zwischen gotischer und humanisti-scher Schrift auf der einen und gemeißelten und gestochenen Inschriften auf der anderen Seite sind nur ungenau bekannt. Trotz allen Forschungen über die Anfänge des Drucks gab es bis vor zwei Jahren keine wissenschaftliche Einführung in die Entwicklung der Schriftarten, aus denen sich der Stil der englischen Frühdrucke herleitet. Damals veröffentlichte Alfred Hessel seine Entstehung der Renaissance-schrift, die knappe Anregungen eines Vortrags von Paul Lehmann über Fortschritte der Paläographie aus dem Jahre 1918 weiter ausbaute. Aber diese Arbeit Hessels ist trotz ihrem großen Wert allzu kurz und enthält überdies nur zwei Tafeln mit Abbildungen. Eine repräsentative Samm-lung von Faksimiles humanistischer Buchhandschriften auf den verschie-denen Stufen ihrer Entwicklung ist zur Zeit noch ein frommer Wunsch. Ebenso war bis vor kurzem unsere Kenntnis der Kursivschrift noch geringer als unser Wissen um die Geschichte der mehr formalen Huma-nistenschriften. Vincenzo Federicis vor vier Jahren veröffentlichte Sammlung von einigen hundert Lichtdrucken von Handschriften, die vom zwölften bis siebzehnten Jahrhundert in italienischen Kanzleien gebräuchlich waren, wirft willkommenes Licht auf die Entwicklung der einzigen Kanzleischrift, die sich zu einer Buchschrift und später zu einer

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Drucktype entwickelt hat. Karl August Zink, der seit langem über das Pontifikat Martins V. arbeitet, hat eine gründliche Studie über die Paläo-graphie päpstlicher Breven veröffentlicht, deren erster Teil im vorigen Jahr in der Römischen Quartalsschrift erschienen ist. Was die gotische Schrift betrifft, so sind wir Alfred Hessel mehr als jedem andern verpflichtet für den Nachweis, daß jede Kritik der frühen Drucktypen deren enge Beziehung zu zeitgenössischen Buchschriften zu berücksichtigen hat. Das hört sich sehr primitiv an, bis man feststellt, daß solche Untersuchungen tatsächlich noch in den Anfängen stecken, obwohl die im fünfzehnten Jahrhundert gebrauchten Typen seit langem zu ihren handschriftlichen Vorbildern irgendwie in Beziehung gesetzt worden sind. Trotzdem ist hier noch viel zu tun, selbst auf dem Gebiet, das am meisten bearbeitet ist, d. h. der deutschen Frühdrucke, für das Hessel selbst einen bedeutenden Beitrag in seinem Buche Von der Schrift zum Druck (1923) gelie-fert hat. Die Grundzüge dieses Buches sind von Crous und Kirchners Die Gotischen Schriftarten (1928) weiterentwickelt; und ihre Gedanken wur-den noch schärfer herausgearbeitet in den Namen der gotischen Buchschriften (1932) von Carl Wehmer, der, ursprünglich reiner Paläograph, jetzt Mit-glied der 1925 von der damaligen deutschen Regierung eingesetzten Kom-mission für Wiegendrucke ist. Noch mehr wurden die Beziehungen zwi-schen Schrift und Druck von Fr. Bonaventura Kruitwagen aufge-hellt, der darüber zwei lange Aufsätze in Het Boek (1935) veröffentlichte.2

Aber während diese Sonderuntersuchungen uns mit der Ahnenreihe des Frühdrucks nach der Seite der Schrift hin bekannt machen, geben sie an sich noch keine feste kritische Grundlage. Um Schrift und Druck richtig zu würdigen, müssen wir auch andere Künste heranziehen, die gleichzeitig oder nacheinander Schrift und Druck beeinflußt haben können. Während wir tatsächlich heute besser als vor dreißig Jahren in der Lage sind, ein geschriebenes mit einem gedruckten Buch zu verglei-chen, sind die Beziehungen zwischen Kupferstich, Malerei und Schreib-kunst von Paläographen, Epigraphikern und Archivaren noch nicht bemerkt worden. Infolgedessen wird die Wahrheit leicht übersehen, daß Stichel, Pinsel und Feder wechselweise bestimmenden Einfluß auf die

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Entwicklung der Schrift genommen haben: üblicherweise werden Hand-schriften als reine Schöpfungen des Federkiels und Drucktypen als reine Nachahmungen solcher mit der Feder geschriebener Schriftzeichen betrachtet. Aber wie schwierig es immer sein mag, die geschriebene mit der gedruck-ten Seite im einzelnen zu vergleichen, es ist noch schwerer, Schrift und Druck zu den anderen Künsten, die Buchstaben verwenden, in Beziehung zu setzen. Obgleich es nämlich für Paläographen ganz üblich ist, Monu-mentalinschriften der Antike in ihre Beispielsammlungen einzubeziehen, tun sie dasselbe nicht für das Mittelalter. Vergeblich sieht man sich zum Beispiel in den Werken von Steffens, Arndt-Tangl oder Thompson nach einer Wiedergabe des Epitaphs um, das Karl der Große zu Ehren des Papstes Hadrian I. auf schwarzem Marmor aushauen ließ und 795 nach Rom sandte (Abb. 1). Das Epitaph, das, um einen späteren Chronisten zu zitieren, in »lite-ris elegantissimis« gemeißelt war, kann sehr wohl in Tours angefertigt sein, wo bekanntlich sowohl eine Bildhauerwerkstatt als auch eine Schreib-stube bestand. De Rossi hat das Epitaph 1888 veröffentlicht, aber es ist seither noch nicht untersucht worden. Rands ausgezeichnete Study of the MSS of Tours (1929) bringt keine Abbildung, obwohl er die Buchstabenfor-men beschreibt, in denen er Alchvins Hand zu spüren glaubt.3

Der Plan Karls des Großen oder Alchvins, ein genormtes Doppelalpha-bet von Groß- und Kleinbuchstaben zu schaffen, war ein kühner Gedan-ke. Es war schwierig, das durchaus förmliche und deshalb nur langsam zu schreibende Alphabet von Kapitalien in eine gewisse Übereinstimmung mit dem schnellen, schräggestellten Minuskelalphabet zu bringen. Hier ist nicht der Ort, das Maß des praktischen Erfolges dieser Bestrebungen abzuschätzen; aber vom rein theoretischen Standpunkt aus kann die karo-lingische Schrift keine ideale Lösung des Problems genannt werden. Das größte Interesse beansprucht freilich die turonische Minuskel. Aber darf man nicht sagen, daß es für die Gesamtwürdigung dieser Schrift ebenso wichtig ist, die Majuskeln in ihrem Zusammenhang mit dem erwähnten Epitaph und anderen karolingischen Inschriften zu studieren;

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daß wir überhaupt, um die karolingische Schrift künstlerisch beurteilen zu können, sie vorher mit gleichzeitigen Buchstabenformen, die nicht auf Pergament geschrieben sind, vergleichen müssen? Ferner, wenn wir wirklich die Buchstabenformen des neunten Jahrhun-derts nicht nur auf Grund von Buchschriften würdigen können, sondern Urkunden und Inschriften dazu benötigen — gilt nicht das gleiche auch für das Jahrhundert der Erfindung des Drucks? Leider wissen wir sehr wenig von der Paläographie der Inschriften in Metall und Stein aus die-ser Zeit. Für Inschriften auf Stein oder Marmor hatten wir lange nur die Inscriptions de la France, die F. Guilhermy 1873 veröffentlicht hat. Sie brin-gen viele gute Wiedergaben von Grabplatten vom fünften bis zum acht-zehnten Jahrhundert, aber wegen ihres Auswahlprinzips helfen sie wenig zum Studium der formalen Entwicklung. Greeny (Incised Slabs, 1891) und Wilhelm Weimar (Monumentalinschriften, 1899) haben Beispiele von Inschriften auf Stein und Metall veröffentlicht, die für unsere Zwek-ke mehr Bedeutung haben (Abb. 2 und 3). Im Jahre 1912 hat Ernst Diehl seine Inscriptiones Latinae herausgebracht, die außer klassischen Inschrif-ten auch fünfzig Beispiele vom zehnten bis zum fünfzehnten Jahrhun-dert geben; aber das nützliche Buch bringt nur Beispiele aus römischen Kirchen und Museen. 1915 gab Prior eine Liste der Abklatschsammlung des Victoria- und Albert-Museums; viele der Bronzeund Steingrabplat-ten sind mit Inschriften versehen. Kautzsch und Neeb veröffentlich-ten 1919 einen Band über die Mainzer Inschriften; sie gaben Abbildun-gen, Umschriften und viele paläographische Erläuterungen von großem Wert. So trägt zum Beispiel das Grabmal des Erzbischofs Peter Aspelt das Datum 1320: es ist die früheste datierte gotische Minuskel in Mainz, dessen Beziehungen zu Frankreich doch so eng waren. Konrad Bauers Mainzer Epigraphik (1926) ist die wissenschaftliche Untersuchung eines gelernten Paläographen über die Entwicklung der Majuskelschrift auf Mainzer Denkmälern. Der Sekretär der Londoner Society of Antiqua-ries, H. S. Kingsford, ließ 1928 eine wertvolle Studie über die Epigraphik mittelalterlicher Siegel erscheinen. 1929 veröffentlichte Paul Deschamps seine Paléographie des inscriptions lapidaires de la fin de l’époche mérovingienne

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aux dernières années du XIIe siècle im Bulletin Monumental mit einer Tafel, die den Wandel der Alphabete zeigt. Die Inschriften auf Stein und Metall in Erfurt und Marburg zeigen die verschiedenen Grade künstlerischer Fähigkeit im fünfzehnten Jahr-hundert auf dem Kontinent, während englische Handwerkskunst ermes-sen werden kann an den Inschriften zum Gedächtnis Eduards III. (1377) und Richards II. (1398) in Westminster Abbey (Abb. 4 bis 6). Im ersten Band des Deutschen Archivs für Geschichte des Mittelalters (1937) hat Karl Brandi, dessen Verdienste um die Paläographie keines weiteren Lobes bedürfen, eine erste knappe, aber vollständige Einführung in die deutsche Inschriftenkunde mit besonderer Rücksicht auf das späte Mittelalter gege-ben. Mit diesen Inschriften sollten unsere Abbildungen 7 und 8 verglichen werden: die erste zeigt eine 1341 datierte Urkunde, deren Kopfleiste den Titel Ludwigs des Baiern in einer inschriftmäßigen Schmuckschrift wie-dergibt, während die Titelseite von Wynkyn de Wordes Ausgabe von Bar-tholomeus Anglicus De Proprietatibus Rerum (gedruckt Westminster 1495) eine schöne, in einen Langholzstock geschnittene Textschrift vorführt. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß weitere Untersuchungen ähnlicher Art den Beweis dafür erbringen können, daß gewisse gotische Druckschriften Handwerkern in Metall und Stein mehr und Schreibern weniger verdanken, als wir gegenwärtig zuzugehen geneigt sind. In dem fraglichen Zeitraum gibt es viele Stiche, die von Holzblöcken oder Metall-platten gedruckt sind und manchmal vorzüglich geschnittene Buchstaben enthalten. Auf einem Kreuzigungsbilde des fünfzehnten Jahrhunderts in Punktiermanier (Abb. 9) erscheint eine Randleiste mit großen, guten gotischen Schriftzeichen, die wenig mit Buchschrift gemein haben, man vergleiche die scharf zugespitzten Füße der Buchstaben auf der rechten Leiste dieser Abbildung mit der Type eines 1483 bei Ludwig von Renchen in Köln gedruckten Missale (Abb. 10). Daraus wäre zu schließen, daß Stecher, die für Drucker arbeiteten, es nicht nötig hatten, Vorbilder für ihre Punzen aus technischen Grün-den grade bei Schreibern zu suchen. Andererseits haben natürlich das bloße Vorhandensein von Handschriften und geschäftliche Erwägungen

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der Drucker unbedingt die Übernahme handschriftlicher Vorlagen begün-stigt. Das ist jedoch kein Beweis dafür, daß der Druck auf der Schrift beruht, beruht hat oder beruhen müßte; nur dafür, daß Drucken damals wie heute ein Geschäft ist. Die Nachzeichnung handgeschriebener Buch-staben ist vielleicht schwieriger als die Übernahme inschriftlicher Vorbil-der, aber das durch solche Nachbildung erzielte Schriftbild ist unnatürlich. Als ständige Übung hätte es abgelehnt werden sollen, weil es unverein-bar mit dem Wesen des Druckes ist, der zur Stecherkunst gehört. Nach-ahmung von Handschriften ist entschuldbar in der Frühzeit des Drucks, weil damals unvermeidlich. Aber während man den Druckern des fünf-zehnten Jahrhunderts verzeihen kann, daß sie absichtlich die ihrem Publi-kum vertrauten Handschriften nachgebildet haben, muß solche Nach-sicht den Druckern des sechzehnten Jahrhunderts versagt bleiben, die sich an die damals moderne, prunkhaft verzierte deutsche Schrift etwa eines Leonhard Wagner von Augsburg hielten (Abb. 11).Wenn man im sech-zehnten und siebzehnten Jahrhundert den Beispielen des Liber horarum ad usum Maximiliani Imperatoris (gedruckt bei Schönsperger in Augsburg 1513; Abb. 12) und des Teuerdank (gedruckt bei demselben, Nürnberg 1517) folg-te, so wurde damit ein Druckstil geschaffen, den man rechtens als blo-ße Schriftnachahmung abtun kann er beruht auf der häßlichsten aller Schriftarten, einer gotischen Schrift, die nicht gotisch ist. Aber die innere und natürliche Beziehung von Druck und Stich bleibt, und wir können nicht die ganze deutsche Fraktur als bloße Schriftnachahmung abtun, ehe wir nicht besser Bescheid um die Epigraphik des fünfzehnten Jahrhun-derts wissen. Um die Frage, ob die Alphabete aller Frühdrucke unmittelbar von der Schrift abhängen, abzuschließen, müssen wir uns vom gotischen zum Renaissancestil wenden. Hier sind wir Sir George Hill zu größ-tem Dank verpflichtet, der in seinem Corpus of Italian Medals of the Renais-sance before Cellini (1930) über sechzehnhundert Medaillen mit Inschriften beschrieben hat. Güte und Zahl der Faksimiles sind hervorragend, und ich habe daraus Abb. 13, 14 und 15 entnommen, da sie eine klare Vorstel-lung von dem Einfluß geben, den die archäologischen Forschungen eines

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Ciriaco von Ancona, Feliciano von Verona und anderer früher Epigraphi-ker auf die Stecher in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts ausgeübt haben. Abb. 16 gibt eine Seite aus Felicianos Werk über die geometrische Konstruktion von Buchstaben in klassischen Inschriften wieder. Diese Abhandlung, der weitere ähnliche folgten, ist um 1463 verfaßt. Vergleicht man die Umschrift auf Pisanellos Medaille des Sigismondo Malatesta (datiert 1445; Abb. 13) mit der auf Lysippus’ Medaille des Raffaello Maffei, der 1466–76 Apostolischer Schreiber war (Abb. 15), so sieht man die Wir-kung der neuen Anregungen auf die Medailleure. Inzwischen war die Schreibkunst von der Druckkunst und beide vom Geschmackswandel der Leser beeinflußt worden. Abb. 17 zeigt das Colo-phon eines Curtius Rufus, den Antonio di Mario, einer der besten Schrei-ber aus der Schule des Niccolò Niccoli, 1419 geschrieben hat. Obgleich das Colophon in Kapitalien geschrieben ist, bewahrt es gotische Züge, die in einem 1458 für den Herzog von Urbino geschriebenen Manuskript fast völ-lig fehlen (Abb. 18): Die Kapitalien im Colophon dieses Buches (Abb. 19) beruhen offensichtlich auf Formen klassischer Inschriften. Manuskrip-te und Urkunden (Abb. 20) der folgenden Jahrzehnte des fünfzehn-ten Jahrhunderts sind gewöhnlich mit Titeln und dergleichen ausge-stattet, die unmittelbar Stein- oder Marmortäfelchen nachahmen, wie z. B. Abbildung 21. Hier, auf Medaillen und in Manuskripten, finden wir also Beweise dafür, daß Inschriften unmittelbaren Einfluß auf Goldschmiede, Medail-leure und Schreiber ausgeübt haben. Auch die Antiqua, die Aldus Manu-tius seit 1495 verwandte (Abb. 22), ist stark von denselben inschriftlichen Vorbildern beeinflußt. Sie sehen nicht nur gut geschnitten, sie sehen wie gemeißelt aus. Der Einfluß der altrömischen Monumentalschrift und die Anwendung ihrer Grundsätze auf die Konstruktion von Minuskeln haben unter den Händen von Aldus’ Stempelschneider Francesco Griffo ein Alphabet hervorgebracht, das mehr als jedes andere den späten Renais-sancestil in Italien, Frankreich und anderswo zum Ausdruck bringt. Ein späteres Beispiel der Verbindung von Stich, Schrift und Druck begegnet in dem Werk jenes Schreibers, der 1520 für Kardinal Giulio

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de’ Medici, den späteren Papst Klemens VII., ein Missale anfertigte. Die-ses Missale (Abb. 24), das bisher weder beschrieben noch abgebildet ist, ist von Ludovico Arrighi in inschriftmäßigen Kapitalien vorzüglich geschrieben und von Marco Attavanti ebenso vorzüglich ausgeschmückt. 1523 druckte Arrighi in Gemeinschaft mit Lautizio Bartolomeo dei Rostel-li, einem Stecher, dessen Arbeiten Cellini sehr rühmt; er schrieb in eben diesem Jahre, daß Lautizio »auf der ganzen Welt einzig und unerreicht« in seiner Kunst wäre. Die Drucker benutzten eine sehr schöne Kursive in Verbindung mit Kapitalien von inschriftmäßigen Formen (Abb. 25). Lau-tizio hatte seinen Ruhm durch Siegelstiche begründet. Ein für denselben Kardinal Giulio de’ Medici geschnittenes Siegel (Abb. 26) und ein ande-res für den Kardinal-Erzbischof von Vich in Katalonien befinden sich im Victoria- und Albert-Museum.4

Die alphabetischen Formen der Spätrenaissancedrucke blieben bis 1691 unangefochten in Geltung.5

Das siebzehnte Jahrhundert war das Jahrhundert der Akademien. Die Académie Française wurde 1635 gegründet und die Imprimerie Royale 1642. Ludwig XIV. gründete die Akademie der Bildenden Künste im Jahre 1648, die Akademie der Inschriften und Medaillen 1663, die Akademie der Wis-senschaften 1666 und die Akademie für Bauwesen 1671. Mabillons De Re Diplomatics erschien 1685. Im Jahre 1691 wurde Anisson, den Mabillon und Du Cange unterstützten, zum Leiter der Imprimerie Royale ernannt und ermächtigt, einen neuen Satz von Drucktypen anzuschaffen. Jetzt ging man zum ersten Male in wissenschaftlichem Geist an die Frage her-an, ein Alphabet eigens für den Druck zu schaffen. Der Kanzler der Aka-demie der Wissenschaften, Pontchartrain, ernannte einen Ausschuß von vier gelehrten Technikern und Mathematikern, die zusammen mit zwei Stechern und dem Drucker als Berater wirken sollten. Jeder der neuen Buchstaben wurde nach geometrischen Grundsätzen in ein Viereck ein-gezeichnet, das in 64 Quadrate eingeteilt war, deren jedes wiederum in 36 Quadrate zerfiel, so daß sich eine Gesamtsumme von 2304 Teilquadra-ten ergab.

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An dieser Grundlage hielten auch die folgenden Generationen bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts fest, wenn sie die eine oder ande-re Neuerung einführten. Weder Karolinger noch Frühhumanisten hat-ten das Verhältnis von Groß- und Kleinbuchstaben zueinander festgelegt. Erst nach der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts bevorzugten Schrei-ber Großbuchstaben, die kürzer als die Oberlängen von Kleinbuchstaben waren, eine Gewohnheit, die von den Druckern der Spätrenaissance beibe-halten wurde. Die Typen Ludwigs XIV. wichen davon ab; ihre Großbuch-staben und die Oberlängen ihrer Kleinbuchstaben sind von gleicher Höhe. Ferner wies die Akademie der Wissenschaften den Großbuchstaben den Vorrang zu (Abb. 27) und ließ sie damit den Stil der Kleinbuchstaben bestimmen (Abb.28). Die kleinen waagerechten Ausläufer der Grundstri-che der Großbuchstaben wurden den Oberlängen des kleinen b, d, h, l auf-gesetzt, während in der Renaissance diese Querstriche bei den Kleinbuch-staben immer eine Neigung von etwa 25 bis 30 Grad gehabt haben. So gab französische Logik dem großem I genau dieselbe Gestalt wie dem kleinen l. Obgleich man den Nachteil sah, siegte die Logik; dafür erhielt das kleine l zur Unterscheidung einen kleinen Haarstrich in der Mitte links. Die prächtige Ausführung, in der die neuen Typen erstmalig auftraten, gab dem typographischen Stil der Spätrenaissance den Todesstoß. Zahl-reiche Abwandlungen, die viel von der logischen und mathematischen Schärfe der Akademie preisgaben, sind seither erschienen. Aber die Anti-qua Ludwigs XIV. hat den Stil von Stechern und Gießern bestimmt bis um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als Pickering eine Rückkehr zum Stil des Aldus einleitete (seit 1844) und Frederick Greenwood diesen für die Pall Mall Gazette wiederbelebte (1865).7

Um diesen Teil unserer Untersuchung abzuschließen, können wir nun sagen, daß die für den Druck der Inkunabeln angewandten Alpha-bete von handschriftlichen und inschriftlichen Vorlagen abgeleitet wor-den sind; daß man gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in Itali-en die Stecherkunst als Wurzel des Drucks erkannte; und daß seit dem siebzehnten Jahrhundert ganz Europa außer Deutschland den Druck als Seitenzweig des Stichs anerkannt hat.

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Wir wenden uns nun von der Betrachtung des Druckes, wie er sich in seiner alphabetischen Form darstellt, zur Betrachtung seines Wesens, wie es sich im Verfahren ausdrückt. Wenn wir die Gutenberg-Bibel ansehen, wissen wir zunächst, daß sie nicht mit der Hand geschrieben ist; wir sehen, daß ihre Seiten sorgfäl-tig gebaut und daß sie in Stellung und Farbe durchaus gleichförmig sind. Gedruckte Bogen, wenn gefaltet, geheftet und gebunden, erinnern so stark an geschriebene Bücher, daß wir uns beim Studium der eindrucksvollen sechsunddreißigzeiligen Bibel anstrengen müssen, die beiden Techniken, wie die sechsunddreißig Zeilen auf einer Seite untergebracht sind, und wie solche Seiten fortlaufend gelesen werden können, voneinander zu unterscheiden. Die Vorgänge des Faltens, Heftens und Bindens sind nicht dem Druckwerk eigentümlich. Um festzustellen, was denn dem Druck-verfahren eigentümlich ist, ist es deshalb besser, einen einzelnen Bogen herzunehmen, der weder gefaltet, noch geheftet, noch gebunden ist und uns daher nicht zwingt, in Ausdrücken der Buchherstellung zu denken. In seinem Wesen wird dann der Druck als genau übereinstimmend mit den älteren Verfahren zur Vervielfältigung von Zeichnungen erschei-nen, wie etwa von Mustern für Webwaren, Figuren auf Spielkarten und religiösen Darstellungen auf Papier. Der einzige Unterschied zwischen Spielkarten, religiösen Bildern und Ablaßzetteln, wenn man sie nur als bedruckte Flächen nimmt, ist der, daß Karten und Bilder von einem gan-zen Block oder einer ganzen Platte hergestellt sind, während die gedruck-ten Ablaßzettel von einer zusammengestellten Menge kleiner Metall-stücke abgezogen sind, die aus Gußformen bestehen, an deren einer Sei-te mit dem Stichel ein Miniaturbuchstabe eingegraben ist. Eine Inschrift ist einfacher zu schneiden als ein Buchstabe; aber auch abgesehen von dem Unterschied in der Geschicklichkeit, besteht ein Unterschied in der Absicht. Die Inschrift ist einmalig, in sich selbst abgeschlossen, der Stem-pel jedoch als ein Hilfsmittel für die Vervielfältigung von Schrift gedacht. Von dieser Absicht her, nämlich Schrift zu vervielfältigen, leitet der Druck sein Wesen ab. Die Herstellung eines Buchstabens als Ersatz für, und deshalb Nachahmung von Schrift, ist nur eine zweitrangige geschäftliche

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Erwägung — die besondere Anwendung eines allgemeinen Vervielfäl-tigungsverfahrens. Ob man daher mit Recht oder Unrecht im Drucker einen Nachzügler des Schreibers sieht — es ist zweifellos gerechtfertigt, den Drucker als einen Gefolgsmann jenes Kunsthandwerkers anzuspre-chen, der beispielsweise die Drucke des um 1370 geschnittenen Protât-Holzstocks vervielfältigt hat. Wir haben gesehen, wieviel der Druck im Hinblick auf seine Form dem Holzschnitt verdankt. Auch im Hinblick auf das Verfahren kann man unmöglich die Verbindung von Druck und Holzschnitt außer acht lassen. Der Drucker von Büchern mag gelegentlich dem Schreiber gefolgt sein. Aber daran kann kein Zweifel bestehen, daß er dem Drucker von Bildern gefolgt ist; oder, um es einfacher zu sagen: der Drucker von Tex-ten ist dem Drucker von Bilddrucken gefolgt. Den Kenner der Geschichte des Drucks kann diese Abfolge der Aus-beutung eines Verfahrens nicht wundern. Am Ende des achtzehnten Jahr-hunderts wurde die Erfindung, vom Stein zu drucken, die »Lithographie«, zunächst für Bilder, später für Texte verwandt. Im neunzehnten Jahrhun-dert wurde die Erfindung, von Photographien, die auf Kupferplatten geätzt waren, zu drucken, die »Photogravüre«, ebenfalls zunächst für Bil-der und erst später für Texte verwandt. Im zwanzigsten Jahrhundert sind weitere photographische Erfindungen, die sich für die Vervielfältigung von Bildern als nützlich erwiesen haben, für Buchstabendruck verwandt wor-den. So sind durch alle Jahrhunderte die Drucker von Bildern die Schritt-macher für die Drucker von Büchern gewesen. Die Anwendung eines Ver-fahrens auf das Setzen von Texten kommt immer zuletzt. Die Reihenfol-ge sollte auch den Historiker des Holzschnitts oder Kupferstichs nicht überraschen. Der einzelne Buchstabe, der auf einem Stempel eingegraben ist, ist eine winzige Figur, deren Schnitt größere Geschicklichkeit als der Schnitt einer größeren Zeichnung verlangt. Das Bild geht der Type vor-an, weil es weniger Schwierigkeit macht. Da also Bilder zuerst vervielfäl-tigt wurden, war es unvermeidlich, daß zwischen dem Drucker und den anderen Interessenten Vereinbarungen getroffen wurden. Das mußte erst recht geschehen, als die alte Methode, Bilder zu vervielfältigen, auf Bücher

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angewandt wurde. Aber obgleich es handelsüblich wurde, daß Miniatur-maler die bedruckten Blätter ausstatteten, braucht man nicht anzuneh-men, daß ihre rohen Pinseleien und kümmerlichen Sudeleien von Initialen auf ausdrückliches Verlangen des Druckers hin entstanden sind. Johann Fust von Mainz war ein Goldschmied; es ist unmöglich, das Colophon des Psalters von 1457, der in farbigem Druck ausgeführt ist, anders aufzu-fassen denn als Ausdruck berechtigten Stolzes eines Stechers. »Dieser Psalter, geschmückt mit schönen Kapitalien und sorgfältig mit Rubriken versehen, ist so hergestellt durch eine sinnreiche Erfindung von Druck und Stem-pel …« Das Colophon fährt dann fort: »absque calami exaracione«, was ich mit »ohne Arbeit mit der Feder« oder sogar »ohne Federfuchserei« über-setzen möchte. Die handwerkliche Gediegenheit ihres Werkes berechtigt diese Drucker, für ihre ganze Zunft zu sprechen, wenn sie so die Schreib-kunst unerwähnt lassen und statt dessen die »adinventio« als das Wesen ihrer Kunst rühmen. In diesem Verfahren sind der Stich des Stempels, der Guß der Type aus einer Gußform und der mechanische Abdruck mit schwarzer Farbe von einer zusammengesetzten, erhabenen Fläche die wesentlichsten Bestandteile. Im siebzehnten Jahrhundert konnten dann Stecher mit größter Genauigkeit einen Satz von Stempeln schneiden, die nur ein Achtel so groß wie die in Gutenbergs sechsunddreißigzeili-ger Bibel gebrauchten Typen waren. Im achtzehnten Jahrhundert wurden Stempel für noch kleinere Buchstaben geschnitten, und im neunzehnten standen dem Gewerbe peinlich saubere Erzeugnisse der Stecherkunst zu Diensten. Das Hochdruckverfahren blieb unverändert bis zum Ende des acht-zehnten Jahrhunderts. 1798 erfand Senefelder den Flachdruck vom Stein. Wir haben gesagt, daß der Zweck des Druckes die Vervielfältigung ist; wir sollten hinzufügen: die Vervielfältigung jeder Art von Mittei-lung. Man glaubt zu oft, daß die typographische und technische Ent-wicklung der Druckkunst nur anhand von Büchern verfolgt werden kann. Aber das hieße, gedruckte Bücher ebenso zu behandeln, wie es gern mit Handschriften geschieht: nämlich in ihnen eine in sich selbst ruhende, nicht abgeleitete Schöpfung zu sehen, die ihrer Umwelt nichts schuldig

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ist. Man muß diesen Punkt um so schärfer betonen, als viele die künstle-rischen Eigenschaften der Frühdrucke oder das, was sie dafür halten, nur deshalb schätzen, weil sie die Geschicklichkeit des Druckers bewundern, die Wirkung einer Handschrift hervorzurufen. Diese Neigung, Druck als mechanisierte Schrift zu betrachten, zu schätzen oder zu mißbilligen, wird von Handschriftensammlern gefördert, deren Sondergebiet sie zu der Fol-gerung führt, daß Buchschrift etwas Vornehmeres ist als Urkundenschrift oder irgendeine andere Schriftart. Auch die Faksimiles herrlich illumi-nierter Handschriften ermutigen moderne Schreibkünstler, den Druk-kern einzureden, daß der Schreibkünstler die Aufgabe habe, die Kunst des Druckers, wie sie sagen, wiederzubeleben und zu ihrer ursprünglichen Reinheit und Vollkommenheit zurückzuführen. Es ist dann nur noch ein Schritt bis zu der Überzeugung, daß der Druck von Büchern die einzige Form des Drucks ist, die der Rede wert ist. Aber Handwerker, die sich mit der Vervielfältigung von Drucken befas-sen, die nicht Bücher sind, waren im fünfzehnten Jahrhundert ebenso lebensnotwendig, wie sie es heutzutage sind. Trotzdem bleibt der Druck von Tageserzeugnissen gemeinhin von der Betrachtung ausgeschlossen, ohne Rücksicht darauf, ob er nicht auch den Wert der Vervielfältigung bezeugt, den ich als die grundlegende Voraussetzung für das Entstehen des Drucks überhaupt bezeichnet habe. Die Schaukästen im Britischen Museum, die die Entwicklung des Drucks vom fünfzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert vorführen, enthalten nur zwei Beispiele von Akzidenzdrucken: die dreißig- und ein-unddreißigzeiligen Ablaßbriefe von 1455. Kein Stück ist vorhanden vom Augsburger Aviso, dem ersten Wochenblatt, das 1609 zu erscheinen begann; kein Stück der ältesten englischen Zeitungen oder Flugblätter wird gezeigt. So gerät die Verpflichtung des Buchdruckers gegenüber dem Zei-tungsdrucker, der jenem die Wege zu immer schnellerer Vervielfältigung geöffnet hat, in Vergessenheit; und der Dienst an der Gemeinschaft, den der Akzidenzdrucker leistet, wird übersehen. Die erste Wochenzeitung in englischer Sprache ist 1620 in Amsterdam bei George Veseler gedruckt, im selben Jahre, in dem, auch in Amsterdam,

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Blaeu die neue Art von Presse erfand, die Moxon als »modern« bezeich-net, weil sie die von älteren Pressen benötigte Zeit verkürzte. Keine wei-tere Steigerung des Vervielfältigungsvermögens fand statt, bis 1783 Anis-son in Paris eine größere als bis dahin bekannte Presse baute. Dies wur-de indessen erst ein Geschäftsunternehmen, als Lord Stanhope im Jahre 1800 das Hebelverfahren auf Blaeus Presse anwandte und nach Anissons Vorbild den Unterbau vergrößerte. Zu Beginn des neunzehnten Jahrhun-derts übertraf infolgedessen das Vermögen der Presse zur Massenerzeu-gung alles, was Gutenberg, Fust und Schoeffer je im Auge gehabt hatten. Aber die Leistungsfähigkeit dieser Pressen wurde noch weiter vervielfacht, seitdem Friedrich König im Jahre 1814 die Times auf Maschinen druck-te. Die Ausgabe der Zeitung vom 29. November gab bekannt, daß 1100 Bogen in einer Stunde gedruckt wurden. Die Times förderte also viermal so viel wie Stanhopes Hebelpresse. Eine noch größere Beschleunigung wurde zwischen 1846 und 1865 erreicht. Im Jahre 1868 führte die Times als erste Zeitung Rotationsmaschinen ein, die mit Papier von einer rie-sigen fortlaufenden Rolle, die von einer Winde ablief, anstatt von Einzel-bogen gespeist wurden. So wirkten Presse, Farbe und Papier zusammen, um mehr Abdrucke in kürzerer Zeit als je zuvor zu erzielen. Alle diese Fortschritte entstanden in oder zugunsten von Zeitungsbetrieben. Heu-te wird die zweiunddreißigseitige Ausgabe der Times mit einer Schnel-ligkeit von 40 000 Stück in der Stunde gedruckt. Satz, Farbe und Druck sind sicherlich nicht schlechter in der Ausführung als die handwerklichen Erzeugnisse der Vergangenheit. Auch die Methoden, Typen herzustellen und zu setzen, sind von den Zeitungspressen umstürzend geändert wor-den. Die Setzmaschine von Kastenbein wurde 1870 von der Times zur praktischen Anwendung gebracht. 1886 führte die New York Tribune die Linotype-Maschine ein, die Matrizen setzte und Typen goß; 1887 wurde die »Monotype« gebrauchsfertig. Der Text von Zeitungen und Büchern wird jetzt gleichermaßen auf diesen oder ähnlichen Maschinen gesetzt. Die erste richtige Photographie, mechanisch auf ein Rasternetz von Punkten übertragen, die in Metall geätzt waren, wurde 1880 im New York Daily Graphic gedruckt.

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An diesem Punkt könnte die Frage gestellt werden: Wird die Geschich-te sich selbst wiederholen? Wird sich eine Methode, die schon erfolgreich Bilder in Flachdruck geschaffen hat, erfolgreich auch auf Flachdruck von Texten anwenden lassen? Wird sie das erst auf Einzelbogen tun? Und wird die neue unmittelbare photographische Bildmethode schließlich das überaus schwierige Problem anpacken, fortlaufenden Lesestoff, also etwa Bücher, zu erzeugen? Fortschritte sind schon gemacht mit der Wiedergabe vorhandener Druckseiten. Es ist heutzutage üblich, sie auf glatte lithographische Steine zu übertragen. Das ist gemeint, wenn ein Verleger sagt, er habe ein vergrif-fenes Buch »photographiert«. Auch Bilder werden photographisch vom Stein auf Gummizylinder übertragen, um mit größter Schnelle auf Rota-tionsmaschinen gedruckt zu werden. Die Druckfläche ist in beiden Fällen glatt. Die Photolithographie, das muß bemerkt werden, bleibt ein richtiger Druck, obgleich bei diesem Verfahren kein Abdruck vorgenommen wird. Druckseiten und Bilder werden jetzt auch unmittelbar auf Kupferzylin-der photographiert, die, wenn geätzt, Tiefdruck ergeben und Drucke, die intaglio sind. Weder Hochdruck noch Tiefdruck ist an sich zum Druck notwendig. Druck läßt sich bestimmen als die Erzeugung von Lesestoff durch übertragen alphabetischer Texte von einer gefärbten Fläche auf ein gegebenes Material, mit der Absicht der Vervielfältigung. Genau das war der Druck im Anfang, und das ist er immer noch. Und der alphabetische Text hängt auch in den jüngsten Setzmethoden immer noch, soweit es seine Gestalt betrifft, von Stempeln oder Schablonen ab, die ganz oder teilweise, unmittelbar oder mittelbar, mit der Hand gestochen sind. Aber das Mißverhältnis besteht, daß die alphabetischen Einheiten, aus denen sich unsere heutigen Drucke zusammensetzen, fast ausschließlich Nach-ahmungen von Buchstaben sind, die geschnitten wurden Jahrhunderte bevor man an unsere modernen Verfahren überhaupt dachte. Die unmit-telbare technische Grundlage dieser Nachahmungen ist die Stempel- und Matrizenbohrmaschine, die Benton 1885 erfand und die eine senkrechte Anwendung des alten waagerechten Storchschnabels ist. Die Schablone, die das mechanische Bohrwerkzeug leitet, ist ein vergrößerter Buchstabe,

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der zwar ebensogut eigens hierfür gezeichnet werden könnte, aber in der Regel die teilweise photographische Wiedergabe eines Buchstabens ist, der vor Jahrhunderten mit der Hand geschnitten, mit der Hand geformt und gegossen, für Handsatz und Handdruck auf handgeschöpftem Papier bestimmt gewesen ist. Der Hauptgrund, warum die Techniker, die für die Herstellung von Gußformen für den Buchdruck verantwortlich sind, alte Vorbilder wiederholen, ist der, daß sie sich in derselben Lage finden wie viele Frühdrucker: sie haben dem Handel zu geben, was der Handel ver-langt; und der Handel verlangt, was vertraut ist. Für sie bedeutet Stem-pelschnitt, ob mit der Hand oder mechanisch, nur eine Reproduktions-technik. Sodann begreifen moderne Künstler nicht, daß Textsatz, der beque-mes, fortlaufendes Lesen ermöglichen soll, gestochen und nicht geschrie-ben sein muß, um »vertraut« zu wirken. Das ist die gegenwärtige Lage. Die Anwendung von Photographie unmittelbar für fortlaufenden Textsatz ist noch nicht im praktischen Gebrauch; aber 1921 wurde ein Patent für eine Setzmaschine mit Tastatur erteilt, bei der die Buchstaben des Alphabets photographisch auf einen hochempfindlichen Filmstreifen übertragen werden. Solch eine Maschi-ne macht nicht nur den Stempelschnitt, sondern auch Matrize, Guß-form, Schmelztiegel, Blei, Antimon und Zinn überflüssig. Aber bis jetzt (1937) haben sich die Schwierigkeiten, ein Erzeugnis zu erhalten, das sich an Umrißschärfe mit dem Hochdruck des neunzehnten Jahrhunderts messen kann, als unüberwindlich gezeigt. Nichtsdestoweniger ist es mög-lich, daß die nächste Druckergeneration auf photographischen Negativen aufgebaute Texte herstellen wird, die auf einer photographischen Setzma-schine gesetzt sind. Die alphabetischen Negative werden zunächst absicht-lich viele, wenn nicht die meisten Einzelzüge bewahren, die durch die bisherigen Druckmethoden vertraut geworden sind, deren letzte Grund-lage, wie wir sahen, der Stempelschnitt ist. Aber ich möchte vorhersagen, daß dieser photographische Satz zunutzen des Verfahrens allmäh-lich vom Stempelschnitt abkommen wird, genau so wie in der Zeit der

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Wiegendrucke italienische Drucker von den Künsteleien der Schreib-schulen abgegangen sind. So viel über das Druckverfahren.8

Wir haben eingangs gehört, daß der Herzog von Urbino jedem gedruck-ten Buch die Aufnahme in die herzogliche Bücherei verweigerte. Der Grund dafür war wohl nicht, daß er im Druck eine bloße Entwürdigung der Handschrift sah, sondern daß er ein gedrucktes Buch als ein Stück aus einer großen Masse gleichartiger Stücke betrachtete. Mit anderen Worten: der Herzog hätte denselben Einwand gegen die prächtigen Drucke Bodo-nis für den Herzog von Parma erhoben. Im Jahre 1480 hatten der Her-zog von Urbino und sein Buchhändler Gelegenheit, sich für den Dante zu erwärmen, der damals in Florenz bei Nicole di Lorenzo gedruckt wur-de. Ob sie dieses Buch gesehen oder von ihm gehört, läßt sich unmöglich sagen. Tatsache ist, daß Vespasiano um diese Zeit einen Dante für den Herzog bestellte. Das Buch wurde von dem besten verfügbaren Schrei-ber, Mattheo de Contugiis, geschrieben und von Giulio Clovio illuminiert und bildet heute einen der schönsten Bände unter den Codices Urbina-tes in der Vaticana. Nicolò di Lorenzos Dante kann trotz seiner Kupfer-stiche nach Botticelli kaum Anspruch erheben, ein Meisterwerk zu sein; freilich müssen ihm die beträchtlichen technischen Schwierigkeiten beim erstmaligen Gebrauch von Kupferplatten zugute gehalten werden. Was immer jedoch die Verdienste dieses Buches waren — es war nur ein Stück aus einer Auflage. Federigo von Urbino verlangte einen Dante, der einzig sein Eigentum sein sollte. Wer aber anderseits die Druckkunst ehrt, der beginnt das Massenerzeugnis zu achten, weil es dank Gutenberg, Stanho-pe, König und Hoe Literatur zum Gemeingut macht. Die erste Pflicht des Druckers ist, die Werke all derer, die für die Erzie-hung, Bildung, und Erholung des Publikums in Büchern, Zeitungen und anderswo schreiben, so weit und so billig wie möglich zu verbreiten. Wenn daher die Photographie den Drucker befähigt, seine Pflicht gegenüber der Gesellschaft noch besser zu erfüllen, so müssen wir der Versuchung widerstehen, sie als im Grunde unwürdig außer Betracht zulassen. Das Urteil des Herzogs von Urbino über den Druck war nicht

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objektiv oder ästhetisch bedingt; es war ein Ausfluß seiner angeborenen Selbstsucht. Da der Zweck des Drucks die Massenerzeugung ist, ist der gegebene Kunde des Druckers nicht der Herzog, sondern die Masse. Des-halb sind Luxusdrucke widersinnig. Die Zahl der Bogen von vornher-ein zu begrenzen, gehört nicht zum Wesen des Drucks; es ist ein törich-ter Einfall französischer Verleger des neunzehnten Jahrhunderts. Wir tun deshalb gut, die Photographie auch für den Satz von Büchern anzuneh-men, sobald sich das als möglich erweist. Druck mit Hilfe der Photographie kann bestimmt werden als Wech-selwirkung von technischen Verfahren, wobei Buchstaben, Matrizen für Buchstaben oder Negative für Buchstaben in Seiten gesetzt und unmit-telbar durch Auftragen von Farben oder durch Übertragung vervielfäl-tigt werden. Was immer die formale Grundlage des Drucks sein mag

— Schrift, Stich oder Photographie —, Sauberkeit des Satzes, Anord-nung von Lettern, Zeilen und Zwischenraum werden in Zukunft wei-ter wie bisher zeigen, ob ein Drucker sein Handwerk gründlich versteht. Anordnung und Satzspiegel eines Druckwerkes sollen den höchst mög-lichen Grad von innerem Zusammenhang aufweisen — erstens mit den Absichten und Zwecken des Verfassers, und zweitens mit der Natur des Verfahrens, durch das diese ausgedrückt werden sollen. Wenn der Text wirkungsvoll gegliedert ist und das Verfahren wirkungsvoll in Überein-stimmung gebracht mit den besonderen Erfordernissen von Bebilderung und Vervielfältigung — darin kann das Ergebnis dem verständnisvollen Beschauer gefallen. Das heißt, der verständnisvolle Betrachter erkennt mit Befriedigung in einem Druckwerk die Sorgfalt, Folgerichtigkeit und Klarheit, die ein derartiges Erzeugnis — sei es Buch, Zeitung oder Fahrplan — besit-zen muß, um unter den Verhältnissen, die sein Verfasser und Drucker im Auge gehabt haben, gelesen oder auch nur angeschaut zu werden. Wenn ein Druckwerk diese Eigenschaften in hervorragendem Maße besitzt, so kann es Berücksichtigung durch Sammler beanspruchen, die sich für Erzeugnisse der Angewandten Kunst interessieren. Druck will nicht in erster Linie Kunst sein, sondern der verantwortungsvollste Teil unseres

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gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und geistigen Gefüges; es muß, wie ein Verkehrsmittel, aufs feinste durchgebildet und von höchster Zweck-mäßigkeit sein. Wenn jedoch in diesem Zusammenhang Kunst bestimmt werden kann als Anwendung von Wissen, Vernunft und Geschicklichkeit zum Besten von Schreibern und Lesern, so mag die Hoffnung nicht über-eilt sein, daß einige frühere, gegenwärtige und künftige Erzeugnisse des Druckers für wert befunden werden, als Erzeugnisse vervielfältigter Ver-nunft und Geschicklichkeit unter den Begriff »Kunstwerk« zu fallen.

Die vorstehenden Ausführungen geben mit geringen Veränderungen einen Vortrag wieder, den der Verfasser unter dem Titel »The Art of Printing« am 17. November 1937 in der Briti-schen Akademie gehalten hat. Dieser Vortrag ist in Band 23 der »Proceedings of the British Acade-

my« erschienen. Für die Möglichkeit, ihn in deutscher Sprache herauszubringen, ist der Ver-fasser den Herren Dr. Ernst Hauswedell, Hamburg, und Dr. Konrad Bauer, Schön-berg i. Ts., zu großem Dank verpflichtet. Die folgenden Anmerkungen wollen dem Leser eini-ge weitere Hinweise geben, mit deren Hilfe er die Angaben des Verfassers nachprüfen kann.

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ANMERKUNGEN

1. Diese Ansicht wird vertreten von R. Cob-den Sanderson, dem Gründer der Doves Press: »Der Drucker setzte im Druck die Tradition des Schreibers fort, und zwar des Schreibers auf der Höhe seiner Kunst. Als diese Tradition mit der Zeit ausstarb, ver-fiel auch die Kunst des Druckers. Es ist die Aufgabe des Schreibkünstlers, die Kunst des Druckers wieder zu beleben und zu ihrer ursprünglichen Reinheit und Vollkommen-heit zurückzuführen. Der Drucker muß gleichzeitig Schreiber sein oder wenigstens mit einem Schreiber zusammenwirken, und die Offizin muß mit einer Schreibschule ver-bunden sein, wo Schriftkunst ausgeübt und das Zeichnen von Buchstaben lebendig erhal-ten werden kann. Ein weiterer Beweis für die Abhängigkeit des Drucks von der Schrift ist die große Erneuerung des Druckwesens, die unter unsern Augen stattfindet: sie ist das Werk eines Druckers, der, bevor er Drucker wurde, Schreibkünstler und Illustrator war, william morris.« (Ecce Mundus [1902], Blatt 5r — das Buch ist nicht nach Seiten durchge-zählt, sondern nach Halbbogen von acht Sei-ten signiert). Vgl. auch Robert Steele, The Revival of Printing (1912): »Das Buch des 15. Jahrhun-derts war ausgesprochen eine Nachahmung der schönen Handschrift; seine Type war eine Nachbildung der üblichen Schreiberhand, die Gliederung seiner Seite war die einer Handschrift, Spationierung und Ausschluß waren erleichtert durch freien Gebrauch von Abkürzungen. Der Erfolg des Druckers ver-nichtete den Beruf des Schreibers, und damit ging das Geheimnis des schönen Buches verloren, bis William Morris die Kunst

wiederbelebte« (S. XVII f.); ebenso Wm. M. Tvins Jr.: »Die ersten Drucker folgten den Fährten der Schreiber« (Artistic Aspects of 15th Century Printing [Bibliographical Society of Ame-rica Papers XXV, 1932], S. III).

2. Die wissenschaftliche Untersuchung der Beziehungen zwischen gotischer Buchschrift und Drucktypen in der Zeit des Übergangs von der Schrift zum Drude wurde eingelei-tet durch Wilhelm Meyers Abhandlung Die Buchstabenverbindungen in der sog. gotischen Schrift (S. B. Göttingen1897). Seitdem sind die S. 6 aufgeführten Arbeiten von Hessel, Crous, Kirchner, Wehmer und Kruit-wagen hinzugekommen. Weiter wären zu nennen: Stanley Morison, German Incun-abula in the British Museum (1928); A. F. John-son, Classification of Gothic Types (Trans. Biblio-graph. Soc., März 1929) und die Besprechung von Victor Scholderer (The Fleuron 1930, S. 198 ff.). Neuerdings ist die Proba centum scripturarum una manu exaratarum als die frü-heste kalligraphische Fassung der jetzt »Frak-tur« genannten Drucktype nachgewiesen worden; die Handschrift (Cod. 85a der Augs-burger Ordinariatsbibliothek) ist von Leon-hard Wagner geschrieben, der von 1472 bis 1522 der Benediktinerabtei St. Ulrich und Afra in Augsburg angehörte. Sie ist beschrie-ben von Alfred schroeder im Archiv f. d. Geschichte d. Hochstifts Augsburg 50, 1909–11, 372 ff.; Ben. Kraft Schwäb. Museum 1930, 110; ders., Die Handschriften d. Bischöfl. Ordi-nariatsbibl. in Augsburg (1934), S 45, 94. Die hundert reichlich fantastischen Namen der Schriftmuster sind bei Pez, Thesaurus anec-dotarum nov. I (1721), S. XXXIV f., und

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danach bei Du Cange angegeben; die Ver-fasser des Nouveau Traité (II, 129) halten sie größtenteils für Erfindungen Wagners. Die Proba wird von Wattenbach, Schriftwesen (3. Aufl. 1896, S. 451) erwähnt; das Buch scheint aber damals unauffindbar gewesen zu sein. Seine Behandlung begann erst wieder 1932, als Carl Wehmer Die Namen der gotischen Buchschriften (Phil. Diss. Berlin 1932, S. 27, 29; Zentralbl. f. Buchwesen 49, Heft 1–5) veröffent-lichte; doch scheint Wehmer die Proba nicht selbst gesehen zu haben, immerhin gibt er in einer Entgegnung auf Consentius (Zur Beurteilung des Methodenstreits in der Inkunabel-kunde [Gutenberg-Jb. 1933]) eine Zinkätzung von Wagners Rotunda und damit die erste Abbildung aus der Proba. Wehmers erschöp-fende Abhandlung über Augsburger Schreiber aus der Frühzeit des Buchdrucks (Beiträge zur Inkunabelkunde, NF. 7., 1935, 8.78 ff.) bringt sechs Faksimiles in Autotypie; ferner eine Autotypie aus einem Graduale, das Wagner geschrieben hat und das sein Bildnis enthält. Die Proba sollte wahrscheinlich Kaiser Maxi-milian überreicht werden, dessen Bücherlieb-haberei bekannt war. Die hier Abb. 11 wie-dergegebene Probe trägt den Fantasienamen »Clipalicana maior«, aber die kleinere Form desselben Alphabets auf Fol. 3 (d. h. 5) wird »Imperatoricalis« genannt. Beide ähneln sehr der Type des Liber horarum ad usum Maximi-liani Imperatoris (Augsburg 1513; vgl. Abb. 12). Beinahe gleichzeitig mit Wehmers Arbeit, aber unabhängig davon, erschien Konrad F. Bauer: Leonhard Wagner, der Schöpfer der Fraktur (1936), mit drei Autotypien aus der Proba und Wiedergaben der Typen des Liber Horarum und des Teuerdank. Nach Kenntnis-nahme von Wehwers Aufsatz bestritt K. F. Bauer (Noch einmal: Leonhard Wagner [Zs. f Bücherfreunde, 3. Folge, B. 5, 1936]) dessen Ansetzung des frühesten Teils der Proba auf

1517 und datierte sie, wenigstens teilweise, auf 1507. Wehmer erwiderte Beiträge zur Inku-nabelkunde, März 1938: S. 153 ff.), daß Bau-er zu bestimmt Wagner den »Schöpfer« der Fraktur genannt habe, und wiederholt seine Behauptung, daß die »Clipalicana« der Type des Liber horarum nachgebildet sei, die schon 1512 vor Vollendung der Proba geschnitten ist. Bauer hat seinen Standpunkt noch einmal im Jahrbuch Imprimatur, Bd. 8, 1938, S. 160 ff, dargelegt. Die Tatsache bleibt bestehen, daß Schönspergers Type eine Schriftnachahmung ist und daß Fraktur überhaupt niemals etwas anderes war. Folgende Probae oder Schrift-muster sind nach meiner Kenntnis wäh-rend der Übergangszeit von Schreibmeistern angefertigt und benutzt worden :1. Anonym. Fragmente (Würzburg, Uni-

versitätsbibliothek). Nicht benannte Bei-spiele von Zierschriften: textura sine pedi-bus; nottula, Schmuckstücke, Zierleisten, usw. Beschrieben und abgebildet bei Bet-ty Kurth, Fragmente aus einem gotischen Schriftmusterbuch ( Jb. d. Kunsthist. Inst. d. k. k. Zentralkomm, f. Denkmalspflege, 1915). Erste Hälfte 15. Jh.

2. Anonym. Fragmente (Preuß. Staatsbibl.). Benannte Beispiele von Zierschriften: tex-tura sine pedibus, nottula, acuta, conclava-ta, separata und fractura. Weder beschrie-ben noch veröffentlicht; ich verdanke ihre Kenntnis der Freundlichkeit von Herrn Dr. Carl Wehmer. Erste Hälfte 15. Jh.

3. Anonym. Musterbuch eines Geistlichen der Diözese Nantes (Paris, Bibl. Nat. MS. Lat. 8685). Einleitend heißt es: »Sunt vero modo scripture tales: litera simplex et currens, litera serata seu conclavata, lite-ra rotunda, litera seu textus fractus, lite-ra seu textus semi-fractus, et litera bastar-da.« Beschrieben von Delisle, Rev. bist, et archéol. Du Maine 45, 1898, p. 1. Um 1460.

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4. Johann van Hagen aus Bodenwerder: Voll-ständiges Heft (Preuß. Staatsbibl.), mit vier benannten Abarten von Zierschrift (qua-dratus, presciscus vel sine pedibus, semi-quadratus, rotundus), fünf Abarten von nottula (simplex, acuta, fracturarum, concla-vata, separata), zwei Abarten von argentum, einer bastarda. Abgebildet und beschrieben von A. Hessel, Neue Forschungsprobleme der Paläograpbie (Arch. f. Urkundenforschung IX, 1926, 161 ff.). Erste Hälfte 15. Jh.

5. Hermann Strepel aus Münster. Zwei Frag-mente eines Heftes (Sammlung Nijhoff, Haag). Beispiele von Zierschrift (genannt fracta, rotunda), nottula (genannt modus copistarum), bastarda (genannt brevitura). Abgebildet und beschrieben von B. Kruit-wagen, De Munstersche Schrijfmeester Her-man Strepel en de Schriftsoorten van de Broeders van het Gemeene Leven (Het Boek XXII, 1935, Heft 3 und 4). Datiert 1447 (»Per me Her-mannum Strepel sub anno domini MCCC-CXLVIJ0 scriptum«).

6. Modus scribendi artificialis notularum, offenbar geschrieben von oder für Martin Senging, Prior der Benediktinerabtei Melk (1433–81). Beschrieben wird das Schreiben verschiedener kursiver Buchschriften, die folgendermaßen benannt sind: notula curi-ensis, notula liberalis, notula antiqua, notu-la ytalica. Um 1470. Als Privatdruck der Monotype-Gesellschaft, Berlin 1939, her-ausgegeben von Dr. Bernhard Bischoff.

Eine praktische Einführung in die deut-schen gotischen Schriftarten vom 15. Jahr-hundert bis zur Gegenwart bietet Kurt Sei-bert, Meisterbuch deutscher Schrift (1935), mit 65 Lichtdrucktafeln und einem Lehrgang für das Schreiben von Text und Fraktur. Vgl. fer-ner [St. Morison,] Black-Letter, its Origins and Use (The Monotype Recorder XXXVI, 1937, Heft 1) und H. Degering, Die gotische Schrift

in deutschsprachigen Handschrifien (Die zeitgemä-ße Schrift XL, 1937, Heft 1). Die beste englische Darstellung der Frak-tur im Druck ist A. F. Johnson, Type Designs (1934), mit Beispielen auf S. 37–47, und des-selben Verfassers The Classification of Gotbic Types (Trans. Bibliograph. Soc. 1929.

3. De Rossi, L’inscription d’Hadrien I compo-sée et gravée en France par ordre de Charlema-gne (Mélanges d’archéologie et d’histoire VIII, 1888,478 ff.). Vgl. auch Cabrol et Leclercq, Dictionnaire d’archéologie chrétienne (1925), unter »Hadrien Ier (épitaphe de)«, Bd. VI, 1964 f., mit Abbildung, Umschrift, Beschreibung und Bibliographie. Der Stein ist beschrieben von E. K. Rand (Studies in the Script of Tours: 1. A Survey of the MSS. of Tours [Cambridge, Mass., 19 2 9], Textband I, S. 41 ff.): »Was auch Geo-logen über die Natur des Steines sagen mögen, es ist klar, daß der Mann, der die Inschrift herstellen ließ, mit Bewußtsein den Stil der besten antiken Inschriften wiederzubeleben suchte, und daß dieser Mann aller Wahr-scheinlichkeit nach der Verfasser der Verse war, nämlich Alchvin selbst.« Für den Ein-fluß karolingischer Epigraphik auf Mailand vergleiche den Abschnitt Schriftwesen bei P. Toesca, Storia dell’arte italiana: I. Il Medioevo (1927), wo ein Stein zur Erinnerung an Ludwig II. († 875) in S. Ambrogio abgebildet ist. Über noch vorhandene karolingische Inschriften in Tours siehe Casimir Cheva-lier, Les Fouilles de St. Martin de Tours (1888).

4. Über Humanistenhände der Übergangs-zeit vgl. A. Hessel, Die Entstehung der Renais-sanceschriften (Arch. f. Urkundenforschung XIII, 1935, 1 ff.) und St. Morison, Die lateinische Schrift seit der Renaissance, mit Abbildungen

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und Bibliographie, in H. Blanckertz, Die Scbrift und ihre Werkzeuge (1938). Über Lautizio Perugino vgl. G. Sparkes, Numismatic Chronicle 1854, S. 189, der ihm eine in Stein geschnittene Medaille zuweist; Dru-ry Fortnum, Bronzes of European Origin in the South Kensington Museum (1875), Nr. 7799–7800; derselbe, The Seal of Cardinal Andrea de Valle (Archaeologia 1886, S. 118 ff.). Über Ludovico degli Arrighi di Vicenza (Ludovicus Henricus Vicentinus) vgl. mori-son, Lateinische Schrift. Unsere Abb. 11 (siehe oben S. 11) stammt aus dem Missale Roma-num, in Saffian gebunden, mit dem Wappen des Kardinals Giulio de’ Medici, des späte-ren Papstes Klemens VII. Es ist mit 13 gro-ßen und 19 kleinen Miniaturen geschmückt, die Marco Attavanti mit Hilfe von Mar-co Antonio und Tadeo Miniator gemalt hat. Dazu kommen 28 ganzseitige Leisten, 38 mit zierlichen Bildern ausgemalte Initialen, 550 Schmuckinitialen und 2250 goldene und farbige Initialen (Kupferstichkabinett Berlin, 78 D 17). F. Lippmann, The Art of Wood Engra-ving in Italy (durchgesehene englische Ausga-be, 1888, S. 65) erwähnt das Missale nur eben und behauptet, es sei ganz in rundgotischer Schrift geschrieben, während tatsächlich nur die Einsetzungsworte im Canon in Rotunda geschrieben sind. Für Buchstabenformen auf Inschriften und sonstwo, die gegen Ende des Mittelal-ters von Künstlern und Handwerkern in Ita-lien verwandt wurden, vgl. zitiertes Buch von Toesca. Für römische Inschriften im frühhumani-stischen Stil vgl. Diehl, Jnscriptiones Latinae (1921), wo das Grabmal des Kardinals Ant. Chiavez in St. Johann im Lateran (von Fila-rete, † 1447) und das des Papstes Nikolaus V. († 1455) in St. Peter abgebildet sind (S. 50). Für den echt klassischen Späthumanistenstil vgl.

Lawrence Weaver, Monuments and Memo-rials (1921); hier das Grabmal Papst Pauls II. († 1472) in der Peterskrypta (Abb. 185). Von humanistischen Inschriften in Flo-renz bildet Weaver die folgenden ab: Benoz-zo Federighis († 1455) Grabmal in S. Trinità von Luca della Robbia (Abb. 190), die 1466 datierte Medici-Tafel in der Abtei Fiesole von Brunelleschi (Abb. 189), und Carlo Marsup-pinos Grabmal in S. Croce von Desiderio da Settignano, mit dem Datum 1456 (Abb. 168). Für die theoretische Entwicklung der neu-klassischen Inschriftbuchstaben im 15. Jahr-hundert vgl. den Text von Felice Felicianos Werk bei R. Schoene, Ephemeris Epigraphi-ca (1873), S. 255 ff.; V. Scholderer, A Note on Felix Antiquarius (Gutenberg-Jb. 1933); British Museum Catalogue of Incunabula V, S. VII und 1073, und unter »Pojano« (Felicianos Lauf-bahn als Drucker), Taf. 98 (seine lateinische Type mit inschriftmäßigen Kapitalien aus seinem Petrarca von 1476); St. Morison, Fra Luca de Pacioli of Borgo S. Sepolcro (Grolier Club, New York 1933); Ernst Crous, Dürer und die Schrift (1933), besonders nützlich wegen der Bibliographie.

5. Über die erfolgreiche Durchsetzung der lateinischen Typen des Aldus von 1495 und 1499 vgl. St. Morison, The Type of the Hypne-rotomachia (Gutenberg-Jb. 1925); P. Beaujou, The Garamond Types (The Fleuron 1926, 131 ff.); St. Morisons Einleitung zu W. T. Berry and A. F. Johnson, Specimens of Printing Types. English and Scottish (1935).

6. Der Bericht des Ausschusses ( Jaugeon, Bignon, Desbillettes, Truchet) ist von Jau-geon verfaßt. Vgl. seine Description et Perfection des arts et métiers (Bibl. Nat., Fonds Français, No. 9157–8) und Caractères d’écriture de tou-tes les nations depuis le commencement du mon-

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de, avec la police des lettres et leur valeur (ebenda, No. 1961–3). Die Briefe Anissons an Mabil-lon befinden sich unter MSS. Français No. 19650. Der Stempelschneider Grand-jean war imstande, die verwickelten geome-trischen Vorlagen beizubehalten, obwohl er in dem notwendigerweise kleinen Maßstab arbeitete, den die Typographie verlangt; vgl. D. B. Updike, Printing Types (2. Aufl. 1937), I, 241 ff.

7. Über die viktorianische »Neubelebung des Drucks«, d. h. die romantische Entdek-kung seiner kunstgewerblichen Vorzüge durch Künstler, vgl. updike, Printing Types (1937), II, 197 ff. Der gewaltige Einfluß von William Mor-ris begann mit seiner Ausgabe von The House of the Wolfings (1889). Das Meisterstück der Kelmscott Press, die Chaucer-Ausgabe, war fünf Monate vor Morris’ Tod im Oktober 1896 fertig. Seine Lehren üben immer noch wohltätigen Einfluß auf das Druckgewerbe aus. Obgleich Morris’ Gedanken ihren voll-sten Ausdruck in den Büchern der Kelms-cott Press gefunden haben, war sein Einfluß nicht auf unkaufmännische Luxusdrucke beschränkt. Man kann auch nicht sagen, daß er maschinenmäßig hergestellten Büchern ganz und gar ablehnend gegenüberstand. Sein Vortrag The Ideal Book (Bibliographical Soci-ety, 19. Juni 1893) sagt deutlich, daß maschi-nenmäßig hergestelltes Papier grundsätz-lich befriedigend ist, wenn es nicht vorgibt, handgeschöpft zu sein, und daß ein maschi-nenmäßig hergestelltes Buch ein Kunstwerk sein kann, wenn die Type richtig gezeichnet ist und dem Satzbild gebührende Aufmerk-samkeit gewidmet wird. Morris wandte sich »entschieden gegen großes Papierfor-mat«, obgleich er bekannte: »Ich habe in die-ser Beziehung selbst viel gesündigt«; das war

jedoch »in den Tagen meiner Unwissenheit, und ich erbitte Verzeihung dafür.« Unleug-bar hätte der bemerkenswerte Aufschwung, der sich in den letzten fünfundzwanzig Jah-ren im englischen, deutschen und amerika-nischen Druckgewerbe gezeigt hat, nicht erfolgen können ohne das aufsehenerregende Erscheinen von Büchern wie dem Kelmscott-Chaucer oder dem Ashendene-Dante, die bei-de ohne Rücksicht auf kaufmännische Erwä-gungen entworfen waren. Die gleichlaufende Reaktion in Frankreich gegen die Mechani-sierung des Druckwesens und den Ersatz von Holzschnitten durch Photographien kann in den Büchern von Edouard Pelletan ver-folgt werden (Le Livre, 1896; Première lettre aux bibliophiles, 1896; Deuxième lettre aux bibliophiles, 1896). Eine wertvolle Darstellung und Biblio-graphie der französischen Illustration vom Mittelalter bis zur Gegenwart geben Calot, Michon et Angoulvent, L’art au livre en France (1931). Für die Nachkriegsbewegung der »Neuen Typographie«, d. h. die romantische Entdek-kung ihrer technischen Vorzüge durch Intel-lektuelle, vgl. Jan Tschichold, Elementare Typographie (1925), Eine Stunde Druckgestaltung (1931), Typographische Gestaltung (1935). E. Lissitzky, Unser Buch? (V. S. S. R.) im Gutenberg-Jb. 1927, führt den Ursprung der »neuen« Typographie auf Blast (London 1916) zurück: »… groß und elementar, fast nur in durchgehender Blockschrift gesetzt, die heute das Merkmal aller modernen internatio-nalen Drucksachen geworden ist. In Deutsch-land ist der Prospekt zu der kleinen Gross-Mappe »Neue Jugend« (1917) ein wichtiges Dokument der neuen Typographie« (S. 174). Lissitzky behauptet, daß Rußland den haarstrichlosen Stil seit 1908 gebraucht habe, zeigt aber kein Beispiel vor 1922. Vgl. ferner K. F. Bauer, Das Neue (Klimschs Jahrbuch, 1931)

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über Futurismus, Dadaismus, Konstruktivis-mus, Elementarismus usw. im Druckwesen.8. Für die Anfertigung von Typen und die Geschichte der Setzmaschine vgl. L. A. Legros and J. C. Grant, Typographical Prin-ting Surfaces (1916). Für die Herstellung von Druckpressen und -maschinen seit König vgl. The Times, Printing Number (1912), S. 126 ff. Für Lithogravüre und Druck von pho-tographischen Platten (einfarbig und bunt,

Flachdruck und Rotationsdruck) s. ebenda S. 149 ff., 171 ff. und D. Cameron Swan, Pio-neers of Photogravure (The Imprint, Juni 1913). Für die gegenwärtige Lage im Illustrati-onswesen siehe Printing in the Twentieth Cen-tury (Sonderabdruck aus The Times, 1930), Abschnitt IV–VIII; William Gamble, Die Reproduktionstechnik in Vergangenheit, Gegen-wart und Zukunft (Klimschs Jahrbuch, 1932).

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ABBILDUNGEN

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Abbildung 1: Gedächtnistafel für Papst Hadrian I. († 795) veranlaßt von Karl dem Großen angeblich von Alchvin verfaßt (nach De Rossi Mélanges)

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Abbildung 2. Sandstein-Inschrift von 1456; Erfurt, Predigerkirche

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Unten: Abbildung 3. Bronze-Inschrift von 1481; Marburg, Elisabethkirche

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Abbildung 4 und 5. Messing-Inschriften vom Grabmal Richards II. (1398), Westminster Abbey (aus der Abklatsch-Sammlung im Victoria- und Albert-Museum)

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Richard II. gab sein Grabmal 1395 in Auftrag. Die Marmorbildhauer Henry Yelverley und Stephen Lote hatten die Kupferschmiede Nicholas Broker und Godfrey Prest als Mitarbeiter, die wahrscheinlich die Inschriften verfertigt haben; vgl. Rymer, Foedera vu, 797 f

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Abbildung 6. Messing-Inschrift vom Grabmal Eduards III. (t 1377), Westminster Abbey (aus der Abklatsch-Sammlung im Victoria- und Albert-Museum)

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Abbildung 7. Urkunde aus der Kanzlei Kaiser Ludwigs des Baiern, datiert 1341. (Nach Sybel-Sickel, Kaiserurkunden in Abbildungen, ix, 21). Eine ähnlich ausgestattete Kopfleiste aus der-selben Kanzlei von November/Dezember 1337 bei Arndt-Tangl, Schrifttafeln 3, in 53, Tafel 94

Abbildung 8. Ausschnitt aus dem Titelblatt von Bartholomeus Anglicus, De Proprietatibus Rerum, gedruckt bei Wynkyn de Worde, Westminster 1495

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Abbildung 9. Kreuzigung, Schrotblatt, abgelöst aus einem Pergamentexemplar der 42 zeili-gen Bibel im Britischen Museum

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Abbildung 10. Aus dem Missale Romanum, gedruckt bei L. von Renchen, Köln 1483

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Abbildung 11. Aus der Proba Centum Scripturarum diversarum una manu exaratarum fratris Leon-hardi Wagner, angefangen 1507, vollendet vielleicht um 1510

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Abbildung 12. Aus dem Liber Horarum ad usum Maximiliani Imperatoris, gedruckt bei Schöns-perger, Augsburg 1513. Originalgröße

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Abbildung 13. Medaille des Sigismondo Malatesta von Pisani (Pisanello), datiert 1445. Originalgröße

Abbildung 14. Medaille des Papstes Pauls II. von Emiliano Orfini, datiert 1464. Originalgröße

Abbildung 15. Medaille des Apostolischen Schreibers Raphael Maffei (tätig 1466-1476) von Lysippus. Originalgröße

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Abbildung 16. Aus Felicis Feliciani Veronensis Opusculum, Cod. Vat. Lat. 6852, fol. Ir (um 1463). Die Außenseite des A ist im Original hellgrün, die Innenseite dunkelgrün. Original-größe

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Abbildungen 18 und 19. Aus Joh. Antonii Campani Orationes, datiert 1458. Originalgröße

Abbildung 17. Aus Q. Curtius Rufus‘ Historiae Alexandri, datiert 1419. Originalgröße

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Abbildung 20. Supplik an Papst Innozenz VIII. (1484–92)

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Abbildung 21. Ausschnitt aus dem Titel eines von Fr. Antonio del Cherico für Matthias Cor-vinus geschriebenen Psalters; nach 1476 und vor 1490. Originalgröße

Abbildung 22. Inschriftmäßige Kapitalien, geschnitten von Fr. Griffe für Aldus Manutius. Aus P. Bembo, De Âeina (Venedig 1495). Originalgröße

Abbildung 23. Ein anderer, von Aldus Manutius verwendeter Satz von inschriftmäßigen Kapitalien. Aus der Hypnerotomachia Poliphili (Venedig 1499). Originalgröße

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Abbildung 24. Colophon des Missale Romanum, 1520 von Ludovico Arrighi von Vicenza für Kardinal Giulio de’ Medici geschrieben. (Berlin, Kupferstichkabinett)

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Abbildung 25. Inschriftmäßige Kapitalien aus G. G. Trissino, Sopbonisha, gedruckt bei Ludo-vico Arrighi von Vicenza und Lautizio (dei Rotelli) von Perugia. Um ein Viertel vergrößert

Abbildung 26. Inschriftmäßige Kapitalien auf Bronzeguß des von Lautizio von Perugia für Kardinal Giulio de‘ Medici geschnittenen Siegels, um 1524. (Victoria- und Albert-Museum). Originalgröße

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Abbildung 27. Grundsätze für die Zeichnung von Kapitalien, empfohlen von dem Jaugeon-Ausschuß 1695, gestochen von L. Simonneau 1716

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Abbildung 28. Erster Stich Simonneaus von 1695 auf Grund der Beschlüsse des Jaugeon-Aus-schusses. Simonneau stach 1716 neue Platten (vgl. Abb. 27), mit mehr Einzelheiten und einem geänderten »g«. Die Kommission erfand den Ausdruck »Lettres courantes Droites« als Ersatz ür »Lettre romain«