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N°39_Japan_Regierungs-Wahlschlappe trübt Reformaussichten

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Bei den Wahlen zum Oberhaus erlitt die Demokratische Partei Japans eine Wahlschlappe. Die DPJ stellt zusam-men mit einer kleinen Partei die Mehrheit im Unterhaus und die derzeitige Regierung Japans. Die Hälfte der 242 Oberhaussitze stand zur Disposition. Gemäß dem amtlichen Endergebnis verlor die DPJ zehn Mandate. Sie büßte damit ihre Mehrheit im Oberhaus ein. Dagegen konnte die Hauptoppositionspartei, die Liberaldemokratische Partei (LDP), 13 Mandate hinzugewinnen. Die Oberhauswahl galt als Referendum über die Leistungsbilanz der DPJ in den ersten zehn Monaten seit den Unterhauswahlen im vergangen Jahr. Demnach bescheinigten die Wäh-ler der Regierung eine gewisse Unzufriedenheit mit ihren bisherigen Leistungen. Doch die politischen Legate aus mehr als fünf Dekaden nahezu ununterbrochener LDP-Herrschaft lassen sich nicht in so kurzer Zeit bewältigen.

 Japan:

Regierungs-Wahlschlappe trübt Reformaussichten

Bangkok, 21. Juli 2010

Bericht aus aktuellem Anlass

N° 39/10von Dr. Sebastian Braun

Aktuelle Informationen zur Projektarbeit der Stiftung für die Freiheit finden Sie unterwww.freiheit.org 

Die Anzahl von Oberhaussitzen der Koalitionspartnerinder DPJ, der Neuen Volkspartei (PNP), bleibt unverändert.Somit entfallen auf die Regierungskoalition insgesamt109 Oberhausmandate, 13 weniger als für eine absolute

Mehrheit (122) benötigt würden.

Partei Oberhaussitze 

LDP 84DPJ 106DPJ-PNP Koalition 109Alle Parteien 242

Die LDP war besonders erfolgreich in Einerwahlkreisen1.Dort konkurrieren in der Regel vornehmlich die großenParteien miteinander. Das gute Abschneiden der LDP

1 Wahlkreise, in denen genau ein Sitz vergeben wird. 

spiegelt somit unmittelbar das negative Ergebnis derDPJ wider. Doch der Eindruck einer vernichtenden Nie-derlage für die DPJ entspricht nicht den Tatsachen. Beiden nach dem Verhältniswahlrecht zu verteilenden

Oberhaussitzen konnte die Regierungspartei 32 Prozentder Stimmen auf sich vereinigen, die LDP dagegen nur24 Prozent. Zudem gewann die LDP ihre Sitze in vor-nehmlich bevölkerungsarmen Wahlkreisen, die wahl-technisch überproportional repräsentiert sind. In urba-nen, dicht besiedelten aber wahltechnisch unterreprä-sentierten Gebieten war die DPJ erfolgreicher.

Ein besonders gutes Ergebnis fuhr die neue Your Party(YP) ein. Sie vervielfachte ihren Anteil von einem Ober-haussitz auf insgesamt elf (im wichtigeren Unterhausverfügt sie nur über fünf von 480 Sitzen). Sieben derzehn neuen Mandate der Partei resultieren aus dem

  Verhältniswahlrecht. Als Sammelbecken enttäuschterLDP und DPJ-Unterstützer, zeichnete sich die YP vor

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allem durch ihre Kritik an beiden Großparteien aus. Diegerade mal elf Monate alte Partei steht für einen schlan-ken Staat, starkes Wirtschaftswachstum und die Beibe-haltung der sicherheitspolitischen Allianz mit den USA.Die Partei inszeniert sich als parlamentarisches Züngleinan der Waage und könnte in Zukunft mehr Zuspruch von

 jungen Japanern erfahren.

Die Leistungsbilanz der Regierung

Kaum zehn Monate ist es her, dass Japan einen histori-schen Regierungswechsel sah. Im August 2009 übernahmdie DPJ zusammen mit ihren damals zwei Koalitionspart-nerinnen – der PNP und der Sozialdemokratischen Partei(SDP) – die Regierungsverantwortung. Nahezu 60 Jahrehatte die Vorherrschaft der LDP gedauert, was für man-che Beobachter die Frage aufwarf, ob Japan denn wirklich

eine vollständige Demokratie sei. Zwar ähnelten die Riva-litäten zwischen Parteigruppierungen innerhalb der LDP(Faktionen) dem Antagonismus zwischen Regierung undOpposition. Doch die Fähigkeit des japanischen politi-schen Systems zum eigentlichen Regierungswechsel bliebunbewiesen. Nicht zuletzt deshalb war der fulminanteSieg der DPJ und ihrer Verbündeten zugleich ein histori-sches Ereignis.

Entsprechend groß waren auch die Erwartungen an dieneue Regierung. Die DPJ war mit den Wahlversprechenangetreten, die Macht der Bürokraten zu beschneidenund einen Kurswechsel in der Außenpolitik sowie einenKatalog sozialer Erleichterungen zu verwirklichen. DieWähler wünschten sich einen frischen politischen Windin der japanischen Politik. Es sollte Schluss sein mit denüblichen Mauscheleien wie Geld- und Spendenskandalen,die nicht selten dem „eisernen Dreieck“ zwischen Wirt-schaft, Ministerialbürokratie und Abgeordneten geschul-det waren.

Kritiker werfen der DPJ Wortbruch in puncto Außenpolitikund Parteifinanzen vor. Entgegen dem Wahlversprechenwurde den USA gestattet, ihren Militärflughafen in Fu-tenma auf der Insel Okinawa zu belassen. Diese umstrit-

tene Entscheidung hatte auch zum Austritt der SDP ausder Koalition geführt. In der Tat hatte die DPJ währenddes Wahlkampfes versprochen, die Futenma-Frage erneutaufs Tapet zu bringen. Doch der Spielraum in diesemPunkt war von Anfang an außerordentlich klein. Die LDP-Regierung hatte fast 13 Jahre mit den USA verhandelt,bis sich beide Seiten auf den Verbleib des Militärstütz-punktes auf der Insel Okinawa einigten. Lediglich die

 Verlegung desselben in weniger dicht besiedeltes Gebietwurde beschlossen. Die DPJ hätte also bereits geschlosse-ne Verträge für nichtig erklären und damit die gesamtesicherheitspolitische Allianz mit den USA in Frage stellenmüssen. Bei aller Unpopularität der US-amerikanischen

Militärpräsenz in Japan: Ein solch radikaler Schritt stößtauch beim Gros der japanischen Bevölkerung auf Unbe-

hagen. Denn die sicherheitspolitischen Herausforderun-gen durch die Volksrepublik China und Nordkorea sindnach wie vor nicht zu unterschätzen.

Kritiker der DPJ monierten auch, dass die Regierungs-partei die Beendigung der unsauberen Machenschaftenin der japanischen Politik nicht erreicht habe. DassPremierminister Naoto Kan erst einen Monat im Amtist, hat damit zu tun, dass sein Vorgänger und Partei-kollege Yukio Hatoyama nicht zuletzt wegen einesSpendenskandals zurücktreten musste. Viele Wählerhatten sich gerade wegen der Skandallastigkeit der

  japanischen Politik von der LDP abgewendet. Die DPJerkannte jedoch ihren Fehler und als Zeichen des Re-formwillens trat Hatoyama zugunsten von Kan zurück.Daraufhin stiegen die Umfragewerte der DPJ wieder.Allerdings stieß eine Andeutung Kans kurz vor den

Oberhauswahlen auf Kritik: Die Mehrwertsteuer solltevon derzeit im internationalen Vergleich niedrigen fünf Prozent auf zehn Prozent verdoppelt werden, so Kan.

Der DPJ-Politiker ist Ex-Finanzminister und möchte mitder Steuererhöhung die desolate Haushaltslage verbes-sern. Japan verfügt unter den Industrieländern über diehöchste Staatsverschuldung der Welt. Die LDP hattesich auch für die Anhebung der Umsatzsteuer ausge-sprochen, doch davon keinen politischen Schaden ge-nommen. Eine Meinungsumfrage der TageszeitungAsahi Shimbun an den Wahlurnen ergab denn auch,dass die Zahl der Befürworter einer Anhebung der

Mehrwertsteuer die Zahl der Gegner übertraf. Was denWähler an Kans Steuerplänen verunsicherte, war die

 Vagheit seiner Botschaft. Die Details, wie das dadurchin die Staatskassen gespülte Geld verwendet werdensoll, blieben unklar. Nach jahrzehntelangem behelfsmä-ßigem Lavieren der LDP-Regierung wünscht sich derWähler nun dem Anschein nach kristallklare Aussagen.Beobachter fordern schon lange, dass substanzielleReformen einer beherzten und zielgerichteten Verwirk-lichung bedürfen.

Ausblick

Die Niederlage bei den Oberhauswahlen hat die DPJihrer Mehrheit in der zweiten Parlamentskammer be-raubt. Damit steht ein nicht geringer Anteil aller legis-lativen Vorhaben unter dem Vorbehalt der Zustimmungdurch die Opposition. Zwar gibt es programmatischeSchnittflächen mit anderen Parteien, z.B. in Bezug auf die von der DPJ angestrebten Bürokratiereformen. Aller-dings haben sich bereits mehrere Parteien gegen eineZusammenarbeit mit der DPJ ausgesprochen, sehen siedoch in dem Ergebnis der Oberhauswahl vornehmlicheine Diskreditierung der Demokraten.

In der Tat bestehen viele fundamentale SchwächenJapans fort. Die Staatsverschuldung ist nach wie vorexorbitant hoch und die Binnenwirtschaft ungenügend

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liberalisiert. Die demographische Struktur der japanischenGesellschaft vergrößert den Druck auf die Sozialsysteme,das soziale Ungleichgewicht nimmt zu und die Nachhal-tigkeit des derzeitigen konjunkturellen Aufschwungs istungewiss. Substanzielle Reformen in Bezug auf das poli-tische System – Entbürokratisierung, Beseitigungintransparenter Strukturen in der Regierung – harrennoch ihrer vollständigen Umsetzung. Der DPJ die Schuldfür diese Missstände in die Schuhe zu schieben, wäre

  jedoch ungerecht. Die Partei ist gerade erst mal zehnMonate an der Regierung – eine verschwindend geringeZeit verglichen mit den fast 60 Jahren LDP-Herrschaft,während derer all diese Probleme entstanden. Zudem sindzahlreiche Abgeordnete der DPJ unerfahren und vorerstnoch auf den Sachverstand der Bürokraten angewiesen.

Eine Reihe von legislativen Initiativen zur Beseitigung der

Defizite Japans könnte der Blockade durch die Oppositionzum Opfer fallen. Das Oberhaus hat bis auf die Ratifizie-rung von völkerrechtlichen Verträgen und der Verab-schiedung des Haushaltes, wo es innerhalb einer Frist von30 Tagen zustimmen muss, ein Vetorecht. Eine derartigeBlockadehaltung kann mit einer Zweidrittelmehrheit imUnterhaus überstimmt werden, doch diese fehlt der DPJ.Ungemach droht Naoto Kan auch von Seiten seiner eige-nen Partei: Im September wird die Parteispitze neu ge-wählt. Er könnte dabei seinen Posten als Präsident derPartei verlieren und in der Folge sein Premierministeramtabgeben müssen.

Die DPJ sieht sich nach der Wahl denselben Herausforde-rung gegenüber wie die Regierung von PremierministerAbe im Jahre 2007: Entweder Kompromissbereitschaftgegenüber der Oppositionspartei LDP zeigen oder sich imOberhaus der Möglichkeiten der Geschäftsordnung be-dienen. Wohin dies führen kann, hat ihnen die Abe-Regierung vorgemacht. Die Aussichten auf eine energi-sche Umsetzung dringend notwendiger Reformen habensich somit deutlich eingetrübt.

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