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SETIIMANE DI STUDIO DEL CENTRO IT ALIANO DI STUDI SULL' ALTO MEDIOEVO XXVII NASCITA DELL'EUHOPA ED EUROPA CAROLINGIA: UN'EQUAZIONE DA VEllIFICAHE 19-25 aprile 1979 TOMO PRIMO IN BPOLETO PRESSO LA SEDE DEL CENTRO 1981

NASCITA DELL'EUHOPA ED EUROPA CAROLINGIA: … · (2) In diesem Sinne it0i bereits Tacitua, Germania, Cap, 6 zu verstehen, wo &llerdinga als He.uptwaffe noch nicht das Schwert, sondern

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SETIIMANE DI STUDIO

DEL CENTRO IT ALIANO DI STUDI SULL' ALTO MEDIOEVO

XXVII

NASCITA DELL'EUHOPA ED EUROPA CAROLINGIA: UN'EQUAZIONE DA VEllIFICAHE

19-25 aprile 1979

TOMO PRIMO

IN BPOLETO PRESSO LA SEDE DEL CENTRO

1981

JOSEF FLECKENSTEIN

ADEL. UND KRIEGERTUM UND IHRE

WANDLUNG IM KAROLINGERREICH

Mein Thema verbindet Adel und Kriegertum und sucht ihre frühmittelalterliche Ausformung im Rahmen der politisch-institutionellen Wandlungen im Karolingerreich zu erfassen. Diese Verbindung ist nicht als feste Kombi­ nation und schon gar nicht als Identität zu verstehen, sondern als eine dem Wandel unterworfene Relation, die es genauer zu bestimmen gilt 1, wobei wir zunächst unterstellen, dass ihre Veränderung in irgendeiner Form mit den grossen politisch-institutionellen Wandlungen im Karolingerreich zusammenhängt. Ich verstehe Adel und Kriegertum dabei zunächst in ihrer allgemeinsten Bedeu­ tung, das heisst: Adel als sozial gehobene, Herrschaft ausübende oder an der Herrschaft beteiligte Führungs­ schicht; Kriegertum als kriegerische Lebensform und zugleich als Gesamtheit derer, die diese Lebensform ver-

(1) 'Ober den Adligen als Krieger: W. STÖRMER, Früher Adel (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 6, l, 1973) S. 157 ff. - In unserem Zuse.mmen­ hang ist wesentlich, dass sich de.s Kriegertum nie nur e.uf den Adel beschränkt. Zum Kriegertum e.!lgemein: H. DELBRtrcK, Geschichte der Kriegskunst im Rah­ men der politischen Geschichte 2 (' 1921) und 3 (' 1923); Sm CHARLES OMAN, A History of the Art of War in the Middle Ages l (' 1924); E. VON FRAUENHOLZ, Das H eerwesen der germanischen Frühzeit, des Frankenreichea und des ritterli­ chen Zeitalters l (1935); H. CONRAD, Geschichte der deutschen Wehrverfassung l (I 939); F. Lor, L'art militaire et lea armeea au moyen age en. Europe et dans le Proche-Orient l (1946); J. BEELER, Warfare in Feudal Europe 730-1200 (1971} u. J. F. VERBRUGGEN,The Art of Warfare in Western Europe during the Middle AgeB (Europe in the Middle Ages 1, 1977).

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bindet oder auch: als Gesamtheit der speziell für den Krieg gerüsteten waffentragenden Bevölkerung.

Geht man von dieser allgemeinen Umschreibung aus, so wird man sagen dürfen, dass Adel und Kriegertum seit der Frühzeit miteinander verbunden sind: der Adlige trug schon immer sein Schwert. Beide - Adel und Krie­ gertum - decken sich aber nicht: das Kriegertum griff immer über den Adel hinaus: Schon nach den frühesten Zeugnissen zeichnete das Schwert nicht nur den Adligen, sondern auch den Freien aus 2, und wie jener pochte er darauf, seine Habe und sein Recht selbst zu verteidigen. In einer Zeit ständiger Bedrohung waren die einen wie die anderen in der Tat stets .auf ihre Waffen angewiesen; sie waren ihnen so wichtig, dass man sie ihnen nach ihrem zumeist kampferfüllten Leben in gleicher Weise mit ins Grab gab 3• Ein Unterschied lag lediglich darin, dass die Waffen der Adligen gewöhnlich reicher und kostbarer waren als die der Freien. Offensichtlich gehörte aber bei beiden das Kriegertum wesentlich zu ihrer Existenz wie zu ihrem Selbstverständnis. Wir pflegen deshalb für die Frühzeit mit guten Gründen ebenso von adligen wie von Bauernkriegern zu sprechen. Das aber bedeutet, dass die Krieger zunächst unterschiedlichen Schichten angehör-

(2) In diesem Sinne it0i bereits Tacitua, Germania, Cap, 6 zu verstehen, wo &llerdinga als He.uptwaffe noch nicht das Schwert, sondern die Jramea, d.h. die kurze Lenze, genannt wird. In der Folgezeit setzt sich dae bes. kostbare Schwert dann mehr und mohr durch. Vgl. dßZu den vorzüglichen Überblick in dem Artikel• Bew&ffnung I in: Rwllezikon der Germaniachffl Altertumakunde, begr. v. J. Hoors, 2. Aufl. hgg. v. H. Bacx, H. JA.N1tUHN, K. R.u<JC 11: u. R, WENSKU8 2 (1976), Sp. 361 ff.

(3) Zum Problom der Grabbeigabem J. WERNF.R, Bewaffnung 11nd Waffen­ beigabe in der Merowinger-zeit (Settime.ne di studio de! Centro itf\liano di studi aull'alio medioevo IG (1968) S. 90 ff, zulotzt H. STEUER, FrühgucJ&ichtlicha Sozialatrukt11ren in Mitttlw.ropa. Zur Analyaa der Atu10erlung.muthoden d~• archäologü,chen Qudlenmoterial• in: Guchichtawia aenachaft und Archäologie, hg. von H. JAN11tUllN u. R. WENSR:US, (VortrAgo und Forsohungen hg. v. Konstanzer Arbeitskreis Dd. 22, 1979) S. 595 ff.

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ten und dass in der Frühzeit jedenfalls noch nicht von einem Kriegerstand gesprochen werden kann.

Hier sind nun in der Folgezeit bedeutende Wandlun­ gen eingetreten, <lie ebenso den Adel wie das Kriegertum betreffen, bei letzterem aber besonders deutlich erkenn­ bar werden: Nach der Jahrtausendwende kann nicht mehr zweifelhaft sein, dass die militia sich - ganz anders als in der Frühzeit - als eine eigene Schicht formiert, der nach der Auffassung der Zeit standesspezifische Qualität zu­ kommt. Der wesentliche Umschlag dazu fällt in die Karo­ lingerzeit. Er hat sich in allen karolingischen Nachfolge­ staaten, also praktisch in ganz Europa, ausgewirkt.

\Venn wir also auf dieser Sett.imana nach dem karolin­ gischen Europa fragen, um zu prüfen, was denn die Karo­ lingerzeit zur Bildung Europas beigetragen hat, so haben wir guten Grund, uns in diesem Zusammenhang unter anderem auch mit Adel und Kriegertum zu beschäftigen, denen die Karolinger eine neue, zukunftsträchtige Bahn eröffnet haben. Diese neue Bahn ist wesentlich durch das Aufkommen und die Weiterbildung der Vasallität und allgemein: der Feudalität, des Lehnswesens, bestim~t '· Beim Adel spielten ausserdem auch die königlichen Äm­ ter eine Rolle, die aber ebenfalls vom Lehnswesen erfasst worden sind. ,vir werden also im folgenden in erster Linie auf das Wechselverhältnis von Adel und Kriegertum mit dem Königtum und mit dem Lehnswesen zu achten haben; in zweiter Linie kommt die Relation zu Freien und Bauern hinzu. Um die Entwicklung besser zu überblicken, führen wir unsere Beobachtungen etwa um ein Jahrhundert über die Karolingerzeit hinaus.

(4) Dazu grundll'jl;end: H. :'.\[rrrF.1s. Lehmrecht und Staal4gewalt (1933) u. :\I. BLOCH, La aociul /b,d,J.le 2 Bdo. (1939/40); weiterfuhrend: F. L. GANSBOP,

Qu'ul-ce qm la Jlodalitl, t (1 1957), deutsche A11Ag.: Wiu ..,, daa LehMWuen t (' 1976), u. R. l-!OUTRUCBE, Seigneuri• ,tfiodaliti, 2 Bde. (1959/70).

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Ich setze zunächst beim Adel 6 ein und schicke im Hinblick auf den gegenwärtigen Forschungsstand noch eine kurze Vorbemerkung voraus. Wer die intensive Diskus­ sion der letzten Jahrzehnte verfolgt hat, weiss, wie sehr sich das Bild des Adels in dieser Zeit verändert, erweitert und differenziert hat. Dabei sind wichtige neue Erkennt­ nisse gewonnen worden, die insbesondere die Struktur des Adels betreffen. Ganz abgesehen davon, dass an seiner Existenz in der Karolingcrzeit nicht mehr gezweifelt werden kann, darf als gesichert gelten, dass der Frühmittel­ alterliche Adel bis nach der Jahrtausendwende in hohem Masse durch die kognatischen Beziehungen geprägt war; das heisst: dass er in sich zunächst viel weniger fest gefügt war als zuvor angenommen und als es später bekanntlich auch der Fall war 8• Er war dementsprechend auch noch nicht abgeschlossen, sondern hat sich erst allmählich in zunehmendem Masse verfestigt. Gesichert ist ebenfalls, · dass der Adel schon damals in Bezug auf Besitz, Macht und Vornehmheit bedeutende Unterschiede aufwies, so

(Ii) Au• d .. r riesigen Literatur seien hier vorgreifend nur die in diosorn Zussmmenlurng wichtig~ten Werke genannt: einen hervorragenden Überblick geben H. Kum, und R. WKNSKUS in dem Artikel• Adel s in: Rwllexikon der Gtrmani.,chen Altertumskunde (wie Anm, 2) Bd. I (1973) S. 58 ff, ferner: P. GuILHJERKOZ, l!.'ssai aur l'<>rigine de la nobluse en France au Mayen Age (1902); A. SCHULTE, Der Adel und die dwuche K irrht (' 1922); 0. VON DUNOERS, Adelahtrraclaaft im Mittelalter (1927); G. TELLENBACH, Vom karolingiachm Rtichsadel zum dtutachm Rtichsfü••unatand in: Adel und Dau...,. im dtuuc~ Staat du Mitttlalttra, bg. v. TH. MAYER (19,63); K. SCHMID, Zur Problematik ~·on Familie, Sippe und Cuchl,,:ht in r e z •. f. ON1ob, d. Oberrheins e 105 (1957), S. I ff. und DERS., Ober die Struktur du Adela im jrl.lMn l\fitltlalttr in: • Jb. f. frink. Landeegeach, • 19 (1959), I ff.; K. HAUCK, Die (Jtschichtliche Bedtutung der gtrmaniachen Aujfa3sung von Königtum und Adel in: Extrsit dos Rapports du XI8 Congrea Intemstionsl dee Sciences Hiatoriques (Stockholm 1960) l:l, 60 ff.; L. Cr.Nicor, • La nobluae au moyen <1ge dona l'ancienne •Francie•, An. nalu 17 (1902), I ff.; G. Duey, La nobusße dans la France mM.itvale in: DERS .• Hommu et atruci14ru du moym age (1973), S. 1411 ff.; W. STORMER, Früher Adel (Mouographion zur Gosch, des Mittelalters 6, I u. 2, 1973); R. WE'.'</IKU~, Sächsi3cher Stammtsadel undJränkischtr Reichaad el (Abhancll. d. Akad. d. Wies. in Göttingen, Phil-hist. Kl. 3. Folge Nr. 93, 1976).

(ß) Vgl. dazu inebea, die in Anm. II genannten Arbeiten von K, Scm,110.

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dass man innerhalb des Adels zwischen höheren und nie­ deren Schichten unterscheiden kann 7• So hat sich für die höchste Schicht im Karolingerreich seit den Forschungen Gerd Tellenbachs der Begriff des Reichsadels durchge­ setzt, der uns noch kurz beschäftigen wird. Der Reichs­ adel 8 erhebt sich über den Stammesadel, der von Stamm zu Stamm wie auch in sich selbst die grösste Mannigfal­ tigkeit aufweist, ohne allerdings klar von jenem geschieden zu sein. Auch hier hat die Forschung charakteristische Züge klären können.

Diesen weithin anerkannten und, wie ich glaube, gesi­ cherten Einsichten stehen jedoch auch gewichtige Pro­ bleme gegenüber: Fragen, die in der gegenwärtigen For­ schung zum Teil umstritten, zum Teil verdrängt, aber auch neu gestellt sind. Dazu gehört vor allem die Frage nach der Rechtsstellung des Adels, nach seinem Verhält­ nis zur Freiheit und damit zum vieldiskutierten Stand der liberi, ingenui oder Franci. Da die liberi homines in den karolingischen Quellen ebenso wie die mobiles als Krieger bezeugt sind, in den Kapitularien sogar als die eigentli­ chen Träger des kriegerischen Aufgebots erscheinen, geht diese Frage uns hier unmittelbar an, und es wird zweck­ mässig sein, als Ausgangspunkt für unsere eigenen Über­ legungen mit wenigen Stichworten an die wechselvolle Vorgeschichte der Forschung zum Problem der liberi zu erinnern. Sie führt uns nur scheinbar von der Adelspro­ blematik ab. Liberi sind die in der klassischen Lehre berühmten « Gemeinfreien », an deren Stelle seit einem Menschenalter mehr und mehr die << Königsfreien >> 9, ge-

;

(7) Vorzüglicher Überblick: L. GENICOT, Lea recherchea relatives a la nobluss medievale in: • Bulletin de I'Acadömie Royale de Belgique s, Olasae de lettres, 58 eerie (1975), s. 45 ff.

(8) S. unten S. 7 4 ff. (9) Grund.legend die Arbeiten von TH. MAYER, Königtum und Gemeinfrei­

heit im frühen JI.Iittelaltw, • Deutsches Archiv f. Gesch. d. Mittelalters t 6 (l943i

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treten sind: das heisst Freie, die auf Königsland angesie­ del t, in unmittelbarer Abhängigkeit vom König standen, ihm dementsprechend bestimmte Abgaben schuldeten und vor allem zum Kriegsdienst verpflichtet waren. Seit Theo­ dor Mayer ihre Existenz an einzelnen Beispielen aufge­ zeigt hat, gewannen sic bald immer mehr an Gewicht, bis schliesslich alle Freien auf dem Wege schlichter Verallge­ meinerung zu Königsfreien wurden. Unter diesen Umstän­ den konnte es nicht ausbleiben, dass gegen die Gültigkeit der neuen Lehre von verschiedenen Seiten Bedenken vorgebracht wurden - und nicht nur Bedenken: Inzwi­ schen ist auch der Nachweis erbracht, dass es auch - und keineswegs nur vereinzelt - Freie gab, die freies Eigen besassen, mit Sicherheit also keine Königsfreien gewesen sind 10• Sie treten uns in den Volksrechten wie in den Kapitularien entgegen und sind auch urkundlich eindeutig nachweisbar.

Damit drängen sich erneut alte Beobachtungen über die liberi auf und fordern aufs Neue Beachtung. Sie gelten

S. 329 ff.; Bemerkungen über Nachträge zum Problem der freien Bauern, • z~. f. Württemberg. Landesgesch. •. 13 (1954) 8. 40 ff. u. Die König.,freitn und der Staat du frühen Jlfittelaltua in: • Vorträge und Forschuugon t B<l. 2 (1955) s. 7 ff.

(10) Gewichtigo G<'genargum!'nte zuerst von E. MüLLER-M>;NTEN>J, Karl der Grosse, Ludwig der Fromme und die Freien (Forsohungon zur rmt.telalterti­ chen G08ohichte Bd. 10, 1963). Da sie von marxistischer Seite kernen, fo11,h•n sie zunächst wenig Widerhall. Die sachliche Berechtignnl,! der Ein" ,rnc!~ be­ stätigt dann K. K.aosscHELL, Haus und Herrschaft im Jruhen deutschen. Recht (1968) S. 13 mit Anm. 7. Verstärkend und entscheidend: H. KR&t:8E, Iüe liberi der lex Baiuvariorum in: Futachrift für Maz Spindler :um 74.Geburt.stag, hg, v. D. ALBRECHT, A. K1t&U8, K. R>:INDEL (1965) S, 41 ff.; ähnlich auch: J. SCB:!i!IIT, Unter1tUChungm iu dm Liberi Homines der Kcwolinge.-:,eit (Europäi­ echo Hochschulschriften Reihe III, Bd. 83, 1977); dazu: II. K. SCHULZE, ll,icha­ ariBlokratü, Stammesadel und fränkuche FreiMit, • Hiatoriache Zeitschrift• 227 ( 1978) bes. S. 362 ff. und Ta. ZoTz, Adel, OberBchicht, Freie. Zur TermiMlo­ gie der Jrühmittelalterlichen Sotialgeachichte, • Zs. f. d. Gesch. d. Oberrheins t 125 (1977) bes. 8. 14 ff,; zuletzt: G. Könu;a, Die Freien (liberi, ingenui) im alemanni•chon Recht in: BAiträ.ge zum frübalemann.iachcn Recht, hi{. v. C. Scuo'lT {Veröffentl. d. AlcmanniA<-hAn Institut,, Freiburg i. Br. Nr. 42, 1978) s. 3& ff

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dem Begriff der Freiheit in den karolingischen Quellen und der Beziehung der liberi zu den nobiles. Es ist schon oft beobachtet worden, dass die Kapitularien Begriffe wie optimales, potentes, principes, maiores u.a. kennen und sie, wie zu erwarten, auf die vornehmsten Helfer des Königs, also auf Angehörige des Reichsadels beziehen, dass sie diese gleichwohl aber (besonders deutlich in den grossen Erlassen) mit unter den liberi aufzählen und sie mit ihnen zusammenfassen 11• Dem entspricht die berühm­ te, durch die Anfrage eines missus veranlasste Rechtsaus­ kunft Karls des Grossen: « quia non est amplius nisi liber et servus » 12 - eine Auskunft, die für uns aus doppeltem Grund wichtig ist, weil sie mit der Rechtsauffassung des Königs zugleich seine Standespolitik beleuchtet. Die Auf­ fassung ist unmissverständlich: es gibt rechtlich nur zwei Stände: Freie und Unfreie; das heisst: die ncbiles, deren Existenz vorzüglich bezeugt ist, gehören in den Augen des Königs im Unterschied zur Aussage der meisten Volks­ rechte zu dem umfassenden Stand der Freien. ,venn wir demgegenüber feststellen können, dass Karl den Adligen in seinem Dienst die besten Aufstiegschancen gab, und dass diese unter ihm auch die bedeutendsten Stellungen eingenommen haben 13, so wird deutlich, dass Karl die fortschreitende soziale Differenzierung rechtlich zu zügeln suchte, indem er im offenkundigen Interesse des König­ tums die Position der Freien stärkte. Seine Bemühung, den Adel an die Freien zu binden, korrespondierte dabei mit den ständigen, in zahlreichen Kapitularien eindrucks­ voll dokumentierten Anstrengungen, den wirtschaftli-

(11} So z.B. in der Diviaio regnorum wie auch in der Ordinatio imperii: MG. Capit. I, 126 ff. u. 270 ff.

(12) !lfG. Capit. I, 145 nr. 68 cap. 1. (13) Vgl. K. F. WERNER, Bwtruleflde Ade/.afamilitn im Reich Karla des

Grosatn in: Karl der Grose«, hg. v. W. BRAUNP'l'!J,S, Bd, I: Peraönlichkeil und Geschichü, hg. v. H. B>:UKANN (1965) S. 121 ff.

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chen und sozialen Abstieg der Freien zu verhindern 14• Man sieht also, wie sich sozusagen unter der Oberfläche dieser Bestimmungen soziale Verschiebungen und Bewe­ gungen abzuzeichnen beginnen, die in der Folgezeit immer deutlicher in Erscheinung treten. Zur Zeit Karls des Grossen stehen Adel und Freie unter der Einwirkung des Königtums trotz aller Unterschiede noch relativ nah beieinander. Am Ende der Karolingerzeit hat sich das Verhältnis wesentlich geändert.

Die Wandlung ist vielschichtig und komplex. Sie spiegelt sich dank seiner exponierten Stellung am deutlich­ sten in der Geschichte des Reichsadels wider, der uns unter Karl dem Grossen, gleichsam in genauer Entsprechung zu seinem Begriff 15, als der wichtigste Helfer und Partner des Königtums· in Herrschaft und Verwaltung des Rei­ ches entgegentritt. Ich erwähnte bereits, dass der gele­ gentlich angezweifelte Begriff des Reichsadels sich in der Forschung als unentbehrlich erwiesen hat 18• Er wird allerdings nach wie vor in unterschiedlichem Sinne ge­ braucht, z.B. im Sinne einer al~ konstant gedachten Spit­ zengruppe des Adels, die mit und neben, notfalls auch ohne den König das Reich repräsentiert. Das Problem liegt hier in der Konstanz der Führungsschicht. Reinhard

(1-i) Zahlroiebe Belege b .. i MÜLLER-MERTENS, Karl der Gross«, Ludwig der Fromme und die Freim (wie Anm. JO), S. JI I ff., dazu F. L. GA.Nsaor, Charlemagne el le.9 inatitutiona de la monarchie [ronqu« in: Karl der Groaa• 1 (wie Anm. 13) s. 368 ff,

(15) Zur B,.grifl'sbestiromung vgl. G. TELLl,;NBACH, K{)nigtum und Stämme in def' Werdezeit des Dtutachffl Reichea (Quellen und Studien zur Verfassungs­ geeohichte des Deutschen Reich..., in Mittelalter und Neuz .. it VII, 4, 1939) 8. 41 f.

(16) Vgl. etwa K. BosL, Reichaamtokratie und Uradel in: • Ze, f. hayer. Landeegeacbichte • 21 (1958) s. 138 ff.; E. liLA.WITSCHJrA, Lotharingien """ äa« Reich an der ßr,hwdle der dtut,Jchffl Geschichte (Sehrifren der MGH 21, 1968) S. 78 und bes, ein<lringli<'h1 R. WENBJrUS, Sächaiaclur Stammuadel und fr4nä­ acher Reichaadel (Abhandl. d. Akad. d. Wi88. in Göttingen, Phil.-hist. Kl., III. Folge Nr. 93, 1976) S. 467 ff.

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Wenskus hat in letzter Zeit mit besonderem Nachdruck auf den Charakter der ·überstammlichkeit und die Bedeu­ tung der Reich und Adel verbindenden Tradition verwie­ sen 17, die zweifellos beide wichtig sind. Entscheidend für den Begriff ist jedoch die Funktion, die der Adel in seiner Spitzengruppe im Auftrag des Königs im Reich erfüllte - eine Funktion, die ihn aufüberstammlicher Ebene an der Herrschaft im Reich beteiligte, wofür er - beson­ ders in der Aufbauzeit - in den ihm neu zugewiesenen Gebieten in hohem Masse auf den Rückhalt am Königtum angewiesen blieb. Es ist deshalb charakteristisch, <fass er stets durch Königsnähe ausgezeichnet war, dementspre­ chend über die hohen und höchsten Ämter verfügte und in seinem in der Regel weit verstreuten Besitz sich neben seinen Eigengütern stets auch auf bedeutenden Fiskal­ besitz stützen konnte. Dies ist bei den Widonen ebenso wie bei den Welfen, bei den Robertinern ebenso wie bei den Liudolfingern oder Alaholfingern der Fall 18, die wir deshalb mit einer ganzen Reihe weiterer grosser Familien, die den genannten entsprechen, mit guten Gründen zum Reichsadel rechnen dürfen - freilich, wie wir meinen, nur so lange, wie sie die Funktion erfüllen, von der oben die Rede war.

Wenn man verschiedentlich gegen den Begriff des Reichsadels eingewandt hat, dass seine angeblichen Ange­ hörigen den Z~rfall des Reiches nicht aufgehalten, sondern sogar begünstigt und befördert hätten 19, so gilt dieser Einwand nicht, wenn man den Begriff funktional ver­ steht. Wir meinen in der Tat, dass dies notwendig sei; das

(17) WENBKUB, Sächsiacher Stammuadel (wie Anm. 16) S. 467 ff. (18) Die wichtigsten Belege schon bei TELLENBA.CH, Königtum und Stämme

(wie Anm. 15) S. 43 ff. (19) So nach M. LINTZEL (DllUtaehe Lit. - Zeitung 1941, Sp. 505 ff.) bes.

~- ScRLESINGEB, Die AuflöBUng du KCJrlsreichea in: Karl der Grosse Bd, I (wie Anm. 13) bes. s. 839.

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heisst: <lass von einem Reichsadel nur gesprochen wer­ den kann, soweit er die ihm vom König zugewiesene Funk­ tion erfüllt, zusammen mit dem König Träger und Klam­ mer des Reiches zu sein. Unter dieser Voraussetzung haben wir freilich nicht an einen festen Kreis von Fami­ lien zu denken. Der Reichsadel, der in der Tat nie rechtlich fixiert war, erscheint vielmehr als eine funktionale Grösse, die in sich wechseln, auch wieder verschwinden, sich un­ ter Umständen aber auch wieder neu konstituieren kann. << Wieder verschwinden >> heisst hier: sich von der Ebene des Reichs wieder auf die des Stammes (oder auch einer anderen historisch geprägten Region) zurückziehen, um sich in ihr eine möglichst unabhängige Position zu schaffen. In diesem Fall findet dann in der Familie in bezug auf ihr Selbstverständnis ein Traclitionswechsel statt, der ihren Neuansatz motiviert 20• Die Geschichte der Welfen hat .dafür gleich mehrere aufschlussreiche Beispiele zu bieten. Sie lassen deutlich erkennen, dass ihre wechselvolle Ge­ schichte in den venichiedcnen Phasen eindeutig durch ihr wechselndes Verhältnis zu König- und Kaisertum gekenn­ zeichnet ist. So ist bezeichnend, dass ihr früher Aufstieg durch die Heirat mit dem Königsgeschlecht besiegelt wird; bezeichnend ebenso, dass sie danach in Rivalität zur herrschenden Dynastie in Burgund ihre eigene Herrschaft errichten und dass dementsprechend auch ihr Xeuein­ satz in Alemannien zunächst in Königsferne, ja auf Kosten des Königtums erfolgt, dass sie dann aber durch eine neue Verbindung mit dem Königtum wieder in die höchste Adelsschicht, eben den Reichsadel im jetzt neu gefestig­ ten ostfränkisch-deutschen Reich, aufrücken 21• 1\Tan sieht:

(20) WENSKUß, Süchaisrher Stammuodel (wie Anm. 10) b"8. B. 464 ff. (21) Zum Beiapiel der ,velft>D: J. FLECKENSTEIN, Cb.,- die Herkunft der

W,lfen und ihre Anfänge in Süddeuuchland in: Studien und Yorarbeiten zur Guchichte du groaa/ränki,,cl.en und Jruhdeutachen Adela, hg. v, G. Tl!LLESBACH

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die Verbindung mit dem Königtum, die Königsnähe, ist bei ihnen einem starken Wandel unterworfen. Wenn sie eine Art Parameter darstellt, an dem man die Zugehörig­ keit zum Reichsadel ablesen kann, so dürfen die ·weifen ihm jedenfalls nicht ununterbrochen zugerechnet werden. Ähnliches gilt für die Widonen, die Unruochinger und andere der grossen Familien, die unter Karl dem Grossen zweifellos zum Reichsadel gehörten - wie man überhaupt sagen kann, dass unter Karl alle bedeutenden Familien dem Königtum verbunden waren. Es war offensichtlich die Stärke des Königtums, die sie anzog und auch zu ihrem eigenen Vorteil in seinem Dienst hielt. Als dann aber unter Ludwig dem Frommen das König- und Kai­ sertum sich in immer neuen Kämpfen um Einheit und Teilung des Reichs selbst zu schwächen begann, trat seit 829 zunächst eine Störung, dann eine zunehmende Ver­ schiebung im Verhältnis der grossen Familien zum König­ tum ein: Es beginnt ein Prozess der Loslösung vom König­ tum und der Verselbständigung der grossen Familien 22, die sich seit 843 und verstärkt seit 855, seit das Kaiser­ tum nach dem Tode Lothars I. nach dem Süden abgewan­ dert war, in die einzelnen Reichst.eile zurückzogen, um sich hier eine möglichst unabhängige Stellung aufzubauen. Mehreren von ihnen ist dies bekanntlich so gut gelungen, dass sie auf dem Boden des zerfallenden grossfränkischen Reiches in der Provence, in Hochburgund und Italien eigene Reiche gründeten; in West- und Ostfranken, wo

(Forschungen ir.ur Oberrhein. Landesgesch, IV, 1957) S. ii ff. und K. Scjrsrrn, Wdfiachu StlbattJtraländnw in: Adel vnd Kirch.. Gerd Tellenbach zum 65. Geburtatag dargebracht von Freunden und Schülern, hg. v. J. Fu:c1n:NSTEIN und K. ScuKYD (1968) 5. 389 ff.

(22) Zum Zerfall dNI gl"'Oll8fränkischen Reicbee und dem Prozess seiner inneren Auflösung vgl. allg.: F. LoT und F. L. GA..'<SHOP, Lu dea1ineu de !'empire en occidtnl de 16& b &81. In: Histoir« g~nirale, publ, par G. GLOTZ, l\loyen Age J (1949) und W. Scll"LESIN0l'!R, Die Aujlfut,ng du Karureichu, in: Karl der Groue I ( 1965) hier bee. S. 826 ff.

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sich die Karolinger am längsten hielten, hatten sich die mächtigen Familien neben ihnen eine nahezu selbständige Position aufgebaut. Sie haben ihren alten F'iskalbesitz zumeist zu ihrem Eigengut geschlagen, ihre grossen Ämter als ihnen zustehende Rechte an sich gezogen und sich von den Bindungen des Reichsadels weitgehend freige­ macht. Auf Kosten des Königtums ausserordentlich ge­ stärkt, treten sie am Ende der Karolingerzeit weitgehend als Herren eigenen Rechts auf. Sie sind aus Partnern des Königtums vielfach seine Rivalen geworden und haben seinen Niedergang zu ihrem eigenen .l\Iachtgewinn ge­ nutzt. Wir stellen also als erste Relation fest einen l\Iacht­ gewinn und damit zugleich eine Festigung der Spitzen­ gruppe des Adels, die offenbar durch die Schwächung der königlichen Gewalt ermöglicht worden ist. Die Mäch­ tigsten im Adel sind noch mächtiger geworden als zuvor.

Die Frage ist: Setzt sich dieser Machtgewinn allge­ mein im Adel fort? Sie ist in dieser pauschalen Form kaum beantwortbar. Denn sucht man einen Überblick über den gesamten Adel zu gewinnen, so stellen sich bekanntlich, sobald man die grosse Zahl der weniger bedeutenden Familien ins Auge fasst 23, beträchtliche Schwierigkeiten ein: sie sind, wie man weiss, bei weitem nicht so gut bezeugt und dementsprechend auch weniger gut erforscht als die Angehörigen der Spitzengruppe, - ihre Angehörigen weisen zudem als Grafen, Vögte, Grund­ herren und als Vasallen unter sich bedeutende Unter­ schiede auf, und wenn auch diese z.T. mit ihrer unter­ schied.lichen und gewandelten Stellung zum Königtum zu­ sammenhängen, so ist dies doch weniger eindeutig und weniger einheitlich als bei den grossen Familien der Fall. Dafür spielen in ihrer Entwicklung andere Faktoren eine

(23) Vgl. dazu dito grundi,iitzlichen Bemerkungen von L. GENICOT, La no­ ble,,., au moyen (lge dan, l'ancimne , Frondet (wio Anm, 5) S. l ft'.

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um so wichtigere Rolle, von denen der Vasallität die grösste Bedeutung zukommt. Da die Vasallität aber auch Freie erfasst und für diese ebenso wie für die nobiles neue Grundbedingungen schafft, muss sie uns im folgenden noch eingehender beschäftigen. Wir beschränken uns des­ halb hier zunächst nur darauf, noch ohne nähere Begrün­ dung, einige allgemeine Beobachtungen vorwegzunehmen, die für den Adel am Ende der Karolingerzeit charakteri­ stisch erscheinen. Obwohl hier mit beträchtlichen regio­ nalen Unterschieden zu rechnen ist, wird man allgemein . sagen dürfen, dass um und nach 900 das Spektrum des Adels insgesamt breiter geworden ist 24; dabei zeichnet sich deutlich die Tendenz zu einer stärkeren Differen­ zierung, ja Hierarchisierung ab, und damit hängt zusam­ men, dass der Adel sich in seiner familiären wie herrschaft­ lichen Struktur stärker in sich gefestigt hat .

Man könnte daher sagen, dass gegenüber der Zeit Karls des Grossen der Abstand zwischen Adel und Freien grösser geworden sei. Bei dieser Feststellung ist allerdings zu berücksichtigen, dass auch die Freien sich in der glei­ chen Zeit ausserordentlich verändert haben. Wenn Karl der Grosse, wie wir hörten, in den Kapitularien immer wieder die liberi mit besonderem Nachdruck erwähnt hat l5 und bemüht war, sic in ihrer wirtschaftlichen und ständischen Position zu sichern, und wenn auch Ludwig der Fromme diese Politik zunächst noch fortzusetzen suchte und Karl der Kahle, hier wie auch sonst in den Spuren seines Grossvaters Karl, dessen Bestimmungen noch einmal aufnahm, so ist doch nicht zu übersehen, dass in den Urkunden immer seltener von liberi die Rede ist.

(24) In diesem Sinne auch K. F. WERNEB im Artikel • Adel •, Lezi.kon du Müulalter11 l (1978), bee. Sp. 121 u. 122.

(25) MöLLER-?.IF.RTENS, Karl der Groaae, Ludwig der Fromme und die Freim (wio Anm. 10) S. 111 ff.

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Zwar ist der Begriff der Freien niemals ganz verloren gegangen, und es besteht kein Zweifel, dass es auch am Ende der Karolingerzeit noch immer freie, grundbesit­ zende Bauern gab 26; kein Zweifel aber auch, dass die Bemühungen Karls des Grossen und seiner Nachfolger um ihren Schutz ohne dauernden Erfolg geblieben sind.

, Die Zahl der Freien, genauer: der selbständigen Freien, ging unverkennbarzurück. Die Schwäche des Königtums, die sich der Adel - zumindest in seinen mächtigen Fami­ lien - zunutze machen konnte, schlug ihnen zum Nachteil aus; denn ohne seine regulierende Kraft waren sie in ihrer Mehrheit dem Sog der Entwicklung preisgegeben, die das Königtum zuvor zu ihren Gunsten zu steuern suchte. Dieser Sog zog die schwächeren unter ihnen in die Grund­ herrschaft 27, wo sie allerdings keineswegs einfach in die Unfreiheit absanken. Am Beispiel des Klosters Prüm, das gewiss keinen Einzelfall darstellt, wird deutlich, dass die rechtsständischen Differenzierungen für die Frondienst leistenden .Bauern gegen Ende des 9. Jahrhunderts ver­ schwinden; sie wurden durch funktionsständische Bezeich­ nungen wie serviens, servitor, manens u.a. abgelöst, und darin deutet sich an, wie erst jüngst gezeigt werden konn­ te 28, dass sie eine Art Zwischenstellung einnehmen: die

(26) Vgl. H. RENNEFAIIBT, Die Freiheit der Landleute im Bemer Oberland, • Berner Zs. f. Geschichte und Heimatkunde>, Beiheft 1 (1939), passim; K. S. BADER, Staat und Bauerntum im deutschen Mittelalter in: Adel und Bauern im deutschen Staat des Mittelalters, hg. v. TH. MAYER (B 1967) bes. S. II2 ff. und TH.MAYER,Bemerkungen und Nachträge zum Problem der freien Bauern, tZs. f. württemberg. Landeegesehiohte s 13 (1954) S. 46 ff., abgedr, in DERB., Mittelal- ~erliche Studien ( 1959) S. 164 ff. ,

(27) G. DuBY, L'economie rurale et la vie des campagnes dans l'Occident medieval Bd, 1 (1962) S, 124 ff.; G. FRANZ, Geschichte des deutschen Bauernatan­ d88 im /rilhen Mittelalter bis zum 19.Jahrhundert (• Deutsche Agrargeschichte• Bd. 4, 1970) S. 21.

(28) L. KucRENBUOH, Bäuerliche Gesellschaft und Klosterherrschaft im 9. Jahrhundert. Studien :zur Sozialstruktur der Jamilia der Abtei Prllm (• Vierteljahrs­ schrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte• Beiheft Nr. 66, 1978) bes, S. 389 ff.

ADEL UND KR IEGERTUM UND IHRE WANDLUNG 81

Klosterherrschaft hat sie in ihrer Freiheit eingeschränkt; sie sind also weniger frei als zuvor und beginnen mit vormals Unfreien zu verschmelzen, die dafür allerdings

. auch weniger unfrei sind, als sie vordem waren. Sie wer­ den jetzt auch gemeinsam schlicht homines oder eccle­ siastici genannt, und mehr und mehr wird es üblich, sie nach ihrer Tätigkeit als rustici, als Bauern zu bezeichnen.

Es gibt freilich innerhalb der Klosterherrschaft - und dies ist in unserem Zusammenhang besonders wichtig - auch andere Freie, die sich dieser Entwicklung entzogen haben: sie tauchen unter den Vasallen des Klosters auf29, haben in der Regel ein beneficium von unterschiedlicher, z.T. beträchtlicher Grösse inne, werden im übrigen noch im Jahre 913 in einer Urkunde Karls des Einfältigen ausdrücklich als liberi (mit beneficia) bezeugt 30 und set­ zen sich damit deutlich von ihren ehemaligen Standesge­ nossen, die als ecclesiastici und rustici erscheinen, ab. Sie rangieren offensichtlich über ihnen. Was sie von jenen nach aussen hin aber am meisten unterscheidet, ist ihre Heranziehung zum militärischen Dienst, zur militia, die sich den Bauern verschliesst. Der klösterliche Grundherr hat sie durch eine Heeressteuer, das sog. hostilicium, in Prüm z.B. Ende des 9. Jahrhunderts eindeutig nach­ wei_sbar 31, vom persönlichen Kriegsdienst abgelöst.

Damit wird deutlich, dass die Vasallität und das Lehnswesen insgesamt, die uns schon in Verbindung mit den nobiles begegnet sind, die alten liberi homines aufgespaltet haben. Das Ergebnis dieser Aufspaltung ist nun aber nicht etwa nur, dass aus der einen Gruppe der alten liberi jetzt zwei hervorgegangen sind (oder auch drei, da es ja auch weiterhin noch freie Bauern gab). Das

(29) KrrcHENBUCH, Bäuerliche Guellschaft (wie Anm. 28) s. 330 ff. (30) DKdE 104. (31) Vgl. KucHENBUCR, BäuerliCM Guellachaft (wie Anm. 28) S. 339.

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82 JOSEF FLECKENSTEIN

Wesentliche ist vielmehr, dass die neue Gruppierung sowohl nach oben wie nach unten über die Grenzen der ehemaligen liberi hinausgreift. Die freien Vasallen sind mit den nobiles oder jedenfalls mit einem grossen Teil von ihnen als milites in der militia verbunden, während die bäuerlichen Freien in der Grundherrschaft mit ehema­ ligen Unfreien zusammenwachsen und als rustici gleich­ sam zwischen diesen alten Gruppen stehen. Sie umschliessen den weitaus grössten Teil der ehemaligen liberi, scheiden hinfort aber aus unserer Betrachtung aus, da sie, wie wir sahen, dem Kreis der Krieger nicht mehr angehören 32• Das heisst zugleich, wie wir hier zunächst nur ex negativo schliessen können, dass die Kriegerschaft sich im Lauf des 9. Jahrhunderts nicht nur umgruppiert hat, sondern dass sie zugleich auch enger geworden ist. Sie umfasst um 900 nobiles und liberi, die letzteren aber nur zum Teil, und unsere bisherigen Beobachtungen weisen darauf hin, dass ihre Verbindung in der Vasallität besteht: Sie hat offenbar als eine Art Katalysator gewirkt, der liberi und nobiles zu einer neuen Einheit zusammenschloss.

Wir müssen versuchen, diese Einheit genauer zu er­ fassen und wenden uns deshalb nunmehr dem Phäno­ men des Kriegertums zu, <las die Vasallität umschliesst und offenbar von ihr aus wesentlich umgestaltet wird. Obwohl wir das Kriegertum bisher nach unseren allge­ meinen Eingangsüberlegungen nur am Rande berührt haben, sind dabei doch bereits zwei Gundtatsachen deut­ lich geworden: Sie beziehen sich auf den Ausgangs- und auf den Endpunkt unserer Beobachtungen und umsehlies-

(32) Ygl. G. Dnav, G=ier, ~ payaoM. VII'-Xll' ,;eclu. Premier e-osor de l'economie ""ropienne (IOi3) bee. S. 64 ff.; J. FLF.cKENSTF-JN, Zur Frage der Abgrenzung von Bauer und Ritter in: Wort und Begriff, Bouer» (Abhandlung der Ake.demie der Wias. in Göttingen (Phil-hiHt. Klaese III. Folge Nr. 89, 1975) s. 246 ff.).

A.DEL UND KRIEGERTUM UND IBRE WANDLUNG . 83

sen unser zentrales Problem. Die erste Grundtatsache - unser Ausgangspunkt - ist der durch dio Kapitularien gut bezeugte Sachverhalt, dass zu Beginn der Karolin­ gerzeit, ja selbst unter Karl <lern Grossen, das kriegerische Aufgebot prinzipiell noch auf der alten Ständeordnung basierte 33• Danach waren alle Freien einschliesslich der nobiles zum Kriegsdienst verpflichtet. Das Kriegertum war also, wie in der Frühzeit, noch immer eine Sache des Adels und der Freien, die allerdings de facto nur noch zum Teil in der Lage waren, ihre militärischen Aufgaben zu erfüllen - weshalb neben ihnen, gleichsam zu ihrer Verstärkung, Vasallen im kriegerischen Aufgebot er­ scheinen.

Am Ende der Karolingerzeit hat sich das Verhältnis umgekehrt: das alte Volksaufgebot tritt nur noch im Notfall auf; es ist nicht abgeschafft, spielt aber praktisch keine Rolle mehr. Tatsächlich ist das Kriegertum jetzt eine Sache der Vasallen. Die alte Ständeordnung hat dafür ihre Gültigkeit verloren. Ich verweise als Beispiel nur auf den berühmten In'a,culus loricaioruni 34, das Ersatzaufgebot Ottos II. vom Jahre 981, das Karl Ferdi­ nand Werner auf der Settimana von 1968 hier in Spoleto einer genauen Analyse unterzogen hat 35• Dabei kommt es mir hier nicht auf die von ihm, wie ich glaube, im gan­ zen zutreffend ermittelten Zahlen an, sondern zunächst allein auf die für uns wesentliche und unbestrittene Tat­ sache; dass für das kaiserliche Heer des Jahres 981 aus-

(33) Belege bei G. WAITZ, DeutacJie Ve,-fa,isungaguchi~hte I (1 1885) S, 632 ff. dazu H. MITI'EIS, Lehnrechl und St.aatagewaU (1933) $. 178 und 1''. L. Gurs­ BOI', Waa itd daa Lehn,wuen t (wie Anm. 4) S. 20.

(34) MGH Conatitutionu I (1893) S. 633 und 436. (35) K. F. W11:11.NEB, Hureaorganiaation und Krugfühn,ng im deuuehffl

KlJnigreicJ, du 10. und II. Jalwhunderta in: Ordinamenti militari in occidente nell'alto medioevo (Sottimane di studio del Centro italiano di atudi eull'alto medioevo ßd. 15, 2, 1968) S. 791 ff.

84 JOSEF FLECKENSTEIY

schliesslich loricati, schwere Panzerreiter, angefordert wer­ den, die der Jndµculu.s eindeutig als Vasallen von Bischö­ fen, Äbten 36 und einer Reihe weltlicher Grosser kenntlich macht. Auch wenn man berücksichtigt, dass es neben den loricati, den schweren Panzerreitern, die unsere Quellen im allgemeinen milites nennen, auch clypeati 37, leichte Reiter, gab, besteht kein Zweifel, dass das Heer im ganzen ein berittenes Vasallenheer war: Die Vasallität hat die gesamte Kriegerschaft erfasst; sie ist mit ihr identisch.

Es liegt auf der Hand, dass diese Identität, die das Ergebnis einer Umstrukturierung des Kriegertums ist, die gesamte mittelalterliche Gesellschaft berührt und sie in ihrer Gesamtheit verändert. Die Vasallität oder, wie ich aus gleich näher zu erläuternden Gründen zutreffender sagen muss: die -Fcudalität, das Lehnswesen, hat ihr ein neues Gesicht gegeben.

Wie ist es dahin gekommen? Die Frage geht in unse­ rem Zusammenhang in erster Linie auf das Verhältnis der Vasallität zum Kriegertum - oder genauer: auf die Umgestaltung des Kriegertums durch die Vasallität, Ich nehme die Antwort als These vorweg; sie klingt fast tri­ vial, bezeichnet aber gleichwohl einen wesentlichen Schritt: Die Vasallität verwandelt das Kriegertum in die militia.

Zur Begründung dieser These greife ich zunächst nochmals auf mehrere, z.T. bereits früher getroffene Fest­ stellungen zurück, über die in der Forschung im grossen und ganzen L1>ereinstimmung besteht: I. Es ist, wie wir

. (36) Zu~ ~ieg~diens~ und zur militärischen Leistung der hohen Geistlich- 1<e1t, auf die h1"r nicht emg.,gangen wird, eei verwiASen auf F. PRINZ, Kll':f'WI und Krieg im frühen Mittelalttt' (Monographien eur Geschichte des Mittelalters 2, 1971) bes. S. 73 ff.

(37) A~f sie dürfte _eich die Forderung der epietola ad Fulradum abbatem CMG. Oapal. 1, 168) beziehen, ut un,uquüque cabalariue habeat ecumm et lanceam et apatam et eemispatum, arcum et pha1'etras cum aagittu.

ADEL UND KRIEGER'rUM UND IHRE. WANDLUNG 85

bereits hörten, nach Auskunft der Kapitularien gesichert, dass das Heeresaufgebot unter Karl dem Grossen wie auch. unter Ludwig dem Frommen grundsätzlich noch an alle Freien ergeht, und es versteht sich, dass zu ihnen auch' die nobiles gehören. 2. Es ist ebenso· unbestritten, dass der Heeresdienst, wie schon die vielbeachtete Verlegung der jährlichen Heeresversammlung vom Märzfeld auf das Maifeld 38 seit dem Jahre 756 erkennen lässt, mehr und mehr zum Reiterdienst wird. Die Expansion des gross­ fränkischen Reiches und seine wachsenden militärischen Verwicklungen haben diesen Prozess irreversibel gemacht. · Es ist ferner 3. eine allgemeine und, wie mir scheint, wohlbegründete Annahme, dass das Vordringen des Reiter­ dienstes ein zuvor nicht gekanntes Problem geschaffen hat, das sich in den Quellen seit Karl dem Grossen deutlich widerspiegelt: das Problem der pauperes im Heer. Es hat den Anstoss zur ebenso richtungweisenden wie folgenrei­ chen Heeresreform Karls des Grossen gegeben, die als solche ebenfalls kaum umstritten ist, da mehrere Kapitu­ larien aus den Jahren 80-7 und 808 über sie genaue Aus­ kunft geben 39• Danach geht die Reform auf die Tatsache zurück, dass eine wachsende Zahl von liberi den kostspie­ ligen (und obendrein zeitraubenden) Waffendienst zu Pferde nicht mehr ohne weiteres leisten können. Karl trägt deshalb dieser Tatsache Rechnung, indem er als Massstab für. die persönliche Teilnahme am Kriegszug 807 eine Besitzgrösse von 3 Hufen festlegt, die er im fol­ genden Jahr auf 4 Hufen erhöht. Die. pauperiores werden nach derselben 'Norm zu Gestellungsverbänden zusam-

(38) trber die Entstehung des Maifeldes: L. ÜELSNER, Jahrbüche,o du Jrän, ki&eh.en Reiche« unter König Pippin (1871) S. 293 ff.

(39) S. insbes. das Memora.torium de exeroitu in Gallia. oooidentali prae­ parando cap. 2 und das Capitulare missorum de exercitu promovendo cap. I, MG. Capit. I, 134 f. u: 137.

86 JOSEF FLECKENSTEIN

mengefasst, von denen jeweils nur ein l\Iann auszurücken hat. Da das Tragen einer Brünne (brunea), wie bezeich­ nenderweise für Vasallen bestimmt wird, den Besitz (eines Lehens) von 12 Hufen voraussetzt 40, hat der Masstab von 3 oder 4 Hufen offensichtlich für die leichtbewaffnete Reiterei zu gelten, von der Verbruggen mit Recht betont hat 41, dass sie den Grossteil des fränkischen Heeres bil­ dete. Das Fussvolk tritt jedenfalls . völlig. in den Hinter­ grund.

Es ist nun durchaus klar, dass die genannten Bestim­ mungen die Fortdauer der alten Dienstpflicht zu sichern suchen. Man darf aber nicht übersehen, dass sie nicht isoliert erscheinen. Als Karl der Grosse im Jahre 807 s~ine Heeresreform einleitet, verfügt er als erstes: Jn primis quicumque beneficia habere videntur, omnes in hos­ tem veniant42• Für die Inhaber von Lehen gelten demnach die hier vorgreifend genannten Einschränkungen nicht: sie haben in jedem Fall Kriegsdienst zu leisten. Es ist keine Frage, dass es sich bei ihnen um Vasallen handelt, die uns jetzt in den Kapitularien wie in den Urkunden auf Schritt und Tritt begegnen. Ihre Lehen (beneficia) setzen sie offenbar in die Lage, ihrer Dienstpflicht leichter und besser nachzukommen als die Freien, denen der König mit seinen Bestimmungen stärker entgegenkommen muss. Die Vasallen stellen anscheinend schon jetzt die stärksten und sichersten Streiter des Königs dar. Wenn demgegenü­ ber Heinrich Mitteis erklärt, die Reform von 807 /808 habe an dem bisherigen System nichts geändert, sie setze im Gegenteil mit ihren Erleichterungen gerade die Fort-

(40) Ca.pitulare mlssorum in Theodonis villa datum secundum generale esp, 6, MG. Oapit. I, 123.

(41) J. F. VERBRUGGEN, L'armee et la atrategie de Charlemagne in: Karl der Grosse, hg. v. W. BRAUNFELS Bd. I, S. 424.

(42) Memoratorium cap. 1, MG. Capit. 1, 134.

ADEL UND KRIEOERTUM UND IHRE WANDLUNG 87

dauer der Dienstpflicht voraus 43, so mag das rechtlich zutreffen, doch ist nicht zu übersehen, dass das Recht hier gleichsam auf <lern Rückzug ist: es soll ein weiteres Absin­ ken der Freien verhindern, was auf die Dauer jedoch nicht gelang. Stattdessen kann man feststellen, dass die Vasallen, die 807 bereits ein Übergewicht vor den nicht­ vasallitischen freien Kriegern gewonnen haben, danach, wie wir noch sehen werden, immer stärker in Erscheinung treten. Mitteis selbst hat dafür, ohne es zu wollen, einen Grund angegeben, wenn er aus der in dem Kapitular von 807 angeführten Tatsache, dass die Vasallen ohne Ein­ schränkung zum Kriegsdienst verpflichtet seien, schloss, dass ihre Benefizien demnach « als oberhalb der jeweiligen Besitzgrösse liegend unterstellt wurden » ". Das heisst mit anderen Worten, dass ihre Lehen im allgemeinen grösser waren als der Grundbesitz der freien Bauern. \Vir werden sehen, dass diese Annahme weitere, gute Gründe für sich hat.

Es ist nicht überflüssig, hier zunächst noch festzuhal- ten, dass die angezogenen Kapitularien die Vasallen durch­ weg für den Kriegsdienst in Anspruch nehmen. Dies ist nicht selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass sie ihrer Herkunft nach in die Sphäre der abhängigen Dienstbar­ keit gehören, in der sie zunächst zu Dienstleistungen aller Art, vor allem auch in der Landwirtschaft, verpflichtet waren. Diese Sphäre haben sie unter Karl dem Grossen offensichtlich längst verlassen. Ohne auf ihre Vorgeschichte hier näher einzugehen, kann man sagen, dass sie einen erstaunlichen Aufstieg genommen haben, der offenbar mit ihrer l\Iilitarisierung zusammenhängt. Da Waffen­ dienst als ein Vorrecht der Freien galt und in früheren

( 43) H. MITTEtB, Lehnrtthl und Siaaugr:walt ( 1933) S. 178. (44) !lln-rF.IP. l,ehnre,:J.I und Staat8gWX>lt S. 179.

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Zeiten stets ein höheres soziales Prestige verlieh, hob er in besonderem Masse die Unfreien, die von ihren Herren zum Kriegsdienst herangezogen wurden, über ihren alten Status empor. Man kann dies noch unter Karl dem Grossen am Beispiel der unfreien Vasallen erkennen, die das Capi­ tulare l\Iissorum von 792/3 mit der bezeichnenden For­ mulierung erwähnt: servi, qui ... in bassaliiico honoraii sunt ... et caballos, arma et scuio et lancea spata et senespa­ sio habere possuni 45• Es handelt sich um Untervasallen, deren seniores selbst dem König durch .das Lchnsband verbunden sind. Sie sind durch ihre Bewaffnung, in der bezeichnenderweise die Brünne fehlt, den freien Kriegern der unteren Besitzkategorie von 3 und 4 Hufen gleich­ gestellt.

Die meisten Vasallen sind jedoch Freie, die sich einem Herrn kommendiert haben: ingenui in obeequio 46, zu deren voller Bewaffnung die Brünne gehört und die dement­ sprechend nicht unter 12 Hufen besitzen. Bei den vassi dominici, den Kronvasallen, ist im Durchschnitt mit etwa 30 Hufen zu rechnen. Doch sind auch 50, 100 und mehr Hufen in ihrer Hand bezeugt 47• Sie sind die Panzerreiter, die schon in den grossen Feldzügen Karls des Grossen den Kern des karolingischen Heeres bilden.

Ihre Bedeutung kommt am besten darin zum Ausdruck, dass auch Adlige zu den Vasallen gehören und die Kron­ vasallen von vornherein als solche erscheinen. Der Waffen­ dienst, dazu bei den Kronvasallen der Königsdienst und die mit beiden verbundenen Lehen von zumeist beträcht­ licher Grösse haben die Vasallität auch für sie attraktiv gemacht. Von den vassi dominici wird direkt erklärt, dass sie einen besonderen honor, ein honoris privilegium haben

(45) Capitula.re missorum cap, 4, llfG. Capit. l, 67. . (46) vgl. dazu F. L. GASSBor, Waa iat dcu Lehnawuen 1 (' 1975) S. 2. (47) G.A...'<BHOr, Wa6 ut daa Lehn=uen 1 s. 38.

ADEL UND KRIEGERTOM UND IHRE WANDLUNG 89

und vor den übrigen Freien (prae ceteris liberis) rangie­ ren 48• Das heisst, dass sie zu_ den Adligen gehören. Man sieht: die Vasallität steigt auf, und so nimmt es nicht wunder, dass bereits unter Karl dem Grossen Adlige, zum Teil in hohen Stellungen, - ich erinnere nur an Her­ zog Tass.ilo von Bayern 49 - als Vasallen nachweisbar sind. Wenn ihre Zahl zunächst noch relativ gering erscheint, so liegt das z.T. daran, dass die Urkunden wie die Kapitu­ larien die Vasallen in der Regel ohne nähere ständische Bezeichnung nennen und wir nur ausnahmsweise erfahren, <lass der eine oder andere adliger Herkunft ist. Ihre Zahl nimmt aber, wie wir noch sehen werden, unverkennbar zu, und gleichzeitig greift die Vasallität weiter um sich, was wiederum mit ihrem sozialen Aufstieg zusam­ menhängt.

Dabei sind deutlich drei Stufen zu unterscheiden, die anzeigen, wie sich mit dem Aufstieg der Vasallen ihre Relation zu den freien Kriegern zu deren Ungunsten verschiebt. Die erste Stufe des Aufstiegs wird unter Karl dem Grossen erreicht und durch das Kapitular von 808 markiert, das für das allgemeine Aufgebot bestimmt: Ut omnis liber homo ... in hostem pergat sive cum seniore auo, si senior eius perrexit, sive cum comite suo 50• Ich sehe für unseren Zweck vom konkreten Anlass der Bestimmung ab und beschränke mich allein auf eine kurze Analyse des hier wiedergegebenen Sachverhalts. Danach gibt es zwei Möglichkeiten des Aufgebots: die eine wird durch den Lehnsherrn, den senior, die andere durch den Grafen

(48) Conceeaio generalia cap. 3, MG. Capit. I, 321. Vgl. auch schon dea Capitulare miesorum ltalioum cap. 9, MG. Capit. I, 207.

(40) Vgl. dazu GANsHor, Waa ial da• Lthruwuen 1 S. 29 f. nnd P. CuesEN Bayern und di« politucliffl M~hte im Zeitalter Karu du Groaaen und Ttunlo• III. in, Die Anfänge doe Kloetera Kremsmünster, Ergil.nEungaband EU den :Mitteilungen dea Oberösterreicb.iacben Landeearchiva 2 (1978) bee. B. 178 ff.

(50) Capitularc mi.ssorum de exercitu promovendo cap. I, MG. Capit. I, 137.

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realisiert, wobei als normal unterstellt werden darf, dass der senior die Vasallen, der Graf hingegen die übrigen Freien ins Feld führt. Das Heer teilt sich also in einen vasallitischen Teil unter der Führung der Lehnsherren und einen nichtvasallitischen, der nach der hergebrachten Ordnung unter der Führung der Grafen steht. Das heisst: neben die alte, ständisch orientierte Ordnung ist mit dem Lehnswesen ein neues Ordnungssystem getreten, das Karl

-der Grosse offenbar in seiner Bedeutung erkannt hat und mit der alten Ordnung im Gleichgewicht zu halten sucht. Wir hörten freilich bereits, dass es schon damals Anzei­ chen dafür gab, dass die Vasallität im Heer bereits das grössere Gewicht besass 51•

U~ die Mitte des 9. Jahrhunderts kann in der Tat von dem erwähnten Gleichgewicht keine Rede mehr sein. Das Nebeneinander der beiden Ordnungen hat sich ein­ deutig in ein Nacheinander verschoben. Der berühmte Bericht über den ersten Frankentag in Meersen im· Jahre 84 7 enthält eine Bestimmung über die Heerfolge in den drei Teilreichen, die die nächste Stufe im Aufstieg der Vasallen markiert; sie lautet: (volumus) ut cuiuscumque nostrum homo, in cuiuseumque reqno sit, cum seniore suo in hostem. vel aliis suie utilitatibus pergat 52; nur im Falle der Landwehr solle der ganze populus ausziehen. Die Bestimmung ist in der Forschung unterschiedlich beur­ teilt worden. Aber auch wenn man sie mit Heinrich Mit­ teis 53 restriktiv auslegt und nicht als Anweisung, son-

(51) Dementsprechend formuliert J. F. VERBRUGGEN, L'armee et la etro­ tegie de Charlemagne (wie Anm, 41) S. 421: c Les vassaux royaux constituent l'elite de I'armee ••

(52) MG. Oapit. 2, 68 ff. Die Landwehr bleibt auch weiterhin Pflicht a.Iler kampffähigen Bewohner des Reichs. Vgl. etwa dss 2. Kapitular von Pitres von 864, llfG. Oapit, 2, 322: Ad defensionem patriae omnes eine ulla excusation» tJeniant.

(53) MITTEIS, Lebnreehs und Staatsgewalt (1933) S, 190 ff.

ADEL UND KRIEGERTUM UND IHRE WANDLUNG 91

dern als Genehmigung der Könige (insbesondere Karls des Kahlen) versteht, geht daraus eindeutig hervor, dass das Volksheer (omni« populus) nur mehr eine untergeord­ nete Rolle spielt; im Vordergrund stehen die Vasallen, mit denen die Könige rechnen, auf die sie angewiesen sind und die sie offensichtlich begünstigen.

Es ist zum Glück nicht nur das umstrittene Meersener Kapitular, das diese Feststellungen erlaubt. Seit der Mitte des 9. Jahrhunderts ist die weitere Ausbreitung und der Aufstieg der Vasallen mit Händen zu greifen, Und vor allem nehmen jetzt auch die direkten Bezeugungen adliger Vasallen zu. Ich begnüge mich damit, nur wenige Beispiele zu nennen: etwa Walpert, den Enkel des Saeh­ senführers Widukind, den Lothar I. fidelis vasallus noster nennt, ebenso den fidelis vasallus Ebroin 54; unter Arnulf, unter dem die Bezeugungen weiter zunehmen, hebe ich nur den Vasallen des Markgrafen Liutpold, Zwentibold, hervor, der in der Königsurkunde ausdrücklich als <1 vir progenie bonae nobilitatis exortus >> 55 gekennzeichnet wird. Die Belege, die jetzt zahlreich sind, lassen keinen Zweifel, dass ein Grossteil der Vasallen sich aus dem Adel rekru­ tiert. Auffällig ist allerdings, dass Grafen, auch wenn sie - wie der inluster comes Matfried im Gefolge Lothars I. - als· Vasallen kenntlich gemacht sind 56, zumindest noch nicht direkt als solche bezeichnet wurden, was dann im 10. Jahrhundert durchaus üblich ist. Alles in allem ist aber unverkennbar, dass seit der Mitte des 9. Jahrhunderts der Anteil des Adels ständig wächst, und , das bedeutet, dass andererseits die Vasallität in zunehmendem Masse in die adlige Sphäre gehoben wird. Ihre Grundbegriffe von consilium und auxilium, honor und fidelitas gehen

(54) WALPEBT: DLoI 109; EBROIN: DLoI. 138. (55) DA 162. (56) Vgl. etwa DLo I 100 v. 848 Jan. 3.

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in der Ausrichtung auf den Waffendienst bereits im Testa­ ment der Dhuoda eine lückenlose Verbindung mit dem adligen Selbstverständnis ein 67•

In diesem Zusammenhang ist schliesslich auch der Begriff zu nennen, der seit dem 8. Jahrhundert zunächst vereinzelt, seit der Mitte des 9. Jahrhunderts dann häufi­ ger neben easallus tritt und eine immer dichtere Bedeu­ tung gewinnt, nämlich miles 68• Er spiegelt die ·wandlung, um die es uns hier geht, am unmittelbarsten wider: die ·w andlung vom Kriegertum zur militia als dem Inbegriff und der Zusammenfassung aller milites.

Ich versuche, dies aus Zeitgründen in aller Kürze zu v~rdeutlichen. Einzelbelege für miles aus dem 8. Jahrhun­ dert sind noch relativ unbestimmt und können möglicher­ weise einfach den Krieger bedeuten, beziehen sich aber in der Regel - so z.B. in Bayern - bereits auf Höherge­ stellte, so <lass Bauernkrieger von vornherein nicht darun­ ter zu verstehen sind 59• Im 9. Jahrhundert sind milites, wie schon Guilhiermoz zeigen konnte, durchweg Vasal­ len eo. Ihr Aufstieg ist auch der Aufstieg der milites. Im 1 O. Jahrhundert sind dann, wie bereits angedeutet, auch Grafen als milites bezeugt 61, und die militia, ursprünglich auf den Kriegsdienst im · allgemeinen Sinne bezogen,

(57) Vgl. dazu J. WoLLASCH, Eine adlige Familie dea /rühm MiuelaltMs, • Arcbiv für Kulturgeschichte t 39 (1957), S. 150 ff.

(58) Zur Bedeutungsgeschichte von miles noch immer unentbehrlich: P. GUILBIERMOZ, Essai aur l'origine de la noblesse en Fra~ (wie Anm. 5) S. 331 tt., ferner G. WAITZ, Deutsche Verfassungsgeschichte Bd. 3 (' 1883) S. 647 ff.; G. DUBY, Le., originea de la chevalerie in: Ordinamenti militari in Occidente nel­ I'alto rnedioevo (Spoleto 1968) S. 739 ff. setzt mit den Belegen erst in der zwei­ ten H!i.lfte des l O. J ahrhunderta ein. Vgl." aueh L. GENICOT, La noblasa au M oyen Age (-wie Anm. 5) und in Anlehnung an ihn P. v. LuYN, Lea milite« dan. la Fra~ du XI" aiecle, • Le Moyen Age• 77 (1971) S. 5 ff.

(59) So W. STÖRMER, Früher Adel (wie Anm. l) S. 159. (60) GUILHIERMOZ, Essai (wie Anm. 5) s. 338 ff.; dazu jetzt ÜANSHOJ',

Was ist das Lehenswesen 1 (Wie Anm. 4) B. 21 ff. (Oll So der thüringische Graf Billinc: DOI 223; interessant auch DOI 133

für den .,,ronuu., mitu et trir nobilis WalpertW1.

ADEL UND KRIEGERTUM UND IHRE WANDLUNG 93

bezeichnet jetzt speziell den Dienst und die Gesamtheit der milites 62•

Daraus ergeben sich für uns zwei wesentliche Feststel­ lungen: I. Der Bauernkrieger, den noch vVidukind kennt, der Krieger mit Strohhut, Keule und Spiess, steht aus­ serhalb der militia 63 •• lJJiles und Bauer sind auseinander getreten und verkörpern zwei klar geschiedene Schichten und zwei verschiedene Lebensformen. 2. Auf der anderen Seite gehören jetzt mit den Adligen auch Grafen zu den militee. Das heisst: die Grafen, die noch im 9. Jahrhun­ dert als Führer des alten, ständisch orientierten Heeres­ aufgebots erscheinen, sind jetzt, im 10. Jahrhundert, zumindest teilweise mit in den Lehnsverband einbezo­ gen 64, und 'diese Entwicklung setzt sich in der Folgezeit fort. Der Lehnsverband aber, der hier erkennbar wird und der im 11. Jahrhundert noch eine bedeutende Erweiterung erfährt, spiegelt eine durch das Lehnswesen sich umstruk­ turierende Gesellscha.ft wider, deren l\Iitte die militia ist.

(62) Zu miWia vgl. auch WAITZ, • Deutsche Verfaesungsgeschichte s Bd, 3 S. 4ll, Anm. 3.

(63) Damit stimmt, überein, dass nach Widukind (Rerum gestarum Saxoni­ earurn lib. II, cap. 3, ed. H. E. LoRMa.>,N und P. Hrasca, SS. rer, GMm., 1935) S. 105 (mit Anm. 1) die multitudo pilleorum foeminorum bzw. ex culmis contex­ torum den exercitUB bildet.

(64) Dies iat allerdings in Ostfranken-Deutschland (im Unterschied zu Westfranken-Frankreich) zunächst nur für einen Teil der Grafen nachweisbar. Doch ist deutlich, dass auch hier die Entwicklung in die angedeutete Richtung geht. So ist in unserem Zusammenhang entscheidend, dass nach dem überein­ stimmenden Zeugnis Widukinds (Rel'tlm gcstarum S<nonicarum liber I, cap. 27, S. 40) und Luidprands (Antapodosis II, 23, ed. J. BECXER, SS. rer. Germ., 1915, S. 37) auf jeden Fall die Herzöge als Vasallen an den König gebunden waren. Sie gehen jetzt den Grafen (wie auch den Bischöfen) in der vase.Jlitischen Durch­ dringung der Heeresverfassung voran. Wenn man · dabei· anfangs noch zwi­ schen Ämtern und Lehen unterschieden hat, so ist doch beides, wie bereits WAITZ (Deutsche Verfasa1mgsgeschichte, Bd. 6, S. 32) festgestellt hat, im Laufe der Zeit mehr und mehr ineinander geflossen, und in der Heeresverfassung hat sich jedenfalls gegen Ende des Jahrhunderte die lehnrechtliche Praxis durch­ gesetzt: 981 sind es ausnahmslos Vasallen, die nach Italien aufgeboten wurden. Obwohl die Quellen sehr lückenhaft sind, darf man zumindest vermuten, dass die Umbildung der Heeresverfassung hier der allgemeinen Entwicklung die Bahn gebrochen hat.

94 JOSEF FLECKENSTEIN

Damit schliesst sich der Kreis unserer· Beobachtungen: Wir sind an unserem Endpunkt angelangt, den ich bereits vorgreifend am Beispiel des Lndiculus loricatorum von 981 zu charakterisieren versuchte. Man sieht: das alte Kriegertum ist zwar nicht abgeschafft, aber praktisch abgelöst durch die militia: ein Vasallenheer adliger Prä­ gung, dessen Symbolfigur der loricatus, der schwer gepan­ zerte miles ist. Wir haben gesehen, dass sein Aufstieg das Ergebnis einer die gesamte Gesellschaft erfassenden \Vand­ Iung ist. Gewiss: es gibt den Adel wie zuvor, aber er hat sich in sich gefestigt und zugleich differenziert, und zwar in dem Masse differenziert, wie sich die hierarchische Struk­ tur des Lehnswesens ausgebildet hat: sie hat sich ihm eingeprägt. Und wenn wir eingangs festellten, dass Adel und Kriegertum von Anfang an verbunden waren, sich aber nie gedeckt haben, so zeigt sich jetzt ein ganz ent­ sprechender, bemerkenswerter Zusammenhang: In der Verbindung von Adel und Kriegertum ist am Ende der Karolingerzeit an die Stelle des Kriegertums die militia getreten - auch sie wesentlich vom Adel geformt: er ge­ hört ihr an, geht aber nicht in ihr auf. Es bleibt ein hochbe­ deutsamer Rest, der für die grossen Adligen charakteris­ tisch ist: Auch wenn sie als milites erscheinen, bleiben sie doch principes, duces, comites und ragen als solche über die militia empor. Dagegen geht der Grosstcil des Adels zusammen mit Freien ganz in die militia ein. Er besteht sozusagen aus reinen milites: Angehörigen, die nur milites sind. Die militia aber stellt eine Neubildung dar, eine neue soziale Schicht, in der das Lehnswesen, das Ferment der neuen Gesellschaft, Adel und Freie zusammenge­ schlossen hat. Sie weist in die Zukunft: \Vir sind am Schluss des Vortrags an der Schwelle zur Entstehung des Rittertums angelangt.