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Neujahrsblatt herausgegeben von der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich auf das Jahr 1938 140. Stück DER SCHWEIZERFÖHN VON EMIL WALTER (Zürich) Mit 39 Abbildungen im Text. Gebr. Fretz A.G., Zürich

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Neu jah r sb l a t therausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürichauf das Jahr 1938

140. Stück

DER SCHWEIZERFÖHN

VON

EMIL WALTER (Zürich)

Mit 39 Abbildungen im Text.

Geb r. Fr etz A.G. , Zür ich

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DER SCHWEIZERFÖHN

VON

EMIL WALTER (Zürich).

Mit 39 Abbildungen im Text.

Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich

auf das Jahr 1938.

140. Stück.

1938 Neujahrsblatt in Kommission beim Verlag Gebr. Fretz A.G., Zürich.

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Inhaltsverzeichnis Vorwort Seite 1. Kapitel: Eigenschaften und Wirkungen des Föhnwindes 3 2. Kapitel: Aus der Geschichte der Föhntheorie 7 3. Kapitel: Föhnlagen im ersten Halbjahr 1937 12 4. Kapitel: Der Alpentalföhn vom 9./10. November 1934. 19 5. Kapitel: Der Föhnsturm vom 20./21. Mai 1937 22 6. Kapitel: Saharastaub über der Schweiz 27 7. Kapitel: Nochmals Geschichte der Föhntheorie 30 8. Kapitel: Die Föhnströmung 36

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Vorwort Die vorliegende Studie über den schweizerischen Alpenföhn, die ich meinen Kindern Hansjörg, Mario und

Monica widme, versucht in möglichst leicht fasslicher Form in das Verständnis der Föhnerscheinungen im Sinne einer Physik der Atmosphäre unter Berücksichtigung der modernen Literatur einzuführen. Aus Raumgründen verzichten wir auf ein besonderes Literaturverzeichnis. Dies kann um so leichter geschehen, als bis zum Jahre 1926 ein nahezu voll-ständiges Literaturverzeichnis über «Föhn nord- und südwärts der Alpen» im Faszikel 1V4 der «Bibliographie der schweizerischen Landeskunde» unter dem Titel «Klimatologie» von Dr. R. B. Billwiller (Bern 1927) vorliegt. Im übrigen geben wir die notwendigen Literaturhinweise in Fussnoten, soweit diese wie auch der Text aus Raumgründen nicht gekürzt werden mussten.

Es wäre uns nicht möglich gewesen, ohne weitgehendste Unterstützung durch die Beamten der Schweize-rischen Meteorologischen Zentralanstalt unsere Arbeit innert nützlicher Frist abzuschliessen. Direktor Dr. P. L. Merganton danken wir für die Erlaubnis, die Bibliothek der Zentralanstalt benützen zu dürfen, der Bibliothekarin Frl. E. Steiner für den Eifer, mit dem sie unseren Bibliothekwünschen entgegenkam, Dr. J. Maurer, Dr. R. Billwiller, Ing. Grütter und Uttinger für die wertvollen Winke, mit denen sie uns bereitwillig an die Hand gegangen sind. Nicht geringen Dank schulden wir auch jenen Herren und Institutionen, die uns entgegenkommenderweise meteorologisches Beobachtungsmaterial zur Verfügung stellten. Wir haben sie jeweilen an der entsprechenden Stelle im Text erwähnt. Zu guter Letzt möchten wir auch dem Redaktor der Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft, Prof. Dr. Hans Schinz für die moralische Unterstützung danken, die er der vorliegenden Arbeit angedeihen liess. Der Verfasser

1. KAPITEL

Eigenschaften und Wirkungen des Föhnwindes In den schweizerischen Alpentälern tritt vom Herbst bis zum Frühjahr, seltener im Sommer, ein

eigentümlicher, warmer und trockener Südwind, der sogenannte F ö h n auf, dessen Eigenschaften schon gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts das Interesse der Naturforscher erregten. Es ist nicht leicht, festzustellen, seit welchem Zeitpunkt der Föhn als eine besondere Windart erkannt und dementsprechend benannt wurde. Vielleicht bedeutete «die fön» zunächst nichts anderes als die südliche Himmelsrichtung. Wenigstens kann so ein im schweizerischen Idiotikon angeführtes Zitat aus dem Jahre 1489 aufgefasst werden: «Die Stadt Zürich liegt gegen der pfön an einem See». Auch TSCHUDI schrieb 1606: «Da kam ein starker Wind von Mittag her, den wir Fön oder Südwind nannten»1. Wahrscheinlich leitet sich das Wort Föhn von der lateinischen Bezeichnung des Westwindes «favonius» (Churwälsch: «favougn», «favoign», «fuagn»; welschschweizerisch: «foé», «foën», tessinisch: «fogn»; althochdeutsch wahrscheinlich: «der fonno» oder «die fonna») ab.

Die Dialektausdrücke sind keineswegs einheitlich. «Fön» sagt man im Prättigau (auch Pfön), in der Innerschweiz in den Kantonen Luzern, Uri, Schwyz und Unterwalden, sowie im Oberwallis; «Föne» im Saviental und im Guggisberg; «Fö» im Kanton Schaffhausen und im Gasterland; «Fü» im Aversertal, im Kanton Glarus (hier auch «Fön», «Fün», «Funa») und im Berner Oberland; «Pfön» im Appenzell und im Rheinwaldtal. Merkwürdigerweise ist der «Föhn» nicht

1 Ähnlich H. E. Escher 1692: «. . . der Mittagwind, die Föhn genennet.» Erst im 19.Jahrhundert setzte sich der männliche Artikel durch; J. J. Scheuchzer spricht in seiner «Helvetiae Historia Naturalis» durchgehend von «die Föhn» oder «Mittagwind» und «ihren» Eigenschaften.

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Abb. 1. Föhnstimmung bei Thalwil. Der Föhn hat vor der Glärniscbgruppe ein «Föhnfenster» erzeugt, über dem Zürichsee lagert an den Nebelstreifen erkennbare Kaltluft (Photo Gaberell, Thalwil).

überall ein Südwind: In Luzern und in Unterwalden weht zwar der «Haslifön» aus südöstlicher Richtung, aber im Kanton Bern, im luzernischen Entlebuch und in Teilen von Graubünden ist der «Heiterfön» ein helle Witterung herbeiführender Nordostwind und in der March der «Westfön» ein Westwind. In der Innerschweiz und im Kanton Glarus unterscheidet man den

südlichen «Heiterfön» vom «Timmerfön», der die Luft trübt und Regen mitbringt. Es würde zu weit führen, wollten wir auch noch andere lokale Bezeichnungen erwähnen, wie z.B. die im Grindelwaldtal übliche, wo, je nachdem ob der Föhn-wind über die kleine Scheidegg oder die Gletscherlücke oder das Lauteraarjoch einfällt, vom «Eigerföhn», «Viescherföhn» oder «Gletscherföhn» gesprochen wird2.

Im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts mehren sich die literarischen Zeugnisse über die Föhnwinde. Schon der zürcherische Naturforscher J. J. Scheuchzer hat in seinen «Schweizerreisen» immer wieder auf «die warme Fön oder Mittag-Wind» hingewiesen, die oft in sturmartiger Form auftrete. «Ja es wehet allhier die Fön oder

Mittagwind zu Zeiten so ungestüm, dass sich alsdann niemand auf die See wagen darf, und man in dem Flecken Altdorf selbst,

aus Obrigkeitlichem Befehl mit dem Feuer, welches zur Kochung der Speisen angezündet werden soll, sehr vorsichtig

umzugehen hat». (4. Bergreise des Jahres 1705)3. An anderer Stelle beschreibt J. J. Scheuchzer «den starcken Fön -Wind, der im

Oktober und November des 1705ten Jahres unsere Lande mit grossem erfolgendem Schaden durchwehet»: «Um die Mitte des

Oktober hielte in den hohen Gebirgen und Tälern viel Tage nacheinander ein ungemein starcker und warmer Fön- oder Mittag-

Wind an, welcher im Glarnerland, Pündten, Urnerland und Livinertal sehr viele Dächer beschädigt, auch an hohen Orten ganz

weggetragen... Auf diesen warmen und ungestümen Fönwind... ist ein sehr starckes Regenwetter erfolget, und hat der Schnee

aufs neue in den hohen Gebirgen zu schmeltzen angefangen, so dass theils von dem Regen, theils von dem geschmolzenen

Schnee alle Wasser stark angeloffen, und hie und da merklichen Schaden verursachet». Scheuchzer erwähnt neben Wasser-

schaden im Kanton Glarus starke Überschwemmungen in der Poebene4. Auch in Fr. J. Hugis «Naturhistorische Alpenreise» wird der Föhn des Haslitales mehrfach5 als ein

stürmischer Wind erwähnt, von dem man glaube, dass er von Italien herkomme. Dr. Oswald Heer unterschied in seiner gemeinsam mit J. J. Blumer-Heer in der Sammlung «Gemälde der Schweiz» 1846 veröffentlichten Beschreibung des Kantons Glarus6 den zahmen Fön oder Föhnenluft, den Dimmerföhn und den wilden Föhn: «Diese Föhnstürme sind am heftigsten im Hinterland, ja nicht selten ist in Glarus zu

gleicher Zeit Windstille oder Nordwind, während im Sernftal und Linthal der Föhn die Täler durchheult; doch dringt er heftig bis

ins Haupttal, bis Glarus, Mollis und auch weiter vor, sehr selten dagegen bis nach Zürich herunter, wo er übrigens seine

Heftigkeit grösstenteils verloren hat... Der wilde Föhn erscheint auch im Hinterlande glücklicherweise im Durchschnitt nur 10-12

mal im Jahr... Noch sel-.

2 Am obern Genfersee heisst der Föhnwind «Vent du Valais» oder auch «Vaudaire» (abgeleitet von vallesaria Walliserwind) 3 Im Bericht über die 5. Bergreise erwähnt J. J. Scheuchzer den Zuger «Wetterföhn», der sehr schwere Ungewitter errege. Im Rheinwald bringe der Mittagwind das Heu nicht zum Trocknen, wohl aber im benachbarten, tiefer liegenden Scharus: «Im Rheinwalde, einem Thal in Pündten, . . . hat der Mittagwind, welchen die Einwohner den Welschen See-Wind nennen, diese verwunderliche Eigenschaft, dass er das Heu, welches sonst Dürre halber eingesammelt werden könnte, gantz feucht und weich machet, dass man es muss liegen lassen, obgleich sonsten der Himmel hell...; da man hingegen an andern Orten unter dieses Fön-Windes Regierung das beste und dürrste Heu machen kann, als in der Schamser Landschaft, welche nicht weit von dem Rheinwalder Thal, aber tiefer liegt.» («Helv. Hist. Nat.», S.225.) 4 «Helv. Hist. Nat.», S.215ff. 5 Solothurn 1830. z. B. S.145 oder S.240. 6 Wir sind auf das schöne, aber bibliographisch selten gewordene Werk von Dr. Osw. Heer durch Dr. Streiff-Becker aufmerksam gemacht worden, wofür wir auch an dieser Stelle danken möchten.

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- 5 - tener ist aber der Dimmerföhn. Die Temperatur ist dann auch in der Höhe schon am Morgen schwül, die Berge sind ganz blau beleuchtet, über alles Land ist ein feiner blasser Nebelschleier gezogen...»7 Die klassische, ins Bewusstsein breiter Volksschichten übergegangene Schil-derung des Föhns, stammt aus der Feder von Friedrich Tschudy. In seinem «Thierleben der Alpenwelt»8 bot er eine farbenreiche Beschreibung der Eigen-schaften und Wirkungen der Föhnwin-de: «Im ganzen Bergrevier der Schweiz ist mit Ausnahme weniger Gebiete kein Wind bekannter und von grossartigerer Wirkung als der F ö n, im Tessin F o g n genannt. Er ist nicht ein Lokal- sondern ein allgemeiner, europäischer oder vielmehr afrikanischer Wind. Wie die Quellen des kalten Nordwindes wahrscheinlich die Polareisgebiete, die der feuchten, regenbring-

Abb. 2. Föhnwolken am Wetterhorn (Photo K. Egli, Zürich.)

enden Westwinde der Atlantische Ozean, so sind die der oft glühend heissen Südwinde (Fön) die brennenden Sandwüsten Afrikas ... Die atmosphärischen Erscheinungen die ihn begleiten, sind sehr hübsch. Am südlichen Horizont zeigt sich leichtes, sehr buntes Schleiergewölke, das sich an die Bergspitzen setzt. Die Sonne geht am stark geröteten Himmel bleich und glanzlos unter. Noch lange glühen die Wolken in den lebhaften Purpurtinten. Die Nacht bleibt schwül, taulos, von einzelnen kälteren Luftströmen strichförmig durchzogen. Der Mond hat einen rötlichen, trüben Hof. Die Luft erhält den höchsten Grad von Klarheit und Durchsichtigkeit, sodass die Gebirge viel näher erscheinen; der Hintergrund nimmt bläulich violette Färbung an. Von fernher tönt das Rauschen der obern Wälder; die Bergbäche tosen mit grösserer Schmelzwasserfülle weithin durch die stille Nacht; ein unruhiges Leben scheint überall rege zu werden und dem Tale sich zu nähern. Mit einigen heftigen Stössen, die besonders im Winter, wo er ungeheure Schneefelder bestreicht, erst kalt und rauh sind, kündet sich der angelangte Fön an, worauf plötzlich tiefe Stille der Lüfte folgt. Umso heftiger brechen die folgenden heissen Fönfluten ins Tal und schwellen oft zu rasenden Orkanen auf, die zwei bis drei Tage mit abwechselnder Gewalt die Region beherrschen, die ganze Natur in unendlichen Aufruhr versetzen, Bäume in die Tiefe schleudern, Felsstücke losreissen, die Waldbäche auffüllen, Häuser und Ställe abdecken und zum Schrecken des Landes werden. In den Talteilen, die der südlichen Bergmauer zunächst liegen, wütet er gewöhnlich am heftigsten, denn dort brechen die warmen Luftfluten am regellosesten und gewaltigsten herein. Auch die tierischen Organismen leiden unter dem Einfluss dieses Windes... Unruhig ziehen die Gemsen sich auf die Nordseite des Berges oder in tiefe Felsenkessel. Kühe, Pferde, Ziegen suchen mit Missbehagen nach frischer Luft, während der Fön ihnen Rachen und Lunge austrocknet. Kein Vogel ist im Wald und Feld zu erblicken. Die Menschen teilen das allgemeine Unbehagen, das beengend auf Nerven und Sehnen wirkt und dem Gemüte eine lastende Bangigkeit aufdrängt Gleichzeitig wird sorgsam das Feuer des Herdes oder Ofens gelöscht. In vielen Tälern ziehen die «Feuerwachen» rasch von Haus zu Haus, um sich von jedem Auslöschen zu überzeugen, da bei der Ausdörrung alles Holzwerkes durch den Wind ein einziger verwahrloster Funke grosses Brandunglück stiften kann. Und doch, trotzdem dass der Fön gefährlicher als jeder andere Wind des Gebirges ist, wird er im Frühling mit Freuden begrüsst. . . Er ist der rechte Lenzbote und wirkt in 24 Stunden so viel, als die Sonne in 14 Tagen Oft aber, besonders im Herbste und Vor-frühling, herrscht dieser Wochen lang milde in den höhern Alpen mit dem schönsten Wetter, während die Talregionen wenig Nordwind oder gar keinen Luftzug haben. Daher die wunderbare Erscheinung, dass oft im Dezember und Januar. . - die obere Bergregion klare Luft und herrlichen Sonnenschein hat, während die Täler bis zu einer gewissen, genau abgegrenzten Höhe heran von einem kompakten, bald ruhigen, bald wallenden Nebelmeer überflutet sind, aus dem wunderbar schön und klar die einzelnen Berggipfel und Rücken hervortauchen. Erhebt sich nun der Nordwind, so räumt er rasch den ganzen Apparat des grossartigen Schauspiels weg, rollt die meilenlangen Nebelteppiche auf und wirft sie über die Berge. Die ganze Landschaft wird transparent, trocken, kalt. Oder häufiger noch verdichtet er die vom Fön unsichtbar gesammelten Wasserdünste in der Höhe, hängt sie an das leichte Schleiergewölk, bedeckt dann mit Macht den Horizont, wirft an alle Berge rasch hinziehende Nebelstreifen und sendet Regen oder Schnee zu Tal.» Besonders tief prägte sich der Föhn in das Bewusstsein der Bevölkerung durch die verheerenden B r ä n d e ein, welche immer wieder kleinere oder grössere Ortschaften erfassten. Am

7 Dr. O. Heer J. J. Blumer-Heer, «Der Kanton Glarus», 1846.S. 96/97ff. 8 2. verbesserte Auflage. Leipzig 1854. S.20/23.

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- 6 - 2. September 1838 brannte im Appenzellerland Heiden während eines Föhnsturmes nieder. In der Nacht vom 10. zum 11. Mai 1861 wurde Glarus das Opfer einer Brandkatastrophe, die über 3000 Einwohner obdachlos machte. Meiringen wurde am 10. Februar 1879 und am 25. Oktober 1891 von grösseren Brandkatastrophen heimgesucht. Am 5. April 1887 wurden in der St. Galler Gemeinde Rüthi 93 Gebäude während eines Föhnsturmes eingeäschert. Möglicherweise steht auch der Brand von Frauenfeld vom 3. Juli 1771 mit einem Föhnsturm im Zusammenhang (es wurden damals 64 Wohnhäuser vom Brande verzehrt, 60 Häuser beschädigt und nur 48 Häuser blieben verschont). In vielen Dörfern der Föhntäler sind seit altersher strenge Massnahmen zum Schutze vor der Brandgefahr eingeführt worden. In einer anschaulichen Plauderei berichtete kürzlich im Studio Zürich L. Gantenbein-Alder von Rans-Sevelen im Kanton St. Gallen Über den Windschutz im Werdenbergischen. Die nachts aufgebotene Windwache ist nicht überall gleich organisiert. In der einen Gemeinde muß einfach die feuerwehrpflichtige Mannschaft, ob sie nun Feuerwehrdienst macht oder Feuerwehrsteuer bezahlt, ab-wechslungsweise auf die Windwacht. Die grösseren Dörfer werden auf Patrouillen aufgeteilt. Die Pa-trouillen werden ihrerseits von höheren Feuerwehroffizieren wiederum durch Rundgänge kontrolliert. Im Feuerwehrlokal ist alles Gerät alarmbereit. In anderen Dörfern muss jedes Haus eine besondere Wind-wache stellen. Ist kein Mann im Haus, so muss gegen eine Entschädigung von ein paar Franken irgendein besonderer Windwächter gestellt werden.»Dr Bronn vu Glarus isch viellecht dr gröescht gsi, wo me no mog dengge, us üserer Geget ischt Ruthi emol ganz verbrunne am End vum letzschte Johrhunnert, Sevele zume gröesse Teil anno 91, en Teil vu Gretschins vor e paar Jobre i dr Sylveschternacht und s'göb no viel meäh ufzzahle, i globe nid, ass en einzigs Dorf im Pföegebiet nid e paar groessi Bränn heI müesse dorimache...» Im Sonntagsblatt der «N.Z.Z» vom 10. Mai 1936 veröffentlichte Kaspar Freuler eine anschauliche Schil-derung des «Grossen Brandes von Glarus», der wir einige Stellen entnehmen: «Die paar alten Zürcher, die von ihrem Abendschoppen in der «Waag» heimkehrend, geruhsam und vielleicht noch ein wenig politisierend, über den Münsterplatz ihrem Hause zuwandelten, mögen nicht wenig erschrocken gewesen sein, als sie von der Helmbrücke aus den Himmel über den Bergen im Süden in rotem Schein strahlen sahen... Andern Tags, am Samstagmorgen, wusste man: der Flecken Glarus ist abgebrannt... Der Föhn war schuld, wie schon so oft. 1299 hatte er in die Flammen geblasen, die das kleine Dorf der Geissbauern und Holzer und Fischer zu Asche verbrannten; kaum hatten die Väter es wieder mit Mühe und Not aufgebaut, erschreckte er 1337 wieder die Söhne mit Feuer und Flammen. Dann trieb er ein gutes Jahrhundert lang sein Unwesen anderswo, bis es ihm 1477 aufs Neue gelang, den inzwischen stattlich herangewachsenen Flecken zu überrumpeln und um ein paar Dutzend Häuser zu bringen. Kein Wunder denn, dass der Glarner dem unruhigen Gesellen, der so warm und freundlich durch das Tal gestrichen kommt, von ganzem Herzen misstraute. Längst wurden Wachen aufgestellt, zu Feuer und Licht wurde doppelt Sorge getragen und mit allerlei strengen Vorschriften ward versucht, dem «ältesten Glarner» seine Mucken auszutreiben. Er liess es sich auch gefallen, rumorte verärgert um 1713 in dem Dörfchen Sool und schielte mit glühenden Augen hinunter in den grossen Marktflecken an der Linth. Dort hatte man sich angewöhnt, ihn von oben herab zu behandeln; man hatte eine tüchtige Feuerwehr, ein Hundert festgebauter Steinhäuser, Schieferhäuser und was so der feuerfesten Dinge mehr sind. An der Landsgemeinde, 24 Stunden vor dem Brand, hatten denn auch die Fabrikherren lose über den alten Spitzbuben gespottet und mildere Vorschriften für ihre Dampfmaschinen gefordert. Aber der «Ring» der Sechstausend war nicht ihrer Meinung... Dem Föhn ist nicht zu trauen, hiess es. Am Tage darauf, einem Freitag, war er aus den Höhen in die Tiefe gebraust, hatte in den Tannenwäldern georgelt und die Berg-wasser über den Felswänden zu feinen Schleiern zersprühen lassen. Beim Abendläuten wirbelte er den Strassenstaub haushoch in die Luft... Droben im neuen Gesellschaftshaus traten im Rampenlicht Marquis Posa und Don Carlos, Arm in Arm vor ihr Jahrhundert... bis zu den letzten Worten des Spaniers die Saaltüren aufgerissen wurden und Männer, ausser Atem, nur den einzigen Schrei heraus-stossen konnten: Fürio! Und schon fing die helle Sturmglocke an zu läuten. Unten am Landsgemeindeplatz, kein Mensch ist je inne geworden, aus welchen Gründen, war eine Flamme aufgelodert, eine steile, rotgoldene Säule, die im nächsten Augenblick schon vom Föhn niedergedrückt wurde und als feurige Decke aus sprüh-ender Glut sich über Platz und Gassen warf... Doch Mensch und Maschinen sind im Kampf. Landauf und landab gellen seit zehn Uhr die Feuerglocken, und wo Männer und Spritzen sind und ein halbes Dutzend Pferde, da sprengt eine Mannschaft um die andere über Landstrassen und Feldwege, dem Riesenfeuer zu. Doch der Kampf ist ungleich. Dem Feuer hilft der Sturm mit wütender Stärke. Mit immer neuer Wut - man muss diese Föhnnächte in den Glarner -Alpen kennen! - wirft sich der Föhn, eins mit dem Feuer, in die dürren Heustadel, auf die geschindelten Häuser, wirft Garben von Heu und Schindeln durch die Nacht, trägt brennende Tuchballen und Papier hoch in die Luft, lässt sie in einem toten Atemzug niederfallen, irgendwo in einen Stadel, in ein Bauernheim, wohin sich Dutzende mit wenig Habe schon ge-

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- 7 - fluchtet haben, oder in die stillem Höfe alter Bürgerhäuser, wo man zitternd um Koffern und Truhen steht und mit Eimern ver-sucht, dem Unglück zu wehren. Umsonst… «Grosser Gott! Welch ein Anblick !» schreibt ein Augenzeuge. «Der ganze Ort ein Feuerkessel, aus dem Lohen emporschlagen, sprühen, prasseln, mitten drin die braunrote Flamme des Turms und seines eichenen Balkenwerks Wie die Wogen des Meeres ergreift der Sturm das Feuer und lässt fliegenden Staub als rotes Gestöber hinunterstürzen. Auf den Alpen hüben und drüben glitzert der Glust des Feuers in den Fenstern der Berghütten, mehr als taghell erleuchtet stehen die Berge da, ungeheuer gross, der Schilt in weisser Glut, der Glärnisch wie eine Pyramide aus glühenden Wänden und Pfeilern». Neue Hilfe kommt. Von Weesen, von Uznach, von Sargans, von Ragaz, spät noch von Chur und den obern Rheintaldörfern. Mit glühenden Kesseln wagt der Führer des Rapperswiler Hilfszuges eine Fahrt auf Leben und Tod... Unbarmherzig riss das Feuer alles mit sich, was in der Sud-Nordrichtung lag... Fünfhundert Häuser lagen ,in Schutt und Asche. Mit ihnen beinahe alles, was seit Jahrhunderten fleissige Hände an Kunst und Wissenschaft gewirkt und gesammelt hatten; was dem Rechte und der Geschichte heilig war, Pergamente, Briefe, Bücher, dazu die alten Panner aus siegreichen Schlachten, die «goldene Trucke» mit den Reliquien des heiligen Fridolin; aber auch Vieh und Ross und Wagen... Dreitausend Menschen sind in dieser Nacht obdachlos geworden. Ihrer fünf sind selbst zu Opfern geworden... Wie die Sonne aufging, schwelten über dem zerstampften Kirchhof die hölzernen Kreuze der Generationen, die seit alten Zeiten die eben untergegangene Welt gründen halfen. Flackernde Kerzen einer schauerlichen Totenmesse».

2. KAPITEL

Aus der Geschichte der Föhntheorie

Von einer besonderen Föhntheorie kann erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gesprochen werden. Zwar hat schon J. J. Scheuchzer angenommen, der warme Föhnwind stamme aus der Türkei, aus Arabien, Per-sien und Indien. Die grosse Gewalt der Föhnstürme versuchte Scheuchzer durch den gebirgigen Charakter der Schweiz zu erklären9. In Fluss kam aber die Föhndiskussion erst, als nach dem gesicherten Nachweis der Eiszeit Escher v. d. Linth und O. Heer10 die Meinung verfochten, der Föhn habe als Saharawind gegen Ende der Eiszeit eine so grosse Schmelze der Gletscher herbeigeführt, dass sich diese aus dem schweize-rischen Mittelland in die Alpentäler zurückgezogen hätten. Dieser Ansicht schloss sich nach einer Expe-dition mit Martins und Escher v. d. Linth in die Sahara vom Jahre 1863 (wobei weit verbreitete fossile Reste von Muscheln, die jetzt noch im Mittelmeer vorkommen, gefunden wurden), nicht nur der Neuen-burger Forscher Desor11 an, sondern auch der Engländer Ch. Lyell pflichtete den Schweizern bei. Dagegen glaubte der Berliner Meteorologe Dove12, zufolge der Erddrehung müsste ein nord-ostwärts stürmender Saharawind nach Kleinasien abgelenkt werden, weshalb es sich bei den Föhnwinden um warmfeuchte, maritime Luft aus Westindien handeln müsse. Dove wies nach, dass die Föhnwinde auf der Süd- und Westseite der Alpen oft starke Regen- oder Schneefälle mit sich brachten, es sich also keines-wegs um trockene Wüstenluft handeln könne. Dove scheint schon 185213 die Möglichkeit angedeutet zu haben, ein feuchter Wind könne beim Übergang über ein Gebirge warm und trocken werden. Diesen ent-scheidenden Grundgedanken sprach

9 «Hiervon ist leicht zu erfassen, wenn unser vorhabende Föhn vielleicht in ihrem Zug über das Mittelländ. Meer und ebnere Länder Italiens gemach einher gefahren, hat aber in unseren zwischen hohen Bergen eingeschlossenen Helvetischen Thälern diejenige Gewalt bekommen, welche die vorhanden gewesenen Dünste in Regen verwandelt, die Dächer abgedeckt, Häuser, Ställe und Bäume umgeworfen und anderen Schaden zugefüget.» («Helv. Hist. Nat.,» S.216.> 10 O. Heer und A. Escher v. d. Linth: «Zwei geolog. Vorträge.» 1852. 11 «Die Beziehungen des Föhns zur afrikanischen Wüste.» 1865. 12 «Ueber den Föhn.» Vierteljahrsschrift N. G. Zürich 1865. 13 H. W. Dove, «Ueber den Föhn». (Aus einem durch A. Escher der Naturforschenden Gesellschaft vorgelegten Briefe von Dove an Desor vom 2. Jan. 1865. Vierteljahrsschrift der Nat. Ges. Zürich 1865. S.8.) H. W. Dove, «Ueber Eiszeit, Föhn und Scirocco». Berlin 1867.

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- 8 -

Dove

Sahara

Scheuchzer

Abb. 3 Altere Föhntheorien. grün: Richtung der Föhnwinde nach J. J. Scheuchzer. blau: Richtung der Föhnwinde nach der Saharatheorie. rot: Richtung der Föhnwinde nach Dove.

aber in aller Klarheit unter den Meteorologen erstmals J. Hann14, im Jahre 1866 in einer in der «Zeitschrift der österr. Gesellschaft für Meteorologie» erschienenen Arbeit «Zur Frage über den Ursprung des Föhns» aus. Hann hebt hervor, auch Grönland habe seinen Föhn. In Westgrönland könne aber der aus Osten oder Südosten wehende warme, den Schnee schnell schmelzende Wind nicht auf einen warmen Kontinent als Ursprungsland zurückgeführt werden. In der Note «Mousson über den Ursprung des Föhns» schreibt Hann: «. .. im Winter ist die Sahara eben kein Wärmezentrum... Die Äquatorial Luft besitzt in der luftverdünnten Höhe keineswegs schon die hohe Temperatur, die sie später an der Erdoberfläche zeigt, und beim Herabsteigen in die Tiefe, wo sie unter einen höheren Druck kommt, tritt nach bekannten physikalischen Gesetzen durch Volumenverkleinerung Erwärmung ein... Übrigens muss der feuchte Südwest auch beim Übersteigen der Alpen an deren Südhängen einen grossen Teil seines Wasserdampfes durch Niederschläge verlieren. Es ist daher recht wohl möglich, dass der Südwest als Föhn bald trocken, bald wieder feucht erscheint ...»15

Im folgenden Jahre weist Hann auf das Auftreten föhnartiger Winde «am Steilabsturz des Elbrusgebirges zur kaspischen Depression» und in den österreichischen Alpen hin16. In Bludenz weht der Föhnwind nach den Beobachtungen Hann's der Talrichtung entsprechend von Südosten nach Nordwesten bei gleich-zeitigem Wolkenzug aus Süden oder Südwesten. An ausgesprochenen Föhntagen (z.B. 16. Feb. 1867) mit Windstärke 5-6 stieg die Temperatur auf 11,6° über das Monatsmittel, sank die relative Feuchtigkeit auf 24,5 % (37,2 % unter dem Mittel). Hann stellt fest, auf der Südseite der Alpen fehle der warme trockene Wind. Dort herrsche aber hoher Luftdruck. «Die relative Trockenheit und übermässig hohe Wärme des Luftstromes ist ein locales Phänomen, im Gebirge erzeugt... So wie ein warmer feuchter Wind über ein hohes Gebirge hinüberweht, muss er alle Feuchtigkeit einbüssen, die über den Sättigungspunkt bei seiner grössten Temperaturerniedrigung in der Höhe hinausgeht. Wenn er nun jenseits ins Thal sinkt, steigt zwar wieder seine Temperatur, aber zugleich damit seine relative Trockenheit.» A. Mühry zeigte zur gleichen Zeit17 durch Zusammenstellung der Messungen der relativen Feuchtigkeit der neu errichteten schweizerischen meteorologischen Stationen, dass der Föhn ein sehr trockener Wind ist. Er prägte den Begriff des «Windfalles»18 eine nicht ganz geschickte Vorwegnahme des heute ge-bräuchlicheren Ausdruckes «Fallwind». Der Rektor der Berner Universität, H. Wild, stellte sich in seinen im Jahre 1868 erschienenen Schriften19

auf den Standpunkt der Hann'schen Föhntheorie und lehnte Dove's Theorie ab, was zu einer hitzigen und nicht immer erfreulichen Diskussion20 mit Dove führte. Dove vermutete auf Grund seiner Theorie, die schweizerischen Wetterbeobachter stellten nur irrtümlicherweise eine besonders hohe relative Trocken-heit während Föhnstürmen fest. Nach und nach setzte sich aber doch die von Hann in seinem 1885 veröffentlichten zusam-

14 J. Hann erwähnte 1868 (Zeitschr. d. österr. Ges. f. Met., S.293), dass schon 1865 unabhängig von ihm H. Helmholtz («Ueber Eis und Gletscher») und der englische Physiker Tyndall eine physikalische Theorie des Föhns aufgestellt haben, die mit der Hann'schen Theorie übereinstimmt. Helmholtz sagte u. a.: «Derselbe Luftstrom, der in den Ebenen diesseits und jenseits der Gebirge warm ist, ist schneidend kalt auf der Höhe und kann dort Schnee absetzen, während wir ihn in der Ebene unerträglich heiss finden.» 15 Zeitschr. d. österr. Ges. f. Met., 1866, S.261/62. 16 Zeitschr. d. österr. Ges. f. Met., 1867. «Mousson über den Ursprung des Föhns», S.158. «Föhn in den österr. Alpen», S.433. 17 Zeitschr. d. österr. Ges. f. Met., 1867. «Ueber den Föhnwind», S.385. Ebenda 1868 «Kartenskizze eines Föhnwindes», S.363. 18 «Der Föhn ist ein Windfall . . . ähnlich einem Wasserfall, welcher dann in den . . . Windschatten zurückgezogen wird. . .» (l. c. S.386). 19 H. Wild, «Ueber Föhn und Eiszeit» (Rektoratsrede 15. Nov. 1867, veröffentlicht in der Zeitschrift für schweizerische Statistik. Bern 1868). 20 H. W. Dove, «Der Schweizer Fön. Nachtrag zu Eiszeit, Fön und Scirocco». 1868. H. Wild, «Der Schweizer Föhn». Entgegnung auf Dove's gleichnamige Schrift und Nachtrag zu «Föhn und Eiszeit». Zeitschr. f. schweiz. Stat., Bern 1868. Dove versuchte gegenüber Hann Prioritätsansprüche zu erheben, die aber von den Fachgenossen nicht anerkannt wurden. Hann betont in seinem Referatbericht: «Dass Dove's ganz unphysikalische Theorien lange Zeit hindurch den Fortschritt der Meteorologie aufgehalten haben, dürfte kaum bestritten werden können.» (l. c. S.396.)

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- 9 - menfassenden Referat21 als «physika-lische Föhntheorie» bezeichnete Lehre durch22. (Desor nannte die Theorie Hann's aber noch 10 Jahre nach Erscheinen der ersten Arbeiten Hann's eine Schultheorie.) Wild ge-bührt das Verdienst, auf den Nordföhn der südlichen Alpentäler aufmerksam gemacht zu haben. Die Entdeckung des Nordföhns stellte die «allgemeine Natur der Föhnerscheinungen» sicher und zeigte, dass sie «ihre Entstehung in den Gebirgen selbst haben müssen»23 Wild glaubte allerdings, das

Abb. 4. Hygrogramm des Kollegiums Altdorf vom 12.-19. November 1934. Während einer Woche bricht die Föhnströmung viermal in Altdorf ein, einige Male nur für wenige Stunden.

Fallen der Föhnwinde durch eine Art Saugwirkung24 der über den Alpenkamm streichenden Südstürme erklären zu müssen. Hann griff noch im gleichen Jahre wie Wild den Gedanken des Nordföhns25 auf. Er konnte zeigen, dass bei Nordföhn auf der Südseite der Alpen die Temperaturzunahme manchmal fast 10 pro 100 m Abstieg beträgt, während sich auf der Nordseite, wo die feuchte Luft aufsteigt, die Temperaturabnahme pro 100 m Aufstieg nur auf etwa ½° beläuft und dass sich bei Südföhn auf der Nordseite das Verhältnis gerade um-kehrt. 1882 beschäftigte sich Hann mit der Frage26, weshalb nördlich der Alpen der Föhn oft schon auch dann auftrete, bevor auf der Südseite die Niederschläge eingesetzt haben. Die Erklärung fand Hann in der Temperaturschichtung der Atmosphäre vor dem Ausbruch des Föhns: die oberen Luftschichten sind in diesen Fällen als Folge früherer Kondensationsvorgänge relativ wärmer. «Werden später bei Fortdauer des Föhns die weiter zurückliegenden Luftmassen auch in die Bewegung mit hineingezogen, dann beginnt der Niederschlag auf der Südseite...» 27 Drei Jahre später durfte J. Hann in seinem zusammenfassenden Referat28 die allgemeine Anerkennung der «physikalischen Föhntheorie» durch die Fachgenossen feststellen. Die grundlegenden Züge der Föhntheorie lagen fest. Hann schloss seinen Referat-Aufsatz mit dem nachstehenden, auch heute noch Geltung besitzenden Hinweis28: «Aus dem Angeführten dürfte hervorgehen, dass es bei der Aufstellung der Föhntheorie ganz ähnlich zu-

21 J. Hann, «Einige Bemerkungen zur Entwicklungsgeschichte der Ansichten über den Ursprung des Föhns» (Deutsche Meteorolog. Zeitschrift, 1885). In diesem Aufsatz macht Hann übrigens darauf aufmerksam, dass der amerikanische Meteorologe James P. Espy 1857 und sogar schon 1841 («Philosophy of storms») die Grundgedanken der physikalischen Föhn-theorie, wenn auch nicht dem Namen, so doch der Sache nach entwickelt habe: The theory, also, Would indicate that during the great rains that take place north of the head of the Golf of Venice, and south of the Carnic Alps, there would be felt on the north shore of these Alps a very hot, dry wind, such as the sirocco is described to be». Nach J. Hann war «übrigens der schweizerische Naturforscher Ebel zu Anfang dieses Jahrhunderts selbst schon auf der richtigen Fährte zu der wahren Föhntheorie». 22 Die schöne Arbeit des Lausanner Professors M. L. Duroun: «Recherches sur le Foehn du 23 Septembre 1866 en Suisse» (Bull. soc. vaud. scienc. nat., Lausanne 1868) steht auf dem Boden der Hann-Wild'schen Theorie und gibt eine treffliche Schilderung eines Föhnsturmes in der Westschweiz. 23 J. Hann, «Einige Bemerkungen zur Entwicklungsgeschichte der Ansichten über den Ursprung des Föhns», 1885, 1. c. S.398. 24 In einem oben offen, sonst aber geschlossenen Raum werde «die Luft jedesmal verdünnt, wenn ein kräftiger Luftstrom über den Rand der Oeffnung» hinwegstreiche. Dies geschehe auch mit der «in unsern inneren Alpentälern stets mehr oder minder abgeschlossenen Luft, wenn ein heftiger Luftstrom über die einschliessenden Gebirge» hinbrause. «Die Folge davon ist aber, dass dieser Luftstrom in den durch die entgegenstehende Gebirgswand vor ihm geschützten Raum hinein aspiriert wird und nach und nach in das Tal hinuntersteigt.» «Ueber Föhn und Eiszeit», S.28. 25 J. Hann, Zeitschr. d. österr Ges. f. Met., 1868, III. Bd. «Der Scirocco der Südalpen.» 26 J. Hann, «Der Föhn in Bludenz». Sitzungsberichte der Wiener Akademie, 1882. 27 «Einige Bemerkungen usf.», l. c. S.398. 28 l.c. S.399.

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Abb. 5. Föhnsturm am 20. Mai 1937. Am Nachmittag des 20. Mai regnete es im Tessin, während in Altdorf ausge-sprochener Föhnsturm wütete.

gegangen ist, wie bei der Auffindung der wahren Ursa-chen der meisten Naturerscheinungen. Die richtigen Ideen waren lange schon vorhanden bei verschiedenen Naturforschern, sie konnten aber nicht zur allgemeinen Geltung und Anerkennung gelangen, bis nicht der allge-meine Fortschritt der betreffenden Disciplin so weit ge-diehen war, dass diese Ideen einen fruchtbaren Boden zur Weiterentwicklung finden konnten, und bis nicht die Kenntnisse der Thatsachen selbst, d. i. die auf das Phäno-men bezüglichen Beobachtungen, zahlreich und gründ-

lich genug waren, um die Theorie aus denselben so eingehend zu prüfen, dass alle anderen Hypothesen ausgeschlos-sen werden konnten, und die als Ausfluss der Theorie vorhergesagten Erscheinungen in der That an der bestimmten Örtlichkeit und in der angezeigten Weise vorgefunden waren.» Um unsere Darstellung der Geschichte der Föhntheorie nicht unnötigerweise mit Einzelheiten zu belasten, beschränken wir uns auch im folgenden bloss auf die wichtigsten Daten. Im übrigen verweisen wir auf die bemerkenswerte Studie von Prof. O. Leemann in der «Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft Zürich» 1937 über das gleiche Thema, die in vielen Punkten unsere knappen Hinweise wertvoll ergänzt, allerdings nur bis zum Jahre 1913 reicht, weshalb wir in diesem und im 7. Kapitel auch noch die föhntheoretischen Arbeiten der letzten Jahre berücksichtigen werden. Als grundlegendes Ergebnis der Diskussion der physikalischen Föhntheorie steht um das Jahr 1890 fest: Der Föhnwind erhält seine auffallenden Eigenschaften der relativ hohen Wärme und Trockenheit durch das Niedersinken von Luftmassen ins Tal, welche früher beim Aufstieg den grössten Teil ihres Wasser-dampfes verloren haben. Mit anderen Worten, die beim Niedersinken als Wärme freiwerdende Energie, die sogenannte Kompressionswärrne ist gleich gross wie die beim Aufstieg durch Expansion verbrauchte Arbeit, aber die spezifische Wärme von trockener Luft ist geringer als jene von feuchter Luft, wodurch sich zwanglos die höhere Temperatur der herabgesunkenen Luft und ihre hohe relative Trockenheit29 er-geben. Seit der Formulierung der physikalischen Föhntheorie durch J. Hann ist die meteorologische Beobachtung immer wieder auf neue Föhngebiete aufmerksam geworden, d.h. «Jeder Gebirgszug, zu dessen beiden Seiten sich zeitweise erhebliche Luftdruckdifferenzen ausbilden, weist Föhnerscheinungen auf30» Übersicht der wichtigsten Föhngebiete. In der Schweiz hat man zwei Hauptföhngebiete zu unterscheiden, das Gebiet des Südföhns nördlich der Alpenkette und das südlich des Alpenkammes gelegene Gebiet des Nordföhns. Am häufigsten wird der Föhn im Gebiet der Zentralalpen beobachtet, seltener tritt er in den Ostalpen auf, keine entsprechenden Beobachtungen liegen aus dem Gebiet der Westalpen vor. Die Temperatursteigerung ist beim Südföhn wesentlich grösser als beim Nordföhn31, zum Teil wohl deshalb, weil auf der Südseite der Alpen im all-gemeinen die Temperatur höher ist, zum Teil weil die Wetterlage, welche Nordföhn zur Folge hat, kalte polare oder maritime Luftmassen über den Alpenkamm hinüberführt. Dann stauen sich am Nordrand der Alpen kalte Luftmassen, weshalb nach Peppler32 der klimatische Einfluss auch des Südföhns auf die mittlere Temperatur geringer ist, als zunächst erwartet werden könnte.

29 Die relative Feuchtigkeit ist eine Verhältniszahl, nämlich das Verhältnis der überhaupt in der Luft vorhandenen Feuchtigkeit (absolute Feuchtigkeit) zur überhaupt bei der betreffenden Temperatur möglichen Feuchtigkeit (Sättigungsmenge). Die Sätti-gungsmenge nimmt als Funktion mit der Temperatur zu, weshalb bei gleichbleibender absoluter Feuchtigkeit und steigender Temperatur die relative Feuchtigkeit abnehmen muss (relative Feuchtigkeit = absolute Feuchtigkeit / Sättigungsmenge) 30 Rob. Billwiller jun., «Der Bergeller Nordföhn», 1904, S.1. 31 l. c. S.5 ff. Siehe auch Perntner's Studien über den Insbrucker Föhn. Ebenso erwähnt Klein, dass in Tragöss der Nordföhn oft boraartigen Charakter habe. 32 Met. Zeitschr., 1926, S.375. «Zum Einfluss des Föhns auf die Mitteltemperatur im Alpenvorland.» «Föhn in den Ostalpen», Met. Zeitschr., 1913, S. 196. «Der Föhn in Salzburg» von Dr. O. Pollak. Referiert Met. Zeitschr., 1911, S.93.

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- 11 - Zu den ausgesprochenen Föhngebieten nördlich des Alpenkammes gehören das Val d'Entremont bis Martigny, das Rhonetal bis Bex, die Täler der Visp, der Kander, der Simme, der Saane, das Lütschinental, das Haslital bis Brienz, das Engelbergertal, das Reusstal, das Sernftal und das Linthtal bis zum Walensee einerseits und bis zum obern Zürichsee andererseits, das untere Toggenburg, das Rheintal vom Hinter-rhein und Medels bis zum Bodensee, nebst dem Tal von Bludenz und den Ausläufern des Alpsteingebir-ges. In den Ostalpen sind als Föhnorte ausser Bludenz vor allem Innsbruck und Salzburg bekannt gewor-den33. Nordföhn beobachtet man im Tessin, im Misox, im Bergell, im Puschlav, im Tal der Etsch, aber auch in einer Reihe anderer Orte des Ostalpengebietes34. Sogar im Gebiet des Jura sind föhnartige Er-scheinungen nicht selten: Nach Angaben von W. Strub in Basel tritt im Winter bei Nordwestwind auf der südöstlichen Seite des Jura helles Wetter auf, «sobald die Nullgradgrenze genügend tief herabgegangen ist, so dass die Nebeldecke des elsässischen Rheintales, die bei Nordwestwind auftritt, sich am Jura staut»35. Zweifellos dürften solche als Juraföhn zu bezeichnende Erscheinungen auch am Ostrand des Kettenjura bei Biel und Neuenburg zu beobachten sein. Doch sind uns aus der Durchsicht der Literatur keine diesbezüglichen Bemerkungen bekannt geworden. Der Vogesenföhn ist nach Peppler durch Hergesell und Schultheiss nachgewiesen worden. In Deutschland sind föhnartige Winde u. a. im Harz und im Thüringerwald, am Nordhang der Sudeten, im Riesengebirge, wie auch in der Eifel36 beobachtet worden. In Pau wurde der seltene Pyrenäenwind schon 1874 festgestellt37. Espy führte bereits 1841 in «Philosophy of Storms» die auf der Ostseite der Rocky Mountains im Nordwesten Canadas wehenden «Chinookwinde» als besondere Windart an. Hann hat - wie schon erwähnt - auf föhnartige Winde im Kaukasus am Elbrus und in Grönland38 hingewiesen. Hebert machte auf Föhnwinde des Alleghanygebirges (U.S.A.) aufmerksam. Interessant ist die Beobachtung von Landwinden mit föhnartigem Charakter auf den Kanarischen Inseln39, sowie der Nachweis von Föhnwin-den in Japan und Korea40, in Australien und Neuseeland. Auch in den polnischen Karpaten und in Sie-benbürgen beim Rothenturmpass sind Föhnerscheinungen beobachtet worden, ebenso im Rhodopegebirge in Bulgarien41. In den südlichen Teilen Norwegens und Schwedens herrscht, wenn es an der Westküste Norwegens regnet, meist heiteres und helles Wetter. Zweifellos werden sich in der Zukunft durch genaue Untersuchungen noch zahlreiche andere Föhngebiete nachweisen lassen42.

33 Föhnstürme im Salzkammergut und in Ischl siehe z. B. Met. Zeitschr., 1917, S.267 und 1919, S233. 34 z.B. «Der Nordföhn zu Tragöss» (in Obersteiermark) von Dr. Rob. Klein, 1900, Zeitschrift des deutschen und österr. Alpen-vereins. Nordwestföhn in Graz nach Czermak. Met. Zeitschr., 1903, S.35. 35 Briefliche Mitteilung vom S. VII. 1937. 36 Assmann 1885 in «Wetter»: Thüringerwald, Harz. Assmann ebendort 1886: Sudeten. Kremer 1890, 1896, 1899, 1900, Ab-handl. des preuss. Meteorol. Institutes: Riesengebirge. Kassner «Das Wetter», 1895: «Föhn im Riesengebirge». Treitsche 1892 (Thüringerwald). Dr. K. Joestes «Das Wetter», 1906: «Die Föhnerscheinungen im Riesengebirge». Met. Zeitschr., 1900, S.282: Eitel und Hoher Venn. 37 Piche, «Le coup de Scirocco du 1er sept. 1874», Pau 1876. Ebenso Zeitschr. d. österr. Ges. f. Met., 1876, S.304 und M. F. F. Hébert: «Etude sur les grands mouvements de l'atmosphère et sur les lois de formation et de translations des tourbillons». Compte rendu 1878. F. M. Exner. Met. Zeitschr., 1905, S.372. 38 Siehe auch «Klima und Föhn der Dänemark-Insel Scoresby-Sund». Woeikof, Met. Zeitschr., 1901, S.5. Helge Petersen über «Extrem hohe Temperaturen und Föhn in Grönland», Met. Zeitschr., 1934, S.289. Im Februar 1895 stieg in Upernisik die Temperatur bis auf über 15°. M. Herrmann beschreibt, Met. Zeitschr., 1933, S.472, die Ausbildung einer Föhnlücke an der Westküste der Bäreninsel mit einer fast das Meeresniveau erreichenden «Föhnmauer». 39 H. Hergesell, Met. Zeitschr., 1908, S.556. Die Temperatur sprang am 6. August 1904 zeitweise von 24 auf 42 Grad, die relative Feuchtigkeit sank von 67 auf 12 %. 40 T. Okoda, Met. Zeitschr., 1902, S.340; Met. Zeitschr., 1908, S.88. 41 C. Kassner, Met. Zeitschr., 1912, S.478. 42 Siehe z. B. Met. Zeitschr., 1932, S.254; Met Zeitschr., 1921, S.121 (Föhnwinde in Mexiko); Met Zeitschr., 1932, S.201 (Almwind des Tatragebirges); Met. Zeitschr., 1926, S.33 (Krimföhn mit bloss 8 % relativer Feuchtigkeit); Dr. W. Schmidt, «Föhnerscheinungen und Föhngebiete», Innsbruck 1930.

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- 12 - 1899 prägte R. Billwiller43 sen. den Begriff des Antizyklonalföhns. Bei diesem strömt aus einem über dem Alpenkamm liegenden Hochdruckrücken langsam Luft nach beiden Seiten des Alpenwalles in die Tiefe, wobei sie sich erwärmt und zugleich relativ trocken (z. B. Antizyklonalföhn vom 14. April 1898) wird. Im Jahre 1903 lehnte R. Billwiller sen. den Vorschlag von H. Wild44 zur Beschränkung des Begriffes «Föhn» auf den Fall der ausgesprochenen Talföhne unter allgemeiner Zustimmung der Meteorologen ab. Zwar sei das Wort Föhn zunächst nur in der Schweiz gebraucht worden, aber gerade die Föhnforschung habe dazu geführt, den Geltungsbereich des Begriffes zu erweitern. Jeder Klassifikation und der damit zusammenhängenden Terminologie haftet stets etwas Willkürliches45

an, da eine Klassifikation nur nach gegensätzlich sich ausschliessenden Merkmalen durchgeführt werden kann. Streiff-Becker hat auf Grund seiner «Injektortheorie» versucht, die Klassifikation der Föhnwinde46

durch Zuordnung zur Windstärke des über die Alpen streichenden Südsturmes vorzunehmen. Trotzdem wir seine «Injektortheorie» (siehe 7. Kapitel) ablehnen müssen, glauben wir doch den bodenständigen Begriff des Dimmerföhns übernehmen zu dürfen. Wir gelangen so zu nachstehender Übersicht der Föhn lagen in den Schweizer Alpen, die oft genug durch unmerkliche Übergänge zu mehr oder minder ausgesprochenen Mischformen führen: 1. Zyklonalföhn (durch die Ausbildung und Wanderung eines Tiefdruckgebietes nördlich oder südlich der Alpen wird zwischen Nord- und Südrand der Alpen ein Luftdruckgradient erzeugt). A. Nordföhn (Der Luftdruck ist nördlich der Alpen höher als südlich der Alpen). B. Südföhn (Der Luftdruck ist südlich der Alpen höher als nördlich vom Alpenkamm). Je nach der Grösse des Luftdruckgradienten kann man unterscheiden: α) Sehr schwache Luftdruckdifferenzen. = föhniges Wetter, föhnige Aufhellungen. β) Mittlere bis grosse Luftdruckdifferenzen. = Alpentalföhn (wilder Föhn). γ) Grosse, rasch sich ändernde Luftdruckdifferenzen. Dimmerföhn im Alpental, Alpenvorlandföhn

im Mittelland. II. Antizyklonalföhn. (Über dem Alpengebiet liegt ein Hochdruckrücken. Die Wetterlage ist im all-gemeinen nur föhnig. Im Winter bleibt im Mittelland oft unter einer Hochnebeldecke ein «Kältesee» lie-gen. Übergang zu stärkerer Windbewegung relativ selten.) 3. KAPITEL Föhnlagen im ersten Halbjahr 1937 Entscheidende Bedingung für das Auftreten von Föhn- und föhnartigen Winden ist - wie wir gesehen ha-ben die Ausbildung einer Luftdruckdifferenz zwischen dem Nord- und Süd-

43 R. Billwiller, «Über verschiedene Erscheinungsarten und Erscheinungsformen des Föhns». Met. Zeitschr. 16. Jahrg., S.209. 44 H. Wild, «Ueber den Föhn und Vorschlag zur Beschränkung seines Begriffes». Denkschriften der Schweiz. Naturforschenden Gesellschaft, XXXVIII 1901. R. Billwiller sen., «Ueber den Vorschlag Wild's zur Einschränkung des Begriffes „Föhn”». Met. Zeitschr., 1903, S.241/247. Billwiller betrachtet den Föhn vom 18. Dezember 1902, sowie den mit Staubfällen verbundenen Wind vom 20.-23. Februar 1903 als charakteristische Beispiele von Antizyklonalföhnen. «In Zürich trat z. B. in der Nacht vom 21./22. und vom Abend des 22. an auch während der folgenden Nacht ein solcher WSW-Wind stossweise mit entschiedenem Föhncharakter auf. Der Thermograph, der am 21. auf 60 stand, zeigte um Mitternacht, sowie am Spätabend des 22. mehrmals Temperatursprünge bis auf über 15°, wobei ... die relative Feuchtigkeit bis auf 30 % und darunter zurückging. Diese Föhnwir-kung kam durchaus ohne das Gebirge zustande; die sog. typischen Föhnstationen in den Alpentälern (Altdorf, Glarus etc.) hatten in diesem Falle keine Föhnerscheinungen; es wurden die Talsohlen von dem herabsteigenden Luftstrom quer überweht.» Für Billwiller ist die thermodynamische Erklärung der Föhneigenschaften entscheidend. 45 Über klassifikatorische, topologische und metrische Begriffsbildung siehe C. G. Hempel und T. Oppenheim Der Typusbegriff im Lichte der neuen Logik», 1936. Leiden. 46 Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft Zürich, 1933, S.66.

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- 13 - abhang der Alpen. Wir haben auf Grund dieses Kriteriums die Föhntage der Jahre 1927 bis und mit dem ersten Halbjahr 1937 zusammengezählt, uns aber dabei auf den sogenannten Südföhn beschränkt. Nord-föhnlagen sind speziell in den Sommermonaten häufiger als Südföhnlagen, worauf sich z.T. wenigstens die günstigen klimatischen Verhältnisse der südlichen Tabelle 1. Süd-, Nord- und Antizyklonalföhnlagen Januar bis August 1937 Januar Februar März April Mai Juni Juli August Summe Südföhn 19 6 14 5 11 10 3 4 72 Nordföhn 9 14 5 13 8 12 15 14 90 Antizyklonalföhn - 4 1 1 2 1 2 6 17 Alpentäler, z. B. des Tessins oder des Wallis zurückführen lassen. Trotzdem haben wir die Nordföhnlagen nicht in unsere zehnjährige Aufstellung einbezogen. Unsere Auszählung ergab - in Analogie zu früher durchgeführten Zählungen47 - die nachstehende Zahl von Südföhntagen nach Monaten und Jahren geordnet48. Die jahreszeitliche Verteilung der Föhntage weist in den Monaten März und November ausgesprochene Maxima, in den Sommermonaten Juli und August ebenso ausgesprochene Minima auf. Dies ist in der Hauptsache auf die geringeren Luftdruckdifferenzen während den sommerlichen Monaten zurückzuführen. Tabelle 2. Südföhnlagen (resp. Föhntage) 1927-1937 Jan. Feb. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. 1927 4 7 8 3 10 8 3 5 8 10 14 7 87 1928 10 5 15 8 2 4 2 4 3 10 7 2 72 1929 6 5 1 7 5 1 2 1 5 10 15 9 67 1930 13 12 14 11 5 3 4 3 5 8 12 5 95 1931 3 2 5 7 13 3 5 8 3 4 16 5 74 1932 9 1 11 10 9 9 6 9 8 10 7 11 100 1933 5 7 11 3 4 1 0 1 7 10 8 3 60 1934 10 7 10 15 3 3 2 1 7 11 9 9 87 1935 1 5 9 10 10 11 1 5 13 8 17 10 100 1936 17 10 18 8 6 8 8 4 12 4 13 17 125 78 61 102 82 67 51 33 41 71 85 118 78 1937 19 6 14 5 11 10 3 3 11 17 - - 97 67 116 87 78 61 36 44 82 102 - - «Typische» Föhnwetterlagen sind verhältnismässig selten, Mischformen stellen die Regel dar. Während der sogenannte Talföhn jedes Jahr vielleicht etwa 10 Mal in mehr oder weniger typischer Ausprägung zu beobachten ist, sind die Dimmerföhne, die als Alpenvorlandföhn bis ins Mittelland hinübergreifen, sehr selten zu beobachten. Am häufigsten tritt föhniges Wetter auf, wobei der Talföhn entweder nur in einzel-nen Tälern oder Talabschnitten oder gar nur Ansätze zum Talföhn zu beobachten sind. Speziell das Jahr 1936 zeichnete sich zwar durch zahlreiche Föhntage aus, aber während dem ganzen Jahre 1936 waren nur recht selten stärkere Talföhnstürme festzustellen. Im Gegensatz dazu zeigt die erste Hälfte des Jahres 1937 neben föhnigen Tagen nicht nur Tage mit ausgesprochenem Talföhn in den nördlichen Alpentälern, sowie ausgeprägte Nordföhnperioden im Tessin, sondern auch am 21. Mai einen Alpenvorlandföhn, der dank seiner grossen Wucht hauptsächlich in der Zentralschweiz schwere Sturmschäden verursacht hat. Schon am Neujahrstag 1937 herrscht leichte Föhnlage, wie denn überhaupt der Januar 1937 mit 19 Anti-zyklonal- und Südföhn- und 9 Nordföhntagen als ausgesprochener Föhnmonat angesprochen werden kann. Während am Neujahrstag eine Nebelmeerdecke bei 600-700 m Höhe das Mittelland zudeckt, mel-den die Höhenstationen und die Gebirgstäler bei südlicher und südwestlicher Strömung heiteren Himmel. Am 2. Januar bringt die Böenfront eines bei Island

47 So Wild, «Ueber den Föhn», 1901. J. Maurer, «Aus langjährigen Aufzeichnungen des Schweizerföhns». Met. Zeitschr., 1909, S.8. R. Streiff-Becker, «Die Föhnwinde». Vierteljahrsschr. Nat Ges. Zürich, 1933, S.66, u. a 48 Dabei wurden solche Tage als Föhntage gezählt, bei denen zwischen dem Nord- und Südhang der Alpen eine Luftdruckdifferenz von mindestens 2 mm auftrat, oder aber ein Hochdruckrücken, der «Antizyklonalföhn» erzeugte, über dem Alpenkamm lagerte.

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Abb. 6. 9. Januar 1937 (7½h). Nord-föhnlage. Die Böenlinie des Tiefdruck-gebietes, das vom 6 bis zum 8. Januar von Schottland über die Ostsee nach Russland zog (e~e~) und dort ausgefüllt wurde. hat die Bildung eines kleinen Teiltiefs bei Genua zur Folge gehabt Der Hochdruckkern über Europa ist durch Abfluss kalter Luftmassen aus Skandinavien im Rücken des Tief-druckgebietes entstanden.

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Abb. 7. 15. Januar 1937, 19h. Südföhn-lage. Eine schwache Tiefdruckrinne wurde im Laufe des 15. Januar in West-Frankreich bis nach Belgien durch kalte, aus dem Osten Europas zuflie-ssende Luftmassen bis auf einen kleinen Rest über Belgien ausgefüllt. In den Al-pen hat sich bei leichtem Fall des Luft-druckes nördlich der Alpen ein Föhn-knie gebildet Die leichte Südföhnlage führt am 16. .Januar zu teilweiser Auf-heiterung. Erst am 18. Januar wird die Schweiz von einer Regenzone des von Island über Südengland nach der Nord-see verschobenen

gelegenen Tiefdruckgebietes mit Westwinden Regen. Da aber der Unter-schied des Luftdruckes zwischen Nord- und Südhang der Alpen auf 3-4 mm steigt, werden die Gebirgstäler durch leichte südliche Windströmun-gen vor Regen oder völliger Bedeckung bewahrt, eine Wetterlage, die im Winter immer wieder zu beobachten ist und die grössere Sonnenschein-dauer und Trockenheit der rätischen Alpen verständlich macht. Am 4. Ja-nuar führt ein über den Alpen und Südbayern gelegenes Hochdruckgebiet zu einer Art Antizyklonalföhn mit schwacher Nebelbildung im Mittelland. Am folgenden Tag herrscht in der Ostschweiz schwacher Föhn49. Vom 6. bis zum 9. Januar bildet sich eine ausgesprochene Nordföhnlage aus mit Regen oder leichtem Schneefall auf der Alpennordseite und heiterem Wetter bei Nordsturm im Tessin50. Am 14. Januar leichte Südföhnlage mit Druckdifferenzen von 5-6 mm, wodurch vor allem in den Gebirgstälern vorübergehende Aufhellungen auftreten. Am 20. Januar entsteht auf Grund eines Vorstosses des Azorenmaximums von Südwestfrankreich bis ins Alpengebiet und die Ausbildung eines Teiltiefs über Dalmatien wieder Nordföhnlage. Schon am gleichen Tage füllt sich das dalmatinische Teiltief aus. Ein kleiner Hochdruckkern über den Alpen leitet zur Südföhnlage über, welche zunächst durch Steigerung des Druckes südlich der Alpen, dann durch den von einer herannahenden atlantischen Depression ausgelösten Druckfall nördlich der Alpen ver-stärkt wird und am 25. Januar zu starkem Südwind in der Höhe führt. Nur in wenigen hochgelegenen Tälern vermag sich der Südwind als Talföhn durchzusetzen, da Kaltluft im Mittelland lagert, wie aus der Höhe der Ne-belschicht bis 800 m hervorgeht. Es regnet im Mittelland und auf der Süd-seite der Alpen, auch einige Alpenstationen erhalten wenig Neuschnee. Da aber die atlantische Depression nordöstlich in der Richtung gegen Is-land abwandert, trotzdem allgemeiner Druckfall über Westeuropa eintritt, vermag sich der Südsturm auf den Alpengipfeln nicht in allen Alpentälern bis zum ausgesprochenen Talföhn zu entwickeln. Das Wetter bleibt aber auch an den folgenden Tagen bis Ende des Monats föhnig. Am 31. Januar streicht z. B. über den Alpenkamm eine schwache, relativ milde Südströ-mung, die den inneren Alpentälern heiteren Himmel bringt51. Der Februar 1937 weist nur 6 Südföhntage, dagegen 14 Nordföhntage und 4 mehr oder weniger ausgesprochene Antizyklonalföhntage auf. Wir be-gnügen uns in der Folge - abgesehen von der Besprechung ganz besonders interessanter Fälle - mit einer summarischen Aufzählung.

49 5. Januar 1937. Heiden: SW3, Temp. 3°; Chur: SSE1, Temp.-1°; Säntis SS2, Temp. -6°; Weissfluhjoch:S1, Temp. -7°. 50 9. Januar, 7½h , Lugano: NNE1, Temp. 4°; Monte Brè: N4, Temp. 1°; Gotthard: N2, Temp. 12°. 51 Die seit dem Jahre 1936 veröffentlichten Pilotballonbeobachtnngen der schweizerischen Flugplätze haben unsere Kenntnisse der Luftbewegungen wesentlich erweitert. Am 9. Januar herrscht bei Nordföhnlage in Basel bis 1500 m Ost- und Südostströmung, darüber Nordostwinde (bis 65 km/h). Am 13. Januar ist bei, 800 m Temperaturinversion zu beobachten. Basel meldet bis 1000 m schwachen Ost- und Südostwind, bei 1500 m Windstille, darüber aber Nordwestwinde. Am 24. Januar dagegen, bei ausgesprochener Südföhnlage, werden bis 1500 m Südostwinde (10-30 km/h), darüber West- und Südwestwinde gemeldet. Ebenso beobachtet man am 25. Januar in Zürich bis 500 m Windstille, bei 1000 m Südsüdostwind, bei 1500 m Südwestwind (30 km/h). Analoge Beobachtungen meldet Basel, nur hat sich dort das Niveau des Südwestwindes wesentlich gesenkt (1000 m).

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- 15 - 1. Februar. Mässiger Südwind bringt den Alpen Erwärmung. Trotz Föhn-knie Schneetreiben auf dem Zentralalpenkamm. Am 2. Februar durch Aus-bildung eines Tiefdruckgebietes über Italien vorübergehende Nordföhnlage, die durch Vermittlung eines Hochdruckgürtels beidseitig der Alpen in An-tizyklonalföhn übergeht (3. und 4. Februar). Am 5. und 6. Februar schwa-che Südföhnlage: «Das Mittelland ist mit Ausnahme einiger Stationen im Osten bedeckt. Die Alpen melden Schneefälle. Es regnet am Alpensüdfuss (5. Februar)... Es schneit auf den Höhen über 1500. Nur Mittelgraubünden und das vordere Rheintal melden unter Föhneinfluss am Morgen leichtere Bewölkung. (6. Februar.)» Am 7. Februar Aufhellung dank Ausbildung eines schwachen Hochdruck-gebietes über den Alpen und der Schweiz. Nach dem 8. Februar bricht eine neue Depression in den Kontinent ein. Kalte Polarluftmassen, die an ihrer Rückseite nach Süden strömen, stauen sich am Alpenkamm und erzeugen eine typische Nordföhnlage im Zusammenhang mit einem Tiefdruckgebiet über der Adria und Italien. Am 12. Februar entwickelt sich aus dieser Nord-föhnlage eine vorübergehende Antizyklonalföhnphase (13. Februar), die wieder mit Nordföhn (14./15. Februar) und mit leichter Erwärmung ver-bundener Antizyklonalföhnphase abwechselt. Am 18. Februar tritt eine leichte Staulage bei Nordwestströmung ein: Neuschnee fällt auf der Alpen-nordseite, während aus dem Tessin von heiterem, warmem Wetter mit Nordwind (Lugano NNE2) berichtet wird. Auch in der Höhe wehen fast immer West- und Südwestwinde. Am 23. Februar entsteht durch eine über Ostpreussen abziehende Depression eine ähnliche Nordföhnlage wie am 9. Januar. (Mittelland und Alpennordseite starke Schneefälle und stürmische Westwinde; Tessin hell mit Nordsturm.) Am 27. Februar konnte föhniges Wetter bei vorübergehender Südföhnlage festgestellt werden. Im März herrschen die Südföhntage vor: 14 Südföhntage gegenüber 5 Nordföhntagen und 1 Antizyklonalföhntag. Am 4./5. März verzeichnen die Hochstationen Temperaturanstiege von 7 - 9°, die östlichen Alpentäler sind föhnig. 5./6. März Nordweststurm mit Schneefall. Im Tessin Nordföhn. Schon am nächsten Tage schlägt die Windrichtung nach Südwest um, ein Tiefdruck-gebiet nähert sich über Frankreich, es entsteht Südföhnlage, da zugleich südlich der Alpen der Luftdruck nur langsam fällt. Die Schweiz ist noch am 9. März im «Westen und Süden bedeckt, zum Teil mit Niederschlägen, im Osten dagegen nur leicht bewölkt oder heiter».

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Abb. 8 5. Februar 1937,19 h. Föhnige Aufheiterung. Nachdem ein Vorstoss kalter kontinentaler Luft aus dem Osten Europas nach Mitteleuropa am 2.13. Februar erfolgt war, saugte bis zum 5. Februar eine Zyklonenfamilie maritime Meeresluft in südwestlicher Strömung auf den Kontinent Trotz dem Fehlen des ausgesprochenen Föhnknies herrscht am 5./6. Februar leichter Überdruck südlich der Alpen, so dass vor allem der östliche Teil der Schweiz föhnige Aufheiterung erfährt.

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Abb. 9. 12. Februar 1937, 8h. Nord-föhnlage. Am Alpenkamm hat sich ein ausgesprochenes Nordföhnknie entwickelt. Lugano ist hell bei N2, Monte Brè N4, Gotthard N2, während nördlich der Alpen stellenweise Schnee fällt oder gefallen ist.

Ein Tiefdruckgebiet folgt dem andern. Immer wieder wechseln Regenfälle mit föhnigen Aufhellungen. Am 13./14. März wehen starke Südsüdwestwinde auf dem Alpenkamm, Regen und Schnee fällt am Alpensüdfuss und in Graubünden, die Ostschweiz ist dagegen niederschlagsfrei, aus den Alpentälern wird starker Südföhn bei bedecktem Himmel gemeldet (Glarus z. B. S3 bei bedecktem Himmel, um Mittag Regen bei So. In Chur steigt am 13. März um 13½ h die Temperatur auf 11°; Zürich 6°, Bern 3°). Eine neue Südföhnlage stellt sich am 18./19. März ein. Glarus und Chur berichten am 18. März mittags besonders hohe Temperaturen bei Südwestwind (Chur SW2) und Westwind (Glarus Wo): Glarus 13°, Chur 16°, während in Zürich nur 8°, in Basel und Locarno bloss 7° gemessen werden. 21. März leichter Nordföhn. 22. März leichte Südföhnlage. Analog am 25. März schwacher Nordföhn (ebenso am 29. März mit Übergang zur Ausbildung einer Hochnebeldecke). Am

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Abb. 10. 4. März 1937,19h Im Osten föhnig. An Stelle eines Föhnknies beob-achtet man eine Föhnzunge höheren Luftdruckes südlich der Alpen. „eine Störungslinie brachte auf der ganzen Al-pennordseite im verlaufe«des 4.März „leichte Schneefälle und später mit zu-nehmender Erwärmung Regen. Am stär-ksten waren die Niederschläge im Wes-ten des Landes. «Kein Niederschlag fällt in den ausgesprochenen Föhnstationen (Heiden, Chur, Grindelwald, Zermatt, Davos, Arosa, Glarus nur 1 cm, Gotthard 2 cm), dagegen misst Zürich 4, Basel 11, Bern 13, Genf 22 cm. In Heiden steigt vom 3. zum 4. März die Temperatur mittags von -1° auf 5° bei SE3, in Zürich nur von 3 auf 4°. Deshalb stellt der Wet-terbericht fest: „Der Osten des Landes und das Wallis sind leichter bewölkt«.

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Abb. 11.6. März 1937, 8h vorüber-gehende Nordföhnlage. Im Rücken des über Holland liegenden Tiefdruck-gebietes floss am 5. März maritime Luft gegen die Alpen, wodurch - wahrschein-lich im Zusammenhang mit dem vom Atlantischen Ozean heranziehenden sich vertiefenden Tiefdruckgebiet - ein Ge-biet steigenden Luftdruckes über dem Rhonetal entstand. Die Nordföhnphase ging allerdings schon am 7. März wieder in eine Südföhnlage über. In Lugano wurden am 5. März mittags 5° bei Regen und Nordwind beobachtet, am 6. März stieg die Temperatur von 3° am Morgen auf 14° am Mittag, der Nordwind (Ni) steigerte sich bei heiterem Himmel auf Windstärke 3.

26. März leichte vorübergehende Südföhnlage als Folge einer rasch von Island nach Belgien verlagerten, reiche Niederschläge verursach-enden Teildepression. Ähnlich wie im Februar herrschen im April 1937 die Nordföhntage vor: 13 Nordföhntage,5 Südföhntage, 1 Antizyklonalföhntag.Die meisten Nordföhnlagen sind auf die Bildung von kleineren oder grös-seren Depressionen über Italien oder der Adria bei gleichzeitigem mehr oder minder ausgeprägtem Stau am Alpennordrand zurückzu-führen, so am 4./5. April, 7./8. April, 15. April, 17. April, 25. April, 27./29. April. Der starke Nordföhn vom 22/24. April aber verdankt seine Ausbil-dung derVerlagerung eines Hochdruckgebietes von den Azoren nach Frankreich und Grossbritannien im Anschluss an den Abzug zweier Tiefdruckgebiete über die Ostsee, den Vorstoss kalter Polarluft von Island über Grossbritannien und die Ausbildung eines

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Abb. 12. 17. März 1937, 19h. Südföhn-lage. Am 16. März liegt nördlich dem Alpenkamm ein Hochdruckband, über dem Mittelmeer ein Hochdruckkern. Kalte Polarluft lagert in breiter Schicht über Ostfrankreich, Süddeutschland und der Schweiz. Ein neuer Schub wärmerer maritimer Luftmassen erzeugt am 17.118. März eine typische Südföhnlage: Hochdruck über der Adria, Tiefdruck über den britischen Inseln. Das Föhnknie ist deutlich ausgeprägt.

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Abb. 13. 3. April 1937. Südföhnlage mit Teildepression. Überdruck Lugano-Chur ca. 5 mm. Temperatur in Chur 2. April mittags 16°, Zürich 14°, 3. April mittags Chur 15° (SW2), Zürich 10°; Lugano 2. April 13° und bedeckt, 3. April 8° und Regen. Über dem Bodensee hat sich eine kleine Teildepression gebildet. Im Laufe des 3. April führt eine von Westen heranziehende Kaltfront zur Bedeckung der Alpennordseite und später zu Niederschlägen.

kleinen Teildepressionsgebietes in Norditalien. Auf dem Jungfraujoch steigert sich der Nordweststurm bis auf über 80 km/Std., in Lugano wird die Windstärke NNE3, auf dem Monte Brè N4 gemessen. Gleichzei-tig steigt die Temperatur in Lugano auf 11°, trotzdem auf dem Alpenkamm heftige Neuschneefälle einge-setzt haben (Jungfraujoch -17°, Säntis -11°). Wahrscheinlich handelt es sich bei der Verschiebung des Hochdruckgebietes von der Westküste Frankreichs über die britischen Inseln nach Island um die Wirkung einer grossen atlantischen Depression, die am 24. April auf dem Ozean erkennbar wird und deren östlich-es Steiggebiet dieses Hochdruckgebiet sein dürfte.

Der Südsturm über den Alpengipfeln am 3. April folgt auf eine schwache Südföhnlage, die der Ost-schweiz heiteres Wetter am 2. April bescherte. Aus der Pilotballonbeobachtung des Flugplatzes Düben-dorf lässt sich entnehmen, dass uni 10 h am 3. April bis 1000 m mässige

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- 17 - nordwestliche Winde (11 km) wehen, während in 1500 m schwacher Süd-westwind (11 km) und in 3000 m mitt-lerer Südwind (28 km/Std.) bläst. Im Tessin und in der Westschweiz regnet es, in der Ostschweiz ist der Himmel nur bedeckt oder stark bewölkt. Leichte Südföhnlage herrscht am 12./13. April, während am 10. April in den östlichen Alpentälern mittel-starker Talföhn weht, der mittags in Chur die Temperatur auf 17° gegenüber 13° in Basel und Zürich hinauftreibt.

Abb. 14. Föhnhimmel vom 3. April 1937, 10h morgens, aufgenommen unterhalb Kranzkopf ob Ennenda, ca. 1000 m über Meer. Nebel und Dunstschicht bis ca. 1000 m Nordwind (N1-2), darüber Föhnmauer, Föhnfenster, in der Höhe geschlossene Stratusdecke (Phot R. Streiff-Becker).

Im Mai verschiebt sich das Verhältnis zu Gunsten des Südföhns: 11 Südföhnlagen, 8 Nordföhnlagen und 2-3 Antizyklonalföhntage. Vom 1. zum 3. Mai geht eine leichte Nordföhnlage in eine leichte Südföhnlage über: am 3. Mai herrscht auf den Höhenstationen eine süd-süd-östliche Strömung, während der Alpennordfuss unter einer Hochnebeldecke liegt. Die Temperatur ist mild. Am 5. Mai gibt eine kleine Depression in der lombardischen Tiefebene und ein Vorstoss des Azorenhochs nach Frankreich und Süddeutschland Veranlassung zu mässigem

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Abb. 15. 11. Mai 1937, 8h «Typische» Südföhnlage. Mittagstemperatur Locarno 130, Glarus 210 (SE:), Zürich 190, Basel 150. Überdruck von 5 mm. nimmt rasch ab unter starker Zunahme der Bewölkung. Schön ausgeprägtes Föhnknie. In der Höhe weht in Zürich bei 500mW-Wind (9 km/Std.), 1500 m SSE-Wind (26 km/Std.), darüber SW-Wind (bis 50 km/ Std. in 6000m). Die Föhn-strömung schiebt sich zwischen die allge-meine maritime Südwestströmung ein.

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Abb. 16.16. Mai 1937. Vorübergehende Antizyklonalföhnlage. Der kleine Hochdruck-kern über den Alpen zeigt schwaches südnördliches Druckgefälle, so dass die Anti-zyklonallage nicht rein ausgeprägt erscheint, vielmehr nur einen Übergangszustand zwi-schen zwei Südföhnlagen bildet. In der Höhe herrscht schwache Südströmung. Temperatur mittags Lugano 19°, Glarus 24°, Zürich 23°, Basel 21°, bei mässigem Südföhn in Glarus und Chur, während vormittags die Tem-peratur in Lugano 14°, Glarus 10°, Zürich 13° betrug, was offenbar auf die stärkere Bewölkung des Alpensüdfusses zurückzu-führen ist.

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Abb. 17. 22. Mai 1937, 8h. Nordföhnlage nach Südsturmföhn. ~ Wege der Tief-druckgebiete. Nachdem am Rande der süd-lichen Luftströmung aus Tunis und Tripolis ein Randwirbel aus der Sahara bis nach Schottland vom 19. bis zum 21. Mai wanderte, schoben sich von Südwesten maritime Luftmassen nach Mitteleuropa, wo-durch ein Hochdruckgebiet nördlich der Alpen entstand mit unvermitteltem Übergang von Südsturmföhn zu Nordföhnlage. Das grosse südlich von Island gelegene Tiefdruck-gebiet, das die warmen tropischen Luftmassen angesogen hatte, verschob sich nur wenig, füllte sich aber doch etwas aus.

Nordföhn (5.-7. Mai) mit starker Erwärmung des Tessins. (Am 6. Mai Zürich 13½ h 17°, Lugano 25°; 8. Mai Zürich 13½ h 19°, Lugano 15°.) Eine leichte Südföhnlage vom 10. Mai führt am 11. Mai zu schwächerer Südströmung, wodurch die östlichen Gebirgstäler bis zum 12. Mai vom Regen verschont bleiben, der Alpensüdfuss und die West-schweiz starken Regen erhalten. Da aber die am 11. Mai über Frankreich liegende Depression sich nur auf die südliche Nordsee verlagert, daher mehr und mehr ausgefüllt wird und sich schliesslich am 15. Mai mit einem vom Ozean herange-rückten Tief zu einer Tiefdruckrinne vereinigt, bleibt der Überdruck südlich der Alpen erhalten.

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Abb.18. 10. Juni 1937, 8h. Südföhnlage aus Hochdruckkern. Eine besonders interessante Südföhnlage mit extrem hohen Junitemperaturen nördlich der Alpen (10. Juni mittags Basel 31°, Zürich 32°, Chur 29°, Glarus 31° (Chur SE2, Glarus SE3), Locarno 23°) trotz relativ geringem Überdruck (3-4 mm). Der über den Zentralalpen liegende Hochdruckkern hat ein schwaches Druckgefälle nach Norden zur Folge. Am Vor-mittag des 10. Juni wehen in Basel und Zürich bis 2000 m südliche und südöstliche Winde (bei 500 oder 1000 m bis 30 Std./km), darüber aber nordwestliche (Zürich) und nordöstliche Winde. Erst am Freitag setzt auch in der Höhe südwest-liche Luftströmung ein. Noch am 8. Juni wurden in Chur mittags nur 20°, aber 25° in Locarno gemessen, am 11 Juni wurden wiederum extreme Mittagstemperaturen bei Fortbestand der schwachen Südföhnlage erreicht (kleiner Hochdruckkern bei Mailand): Glarus 3l°, Chur 33°, Zürich 32°.

Am Pfingstmontag stellt sich Antizyklonalföhnlage ein mit schwa-chen Nordwestwinden im Tessin und südlichen Winden nördlich der Alpen. Schon am 17. Mai herrscht wieder schwacher Überdruck südlich der Alpen. Am 18. Mai «bestand eine ausgesprochene Föhnlage mit Regen am Alpensüdfuss». Ähnlich wie am 3. April liegt neben dem Hauptdepressionsgebiet in Westfrankreich nördlich der Alpen eine kleine Teildepression. Die Föhnlage erhält sich auch am 19. Mai und führt am 20./21. Mai zufolge der Verschiebung eines Depressionsgebietes von Korsika über Lyon bis nach Belgien am Rande einer starken Strömung tropischer Warmluft mit Saharastaub zu starken Föhnstürmen vom Nachmittag des 20. Mai bis in den frühen Morgen des 21. Mai. In den Alpentälern herrscht der Dimmerföhn, im Mittelland weht der Alpenvorlandföhn in selten beobachteter Heftigkeit. Wir werden diesen interessanten Föhnsturm im 5. Kapitel einlässlich bespre-chen. Am 21. Mai setzen hereinbrechende maritime Kaltluftmassen der Föhnlage so rasch ein Ende, dass schon am 22. Mai eine Nord-föhnlage durch Stauung der heranflutenden Luftmassen am Alpen-nordrand eintritt, die bis zum 29. Mai ausklingt, nachdem sie am 25./26. Mai vorübergehend durch Ausbildung eines Hochdruck-gebietes über Mitteleuropa unterbrochen wurde. Entsprechend der in den Sommermonaten üblichen Verflachung der Luftdruckverteilung sind im Juni nur noch leichtere, aber nicht weniger interessante Föhnlagen52 zu beobachten: Am 2. und 3. Juni herrscht leichte Nordföhnlage, die vom 5. zum 7. Juni in leichte Südföhnlage übergeht. Ein Vorstoss des über Russland entstan-denen Hochdruckgebietes am 7. Juni lässt über dem Alpengebirge

einen schmalen Hochdruckrücken mit antizyklonaler föhniger Aufhellung beidseits der Alpen zurück, der dank schwacher Teildepression erst in Holland, dann in Westfrankreich als kleines Hochdruckgebiet südlich der Alpen vom 9. bis 11. Juni zu ausgeprägter Südföhnlage führt.

Mehrere Gewitterfronten, die vom Ozean nach Osten heranrollen, lösen sich in der warmen Föhnströmung auf;

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a) bei Südföhn b) bei Nordföhn Abb. 19. Das «Föhnknie.

dafür werden im schweizerischen Mittelland besonders hohe Mittagstemperaturen beobachtet bei äusserst unangenehmer Schwüle. Am 10. Juni misst man mittags in Locarno 23°, in Zürich aber 32°. Am Abend des 11. Juni bricht die Föhnlage zusammen um von heiterem Sommerwetter abgelöst zu werden. Nach Berichten eines Flugzeugführers, konnte auf dem Streckenflugzeug Marseille-Zürich braungelber Staub gesammelt werden. Vom 13. bis zum 18. Juni weht in wechselnder Stärke im Tessin Nordföhn. Desgleichen ist am 20. und 21. Juni eine leichte Nordföhnlage festzustellen.. Am 23. und 24. Juni verzögert eine Südföhnlage in der Ostschweiz die Niederschlagbildung. Am 26. Juni schafft der Vorstoss des Azorenhochs nach Südfrank-reich eine leichte Nordföhnlage. Am 28. Juni ist der mitteleuropäische Hochdruck bereits wieder ver-schwunden; ein bei Schottland liegendes Tiefdruckgebiet führt durch den Abbau dieses Hochdruckes zu leichter Südföhnlage, die am 30. Juni infolge einer von der Ostsee bis in die Poebene reichenden Stö-rungslinie eine besonders schön ausgebildete Nordföhnlage nach sich zieht. Unsere knapp gefasste Übersicht der Föhnlagen des ersten Halbjahres 1937 dürfte dem Leser gezeigt haben, wie vielgestaltig die meteorologischen Möglichkeiten sind, die zur Ausbildung einer Föhnlage führen können. Eine Südföhnlage entsteht normalerweise dann, wenn

52 12 Nordföhntage, 10 Südföhntage, 1 Antizyklonalföhnlage.

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- 19 - ein Tiefdruckgebiet von Westen her auf den europäischen Kontinent zuwandert, während Nordföhnlagen ursächlich meistens mit einem Vorstoss des Azorenhochdruckes nach Mitteleuropa eventuell nach Abzug eines Tiefdruckgebietes über der Ostsee und der Ausbildung von Tiefdruckgebieten südlich des Alpen-walles verknüpft sind. Häufig bildet sich dabei im Isobarenbild das sowohl für Nord- als auch Südföhn charakteristische, dem Alpenbogen entlangführende «Föhnknie» aus. Stärke, Richtung und Wirkung der Föhnwinde sind nicht nur von der geographischen Verteilung des Luftdruckes, sondern mehr noch von dessen zeitlicher Änderung bestimmt. Wenn wir im folgenden zwei Föhnstürme der letzten Jahre zur näheren Besprechung herausgreifen, so sind wir uns dessen bewusst, dass es sich in einem gewissen Sinne um Ausnahmefälle handelt. Aber diese Ausnahmefälle lassen doch typische Merkmale des Föhns deutlich erkennen.

4. KAPITEL

Der A1pentalföhn vom 9./10. November 1934 Als Beispiel eines Alpentalföhnes wählen wir den Föhnsturm vom 9./10. November 1934, der meistens bei bedecktem Himmel blies, aber kurz vor dem Erlöschen bei relativ grossen Windstärken in den Föhn-tälern und im Mittelland Aufhellung brachte. Die Wetterlage entwickelte sich folgendermassen. Am Nachmittag des 8. November lagen über Mittel- und Nordwesteuropa drei Tiefdruckgebiete: Eines über Böhmen und Oberschlesien, das zweite über dem südwestlichen Teil von Skandinavien, das dritte nord-westlich von Schottland und südlich von Irland. Bis zum 10. November schob sich aus Südosteuropa ein Hochdruckgebiet heran, welches die zwei östlichen Tiefdruckzentren unter langsamer Auffüllung nach Skan-dinavien verdrängte, während sich das westlich gelegene Tiefdruckgebiet unter gleichzeitiger Vertiefung nach dem südwestlichen Teil von Grossbritannien verlagerte. Die Verlagerung der Druck-gebiete war der Ausdruck ent-sprechender Luftströmungen. Am 10. November strömte maritime, wärmere Luft von Westen und Südwesten auf den Kontinent. Von Island her aber brach eine Welle kalter Polarluft ein, welche schon am 11. November das Mittelmeer erreicht hatte, indem sie den von Südengland nach Nordfrankreich verlagerten Wirbelkern umkreiste und beim Zusammentreffen mit tropischer Luft im Golf von Genua die Bildung eines neuen Teiltiefs veranlasste, wonach die Föhnlage in der Schweiz zusammenbrach. Am 9. November herrschte zwischen Locarno und Ger-sau bloss ein Überdruck von 0,8 mm; am 10. November war dieser um 8 h früh auf 9 mm an gestiegen, um am Morgen des 11. November wieder auf 1,2 mm zurück-zugehen53. Der Temperatursprung in gewissen Alpen-tälern ist für die Föhnlage

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Abb. 20. Wetterkarte vom 10. November 1934, 8h.

53 Barometerstand (auf Meer red.): 8. November 9. November 10.November 11. November h 7½ h 7½ h 13 ½ h 7½ h Locarno-Muralto 756,2 761,3 761,3 760,7 754,6 Gersau - 760,5 752,3 - 753,4 Zürich 760,0 761,2 754,0 752,7 754,6

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- 20 - charakteristisch. Während am Morgen des 9. Novembers die Temperatur in der Schweiz gegen 0° betrug, stieg sie am 10. November im Mittelland um 3-5°, in den Föhntälern aber um 10 bis 15° und sank am 11. November dort wieder auf wenige Grad über Null: 9. November10.November 11. November Temperatursteigerung 7½h 13½h 7½ h 13½ h 7½ h vormittags Mittags Zürich 1° 7° 4° 8° 5° +3° +1° Basel 0° 7° 5° 9° 5° +5° +2° Rigikulm 5° 0° 2° 3° -2° +7° +3° Einsiedeln 1° - 10° - 4° +11° Gersau 2° - 14° - 5° +12° Glarus 1° 6° 14° 15° 3° +15° +9° Chur 1° 8° 7° 13° 2° +6° +5° Lugano 2° 11° 6° 7° 5° +4° 4° Locarno-Muralto 4° 10° 7° 7° 3° +3° 3° Am Morgen des 10. November war die Schweiz bedeckt. Im Tessin fiel Regen. In Zürich, Luzern, Bern wehten schwache nördliche Winde; Chur gab SW2, Glarus S4, Gersau SE4 an («seit 19 h starker Föhn-sturm» in Gersau; auch die Höhenstationen «registrieren starken Südsturm»: Rigi S3, Pilatus SW3, Gotthard S2, Säntis SSW5, Jungfraujoch SSW4, Rochers de Naye S2). Besonders deutlich lassen sich die Föhnperioden an einem registrierenden Hygrometer ablesen. Die Hygro- und Thermogramme des Kollegiums Karl Borromäus in Altdorf, welche uns Herr Rektor P. B. Huber freundlicherweise überliess, zeigen sehr schön den Einbruch der Föhnluft an, während an dem

Abb. 21. Barogramm, Hygrogramm und Thermogramm des Kolleglums Altdorf vom 8.- 11. November 1934 (umgezeichnet).

entsprechenden Barogramm ebenso klar das ruckweise Sinken des Luftdruckes zu erkennen ist. In der Nacht vom 8. auf den 9. November hat in Altdorf derLuftdruck ein Maximum erreicht. Nun beginnt er erst langsam, dann schneller zu fallen. Der Luftdruck fällt besonders gegen 10 h (9. November) rasch. Gleichzeitig beginnt die Temperatur zu steigen und die relative Feuchtigkeit zu sinken. Zwischen 13 und 14 b steigt die Temperatur und sinkt die relative Feuchtigkeit sprungartig, während der Luftdruck zunächst nur langsam weiter-

sinkt: Der Föhn ist in Altdorf durchgebrochen. Am folgenden Tag, am 10. November, sinkt um Mitternacht die Temperatur sturzartig. Noch rascher nimmt die relative Feuchtigkeit zu. Der Luftdruck hat schon am Abend des 10. November gegen 16 h sein Minimum erreicht. Nach dem Einbruch kalter Luft nimmt die relative Feuchtigkeit so rasch zu, dass innerhalb 2 Stunden 85 0/o erreicht werden und nach weiteren 2 Stunden, am frühen Morgen des 12. November der Regen einsetzt. Wir haben versucht eine Karte der mutmasslichen Verteilung des Luftdruckes über der Schweiz am Abend des 10. November 1934 zu zeichnen. Als Vergleich betrachte man die entsprechende Luftdruckkarte vom 8. November. Trotz der verhältnismässig grossen Zahl von Stationen ist es aber nicht möglich, eine Luftdruckkarte zu erhalten, von der mit Sicherheit behauptet werden könnte, sie gebe die Luftdruckverhältnisse exakt wieder54. Deshalb können aus unserer Karte der mutmasslichen Luftdruckverteilung keine allzu weitreichenden Schlüsse gezogen werden. Immerhin dürften doch zwei Tatsachen feststellbar sein: Einmal hat sich im schweizerischen Mittelland ein Teiltief gebildet, in welches in den Föhntälern ausgesprochene Minima des Luftdruckes

54 Der Vergleich der Wetterkarten verschiedener Länder zeigt deutlich, wie sehr die Zeichnung der Luftdruckkurven der synoptischen Wetterkarten eine Frage des «Stiles» und vielleicht auch des persönlichen Temperamentes oder der herrschenden theoretischen Einstellung ist. Noch schwieriger aber ist es, kleine lokale Luftdruckdifferenzen graphisch zu erfassen.

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- 21 - eingebettet sind (Glarus red. 712,4 mm; Altdorf 712,7 mm; Sarnen 712,9mm; Meiringen 712,7mm). Zweitens ist auf dem Alpenkamm eine ganz aus-gesprochene Steigerung des Luftdruckgradienten als anschaulicher Ausdruck der Stauwirkung der Alpen festzustellen. Auch die Windrichtungen sprechen dafür, dass das erwähnte Teildepressions-gebiet des Mittellandes wirklich existierte. So beobachtet man in Zürich NW, in Aarau, Basel und Bern W-Wind, während in den Föhntälern starke Süd-, Südost- und Ostföhnwinde mit Sturmesstärke blasen. Im Mittelland macht sich der

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a) Auf 400 m Meereshöhe reduziert

Einfluss des Föhns gegen den Abend des 10. November bloss als föhnige Aufhellung bemerkbar, während die Temperatur nur mässig steigt und dementsprechend auch die Trockenheit der Luft nicht stark zu-nimmt. Dagegen regnet und schneit es auf der Südseite der Alpen, speziell im Tessin55 Die Änderungen des Luftdruckes erfolgen in nordsüdlicherRichtungin anderem Rhythmus als in ostwestlicher. Im Tessin setzt der Fall des Lufidruckes wesentlich später ein als nördlich der

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b) Auf 1000 m Meereshöhe reduziert c) Auf 1750 m Meereshöhe reduziert Abb. 22.10. November1934 abends. Mutmassliche Luftdruckverteilung über der Schweiz. Die Luftdruckkurven sind speziell an jenen Stellen, wo keine ent-sprechenden Beobachtungen vorliegen, recht problematisch. Für die Karten vom 10. Nov. haben wir jeweilen nur jene Stationen benützt, welche um den Bereich von 400 m, 1000 m resp. 1750 m Meereshöhe herum gruppiert sind.

Alpen, hält aber auch dann noch an, wenn nördlich der Alpen der Luftdruck bereits wieder steigt. Die Luftdruckschwankungen der Höhenstationen sind wesentlich geringer als jene der Talstationen56. Da die Messungen zeitlich zu weit auseinander liegen, ist in westöstlicher Richtung kein deutlicher Unterschied des Ganges der Luftdruckbewegung nachzuweisen57. Vergleicht man die beiden europäischen Wetterkarten der schweizerischen Metereologischen Zentralanstalt vom 9. und vom 11. November, so erkennt man, dass jenes Tiefdruckgebiet, das offenbar die etwa 40 Stunden dauernde Föhnphase auslöste, sich bloss von Cornwall nach der Bretagne verlagerte. Allerdings trat zunächst eine Vertiefung und später eine gewisse Auf-füllung des betreffenden Tiefdruckgebietes ein. In schöner übereinstimmung mit der kürzlich von S. Evjen in Oslo über die Entstehung der Zyklonen oder Tiefdruckgebiete entwickelten Theorie58 ist die Vertiefung des britischen Tiefdruckgebietes von einer Steigerung des Luft-

55 Z.B. in Auen bei Linthal werden im Vergleich zu Zürich nachstehende meteorologische Elemente beobachtet: 9. November 10. November Auen -3° 2,4° 9,2° 11,4° 12,2° 13,4° N0 N0 S2 S2 S2 S2 68 % 49 % 25 % 21 % 22 % 21 % Zürich 0,7° 6,8° 3,4° 4° 8° 4,9° S0 S0 ESE1 NNW0 NW1 NW2 98 % 60 % 74 % 86 % 66 % 84 % Auen ist am Abend des 10. November bedeckt, Zürich aber hell, ebenso Luzern, während Altdorf noch Bewölkung 3 zeigt. Locarno am 10. November Regen den ganzen Tag, ebenso Lugano; in Bellinzona vormittags regnerisch und neblig, am Abend Regen; in Airolo Regen und Schnee. 56 Auf den Höhenstationen ist der Luftdruck absolut niedriger, auch ist die Reibung der Luft geringer; daher sind die Luftbewe-gungen ungehinderter. 57 Barogramme standen uns leider nicht in genügender Zahl zur Verfügung. 58 Met. Zeitschr., 1936, S.165, «Ueber die Vertiefung von Zyklonen» Sattelpunkte des Luftdruckes sind bei der Bildung von Zyklonen bevorzugt. Treffen sich an einer solchen Stelle ein Kalt- und ein Warmluftstrom, so wird die Warmluft als Warmluft-zunge gehoben. Nach einem gewissen Betrag des Aufstieges steigt die warme Luft

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a) 9.Nov.1934. 8h b) 10.Nov.1934. 8h Abb. 23. Fall. und Steiggebiete.

druckes in einer breiten östlichen Zone begleitet. Am 10. November 1934 ist die Föhnlage wahr-scheinlich durch die Ausbildung eines solchen «Steiggebietes» ausgelöst worden, das über Süd-skandinavien zur Ausbildung eines Hochdruck-bandes, über der Ostsee zur teilweisen Auffüllung der dort liegenden Zyklone, über Ungarn zur Bil-dung eines kleinen Hochdruckkernes und südlich der Alpen zu einem schwachen Überdruck führte. Erst die von Westen nach Osten wandernde Kalt-front des südenglischen Tiefdruckgebietes liess den Talföhn vom 10. November am Abend des 10. November «heimgehen» und führte

in der Nacht vom 10. zum 11. November zu stär-keren Niederschlägen verbunden mit der Aus-bildung des bereits erwähnten kleinen sekundären Tiefdruckgebietes in Ligurien. Man kann sich die Entwicklung des Föhns vom 10. November 1934 durch nachstehendes Schema verständlich machen (siehe Abb. 24). Während das südenglische Tiefdruckgebiet die unteren und mit-tleren Luftschichten über Mitteleuropa ansog,

Abb. 24. Allgemeines Schema der Luftzirkulation am 10. November 1934

strömten in grosser Höhe Luftmassen in nordöstlicher, östlicher und südöstlicher Richtung ab. Dadurch wurde der Luftdruck in einer breiten Zone, dem «Steiggebiet» erhöht, so dass starker Überdruck südlich der Alpen auftrat, womit die typische Föhnlage gegeben war.

5. KAPITEL

Der Föhnsturm vom 20./21. Mai 1937 Im Mittagblatt der «NZZ.» vom Freitag den 21. Mai 1937 war zu lesen: «Schwere Stürme auf dem Vierwaldstättersee. Luzern, 21. Mai (mz=Tel.). Seit Donnerstagvormittag wüteten im obern Teil des Vierwaldstättersees schwere Stürme. Hohe Wellen wurden über die Uferanlagen hinweggepeitscht und richteten von Weggis bis hinauf nach Brun-nen grossen Schaden n an. In Vitznau wurden etwa 50 Obstbäume entwurzelt und Telephonstangen umgelegt; hauptsächlich wurden die Kastanienbäurne mitgenommen. Die Schiffe konnten nur mit grossen Schwierigkeiten landen. In Gersau und Brunnen mussten die Föhnhäfen angelaufen werden. Hunderte von Wasserhosen von über Hundert Meter Höhe wurden aufge-trieben; teilweise war der See von den aufgewühlten Wassern wie mit Nebel überzogen. Drei bis vier Wassermauern hinterei-nander wurden von den Winden aufgepeitscht, um im nächsten Augenblick in mächtigen Wasserstaubwolken zusammenzu-stürzen. Das ganze Naturschauspiel wurde von selten schön abgestuften Regenbogen begleitet. Um 20 h musste in Vitznau die gesamte Feuerwehr ausrücken, da unterhalb Grubis und der Schnurtobelbrücke eine Hoch-spannungsleitung durch eine stürzende Tanne zu Boden, gedrückt wurde; es entstand Kurzschluss, der Streue und Moos in Brand setzte. Die Löscharbeiten gestalteten sich ziemlich schwierig. Die ausgebrannte Fläche beträgt etwa 200 bis 300 m2. Gegen 12 h nachts konnte die Feuerwehr wieder einrücken». Auch aus den übrigen Teilen der Schweiz liefen Meldungen über Sturmschäden und Unglücksfälle ein, die wir aus Raumgründen nicht wiedergeben können. Gleichzeitig berichteten die Basler Zeitungen von Staubregen, der am Donnerstagmorgen um 10½ h gefallen sei. Die «Nationalzeitung» griff sofort das Stichwort des «Saharastaubes» auf, aus eigenem Antrieb weiter. Sie dehnt sich dabei aus, wodurch in der Höhe der Luftdruck steigt, demzufolge die Luft oben ausströmt und gleichzeitig unten der Luftdruck sinkt. Der so entstandene Barometerfall treibt den Kalt- und Warmluftstrom verstärkt gegeneinander, bis die Kaltluft die Warmluftzunge vom Boden abhebt. Die Luft strömt im Zuge der allgemeinen Westdrift in den oberen Schichten in der Hauptsache in östlicher Richtung ab und führt daher bei rasch sich vertiefenden Zyklonen zu Steiggebieten östlich der Zyklone. Die Regel vom «östlichen Steiggebiet»lässt sich nach EvJEN besonders in Nordeuropa in der Grosswetterprognose erfolgreich auswerten.

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- 23 - das in den nächsten Tagen die Runde durch die schweizerische Presse machte Nach einer Einsendung der «NZZ.» vom 22. Mai war der «gewaltige Föhnsturm vorn 20. Mai begleitet von einer riesigen Verfrachtung afrikanisch-en Staubes über die Alpen. Man hat solche Staubüberführungen über die Alpen bei Föhnstürmen schon wiederholt beobachtet und auch unsere Schweizer Gelehrten Dekor, Heer und namentlich Cramer haben wiederholt über diese interessanten Naturerschei-nungen geschrieben». Offenbar feierte in diesen Äusser-ungen die Saharawindtheorie des Föhns eine gewisse Auferstehung. Die «Gotthardpost» schrieb unter dem 22. Mai: «Eine ganze Woche lang stand die Witterung hierzulande unter dem Einfluss des Föhns. In den Feldern bekam der Boden tiefe Risse, so ausgetrocknet war die Oberfläche. Natur und

Abb. 25. Föhnsturm bei Vitznau am 20. Mai 1937. Im Hintergrund der Bürgenstock, auf dem See Wasserhosen, im Vordergrund abgerissene Zweige. Photo Bürgi.

Mensch lechzten nach wohltuender Feuchtigkeit, die sich dann endlich am Donnerstag Nachmittag am Himmel ergoss und damit auch willkommene Abkühlung brachte. Wie immer liess der Föhn kurz vor seinem Rückzug noch die letzte Wut aus und richtete. . . . namentlich an den Uferorten des Vierwaldstättersees erheblichen Schaden an.» Im Kanton Glarus machte sich der Föhn am stärksten im unteren Kantonsteil bemerkbar. Von Glarus aus gesehen stand die Freibergkette in einem von «Sprühregen durchsetzten grauen Dämmer». Der warme Regen fiel zeitweise selbst in Glarus, wo um 19 h auch ein Regenbogen zu beobachten war. Um 17 h mass man in Glarus 27°. Am 31. Mai führte in den «Glarner Nachrichten» ein Förster einen Waldschaden durch den Föhnsturm vom 20. Mai an, der grösser sei als der «gesamte Anfall von windgeworfenem Holz». Besonders an Buchen und Lärchen seien durch die heftige gegenseitige Verpeitschung der Zweige und die Trockenheit des Föhnsturmes auf der Windseite der Baumkronen die jungen Blattriebe zerstört worden. Aus dem Kanton Appenzell wird eine besondere Trübung der Luft am Donnerstag und Freitagmorgen, vor allem in der Richtung des Säntisgebirges gemeldet. An den Fensterscheiben sei ein ungewohnt schmutziger Niederschlag zu beobachten gewesen («Appenzeller Zeitung» 24. Mai). Auf dem Säntis seien verschiedene Instrumente der Wetterwarte beschädigt worden, das Blechdach des Restaurants sei aufgerissen und weggedrückt worden, die Windstärke habe zeitweise bis 40 m/Sek. betragen. In Arosa wurde gelblicher Staubschneefall beobachtet. Am Donnerstag waren die Lücken des Föhnhimmels nicht blau, sondern violettgrau. Die Sonne schien nur matt. In der Nacht wurden stille

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Orte , aus denen Windschaden gemeldet wurde.(29. 21. Mai 1937)Orte, aus denen Schaden durch Überschwem-mung gemeldet wurdeRegen (20/21 Mai 1937). RegengebietSchnee (20/21.Mai 1937)Windrichtung und Windstärke (20. Mai 1937,13.5h) Temperatur (20.Mai 1937, 13.5h).

Abb. 26. Föhnsturm am 20. Mai 1937. Verteilung der Windschäden in der Schweiz.

elektrische Entladungen beobachtet. Der Regen brachte braune Schlammspritzer. Am Nachmittag des 21. Mai drängten direkt «rotgelbe Staubschwaden über die Wetter-ecke des Rothorns ins Aroser Tal herein» (Der «Freie Rätier». 22. Mai 37. Dr. P. Götz.). Unsere Berichterstattung über die Unwetterschäden ist unvollständig. Doch dürfte sie genügen, um dem Leser ein gewisses Bild über das Ausmass und die Stärke des Föhnsturmes vom 20. Mai zu geben. Wenden wir uns nun der Betrachtung der Wetterlage zu. Seit dem 10. Mai herrschte, wie wir bereits im 3. Kapitel festgestellt haben, nahezu ununterbrochen leichtere oder stärkere Südföhnlage, die aber keineswegs den Übergang vom Talföhn zum Dimmerföhn voraussehen liess. Am 19. Mai drang nach der deutschen aerologischen Übersicht kühlere maritime Luft als Westwind nach West- und Süd-deutschland vor und traf zwischen Elbe und Oder auf die noch über Ostdeutschland gelegene tropische Warmluft. Ab

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a) Meeresniveau b) 1000 m c) 2000 m 19. Mai 1937, vormittags 5h

1000 m Höhe zeigten die kühleren W-SW-Winde eine Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/Std., während die östlich der Linie Oder-Elbe zu beobachtenden warmen Südostwinde mit einer Geschwindigkeit von 30-40 km/Std. wehten. Am 20. Mai waren «die Luftmassen gemässigter Breite nur noch über West- und Nordostdeutschland zu erkennen». Die durch das in der Höhe herrschende Druckgefälle «bedingten Südsüdwestwinde haben in 1000 m Höhe Geschwindigkeiten von 20-30 km/ Std., in 5000 m von 10-15 km/Std.»59.

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a)l000m b)2000m 21. Mai 1937, vormittags 8h. Abb. 27. Veränderungen des Luftdruckes in 1000 und 2000 m Höhe vom 19. bis zum 21. Mai (nach The Daily Weather Report»).

Dadurch trat bis zum 21. Mai «bei anhaltender Südströmung starke Erwärmung ein, die über Mittel- und Ostdeutschland in allen Höhen gleichmässig 5-8° beträgt … Die Luftmasse ist über Mittel- und Ostdeutschland sehr warme Tropikluft, über Westdeutschland aus Süd-westen herangeführte, etwas kühlere und labilere Tropikluft... Es be-steht in allen Höhen ein gleichmässiges Gefälle von Osten nach Wes-ten»60. (Seit einigen Jahren werden die Luftmassen je nach ihrer Herkunft auf Grund von Vorschlägen norwegischer und deutscher Meteorologen in verschiedene Klassen eingeteilt Linke unterscheidet z.B. Polarluft, Tropikluft, Maritime Luftkörper und Kontinentalluft, während die nor-wegische Schule von Arktikluft, subpolarer Luft, Äquatorialluft und subtropischer Luft, von Warm- und Kaltluft, von maritimer und äqua-torialer Luft spricht. Eine völlige Einigung über die Bezeichnungen der Luftmassen oder Luftkörper konnte noch nicht erzielt werden. Siehe z. B. Linke, «Luftmassen oder Luftkörper», Bioklimat. Beiblatt, 1936, S.97). Auch die schweizerische Wetterlage war von dieser Luft-strömung beherrscht. Im Laufe des 19. Mai setzte über der ganzen Schweiz eine starke Südwestströmung ein61, die am 20. Mai durch deutlich geschichtete Luftströmung-en abgelöst wurde: In der Ostschweiz wehten in Bodennä-he nordöstliche bis südöstliche Winde unter oberen Süd- und Südwestwinden, bis sich am Abend des 20. Mai auch in Bodennähe die Südströmung durchsetzte62. Am Morgen des 21. Mai traten nordwestliche bis west-

59 Deutsche aerologische Uebersicht vom 20. Mai. 60 Aus der Deutschen aerologischen Übersicht vom 21. Mai. 61 Schweizerische Pilotballonbeobachtungen vom 19. Mai: Genf um 7 h 500-1500 m SWS-Winde von 7 bis 15 km/Std.; um 11 h 7 km/Std. 500 m, aber 35 km/Std. in 1550 m. Basel um 6 h bis 3000 m SE-Winde (1000 m 66km/Std., 3000 m 30km/Std.); um 8 h bis 500 m SES-Winde, darüber SW-Winde von 26-55km/Std.; um 15 h bis 500 m Nordwinde, von 1000-4000 m SW- und WSW-Winde von 16km/Std. bis 50km/Std. Zürich um 7 h 500-4000 m SSW- bis SW-Winde von 12-50 km/Std., um 12 h 1000 m Westwind 4 km/Std., 1500 m SES-Wind 15 km/Std., ab 2000 m SWS-WSW-Winde von 22 bis 65 km/Std. in 6000 m Höhe. Vormittags 8 h Säntis SE3, Jungfraujoch S3, St. Moritz SW1; mittags 13½ h Säntis SW2, Jungfraujoch S2, St. Moritz SW2. 62 Eine Reihe von Pilotballonbeobachtungen vom 20. Mai sind in nachstehender Übersicht zusammengestellt. Palermo 7 h 200 m 5 22 km/Std. 1000 m SW 30 km/Std. Lido di Roma 7 h 200 m SE 70 km/Std. 13 h 200 m SW 7 km/Std. 3000 m S 5 km/Std. 500 m SE 87 km/Std. 1000 m S 13 km/Std. 5000 m W 20 km/Std. 1000 m E 68 km/Std. 2000 m NE 5 km/Std. Chateauroux (Mittelfrankreich) 8 h 1000 m N 17 km/Std. Zürich 7 h 500 m NE 7 km/Std. 2000 m SE 38 km/Std. 4000 m SWS 45 km/Std. 6000 m SW 85 km/Std. Berlin 7 h 0-2400 m S-SW 3-33km/Std.

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- 25 - südwestliche Winde auf, als Vorboten der Regenfront, die am 21. Mai am Mittag passierte63. Den unmittelbaren Anlass zur Steigerung des Föhnes bis zur Orkanstärke bildete die Wanderung eines Tiefdruck-gebietes, das aus der Sahara stammend, sich am Abend des 19. Mai in der Nähe von Algier zeigte, am frühen Morgen des 20. Mai mit seinem auf 750 mm vertieften Kern zwischen Korsika, Sardinien und den Balearen lag, am Abend des 20. Mai sich bis zum Rhonedelta verla-gert hatte und nun mit einer mittleren Geschwindigkeit von 60 km/Std. in knapp 12 Stunden durch das Rhone-tal und Nordfrankreich bis zur südlichen Nordsee wan-derte. Dieses so vitale Tiefdruckgebiet zog seine lebendige Kraft aus dem Zusammenstoss maritimer Kaltluft, die von dem 19. Mai an der Westseite des bei Island liegen-den Tiefs über Island, den Golf von Biscaya und Spa-nien bis ins Mittelmeergebiet und nach Algerien ge-strömt war und dort auf eine über Tripolis und Malta nach Sardinien und die Riviera vorstossende, besonders

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� - Wanderung des saharischen Tiefdruckgebietes. � - Wanderung des atlantischen Tiefdruckgebietes und einer Teildepression an der Westkflste Frankreichs.

in der Höhe ausgeprägte, warme südöstliche Strömung traf. Die rasche Verlagerung dieses Tiefdruckgebietes in nahezu süd-nördlicher Richtung hing mit der allgemein herrschenden Südwestströmung bis nach Mitteleuropa zusammen. Der Vorstoss des Azorenhochs erst nach Marokko, dann nach Spanien und Südwestfrankreich entsprach dem Zustrom maritimer Luftmassen aus dem Gebiet des atlantischen Ozeans. Der Bogen der Westalpen setzte dem Abströmen der Luft aus der Poebene nach Westen ein starkes Hemmnis entgegen. So konnte sich südlich des Alpenkammes trotz dem starken Luftdruckgradienten in der Richtung zum Rhönedelta hin der Überdruck halten. Die allgemeine Wetterlage Europas wird demnach vom 19. bis zum 21. Mai durch das südlich von Island gele-gene Tiefdruckgebiet bestimmt, das aus dem über der Adria und dem östlichen Mittelmeergebiet gelegene Hochdruckgebiet warme Tropikluft ansaugt, sich da-durch allmählich ausfüllt unter gleichzeitiger Abspal-

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Wetterlage vom 20. Mai, 8h Abb. 28. Wanderung der TIefdruckgebiete vom 19. bis 21. Mai 1937.

tung mehrerer kleinerer Tiefdruckgebiete, die in östlicher Richtung abwandern. Das Azorenhoch schiebt sich gleichzeitig über Marokko und Algier im Norden bis zu den Pyrenäen vor, sodass der bereits mehr-fach erwähnte Tiefdruckwirbel aus den nördlichen Teilen der Sahara mit Saharastaub mit sich führender Luft durch maritime Luft längs der Grenze der über Südost- und Mitteleuropa heranströmender Tropikluft nach Norden gedrängt wird. Im Mittelmeergebiet hat der Vorstoss der Saharaluft am 19./20. Mai Ost-stürme zur Folge. Auch steigt die Temperatur schroff an trotz mangelnder Einstrahlung. Die Verteilung des Luftdruckes über der Schweiz lässt zwar über dem nordwestlichen Teil der Schweiz hohen und im nordwestlichen Teile tiefen Luftdruck erkennen. Aber die Kurven gleichen Luftdruckes sind am Alpenkamm keineswegs so dicht gedrängt, wie man bei einem «typischen» Föhn erwarten würde. Dagegen erfolgt der allgemeine Fall des Luftdruckes sehr rasch; sowohl nördlich als südlich der Alpenkette vom Mittag des 20. Mai bis zum Abend

63 Zürich: 7 h 500 m W 20 km/Std., 1500 m SW 40km/Std. Basel: 5h 500 m NW 25 km/Std., 1000 m W 40km/Std. In Genf regnete es bereits um 8 h. Jungfraujoch und Rigi um 5 h noch S4, Weissenstein W1.

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- 26 -

728

726

724

722720

718

20. Mai 1937 13½h

722720718

716

714

720

20. Mai 1937 21½h

767.2 Lugano

664.8 Airolo

666.2 Göschenen

698 Gurtnellen

681.3 Einsiedeln

706.0 Aarau

733.9 Basel

19.V. 20.V. 21.V.8h 13h21h 8h 13h21h 8h 13h21h

Im obenstehenden Diagramm sind die Änderungen des Luft-druckes an einzelnen Orten der Schweiz eingetragen; 2 mm Höhendifferenz bedeuten eine Änderung des Luftdruckes um 1 mm.

sinkt der Luftdruck im Durchschnitt um 3-4 mm. Allerdings setzt nördlich des Alpen-walles der Druckfall wesentlich früher als im Tessin ein, ebenso beginnt auf der nördlichen Seite der Alpen der Luftdruck früher wieder zu steigen. Im Gegensatz zum Alpentalföhn am 10. November 1934 sind die lokalen Tief-druckgebiete in den ausgesprochenen Föhntälern nur undeutlich zur Ausbil-dung gelangt, das heisst, der Südwind streicht zum Teil über die Täler weg. Auch die Verteilung der Temperatur und der relativen Feuchtigkeit ent-spricht schon am Abend des 20. Mai nicht mehr dem Bilde eines typischen Alpentalföhnes, da in den meisten Föhntälern mit Ausnahme der Ost-schweiz Regen und damit Abkühlung einsetzt. Die Bewegung des Luftdruckes voll-zieht sich im Mittelland wie der Ver-gleich der Barogramme von Inter-

Abb. 29. Mutmassliche Luftdruckverteilung über der Schweiz (red. auf 400 m) am 20. Mai 1937.

laken, Luzern und Zürich erkennen lässt, im gleichen Rhythmus. Um so auffälliger ist die Tatsache, dass in Altdorf, das mitten in der Föhnströmung lag, der Luftdruck zeitlich viel früher als in Luzern wieder ansteigt, als ob eine Welle höheren Luftdruckes sich vom Gotthard her ins Reusstal vorgeschoben hätte. Das Barogramm der meteorologischen Anstalt von Zürich zeigt, wie unruhig, geradezu turbulent der

Zustand der Atmosphäre am 20. Mai war. Das Barogramm der Säntisstation konnte nicht zum Vergleich herangezogen werden, weil zum mindesten ein Teil der Aufzeichnung des Barographen durch die starken Erschütterungen des Gebäudes der Säntis-station gestürzt worden ist. Nicht minder deutlich prägt sich der stossartige, böenhafte Charakter des Alpenvorlandföhns am 20. Mai in den Thermo- und Hygrogrammen,

20

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20

18

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23

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2016 24

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2324

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15

17

20.Mai 1937 13.5h Temperatur

50%

50%

50%

50%100%

75%75%

25%

25%

25%25%

20. Mai 1937, 13½h.Relative Feuchtigkeit

20°20°

15°

15°

15°

15°

10°

10°

10°15°

20. Mai 1937 21½h Temperatur Abb. 30. Temperatur und relative Feuchtigkeit in der Schweiz am 20. Mai. Die Abkühlung setzt von Nordwesten, Westen und Südwesten ein, so dass am Abend des 20. Mai nur mehr in der Ost-schweiz stärkere Föhnströmungen mit relativ hoher Temperatur und geringer relativer Feuchtigkeit festzustellen sind.

sowie in den Aufzeich-nungen über Windrich-tung und Windstärke der Zürcher Station aus. Trotzdem genügen die vorliegenden Beobach-tungsdaten keineswegs, um ein wirklich zuver-lässiges Bild der Luft-strömungen während des Föhnsturmes

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- 27 - Abb. 31. Barogramm vom 20. Mai 1937.

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700

20.V. 1937

10h 12h 14 16 18 20 22 24h 2 4 6 8

21.V. 1937

Barogramm Zürich.

vom 20. und 21. Mai zu vermitteln. Eine Untersuchung der Föhnströmungen kommt mit bodennahen Messungen nicht aus. Nur durch gleichzeitige Beobachtung des Zustandes der Luftverhältnisse in verschiedenen Niveauhöhen über der Erdoberfläche im Mittelland und im Alpengebiet liesse sich die Schichtung der Luftmassen abklären. Am 19. und 21. Mai liegen bloss entsprechende aerologische Messungen der Münchner Flugwetterwarte vor, Messungen, die in den untern Schichten am 19. Mai deutlich den Einfluss der Föhnströmung erkennen lassen. Es ist zu hoffen, dass in Zukunft auch in der Schweiz während einer Föhnlage entsprechende aerologische Messungen im Mittelland, auf einigen Gipfelstationen und in den eigentlichen Föhntälern vorgenommen werden können. Offenbar werden die unter Leitung von W. Mörikofer in den letzten Jahren in den Kantonen Glarus und Graubünden zum Teil mit Hilfe von Pilotballonaufstiegen durchgeführten Föhnuntersuchungen neue Er-gebnisse zeitigen. Leider ist es uns nicht möglich, über diese noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen auch nur referierend zu berichten, da die Ergebnisse, wie uns Herr Dr. W. Mörikofer freundlicherweise mitteilte, noch nicht für die Veröffentlichung freigegeben werden konnten. (In Glarus wurde durch Regi-strierapparate die Luftdruckschwankungen, die Temperatur, die Feuchtigkeit, die Windrichtung, die Windstärke und die Abkühlungsgrösse gemessen. Besondere Beobachtungsreihen dienten der Feststel-lung der luftelektrischen Verhältnisse. Pilotballonaufstiege wurden in Glarus und in Elm vorgenommen. Thermohygrografen waren ausser in Glarus auch in Schwändi, Linthal, Elm, Ziegelbrücke und Braunwald aufgestellt.)

6. KAPITEL

Saharastaub über der Schweiz Nach dem 20 Mai machten die Stichworte «Saharastaub», «Afrikanischer Staub» die Runde durch die Presse. Auch eine ganze Reihe von meteorologischen Stationen wiesen in ihren Monatsberichten auf Staubregen und Staubfall64, Staubwolken65 oder starke Trübung66 hin. Anderseits

64 Airolo: «In den Bergen am Morgen des 20. Schnee auf 1200-1500 m dunkelgrau geworden, was zu der Vermutung führte, dass der Südwindsturm den Saharastaub bis in die Alpen getragen hätte. Der Schnee ist in diesem Stück viel schneller wegge-schmolzen.» Schuls: «Am 20. Mai 21.45-22.15 h Gewitter von W nach E, wobei ein gelber Sandregen gefallen ist. Am 21. Mai Berge in star-kem Dunst.» St. Gotthard: «Am 20. Mai fiel über Nacht roter Regen und Schnee bis 2700 m.» Locarno-Monti: «Regen 6½-8¼ h gelber Niederschlag, mehrfach nachts Gewitter, etwas gelber Niederschlag.» Flugplatzdirektor Koepke vom Berner Flugplatz beobachtete auf den Firnfeldern der Berner Alpen nach dem 20. Mai gefärbten Schnee. 65 Waldhaus Flims: «In der Luft Wolken von vermutlichem Wüstenstaub. Niederschlag mit Sand.» Basel: «Nach telephonischen Mitteilungen und Zeitungsmeldungen zwischen 10½ und 11 h leichte Rückstände von gelblichem Staub, hauptsächlich auf Autokarosserien. Eigenartige Bewölkung, die wie Hochnebel aussah, bei der aber gleichzeitig eine sehr hohe zirrusartige Bewölkung auftrat, dürfte mit diesem Staubfall zusammenhängen, ebenso die weissliche Färbung des Himmels, die sich durch Wolkenlücken beobachten liess.» Sargans: «20./21. Mai bei heftigem Südwind merkwürdige fahlgelbe Lufterscheinung. Es war, wie wenn in gewaltigen Höhen Staubwolken über die Alpen zögen. Die Sonne war trotz zeitweise wolkenfreiem Himmel stark abgeschwächt». 66 Wallenstadtberg: «Starke Trübung (Wüstenstaub).» Frauenfeld: «Stark dunstig (Wüstenstaub).» Rorschach: «Leichter Dunst.» Weissenstein: «Schlechte Sicht.» Schiers: «Auffallend dunstig (Wüstenstaub).» Luzern: Mittags «dunstig».

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- 28 - wurde uns von R. Streiff-Becker mitgeteilt, am Nachmittag des 20. Mai habe nach Beobachtung von Herrn Kläsi, Prokurist der Weberei Rüti, der Sturmwind am Kilchenstock mehrere hundert Meter hohe Staubtromben aufgewirbelt. Da seit dem 14. März, dem letzten Tage, an dem in der Ost- und Zentral-schweiz Niederschläge fielen, in den Alpentälern fast ununterbrochen warme, austrocknende Föhnwinde wehten, ist die Möglichkeit lokaler Staubwolkenbildung nicht von der Hand zu weisen. Dennoch dürften am 20. Mai 1937 grössere Mengen Saharastaub durch Regen oder Schnee in den Alpen niedergeschlagen worden sein. Dafür sprechen unter anderm die Untersuchungen von Staubproben durch Dr. von Moos vom geotechnischen Institut der E. T. H. Einmal ist der am 21. Mai in Davos und Arosa eingesammelte Staub sehr ähnlich solchen Staubproben, die durch Einschmelzen von Schnee gewonnen wurden67. Ausserdem gleicht die Zusammensetzung der betreffenden Staubproben weitgehend andern ausserhalb der Schweiz gesammelten Mustern68. Wohl am besten ist der mächtige Fall von Saharastaub untersucht, der vom 9.--12. März 1901 über Europa niederfiel. Der betreffende Staubfall erstreckte sich über eine Entfernung von 2800 km, eine Fläche von 800000 km2 und dehnte sich von Süditalien über die Alpen bis nach Mittel- und Norddeutschland, Dänemark und Polen aus. In einlässlicher Untersuchung stellten Hellmann und Meinardus69 den afrikanischen Ursprung des gefallenen Staubes sicher: Einmal nimmt die Korngrösse des gefallenen Staubes, wie auch die gefallene Staubmenge von Süden nach Norden ab. Ebenso deutlich liess sich eine Verspätung des Staubfalls von Süden nach Norden konstatieren, die zudem mit den herrschenden Windgeschwindigkeiten in Übereinstimmung stand. Ähnlich wie am 20. Mai 1937 wanderte in ca. 2 Tagen ein in der Sahara südlich von Tunis gebildetes Tiefdruckgebiet aus dem Mittelmeer über die Alpen bis zur Ostsee. Der Weg dieses Tiefdruckgebietes wurde auf der rechten Seite von Staubfall begleitet, der die Schneefelder der Alpen hell-gelbrot färbte. Der grösste Teil des Staubes fiel aber auf der Südseite der Alpen. Die Geschwindigkeit des Südwindes erreichte bis 70 km/Std. Der Staub70 war eine Art Löss. Seine Hauptbestandteile waren Quarz, Glimmer, Feldspat, Kalzit und Limonit. Am 24. Januar des Jahres 1902 erreichte ein Staubfall den Süden von England, der den Weg über die Kanarischen Inseln und die Azoren genommen hatte. Schon vor diesen klassischen Untersuchungen ist immer wieder in den Fachzeitschriften (vor allem in der «Met. Zeitschr.») über entsprechende Staubfälle berichtet worden. In den letzten Jahren haben sich speziell die Herren Dr. Goetz in Arosa, sein Mitarbeiter Glawion und Dr. W. Mörikofer in Davos mit dem Problem der Saharastaubfälle über der Schweiz beschäftigt. Letzterer vor allem im Zusammenhang mit der absurden Hypothese des Prof. Gercke, wonach die Heilwirkung der Hoch-

67 Es handelt sich um milchkaffeebraun gefärbte Staubproben: In Arosa wurden von Dr. Götz 2,3 g gesammelt. In Davos erhielt Dr. Mörikofer die Proben auf mit Glyzerin bestrichenen Glasplatten. Die hellbraune Farbe stimmt mit Mustern überein, die im Jahre 1936 an den gleichen Orten gesammelt wurden. Korngrösse 2 bis 10 µ. Zu Dreiviertel besteht der Staub aus viel Karbonaten (Kalzitkristallen) und Quarz. Dann folgen Glimmer und rostbraune Limonitfetzen (nach Angaben von Dr. von Moos). In Münchenstein (bei Basel) am 20. Mai um 18 h gesammelter graubrauner Staub war vorwiegend lokalen Ursprungs, worauf unter anderm Russteilchen hindeuten. Ähnliche Zusammensetzung wies auch ein Belag an den Südfenstern der Gewerbeschule Zürich nach dem 20. Mai auf, nur waren neben Russ, Quarz und wenig Limonitfetzen viel Karbonatteilchen vorhanden. 68 Im Berichte der deutschen «Meteor»-Expedition 1925/1927 wird hellbräunlicher Staub erwähnt, der in der Nähe der Kap Verdischen Inseln auf das Expeditionsschiff niedergefallen sei und weniger als 40 Teile Kalkspat, weniger als 20 Teile Aggregate, mehr als 10 Teile Quarz, mehr als 10 Teile Glimmer, weniger als 10 Teile Limonit und weniger als 5 Teile Feldspat enthalten habe. («Die Sedimente des äquatorialen atlantischen Ozeans» von Carl W. Correns, S.276, Berlin 1937.) 69 Met. Zeitschr. 1902, 8.180; Abhandlg. des Königl. Preuss. Meteorolog. Institutes, Bd. II, Nr.1 70 In Algier und Tunis fiel der Staub trocken, in Italien z.T. als Staubregen, in Norddeutschland nur als Niederschlag, der durch den Stau der Südströmung an kälteren, im NW gelegenen Luftmassen entstand. Staubstürme wurden in Südalgier vom 8.-10. März beobachtet, in Sizilien und Italien am 10., in den Ostalpen in der Nacht zum 11., in Norddeutschland am 11. und im Süden von Dänemark in der Nacht zum 12. März. Eine Staubanalyse in Fiume ergab 49,5 % SiO2; 9,96 % Fe2O3; 12,1 % Al2O3; 11,5 % CaO; 8,96 % CO2; 5,5% organische Substanz; Rest Mn3O4, MgO

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- 29 - alpentäler von Davos und Arosa für Tuberkulose auf den Fall von Saharastaub zurückzuführen sei. Im Jahre 1936 wurden am 4. März, 7. April, 26. und 27. Juni, 27. und 28. Juli, 20. und 21. September Staubfälle signalisiert. Am 5. März wurde in Arosa gelbroter Schnee festgestellt: «Schmutzige Strähnen, unmittelbar daneben das Weiss unberührt lassend»71 nachdem am 4. März in Arosa der Staub trocken angeweht worden und im Engadin mit Niederschlag gefallen war. Auch am 20. März 1937 wurde in Arosa «gelber» Schnee konstatiert: auf einem Quadratmeter Bodenfläche konnten an diesem Tage bis zu 0,6 g Staub gesammelt werden. Trotzdem zweifellos in zahlreichen Fällen direkt Saharastaub bis über die Schweizeralpen geweht wurde, ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass in gewissen Fällen der Staub auch lokaler oder mediterraner Herkunft ist. Darauf scheint u. a. eine Beobachtung von Glawion hinzuweisen, der kürzlich «Über einige Staubfälle in Arosa» berichtete72. Er verfolgte die Trübung der Luft mit einem Freiluftkonimeter der Firma Zeiss. Bei subtropischer Warmluft wurde jeweilen hoher Staubgehalt der Luft festgestellt, während der Staubgehalt von maritimer Polarluft meistens sehr niedrig war. Aber gerade am 22. Juli 1936 wies maritime Polarluft ein Maximum an Staubteilchen (48200 Teilchen pro Liter gegen 29000 Teilchen der subtrop. Warmluft vom 28. Juli) auf. Wahrscheinlich habe die kalte Polarluft aus tieferen Lagen staubreiche Luft mit sich geführt. 1926 wies R. Billwiller jun. auf den Glarner Dimmerföhn als eine besondere Föhnart hin, die bisher in der Fachliteratur unbeachtet geblieben sei. Billwiller glaubt, dass bei Dimmerföhn «die Talschlüsse der Föhntäler zum Teil überweht werden und der Windfall mehr den Ausgang der Täler und das Voralpengebiet» treffe. Als Beispiele erwähnt Billwiller den Dimmerföhn vom 4./5. Januar 1919, der grosse Windwurfschäden im Mittelland verursachte und den Föhnsturm vom 15. Februar 192573, bei denen das Zentrum einer Depression ganz besonders nahe den Alpen passierte «und grosse barometrische Gradienten über letzteren bedingte». Wir vermuten, dass die Bezeichnung Dimmerföhn auf die vielleicht gerade bei Dimmerföhn häufige Trübung der Luft durch mittelländischen oder Saharastaub zurückzuführen ist. Die Klassifikation der Föhnstürme ist noch keineswegs allgemein geklärt. So wurde in der Presse («Basler Nationalzeitung» vom 30. Juni 1937 durch Dr. W. Strub) der Föhnsturm vom 20. Mai 1937 als «Scirocco» bezeichnet, da es sich nicht um den gewöhnlichen Alpenföhn gehandelt habe, weil «hiesige Personen damals nicht Kopfweh wie sonst bei Föhn, sondern rheumatische Schmerzen empfunden» hätten. Zweifellos ging der Föhnsturm vom 20. Mai 19,37 aus der starken Südströmung hervor, welche von Süditalien bis nach Norddeutschland strömte, in Italien als heisser, feuchter und unerträglicher Scirocco empfunden wurde, aber beim Übergang über die Alpen nahm dieser Wind doch typische Föhneigenschaften an: relativ grosse Trockenheit und Wärme in der Ost- und Zentralschweiz verglichen mit dem Tessin. Das Problem der Abhängigkeit des Befindens des Menschen von den Wettererscheinungen, die sogenannte «Wetterfühligkeit» ist erst in den letzten Jahren74 stärker beachtet worden. Es ist allgemein bekannt, dass Föhnlagen je nach Veranlagung und Disposition in ganz aus-

71 N.Z.Z., 8. März 1936. 72 Met. Zeitschr., 1937, Februar. 73 R. Billwiller, «Der Glarner Dimmerföhn». Verhandlungen der Schweizer Naturforsch. Gesellschaft, Freiburg 1926. Die Dimmerföhne vom 4.15. Januar 1919 und 15. Februar 1925 sind ausführlich geschildert im Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich auf das Jahr 1926 von Hans Frey, «Die lokalen Winde am Zürichsee». Die Bezeichnung Dimmerföhn scheint nicht immer in dem von O. Heer erwähnten Sinne gebraucht worden zu sein. Nach Wild («Ueber den Föhn etc.», 8.75) unterschied 1865 Dr. med. Oertle in Glarus den «wilden Föhn» und den «zahmen oder Dimmerföhn». Bei letzterem wehe nur mässig starke südliche Luftströmung. 74 Siehe vor allem die «Bioklimatischen Beiblätter» der Met. Zeitschr. Der Verfasser des vorliegenden Neujahrsblattes hat - angeregt durch einen «Beitrag zur Erforschung der Wetterfühligkeit» von ,Dr. E. Düm (Solothurn 1936) - während eines ganzen Jahres genaue Aufzeichnungen über das subjektive Befinden in Abhängigkeit von der Wetterlage gesammelt und dabei feststellen können, dass nicht nur Föhnlagen, sondern auch der Durchgang von Störungslinien der Tiefdruckgebiete und der Wechsel der Luftmassen einen nach Stunden genau bestimmbaren Einfluss auf das Befinden ausüben. Wenn möglich, sollen die betreffenden Aufzeichnungen an anderer Stelle veröffentlicht werden.

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- 30 - gesprochenem Masse zu Störungen des subjektiven Befindens und der Gesundheit beitragen. Deshalb ha-ben die von Dr. W. Mörikofer mit seinen Mitarbeitern in den Kantonen Glarus und Graubünden durchge-führten Untersuchungen auch das Studium des Einflusses des Föhns auf das Befinden der Patienten des Kantonsspitals Glarus und den Verlauf der Krankheiten in ihren Untersuchungsbereich einbezogen. Stati-stische Untersuchungen, wie sie seinerzeit in Innsbruck im Rahmen der Innsbrucker Föhnstudien durch Trabert mit Hilfe von Fragebogen durchgeführt wurden, sind allein wohl kaum geeignet, diese Fragen eindeutig zu klären. Man muss vielmehr auf Detailuntersuchungen abstellen.

7. KAPITEL Nochmals Geschichte der Föhntheorie

Wild hat in seiner umfangreichen Studie «Über den Föhn und Vorschlag zur Beschränkung seines Begrif-fes» im Jahre 1901 einzelne Probleme der Föhntheorie erneut zur Diskussion gestellt. WILD zählt nicht weniger als 14 Merkmale des «typischen» Föhnwindes auf. Er bezeichnete gleichzeitig in dieser Arbeit «das Heruntersteigen des Föhns im Talgrund» als den «zur Zeit noch einzigen unklaren Punkt in der Föhntheorie». Wild lehnt die Meinung Billwiller's, das Herabsteigen des Föhns in die Täler werde durch das Abfliessen der Luft nach einem nördlich gelegenen Depressionszentrum verursacht, vor allem deshalb ab, weil der Föhn immer zuerst hinten im Tal auftrete, wobei der Föhn stets mit einem Gegenwind zu kämpfen habe, was für «eine Verdünnung der Luft im Talgrunde durch den oben über die einschliessenden Bergkämme hinbrausenden Sturm spreche. Durch eine Reihe von Diagrammen weist der Verfasser nach, dass im Glarnerland das Luftdruckgefälle dem Auftreten des Föhnwindes parallel geht. Weht der Föhn in Elm und Glarus, so hat Glarus den tiefsten Luftdruck, weht aber der Föhn auch noch in der Linthebene, so herrscht vom Talhintergrund bis zur Linthkolonie ein ausgesprochenes Druckgefälle vor. Billwiller meinte, die Aspiration durch ein vorübergehendes barometrisches Minimum, «welche zunächst in den unteren Luftschichten stattfinde», sauge «gleichsam die Luft aus den Tälern heraus». Wild stellt sich dagegen vor, dass die in der Höhe in stürmischer Bewegung befindliche Luft «etwas in den geschützten Raum hinter der Bergwand einbiegen, die nächsten Luftschichten fortreissen und so einen luftverdünnten Raum bewirken werde, kurz es wird sich eine Art vertikaler Luftwirbel im Tale einstellen . . . Dass nun nach und nach am Anfang des Tales immer tiefere Luftschichten von dem oberen Strom direkt ergriffen werden, bis endlich der Wirbel da verschwindet und der Strom von der Höhe das Tal bis auf den Grund erfüllt, also der Föhnsturm dort ins Tal her-untergestiegen ist, während weiter unten im Tal noch die Wirbelbewegung fortdauert, ist selbstverständlich. Die Verdünnung der Luft pflanzt sich also nach dem Talausgange zu fort, während der Druck am obern Ende durch Ausfüllung mit Luft steigt»75

Wild bezeichnet seine Theorie als «aerodynamische Theorie des Heruntersteigens des Föhns im Tal». Auch die Beobachtung der Temperaturen veranlasst Wild zu der Feststellung, dass die Föhnluft z. B. wohl vom Gotthard nach Andermatt oder Gurtnellen herabgestiegen sei, aber Altdorf noch nicht erreicht habe, ohne dass aber von Altdorf aus ein Abfliessen von Kaltluft ins Mittelland zu beobachten sei. Oft sei auch die absolute Feuchtigkeit auf der Nordseite der Alpen niedriger als auf der Südseite. Den Föhn in Quertälern, z. B. im mittleren und oberen Rhonetal erklärt Wild durch eine Art Zugwirkung, welche die Verminderung des Luftdruckes in den südnördlichen Föhntälern ausübe76. Zwei Jahre später, im Jahre 1903 lehnte R. Billwiller sen., wie schon erwähnt, Wild's

75 Wild, «Ueber den Föhn etc.», S.30 (Nr.75) 76 Ob das von WILD als Stütze seiner Theorie herangezogene Experiment mit Salmiaknebel und einem Kohlendioxydstrom über ein Gebirgsreliefmodell als beweiskräftig angesehen werden kann, möchten wir auf Grund der von O. Leemann in der bereits erwähnten «Studie zur Geschichte der Föhntheorie» angeführten physikalischen Bedenken ernsthaft bezweifeln. Ebenso dürften die von WILD gezeichneten Luftdruckkarten nur in beschränktem Masse ein exaktes Bild der realen Luftdruckverhältnisse geben.

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- 31 - Vorschlag zur Beschränkung des Föhnbegriffes ab. 1904 nahm Rob. Billwiller jun. in einer Berner Dis-sertation über den «Bergeller Nordföhn» die Diskussion der Kontroverse Wild -Billwiller wieder auf77. Er zeigte zunächst, dass die Jahresisobaren im Niveau von 2000 m einen Rücken hohen Luftdruckes über den Alpen erkennen lassen mit einer Einsattelung über dem Gotthardmassiv, was sich durch den relativ leichten Ausgleich des Luftdruckes über den Gotthardpass hinweg erklärt. Wichtig ist die Feststellung, man könne bei Nordföhn nördlich des Alpenkammes ein kleineres Gefälle unterscheiden, während sich die Zone des grössten Gefälles südlich vom Kamm befindet, und zwar einerlei, ob der Föhn eingeleitet wurde durch den Vorübergang einer Depression im Süden der Alpen oder ob Druckzunahme im Norden ihn veranlasste. Es scheint also gleichgültig, ob die Luft von Süden her aspiriert wird, oder der Impuls zum Abfliessen von Norden ausgeht; ist der Prozess einmal eingeleitet, so sind die Druckverhältnisse die nämlichen»78 Die Kontroverse Wild-Billwiller bildete in den Jahren 1904-1910 die Veranlassung zum Ausbau der «Innsbrucker Föhnstudien» durch H. Von Ficker. Der Innsbrucker Föhn ist schon Vor diesen klassisch gewordenen Untersuchungen mehrfach geschildert worden79. Die zwei Innsbrucker Föhnstudien H. Von Ficker's stützten sich zunächst auf 4 respektive 6, später auf 14 zum Teil mit mehreren Registrierinstru-menten ausgerüstete Stationen in der näheren und weiteren Umgebung von Innsbruck80. Zwei andere «Innsbrucker Föhnstudien» beschäftigten sich mit Teilproblemen81. Defant konnte vor Beginn des Föhns oder bei Föhnpausen auftretende Temperaturschwankungen von 14 Minuten, 24,5 Minuten und 41,5 Mi-nuten Schwingungsdauer durch die Annahme stehender Wellen des Innsbrucker Kaltluftsees im Unter-inntal erklären. H. Von Ficker nimmt gegenüber der Wild-Billwiller'schen Kontroverse eine vermittelnde Stellung ein. In seinen abschliessenden «weiteren Beiträgen zur Dynamik des Föhns» (Innsbrucker Föhnstudien IV) lehnt er zwar die Aspirationstheorie Wild's ab, findet aber doch dessen Beobachtung bestätigt, dass der Föhn zuerst zuhinterst im Tale auftrete, weil das Talende höher liegt. «Unsere Untersuchungen beweisen zwar die Richtigkeit der Grundgedanken der Billwiller'schen Theorie», aber sie zwingen uns zu einer nicht unbeträchtlichen Modifikation und verschaffen uns überdies einen viel genaueren Einblick in den Mechanismus der Föhnströmung. Vor allem lässt Billwiller's Theorie unerklärt, warum der Föhn zuerst in den hintersten Tälern ausbricht. Nach Billwiller müssten wir das Gegenteil erwarten»82

Bei Innsbruck weht nach H. Von Ficker der Föhn oft weiter ins Tal hinunter als in den westlich und öst-lich davon gelegenen Teilen des Inntales. Die Föhnströmung erodiert in den Föhntälern sozusagen in der am Boden lagernden Kaltluft ein breites Strombett aus und steigt dann nördlich von Innsbruck - wie vor allem die Fahrten mit dem Ballon «Tirol» gezeigt haben über die Kalkberge des Karwendelgebirges ins Gebiet der obern Isar hinunter: «Es ergibt sich, dass ein schmaler, warmer Luftstrom durch das Silltal vom Brenner her in das Inntal bei Innsbruck abfliesst und hier zwischen zwei kalten Luftgebieten wie in einem Troge abfliesst» Das Absinken der Föhnströmung von Igls (Höhe 874 m über Meer) bis nach Innsbruck (Höhe 576 m) er-klärt H. Von Ficker mit Margules83 durch allmähliches Aufsaugen der kalten Luft an der Grenzfläche der rascher bewegten, wärmeren Luftschicht gegen die ruhende kältere Bodenschicht. Starke Föhnströmun-gen sind auf bestimmte Täler beschränkt. Im Ober-

77 R. Billwiller, «Der Bergeller Nordföhn»: Den Kern des Föhnproblems bildet die Frage nach der Ursache des Herabsinkens der Luft in die Täler.» S.40/41. 78 1. c. S.39. 79 Ueber die Häufigkeit, die Dauer und die meteorologischen Eigenschaften des Föhns in Innsbruck» von J. M. Pertner. Sitzungsaber. der Kais. Akademie der Wissenschaften, Wien 1895. «Der Innsbrucker Föhn», Aulavortrag von Prof. Dr. P. Czermak vom 26. Febr. 1901. 80 Innsbrucker Föhnstudien, I. Beiträge zur Dynamik des Föhns.» Denkschr. d. Kais. Akad. d. Wiss., Wien 1904/06.4 Stationen: Innsbruck, Igls, Heiligenwasser, Patschenkofl. Innsbrucker Föhnstudien IV. Weitere Beiträge zur Dynamik des Föhns.» Denkschr. etc. Wien 1910. Stationen; Brixen, Sterzing, Brenner, Matrei, Patschenkofl, Igls, Innsbruck, Rotholz, Zirl, Telfs, Seefeld, Scharnitz, Mittenwald, Zugspitze. 81 Innsbrucker Föhnstudien II. Periodische Temperaturschwankungen bei Föhn und ihr Zusammenhang mit stehenden Luftwellen von Alb. Defant. Denkschr. etc. Wien 1906. «Innsbrucker Föhnstudien III.; Der physiologische Einfluss von Föhn und föhnlosem Wetter» von Trabert. Denkschr. etc. Wien: 1908. 82 «Innsbrucker Föhnstudien IV», 8.58, resp. S.6. 83 Ueber Temperaturschichtung in stationär bewegter und in ruhender Luft» von M Margules. Hannband der Met. Zeitschr. 1906, 5. 243ff.

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a) 1. Stadium (Vorstadium). Über der kalten Störungsschicht warme, langsam abfliessende Luft (Inversion)

b) 2. Stadium (antizyklonales Föhnstadium).. Die kalte Bo-denschicht zieht den Föhn in die Täler herab.

c) 3. Stadium (stationäres Föhnstadium). Die Luft steigt auch auf der Südseite der Alpen auf, die Föhnmauer bildet sich, die kalte Störungsschicht ist abgeflossen, die Föhnströmung fliesst in den Tälern.

Abb. 32. Föhnstadien (nach H. von Ficker)

inntale, wo die Kammhöhe der südlich gelegenen Pässe weit über der Höhe des Brennerpasses liegt, beobachtete H. Von Ficker oft Windstille, auch wenn im tiefer gelege-nen Innsbruck bereits starker Föhn wehte. Erst auf der Kammhöhe liess sich wieder stürmische Luftbewegung feststellen. Die verschiedene Dauer des Föhn-windes in den einzelnen Tälern kann deshalb nur unter genauer Be-rücksichtigung der orographischen Verhältnisse, der Ge-staltung des Reliefs der Erdoberfläche erklärt werden. Die von H. Von Ficker untersuchten Föhnfälle erlaubten die Aufstellung von drei typischen Stadien der Föhnent-wicklung: Im ersten Stadium, dem Vorstadium herrschen antizyklonale Verhältnisse. Die Alpen liegen gewöhnlich am Rande einer Hochdruckzone. Es herrscht stabile Tem-peraturumkehrung (Temperaturinversion). Die tieferen Luftschichten bestehen aus dichter, relativ kalter Luft, die langsam entsprechend der Richtung des Luftdruckgefälles abfliesst. Darüber lagert ebenfalls langsam absteigende, gleichfalls als Südwind abfliessende relativ

warme und trockene Luft. In der Höhe tritt starke, in den Föhntälern langsame Erwärmung (oben troc-kenadiabatische Erwärmung, in den Föhntälern Erwärmung der potentiell kalten Luft) ein. Im zweiten Stadium, dem sogenannten ersten antizyklonalen Föhnstadium fliesst die kalte Luft aus den Föhntälern ab, die relativ warme und trockene Luft der Höhe sinkt in die Föhntäler nieder unter gleichzeitigem Ab-fluss nach Norden als Südwind: Der Föhn bricht in den Föhntälern durch. Auf der Südseite der Alpen ist noch keine aufsteigende Luftbewegung zu beobachten. Mit dem dritten Stadium, dem zweiten stationären Föhnstadium treten die typischen Föhnerscheinungen auf: Die Höhen werden relativ feucht, auf der Süd-seite der Alpen fallen bei aufsteigender Luftbewegung Niederschläge, auf der Kamm-höhe bildet sich die Föhnmauer, in den Föhntälern steigt die Temperatur auf ihren Maximalwert, während die relative Feuch-tigkeit meistens etwas zunimmt. Schliesslich dringt auf der Rückseite des Tiefdruckgebietes kalte Luft vor, welche sich von Norden nach Süden ausbreitet, sich unter die warme Föhnluft schiebt und den Föhn nach und nach auch im Talhinter-grund zum Erlöschen bringt. Der Durchbruch des Föhns erfolgt im Inntal und im nördlichen Alpenvorland in gleicher Höhe gleichzeitig ..84. Auf der vor den Alpen gelegenen Ebene fliesst die warme Föhnströmung über der kalten, bodennahen Luftschicht in mehr oder weniger grossen Höhe hinweg: Der Föhn bricht im allgemeinen nicht durch kalte Luftschichten zum Boden durch, sondern letztere fliessen ab und der Föhn sinkt als Ersatz herab»85, Bei Nordföhn liegen dagegen gewöhnlich prinzipiell andere Verhältnisse vor: Auf der Nordseite der Al-pen staut sich kalte Luft, «schwillt bis zur Kammhöhe, tritt auf die Südseite über, senkt sich und verdrängt die warme Luft»86, Die «Innsbrucker Föhnstudien» bilden unzweifelhaft einen Höhepunkt der Föhnforschung, trotzdem H. VON FICKER zum Teil aus technischen Gründen nicht alle jene Messungen durchführen konnte, welche vielleicht zur restlosen Abklärung des Föhnproblems notwendig gewesen wären. Es ist zu vermuten, dass in den schweizerischen Alpen, wo der Föhn ja viel häufiger als in den Ostalpen weht, sich gewisse Be-sonderheiten zeigen werden. In den schweizerischen Zentralalpen wird das FICKER'sche Schema der drei Föhnstadien wohl zum Teil modifiziert werden müssen, weil z. B. beim Gotthard der Übergang von der Süd- zur Nordseite der Alpen

84 «Innsbrucker Föhnstudien IV«, 8.37. 85 1. c. 8.60. 86 1. c. 8.60. Siehe auch II. von FICKER, «Transport kalter Luftmassen über die Zentralalpen». Denkschr. etc. Wien 1906, Bd. LXXX.

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viel weniger breit ist und die Täler der Zentralalpen viel offener gegen das Mittelland sind. Ob gewisse Einzelheiten der Wild'schen aerodynamischen Theorie des Föhns zur Erklärung lokaler Eigentümlich-keiten der Föhnströmung Verwendung finden können, muss die Zukunft zeigen. In den letzten Jahren sa-hen sich die Meteorologen oft gezwungen, zur Erklärung mancher Feinheiten der meteorologischen Er-scheinungen Turbulenzerscheinungen zu berücksichtigen87. So dürften Wirbelbildungen bei der Ausbil-dung der Föhnmauer auftreten, können einzelne böenartige Föhnstösse turbulenter Natur sein, wenn auch H. von Ficker hervorhebt, anlässlich seiner Ballonfahrten88 in Föhnströmungen habe er verhältnismässig wenig Wirbelbildungen konstatieren können. Diese Ballonfahrten bei Föhn bilden eine wertvolle Er-gänzung der «Innsbrucker Föhnstudien». Die warme Föhnströmung sinkt in die Täler herab, ohne dass ein Einbiegen der Föhnströmung in die Talrichtung zu beobachten ist. Gebirge werden quer zur Streich-richtung übersetzt. Auch in engen Tälern, wie den westöstlich verlaufenden Tälern des Karwendelgebir-ges, die der Föhn senkrecht zum Streichen der Kämme passiert, sinkt die Föhnströmung am Leehang in die Tiefe und steigt am Luvhang wieder empor. Die Strömungslinien drängen sich über den Käm-men zusammen und treten über den Tälern ausein-ander. Die unterste Strömungslinie schmiegt sich dem Bodenrelief eng an. Die Störung der Föhn-strömung kann noch 1000 m über der Kammhöhe festgestellt werden. Der Ballon wird auf der Süd-seite der Bergkämme stark gehoben. Von der Kammhöhe weg wird der ausbalancierte Ballon auf der Leeseite in die Täler hinabgedrückt, um am jenseitigen Hang wieder automatisch aufzusteigen. Am 6. Oktober 1911 sank im absteigenden Luft-strom der Ballon «Tirol» von 3200 m auf 1600 m und wurde dreimal durch die Föhnströmung in die Täler des Karwendelgebirges

Abb. 33. Ballonfahrt über das Gebirge während Föhn (nach H. v. Ficker). ∏ Föhnströmung … Bewegung des Ballons

hinuntergerissen. Die horizontale Geschwindigkeit betrug etwa 20 m/Sek., die vertikale Fall- oder Steig-geschwindigkeit des Ballons etwa 6-7 m/Sek., während die vertikale Steiggeschwindigkeit der Föhnströ-mung wohl bis 10 m/Sek. betrug. H. von Ficker hat auf der Leeseite der Kämme bei Föhnballonfahrten noch nie Saugwirbel beobachten können (was vor allem gegen die Theorie von Wild, wie auch gegen die Theorie von R. Streiff-Becker spricht). Auch die von R. Billwiller jun. und de Quervain im Reusstal durchgeführten Registrierballonaufstiege bei Föhn89 erbrachten den klaren Nachweis vom vertikalen Absteigen der Föhnströmung. Nach H. von Frickers Föhnstudien schien den meisten Meteorologen das Föhnproblem, das nach H. von Ficker selbst zu den «besterklärten Erscheinungen der atmosphärischen Physik»90 gehört, keiner mono-graphischen Behandlung mehr bedürftig zu sein. 1916 orientierte R. Wenger

87 So zur Erklärung der Bildung der Zirrokumulus- und Altokumuluswolken. Siehe auch Untersuchungen über die Feinstruktur des Windes» von R. Becker. Met. Zeitschr., 1930, 8.183. Auf die Tatsache, dass in den Schweizeralpen der Föhn oft ohne vorgängigen, talabwärts wehenden Wind plötzlich einsetzt, weil in den schweizerischen Föhntälern Inversionen selten sind und besonders im Reusstal die Temperaturschichtung vor Föhn eine wenig stabile zu sein pflegt, machte schon 1912 R. Billwiller jun. (Verhandlungen der Schweiz. Naturforsch. Gesellschaft Altdorf) aufmerksam. 88 «Beobachtung vertikaler Luftbewegungen bei Ballonfahrten im Gebirge.» H. v. Ficker, Met. Zeitschr., 1912, 8.292. «Ballonaufstiege bei Föhn», H. v. Ficker, Met. Zeitschr., 1913, S.213ff. «Föhnuntersuchungen im Ballon«. Sitzungsber. d. Kais. Akad. d. Wiss. Wien, 1912. 89 «Registrierballonaufstiege in einem Föhntal.» R. Billwiller und A. de Quervain. Met. Zeitschr., 1912, S.249. Der Aufstieg erfolgte am 22. März 1911. Von drei Ballonen wurde nur einer wieder am obern Zürichsee aufgefunden. Der Aufstieg fand in Erstfeld am Morgen um 7 Uhr 55 statt bei einer Temperatur von 12,6°, einer relativen Feuchtigkeit von 37%, Südwind von 5-6 m/Sek. am Boden, 10,8 m/Sek. in 500 bis 600 m und 13,4 m/Sek. von 600 bis 720 m. Bei 2300 m wurde eine starke Abnahme der Steiggeschwindigkeit von etwa 5 m auf 0,5 m/Sek. beobachtet. In der gleichen Höhe trat ausgeprägte Temperaturinversion auf. Von 2700 m ab wurde wieder grössere Vertikalgeschwindigkeit und adiabatische Abnahme der Temperatur beobachtet. Eine zweite Zone geringer Vertikalgeschwindigkeit des Ballons (d.h. absinkender Luftströmung) und gleichzeitiger Temperaturinversion wurde bei 3800 m festgestellt. 90 «Innsbrucker Föhnstudien IV», S.1.

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- 34 - in seiner Antrittsvorlesung «Über den gegenwärtigen Stand der Föhntheorie»91nachdem schon 1913 F. Pockels die «Temperaturverteilung in der freien Atmosphäre bei Föhn»92

theoretisch studiert hatte. Die Arbeit von R. Wenger darf schon deshalb besonderes Interesse beanspruchen, weil sie durch persönliche Fussnoten Hann's wertvolle Ergänzungen erfuhr. R. Wenger berechnet zunächst die adiabatische (das heisst ohne äussere Energiezufuhr) erfolgende Erwärmung beim Abstieg einer bestimmten Luftmasse längs einer Stromlinie. Als «adiabatischer Temperaturgradient», das heisst als Temperaturänderung pro

100 m Höhendifferenz kann aus dem ersten Hauptsatz der Wärmelehre der Wert γ0 = Agcp

= 0,00980/m =

0,98°/100 m berechnet werden93. Dabei gilt dieser Temperaturgradient aber nur für ein und dieselbe Föhnströmung. Wenn die Beobachtungsstationen auf derselben Strömungslinie liegen und die unterste Strömungslinie dem Hang folgt, wird in der Tat ein vertikaler Temperaturgradient von 0,97 0/m gemes-sen. Auch H. von Ficker hat in seinen «Innsbrucker Föhnstudien» nachdrücklich darauf aufmerksam ge-macht, dass Temperaturgradienten nur dann zwischen zwei meteorologischen Stationen berechnet werden dürfen, wenn sie in der gleichen Föhnströmung liegen. Analog ergibt sich der «feuchtadiabatische Temperaturgradient» als (γ0-q) = ca. 0,50/100m. Das Absinken der Luft in die Föhntäler erfolgt, wie Hann in einer Fussnote betont, auch in den Alpen längs eines recht geringen Gefälles: Das Gefälle St. Gotthard-Altdorf berechnet sich zu 2° 21', jenes vom St. Gotthard nach Bellinzona zu 2° 1' und dasjenige vom Grossen St. Bernhard nach Martigny zu 3° 44'. R. Wenger zeigt weiter, dass Pockel's Potentialtheorie94 den realen Strömungsverhältnissen nicht ent-sprechen könne, da die Annahme der Wirbelfreiheit der Föhnströmung» nicht vereinbar sei mit der will-kürlichen Wahl der Temperaturbedingungen»95. R. Wenger denkt sich vor und hinter dem Gebirge eine geschlossene Kurve. Die Zirkulation dieser Kurve werde in der Richtung vom Druck- zum Temperaturgradienten beschleunigt, das heisst vor dem Gebirge mit, nach dem Gebirge gegen den Uhrzeigersinn.

Luv Lee Abb. 34. Föhnströmung (nach der Theorie von R. Wenger). Siehe auch L. Lam-mert. Der mittlere Zustand der Atmosphlire bei Südföhn.. Spezialarb. des Geophys. Inst der Univ. Leipzig, Bd. if, 1920, Hett 7.

Deshalb sei auf der Seite der aufsteigenden Föhnströmung Wir-belbildung anzunehmen, während auf der Seite der absteigenden Luftströmung die Wirbelbeschleunigung den Luftstrom besonders fest an die Gebirgswand anpresse. Mit andern Worten, Wenger leitet aus den Grundgleichungen der Hydrodynamik die Folge-rung ab, dass auf der sogenannten Luvseite des Gebirges (bei Südföhn also im Tessin) ein grosser, langsam rotierender Luft-wirbel auftrete, während auf der Leeseite sich die über das Ge-birge strömende Luft eng dem Berghang anschmiegen müsse. Damit erscheinen alle theoretischen Erwägungen, die mit Wild eine besondere Erklärung des «Fallens» des Föhnwindes in die Föhntäler beibringen wollten,

91 Met. Zeitschr. 1916, 8. 1ff. 92 Met. Zeitsehr. 1913, S.216. 93 Der erste Hauptsatz der Thermodynamik für ideale Gase lautet: dQ = cpdϑ - Aα dp (Q = zugeführte Wärme, cp = spezifische Wärme bei konst. Druck, ϑ = Temperatur, A = Wärmeäquivalent, α = spez. Volumen, p = Druck). Durch Division mit dt (t = Zeit) erhält man die zeitliche Änder-

ung dϑdt

= Aαcp

dpdt

+ 1cp

dQdt

. Bei stationärer Strömung können wir setzen dϑ/ds = Aαcp

dpds

+ 1cp

dQdt

(ds = Wegelement). Bei zweidimensionaler Be-

trachtung kann dpdx

gegen dpdz

vernachlässigt werden. Es gilt αdpdz

= -g (g = Schwerebeschleunigung). Durch Einsetzen und Integration längs der

Stromlinie von Null bis Eins erhält man ϑ1 - ϑ2 = γ0 ( g1 - g2) + 1cp

∫dQ. ( )γ0 = - Agcp

. Bei einem adiabatischen Prozess wird dQ = 0, also ϑ1 - ϑ2

= γ0 ( g1 - g2) Demnach ist γ0 = ϑ1 - ϑ2

g1 - g2.(= adiabatischer Temperaturgradient).

94 Siehe Anmerkung 92. 95 R. Wenger gibt dafür zwei Beweise, einen in vektoranalytischer Schreibweise und in einer Fussnote den Beweis in zweidimensionalen Koordinaten, wobei Reibung und Erdrotation -unberücksichtigt bleiben.

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- 35 - gegenstandslos. Die weitverbreitete Meinung, die Föhntheorie müsse durch besondere Annahmen das «Fallen» des Föhnwindes erklären, entspricht einem zwar verständlichen, aber irrigen, gefühlsmässigen Urteil: Dass kalte, dichte Luft absinkt, warme und spezifisch leichte Luft aufsteigt, leuchtet jedermann auf Grund der täglichen Erfahrung ein. Dagegen ist es nicht ohne weiteres verständlich, dass warme Luft bei kalter Bodenschicht absinken soll. Aber dabei übersieht man zunächst die Tatsache, dass die absteigende Luft ja erst durch das Absinken warm wird. Als in Erstfeld am 22. März 1911 auf dem Boden 12,6° gemessen wurden, betrug in 2000 m Höhe die Luftwärme nur 1°. Zudem bedeutet das Fallen die Umwandlung von potentieller Energie in Bewegungsenergie und damit zum Teil auch in Wärmeenergie. Sobald der «Fall» der Föhnströmung in das System der Luftzirkulation eingereiht wird, verliert der «Fall» der Föhnströmung schon auf Grund der Kontinuitätsgleichung jeder Flüssigkeitsströmung einen grossen Teil ihres irritierenden und geheimnisvollen Charakters. Und zu guter Letzt überschätzt der Gebirgswanderer gerne das durchschnittliche Gefälle eines Tales. Deshalb werden in den Studien über den Föhn die Talprofile irreführenderweise oft stark überhöht gezeichnet. Im Gegensatz zu H. von Ficker vertritt der Glarner Föhnforscher Dr. R. Streiff-Becker die Meinung, das Föhnproblem sei noch keineswegs geklärt. R. Streiff-Becker setzt an Stelle der «Ersatzlufttheorie» Bill-willer's eine «Injektortheorie»96. Sie dürfte aber von den Vertretern der «Physik der Atmosphäre» vor allem aus physikalischen Gründen abgelehnt werden. R. Streiff-Becker unterscheidet wie H. von Ficker drei Stadien des Föhns. Im Vorstadium setze bei anti-zyklonalen Verhältnissen heftiger Südwind über dem Alpenkamm ein. In der zweiten Phase übe der scharfe Höhenwind in den Hintergründen der Täler eine «Injektorwirkung» aus. Dadurch bilde sich in der Höhenströmung ein luftverdünnter Raum. Es tritt notwendig die III. Phase ein. Die Atmosphäre über dem luftverdünnten Raum hat gleichsam den Boden unter sich verloren. Ihr Gewicht (!!) ist immer noch rund ,¾ kg pro cm2, sie muss also selbst in das sich bildende Vakuum stürzen .» Die Vorstellung, dass sich im freien Luftraum ein ausgedehntes «Vakuum» bilden könne, ist physikalisch nicht haltbar. Zweifellos tritt an der Grenzfläche zwischen kalter Störungsschicht und warmer bewegter Föhnluft ein langsames «Auflecken» der kalten Luft auf, aber dieser Vorgang hat nichts mit der Wirkung eines Injektors zu tun. Er ist übrigens von H. von Ficker ausdrücklich zur Erklärung des Herabsteigens der Föhnströmung in die Täler herangezogen worden. Übrigens versagt die Injektortheorie, die aus der Beobachtung des Glarnerföhns entstand, schon bei der Übertragung auf die Verhältnisse im Rheintal bei Chur, Sargans oder bei Heiden am Nordende des Säntisgebirges. Das von R. Streiff-Becker immer wieder wiederholte Argument, die Ersatzlufttheorie Billwiller's könne die Heftigkeit der Föhnströmung in den Föhntälern nicht erklären, ist von H. von Ficker ebenfalls schon widerlegt worden. Dieser machte nämlich darauf aufmerksam, dass sich die Föhnströmung auf einzelne Föhntäler konzentriere, während das Abfliessen der relativ kalten unteren Bodenluftschichten längs der ganzen Front der Alpen in gleichem Niveau vor sich gehe. Demnach kann an einzelnen Stellen der Tröge der Föhnströmung in den Föhntälern eine grössere Windgeschwindigkeit auftreten, als dies über dem Flachlande der Fall sein wird. Dass die Diskussion der «Injektortheorie» in den Fachzeitschriften zu unfruchtbaren Auseinanderset-zungen führte, ist nach dem Gesagten leicht verständlich97. Trotzdem hat sich R. Streiff-Becker durch fleissige Sammlung von Beobachtungsmaterial und Förderung der Föhnforschung um die Lehre vom Alpenföhn wichtige Verdienste erworben98.

96 Siehe vor allem Die Föhnwinde». Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft Zürich, 1933 8. 66ff. 97 R. Streiff-Becker, «Zur Dynamik des Föhns». Met. Zeitschr. 1931, S.149. Daselbst Erwiderung von H. v. Ficker S.227, Replik S.393, Duplik S. 394. 98 Siehe R. Streiff-Becker, «Ueber den Glarnerföhn». Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft Zürich 1925. Altes und Neues über den Glarnerföhn». Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft Glarus 1930. 71 Jahre Glarnerföhn." Met. Zeitschr. 1935, Heft 4. «Lokaler Kälteeinbruch nach Abzug eines Talföhns» verhandl. der Schweiz. Naturforsch. Gesellschaft Thun 1932. Durch Photographie eines nebligen Kaltluftkeiles bei Ziegelbrücke hat R. Streiff-Becker («Die Föhnwinde «) anschaulich das Hinaufwehen der Föhnströmung auf die Kaltluft demonstriert.

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- 36 - Die Dissertation von Karl Kuntz aus dem Jahre 1913 «Über typische Niederschlagsverteilungen in der Schweiz insbesondere bei Föhn» bereicherte durch fleissige Arbeit ebenfalls unsere Kenntnisse: Bei Südföhn tritt südlich der Alpen der Niederschlag gewöhnlich mit einem Tag Verspätung ein; die Gewitter meiden die Föhntäler; wenn es nur auf der Südseite der Alpen regnet, liegt meistens Südföhnlage vor. Interessante Beziehungen stellt Dr. H. J. Bullig in einer kürzlich veröffentlichten Studie über «Föhn-reichtum in den Alpen als Index einer typischen Grosswetterlage99 fest. Danach sind solche Grosswetter-lagen föhureich, in denen die Tiefdruckgebiete bei relativ hohem Druck über Island südlicher als normal wandern. Bei niedrigem Luftdruckgradient zwischen dem Azorenhoch und Island tritt selten Föhnlage ein. Über die vorläufigen Ergebnisse der - schon erwähnten in den Jahren 1933 bis 1936 unter der Leitung von W. Mörikofer in Glarus durchgeführten Föhnuntersuchungen berichtete im vergangenen Jahre G. Böhme an der Solothurner Tagung der Schweizer. Naturforschenden Gesellschaft: Der Föhn beginnt stets zuerst im Talhintergrund, geht dort am spätesten zu Ende und hat dort somit auch die längste Dauer. Dabei zeigt sich der Einfall des Föhns in den Registrierungen der Stationen im Talhinter-grund (Elm, Linthal) zumeist zögernd und kämpfend, während er beim Talausgang (Glarus, Ziegelbrücke) mit ei-nem ausserordentlich steilen und plötzlichen Temperaturanstieg und ebensolehem steilen Feuchtigkeitsrückgang verbunden ist. Aus der Windregistrierung ergibt sich, dass lange vor dem Föhn schwache Winde aus südlicher Richtung weben, die kurz vor Einbruch des eigentlichen Föhns für eine bis mehrere Stunden in Nord umspringen. Hierauf setzt der Föhn selbst als Südwind stürmisch ein und wird stets nach seinem Abklingen durch kalte nördliche Winde (häufig mit Niederschlag) abgelöst.

8. KAPITEL

Die Föhnströmung Die allgemeinen Gesetze der Windbewegung müssen auch die Gesetze der Föhnströmung sein. Wir wer-den deshalb zunächst an Hand einfacher Beispiele100 den allgemeinen Mechanismus der Luftströmungen darstellen, um sodann die gewonnenen Ergebnisse auf die Föhnströmung zu übertragen. Im Falle des Gleichgewichtes der Atmosphäre besitzen zwei Niveauflächen des Luftdruckes voneinander überall den gleichen Abstand. Bei gleichmässiger Erwärmung der Luftmassen würde nur eine gleichmä-ssige Verschiebung der Niveauflächen des Luftdruckes nach oben erfolgen. Die ungleichmässige Vertei-lung von Land und Meer, die verschieden starke Einstrahlung des Sonnenlichtes je nach der geographi-schen Breite und dem Wechsel der Tageszeiten führen zu einer ungleichmässigen Erwärmung der Luft-schichten mit daraus folgenden Veränderungen des Luftdruckes. Diese ziehen Luftströmungen nach sich, welche den Ausgleich der Lufttemperaturen und die Durchmischung der Luftmassen zwecks Erreichung eines neuen Gleichgewichtes anstreben. Wird z. B. eine Insel durch die Sonnenstrahlen stärker erwärmt als die umliegenden Wasserflächen, so werden die unmittelbar über der Insel liegenden Luftschichten ebenfalls stärker erwärmt. Erwärmte Luft dehnt sich aus. Dadurch werden die Niveauflächen des Luftdruckes über der Insel gehoben. Es entsteht auf einem gewissen Niveau in der Höhe ein Luftdruckgefälle, das von der Umrissfläche der Insel aus auf das Meer hinaus gerichtet ist. Dadurch wird nach Überwindung der Trägheit in den oberen Luftschichten eine zentripetale, in der Hauptsache in horizontalen Schichten erfolgende Luftbewegung ausgelöst, deren kinetische Energie nach und nach durch die Reibung und wachsende Ausbreitung der Luftbewegung auf-gezehrt wird. Die Verschiebung der Luftmassen vorn Gebiet der Insel auf das Meer bedeutet aber eine verhältnismässig starke Verringerung des Luftdruckes über der Insel selbst und eine schwächere Erhö-hung des Luftdruckes über dem Meer, wonach in den unteren Luftschichten eine Luftbewegung vom Meer auf das Land, der sogenannte «Seewind» entsteht. Ziemlich rasch stellt sich daher

99 Eine typische Grosswetterlage und ihre prognostische Verwertbarkeit. Hamburg 1934. Deutsche Seewarte. 100 Nach Hann, «Lehrbuch der Meteorologie» , 4. Auflage, 1926.

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a) Luft im Gleichgewicht. Niveaulinien des Luftdruckes bei Tem-peraturausgleich zwischen Land und Meer.

Abb. 36. Stationärer Zustand bei Landwlnd. Die Insel ist kälter als das Meer.

durch die Verschiebung der Niveauflächen des Luftdruckes eine neue Gleichgewichtslage ein, welche die Luftbewegung solange aufrecht erhält, als die wirksame Temperaturdifferenz besteht. Bei nächtlicher Abkühlung gelten dieumgekehrten Verhältnisse: Der Wind als «Landwind» weht vom Land aufs Meer. Analog nur in grösserem Maßstab, ist die all

b)Beginn derErwärmung, Störung des Gleichgewichtes.

c) neues Gleichgewicht, nn die neutrale Schicht

Abb. 35. Entstehung des Seewindes

(frei nach Hann) Die Insel ist wärmer als das Meer.

gemeine Zirkulation der Troposphäre zwischen Pol und Äquator zu deuten. Als zweites Beispiel betrachten wir die Entstehung der tagsüber wehenden «Talwinde» und der nächtlichen «Bergwinde» der Bergtäler. Durch die Er-wärmung der Hänge des Tales durch die Sonnenbestrahlung dehnt sich die Luft um so stärker aus, je höher die über dem Boden befindliche Luftschicht ist. Dadurch werden die Niveauflächen gleichen Luftdruckes am stärksten über der Talachse gehoben. Dort bildet sich ein Hochdruckrücken, der gegen den Talausgang zu immer höher wird, während an den Hängen des Tales keinerlei Verschiebung der Niveauflächen eintritt, da ja an den Schnittlinien der Niveauflächen mit dem Gelände die Höhe der erwärmten Luftschicht verschwindend klein ist. So wird ein gegen die Abhänge und den Talhinter-grund gerichteter «Talaufwind» erzeugt, der sich im Sommer bei schönem Wetter durch die Bildung der Haufenwolken über den Berggipfeln verrät. Verstärkt wird die aufsteigende Luftbewegung durch die direkte Ablösung der untersten Luftschichten am sonnenbeschienenen Berghang durch Über-hitzung. Der Bergwind dagegen entsteht durch das Absinken der durch Aus

strahlung kälter gewordenen, schweren Luft bis auf den Talboden. Nach sternklaren Nächten führt dies in den Alpentälern oft zu der Ausbildung sogenannter «Kälteseen». Bei der Beurteilung der Windströ-mungen vor und nach dem Auftreten des Föhnwindes dürfen die Talwinde nicht übersehen werden: im Kanton Glarus z.B. wird der Talwind der Talrichtung entsprechend ein Nordwind sein. Die Tiefdruckgebiete oder Zyklonen entstehen nach der bekannten Polarfronttheorie von Bjerknes aus der Hebung warmer, im allgemeinen - auf der Nordhalbkugel - nach Nordosten fliessender Luftmassen durch nach Südosten abströmende kalte Polarluft. Es handelt sich um eine für die Wetterverhältnisse der gemässigten Klimazone ungemein bedeutsame Teilerscheinung des allgemeinen Zirkulationssystems der Erdatmospäre. Nach den mathematischen Studien von P. Raethjen über die Theorie der Zyklonen101 wirkt die Corioliskraft der Erdrotation stabilisierend auf Umlagerungen der Erdatmosphäre ein. Daher bedecken nach Raethjen Böenfronten und andere Störungsgebiete mit aufsteigenden Luftmassen im Mittel bloss ungefähr den 50. Teil der Erdober-fläche. Die Geschwindigkeit der absinkenden Luft-massen wird mittels der Abkühlung durch Aus-strahlung in denWeltenraum reguliert. Abwärts ge-richtete Luftströme benötigen bei einer Geschwin-digkeit von ca. 1-2 cm/Sek. ein bis zwei Tage für 1000 Meter, während aufsteigende Luftströme im Durchschnitt eine Geschwindigkeit von 50 cm/Sek. besitzen.

a) Längsschnitt. b) Querschnitt. Abb. 37. Entstehung des Talwindes.

101 P. Raethjen, «Gleichgewichtstheorie der Zyklonen». Met. Zeitschr. 1936, S. 401. P. Raethjen, «Stabilitätstheorie der Zyklonen». Met. Zeitschr. 1936 S. 456.

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- 38 - Erfahrungsgemäss füllen sich die Tiefdruckgebiete bei ihrer im allgemeinen von Westen nach Osten gerichteten Wanderung allmählich aus, sie okkludieren. Die räumlich ausgedehnteren Hochdruckgebiete besitzen geringeres Luftdruckgefälle und damit auch geringere Windstärken102. Dagegen können in der Nähe eines Tiefdruckgebietes die Luftdruckdifferenzen und damit die Windstärken recht grosse Werte annehmen. Offenbar entspricht den Hochdruckgebieten in den oberen Luftschichten zuströmende, den Tiefdruckgebieten abströmende Luft. Die Okklusion eines Tiefdruckgebietes ist dann erreicht, wenn die Mischung der Luftmassen mehr oder weniger vollendet ist. Im Zentrum des Tiefdruckgebietes und in dessen Fronten sind starke aufsteigende Luftströmungen vorhanden. Die Wanderung eines Tiefdruck-gebietes ist der Ausdruck der Verschiebung des Zentrums der in der Höhe abfliessenden Luftmassen: Über einem Tiefdruckgebiet ist daher von einer bestimmten Luftschicht ab der Luftdruck überhöht, wäh-rend für die Hochdruckgebiete das Umgekehrte gilt. Die Steuerung der gegenseitigen Verschiebung der Hoch- und Tiefdruckgebiete und damit die Ausbildung und Entwicklung der Grosswetterlage wird von der modernen Meteorologie allgemein auf Vorgänge in den oberen Schichten der Troposphäre und unteren Schichten der Stratosphäre zurückgeführt, worauf wir nicht eingehen können. Die kinetische Energie der Luftbewegungen entstammt zu einem wesentlichen Teil der durch die Kon-densation des Wasserdampfes der aufsteigenden Luft freigesetzten Kondensationswärme. Durch diese wird z. B. bei einem Gewitter103 eine stossartige Expansion der aufsteigenden Luft in den höheren Luft-schichten und die damit verbundene Ausbildung der übereinander getürmten Gewitterwolke (erst Castellatus-Lenticularis, dann Cumulonimbus) ausgelöst. Wie besonders eindringlich kinematographische Zeitrafferaufnahmen gelehrt haben, ist die Wolkenbildung nur als Prozess zu begreifen: Die Höhe der Haufen- oder Kumuluswolken («Kumuluswalze»)ist bestimmt durch absinkende Luftströme; Schichtwolken, wie z. B. die Lentikulariswolken beim Föhn entstehen fortwährend neu am einen Ende und lösen sich am entgegengesetzten Ende wieder auf. Die Lentikulariswolke ist die charakteristische Kampfwolke der auf- und absteigenden Luftbewegung. Die Luftbewegungen werden vom barischen Windgesetz beherrscht: Luftbewegungen treten nur als Folge von Luftdruckdifferenzen auf. Allerdings weichen infolge des Einflusses der Erdrotation die Richtungen der Winde oft recht stark (bis 500 in unseren Breiten, im Mittel 100> von der Richtung der senkrecht zu den Kurven gleichen Luftdruckes zu ziehenden Luftdruckgradienten ab. Die gewöhnlichen Wetterkarten sind repräsentativ nur für die untersten Schichten der Atmosphäre bis etwa 1000 m Höhe über Meeres-niveau. Die in den letzten Jahren im Interesse des Luftverkehrs organisierten aerologischen Untersuchun-gen höherer Luftschichten haben immer wieder den Unterschied der Luftdruckverteilung in höheren Luft-schichten gegenüber Bodenmessungen gezeigt. Auch die Windverhältnisse sind andere: in höheren Luft-schichten herrscht reiner Gradientwind, während in den unteren Luftschichten der Gradientwind um so stärker von der Reibung der Luft an der Erdoberfläche beeinflusst wird, je vielgestaltiger das Relief der Erdoberfläche ist. In den atmosphärischen Strömungsfeldern sind die Energieumsätze relativ gering. Besonders in der Höhe verlieren einmal in Bewegung geratene Luftmassen nur langsam ihre Bewegungsenergie. Naturgemäss kann nicht nur aus dem Luftdruckgefälle auf die Winde geschlossen werden, es kann umgekehrt auch aus der Beobachtung der Luftströmungen auf das Luftdruckgefälle geschlossen werden. Was für die Luftbewegungen im allgemeinen gilt, gilt natürlich auch für den Föhnwind. Die Föhnströ-mung wird durch Luftdruckdifferenzen verursacht. Im Gleichgewichtszustand ist

102 Ein Luftdruckgradient von 1 mm (d.h. ein Luftdruckgefälle von 1 mm pro 111 km) kann eine Windgeschwindigkeit von 14,4 m/Sek., ein Gradient von 4 mm eine Geschwindigkeit von 28,7 m/Sek., von 16 mm eine von 57,4 m/Sek. erzeugen. 103 Vorbedingung der Gewitterbildung ist der sogenannte feuchtlabile Zustand der Luft. D.h. der Feuchtigkeitsgehalt muss so gross sein, dass geringe Hebung und damit verbundene Abkühlung zur Kondensation führt, was im Sommer öfters als im Winter der Fall ist. Nach Raethjen («Stabilitätstheorie der Zyklonen») bleibt die Gewinnung der kinetischen Energie der Luftströmungen auf die labilen Umlagerungen im Bereiche der Fronten im weitesten Sinne des Wortes konzentriert. Siehe auch R. Mügge, «Wolken in Bewegung», Met. Zeitschr. 1937, S.81.

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- 39 - absteigender Wind in einem Bergtal nur möglich, wenn - bezogen z. B. auf das Niveau des Talhintergrundes - im Talhintergrund höherer Luftdruck als im vorderen Teile des Tales herrscht. In der Gipfelhöhe der Alpen kann bei einem Föhnsturm ein einheitliches, ziemlich gleichmässiges Luftdruckgefälle von Südosten nach Nordwesten an-genommen werden. Das Relief der Alpen, der Voralpen, des Mittel-landes und des Jura stört den Abfluss der bodennahen Luftschichten. Je mehr Luft in den mittleren Luftschichten - über dem Mittelland abfliesst, um so niedriger wird im Mittelland der Luftdruck werden. Deshalb wird nördlich der Alpen die bodennahe Luftschicht nur bis zu einer gewissen Höhe herab in Bewegung geraten, während gleich-zeitig die Föhnströmung nach und nach in die Föhntäler herabgezo-gen wird. Die Heftigkeit der Föhnströmung nimmt mit der Höhe über dem Talgrunde zu, da sich in der Höhe und im Talhintergrund die Stromlinien zusammendrängen. Diese Tatsache lässt sich auch im Glarnerland feststellen104. Wegen ihrer grossen kinetischen Energie räumt die in der Höhe wehende Föhnströmung nach und nach die tieferen, im Tale lagern-den Luftschichten mehr oder weniger vollständig aus. Dies ist aber nur deshalb möglich, weil die unteren Luftschichten selbst schon im langsamen Abfliessen begriffen sind. Analog wie bei einem Fluss-bett wird die Föhnströmung in der Talmitte die grösste Geschwindig-keit aufweisen. Es ist anzunehmen, dass bei den meisten Föhntälern der Schweiz die Föhnströmung analog wie beim Innsbrucker Föhn an den das Föhntal quer abschliessenden Berghängen ihrer Bewegungs-energie zufolge wieder in die Höhe strömt, so beim Ausgang des Reusstales an den Hängen des Rigi und Rossberges, beim Ausgang des Linthtales an den Hängen des Planggenstockes und des Speer, um im Mittelland nur vereinzelt oder zeitlich verspätet durch die un-teren Luftschichten bis zum Boden durchzubrechen, nachdem die

Abb. 38.Föhnströmung und Luftdruck. Da die Bewegung einer Flüssigkeit durch fünf Grössen (drei Komponenten der Geschwindigkeit, Druck und Dichte, be-stimmt wird, müssen zur mathematischen Bestimmung einer Flüssigkeitsbewegung fünf Gleichungen aufgestellt werden: 1. Die Eulersche Bewegungsgleichung mit drei Komponenten, 2. die Kontinuitäts-gleichung als Ausdruck der Erhaltung der Masse, 3. die Zustandsgleichung. Die Strömung eines Gases mit innerer Rei-bung kann nie wirbelfrei sein. Der hydro-statische Druck wird beim Auftreten einer Strömung vom hydrodynamischen Druck überlagert, weshalb obige schema-tische Zeichnung kein genaues Bild der Druckverhältnisse geben kann. Bekann-tlich sinkt der Druck mit wachsender Ge-schwindigkeit, um bei abnehmender Ge-schwindigkeit wieder zuzunehmen.

Wolkenschicht durch Föhnfenster aufgelöst worden ist. Die ausgesprochenen lokalen Luftdruckminima der Föhntäler finden zum Teil ihre Erklärung durch die übergrosse, trockenadiabatische Erwärmung der Föhnluft: Da jede Erwärmung der Luft eine Steigerung des Luftdruckes nach sich zieht, erfordert umge-kehrt das aerodynamische Gleichgewicht der Luft in einem gewissen Niveau über der Talsohle, dass die relativ warme Föhnluft nach ihrem Abstieg ins Tal eine Senkung der lokalen Niveauflächen des Luft-druckes nach sich zieht105. Andererseits könnten diese lokalen Luftdruckminima zum Teil wohl auch als hydrodynamische Erscheinung erklärt werden: In den engen Föhntälern muss die grosse Geschwindigkeit der Föhnströmung sich in einer Druckverminderung äussern. Eine analoge Erscheinung kann über dem Mittelland angenommen werden. Da die Föhn-

104 Der Hüttenwart der Fridolinshütte am Tödi erzählt, wenn der Föhn stark wehe, wage man kaum die Türe der Hütte zu öffnen. Er habe schon oft weit mehr als zwei Stunden zum Aufstieg bis zur Hütte gebraucht, da er mit dem Träger absitzen musste, um nicht vom Wind mitgerissen zu werden. Besonders stark wehe der Föhn noch weiter oben, «so dass es fast unmöglich ist, vom Tödi zum Rusein zu gelangen. Aus diesem Grunde sind schon oft Bergsteigerpartien zurückgekommen». Dagegen liegen die Steilhänge und das steil geschnittene Tal des Bifertenbaches unterhalb der Fridolinshütte auch bei stärkstem Föhn im Windschatten. Oft weht der Föhn nur in der Höhe; gelangt gar nicht bis zur Hütte (sog. Bergföhn). Auch beim Hotel «Tödi» in der Thierfehd macht sich der Föhn stärker bemerkbar als unten im Tal bei Linthal. Selbst zwischen Auen und Linthal soll ein gewisser Unterschied der Windstärke bemerkbar sein: In Auen und auch von Rasten, d.h. vom Ausgang des Sernftales, abwärts weht der Föhn stärker als in Linthal selbst oder zwischen Linthal und Haslen. 105 Eine Erwärmung der Luft um 10 führt in einer Höhe von 1000 m zu einer Luftdrucksteigerung von 0,31 mm nach der Formel db = b • h - dt/2184 (b = Barometerstand, h = Meereshöhe, genauer relative Höhe über dem Niveau der Umgebung, dt = Temperatursteigerung in Celsiusgraden, db = Luftdrucksteigerung). Umgekehrt kann eine verzögerte Abnahme des Luftdruckes mit wachsender Höhe durch übernormales Temperaturgefälle verursacht sein.

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Abb. 39. Antizyklonalföhn auf dem Rigi. Die Grenze der kalten Bodenschicht wird durch das Nebelmeer angezeigt. Ein besonders schöner Antizyklonalföhn war am 1. September 1937 zu beobach-ten: Nachdem vor dem 1. September trotz einem über Europa gelegenen Hochdruckband das Mittelland dank des Staues einer nordwestlichen Strö-mung am Alpenkamm immer bedeckt bis stark bewölkt war, klärte am 1. Sep-tember der Himmel plötzlich zu strahlendem Blau auf: Ein Hochdruckkern brachte über Mitteleuropa die Luft zum antizyklonalen Abstieg.

strömung mit dem Abstieg langsamer wird, wird über dem Mittelland eine verhältnismässig warme und damit auch leichtere, nur langsam über den Jura abfliessende Schicht zu liegen kommen, welche den Luftdruck der Bodenstationen ebenfalls senkt und so die Bildung eines grösseren Teilminimums verur-sacht. Die Gesetze der Föhnströmung fügen sich auf diese Art den allgemeinen Gesetzen der Luftströmung widerspruchslos ein. Aber auch heute noch sind wir mit dem Dichter versucht zu sagen:

«Und Stürme brausen um die Wette Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer, Und bilden wütend eine Kette Der tiefsten Wirkung ringsumher. Da flammt ein blitzendes Verheeren Dem Pfade vor des Donnerschlags; Doch deine Boten, Herr, verehren Das sanfte Wandeln deines Tags.»

Inhaltsverzeichnis

Seite Vorwort 1. Kapitel: Eigenschaften und Wirkungen des Föhnwindes 3 2. Kapitel: Aus der Geschichte der Föhntheorie 7 3. Kapitel: Föhnlagen im ersten Halbjahr 1937 12 4. Kapitel: Der Alpentalföhn vom 9.110. November 1934 19 5. Kapitel: Der Föhnsturm vom 20./21. Mai 1937 22 6. Kapitel: Saharastaub über der Schweiz 27 7. Kapitel: Nochmals Geschichte der Föhntheorie 30 8. Kapitel: Die Föhnströmung 36

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Bührer’s kurzgefasste Föhntheorie (nur die Frage: wieso ist der Föhn so warm?) Adiabatisch bedeutet, dass Energie weder ins System hinein noch hinaus fliesst. Als adiabatisch gilt bei Walter korrekterweise die Kondensation des Wasserdampfs zu Wolken. Zusätzlich adiabatisch soll offenbar sinngemäss sogar das Ausregnen sein. Der Unterschied zwischen feucht-adiabatisch und trocken-adiabatisch bleibt ein Klimmzug, denn die Systemgrenze müsste auf der Luvseite der Alpen um den Niederschlag erweitert werden. Auf dem Alpenkamm wird dann das System auf die Luft reduziert. Wesentlich ist die latente Wärme der Kondensation (und Verdampfen) von Wasser sowie das Ausregnen. 10° Dampf-gesättigte Luft in Lugano enthält ca. 1.2% Dampf. Beim Abkühlen auf 0° durch Expansion wird latente Energie frei, welche einem ∆T von ca. 12° entspricht. Verglichen damit dürfte der Einfluss des Dampfgehalts (ohne Kondensation) vernachlässigbar sein. Das Selbe gilt für das Heizen der Luft mit "Vernichtung" der kinetischen Energie. Ob die Bildung der Regentropfen über die Bildung von Eis (Schneeflocken) geht, mit dem zusätzlichen Wärmegewinn des Phasenübergangs106 zu Eis, spielt im Sommer keine Rolle, da dieselbe Energiemenge wieder zum Schmelzen gebraucht wird. Wesentlich für die Erwärmung ist das Entfernen des Wassers, denn - bleibt es bei Nebel und Wolken, wird dieselbe Energiemenge wieder für das Überführen in die Gasphase gebraucht und die Luft hat in Altdorf etwa dieselbe Temperatur wie in Lugano. Die SMA hat im Laufe der Jahre einige Namensänderungen hinter sich: Sie hiess 1938 noch „Schweizerische Meteorologische Zentralanstalt (abgekürzt „mz“). Später „Schweizerische Meteorologische Anstalt“, abgekürzt SMA. Kommentar zu diesem Dokument Der ganze Text wurde mit 600 DPI gescannt und mit OCR (Xerox) in Text gewandelt. Ich hoffe alle Übersetzungsfehler richtig korrigiert zu haben. Der Umbruch wurde möglichst beibehalten. Da die Font nicht exakt dem Original entspricht, entstanden zum Teil störende Lücken. Die Abbildungen sind im Original nicht farbig. Die Photos wurden entrastert und in Grautöne gewandelt. Die Strichzeichnungen wurden mit zwei Ausnahmen neu gezeichnet und liegen als eingefärbte Vektorgraphiken vor. Mit dieser Manier kann das Dokument mit Volltext-Suche bearbeitet werden. Es war damals noch nicht üblich Wetter-Fronten mit den entsprechenden Signaturen zu versehen. Die hoch aufgelösten Wetterkarten der Schweiz sind wahrscheinlich ein damaliges Novum. Beim heutigen dichten Netz der automatischen Wetterstationen und anderem Zubehör, wie Regenradar oder Windprofiler sind die damaligen Schwierigkeiten zum Zeichnen solcher Karten kaum mehr nachvollziehbar. Zum Schmunzeln führt der Vergleich der Widmung im Vorwort mit der Fussnote auf Seite 34.

106 Die Energie der Phasenübergänge: Eis-Wasser ist ca. 80kcal/kg und Wasser-Dampf 340 kcal/kg; was bedeutet, dass das ∆T zwischen Lugano und Altdorf im Winter 20% höher sein dürfte.

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1938

Druck von Gebr. Fretz A.G., Zürich.