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T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |
Der Nobelpreis für Physiologie oderMedizin ging 2007 an Mario R. Ca-pecchi, Martin J. Evans und OliverSmithies. Die Forscher haben eineReihe von bahnbrechenden Ent-deckungen gemacht, die es ermögli-
chen, die Funktionen von Genen inMäusen zu analysieren.
Die gezielte Inaktivierung vonGenen im lebenden Tier basiert aufdrei wichtigen Entwicklungen: derIn-vitro-Kultivierung embryonaler
Stammzellen (ES-Zellen), der geziel-ten Zerstörung (Knock-out) von Ge-nen durch homologe Rekombinationund der Regeneration so genannterKnock-out-Tiere anhand der zuvorgenetisch veränderten ES-Zellen.
Martin Evans hat eine Methodeentwickelt, um aus den Zellen der in-neren Zellmasse einer embryonalenBlastozyste (den Embryoblasten-Zel-len) undifferenzierte Zellen in Kulturzu nehmen (Abb. 1). Diese Zellensind pluripotent, d.h. sie können alleKörperzellen bilden. Wir nennen solche Zellen heute „embryonaleStammzellen“.
Bevor man jedoch lernte, murineES-Zellen über längere Zeit in Kulturzu halten, war es zunächst gelungen,so genannte embryonale Karzinom-zellen, die aus murinen testikulärenTeratokarzinomen isoliert wurden(EC-Zellen), zu kultivieren.
Evans beobachtete nämlich, dassdie In-vitro-Differenzierung von EC-Zellen unterdrückt werden konnte,wenn die Zellen auf mitotisch inakti-vierten Fibroblasten, so genanntenFeeder-Zellen, gezüchtet wurden.Wurden die Feeder-Zellen entfernt,gingen die EC-Zellen in ein Differen-zierungsprogramm und bildeten vieleverschiedene Zelltypen, wie z.B. Haut-,Nerven- oder Herzmuskelzellen.
EC-Zellen, das erkannte Evans so-fort, verhielten sich sehr ähnlich wiedie Zellen des Embryoblasten. Es be-stand also die Möglichkeit, dass EC-Zellen pluripotent sind und alleKörpergewebe bilden können. Evansprüfte das, indem er EC-Zellen in die innere Zellmasse einer intaktenBlastozyste spritzte und diese danneinem scheinschwangeren Ammen-tier implantierte (Abb. 1).
6 | Pharm. Unserer Zeit | 1/2008 (37) www.pharmuz.de © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
M E D IZ I N |Nobelpreis für die Etablierung von Knock-out-MäusenGenetisch gezielt veränderte Mäuse werden in vielen Bereichen der biomedizinischen Grundlagenforschungals Modelle für humane Krankheiten eingesetzt und haben die Aufklärung von Pathogenitäts-Mechanismenund die Entwicklung neuer Therapiestrategien revolutioniert.
Aus Blastozysten werden die Zellen der inneren Zellmasse (Embryoblastenzellen) isoliert und auf einerSchicht von Nährzellen aus mitotisch inaktivierten Fibroblasten (Feeder-Zellen) kultiviert. Diese ES-Zellenkönnen in Kultur gentechnisch modifiziert werden. In vitro kultivierte transgene ES-Zellen werden in dieinnere Zellmasse einer Blastozyste gespritzt. Die Blastozysten werden scheinschwangeren Ammentierenimplantiert. Die transgenen Stammzellen nehmen an der Embryonalentwicklung der Empfänger-Blasto-zyste teil. Es resultiert also eine genetische Chimäre. Typischerweise werden die embryonalen Stammzel-len aus Tieren gewonnen, die eine andere Fellfarbe haben als die Spender der Empfänger-Blastozyste, indie die Stammzellen implantiert werden. Ob die transgenen Stammzellen an der Embryonalentwicklungder Empfänger-Blastozyste teilgenommen haben, erkennt man an der gefleckten Fellfarbe. Die chimärenTiere werden dann in Kreuzungs-Experimenten darauf getestet, ob sie das Transgen in der Keimbahn tragen.
kultivierte embryonaleStammzellen(ES-Zellen)
BlastozysteTransfektion,
homologeRekombination
Knock-out-ES-Zellen
Paarung
Zygote
chimäreBlastozyste
Ammenmutter
Rückkreuzung
chimäre Nachkommen
Knock-out-Nachkommen
A B B . 1 | E R Z E U G U N G T R A N S G E N E R M Ä U S E M I T E M B RYO N A L E N S TA M M Z E L L E N
| T R E F F P U N K T FO R SC H U N G
© 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.pharmuz.de 1/2008 (37) | Pharm. Unserer Zeit | 7
Evans fand, dass die EC-Zellen ander Entwicklung der jungen Mäuseteilnahmen, d.h. es entstandenchimäre Tiere aus den EC-Zellen undden Zellen der Empfänger-Blasto-zyste. Der Nachteil dieser Methodewar zunächst, dass die EC-Zellen derchimären Mäuse aufgrund von Aber-rationen ihrer Chromosomen nicht inder Lage waren, an der Keimbahnder Tiere teilzuhaben, d.h. das gene-tisch instabile Erbmaterial der EC-Zel-len war nicht auf nachfolgende Generationen vererbbar. Außerdembildeten die chimären Tiere meistmultiple Tumoren.
Der Durchbruch gelang Evans, alser herausfand, dass die nicht-neoplas-tischen Zellen des Embryoblastenähnliche Eigenschaft haben wie dieEC-Zellen und ähnlich wie diese auf Feeder-Zellen kultiviert werdenkönnen, ohne ihr Differenzierungs-potenzial einzubüßen. Diese ES-Zel-len können gerichtet in verschiedeneZelltypen differenziert werden, in-dem die Feeder-Zellen entfernt undbestimmte Wachstumsfaktoren beige-fügt werden. ES-Zellen können wieEC-Zellen an der Bildung chimärerTiere mitwirken und gelangen sogarauch in die Keimbahn. Das bedeutet,dass das genetische Material der ES-Zellen benutzt werden kann, um dar-aus intakte Tiere zu regenerieren(Abb. 1). Diese Ergebnisse wurden imJahr 1984 publiziert.
Der nächste Durchbruch, eben-falls erzielt in der Arbeitsgruppe vonEvans, war die genetische Verände-rung von ES-Zellen zur Herstellunggenetisch veränderter Mäuse. Evanstransferierte das Gen für die Hypo-xanthin-Guanin-Phosphoribosyltrans-ferase (HGPRT), die bei der X-chro-mosomal vererbten Krankheit Lesch-Nyhan-Syndrom defekt ist, in ES-Zellen und generierte eine chimäreMaus, die das HGPRT-Gen in derKeimbahn trug. Mäuse, die ein hete-rologes Gen zusätzlich zu ihren normalen Genen exprimieren, nen-nen wir heute allgemein „transgeneMäuse“.
Im Gegensatz dazu tragen„Knock-out“-Mäuse eine gezielt
inaktivierte Kopie eines Mausgens.Um die gezielte Zerstörung von Ge-nen in ansonsten intakten Tieren zuverwirklichen, brauchte es noch eineweitere Entdeckung, die parallel undunabhängig voneinander von MarioCapecchi und Oliver Smithies ge-macht wurde. Das Prinzip der Re-kombination zwischen homologenGenen – also Genen gleicher DNA-Se-quenz und Funktion – war lange be-kannt und war bereits 1958 mit demNobelpreis für Joshua Lederberghonoriert worden. Später hat RichardAxel gezeigt, dass der Defekt-Phäno-typ einer Säugerzelle durch homolo-ge Rekombination mit einer intaktenGenkopie aufgehoben werden kann.Capecchi hat diese Methode verfei-nert, indem er die für die homologeRekombination benötigte DNA mitfeinen Kanülen direkt in den Zell-kern injizierte, was die Effizienz derMethode stark verbesserte. Capecchifand auch heraus, dass die injizierteDNA in einer Enzym-katalysierten Re-aktion immer in einer bestimmtenAnordnung in das Genom der Zelleintegrierte, so dass die Integrations-ereignisse vorhergesagt werdenkonnten (Abb. 2).
Im Jahr 1985 hatte Capecchi ge-zeigt, dass homologe Rekombinationmit hoher Frequenz in Säugerzellenrealisiert werden kann, und auchSmithies hatte publiziert, dass Plas-mid-DNA gezielt an bestimmte Stel-len eines Säugetier-Genoms dirigiertwerden kann.
Was Capecchi und Smithies nochfehlte, war eine Vision, wie man ausden Knock-out-Zellen Knock-out-Tiere herstellten könnte. Doch dannhörten sie von den Arbeiten vonEvans – und der Rest der Geschichteist schnell erzählt.
Gezielte Knock-outs durch homo-loge Rekombination wurden zu-nächst in ES-Zellen etabliert (Abb. 1).Aus diesen Zellen können nun chimäre Tiere gebildet werden. Austechnischen Gründen sind in vitrohergestellte Knock-outs von Genenin ES-Zellen zunächst nur auf einemChromosom zu verwirklichen, d.h.die ES-Zellen sind heterozygot für
einen Genverlust (z.B. dargestellt alsGenotyp ES+/–; „+“ ist die unverän-derte Genkopie, „–“ die inaktivierteGenkopie). Zunächst wird durch Ver-paarung der chimären Tiere nach einem heterozygoten Knock-out-Tiergesucht, das den ES+/–-Genotyp wei-tervererben kann. Hat man männ-
Mit einem Gene-replacement-Vektor kann ein Gen im Genomgezielt zerstören. Dabei wird ein Bereich des Zielgens durcheine andere Funktionseinheit, beispielsweise eine Antibioti-ka-Resistenz, ersetzt. Dazu muss der Selektionsmarker aufbeiden Seiten von DNA-Sequenzen des Zielgens flankiert sein.Es ist jeweils ein separates Rekombinationsereignis in beidenHomologiebereichen notwendig.
+/+-Zelle
Transfektion mitPlasmid-DNA
Selektions-marker
neoR
HomologeRekombination
+/–-Knock-out-Zelle(heterozygot)
A B B . 2 | G E N Z E R S T Ö R U N G D U RC H H O M O LO G E
R E KO M B I N AT I O N ( G E N E R E PL AC E M E N T )
T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |
liche und weibliche ES+/–-Tiere, kannman durch Kreuzung homozygoteKnock-out-Tiere gewinnen (ES–/–).
Alle wesentlichen Typen mensch-licher Erkrankungen – Erbkrank-heiten, Krebserkrankungen, Infek-tionskrankheiten oder Autoimmun-krankheiten – können heute mitMausmodellen untersucht werden. In
den letzten Jahren wurden so vieleMausmodelle von Wissenschaftlernweltweit produziert, dass für rund10.000 Gene – also ein Drittel unse-res Genoms – Mausmutanten vor-liegen. Heute gibt es mehr als 500Maus-Modelle für Herz-Kreislauf-Lei-den, Diabetes, verschiedene Krebsar-ten und neurodegenerative Krank-
heiten wie Parkinson oder Alzheimer,etc. Diese Mausmodelle sind für diebiomedizinische Forschung unver-zichtbar, was die Vergabe des Nobel-preises für diese Technologie in ho-hem Maße rechtfertigt.
Thomas Winckler, Jena
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G LOSSA R |ACIP: Advisory Committee on Immunisation Practices, USA;amerikanische Entsprechung zur STIKO
Antigen: Molekül, das vom Immunsystem als fremd erkanntwird.
Azellulärer Impfstoff: enthält keine ganzen Bakterien-Zellen, sondern nur einzelne Antigene.
Adjuvantien: modulieren die Immunantwort und tragen we-sentlich zur Wirksamkeit, aber auch zur Verträglichkeit derVakzinen bei, zählen zu den „weiteren Bestandteilen“ oder„Hilfsstoffen“ von Vakzinen.
Boosterimpfung: Auffrischen des Impfschutzes einige Jahrenach der Grundimmunisierung. Der empfohlene Zeitpunkt füreine Boosterung hängt von der einzelnen Impfung ab.
FCA: Freund’s komplettes Adjuvans (Freund’s complete adju-vant) ist eines der potentesten Adjuvantien; besteht aus Mine-ralöl (Parafin), versetzt mit abgetöteten Mycobakterien.
Ganzkeim-Impfstoff: Impfstoff aus einem konventionellemHerstellungsverfahren, der komplette, abgetötete Bakterien-Zellen enthält (z.B. B. pertussis).
Grundimmunisierung: die ersten Impfungen in kurzemzeitlichem Abstand, die für den Aufbau eines stabilen Immun-schutzes notwendig sind.
Hapten: „Halbantigen“; Antigen geringer Größe, das an einTrägermolekül gebunden werden muss, um immunogen zuwirken.
Herdimmunität: Schutz Ungeimpfter durch Unterbrechungder Viruszirkulation bei bestehender Immunität eines Groß-teils der Bevölkerung.
Herdschutz: Schutz, den eine Impfung auch nicht-immuni-sierten Personen gewährt. Wird eine ausreichende Zahl vonMenschen in der Bevölkerung geimpft, so sind bei Krankhei-ten, die nur oder überwiegend den Menschen befallen, auchnicht-geimpfte Mitglieder geschützt. Langfristig lassen sichsolche Krankheiten ausrotten, wie dies bereits für die Pockengelungen ist. Auch für Polio und Masern strebt die WHO eineAusrottung an.
Immunogen: Antigenes Molekül, das eine nachhaltige Reak-tion des Immunsystems mit Ausbildung eines immunolo-gischen Gedächtnisses gegen das Molekül auslösen kann.
Immunisierung, aktive: eine Immunisierung mit den Anti-genen des Erregers, nicht mit den Antikörpern, ermöglicht dieAusbildung eines immunologischen Gedächtnisses, wenn essich nicht um unkonjugierte Polysaccharid-Impfstoffe han-delt. Bei einer späteren Infektion kann das Immunsystem un-mittelbar gezielt auf die Antigene reagieren, auch wenn keineAntikörper mehr vorhanden sind. Sowohl Lebend- als auch Totimpfstoffe bewirken diesen Schutz.
Immunisierung, passive: Durch die Gabe spezifischer Anti-körper gegen einen Erreger wird der Körper vorübergehendgegen diesen immunisiert. Eine passive Immunisierung bietetkeinen langfristigen Schutz. Sie ist notwendig zum Beispiel alsAkutmaßnahme bei einer Infektion mit Tetanustoxin und Toll-wuterregern, sofern kein Immunschutz besteht.
Impfkomplikation: In der Regel therapiebedürftige Erkran-kung nach einer Impfung, meistens im Promillebereich.
Impfreaktion: Harmlose Beschwerden im Rahmen der Immunreaktion nach einer Impfung. In der Regel lokale Reak-tion der Impfstelle oder leichtes Fieber.
Impfschaden: Dauerhafter Schaden durch eine Impfung. Extrem selten. Impfschäden traten äußerst selten bei dem seit1998 in Deutschland nicht mehr verwendeten Polio-Lebend-Impfstoff auf (Lähmungen in weniger als jedem MillionstenFall).
Impfvorschrift: Impfvorschriften gibt es für Pflichtimpfun-gen, die internationalen Vorschriften unterliegen. In der Regelhandelt es sich um die Gelbfieberimpfung, selten um andere,die bei Ein- oder Ausreise von einzelnen Ländern verlangt werden. Alle Impfungen müssen im internationalen Impfpasseingetragen sein. Mit den Impfvorschriften will das Reiselandseine eigene Bevölkerung schützen und verhindern, dassKrankheiten eingeschleppt werden.