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MAGAZIN | 348 | © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2004, 38, 348 – 356 KURIOS, SPANNEND, ALLTÄGLICH... | Nobelpreise 2004 – Same procedure as every year? Wie in jedem Jahr werden Anfang Oktober in Stockholm die neuen Nobelpreisträger bekanntgegeben. Wie in jedem Jahr wird die Auswahl nicht auf einhellige Zustimmung stoßen, wobei sich die verhaltene Kritik nicht gegen die Auserwählten, sondern gegen die Auswählenden richten wird, denn nach Meinung einiger Kritiker werden die Nobel- Komitees – wie in jedem Jahr – preiswürdige Kandidaten übergangen haben. Nach Bekanntgabe der letztjährigen Nobelpreisträger erreichte der angeschlagene Ton aber eine bisher unvorstellbare Schärfe: „Eine Stockholmer Piratenbande betrügt Menschen seit einem Jahrhundert mit ihren Verbrechen“[1] zeterte ein schlechter Verlierer. Ein Blick zurück. In jedem Jahr sollen diejenigen Per- sönlichkeiten geehrt werden, die im vergangenen Jahr auf den Gebieten der Physik, Chemie, Physiologie und Medizin, Literatur und der Erhaltung des Friedens am meisten zum Wohle der Menschheit beigetragen haben. Alfred Nobel überraschte mit seinem letzten Willen nicht nur seine Fami- lie, denn sein riesiges Vermögen [2] sollte fortan von einer Stiftung ver- waltet werden und die Königlich- Schwedische Akademie der Wissen- schaften und das Karolinska Institut in Stockholm wurden ungefragt mit der Auswahl der Preisträger testamen- tarisch betraut [3]. Wie werden Nobelpreisträger ausgewählt? Für jeden Nobelpreis sichtet ein fünf- köpfiges Komitee die bis zum 1. Fe- bruar des Jahres eingegangenen Nomi- nierungen [4], lässt Expertisen über die aussichtsreichsten Kandidaten an- fertigen und erarbeitet schließlich ei- nen Vorschlag, wobei in jedem Fach- gebiet maximal drei Preisträger mög- lich sind. Nach einem internen Bera- tungsprozess fällen um den 10. Okto- ber die Königlich-Schwedische Aka- demie der Wissenschaften und das Karolinska Institut in Stockholm ihre Entscheidungen, die auf einer Presse- konferenz bekannt gegeben werden. Was nach der Bekanntgabe der Preisträger passiert, ist fast schon ein Ritual: der Medienrummel läuft auf Hochtouren und die Preisträger errei- chen kurzzeitig die Popularität von Olympiasiegern. Die scientific com- munity ist von der Medienpräsenz entzückt, man freut sich über und mit den geehrten Wissenschaftlern. Wenn nach wenigen Wochen das öffentliche Interesse abgeflaut ist, trudeln bei den führenden Wissen- schaftsjournalen wie Science und Nature Leserbriefe ein, in denen auf ungerechtfertigt übergangene Kandi- daten hingewiesen wird. Dann wech- seln sich pro- und contra-Kommen- tare ab, man diskutiert hin und her, die neuen Nobelpreisträger geben keine Kommentare ab und die Nobel- stiftung schweigt sowieso. Bei der fei- erlichen Preisverleihung am 10. De- zember,dem Todestag Alfred Nobels, haben sich die Wogen längst geglät- tet, kleinformatige Bilder vom könig- lichen Handschlag finden sich ver- steckt auf der Wissenschaftsseite we- niger Zeitungen, die Tagesthemen widmen im Nachrichtenblock „Bun- tes aus aller Welt“ der Zeremonie ganze zwanzig Sekunden, aber auch nur, wenn ein Deutscher dabei ist. Nobelpreise 2004: Same procedure as last year? Hoffentlich nicht, denn im letzten Jahr ging es nach der Bekanntgabe der Preisträger wie im Tollhaus zu. Was war passiert? Mit dem Nobel- preis 2003 für Physiologie und Medi- zin wurden der US-amerikanische Chemiker Paul Lauterbur und der englische Physiker Peter Mansfield für die Entwicklung der Kernspin- Tomographie [5] geehrt.Dieses Ver- fahren ist heute ein klinisch-diagnos- tisches Routineverfahren mit welt- weit über 60 Millionen Untersuchun- gen im Jahr,der Nobelpreis kommt daher nicht überraschend. Einer war stocksauer: der US-amerikanische Me- diziner Raymond Damadian polterte in ganzseitigen Anzeigen in der New York Times, Los Angeles Times, Frank- furter Allgemeine (Abbildung 1) und der Stockholmer Dagens Nyheter ge- gen seine Nicht-Berücksichtigung. Die Leser wurden aufgefordert, gegen die Entscheidung in Stockholm schriftlich zu protestieren, damit dieses schändliche Unrecht wieder gut gemacht wird“. Er sieht sich als der wahre Entdecker der Kernspin- Tomographie. „Wenn ich nicht gebo- ren worden wäre, gäbe es heute kei- ne Kernspin-Tomographie”, erklärt er selbstbewusst und bei dieser ego- zentrischen Ausgangssituation muss die Enttäuschung besonders bitter gewesen sein, denn das Nobel-Komi- tee des Karolinska Instituts hätte ihn als dritten Preisträger vorschlagen können. Damadian wettert: „Wenn man die dazu bringen will, ihre Entscheidungen zu erläutern, kann man keinen Gerichtshof anrufen. Sie sagen nur, dass sie ihre Entschei- Abb. Paul Lauterbur bei der Entgegennahme des Preises für Medizin 2003.

Nobelpreise 2004 – Same procedure as every year?

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K U R I OS , S PA N N E N D, A L LT Ä G L I C H . . . |Nobelpreise 2004 – Same procedure as every year?Wie in jedem Jahr werden Anfang Oktober in Stockholm die neuen Nobelpreisträger bekanntgegeben. Wie in jedem Jahr wird die Auswahlnicht auf einhellige Zustimmung stoßen, wobei sich die verhaltene Kritik nicht gegen die Auserwählten, sondern gegen die Auswählendenrichten wird, denn nach Meinung einiger Kritiker werden die Nobel-Komitees – wie in jedem Jahr – preiswürdige Kandidaten übergangenhaben. Nach Bekanntgabe der letztjährigen Nobelpreisträger erreichteder angeschlagene Ton aber eine bisher unvorstellbare Schärfe: „EineStockholmer Piratenbande betrügt Menschen seit einem Jahrhundertmit ihren Verbrechen“[1] zeterte ein schlechter Verlierer. Ein Blick zurück.

In jedem Jahr sollen diejenigen Per-sönlichkeiten geehrt werden, die imvergangenen Jahr auf den Gebietender Physik, Chemie, Physiologie undMedizin, Literatur und der Erhaltungdes Friedens am meisten zum Wohleder Menschheit beigetragen haben.Alfred Nobel überraschte mit seinemletzten Willen nicht nur seine Fami-lie, denn sein riesiges Vermögen [2]sollte fortan von einer Stiftung ver-waltet werden und die Königlich-Schwedische Akademie der Wissen-schaften und das Karolinska Institutin Stockholm wurden ungefragt mitder Auswahl der Preisträger testamen-tarisch betraut [3].

Wie werden Nobelpreisträgerausgewählt?Für jeden Nobelpreis sichtet ein fünf-köpfiges Komitee die bis zum 1. Fe-bruar des Jahres eingegangenen Nomi-nierungen [4], lässt Expertisen überdie aussichtsreichsten Kandidaten an-fertigen und erarbeitet schließlich ei-nen Vorschlag, wobei in jedem Fach-gebiet maximal drei Preisträger mög-lich sind. Nach einem internen Bera-tungsprozess fällen um den 10. Okto-ber die Königlich-Schwedische Aka-demie der Wissenschaften und dasKarolinska Institut in Stockholm ihreEntscheidungen, die auf einer Presse-konferenz bekannt gegeben werden.

Was nach der Bekanntgabe derPreisträger passiert, ist fast schon einRitual: der Medienrummel läuft aufHochtouren und die Preisträger errei-chen kurzzeitig die Popularität vonOlympiasiegern. Die scientific com-munity ist von der Medienpräsenzentzückt, man freut sich über undmit den geehrten Wissenschaftlern.Wenn nach wenigen Wochen das öffentliche Interesse abgeflaut ist,trudeln bei den führenden Wissen-schaftsjournalen wie Science und Nature Leserbriefe ein, in denen auf ungerechtfertigt übergangene Kandi-daten hingewiesen wird. Dann wech-seln sich pro- und contra-Kommen-tare ab, man diskutiert hin und her,die neuen Nobelpreisträger gebenkeine Kommentare ab und die Nobel-stiftung schweigt sowieso. Bei der fei-

erlichen Preisverleihung am 10. De-zember, dem Todestag Alfred Nobels,haben sich die Wogen längst geglät-tet, kleinformatige Bilder vom könig-lichen Handschlag finden sich ver-steckt auf der Wissenschaftsseite we-niger Zeitungen, die Tagesthemenwidmen im Nachrichtenblock „Bun-tes aus aller Welt“ der Zeremonieganze zwanzig Sekunden, aber auchnur, wenn ein Deutscher dabei ist.

Nobelpreise 2004: Same procedure as last year? Hoffentlich nicht, denn im letztenJahr ging es nach der Bekanntgabeder Preisträger wie im Tollhaus zu.Was war passiert? Mit dem Nobel-preis 2003 für Physiologie und Medi-zin wurden der US-amerikanischeChemiker Paul Lauterbur und derenglische Physiker Peter Mansfieldfür die Entwicklung der Kernspin-Tomographie [5] geehrt. Dieses Ver-fahren ist heute ein klinisch-diagnos-tisches Routineverfahren mit welt-weit über 60 Millionen Untersuchun-gen im Jahr, der Nobelpreis kommtdaher nicht überraschend. Einer warstocksauer: der US-amerikanische Me-diziner Raymond Damadian poltertein ganzseitigen Anzeigen in der NewYork Times, Los Angeles Times, Frank-furter Allgemeine (Abbildung 1) undder Stockholmer Dagens Nyheter ge-gen seine Nicht-Berücksichtigung.Die Leser wurden aufgefordert, gegendie Entscheidung in Stockholmschriftlich zu protestieren, damit„dieses schändliche Unrecht wiedergut gemacht wird“. Er sieht sich alsder wahre Entdecker der Kernspin-Tomographie. „Wenn ich nicht gebo-ren worden wäre, gäbe es heute kei-ne Kernspin-Tomographie”, erklärter selbstbewusst und bei dieser ego-zentrischen Ausgangssituation mussdie Enttäuschung besonders bittergewesen sein, denn das Nobel-Komi-tee des Karolinska Instituts hätte ihnals dritten Preisträger vorschlagenkönnen. Damadian wettert: „Wennman die dazu bringen will, ihreEntscheidungen zu erläutern, kannman keinen Gerichtshof anrufen.Sie sagen nur, dass sie ihre Entschei-

Abb. Paul Lauterbur bei derEntgegennahmedes Preises für Medizin 2003.

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Abb. 1 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. Dezember 2003; in einer ganzseitigen Anzeige macht R. Damadian seinem Ärger Luft.

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dungen nicht kommentieren. DieserHaufen ist somit niemandem in derWelt eine Rechenschaft darüberschuldig“ [6]. Der Protest und dieganze Unterschriftenaktion nutztennichts: das Nobel-Komitee gab keinenKommentar ab, blieb bei seiner Ent-scheidung und Damadian bekam kei-nen Nobelpreis. Als „Trostpflaster“verlieh ihm eine schwedischen Erfin-derorganisation am 10. Dezember2003, dem Tag der Nobelpreisverlei-hung, eine Goldmedaille. Damadianberichtete stolz, dass seine Unterstüt-zer mehr als 1,2 Millionen $ aufge-bracht hätten, die Welt über das offensichtliche Unrecht aufzuklären.„Was mir niemand nehmen kann,ist die Genugtuung, dass die Kern-spin-Tomographie ohne meine Ar-beit nicht existieren würde“ [7].

Ist es vorstellbar, dass einer derPioniere der Kernspin-Tomographievom Karolinska-Institut übersehenwurde? Basierte die Entscheidung aufeiner mangelhaften Recherche? Wares Konkurrenzneid von Kollegen? Bevor wir den Prioritätsstreit genauerbetrachten, muss daran erinnert wer-den, dass die Auswahl der Nobel-preisträger eine äußerst schwierigeAufgabe ist, um die ein Nobel-Komi-tee nicht zu beneiden ist. So verglich

Bruce Merrifield (Nobelpreis Chemie1984) die Vergabe des Nobelpreisesmit einer Lotterie: „Es gibt so vielequalifizierte Wissenschaftler. Ichweiß überhaupt nicht, wie das Ko-mitee alles gegeneinander abwägenund eine gerechte Bewertung vor-nehmen will.“ Für Eugene Garfieldmuss das Nobel-Komitee ein „Meis-terstück von Rembrandt mit einemvon Matisse“ vergleichen und vonbeiden das Bessere auswählen [8].Weiterhin sollte man nicht vergessen,dass die Preisträger von Menschenvorgeschlagen und ausgewählt wer-den. Dass bei deren Entscheidungenauch persönliche Interessen,Vorlie-ben und Emotionen bewusst oderunbewusst ein Rolle spielen, liegt inder Natur der beteiligten Menschen.Es kann daher nicht verwundern,dass manche Entscheidungen un-glücklich, gelegentlich sogar falschwaren [9] (Infokasten oben).

War nun die Entscheidung desNobel-Komitees für den Medizin-Nobelpreis 2003 ein Fehler? Versu-chen wir aus der zeitlichen und emo-tionalen Distanz den Streit zu be-leuchten. Dies scheint eine einfacheFleißaufgabe zu sein, denn die Ein-gangstage aller publizierten Manus-kripte sind bekannt und deren Inhalt

kann nachgelesen werden. Beginnenwir unseren Blick zurück und urtei-len Sie selbst.

Der Weg zur Kernspin-Tomographie [10]Die NMR-Spektroskopie ist eine derwichtigsten physikalischen Unter-suchungsmethoden zur Strukturauf-klärung von Molekülen. Bereits Endeder 60er-Jahre waren Tausende von1H-NMR-Spektrometern weltweit imEinsatz. Über viele Aspekte der Me-thodik (Infokasten rechts) wurde indieser Zeitschrift berichtet [11].Natürlich stopften neugierige Chemi-ker und Physiker schon seit Beginndieser Technik biologische Proben inihre NMR-Spektrometer, aber das 1H-NMR-Spektrum bestand immer nuraus dem einzigen Signal für das Ge-webewasser, also keine wirklicheÜberraschung für eine biologischeProbe. Zur Gewinnung von aussage-kräftigen Informationen waren neuar-tige Messstrategien notwendig.

März 1971Raymond Damadian von der StateUniversity von New York in Brooklynberichtete 1971 in der ZeitschriftScience unter dem Titel „Tumor De-tection by Nuclear Magnetic Reso-

T H E W I N N E R TA K E S I T A L L , T H E LO OS E R S TA N D I N G S M A L L |In der Liste der Chemie-Nobelpreisträger vermissen wir viele Namen, z.B. W.Gibb und L. Boltzmann mit ihren grundlegenden Arbeiten auf den Gebieten derThermodynamik und Kinetik, Mendelejew und V. Mayer als Entdecker des Periodischen Systems der Elemente, G.N. Lewis formte unsere Vorstellungenvon der chemischen Bindung und viele andere mehr. Unverständlich ist dieNichtbeachtung von Martin Kamen für die Entdeckung des Kohlenstoffisotops14C und seine Verwendung beim Studium zur Biosynthese von Zuckern. Dieserstaunt, da sowohl 1960 W.F. Libby für die Entwicklung der Altersbestim-mung von geologischen und archäologischen Proben als auch M. Calvin 1961für die Untersuchungen der Photosynthese jeweils allein einen Nobelpreis ver-liehen bekamen. Bei beiden basierte die Forschungen ganz wesentlich auf demIsotop 14C [34].

Obwohl Fehler der Nobel-Komitees offiziell nie zugegeben werden, wird in demvon der Nobelstiftung selbst herausgegebenen Buch „Nobel –The Man and hisPrizes“ bedauert, dass Oswald Avery, trotz vielfacher Nominierungen zwischen1932 und 1950, für seine Entdeckung der DNA als Erbsubstanz keinen Nobel-preis bekam. Auch die Auswahl der Preisträger für den Nobelpreis in Physiolo-gie und Medizin 1923 war wohl ein schwerer Fehler. Frederick Banting undJohn Macleod erhielten ihn für die Entdeckung des Insulins, obwohl sich beide

nicht ausstehen konnten und nicht zusammengearbeitet hatten. Der eigentli-che Entdecker des Insulins war Charles Best, ein Mitarbeiter von Banting.Macleod war als Direktor zum Zeitpunkt der Entdeckung des Insulins in den Ferien und hatte bei der Entdeckung keine aktive Rolle gespielt. In Anerken-nung der Leistung und als Ausdruck seines Protestes gegen die Ungerechtigkeitgegenüber seinem Mitarbeiter teilte Banting die Geldsumme mit Best [35].

Bei einigen Kandidaten hat das Nobelkomitee noch Gelegenheit, die längstüberfällige Ehrung vorzunehmen. Neil Bartlett wäre dafür ein Kandidat. SeineSynthese der ersten Edelgasverbindung XePtF6 im Jahre 1962 zeigte, dass auchEdelgase chemische Reaktionen eingehen können. Dies widersprach völlig derdamaligen Lehrmeinung [36]. Wie überfällig dieser Nobelpreis wäre, doku-mentiert Primo Levi in seinem wunderbaren Buch „Das periodische System“[37]. Auf der ersten Seite des ersten Kapitels schreibt er: „... erst 1962 gelanges einem zuversichtlichen Chemiker nach langwierigen, raffinierten Bemühun-gen, „das Fremde“ (Xenon) zu einer Verbindung mit dem äußerst gierigen, leb-haften Fluor zu zwingen, und das Unterfangen erschien so außergewöhnlich,dass ihm dafür der Nobelpreis verliehen wurde.“ Es bleibt nur zu hoffen, dassdie Mitglieder des Nobel-Komitees Levi nicht alles glauben, denn tatsächlichhaben sie Bartlett den Nobelpreis bisher noch nicht verliehen.

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nance“ [12] über seine Messungender Relaxationszeiten T1 und T2 desWassersignals in normalen und tumorösen Geweben. Danach lagenz.B. die T1-Zeiten von normalem Le-bergewebe bei etwa 293 ms, in tumorösem Lebergewebe aber bei 826 ms. Seine Arbeit endete mit demvorsichtig formulierten Ausblick:„Auch wurde die Möglichkeit unter-sucht, ob mit Hilfe der NMR schnellzwischen gut- und bösartigen Ge-webeproben unterschieden werdenkann.“

September 1971Damadians Publikation erweckte dasInteresse einiger Wissenschaftler.Tatsächlich konnten in Tiermodellenschnell wachsende Tumore durch ih-re verlängerten Relaxationszeitenvom normalen Gewebe differenziertwerden [13], aber die im Johns Hop-kins Medical Journal umfassendenpublizierten Messungen von DonaldP. Hollis, einem bekannten NMR-Spek-

troskopiker, und seinem DoktorandLeon Saryan ergaben ein wesentlichdifferenziertes Gesamtbild: gut- undbösartig veränderte Gewebe lassensich häufig eben nicht unterscheidenund in einigen Fällen kann nicht ein-mal zwischen normalem und tumorö-sem Gewebe unterschieden werden[14,15].

Saryan und Hollis führten ihre Ex-perimente wie auch früher Damadianbei der Firma NMR Specialities inder Nähe von Pittsburgh durch. DieseFirma hatte ein NMR-Spektrometerentwickelt, mit dem Relaxationszei-ten besonders einfach gemessen wer-den konnten. Der damalige Firmen-direktor Paul Lauterbur beobachtetedurch Zufall Leon Saryans Rattenex-perimente. Lauterbur arbeitete haupt-beruflich an der State University ofNew York in Stony Brook und warein international anerkannter NMR-Spektroskopiker, der z. B. das erste13C-NMR-Spektrum einer organischenVerbindung mit natürlicher 13C-Isoto-

penhäufigkeit gemessen hatte [16].Diese zufällige Beobachtung löste beiLauterbur einen Geistesblitz aus, derin eine ganz andere Richtung ging[17]:

„Eine Methode, bei der Gewebe-proben erst chirurgisch entferntwerden mussten, schien mir nichtsehr erfolgversprechend zu sein.Nach allem, was ich wusste, kannman Gewebeproben einfacher miteinem Mikroskop untersuchen. Bes-ser wäre es, wenn Messungen amintakten Menschen gemacht unddaraus Bilder erzeugt werden könn-ten. Ich fragte mich, ob es irgend-einen Weg gäbe, dieses Problem zulösen.An diesem Abend ging ich indas nächste Eat ‚n’ Park Restaurant– eine lokale Art von McDonalds –und wollte einen großen Hambur-ger namens „Big Boy“ verdrücken.So saß ich in einem einsamenHamburger-Restaurant, dachte nach und kam schließlich darauf,dass Magnetfeldgradienten eine all-

DA S N M R- E X PE R I M E N T |Bringt man Wasser in ein Magnetfeld, so richten sich die zunächstunausgerichteten Kernmagnete (links) der Wasserstoffkerne (Proto-nen) entweder parallel oder antiparallel aus (Mitte). Durch kurzzei-tiges Einstrahlen von elektromagnetischer Energie werden Über-gänge induziert, die anschließend als 1H-NMR-Signal gemessenwerden. Bei den heute üblichen Magnetfeldstärken von 1-2 Teslaliegen die Resonanzfrequenzen im Radiofrequenzbereich. Da wederdas Magnetfeld, noch die intensitätsschwache Radiofrequenzstrah-lung physiologische Auswirkungen haben, ist die Untersuchungs-methode für Patienten völlig gefahrlos.

Gewebe T1 [ms] [38]

weiße Gehirnsubstanz 290 ± 22

graue Gehirnsubstanz 365 ± 40

Hirnflüssigkeit 546 ± 1048

Astrozytom 360 ± 472

Meningiom 690 – 795

Neurinom 235 – 290

Lipom 645 ± 70

Metastase (prim. Nierenkarzinom) 605 – 696

TA B . 1 T 1-W E R T E D E S WA S S E R S I G N A L S V E R -

S C H I E D E N E R N O R M A L E R U N D PAT H O -

LO G I S C H V E R Ä N D E R T E R G E H I R N G E W E B E

Nach der kurzzeitigen Störung durch den Radiofrequenzpuls strebtdas System wieder in sein thermisches Gleichgewicht zurück. Zwei Relaxationszeiten T1 und T2 charakterisieren diesen Prozess: T1 beschreibt den Aufbau der Gleichgewichtsmagnetisierung entlang der Magnetfeldrichtung und T2 das Abklingen der nach derEinstrahlung auftretenden Quermagnetisierung.

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gemeine Lösung des Problems seinkönnten.“

Am 2. September 1971 schriebPaul Lauterbur seine Idee in ein brau-nes Spiralheft nieder und ließ es sicham nächsten Tag von seinem Mitar-beiter Don Vickers gegenzeichnen,eine Vorsichtsmaßnahme für einemögliche spätere Patentanmeldung(Abbildung 2 ).

März 1972 Damadian beantragt ein Patent „Ap-paratus and Method for DetectingCancer in Tissue“ [18], in dem er einkonventionelles NMR-Spektrometerbeschreibt, in dessen Magneten sichallerdings ein Mensch befindet. SeineVision ist der Bau eines „Apparatsund einer Methode zum Nachweisvon Krebs im Menschen, die nichtauf chirurgisch entfernten Gewebe-proben beruht, sondern mit Sondendurchgeführt werden kann, die sichaußerhalb des zu untersuchendenMenschen befinden“. Krebsgewebe

wird durch Messung der Relaxations-zeit identifiziert. Die örtliche Begren-zung des Messbereichs erfolgt durch„einen Sender mit einer Strahlfokus-sierung, so dass die vom Radio-frequenz-Generator abgestrahltemagnetische Energie einen Strahlmit schmalem Querschnitt erzeugt.“Dies ist sehr diffus beschrieben, aberbewusst unklare Formulierungensind bei Patentanmeldungen üblich.Hervorgehoben werden muss, dasssich im Patent keinerlei Hinweis aufein bildgebendes Verfahren findet.

Dezember 1972 Auf einer Tagung in New York Cityberichtete Damadian, dass nicht nurtierisches, sondern auch mensch-liches Krebsgewebe eindeutig vomnormalem Gewebe an den verlänger-ten Relaxationszeiten unterschiedenwerden kann. Donald Hollis hörteden Vortrag und bat anschließendschriftlich um die Übersendung derexperimentellen Daten. Damadianantwortete ihm in einem kurzenBrief [19]:

„Ihre Arbeitsgruppe versucht,mir den Ruhm meiner Entdeckungzu stehlen. Erwarten Sie nun, dassich Ihnen meine Daten auch nochgebe?

Raymond Damadian Hollis versuchte ein klärendes Te-

lefongespräch mit Damadian zuführen. Dazu kam es aber nicht, dennder explodierte sofort [19]:

„Was wollen Sie eigentlich errei-chen? Mir meine Entdeckung steh-len?“ brüllte Damadian ins Telefon.

„Hey, nun beruhigen Sie sichdoch, warum regen Sie sich denn soauf?“, versuchte Hollis ihn zu besänf-tigen.

„Ich habe ihre Publikation inJohns Hopkins Medical Journal gele-sen, Sie erwähnen meinen Namenerst in der Mitte des zweiten Absat-zes“, beklagte sich Damadian.

„Ja und! Ich zitiere doch ihrePublikation und erkenne Ihre Leis-tung voll an“, erwiderte Hollis.

„Ja schon, aber nicht im erstenSatz. Jede Publikation über NMRund Krebs sollte meine Arbeit im ers-

ten Satz oder wenigstens im erstenAbsatz zitieren“, beendete Damadiandas Telefonat.

Dieser kurze Dialog charakteri-siert Raymond Damadian als einenMenschen mit großem Selbstvertrau-en und einer gehörigen Portion Ag-gressivität, zwei Eigenschaften, die erauch in späteren Auseinandersetzun-gen zeigte.

März 1973 Unter dem Titel „Image Formationby Induced Local Interactions: Ex-amples Employing NMR” erscheintin Nature Lauterburs Idee für einneuartiges bildgebendes Verfahren[20]. Die Arbeit erscheint mit einigerVerzögerung, da sie zunächst abge-lehnt und erst nach Einspruch undÜberarbeitung zur Publikation an-genommen wurde. Diese Publikationmarkiert für die meisten Fachleutedie Geburt der Kernspin-Tomogra-phie (Infokasten rechts).

1974Lauterbur veröffentlicht das ersteNMR-Tomogramm eines Säugetiers,einer Maus [22].

1975Völlig unabhängig von Lauterbur undDamadian untersuchte die Arbeits-gruppe des Festkörperphysikers Peter Mansfield in Nottingham, ob eine zur Röntgenstrukturanalyse analoge Untersuchung mit NMR-Techniken möglich sei. Schon 1973publizierten sie in der Zeitschrift Solid State Physics unter dem Titel„NMR diffraction in solids?“ eine Ar-beit [22], in der sie mit neuartigenNMR-Messtechniken das „Bild“ eineseindimensionalen Modellkristallgit-ters aus festen Campherschichten erzeugen konnten. Sie selbst zeigten,dass für eine NMR-Beugung am Kris-tall so starke Magnetfeldgradientennotwendig wären, die damals (undnoch heute) nicht realisierbar waren.Nach Lauterburs Publikation im Jahre1973 erkannte Mansfield, dass sichviele seiner eigentlich für Festkörperentwickelten Messtechniken auch für biologische Objekte eignen. 1977

Abb. 2 Die erste Seite von Lauterburs am 2. September 1971niedergeschriebenen Notizen eines neuen bildgebenden Ver-fahrens. Die Notizen ließ er am nächsten Tag von seinem Kol-legen D. Vickers gegenzeichnen.

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publizierte Mansfields Gruppe dasNMR-Tomogramm eines mensch-lichen Fingers. Dies war die ersteNMR-tomographische Darstellungder Anatomie eines Teils vom Men-schen [23].

Ab 1975 arbeiteten viele Grup-pen auf der ganzen Welt an der me-thodischen Weiterentwicklung derKernspin-Tomographie. Ausschlag-gebend für den Durchbruch im klinisch-diagnostischen Bereich warschließlich die Verkürzung der Mess-zeit, so dass Untersuchungen an Pati-enten vertretbar wurden. Die Darstel-lung der gewaltigen Anstrengungenvieler Arbeitsgruppen und Hersteller-firmen bis zum Erreichen der heuti-gen Bildqualität würde den Rahmendieses Artikels sprengen [24], bei-spielhaft soll die Auswahl und gleich-zeitige Aufnahme mehrerer Schichtenund das Echo-Planar-Verfahren [25]erwähnt werden. Dadurch wurdenAufnahmen im Subsekunden-Bereichmöglich, die detailreiche Aufnahmenz.B. am schlagenden Herz erlaubten.An beiden Techniken haben Mans-field und seine Gruppe wesentlichmitgearbeitet.

1976Damadian ging einen völlig anderenWeg und entwickelte das FONAR-(field focusing NMR)-Verfahren [26].

Dabei wird ein Magnetfeld erzeugt,dass nur im Mittelpunkt homogen ist.Misst man ein NMR-Spektrum z.B.eines ganzen Menschen, dann ergibtnur der kleine Volumenbereich imMagnetzentrum ein scharfes Signal.Ein vollständiges Schnittbild lässt sicherzeugen, indem das Objekt im Magneten entsprechend verschobenwird und alle Einzelmessungen zu ei-nem Bild zusammengesetzt werden.

1977 Am 3. Juli 1977 misst Damadian daserste NMR-Schnittbild eines Men-schen mit seinem FONAR-Verfahren,der axiale Querschnitt durch denBrustkorb seines Mitarbeiters Lawrence Minkoff [27]. Die Messzeitbetrug 4,5 Stunden und die räum-liche Auflösung 8 mm. Minkoff musste während der ganzen Messungaufrecht und bewegungslos auf einem Stuhl in dem Magneten sitzen.Das aktive Messvolumen befand sichgenau im Mittelpunkt des Magneten,ein Spektrum wurde gemessen, undanschließend verschoben zwei Studenten den Stuhl um 8 mm nachvorn oder hinten bzw. links oderrechts und ein neuer Messpunkt wur-de gemessen, insgesamt 64 Punkte[17].

Über diese Messung ist viel spe-kuliert worden, da sich Damadians

Angaben der experimentellen Detailsin verschiedenen seiner Publikatio-nen unterschieden [28]. Die entspre-chende Seite aus seinem Labortage-buch und seine persönlichen An-merkungen dazu [17] zeigen, dass erkennbare 53 Messpunkte aufge-nommen wurden, wobei wohl jederMesswert dem Mittelwert aus zweiEinzelmessungen entspricht (ver-merkt sind 106 Datenpunkte). JedeEinzelmessung dauerte etwas überzwei Minuten. Für jeden der 106Messpunkte musste Minkoff für mehrals zwei Minuten die Luft anhalten:eine sportliche Höchstleistung! Dar-aus berechnet sich eine totale Mess-zeit von fast vier Stunden, zuzüglicheiner Pause für von etwa einer hal-ben Stunde, insgesamt also 4,5 Stun-den.

Bei der kritischen Bewertung derBildqualität dürfen nicht das publi-zierte Farbbild, sondern nur die Ori-ginaldaten herangezogen werden(Abbildung 3), denn offensichtlichwurden die 53 Bildpunkte per Com-puter auf 1504 Punkte mit einemGrafikprogramm vergrößert und da-bei geglättet. Selbst ein Laie erkennt,dass im bearbeiteten Bild anatomi-sche Strukturen zu erkennen sind,die im Original nicht vorhanden sind.Obwohl es sich bei der FONAR-Tech-nik ganz außer Frage um eine origi-

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Es ergibt keinen Sinn, einen menschlichen Körper in einem homogenen Mag-netfeld NMR-spektroskopisch zu untersuchen, denn das einzige zu beobach-tende 1H-NMR-Signal wäre eine Überlagerung der Wassersignale aller Organe.Lauterburs brillanter Geistesblitz beim Essen eines Riesen-Hamburgers führteihn zur Verknüpfung der 1H-NMR-Resonanzfrequenz mit der räumlichen Posi-tion des Wassers. Versuchen wir seine pfiffige Idee nachzuvollziehen. Bringtman zwei wassergefüllte Röhrchen in ein homogenes Magnetfeld, sind beideRöhrchen der gleichen Magnetfeldstärke ausgesetzt, haben beide identischeResonanzfrequenzen und ergeben folglich nur ein 1H-NMR-Signal. Und jetzt

kommt der Trick: Lauterbur überlagerte dem Magnetfeld ein zusätzliches Ma-gnetfeld, das in eine Raumrichtung linear zunimmt (Magnetfeldgradient). Indiesem Fall wird die Magnetfeldstärke in beiden Röhrchen unterschiedlich, bei-de zeigen entsprechend ihrer Position unterschiedliche Resonanzfrequenzen(links). Im gewissen Sinne ist es eine Projektion der Wasserdichte des Objektsauf die Frequenzachse des 1H-NMR-Spektrums. Eine Drehung des Objektes(bzw. der Gradientenrichtung) führt zu einer anderen Projektion und aus einerVielzahl von Projektionen lässt sich ein Bild der Wasserverteilung über eineRückprojektion rekonstruieren (rechts).

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nelle Idee handelt, drängen sich dieGrenzen dieser Methode förmlichauf. Damit das Signal nur von einemkleinen, scharf definierten Volumenstammt, müsste das Magnetfeld so be-schaffen sein, dass es ausschließlichin diesem kleinen Bereich homogenist.Aus vielen Jahrzehnten Erfahrun-gen mit NMR-Spektrometern ist be-kannt, dass dies technisch in einemGanzkörpergerät nicht gewährleistetist. Dadurch ist das Volumen nichtpräzise definiert, so dass eine hoheDetailtreue nicht erreichbar seinwird.Weiterhin können bestimmteBewegungen (Herzschlag, Peristaltik)nicht verhindert werden und das

ständige Luftanhalten macht die Me-thode für Patienten unpraktikabel.Last not least ist die Messzeit viel zulang und macht die Methode fürpraktische Anwendungen unbrauch-bar. Die FONAR-Methode erreichtedaher nie eine klinische Bedeutungund selbst Damadians eigene Firma(FONAR) nutzte und nutzt allein dieauf Lauterburs und Mansfields Ideenberuhenden Messverfahren.

Kurzum: Damadian hatte eine originelle Idee, baute einen eigenenGanzkörpermagnet (eine beachtlicheLeistung!) und führte die Messungendurch. Leider erwies sich die Idee alstechnische Sackgasse, da andere Wissenschaftler bessere Verfahrenparallel entwickelt hatten.

1978 – heuteP. Mansfield publiziert das erste Kern-spin-Tomogramm des Bauchraumsseines Mitarbeiters Peter Morris [29].Die Messung basiert auf LauterbursIdee und nutzt die von Mansfield ent-wickelte geschickte Abfolge von Ra-diofrequenzeinstrahlungen und ge-schalteten Magnetfeldgradienten. Da-durch muss nicht, wie bei Damadian,Punkt für Punkt gemessen werden,sondern das Signal der ganzen Schnitt-fläche wird aufgenommen, wodurchdie Messzeit wesentlich verkürzt wer-den kann, bei deutlich verbesserterräumlicher Auflösung. Dieses Verfah-ren mit Modifikationen und vielenVerbesserungen ist auch heute nochdie Basis der Bildgebung.

Die danach einsetzende Entwick-lung der Ganzkörper-Tomographenkann nur als explosionsartig bezeich-net werden. Die großen Geräteher-steller wie General Electric, Philipsund Siemens erkannten das enormemedizinische Potential, investiertenviel Kapital, so dass die ersten supra-leitenden Ganzkörper-Magnete ge-baut werden konnten. Durch dietechnologischen Fortschritte auf denGebieten der Radiofrequenz-, Schal-tungs- und Computertechnik konntedie Empfindlichkeit und das Auflö-sungsvermögen bei gleichzeitig ver-kürzter Messzeit so gesteigert wer-den, dass die heutige atemberauben-

de Bildqualitäten erreicht werdenkonnte (Abbildung 4). Paramagneti-sche Kontrastmittel zur besseren Tumorabgrenzung wurden inDeutschland bei Schering entwickelt,die selektive Darstellung von Ge-fäßen (Angiographie) gelang, und vie-le andere an die diagnostischen Be-dürfnisse optimierten Geräte undMesstechniken wurden entwickelt.Heute sind auf der Welt über 20 000Kernspin-Tomographen im Einsatz,mit denen über 60 Millionen Unter-suchungen im Jahr durchgeführt werden.

Im Laufe dieser dynamischen Ent-wicklung und der klinisch-diagnosti-schen Erfolge wird allen klar, dassfrüher oder später ein Nobelpreis fürdie Kernspin-Tomographie vergebenwerden wird. Die Namen sind be-kannt, aber statt einem respektvollenMiteinander geht Damadian bei vie-len Gelegenheiten auf Konfrontation.Er ist nicht bereit, die Leistungen vonLauterbur und anderen anzuerken-nen. Als er 1981 als Gasteditor in ei-ner Buchreihe einen Band über„NMR in der Medizin“ betreut, kom-men nur seine Anhänger zu Wort.Folgsam ist bei fast allen Autoren die-ses Bandes die erste zitierte Literatur-stelle „R. Damadian, Science 1971,171, 1151“. Er selbst schreibt den ers-ten Artikel, der mit den folgendenSätzen beginnt [30]:

„Die medizinische Diagnose miteinem NMR-Scanner ist eine Schöp-fung von Damadian.Andere folgten.Das enorme medizinische Potentialspiegelt sich in der schnellen Ent-wicklung von der ersten Konzeptiondurch Damadian im Jahr 1969 biszur praktischen Realisierung des ers-ten Ganzkörper-Scanners in unse-rem Laboratorium im Jahre 1977wider. Seit der Aufnahme des erstenScans eines Menschen durch unskonnten auch andere Arbeitsgrup-pen Bilder vom Menschen erzeugen.Im größeren Zusammenhang be-trachtet, wird diese Entdeckung zueiner grundlegenden Veränderungder medizinischen Philosophieführen, deren volle Auswirkung aufdie Medizin und Gesellschaft sich

Abb. 3 Das erste Ganzkörper-Kernspin-Tomogramm einesMenschen wurde am 3. Juli 1977 von R. Damadian aufgenom-men und zeigt einen Querschnitt durch den Brustkorb seinesMitarbeiters Lawrence Minkoff; oben: das publizierte mit einem Computer bearbeitete Bild, unten: die Originaldatenaus Damadians Labortagebuch.

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erst nach fünfzig oder mehr Jahrenzeigen wird. [31].

Die Pioniere der Kernspin-Tomo-graphie wurden vielfach geehrt. Da-madian bekam 2001 den Lemelson-MIT Lifetime Achievement Award in2001, die National Medal of Techno-logy ging 1988 gemeinsam an Dama-dian und Lauterbur, wobei Damadianbei der Ehrung die Hand von Lauter-bur ausschlug. Damadian wurde 1989in die Inventors Hall of Fame aufge-nommen und das National Museumof American History in WashingtonD.C. stellte eines seiner ersten Ganz-körpersysteme aus. Mansfield wurdeFellow of the Royal Society und dieQueen verlieh im den Titel Sir. Lauter-bur bekam 1985 den gut dotiertenund ehrenvollen Kettering Prize derKrebs-Stiftung von General Motors.Damadian schäumte: „Er hatte nieauch nur das geringste mit Krebszu tun gehabt und er hat den Preisder Krebs-Gesellschaft bekommen.Ich war wütend. Manchmal fragenmich Leute, ob ich ein schlechterVerlierer sei? Ich sage dann, so istes; ich bin ein sehr, sehr, sehr, sehrschlechter Verlierer.“ [32].Aber was sind all diese Ehrungen ver-glichen mit dem Nobelpreis? Diemeisten Fachleute sprechen Damadi-an keineswegs seine wissenschaftli-chen Beiträge ab. Er hat tatsächlichauf das diagnostische Potential derNMR-Spektroskopie als erster hinge-wiesen. Er hatte als Erster die Vision,einen Menschen in einen Magnetenzu stecken und zu vermessen. Derenglische Radiologe Ian Young siehtdarin aber noch keine wissenschaftli-che Leistung, denn „man muss zei-gen, wie eine solche Maschine aus-zusehen hat, um behaupten zu kön-nen, man hätte sie erfunden“ [32].Dieser Meinung dürften sich vieleNaturwissenschaftler anschließen,aber einige Mediziner sehen das an-ders. „Wenn Du erst einmal die Ideehast, dass wir einen T1- und T2-To-mographen brauchen, dann ist dasmedizinischer Fortschritt“, sagt derRadiologe David Stark aus New York,„um den Rest kümmern sich danndie Ingenieure.“ [32].Trotz aller Kri-

tik an Damadians Benehmen mussanerkannt werden, dass er mit seinenBeiträgen Kollegen wie Lauterbur dazu brachte, näher über die Anwen-dung der NMR-Spektroskopie in der Medizin nachzudenken. Seine eigenen Entwicklungen, obwohl originell, erwiesen sich dabei alsnicht tragfähig; die eigentlichenDurchbrüche schafften Lauterburund Mansfield [33].

Beide wurden daher für ihre Bei-träge völlig zu recht mit dem Nobel-preis 2003 geehrt.Warum Damadiannicht dabei war, erfahren wir erst in50 Jahren, wenn die Nobelstiftungdie Akten zugänglich machen wird.Bis dahin können wir nur spekulie-ren. Einmal wäre es denkbar, dass Da-madian von niemanden als Kandidatvorgeschlagen wurde. Dies erscheintunwahrscheinlich, denn der Nobel-

preis für die Kernspin-Tomographiewar so lange überfällig, dass davonausgegangen werden muss, dass dieQuerelen zwischen Damadian unddem Rest der Welt die eigentliche Ursache für das jahrelange Zögerndes Nobel-Komitees waren. Durchseine verbalen Attacken, die völligüberzogen, ungerechtfertigt und un-nötig waren, durch sein ständiges Zurechtweisen von Kollegen, durchsein provozierendes Auftreten bei Tagungen hat er es sich in der sciencecommunity letztlich mit allen ver-dorben, bis er nicht mehr als derenTeil angesehen wurde. Zum Nobel-preis gehört neben einem außeror-dentlichen Beitrag zum Fortschrittder Wissenschaften sehr viel Glück,aber man muss, um erfolgreich zusein – wie James Watson es einmalausdrückte – seine Kollegen nicht ge-rade lieben, aber man muss mit ihnenauskommen.

DankDer Autor dankt R. Damadian und P. C.Lauterbur für die großzügige Überlassungvon Originalmaterial und vielen wertvollenKommentaren. Dr. J. Heinzerling und Dr.Schnackenburg von der Fa. Philips Ham-burg danke ich für die Aufnahme des Kern-spin-Tomogramms. Dem Deutschen Herz-zentrum Berlin danke ich für die großzügi-ge Unterstützung und die Bereitstellungvon Messzeit an ihrem Kernspin-Tomogra-phen.

Literatur[1] „There’s a band of buccaneers in Stock-

holm that has been victimizing people fora century with their crimes“ loc.cit.Chem.&Engin. News 11999933,, Nov. 3, 39.

[2] M. Sohlman, Spektrum WissenschaftDDeezz.. 11999977, 124; O. Krätz, Chem. unsererZeit 22000011, 35, 230.

[3] Das Karolinska Institut wählt die Preis-träger in Physiologie und Medizin, dieSchwedische Akademie der Wissenschaf-ten diejenigen für Chemie, Physik undÖkonomie aus, wobei der letztere alsStiftung einer großen schwedischen Bankerst seit 1969 vergeben wird. DerFriedensnobelpreisträger wird vomnorwegischen Parlament ausgewählt.

[4] Vorschlagsberechtigt sind die Mitgliederder Schwedischen Akademie der Wissen-schaften (Literatur), die Mitglieder derKöniglich-Schwedischen Akademie derWissenschaften (Chemie, Physik undÖkonomie), alle bisherigen Nobel-preisträger, die Lehrstuhlinhaber der

Abb. 4 Die Bildqualität von kommer-ziellen Kernspin-Tomographen hat sichin den letzten 20 Jahren dramatischverbessert: Mediosagittales Kernspin-Tomogramm durch den Kopf des Autors,oben: 1983 mit einem Gerät der Fa.Technicare (Magnetfeldstärke = 0.2 T,Messzeit 40 min), unten: 2004 mit ei-nem Gerät der Fa. Philips (Magnetfeld-stärke = 3.0 T, Messzeit 1,5 min).

Der US-amerika-nische ChemikerPaul Lauterbur

Der englischePhysiker PeterMansfield

Der übergangeneUS-amerikani-sche MedizinerRaymond Damadian

Die beiden Preis-träger und derÜbergangene desNobelpreises für Physiologieund Medizin 2003:

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bereits um 1900 existierenden skandina-vischen Universitäten, die Professorenvon mindestens sechs ausgewähltenUniversitäten oder vergleichbarenInstitutionen und weitere vom Nobel-komitee benannte Persönlichkeiten.

[5] Über die NMR-Bildgebung in der Medizin: K. Roth und A. M. Gronenborn, Chem.unserer Zeit 11998822, 16, 35; K. Roth, NMR-Tomographie und -Spektroskopie in derMedizin, 11998844, Springer Verlag, Berlin; U. Katscher, Spektrum Wissenschaft22000033, Heft 12, 16; C. G. Fry, J. Chem.Educ. 22000044, 81, 922; J. Heinzerling,Mensch & Technik, 22000044, 10 (1), 8.Über die NMR-Bildgebung in der Material-forschung: A. Guthausen, G. Zimmer, S. Laukemper-Ostendorf, P. Blümler undB. Blümich, Chem. unserer Zeit 11999988, 32, 73.

[6] loc. cit. Chem. & Eng. News 22000033, Nov. 3, 39.

[7] loc. cit. Science 22000033, 302, 2065.[8] I. Hagittai, The Road to Stockholm, 22000022,

Oxford University Press, Oxford. [9] R. M. Friedman, The Politics of

Excellence, 22000011, A. Freeman Book, NewYork; B. Feldman, The Nobel Prize, 22000000,Arcade Publishing, New York.

[10] Die Namensgebung ist verwirrend. Aus-gangspunkt war die Nuclear MagneticResonance(NMR)-Spectroscopy, diefrüher auf deutsch als Kernresonanz-Spektroskopie, heute als NMR-Spektros-kopie bezeichnet wurde. Lauterburtaufte sein bildgebendes Verfahren NMR-Zeugmatographie (zeugma gr. = Ge-spann), um die Verknüpfung von Ort undFrequenz auszudrücken. Die Medizinerverwendeten zunächst den AusdruckNMR-Tomographie, dann NMR-Imagingund schließlich wurde aus psychologi-schen Gründen der Begriff Nucleargestrichen, um die Ängste vieler Patien-ten vor Radioaktivität zu nehmen. Heutewird die Technik als MRI (MagneticResonance Imaging) und im deutschenals Kernspin-Tomographie bezeichnet.

[11] J. Rudolph, Chem. unserer Zeit 11996677, 1,76, 116; H. Günther, Chem. unserer Zeit11997744, 8, 84; A. M. Gronenborn und K.Roth, Chem. unserer Zeit 11998822, 16, 1; H.-O. Kalinowski, Chem. unserer Zeit11998888, 22, 162; A. Rapp und A. Marko-wetz, Chem. unserer Zeit 11999933, 27, 149;H. Friebolin und G. Schilling Chem.unserer Zeit 11999944, 28, 88; B. Wrackmey-er, Chem. unserer Zeit 11999944, 28, 309.

[12] R. Damadian, Science 11997711, 171, 1151.[13] I. D. Weisman et al, Science, 11997722, 178,

1288.[14] D. P. Hollis und L. A. Saryan und H. O.

Morris, The Johns Hopkins MedicalJournal 11997722, 131 , 441.

[15] D. P. Hollis, L. A. Saryan Cancer Research11997733, 33, 2156.

[16] P.C. Lauterbur, Ann. N. Y. Acad. Sci. 11995588,20, 841.

[17] S. Kleinfield, A Machine called Indomita-ble, 1985, Times Books, New York.

[18] US Patent 37 89 832, eingereicht 17.März 1972, erteilt 5.2.1974.

[19] D. P. Hollis, Abusing Cancer Science,11998877, The Strawberry Fields Press,Chehalis.

[20] P. C. Lauterbur, Nature 11997733, 242, 290.

[21] P. C. Lauterbur, Pure Appl. Chem. 11997744,40, 149.

[22] P. Mansfield und P. K. Grannell, J. PhysicsC: Solid State Physics 11997733, 6, L 422; A. N. Garroway, P. K. Grannell und P. Mansfield, J. Physics C: Solid StatePhysics 11997744, 7, L 457.

[23] P. Mansfield und A.A. Maudsley, Br. J.Radiol. 11997777, 50 188.

[24] F.W. Wehrli, Progr. NMR Spectr. 11999955, 28, 87.

[25] M. K. Stehling et al., Science 11999911, 254,43.

[26] R. Damadian et al. Science 11997766, 194,1430.

[27] R. Damadian et al., Physiol. Chem. Phys.11997777, 9, 97.

[28] Die Pressekonferenz, auf der das ersteGanzkörper-Tomogramm vor den Augender Reporter aufgenommen werdensollte, endete in einem Fiasko, und z.B.Zweifel äußerte die New York Times ander Seriosität Damadians. Die Details sindakribisch in Lit. [19] zusammengestellt.

[29] P. Mansfield et al., Br. J. Radiol. 11997788, 51,921.

[30] NMR in Medizin, NMR Basic Principles andProgress (ed. R. Damadian), Vol. 19,11998811, Springer Verlag Berlin.

[31] Vielleicht ahnen Sie es: Damadian istMitglied des Technischen Beratergremi-ums des Instituts für Creation Research.

[32] loc. cit. Chem. & Eng. News, 22000033, Nov.3, 39.

[33] R. R. Ernst (Nobelpreis in Chemie 1991)für die Entwicklung der mehrdimensiona-len NMR-Spektroskopie: loc. cit Nature22000033, 425, 648.

[34] J. Lehmann, Chem. unserer Zeit 11996688, 2,67; H. Grisebach, Chem. unserer Zeit11996699, 3, 87.

[35] E. Crawford, Science 11999988, 282, 1256.

[36] C. L. Chernick, Chem. unserer Zeit 11996677,1, 33; K. Seppelt und D. Lentz, Progr.Inorg. Chem. 11998822, 29, 167.

[37] P. Levy, Das periodische System, 11999911,DTV, München.

[38] M.R. Mitchell und G.D. Smith, in Magne-tic Resonance Imaging Vol. 1, C. L.Partain et al (eds), 11998888, W.B. Saunders,Philadelphia.

Autor dieser Rubrikist Prof. Klaus Rothvon der FreienUniversität Berlin.E-Mail: [email protected]