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P. Brühl • Klinik und Poliklinik für Urologie, Rheinische-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn A. Hofstetter • Klinik und Poliklinik für Urologie der Universität, Klinikum Großhadern, München Nosokomiale Harnwegsinfektionen Die Entwicklung der Aseptik und An- tiseptik Ende des 19. Jahrhunderts war die entscheidende Voraussetzung für in- vasive medizinische Diagnostik und Therapie und damit auch für die Ent- wicklung der Urologie zu einem Fach mit vielfältigen technisch-instrumentel- len Erfordernissen. Endoskopie und en- doskopische Operationstechniken, steri- les antiseptisches Gleitmittel und sterile, pyrogenfreie isoosmolare Spülmedien, erweitertes Armamentarium, biokom- patible Implantate und Nahtmateria- lien, bildgebende Diagnostik, prä-, intra- und postoperative Kontrollme- thoden, moderne Anästhesietechni- ken und Intensivüberwachung sowie Thromboseprophylaxe, Blutspende, Vo- lumen- und Elektrolytbilanzierung so- wie antibakterielle Therapie führten während der letzten 40 Jahre zu einer progressiv erweiterten Indikation inva- siver urologischer Untersuchungs- und Behandlungstechniken. Das nosoko- miale Infektionsrisiko ist dabei abhän- gig von Quantität und Methoden-Qua- lität, sowie von der Strenge der Aseptik und Antiseptik. Es ist um so höher, je komplizierter die technischen Hilfsmit- tel sind und wird durch infektionsdispo- nierende Patientenmerkmale wie Le- bensalter, Malignom, Diabetes u. a. und nicht zuletzt durch die Pathophysiologie des Harntrakts beeinflußt. Heute sind fast 25 % der Bevölke- rung Deutschlands 60 Jahre und älter. Im Jahre 2030 wird mehr als 1 / 3 über 60 Jahre alt sein. Mit zunehmender Le- benserwartung haben wir im Kranken- haus einen wachsenden Anteil älterer Patienten mit altersbedingter Infek- tionsanfälligkeit. Das medizinische Sy- stem wird mit einer Veränderung in der Zusammensetzung der Morbidität (Multimorbidität) konfrontiert. 2 / 3 aller Patienten über 70 Jahre haben 1–3 Be- gleiterkrankungen (Alterspolypathie), nur bei 6 % der Patienten muß allein die Grundkrankheit ohne Begleittherapie zusätzlicher Risikofaktoren behandelt werden. Die Entwicklung der Medizin erweitert die Möglichkeiten der Alters- chirurgie. Sie wird in den kommenden Jahren eine zunehmende Rolle spielen und steht in allen Fachrichtungen in en- ger Beziehung mit der Zunahme „expo- sitioneller Faktoren“ wie der Harndrai- nage. Harnwegsinfektionen zählen mit einem Anteil von 30–40 % zu den häu- figsten nosokomialen Infektionen und sind in bis zu 90 % durch Katheter ver- ursacht [1–5, 9, 10]. Weitere 10% sind mit urologisch-endoskopischen Eingriffen assoziiert [2, 10]. Jede transurethrale In- strumentation kann eine intrakanali- kuläre und durch Urothelverletzungen eine hämatogene oder lymphogene In- vasion von Mikroorganismen ermögli- chen. In Deutschland erhalten 12,6 % al- ler Krankenhauspatienten im Verlauf ihres Krankenhausaufenthaltes einen Blasenverweilkatheter [6]. Die tägliche Inzidenz einer neu erworbenen Bakteri- urie bei transurethral katheterisierten Patienten liegt zwischen 3 und 10 %, so daß nach 30 Tagen bei der Mehrheit der Patienten eine Bakteriurie nachzuwei- sen ist [9]. Somit ist der Dauerkatheter einer der bedeutendsten Risikofaktoren einer Urethritis mit der Möglichkeit der Entstehung einer Harnröhrenstriktur, einer Prostatitis und Epididymitis, so- wie einer Cystitis, Pyelonephritis, Bak- teriämie und Urosepsis. Letztere ist auch heute noch mit einer hohen Letalität vergesellschaftet [7]. Die Prävention no- sokomialer Harnwegsinfektionen ist da- her nicht nur von großer individueller, sondern auch sozioökonomischer Be- deutung [8]. Hygienische Sorgfalt bei Instrumentation des Harntrakts und bei Katheterdrainage der Harnblase (Ta- belle 1) haben höchsten Stellenwert. Pa- tienten mit transurethralem Verweilka- theter haben pro Kathetertag ein nahezu 5-fach höheres Infektionsrisiko als solche Patienten, bei denen frühzeitig ein su- prapubischer Blasenkatheter gelegt wird. Dieser umgeht die schutzbedürf- tige Harnröhre, vermeidet die mucopu- rulente Membran und sollte – entspre- chend dem „Deutschsprachigen Arbeits- kreis für Krankenhaushygiene“ in Über- einstimmung mit der DGU – dem transurethralen Verweilkatheter vorge- zogen werden, falls keine Kontraindika- tion besteht. Der Urologe [B] 1·99 1 Urologe [B] 1999 · 39: 1–2 Springer-Verlag 1999 Editorial Prof. Dr. P. Brühl Klinik und Poliklinik für Urologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, S.-Freud-Straße 25, D-53105 Bonn Prof. Dr. Dr. h. c. A. Hofstetter Klinik und Poliklinik für Urologie der Universität, Klinikum Großhadern, Marchioninistraße 15, D-81377 München

Nosokomiale Harnwegsinfektionen

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P. Brühl · Klinik und Poliklinik für Urologie, Rheinische-Friedrich-Wilhelms-Universität BonnA. Hofstetter · Klinik und Poliklinik für Urologie der Universität, Klinikum Groûhadern, München

NosokomialeHarnwegsinfektionen

Die Entwicklung der Aseptik und An-tiseptik Ende des 19. Jahrhunderts wardie entscheidende Voraussetzung für in-vasive medizinische Diagnostik undTherapie und damit auch für die Ent-wicklung der Urologie zu einem Fachmit vielfältigen technisch-instrumentel-len Erfordernissen. Endoskopie und en-doskopische Operationstechniken, steri-les antiseptisches Gleitmittel und sterile,pyrogenfreie isoosmolare Spülmedien,erweitertes Armamentarium, biokom-patible Implantate und Nahtmateria-lien, bildgebende Diagnostik, prä-,intra- und postoperative Kontrollme-thoden, moderne Anästhesietechni-ken und Intensivüberwachung sowieThromboseprophylaxe, Blutspende, Vo-lumen- und Elektrolytbilanzierung so-wie antibakterielle Therapie führtenwährend der letzten 40 Jahre zu einerprogressiv erweiterten Indikation inva-siver urologischer Untersuchungs- undBehandlungstechniken. Das nosoko-miale Infektionsrisiko ist dabei abhän-gig von Quantität und Methoden-Qua-lität, sowie von der Strenge der Aseptikund Antiseptik. Es ist um so höher, jekomplizierter die technischen Hilfsmit-tel sind und wird durch infektionsdispo-nierende Patientenmerkmale wie Le-bensalter, Malignom, Diabetes u. a. undnicht zuletzt durch die Pathophysiologiedes Harntrakts beeinfluût.

Heute sind fast 25 % der Bevölke-rung Deutschlands 60 Jahre und älter.Im Jahre 2030 wird mehr als 1/3 über60 Jahre alt sein. Mit zunehmender Le-benserwartung haben wir im Kranken-

haus einen wachsenden Anteil ältererPatienten mit altersbedingter Infek-tionsanfälligkeit. Das medizinische Sy-stem wird mit einer Veränderung in derZusammensetzung der Morbidität(Multimorbidität) konfrontiert. 2/3 allerPatienten über 70 Jahre haben 1±3 Be-gleiterkrankungen (Alterspolypathie),nur bei 6 % der Patienten muû allein dieGrundkrankheit ohne Begleittherapiezusätzlicher Risikofaktoren behandeltwerden. Die Entwicklung der Medizinerweitert die Möglichkeiten der Alters-chirurgie. Sie wird in den kommendenJahren eine zunehmende Rolle spielenund steht in allen Fachrichtungen in en-ger Beziehung mit der Zunahme ¹expo-sitioneller Faktorenª wie der Harndrai-nage. Harnwegsinfektionen zählen miteinem Anteil von 30±40 % zu den häu-figsten nosokomialen Infektionen undsind in bis zu 90 % durch Katheter ver-ursacht [1±5, 9, 10]. Weitere 10 % sind miturologisch-endoskopischen Eingriffenassoziiert [2, 10]. Jede transurethrale In-strumentation kann eine intrakanali-kuläre und durch Urothelverletzungeneine hämatogene oder lymphogene In-vasion von Mikroorganismen ermögli-chen. In Deutschland erhalten 12,6 % al-ler Krankenhauspatienten im Verlaufihres Krankenhausaufenthaltes einenBlasenverweilkatheter [6]. Die täglicheInzidenz einer neu erworbenen Bakteri-urie bei transurethral katheterisiertenPatienten liegt zwischen 3 und 10 %, sodaû nach 30 Tagen bei der Mehrheit derPatienten eine Bakteriurie nachzuwei-sen ist [9]. Somit ist der Dauerkatheter

einer der bedeutendsten Risikofaktoreneiner Urethritis mit der Möglichkeit derEntstehung einer Harnröhrenstriktur,einer Prostatitis und Epididymitis, so-wie einer Cystitis, Pyelonephritis, Bak-teriämie und Urosepsis. Letztere ist auchheute noch mit einer hohen Letalitätvergesellschaftet [7]. Die Prävention no-sokomialer Harnwegsinfektionen ist da-her nicht nur von groûer individueller,sondern auch sozioökonomischer Be-deutung [8]. Hygienische Sorgfalt beiInstrumentation des Harntrakts und beiKatheterdrainage der Harnblase (Ta-belle 1) haben höchsten Stellenwert. Pa-tienten mit transurethralem Verweilka-theter haben pro Kathetertag ein nahezu5-fach höheres Infektionsrisiko als solchePatienten, bei denen frühzeitig ein su-prapubischer Blasenkatheter gelegtwird. Dieser umgeht die schutzbedürf-tige Harnröhre, vermeidet die mucopu-rulente Membran und sollte ± entspre-chend dem ¹Deutschsprachigen Arbeits-kreis für Krankenhaushygieneª in Über-einstimmung mit der DGU ± demtransurethralen Verweilkatheter vorge-zogen werden, falls keine Kontraindika-tion besteht.

Der Urologe [B] 1´99 1

Urologe [B]1999 ´ 39: 1±2 � Springer-Verlag 1999 Editorial

Prof. Dr. P. BrühlKlinik und Poliklinik für Urologie,Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität,S.-Freud-Straûe 25, D-53105 Bonn

Prof. Dr. Dr. h. c. A. HofstetterKlinik und Poliklinik für Urologie der Universität,Klinikum Groûhadern, Marchioninistraûe 15,D-81377 München

Viele nosokomiale Harnwegsinfek-tionen werden nicht erfaût, weil eineklinische Symptomatik fehlt (bzw. vomIntensivtherapiepatienten nicht angege-ben werden kann), oder diagnostischeHarnkontrollen nicht durchgeführt wer-den. Bei fehlender klinischer Sympto-matik können gerade beim Verweilka-theter echte Infektionsprozesse nicht im-mer eindeutig von Kontamination undKolonisation abgegrenzt werden. Daszwingt zu strengster Indikationsstellungbei antibiotischen Maûnahmen. Der Be-griff der perioperativen antibiotischenProphylaxe wird allzu häufig mit einer

Infektionsprävention gleichgesetzt. Beiaseptischem, atraumatischem Vorgehen,Vermeidung von intraoperativen Kom-plikationen und restriktivem Gebrauchvon Fremdmaterialien kann bei endo-urologischen Operationen am primärnicht infizierten Harntrakt auf eine pe-rioperative Antibiotikaprophylaxe ver-zichtet werden.

Um die Sorgfaltspflicht des Arztesund der Assistenzberufe zu erleichtern,ist eine stetige Informations- bzw. Fort-bildungsbereitschaft erforderlich [1].Nur so kann Klinik und Praxis am Pro-zeû fortwährender und allseitiger Ent-wicklung teilhaben mit dem Ziel, be-währte Maûnahmen der hygienischenPrävention instrumentell vermittelternosokomialer Harnwegsinfektionen zukoordinieren und weiter zu institutio-nalisieren.

Literatur1. Bach D, Brühl P (1995) Nosokomiale Harn-

wegsinfektionen. Prävention und Thera-piestrategien bei Katheterisierung undHarndrainage. Jungjohann, Neckarsulm

2. Burke JP, Riley DK (1996) Nosocomial urinarytract infections. In: Mayhall CG, (ed) Hospitalepidemiology and infection control. Williamand Wilkins, Baltimore, pp 139±153

3. Centers of Disease Control (1997) Nationalnosocomial infections surveillance (NNIS)report, data summary from October1986±April 1997. Am J Infect Control25: 477±487

4. Deutsche Krankenhausgesellschaft (1990) Er-mittlung und Analyse von Krankenhausin-fektionen. Deutsche Krankenhausverlagsge-sellschaft mbH, Köln

5. Dinger E, Puhrer KH, Kühne KH (1990) Inzidenznosokomialer Infektionen in einem 750-Betten-Krankenhaus. Hyg Med 15: 442±445

6. Gastmeier P, Weist K, Schlingmann J, Schuh-macher M, Rüden H, Daschner F (1997) Noso-komiale Infektionen in Deutschland ± Er-fassung und Prävention. Harnwegsinfek-tionen in deutschen Krankenhäusern unddie Bedeutung der Harnwegskatheter.Urologe [B] 37: 360±365

7. Hofstetter A (1999) Urogenitale Infektionen.Springer, Berlin Heidelberg New York

8. Miller PJ, Farr BM, Gwaltney JM jr (1989) Eco-nomic benefits of an effective infectioncontrol program, case study and proposal.Rev Infect Dis 11: 284±288

9. Silberg SL, Torres CG, Owen WL, Parker DE, NeasBR (1993) Epidemiologic patterns of noso-comial infections in 10 Oklahoma hospi-tals. J Nat Med Assoc 85: 851±856

10. Warren JW (1997) Urinary tract infections.In: Wenzel RP (ed) Prevention and control ofnosocomial infections. Williams and Wilkins,Baltimore, pp 821±840

2 Der Urologe [B] 1´99

Editorial

Tabelle 1Wichtige Empfehlungen zur Einschränkung kathetervermittelternosokomialer Harnwegsinfektionen

w Katheterisierung nur bei klarer Indikationw Katheter frühestmöglich entfernenw Verwendung eines Kathetersets mit allen erforderlichen Arbeitsmaterialienw Anpassung der Kathetergröûe an die Harnröhrenweitew Verwendung eines hygienisch anerkannten geschlossenen Harnableitungssystemsw Verwendung suprapubischer Blasenkatheter bei längerfristiger Drainagew Strikte Beachtung der Antiseptik bei allen Manipulationen mit Blasenkatheternw Diskonnektion des Ableitungssystems vermeidenw Für ungehinderten Harnabfluû sorgenw Regelmäûige perineale Hygienew Katheterobstruktionsprophylaxe durch Diuresesteigerung (Harnmenge ® 1,5±2l/

24 Stunden), spezifisches Gewicht K 1015, ggf. Harnansäuerung auf pH 5,8±6,2w Kontaminationsfreie Entleerung über Ablaûstutzen, anschlieûend Desinfektion,

Nachtropfen vermeiden, Rückstecklasche benutzenw Keine antibiotische Prophylaxe wegen Einlage eines Blasenkatheters oder bei

liegendem Katheterw Surveillance (Sammlung, Analyse, Interpretation) katheter-assoziierter Infektionen