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Nr. 79 Dezember 2012 Foto: Franz Segbers Inhalt Nachrichten 3 Ein Semester Studium bei der UCCP 15 Rahmenabkommen für den Frieden 5 Fröhlich Altern: Bericht von der ÖPK 2012 16 Grundzüge philippinischer Theologie 8 Zunehmender Widerstand gegen Bergbau 17 Unabhängige philippinische Kirche 11 Drei Jahre nach dem Massaker in Mindanao 18 Gemeinsam für das Leben: CWME Meeting in Manila 12 Letzte Seite 24 ISSN 1860-7152

Nr. 79 Dezember 2012 - Fisch und Vogel · Nr. 79 Dezember 2012 Foto: Franz Segbers Inhalt Nachrichten 3 Ein Semester Studium bei der UCCP 15 Rahmenabkommen für den Frieden 5 Fröhlich

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Page 1: Nr. 79 Dezember 2012 - Fisch und Vogel · Nr. 79 Dezember 2012 Foto: Franz Segbers Inhalt Nachrichten 3 Ein Semester Studium bei der UCCP 15 Rahmenabkommen für den Frieden 5 Fröhlich

Nr. 79 Dezember 2012

Foto: Franz Segbers

Inhalt

Nachrichten 3 Ein Semester Studium bei der UCCP 15

Rahmenabkommen für den Frieden 5 Fröhlich Altern: Bericht von der ÖPK 2012 16

Grundzüge philippinischer Theologie 8 Zunehmender Widerstand gegen Bergbau 17

Unabhängige philippinische Kirche 11 Drei Jahre nach dem Massaker in Mindanao 18

Gemeinsam für das Leben: CWME Meeting in Manila

12 Letzte Seite 24

ISSN 1860-7152

Page 2: Nr. 79 Dezember 2012 - Fisch und Vogel · Nr. 79 Dezember 2012 Foto: Franz Segbers Inhalt Nachrichten 3 Ein Semester Studium bei der UCCP 15 Rahmenabkommen für den Frieden 5 Fröhlich

Vorwort 2

Liebe Leserinnen und Leser,

zu Weihnachten feiern wir die Geburt Jesu. Gott wird Mensch und lebt auf der Erde. Die-ses Geheimnis versuchen wir Jahr für Jahr zu begreifen.

Fisch und Vogel widmet sich zu dieser Zeit unterschiedlichen Kirchen und Theologien auf den Philippinen. Viele philippinische Kirchen sind lebendige Gemeinschaften, die ihren Glauben gemeinsam leben und sich um die sie umgebende Nachbarschaft kümmern. Denn christliche Gemeinden, egal welcher Konfession, sind nicht nur für sich selbst da, sondern sollen ausstrahlen und das Gute weitergeben. Darin sind sie deutschen Ge-meinden, die Partnerschaften mit Kirchen-kreisen oder Bistümern auf den Philippinen pflegen, oft ein Vorbild. Von dieser Hingabe und Liebe wollen sie lernen.

Schon im Neuen Testament wurde das Bild einer weltumspannenden Glaubensgemein-schaft entworfen. In dieser ökumenischen Gemeinschaft brauchen wir einander. Men-schen an verschiedenen Orten und in ver-schiedenen Kontexten erfahren Gott auf un-terschiedliche Weise. Das bereichert. Gemein-sam verstehen wir mehr von Gottes Wesen und Gottes Handeln. Wir beten zusammen, lachen und weinen miteinander (Römer 12,15) und ermahnen uns gegenseitig. Ge-meinsam wird möglich, was alleine schwer fällt. In Zeiten von um sich greifender Hoff-nungslosigkeit in deutschen Kirchengemein-den angesichts finanzieller und struktureller Probleme lohnt sich die Besinnung auf die globale christliche Gemeinschaft, die Öku-mene.

Jenseits von Kitsch und Kerzen wünschen wir Momente der Begegnung mit Gott und be-sinnlichen Ruhe, kurz: eine gesegnete Ad-vents- und Weihnachtszeit. Hoffentlich hat der eine oder die andere endlich wieder ein-mal Muße für die Lektüre von Fisch und Vogel bei Tee und Kaminfeuer.

Die Redaktion von Fisch und Vogel

Erklärung zum Titelbild: Das Bild hängt in der Kathe-drale der IFI in Manila (s. S. 11, „Geboren aus dem Kampf um Würde und Freiheit“). Es zeigt Maria als Beschützerin der Philippinen. Vor ihr steht Jesus als Junge in der Kleidung der Befreiungsbewegung der Katipunan. Er hält ein Messer in der einen und eine Siegesfahne in der anderen Hand. Zu seinen Füßen wächst inmitten der Zerstörung des Entkolonialisie-rungskrieges eine Blume.

Die Schrift auf der Flagge des Revolutionärs Jesus bedeutet „Oh Vater, lass die Sonne unserer Unabhän-gigkeit aufgehen und hell erstrahlen!“ Es ist ein Gebet für die Befreiung.

Der Name "Fisch & Vogel" bezieht sich auf zwei Symbole:Fisch (griechisch: Ichthys) steht für Jesus Christus, Sohn Gottes, Retter und Vogel (phil-ippinisch: Ibong Malaya) für den Widerstand gegen die Marcos-Diktatur

Impressum:

Herausgeber: Arbeitskreis Ökumenische Philippinen Konferenzc/o Dorothea Seeliger, Jahnstr. 82, 56179 Vallendar

Redaktionsteam:Carolin Blöcher, Zacharias Steinmetz, Martina Seltmann

Nachrichtenredaktion: Gabriele Hafner und Philippinenbüro im Asienhaus

Ständige Mitarbeit: Dr. Rainer Werning, Dieter Zabel

Wir freuen uns über Ihren Unkostenbeitrag, der das Er-scheinen von Fisch & Vogel garantieren hilft:Kontoinhaber: Bischöfliches Ordinariat LimburgKonto 3700010BLZ 51140029 (Commerzbank Limburg)IBAN: DE08511400290379027600BIC: COBADEFFXXXVerwendungszweck: Fisch & Vogel 2012 Kostenstelle: 2140 1016 20 (bitte immer angeben)

Die nächste Ausgabe von Fisch & Vogel, Nr. 80, erscheint im Frühling 2013

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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3 Nachrichten

Nach 40 Jahren in Sicht: Frieden und Selbstbe-stimmung für Bangsamoro

Die philippinische Regierung und die Moro Islamic Libera-tion Front (MILF) haben Mitte Oktober in Manila ein Rah-menabkommen für eine Friedenslösung (FAB) unter-zeichnet. Trotz dem vorläufigen Charakter kann dieses Abkommen als Meilenstein gelten. Dem Abkommen gin-gen Verhandlungen über einen Zeitraum von 15 Jahren voraus. Der bewaffnete Konflikt in Mindanao dauerte 40 Jahre und kostete rund 150.000 philippinischen Bürger_innen das Leben. Konkret vereinbart wurde die Schaffung einer neuen autonomen politischen Einheit mit dem Namen Bangsamoro, die die Autonome muslimi-sche Zone (ARMM) ersetzen soll. Die MILF gibt ihren An-spruch auf einen eigenen muslimischen Staat auf und wird ihre 12.000 Mann starke Truppe ausmustern. Einen genauen Zeitplan gibt es noch nicht. Das endgültige Ab-kommen ist für 2012 ins Auge gefasst, wenn Präsident Aquinos Amtszeit endet. Anders als in der Vorbereitung des Memorandums eines Abkommens über das Land der Ahnen (Memorandum of Agreement - Ancestral Domain) 2008 seien Vertreter der Betroffenen an dem Prozess beteiligt worden, betonte ein Sprecher von Bürgermeistern aus Nord Cotabato. Diese Konsultationen müssten aber noch fortgesetzt werden. Beobachter sehen noch viele Unsi-cherheiten, wie die Reaktion traditioneller Autoritäten auf Mindanao und anderer bewaffneter Gruppen. Unge-nutzte Landflächen und andere Ressourcen könnten Bangsamoro zum nächsten Ziel landhungriger Konzerne machen, so wird befürchtet. Beim Obersten Gerichtshof der Philippinen ist bereits eine erste Petition eingegan-gen, das Abkommen für verfassungswidrig zu erklären.vgl. PDI 15.10. u. 03.12.2012, Rappler 15. bis 18.10.2012, Mindanews 16.10.2012

Familienähnlichkeiten und andere Verwandt-schaften

Die Zulassung der Parteilisten für die Nachwahlen zum philippinischen Kongress im Mai 2013 brachte viele Dis-kussionen über das Parteienspektrum und die Herkunft der Kandidat_innen. Nun wurden 79 Gruppierungen von der Wahlkommission zugelassen. Bittere Worte gibt es zwischen zwei Rivalen im Spektrum der linken Par-teigruppierungen: Anakbayan und Akbayan. Letztere ha-ben inzwischen prominente Mitglieder in Schlüsselposi-tionen wie Loretta Ann Rosales, als Vorsitzende der Men-schenrechtskommission, Joel Rocamora, den Vorsitzen-den der Anti-Armutskommission oder Ronald Llamas, den Berater des Präsidenten für politische Fragen. Die stärker links orientierte Anakbayan fordert, Akbayan solle von der Wahlkommission nicht mehr als eigenständige Liste registriert werden, da sie zu regierungsnah gewor-den sei. Außerdem wurde bekannt, dass die Parlaments-sitze der Akbayan-Vertreter mit Hilfe von Wahlspenden weniger Personen gewonnen werden konnten, die aus dem Umfeld Aquinos stammen.

Akbayan sei so etwas wie eine „gelbe Partei“, analog zu

den von Arbeitgebern gekauften „gelben Gewerkschaf-ten“, schreibt der bekannte Politiker Roberto Tiglao. Die Liberal Party des Präsidenten und die vom Vizepräsiden-ten Jejomar Binay angeführte United Nationalist Alliance unterschieden sich in ihren Zielen nicht substantiell, so Tiglao weiter. Schmerzhaft fehle jetzt auch ein Gesetz ge-gen politische Dynastienbildung, obwohl dies in der phil-ippinischen Verfassung von 1987 abgelehnt wurde. Eine Studie zeigt, dass zwei von drei Parlamentsabgeordneten zu einer politischen Dynastie gehören. Die Wahlkommis-sion hat nun 13 Parteilisten zugelassen, deren Kandidat_innen zur selben Familie gehören.vgl. PDI 01.10.2012, PS 06.10.2012, Rappler 16.10.2012

Großreinemachen bei Privatarmeen

Die philippinische Polizei hat geschworen, gegen Privat-armeen vorzugehen und zwar noch vor den Wahlen im nächsten Mai. Es werde bei dieser Aktion keine heiligen Kühe geben, versicherte ein Sprecher. Auch Zahlen wur-den geliefert: So gebe es 85 bewaffnete Gruppen, die von Politikern unterhalten würden. Bei vorherigen vergleich-baren Aktionen konnten sich die Politiker meist nicht darauf einigen, gegen welche Privatarmeen genau vorge-gangen werden soll. Die meisten bewaffneten Banden von Politikern gibt es mit 20 auf Mindanao, auf Basilan fünf, der Insel Sulu sieben und auf Masbate sechs. Im Norden ist der Schwerpunkt die Provinz Abra mit fünf, in den Provinzen Cagayan, Pampanga und Cavite wurden je drei gezählt. Über die Hälfte der Gruppierungen wird von Bürgermeistern finanziert, jeweils sechs von Abgeordne-ten und von Gouverneuren.vgl. Rappler 24.11.2012

Hohe Arbeitslosigkeit trotz Wachstum

Vor dem Hintergrund einer hohen Arbeitslosenrate und der Armutszahlen erscheinen die amtlichen Zahlen zum Wirtschaftswachstum unglaubwürdig, betonten Vertre-ter von Bayan Muna und einer Lehrervereinigung. 7,1 Pro-zent sollen es im dritten Quartal diesen Jahres gewesen sein. Zumindest habe das Wachstum sich nicht auf die Si-tuation der Arbeitslosen und Amen ausgewirkt. Das un-abhängige Sozialforschungsinstitut Ibon stützte diese Be-obachtung und betonte, die Arbeitslosenrate auf den Philippinen sei die höchste in Südostasien.vgl. MB 29.11.2012

Zweiter Filipino heilig gesprochen

Ein junger Missionar, der vor rund 340 Jahren getötet wurde, ist der zweite Filipino, der heiliggesprochen wur-de. Landesweit feierten die philippinischen Katholiken die Kanonisation von Pedro Calungsod mit Dankesmes-sen. Pedro Calungsod ist nun der Patron der Jugend, er war erst 17 Jahre alt als er 1672 in Guam bei dem Versuch getötet wurde, die indigene Bevölkerung zu bekehren. Für eine Heiligsprechung ist nach den Regeln der katholi-schen Kirche ein anerkanntes Wunder nötig. Im Fall von

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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Nachrichten 4

Calungsod war es die Genesung einer 49-jährigen Frau, die man nach einer Herzattacke bereits für tot hielt. Ein Arzt hatte zu Calungsod gebetet. Der neue Heilige hat auf Cebu bereits eine große Anhängerschaft. Der zweite Hei-lige von den Philippinen ist Lorenzo Ruiz, ein Missionar der im Jahr 1637 in Japan ums Leben kam.vgl. Rappler 21.10.2012, philstar 30.11.2012

Manila hat wieder einen Kardinal

Ende November ist der Erzbischof von Manila in Rom zum Kardinal erhoben worden. Bei seiner Rückkehr nach Manila versprach Luis Antonio Tagle, er werde genau auf die Bedürfnisse der Gläubigen hören und wolle die Fami-lienwerte bei den Katholiken des Landes hochhalten. Er berichtete, die anderen Kardinäle und Offiziellen im Vati-kan hätten wiederholt von der großen Kirche der Philip-pinen gesprochen und auch der Papst habe betont, die Philippinen seien ein sehr katholisches Land. Er sei sehr beeindruckt gewesen von der Größe der philippinischen Gemeinde in Rom. Statt des erwarteten Häufleins sei die Basilika St. Paul voll von Landsleuten gewesen. Tagle ist der einzige der drei philippinischen Kardinäle, der den nächsten Papst mitwählen darf. Die andern beiden sind bereits zu alt. Sogar über eine mögliche Wahl auf den Stuhl Petri haben Anhänger von Kardinal Tagle bereits spekuliert. Der neue Kardinal erteilte allen Hoffnungen auf einen Besuch des Papstes auf den Philippinen eine Absage, eine solche Reise sei für Benedikt XVI definitiv zu anstrengend.vgl. PDI 30.11.2012, CBCP News 29.11.2012

Erdrutsche nach Taifun: Abholzung stoppen

Das Ausmaß der Verwüstungen durch Taifun Pablo be-weise, dass das totale Abholzungsverbot der Regierung Aquino nicht flächendeckend durchgesetzt würde, folgerte Franziskanerpater Pedro Montallana. Nach dem Sturm hätten Erdrutsche und Springfluten im Compostela Valley Felder und Siedlungen zerstört. Exakt die gleichen Auswirkungen kenne er aus der Provinz Aurora, wo der Pater früher lebte. Wenn der Präsident die Einhaltung des Abholzungsverbots und andere Umweltmaßnahmen durchsetzten wolle, müsse der die Führungsriege im Umweltministerium austauschen und korrupte Beamten aussortieren, forderte Montallana, Vorsitzender des Save Sierra Madre Netzwerks.

vgl. CBCP News 10.12.2012, Mindanews 10.12.2012

Emissionen reduzieren mit saubereren Jeepneys

In Manila sollen nach den Plänen der Kommission zum Klimawandel rund eine halbe Million Jeepneys mit einer emissionsmindernden Technologie ausgestattet werden. Die Abgase von Jeepneys, Bussen und LKWs mit Diesel-motor sind verantwortlich für 70 Prozent der Rußemis-sionen in den Städten, sagte Kommissionsmitglied He-herson Alvarez, der die philippinische Delegation beim Klimagipfel in Doha leitet. Für das Programm sollen 26

Milliarden Pesos ausgegeben werden. Nach Berechnun-gen entstünden durch die Emissionen aufgrund von Er-krankungen jährlich Folgekosten von 1,5 Milliarden Pe-sos.vgl. PDI 01.12.2012

Boracay Project Gets R1-M Fund

Um das Überleben der Korallenbestände vor der Insel Bo-racay zu unterstützen wurden 5.000 künstliche Korallen-knospen ausgesetzt, die mit lebendigen Korallenfrag-menten besetzt wurden. Eine Firma, die auch Unterwas-serkabel verlegt wird das Projekt mit einer Million Peso unterstützen und auch Taucher und andere Helfer ein-setzen.vgl. MB 30.11.2012

San Miguel zahlt endlich an Kokosfonds

Anfang Oktober zahlte der San Miguel Konzern nach jahr-zehntelangen Auseinandersetzungen 57,6 Milliarden Pe-sos in den beschlagnahmten und heute von der Regie-rung verwalteten Kokosnussfonds ein. Drei Millionen Bauern sollen von dem Fonds profitieren. Die Gelder sol-len für Forschung und Einkommen schaffende Projekte für die Bauern verwendet werden. Unter anderem sollen die Bauern fit gemacht werden für die Konkurrenz der Palmölindustrie. Das Geld von San Miguel war von der Re-gierung eingeklagt worden, weil große Aktienpakete mit Geldern aus dem Coco-Levy Fonds gekauft wurden. Daher, so die Regierung und die Bauernlobby, hätten die Farmer ein Anrecht auf Gewinne aus diesen Aktien. Ein Sprecher der Anti-Korruptions-Kommission betonte jedoch, die unendliche Geschichte des Kokosnussfonds sei erst zu Ende, wenn auch die Aktien selbst in das Eigentum der rechtmäßigen Besitzer, nämlich der Kokosfarmer über-geführt würden.vgl. Rappler 05.10.2012, PDI 09.10.2012

Taifun Pablo bringt Sturm und Sintflut

Der Supertaifun Pablo (int. Bopha) hat in den zwei am stärksten betroffenen Provinzen in Mindanao allein 600 Tote gefordert. Behörden fürchten, dass es insgesamt mehr als 1.000 Todesopfer geben wird. Noch Tage nach dem Sturm wurden Tote geborgen. Eigentlich liegt die Südinsel Mindanao außerhalb des Taifungürtels. Man-gelnde Schutzmaßnahmen und fehlende Routine im Um-gang mit Taifunen haben vermutlich zur hohen Zahl der Opfer beigetragen. Die meist einfachen Hütten und Holz-häuser boten vielen Bewohnern keinerlei Schutz. Viele Überlebenden haben keine Behausungen und Nahrungs-mittel mehr. Hilfsgüter kommen nur schleppend an. Tai-funerfahrene Augenzeugen berichteten, sie hätten noch nie so starken Wind erlebt. Auch der Regen sei außeror-dentlich heftig gewesen und habe vieles einfach wegge-schwemmt. Zudem seien Steine und große Felsbrocken in Bewegung geraten.vgl. PDI 09.12.2012, Mindanews 09.12.2012

Fortsetzung der Nachrichten auf Seite 10

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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5 Friedensprozess

Verfrühte Freude

Ein erneutes Rahmenabkommen soll im Süden der Philippinen endgültig einen dauerhaften Frieden be-gründen. Doch Erfahrungen aus der Geschichte stimmen eher skeptisch.

Von Rainer Werning

Am ersten Oktoberwochenende herrschte in der philip-pinischen Metropole Manila wieder einmal medial in-szenierte Euphorie. Präsident Benigno S. Aquino III. verkündete in einer landesweit ausgestrahlten Fern-sehansprache, ein Schulterschluss mit der jahrelang für Unabhängigkeit kämpfenden Moro Islamischen Be-freiungsfront (MILF) im Süden des Landes sei zum Grei-fen nahe. „Das soeben ausgehandelte Abkommen* eb-net den Weg für einen endgültigen und dauerhaften Frieden in Mindanao“, verkündete ein sichtlich gut ge-launter Präsident. Und er fügte hinzu: „Die MILF strebt nicht länger einen unabhängigen Staat an. Das heißt, die Hände, die einst Gewehre hielten, werden nun bald Land bestellen, Erzeugnisse verkaufen, an Werkbänken in Fabriken arbeiten und zahlreichen Bürgern neue Le-bensperspektiven eröffnen.“ Beide Parteien unter-zeichneten schließlich in einem Festakt in Manilas Prä-sidentenpalast Malacañang am 15. Oktober in Anwe-senheit des malaysischen Premierministers Najib Razak das Dokument. Malaysias Regierung hatte sich in den vergangenen Jahren als Mittler in dem Konflikt ange-boten, in dessen Hauptstadt Kuala Lumpur sich die Chefunterhändler beider Parteien in 32 Gesprächsrun-den getroffen hatten.

Eckpunkte der Vereinbarung

Die Einigung sieht eine autonome Region namens Bang-samoro vor sowie ein 15-köpfiges Übergangskomitee, das Details ausarbeiten und die Vereinbarung mit Le-ben füllen soll. Die Entscheidungsgewalt über Sicher-heits- und Außenpolitik, Währungspolitik und Fragen der Staatsbürgerschaft bleibt eine Domäne der Zentral-regierung. Die Gründung von Bangsamoro, die spätes-tens bis 2016 erfolgen soll, hängt zudem von der Zu-stimmung des Parlaments und einem Plebiszit ab. Bangsamoro soll fünf überwiegend muslimische Provin-zen, die bisher die Autonome Region in Muslim Mindanao (ARMM) ausmachten, sowie weitere Gemeinden, Dörfer und Städte in den Provinzen Lanao del Norte, Nordco-tabato und Basilan umfassen. Andere Provinzen, Städte und Gemeinden können sich per Volksentscheid Bang-samoro anschließen. Die MILF-Führung unter Al Haj Murad Ebrahim hat gegenüber der Regierung signali-siert, dass die nach unterschiedlichen Schätzungen

zwischen 12.500 und 17.000 Kombattanten umfassen-den Streitkräfte der Bangsamoro Islamischen Streitkräf-te (BIAF) bis zur Gründung von Bangsamoro ihre Waffen abgeben werden und die Organisation sich als politi-sche Partei zu konstituieren gedenke. Das genaue Pro-zedere müsse noch festgelegt werden.

Erste Reaktionen

„Dieses Rahmenabkommen bereitet den Weg für einen endgültigen, dauerhaften Frieden in Mindanao“, sagte Präsident Aquino. Die MILF strebe nicht mehr länger die Unabhängigkeit Mindanaos und der weiter südlich gelegenen Sulu-Region an. Ghazali Jaafar, stellvertre-tender MILF-Vorsitzender und verantwortlich für poli-tische Angelegenheiten, begrüßte die Einigung mit den Worten: „Wir haben darauf viele lange Jahre gewartet.“ Das Friedensabkommen ermögliche die Lösung des Konflikts. Präsident Aquino betonte, Bangsamoro wer-de die philippinische Verfassung anerkennen, sodass die Philippinen „eine Nation und ein Volk“ blieben. Zu-gleich sicherte er den Filipin@s von Bangsamoro einen angemessenen und gerechten Anteil an Steuereinnah-men und den „Früchten des nationalen Vermögens“ zu.

Eine Internationale Kontaktgruppe (ICG), der unter ande-ren das in Genf ansässige Zentrum für den humanitären Dialog angehört, hat den Friedensprozess bislang eben-so begleitet wie ein Internationales Monitoring-Team (IMT). Dem IMT ihrerseits gehören Vertreter der Regie-rungen Malaysias, Bruneis, Japans, Norwegens, der Eu-ropäischen Union sowie Indonesiens an. Außerdem be-grüßten bislang die Regierungen der USA, der Schweiz, Japans, Australiens, Großbritanniens, der Türkei sowie die Vereinten Nationen und die Organisation der Islami-schen Konferenz (OIC) das Rahmenabkommen.

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* Das am 6. Oktober in der malaysischen Hauptstadt ausgehandelte und insgesamt 13 Seiten umfassende Dokument trägt den Titel „Framework Agreement on the Bangsamoro“. Es handelt sich um ein Rah-menabkommen zur Regelung der Belange des Moro-Volkes beziehungsweise der Moro-Nation in den Südphilippinen.

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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Friedensprozess 6

Pulverfass und Krisenkataster

In Südostasiens ältesten Krisenregionen – Mindanao, Basilan und Jolo – erweist sich die Suche nach einem tragfähigen Frieden als mühseliger Prozess. Externer Kolonialismus und interne Kolonisierung hinterließen ein vielschichtiges Konfliktpotenzial, das zahlreiche (bewaffnete) Protagonisten mit höchst unterschiedlichen Interessen beseitigen wollten. Solange aber das Selbstbestimmungsrecht der Moros und die Belange der indigenen Völker (Lumad) nicht respektiert werden, wird Frieden auf Dauer ein Fremdwort in der Region bleiben.

Von Rainer Werning

Zwei frühere Abkommen – doch kein Frieden

Bereits im Dezember 1976 und im September 1996 herrschten Jubel und Euphorie in Manila, als deren Regierungen mit der Moro Nationalen Befreiungs-front (MNLF) einen Schulterschluss vollzogen und mit deren Führung unter Nur Misuari ein Frie-densabkommen beziehungsweise einen Endgülti-gen Friedensvertrag schlossen. Die 1969 entstan-dene MNLF hatte ursprünglich für einen unabhän-gigen Staat im Süden optiert. Doch diese Maximal-forderung führte letztlich in eine Sackgasse. Die MNLF-Führung wurde von der Regierung koop-tiert. Aus Protest dagegen hatte sich bereits 1978 offiziell die MILF gegründet, die der MNLF-Füh-rung seinerzeit vorgeworfen hatte, den „Kurs der Kapitulation“ beschritten zu haben.

Seit 1997 war es schließlich auf Vermittlung und unter der Ägide der malaysischen Regierung zu Friedensgesprächen zwischen der philippinischen Regierung und der MILF in Kuala Lumpur gekom-men, nachdem man sich zuvor über ein Waffen-stillstandsabkommen verständigt hatte. Nach langwierigen Verhandlungsrunden schien man im Sommer 2008 endlich einen Durchbruch erzielt zu haben.

Am 27. Juli war von Vertretern Manilas und der MILF das so genannte MoA-AD (s. nachstehender nebenstehender Beitrag) ausgehandelt worden. Am 5. August 2008 hätte es unterzeichnet werden sollen. Aus Manila waren eigens dort akkreditierte Botschafter in die malaysische Hauptstadt gereist, um diesen Akt in einer feierlichen Zeremonie zu würdigen.

Qua einstweiliger Verfügung vereitelte der Obers-te Gerichtshof der Philippinen die Unterzeichnung des Vertragstexts. Regionalpolitiker und Ge-schäftsleute aus den Reihen der christlichen Sied-

ler_innen hatten dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Erneut brachen Jahrzehnte alte Animo-sitäten der christlichen Siedler_innen auf und ei-nige von ihnen drohten gar, die verruchte parami-litärische Formation der Ilagas („Ratten“) wieder-zubeleben, die erstmals in den 1970er Jahren blu-tig gegen Muslime vorgegangen war. Sie riefen alle Christ_innen auf, sich für einen „christlichen Be-freiungskampf“ zu rüsten und propagierten ethni-sche Säuberungen mit dem Endziel eines „mos-lemfreien Mindanao“.

Die neu-alte Pattsituation lenkte rasch Wasser auf die Mühlen jener Kräfte, denen Verhandlungen so-wieso suspekt waren und die sich bitter enttäuscht darüber zeigten, dass keine greifbaren Ergebnisse erzielt wurden. Bereits Mitte August 2008 lieferten sich Einheiten der AFP und der BIAF zunächst Scharmützel, dann offene Gefechte. Zur Jahres-wende 2008/09 befanden sich nach Angaben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) weit über 600.000 Personen infolge andau-ernder Kampfhandlungen auf der Flucht.

Wut und tiefe Enttäuschung machten sich unter den Befürwortern des MoA-AD breit. Die zahlrei-chen um Ausgleich und Frieden bemühten NGOs auf Mindanao hatten im MoA-AD einen Silberstreif am Horizont ausgemacht, von dem auch sie mein-ten, es trüge endlich mit dazu bei, die militäri-schen Auseinandersetzungen zu entschärfen. Die MILF war empört, dass die philippinische Regie-rung im letzten Moment einen Rückzieher machte, da doch „selbst die Regierung Malaysias dem MoA-AD vollumfänglich zugestimmt“ hatte, wie ihr Chefunterhändler Mohagher Iqbal erklärte. Die da-malige Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo er-klärte derweil, „jeden Zoll philippinischen Territo-riums“ entschlossen zu verteidigen. Auf einmal agierte man in Manila gemäß der Maxime, mit be-

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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7 Friedensprozess

waffneten Gruppierungen lediglich im Kontext ih-rer „Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegra-tion“ zu verhandeln. Weitere Gespräche mit der MILF fänden nur statt, wenn man das MoA-AD grundlegend überdenken und darüber neu ver-handeln würde. Eine Position, die kritische Medi-envertreter, Menschenrechtsanwälte und NGOs als inakzeptabel zurückwiesen. Ihr Kernargument: „Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegrati-on“ bildeten den Schlussakkord eines Friedenspro-zesses, nicht aber dessen Vorbedingung. Frustrier-te MILF-Kämpfer spalteten sich unter Führung des über 60-Jährigen Ustadz Ameril Umbra Kato, ei-nem der MILF-Regionalbefehlshaber, von der Or-ganisation ab und gründeten die Bangsamoro Isla-mische Freiheitsbewegung (BIFM) mit den Bangsamo-ro Islamischen Freiheitskämpfern (BIFF) als deren be-waffnetem Arm.

„Zurück auf Los“?

Es dauerte knapp drei Jahre, bis neuer Schwung in die bilateralen Verhandlungen kam. Im August 2011 stellte das MILF-Verhandlungsteam sein Kon-zept eines sub-state vor mit der Konsequenz, dass die Organisation nunmehr öffentlich auch ihrer-seits vom Ziel der Schaffung eines eigenständigen Staates abrückte. Es ist nicht auszuschließen, dass dies innerhalb der MILF Enttäuschungen schürt und womöglich einer radikalisierten Moro-Jugend Auftrieb verleiht, alte Forderungen erneut auf die politische Agenda zu setzen.

Streitpunkt MoA-AD

1997 begannen erste Waffenstillstandsverhandlun-gen zwischen Vertretern der philippinischen Re-gierung und der MILF, die ab 2001 im Sinne bilate-raler Friedensverhandlungen aufgewertet wurden. Erst nach mühsamer Verständigung über Sicher-heitsaspekte und Fragen von Hilfs- und Rehabilita-tionsmaßnahmen kam als dritter „Korb“ das von beiden Seiten ausgehandelte Memorandum eines Abkommens über das Land der Ahnen (Memoran-

dum of Agreement - Ancestral Domain – kurz: MoA-AD) als letzte Vorstufe einer umfassenden friedensvertraglichen Regelung zustande.

Kernpunkte des MoA-AD waren: Der muslimischen Bevölkerung in Mindanao, Sulu und Palawan wird das Recht zugestanden, als Bangsamoro (Moro-Volk bzw. -Nation) ihre eigene Identität zu wahren und ihre eigenen Rechte auszuüben, indem sie eine ih-ren Vorstellungen entsprechende Selbstregierung schafft, die innerhalb ihres Gebietes die dort vor-handenen Ressourcen schützt und nutzt. Diese Selbstregierung trug den vorläufigen Namen „Bangsamoro-Rechtseinheit“ (Bangsamoro Juridical Entity – kurz: BJE) und sollte mit größerer Autono-mie und mehr Befugnissen ausgestattet sein und über ein größeres Territorium verfügen als die Au-tonome Region in Muslim Mindanao (ARMM).

Das MoA-AD enthielt in zwei zusätzlichen Anhän-gen Listen derjenigen Dörfer, die Bestandteil der BJE werden sollten. Außerdem benannte es insge-samt 151 Gemeinden, die außerhalb des avisierten BJE-Territoriums als „Besondere Interventionsge-biete“ klassifiziert waren und die zuweilen mehr-heitlich von christlichen Siedler_innen bewohnt wurden. Gemeint waren damit konfliktträchtige Gebiete, um deren Anliegen sich die Zentralregie-rung hätte kümmern sollen. Detaillierte exekutive, legislative und judikative Befugnisse der BJE sowie die Nutzung deren territorialen und maritimen Ressourcen wären erst nach Unterzeichnung des MoA-AD im Rahmen nachfolgender Verhandlun-gen festzulegen gewesen. Ein Prozess, an dessen Ende ein (ursprünglich für November 2009 vorge-sehener) rechtsverbindlicher Friedensvertrag (Comprehensive Compact) gestanden hätte.

Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler & Publizist mit dem Schwerpunkt Südost- und Ostasien, ist u.a. Lehrbeauftragter am Institut für Orient- & Asienwissen-schaften der Universität Bonn und Ho-Herausgeber des gerade in 4., aktualisierter und erweiterter Auflage er-schienenen Handbuch Philippinen – Gesellschaft, Poli-tik, Wirtschaft, Kultur (Berlin: Horlemann Verlag).

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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Theologie 8

Theologie in den Philippinen

Von Elsie Joy dela Cruz

Wie versteht sich philippinische Theologie selbst?

Nach Efren RIVERA ist „philippinische Theologie nichts anderes als christlicher Glaube, der danach sucht, Aus-druck in der philippinischen Kultur zu finden oder darum bemüht ist, die innerhalb dieser Kultur beste-henden sehr alten Elemente der Naturoffenbarung und Naturreligion aufzugreifen. Soweit nötig, sind diese Elemente allerdings von dem zu reinigen, was als Abweichung oder als Missbrauch zu bezeichnen ist. Beides kann eine Folge davon sein, was Heidentum und volkstümlicher Aberglauben von anderen Kulturen in der Vergangenheit oder in der Gegenwart übernom-men haben“ [1].

In ähnlicher Weise definiert Victor MAYNIGO philippi-nische Theologie als „eine Art Theologie, die von phi-lippinischen Christ_innen betrieben wird, um das Wort Gottes im Kontext der philippinischen Kultur und Gesellschaft zu verstehen. Sie umfasst die theologische Vorstellung der Filipin@s von Gott, und sie beschreibt das Verständnis des christlichen Glaubens von den Er-fahrungen und Denkkategorien her, die für die Filipi-n@s selber von Bedeutung sind [2]. Dabei ist die kon-textuelle Theologie in den Philippinen nach Dr. Everett MENDOZA konkret und nicht abstrakt oder akademisch. Sie beschäftigt sich eben nicht mit hypothetischen Fragestellungen, sondern mit den Fragen von Leben und Tod, mit denen sich Christ_innen heute aus-einander zu setzen haben [3].

Philippinische Theologie beschäftigt sich also mit der Suche nach einem Verständnis des Glaubens im Kon-text der Philippinen. Die Reflexion auf das Geheimnis Gottes, erleuchtet vom persönlichen Glauben und gefärbt durch das kulturelle Erbe der Filipin@s, wird von einem besonderen Verständnis der Offenbarung, von einer bestimmten Art zu denken und vom philippinischen Wortschatz beeinflusst [4].

Im fortwährenden Kampf der philippinischen Bevölke-rung für ein nationales Bewusstsein und für Gerech-tigkeit kam der Religion beim Suchen und Finden von Idealen schon immer eine entscheidende Rolle zu. Religion machte den Menschen Hoffnung. Dabei war stets die Überlegung wichtig, was das Wort Gottes in bestimmten Situationen des Lebens bedeuten könnte. Theologische Fragestellungen helfen dabei, die richt-igen Antworten auf die alltäglich drückenden Prob-leme im Land zu finden.

Dr. Dindo TESORO und Dr. Joselito JOSE betonen, wie groß

die Herausforderung ist, Theologie im Kontext der Philippinen zu betreiben: Wie können sich Filipin@s dem Geheimnis Christi, in dem der spirituelle Hunger gestillt wird, und einem tiefen, dogmatisch korrekten Glaubensverständnis nähern? Wie lassen sich Christ_innen begeistern, in eine neue philippinische Gesellschaft aufzubrechen, in der die Herrschaft schon jetzt sichtbar wird? Zweierlei kann dem Kraft verlei-hen: Eine Theologie des Handelns und der tiefen dog-matischen Verwurzelung [5].

Die Philippinen befanden und befinden sich in revolu-tionären Situationen, in denen sich immer wieder die verschiedensten Parteien formierten, zusammen schlossen und gegen andere verbündeten. Deshalb dürfen Theologie und theologische Ausbildung keine Angelegenheit derer sein, die meinen daran nicht beteiligt zu sein. Vielmehr sind sie eine Aufgabe, die direkt aus der Verpflichtung des Leidens Christi und des befreiende Evangeliums erwachsen [6].

Grundlage wahrhaftiger Theologie ist die Bibel. Theo-logie erweist sich dann als relevant, wenn sie einen gelebten Glauben mit den Erfahrungen der Menschen verbindet. Diese Theologie trägt in solidarischem Engagement Früchte. Philippinische Theologie wurzelt in der Spiritualität der frühen Filipin@s, wurde aber auch durch die koloniale Vergangenheit beeinflusst, als das Christentum auf den Inseln verbreitet wurde.

Im Folgenden möchte ich auf drei grundlegende, theologische Themen eingehen, die uns verdeutlichen können, wie Filipin@s ihren Glauben mit der Realität des Alltags verknüpfen.

1. Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde

„Gibt es wirklich einen Gott?“ fragte die Frau, die um ihren Mann weinte, der zu Tode gefoltert worden war. Wer und wo ist Gott für die Filipin@s? Wie nehmen Filipin@s Gott wahr? Inmitten von Tod, Armut, Schmerz und Leiden brauchen Menschen konkrete Antworten auf einen nicht-konkreten Gott.

Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde, handelt aktiv in seiner Schöpfung. Er ist die Quelle allen Seins im Universum. Ursprung und Sinn allen Lebens kommen von Gott. Das ist die Grundlage unseres biblischen Glaubens. Gott hat alle Schöpfung ins Leben gerufen und erhält sie mit seiner Kraft, bis sie schließlich vollendet werden wird.

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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9 Theologie

Erst die Gewissheit, dass Gott der Schöpfer ist, gibt dem menschlichen Leben einen Sinn. Das Leben in all seinen Formen geschieht nicht nur durch Zufall. Trotz Schmerz und Leid hat es einen Sinn und ein Ziel. Das Leben ist das Ergebnis von Gottes zielgerichtetem und befreienden Handeln. Wir sind nicht in einem feind-lichen, chaotischen Universum gefangen. Der ewige Gott hat einen Plan für seine Schöpfung und ein Ziel für unser Leben. Daher ist das menschliche Leben von Beginn an und unmittelbar abhängig von Gott [7].

Die Schreiber der Bibel vertrauten und gehorchten Gott. Dieser Gott, der auf ihrer Seite war, demonstrier-te sein Mitgefühl und seine Fürsorge, als er das Elend und die Unterdrückung seines Volkes sah (Exodus 3,7-10 [8]). Gott ist kein Sklavenhalter, sondern ein Gott, der sein Volk aus der Sklaverei befreite. Er ist ein Gott der Befreiung [9].

Für die Filipin@s ist der Glaube an die Schöpfung und das Wirken Gottes in unterschiedlicher Weise von ent-scheidender Bedeutung. Gott ist für uns da in allen unseren Erfahrungen von Schmerz und Leiden.

2. Jesus Christus als Retter

“Und ihr, für wen haltet ihr mich?” (Matthäus 16,15), fragt Jesus seine Jünger. Wie auch seinen Jüngern fällt uns Christ_innen die Antwort nicht leicht.Nach Dr. Melanio AOANAN ist Jesus beides Gott und menschliche Person, wie es im Bekenntnis von Nicäa (325 n. Chr.) intendiert ist, "Christus ist wahrer Gott vom wahren Gott und wahrer Mensch vom wahren Menschen." Durch Christus wird die ewige Güte Gottes Teil der menschlichen Natur. Es ist seine große Rettungstat, dass wir mit Christus neu geschaffen werden. Dadurch wird der Wille Gottes erfüllt und Gott gepriesen [10].

Im Glaubensbekenntnis (Statement of Faith) der Verei-nigten Kirche Christi in den Philippinen (UCCP) wird nach Dr. AOANAN folgender Gedanke betont: „Wir glau-ben und bekräftigen, dass Jesus Christus eine histo-rische Gestalt gewesen ist, aber das Jesus nicht nur ein historisches Ereignis, sondern das größte Ereignis in der Geschichte gewesen ist.“ [11]

Jesus wurde als Mensch von Maria geboren und lebte als Mensch mit seiner Familie. Er weiß, wie man mi den Händen arbeitet und kann den Schmerz und die Leiden der Arbeiter_innen verstehen, da sein Vater ein Zimmermann war. Ebenso versteht er die Mühen der Mütter, die neben den täglichen Aufgaben im Haushalt ihre Kinder aufziehen müssen, denn er war seiner Mutter Maria sehr nahe. Ich bin mir sicher, dass Jesus seinen Eltern ein gutes Kind und seinen Geschwistern ein guter Bruder war, denn „Gott und die Menschen

hatten ihre Freude an ihm“ (Lukas 2,52).

Die Erlösung, die Jesus gebracht hat, ist zum einen die Befreiung von Sünde und zum anderen die Befreiung von allen Konsequenzen, die Folge der Sünde sind. Diese beiden Aspekte gehören untrennbar zusammen [12].Dr. Carlos ABESAMIS betont, dass das Predigen über Jesus Christus als Befreier unausweichlich soziale Ungerech-tigkeit berührt. Er ermahnt besonders Priester und Priesteramtskandidaten, sich der einfachen Menschen bewusst zu sein, die in der Erwartung leben, von ungerechten Systemen und Strukturen befreit zu werden [13]. Laut Dr. Luis HECHANOVA geschieht bereits eine Art von Befreiungsprozess auf den Philippinen. dem Glauben zugewandt haben [14]. Dr. Benigno BELTRAN bemerkt, dass philippinische Gläu-bige für Gerechtigkeit, Freiheit und Würde kämpfen, auf der Basis ihrer Liebe für die enterbten, unter-drückten und verfolgten Brüder und Schwestern [15].

Als Christen glauben wir, dass „Gott die Welt so sehr geliebt [hat], dass er seinen einzigen Sohn hergab, damit der, der an ihn glaubt nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat.“ (Johannes 3,16). An Jesus Christus zu glauben und ihn als Retter anzu-erkennen, bedeutet auch das Kreuz Jesu anzunehmen. Die Erlösung, die Jesus schenkt, ist nicht nur die Freiheit von Sünde, sondern auch von allem Destruktiven, das die Sünde mit sich bringt.

C. Die Menschen als Ebenbild Gottes

„Wir glauben, dass der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen ist. Er ist zwar sündhaft, aber gleichzeitig ist er dazu bestimmt, mit Gott und seinen Mitmen-schen in Gemeinschaft zu leben. Wir glauben, dass er mit Gottes Schöpfung betraut und zur Mitwirkung an der Errichtung einer gerechten sozialen Ordnung auf-gerufen ist“ (UCCP Statement of Faith).

Die Betonung, dass die Menschen nach dem Bild Gottes geschaffen sind, ist sehr biblisch. In Genesis 1,27 heißt es: „So schuf Gott die Menschen nach seinem Bild, als Gottes Ebenbild schuf er sie und schuf sie als Mann und Frau.“

Gott ebenbildlich zu sein bedeutet nicht, dass auch wir Schöpfer_innen sind, sondern anzuerkennen, dass wir Geschöpfe Gottes sind. Nach Luna DINGAYAN „sind dem Menschen als Gottes Ebenbild von Gott Fähigkeit und Recht verliehen, zu denken, zu analysieren, zu überle-gen, zu entscheiden und verantwortlich für sich zu handeln. Diese göttlich verliehene Selbsttranszendie-rung offenbart die Menschlichkeit des Menschen. Sie ist bei keinem anderen Geschöpf Gottes zu finden.“

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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Theologie 10

[16].

Gott gab seinem Ebenbild, dem Menschen, Würde [17]. Deshalb wird menschliches Leben als heilig angesehen, und niemand darf wie ein Gegenstand benutzt oder als Eigentum anderer behandelt werden. Kein Mensch darf andere Menschen ausbeuten.

Daraus erwächst die Aufgabe, verantwortlich mit dem Anvertrauten umzugehen. Wir haben eine göttliche Beauftragung zu der sozialen Verantwortung, Gottes Schöpfung zu bewahren und der menschlichen Ge-meinschaft zu dienen, anstatt beide zu zerstören [18].

Wenn wir die Heiligkeit des menschlichen Lebens als Ebenbild Gottes bejahen, müssen wir auch alle Formen der Unterdrückung und Ausbeutung der menschlichen Würde ablehnen. Das Leben ist heilig und muss immer geschützt und respektiert werden.

Schlussbemerkungen

Wenn ich darüber nachdenke, was Theologie im Kontext der Philippinen bedeutet, sehe ich das Kreuz als ein mchtvolles Symbol. Es kann Gefühle, Hoffnungen und Inspirationen der Filipin@s in zusammenfassen.

Das Kreuz symbolisiertSchmerzen,

Ängste,Leid, die die Menschen jeden Tag zu tragen haben.

Das Kreuz ist auch ein Symbol vonHoffnung für eine bessere und gerechte Gesellschaft,

Hoffnung für die Einheit aller Glaubenden undHoffnung auf das Kommen von Gottes Reich oder Frieden in unserem Land.

Letztlich symbolisiert das KreuzGottes Macht und Liebe,

Hoffnung und Erlösung"Dienen".

[1] Efren RIVERA: „Towards a Filipino Theology”, in: Philippiniana Sacra 14, 1979, S. 62 – 63.

[2] Victor MAYNIGO: „Evangelization and Philippine Culture in the Light of Second Vatican Council“, 1978, S. 133.

[3] Dr. Everett MENDOZA: „Radical and Evangelical: A Portrait of a Filipino“, New Day Publishers, Quezon City, Manila, 1999, S. 13.

[4] Dr. Dindo TESORO and Dr. Joselito JOSE: „The Rise of Filipino Theology”, Paulines Publishing House, Pasay, 2004, S. 25.

[5] Ebd., S. 26.[6] Dr. Everett MENDOZA: „Radical and Evangelical: A

Portrait of a Filipino”, S. 13.[7] Dr. Melanio AOANAN: “The Trinitarian Foundation,”

in: Dr. Feliciano CARINO (Hrsg.): “Like a Mustard Seed”, Velprint Corp., Quezon City, 1987, S. 8.

[8] Alle Bibelstellen nach Gute Nachricht Bibel, 2000. [9] Dr. Melanio AOANAN: “The Trinitarian Foundation,”

in: Dr. Feliciano CARINO (Hrsg.): “Like a Mustard Seed”, S. 9.

[10] Ebd., S. 10.[11] Ebd., S. 11.[12] Dr. Dindo TESORO and Dr. Joselito JOSE: „The Rise of

Filipino Theology”, S. 232.[13] Carlos ABESAMIS: „Total Salvation: Key to

Understanding the Mission of the Church in Asia Today”, in: Boletin Ecclesiastico de Filipinas, 1975, S. 137.

[14] Dr. Luis HECHANOVA: „The Christ of Liberation Theology”, in: Dr. Benigno BELTRAN (Hrsg.): “The Filipino Face of Christ”, Arnoldus Press, 1975, S. 11 – 15.

[15] Dr. Benigno BELTRAN: „The Christology of the Inarticulate“, Divine Word Publication, Manila, 1981, S. 219.

[16] Luna DINGAYAN: „The Image of God”, in: Dr. Feliciano CARINO (Hrsg.): “Like the Mustard Seed”, S. 20.

[17] Ebd., S. 19.[18] Luna DINGAYAN: „The Image of God”, in: Dr. Feliciano CARINO (Hrsg.): “Like a Mustard Seed”, S. 20.

Fortsetzung der Nachrichten von Seite 4

Neuer Entwurf – alte Fronten

Parlamentsabgeordnete und katholische Kirche eröffne-ten Anfang Dezember eine neue Runde der Diskussionen um ein Familienplanungsgesetz (RH-Bill). Nachdem das erste Gesetzespaket modifiziert und unter anderem Na-men im Oktober wieder in den parlamentarischen Prozess eingespeist worden war, bildeten sich schnell wieder die bekannten Fronten. Präsident Aquino plant, das Gesetz noch vor der Weihnachtspause zur Abstimmung zu

stellen. Doch voraussichtlich wird eine solche Schnell-prozedur am Widerstand der Kirche und auch etlicher prominenter Politiker scheitern. Die Katholische Kirche nutzt alle Kanäle um gegen das Gesetz mobil zu machen, neben Aufrufen zum Beten und Fasten wurde auch fleißig getwittert. Viele Abgeordnete fürchten, sich vor den katholischen Wählern zu diskreditieren, wenn sie für das Gesetz stimmen.vgl. UCAN 04.12.2012, PDI 03.12.2012, CBCP News 02.12.2012, MB 02.12.2012

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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11 Kirche

Geboren aus dem Kampf um Würde und Freiheit

Ein Portrait über die Iglesia Filipina Independiente (Unabhängige Philippinische Kirche)

Von Franz Segbers

Während einer Konferenz über Menschenrechtsverlet-zungen auf den Philippinen bekam Bischof Ramento Anfang September 2006 eine SMS mit folgender Dro-hung: „Wir werden dich umlegen, aber nicht mit einer Pistolenkugel.“ Bischof Ramento reagierte entschlos-sen und antwortete: „Ich weiß, dass sie mich bald um-bringen wollen. Aber ich werde nicht nachlassen in meiner Verpflichtung Gott gegenüber und in meinem Dienst an den Menschen.“ Am 6. Oktober 2006 wurde er ermordet. Nach der Zählung der Menschenrechtsor-ganisationen ist er Nummer 931 auf der Liste der er-mordeten Menschenrechtsaktivisten – unter ihnen zahlreiche Gewerkschafter, Journalist_innen, Pfarrer, auch mehrere Priester und Aktivist_innen der Iglesia Filipina Independiente (IFI). Erzbischof Millamena fasste bei der Beisetzung von Bischof Ramento Geschichte und Identität der IFI folgendermaßen zusammen: „Die Geburt der Iglesia Filipina Independiente ist die reali-sierte Vision unserer Vorfahren durch den harten Kampf der militanten Bewegung, der Union Obrera De-mocratica (Demokratische Arbeitergewerkschaft, F.S.). Heute setzt sie diese Vision als Mission, als Pilgerin und als dienende Kirche für die Armen, Benachteilig-ten und die Ausgebeuteten fort.“

Die Iglesia Filipina Independiente ist die einzige katholi-sche Kirche weltweit, die aus einem kolonialen Befrei-ungskrieg hervorgegangen ist und bei der Gründung einer Gewerkschaft ausgerufen wurde. Im Freiheits-kampf gegen koloniale Abhängigkeit und Unter-drückung spielten die einheimischen Priester eine ent-scheidende Rolle. Als die unabhängige Republik ausge-rufen wurde, machten die USA das Land zu ihrer Kolo-nie. Nach der Befreiung des Landes verlangten die Fili-pin@s die Filipinisierung der Kirche. Doch der Vatikan weigerte sich und ersetzte die von den Revolutions-truppen vertriebenen spanischen Kolonialbischöfen mit Bischöfen der neuen US-amerikanischen Kolonial-macht. Nachdem der Wille des Volkes so gründlich missachtet worden war, proklamierte Isabelo de los Reyes bei der Gründung der Union Obrera Democratica 1902 eine von Rom unabhängige Kirche mit Gregorio Aglipay an der Spitze. Damit war der Bruch mit Rom endgültig. Aglipay suchte nicht die Trennung. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung schloss sich der IFI an. Rom war eher zur Kollaboration mit der neuen Kolo-

nialmacht bereit, als den Filipin@s ihr Recht auf Aner-kennung zu gewähren. Die IFI wurde damit zum Zen-trum des Widerstandes gegen die Kolonialmacht. Der US-Gouverneur nannte Aglipay einen „infamen Schur-ken“ und die IFI „eine revolutionäre Organisation un-ter dem Schild einer Kirche“. Agenten der CIA melde-ten einen Untergrund-Slogan: IFI bedeute independien-te filipino invencible (spanisch: unabhängiger Filipino unbesiegbar). Die IFI sah sich als legitime Besitzerin der Kirchen. Doch der Oberste Gerichtshof der USA entschied 1906, dass diese kirchlichen Besitztümer der römisch-katholischen Kirche zurückzugeben seien. Mit dieser Entscheidung sollte die IFU nachhaltig ge-schwächt werden. Von einem Tag auf den anderen ver-lor sie ihre Kirchen, in denen die Priester der IFI mit den Gemeinden Gottesdienst gefeiert hatten. Durch diese Entscheidung wurde die IFI zu einer Kirche der Armen. Ihre Mitglieder sind auch heute noch größten-teils Landarbeiter und Fischer.

Nach 1945 setzte eine verstärkte Bemühung um öku-menische Kontakte und Einbindung ein. 1958 wurde die IFI Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen und steht seit 1965 in voller Kirchengemeinschaft mit den alt-katholischen Kirchen. Sie zählt heute über vier Millionen Mitglieder in 44 Bistümern und mehr als sechshundert Priester_innen. Sie ist damit die größte Kirche Asiens, die im Ökumenischen Rat der Kirchen vertreten ist.

Die IFI knüpft bewusst an ihre befreiungstheologischen Wurzeln an. In einem ihrer Erklärungen über Spiritua-lität sagt die IFI: „Die Iglesia Filipina Independiente als lebendiges Sakrament der Revolution von 1896 muss ihr Bekenntnis und Zeugnis für und im Namen der Fili-pinos fortsetzen, die […] unter Armut, den sozialen Missständen und politischer Unterdrückung leiden. Unsere Zeit ruft nach einer dringenden Antwort auf die Entmenschlichung. Die IFI ist sich ihrer Mission und historischen Berufung bewusst. Sie muss an dieser Entwicklung aktiv teilnehmen. Dies ist ein Imperativ des Evangeliums.“

Prof. Dr. Franz Segbers ist alt-katholischer Priester und arbeitet als Professor für Evangelische Sozialethik an der Universität Marburg.

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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Ökumene 12

„Gemeinsam für das Leben” Mission und Evangelisation in sich wandelnden Kontexten – das Pre-Assembly Mission Event der Kom-

mission für Weltmission und Evangelisation (CWME), vom 22. bis 27. März 2012 in Manila

Michael Biehl, evangelisches Missionswerk in Deutschland

Die Teilnehmer_innen der CWME-Konferenz, März 2012, Manila (Quelle: ÖRK).

„Mission ist kein Auftrag, den wir ein für alle Mal empfangen haben. Mission ist eine dauerhafte Be-ziehung in Freundschaft und Zusammenarbeit.“ [1] So beendete Sister Josune Arregui, die von der römisch-katholischen Kirche als Beobachterin an der Konferenz der Kommission für Weltmission und Evangelisation (CWME) teilnahm, ihren Beitrag im Abschlussgottesdienst.

Die CWME ist eine von fünf Kommissionen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Der ÖRK ist ein weltweiter Zusammenschluss von derzeit 349 Mitgliedskirchen in mehr als 120 Ländern auf allen Kontinenten. Im Jahr 1948 gegründet, vertritt er mittlerweile rund 560 Millionen orthodoxe, angli-kanische, protestantische und andere Christ_in-nen [1]. Vollversammlungen finden ungefähr alle sieben Jahre statt. Die CWME und andere Kommis-sionen des ÖRK treffen sich in regelmäßigen Ab-ständen in unterschiedlichen Ländern.

Im März 2012 hatte die CWME 226 Personen, Dele-gierte von Kirchen und Partnerorganisationen des ÖRK, Gäste von Missionsorganisationen, Bera-ter_innen und Beobachter_innen nach Manila ein-geladen. Der Nationale Kirchenrat der Philippinen (NCCP) empfing die Delegierten und war Gastgeber der Konferenz. Es gab Raum für Diskussionen, spi-rituelle Gemeinschaft und Gebet. Vor allem aber wurde eine neue Erklärung des ÖRK mit dem Titel „Gemeinsam für das Leben: Mission und Evangeli-

sation in sich wandelnden Kontexten“ diskutiert. Diese wurde einer Redaktionsgruppe zu Überar-beitung übergeben. Die überarbeitete Erklärung wurde durch den Zentralausschuss des ÖRK ange-nommen. Jetzt wird sie der kommenden Vollver-sammlung 2013 in Busan, Südkorea, als Grund-satzdokument vorgelegt.

Die CWME hat ungefähr seit 2006 an dieser neuen Missionserklärung für den Ökumenischen Rat ge-arbeitet. Die erste und bisher einzige Erklärung des ÖRK mit dem Titel „Mission und Evangelisati-on“ stammt aus dem Jahr 1982. Jetzt bereitet die Kommission den Beschluss des Nachfolgedoku-ments vor, um im Kontext des Wandels in der Welt und der Kirche zu einem neuen Verständnis von Mission und Evangelisation aufzurufen. Das Ver-ständnis von Mission und Evangelisation habe sich in den vergangenen drei Jahrzehnten erheblich verändert, wie Pastor Dr. Jooseop Keum, Schrift-führer der CWME, während der Tagung in Manila erläuterte [1].

Die neue Missionserklärung

Die neue Missionserklärung stellt einen Meilen-stein auf dem Weg zu einem erneuerten und zeit-gemäßen Missionsverständnis dar, das von vielen Kirchen und Missionsorganisationen auch außer-halb des ÖRK geteilt wird. Manila als Tagungsort und die Mitwirkenden von Seiten des NCCP haben dabei sicher weitere wichtige Impulse für das The-ma gegeben. Auch Mitglieder der Kirchen des NCCP und das Team von Stewards, die den Ablauf unterstützten, brachten eigene Impulse ein.

Während der Tagung wurden in der Erklärung an-gesprochene Themen diskutiert, darunter ein theologischer Rahmen, der die Mission des Heili-gen Geistes (missio spiritus) beschreibt, sowie die Bejahung von Veränderungen und der Vielfältig-keit in der Mission weltweit. Es wurde über die ge-meinsame Erlösung von Menschheit und Schöp-fung diskutiert und darüber, ökologische und Um-

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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13 Ökumene

weltbelange in die Missionserklärung aufzuneh-men. Ebenso wurden die Themen Gesundheit und Heilung, Migration sowie die Folgen der wirt-schaftlichen Globalisierung angesprochen.

Die Teilnehmenden diskutierten das Konzept eines erneuerten Engagements für die Evangelisation, das von Demut und Respekt gegenüber Menschen anderen Glaubens geprägt ist, und untersuchten, wie das Evangelium in der heutigen Welt vermit-telt werden könne. Das Überdenken der Beziehung zwischen Mission, der Kirche und Missionsorgani-sationen ist ebenfalls ein wichtiges Thema der Er-klärung.

Persönliche Eindrücke von der Konferenz

Es war der wohl emotionalste Moment der Konfe-renz. Am Nachmittag hatten die Kommission für Weltmission und Evangelisation einen Abschnitt der Missionserklärung studiert. Viele fanden ihn schwer verständlich. Am Abend haben unsere philippinischen Gastgeber_innen diesen und ande-re Abschnitte für uns geerdet. Mit dramatischen Szenen der Gruppe Teatro Ekyumenical , Hinter-grundinformationen über den Einsatz vieler christlicher Gemeinschaften für Gerechtigkeit und gegen den Ausverkauf der natürlichen Ressourcen an große Konzerne haben sie uns Einblick in ihre Mission gewährt. „Wir erkennen unsere Mission, wenn wir das Bild der Welt, wie sie ist, mit einem anderen Bild konfrontieren, wie Gott die Welt ge-meint hat. Unsere Mission liegt dort, wo Diskre-panzen sichtbar werden“, formulierten sie.

In der Ökumene heftig umstrittene Begriffe ge-wannen plötzlich analytische Schärfe, als die Na-men und Bilder von über zwanzig Pastoren, Ge-meindeleitern und Aktivisten genannt und gezeigt wurden, die alleine in den letzten Jahren wegen ihres Einsatzes gegen Rodung, Minenabbau und Vertreibung gezielt ermordet wurden. In keinem Fall kam es zu einer Verurteilung der Täter. Viele unter unseren Gastgebern hatten mit den Ermor-deten gearbeitet. Ihnen standen Tränen in den Au-gen, als sie deren Namen verlasen. Auch wir Kon-ferenzteilnehmer waren ergriffen und nicht weni-ge weinten, als wir in einer stillen Prozession an unseren Gastgeber_innen vorbeigingen und jede_r eine Rose an einem Altar für die Ermordeten nie-derlegte.

Die Gruppe junger Erwachsener von Teatro Ekyu-

menikal bereicherten die Gottesdienste und Plenar-veranstaltungen mit Tänzen, Liedern und dramati-schen Szenen, die vor allem die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Freiheit ausdrückten. Alle Mit-glieder leiten ihrerseits ähnliche Gruppen in ihren Gemeinden und wurden von Dr. Rommel Linatoc (Nationaler Philippinischer Christenrat, Asian Insi-tute of Liturgy and Music) ausgebildet.

Am Sonntag wurden den Teilnehmenden verschie-dene Exkursionen angeboten. Ich entschied mich für einen Besuch zum Smokey Mountain (Area 2) [2].

Es war verrückt: Unser Besuch auf dem Smokey Mountain endete damit, dass Kinder uns den Enten-tanz beibrachten! Da standen wir zu sechst auf dieser improvisierten Bühne, mitten im Slum im sogenannten Gesundheitszentrum, und aus den Boxen einer gewaltigen Musikanlage bollerte die Musik zum Ententanz. Um uns herum war alles zu sehen, was die Absurdität der Situation ausmach-te. Junge Frauen, fast noch Mädchen, die mit 15 geheiratet hatten und ihre Kinder mit sich herum trugen. Die etwas größeren Kinder, die sich wäh-rend unseres Rundganges einfach jemanden aus-suchten, an dessen Hand sie mitgingen und dabei unüberhörbar ihren Spaß hatten. Und fünf Mäd-chen und ein Junge (geschätzte 9-12 Jahre alt), die uns den Ententanz vorführten. Den kannten sie aus dem Fernsehen, das es noch im letzten Bret-terverschlag gab.

Es ist schon verwirrend, so etwas wie Lebensfreu-de inmitten dieser Bretterbuden, im Schlamm und Dreck, zu finden. Wir standen ja buchstäblich auf einem riesigen Haufen Müll, und über allem lag dieser Geruch von Verwesung.

Auf dem Rundgang kamen wir zu einem Fluss, an dessen Rand dicht weitere Hütten standen. Wir sa-hen drei oder vier Boote, mit denen offensichtlich jemand zum Fischen fuhr. Nach Süden fiel der Blick auf den eigentlichen Smokey Mountain, einen Berg aus Müll. Am Rand waren drei Hochhäuser zu sehen, die für die Bewohner gebaut worden waren, als sie vom Berg vertrieben wurden. Wie wir von unseren Begleiterinnen hörten, sind viele wieder auf das neue Gebiet ausgewichen, das wir besuch-ten. Ihre Wohnungen haben sie weitervermietet, weil sie dort vielleicht unter besseren Bedingun-gen wohnen. Doch Arbeit gibt es da nicht. Auf der Müllhalde können sie Rohstoffe sammeln und ver-kaufen.

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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Ökumene 14

Eine Frau mittleren Alters berichtete uns offen, wie ihr Leben am Smokey Mountain bisher war: Jung geheiratet, mit der Schule aufgehört - was sollte sie auch damit. Es gab nichts, wofür es sich zu ler-nen lohnte. Die Kinder, die so früh kamen. Die Ar-beit und Sorge, die Kinder satt zu bekommen. Der Ehemann, der sie schlug. Und eigentlich wäre sie immer hungrig, nie gäbe es genug zu essen. Wenn sie zurückblickt, würde sie vieles anders machen wollen.

Doch hinter ihr standen bereits die jungen Frauen, die praktisch den gleichen Weg eingeschlagen hat-ten. Die Ausweglosigkeit der ganzen Situation war zu sehen, zu riechen und mit den Händen zu fas-sen. Und als ob es noch nicht genug sei, sagten ei-nige, sie hätten anderes erlebt, was noch schlim-

mer war. Hier ginge es ihnen in jedem Fall besser.

Hier wird sich in naher oder mittlerer Zukunft wohl nichts verändern. Es gibt keinen Ausweg, kei-ne Alternative. Wir haben eine junge Frau getrof-fen, die tatsächlich den Weg aus dem Slum gefun-den hat. Sie hat dieser Vergangenheit nicht den Rücken gekehrt. Jetzt arbeitet sie als Lehrerin in der Vorschule, die die Projektpartner auf dem Ge-biet unterhalten. Die Männer arbeiten zwar hart, aber es sind die Frauen, die hier so ziemlich alles aufrechterhalten.

Quellen und Links

[1] www.oikoumene.org[2] Ein Video zum Besuch findet sich auf YouTube un-

ter http://tinyurl.com/fuv79cwme.

„I love you with the love of our God…”

Gottesdienste in den Gemeinden der UCCP in den Philippinen

Dr. Christian Hohmann

Das fand ich in den Gottesdiensten der Vereinigten Kir-che Jesus Christi in den Philippinen (UCCP) immer am schönsten: Die Einladung, sich gegenseitig zu begrüßen mit einem freundlichen Händedruck als Zeichen des Friedens, in respektvoller Distanz, aber gleichzeitig herzlich, mit einem oft warmen, manchmal auch etwas schüchternen Lächeln im Gesicht. Dabei gehen viele durch den ganzen Kirchenraum, um sich gegenseitig zu begrüßen und freudig wahrzunehmen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sind auch Gäste nicht mehr fremd, sondern erfahren sich als zugehörig zu dieser Gottes-dienstgemeinde. Oft singen wir dabei das Lied „Ich lie-be Dich mit der Liebe Gottes …“. Hier geht es nicht ein-fach um gegenseitige Sympathiebekundungen, sondern um mehr: Gottes Liebe steht im Zentrum. Seine Liebe gilt es nicht nur weiterzusagen, sondern auch im wört-lichen Sinne weiterzugeben.

So werden auch diejenigen, die zum ersten Mal in ei-nem UCCP-Gottesdienst sind, freundlich willkommen geheißen. In der UCCP „besucht“ man keine Gottes-dienste, sondern nimmt daran teil. Der Gottesdienst ist gemeindebezogen und nicht pfarrerzentriert: Verschie-dene Gebete werden von der Gemeinde zusammen ge-sprochen. Einzelne Gemeindemitglieder sind zu be-stimmten Anlässen gebeten, eine Predigt zu halten. Manchmal sind es persönliche Zeugnisse, wie der Glau-be das eigene Leben geprägt oder geholfen hat, schwe-

re Situationen im Leben durchzustehen. Lektor_innen verschiedener Altersgruppen sprechen die Teile der Li-turgie, die nicht wie die Zusage der Sündenvergebung, die Einsetzungsworte in der Abendmahlsliturgie oder der Segen den Pfarrer_innen vorbehalten sind.

Foto: Christian Hohmann

Ich kann mich an keinen Gottesdienst erinnern, in dem nicht ein Gemeindec-hor gesungen hat. Die Verkündi-gung des Evangeliums wird zunächst durch die „gesun-gene Botschaft“ eines thematisch passenden Liedes aufgenommen, meistens durch den Chor, manchmal auch durch einzelne Sänger_innen. Erst dann folgt die

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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15 Kirche

„gesprochene Botschaft“ der Predigt.

Kinder oder Jugendliche sammeln die Kollekte ein. Auch Jugendliche beteiligen sich bei den Lesungen oder gestalten einen Gottesdienst musikalisch mit. So neh-men die verschiedenen Generationen in einem Sonn-tagsgottesdienst ihre jeweilige Verantwortung wahr. Es sind häufig kreativ gestaltete Gottesdienste, die im Ein-gangsteil damit beginnen können, dass passend zum Thema des Sonntags symbolische Gegenstände (wie z. B. Lichter) hereingetragen werden. Doch trotz aller Lebendigkeit folgen diese Gottesdienste einer verlässli-chen liturgischen Gottesdienstordnung, die trotz loka-ler Besonderheiten nicht grundsätzlich von Gemeinde zu Gemeinde variiert.

In vielen UCCP-Gottesdiensten gibt es eine besondere Form des Dank- und Fürbittengebetes, das sogenannte Pastoral Prayer, das sehr konkret die Anliegen der Ge-meinde oder einzelner Gemeindemitglieder aber auch gesellschaftliche Anliegen aufnimmt. Diese Pastoral Prayer haben mich neu erfahren lassen, welche Kraft von einem Gebet ausgehen kann, das mehr ist als ein formalisiertes Fürbittengebet. Wenn wir vor Gott aus-

sprechen, was uns als Gemeinde im Einzelnen bewegt, dann kann von einem solchen Gebet eine große Kraft ausgehen.

Auffallend ist das Bemühen vieler UCCP-Gemeinden, den Altarraum ihrer Kirchen mit kunstvollen Blumen-gestecken oder Topfpflanzen freundlich und einladend zu gestalten. Auch wenn die meisten Gemeinden recht arm sind, wird nicht auf Blumenschmuck verzichtet. Ich lerne daraus: Wenn sich Gemeindemitglieder be-wusst als Teil ihrer Gemeinde erleben und den Gottes-dienst nicht als eine „Dienstleistung“ an der Gemeinde verstehen, muss auch in Zeiten knapper werdender Mittel nicht an der falschen Stelle gespart werden. Denn geht es im Gottesdienst nicht in erster Linie um einen Dienst Gott gegenüber? Und wenn er der Einla-dende ist, was bringen wir ihm dann mit?

Dr. Christian Hohmann ist Regionalpfarrer des Amtes für Mission, Ökumene und Weltverantwortung der Evangeli-schen Kirche von Westfalen, Studienleiter im Zentrum für Mission und Diakonie in Bethel und war im Sommer 2012 im Kontaktstudium in der United Church of Christ in the Philippines (UCCP).

Fröhlich alternVon Michelle Feye und Mirjam Overhoff

Im Zuge des demographischen Wandels, in dem der Anteil älterer Menschen an der Gesellschaft zunehmend wächst, hat sich die 28. Ökumenische Philippinenkonferenz (ÖPK) des Themas „Alt wer-den auf den Philippinen und in Deutschland“ an-genommen. Eine Vielfalt von Angehörigen ver-schiedener Organisationen und Solidaritätsgrup-pen, Interessierte mit und ohne philippinische Wurzeln trafen sich in Weimar, um sich über Le-bensmodelle im Alter und über die Frage nach dem Älterwerden auf den Philippinen und in Deutschland auszutauschen. Eine der interessan-testen Fragen war, inwiefern sich die junge und alte Generation innerhalb ihrer Familienverbünde in einer modernen Welt, in der Pendelmigration üblich ist, gegenseitig versorgen.

Die Krankenschwester Marietta Esteban-Richter und die Sozialarbeiterin Marcelina Manalo-Ermert stellten ihre Lebensentwürfe vor und sorgten für eine lebendige Auseinandersetzung. Die beiden

gebürtigen Filipinas, mittlerweile in Rente, verfü-gen zwar über verschiedene Biografien und über 40 Jahre Migrationserfahrung, aber eines verbin-det sie miteinander: die Fröhlichkeit, mit der sie ihr selbstbestimmtes Leben im Alter führen. Sie haben ihre Familien in Deutschland gegründet und erfreuen sich ihrer Rolle als Großmutter. Zudem sind sie sehr aktiv, indem sie viel reisen und sich beispielsweise ehrenamtlich im sozialen Bereich engagieren. „Es ist nie zu früh sich mit dem Älter-werden zu beschäftigen“, so Marietta. Sie weiß be-reits, dass sie ihren Lebensabend in Deutschland verbringen möchte, während Marcelina es sich of-fen hält, ob sie im Fall von Pflegebedürftigkeit auf den Philippinen oder in Deutschland versorgt wer-den möchte. Marcelina hat darüber hinaus schon einen Fond für ihre Bestattung eingerichtet. Auf diese reflektierte Haltung zum Sterben und Tod reagierte der Arzt Dr. Werner Haag überrascht. Denn im Vergleich zu ihnen benötige er stets

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Solidaritätsarbeit 16

Druck, zum Beispiel durch eine Krankheit, um über solche Fragen konkret nachzudenken.

Foto: Leah Einsel

Die Frage nach dem Verbleib im betagten Alter, wenn die nötige Mobilität zum Reisen nicht mehr vorhanden ist, hängt nicht nur davon ab, wo der eigene Lebensmittelpunkt ist, sondern auch von der sozialen und finanziellen Sicherung sowie ei-ner adäquaten Gesundheitsversorgung.Teilnehmer der ÖPK

Mariet Mulders von der niederländischen Hilfsor-ganisation CORDAID wies in ihrem Vortrag „Issues related to ageing, older people and development - Filipin@s in Diaspora“ darauf hin, dass globale Entwicklungen wie Migration, Land-/Stadtflucht, die Zunahme von Alterskrankheiten, der Klima-wandel und Bürgerkriege einen gravierenden Ein-fluss auf das Leben armer und alter Menschen ha-ben. Sie gehören zu den verwundbarsten Bevölke-rungsteilen, die häufig von der gesundheitlichen Versorgung ausgeschlossen sind. Die Verbesse-rung der medizinischen und karitativen Behand-lung und Betreuung sowie Bildungs- und Arbeits-möglichkeiten für aktive Alte zählen somit zu den größten gesellschaftspolitischen Herausforderun-gen weltweit. Die Lobbyarbeit für Ältere und die beispielhafte, globale Vernetzung von lokalen Or-ganisationen wie bei HelpAge International sind wichtige Beiträge zur Verbesserung der Lebenssi-tuation alter Menschen.

In drei Workshops wurde Gelegenheit zur Diskus-sion gegeben. Dabei wurde über die „Zukunft des Generationenvertrags“, den „Perspektivwechsel: Ältere Generation als aktive Akteure in der

Zivilgesellschaft“ sowie über die „Verantwortung von Filipin@s im Ausland gegenüber ihrer Eltern-generation“ intensiv diskutiert. Der deutsche Be-griff „Generationenvertrag“ trifft nur bedingt auf die philippinische Gesellschaft zu. Die augen-scheinlich vergleichbare “utang na loob“ (vgl. Dankesschuld) beinhaltet nämlich eine andere Grundmotivation, nämlich sich aus einer inneren Verpflichtung heraus um Familienangehörige zu kümmern. In Zeiten von globalen Veränderungen der Familien- und Gesellschaftsstrukturen kann „utang na loob“ keinen Gesellschaftsdiskurs zur Absicherung alternder Menschen ersetzen, denn dieser muss auf allen Ebenen geführt werden. Das Bild älterer Menschen muss von einem respekt-voll-passiven zu einem respektvoll-aktiven Selbst verändert werden, welches eine Selbstbestim-mung und Entschleunigung nach eigenen Bedürf-nissen beinhaltet. Die Generationenverantwortung könnte somit auch umgekehrt durch ehrenamtli-ches Engagement gelebt werden. Daneben unter-stützen in Deutschland lebende Filipin@s ihre El-tern auf den Philippinen vor allem auf finanzieller Ebene.

Auf der ÖPK hat sich gezeigt, dass sich Angehörige der sogenannten zweiten Generation philippini-scher Migrantinnen als „Weltbürger_innen“ se-hen, die sich zwischen den Welten wohl fühlen, weil sie sich selbst ihr Zuhause geben können. Durch diese Einstellung haben sie eine positive Vorstellung vom Älterwerden. Trotz der Mobilität und der beruflichen Eingebundenheit betrachtet Carmela Verceles es für selbstverständlich, ihre Mutter falls nötig zu pflegen. Die Großelterngene-ration erfüllt ihrerseits ebenfalls eine wichtige Aufgabe. Laut Mariet Mulders kümmern sich 30 Prozent der älteren Filipin@s um ihre Enkelkin-der, weil deren Eltern im Ausland arbeiten müs-sen.

Im Abschlussplenum wurde deutlich, dass die 28. ÖPK für alle ein Erfolg war, weil sie zum ersten Mal ein Forum bot, sich generations- und kulturüber-greifend auf emotionale und spannende Weise über das sensible Thema „Alter“ auszutauschen. Neben anregenden Diskussionen sorgte vor allem der gemeinsame Tanzabend für anhaltende Fröhlichkeit.

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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17 Bergbau

„Mord im Morgengrauen

Im südphilippinischen Konzessionsgebiet der schweizerischen Bergbaufirma Xstrata wächst der Widerstand gegen den offenen Tagebau

Von Michael Reckordt & Rainer Werning

In den frühen Morgenstunden des 18. Oktober befan-den sich Juvy Capion und ihre beiden acht und drei-zehn Jahre alten Söhne John und Jordan in ihrer Ni-pahütte in Datal Aliong, einem entlegenen Dorf in der südphilippinischen Provinzstadt Kiblawan. Gegen 6:30 Uhr nahmen Soldaten des 27. Infanteriebataillons der Armee die Behausung unter Beschuss. Drei Menschen starben. Juvys Ehemann, Daguil Capion, das eigentliche Ziel dieser militärischen Aktion, gelang die Flucht. Ca-pion ist Vorsitzender der lokalen Gemeinschaft der in-digenen B’laan. Ausgerechnet auf deren Terrain möch-te der schweizerische Bergbaukonzern Xstrata mit sei-ner philippinischen Tochter Sagittarius Mines, Inc. (SMI) das Tampakan-Kupfer-Gold-Projekt als offenen Tagebau betreiben. Umgerechnet 5,9 Milliarden US-Dollar will SMI, an der Xstrata 62,5 Prozent der Aktien und die Managementkontrolle hält, in der Region in-vestieren. Jährlich sollen 375.000 Tonnen Kupfer und 360.000 Unzen Gold gefördert werden. Doch erst kürz-lich musste der Beginn dieses ambitionierten Unterfan-gens auf 2018 und damit um zwei Jahre verschoben werden. Vor Ort regt sich immer massiverer Wider-stand gegen das Projekt.

Der beabsichtigte Abbau soll überdies in einem Erdbe-bengebiet erfolgen, wodurch Rückhaltebecken mit gif-tigem Schlamm bersten könnten. In dieser vorwiegend von Landwirtschaft geprägten Region würde eine Um-weltkatastrophe die Menschen dauerhaft ins Elend sto-ßen. Anlässlich einer offiziellen Vorstellung zur Um-weltverträglichkeitsprüfung im September 2011 war SMI außerstande, die Frage zu beantworten, wie viele Menschen bei einem möglichen Dammbruch durch die Flutwelle sterben würden.

Sobald sich Konzerne wie Xstrata in einer bestimmten Region niederlassen, werden dorthin staatliche Sicher-heitskräfte zu ihrem Schutz abkommandiert. Im Zuge wachsender Militarisierung kommt es zu Vertreibun-gen, Schikanen und anderen Menschenrechtsverlet-zungen. Bereits am 9. März 2009 war Eliezer Billanes, ein erklärter Bergbaugegner, auf dem Marktplatz der

Provinzhauptstadt Koronadal erschossen worden.

Die Indigenen ließen sich trotz Einschüchterungen nicht von ihrem Protest abhalten. Sie warfen Xstra-ta/SMI vor, das Bergbaugesetz ignoriert zu haben. Die-ses sieht ausdrücklich eine „freie, vorherige und in Kenntnis der Sachlage erteilte Zustimmung aller Betei-ligten“ vor. Allerdings wurde diese nicht erteilt. Die Lage eskalierte in den vergangenen zwei Jahren. Daguil Capion wusste sich nicht mehr anders als mit Gewalt zu wehren. In seinem Dorf waren zuvor Gräber durch Bau-maßnahmen geschändet worden. Mehrfach wurde sei-ne Familie von Soldaten und dem privaten Sicherheits-dienst des Bergbauunternehmens schikaniert. Als er-neut Sicherheitskräfte seine Familie bedrohten, soll er zur Waffe gegriffen und drei Personen deren Wachper-sonals erschossen haben. Das Militär jagte ihn, doch der Flüchtige konnte im unwegsamen Terrain unter-tauchen.

Der kommandierende Oberstleutnant des 27. Infante-riebataillons Alexis Noel Bravo erklärte, man hätte Hin-weise erhalten, wo sich Capion versteckt halte. „Unsere Truppen wurden beschossen, als wir uns seinem Auf-enthaltsort näherten. Also übten wir Vergeltung.“ Das philippinische Netzwerk Alyansa Tigil Mina (Allianz ge-gen Bergbau), das sich für ein stärkeres Mitsprache-recht indigener Gemeinschaften bei Bergbauvorhaben einsetzt, verurteilte die Erschießung der drei Capion-Familienmitglieder aufs Schärfste: „Das ist ein barbari-scher und heimtückischer Akt des Militärs“, so deren Koordinator Jaybee Garganera. Daguil Capion und seine Familie gehörten keiner Rebellenbewegung an. Ihr En-gagement gelte einzig und allein „dem Schutz des Lan-des ihrer Vorfahren“.

Derweil rechnen die Bürgermeister von Kiblawan und Tampakan mit dem Schlimmsten. Sie setzten ein Kopf-geld auf Capion aus, da sie Vergeltung oder gar einen Stammeskrieg gegen ihre Gemeinden befürchten. 300.000 Peso, umgerechnet etwa 5.500 Euro, haben sie für dessen Ergreifung ausgelobt – tot oder lebendig.

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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Menschenrechte 18

MonsterpflegeDrei Jahre nach dem Massaker in der südphilippinischen Provinz Maguindanao, bei dem 57

Menschen (darunter 32 Medienleute) ums Leben kamen, scheint das Verfahren gegen die Ver-antwortlichen im Sande zu verlaufen – sehr zur Verbitterung der Hinterbliebenen der Opfer.

Von Rainer Werning

Vorbemerkung

Wer als ausländischer Besucher zu Beginn der 1970er Jahre in den Philippinen weilte, staunte nicht schlecht, vor Restaurants und einschlägigen Etablissements landesweit Schilder mit der Auf-schrift „Unbegleitete Frauen und Schusswaffen unerwünscht!“ vorzufinden. Es war die hohe Zeit von Privatarmeen, die sich begüterte Geschäfts-leute und karrierebewusste Politiker zugelegt hat-ten, um sich und ihre Verwandtschaft vor Unbill zu schützen – und notfalls missliebige Rivalen auf eigene Faust aus dem Weg zu räumen. Es gehörte zum guten Ton der High Society und bezeugte den Grad ihrer Wohlhabenheit, sich einen solchen Luxus der besonderen Art leisten zu können und ihn auch öffentlich zur Schau zu stellen. Mit dem Argument, eben diesen Privatarmeen sowie der „kommunistischen Subversion“ und dem „Moro-Sezessionismus“ im Süden des Inselstaates ein für allemal einen Riegel vorzuschieben, verhängte der damalige Präsident Ferdinand E. Marcos vor genau 40 Jahren, am 21. September 1972, landesweit das Kriegsrecht. Um dieses zu deodorisieren, sprach der verschlagene Marcos, von Haus aus Jurist, fortan lediglich von „konstitutionellem Autorita-rismus“.

Das Land befand sich in Aufruhr: Massive Streik- und Demonstrationswellen richteten sich gegen ein Regime, das tief in den Vietnamkrieg verstrickt war und US-Truppen die mit der Subic Naval Base und dem Clark Air Field größten außerhalb des nordamerikanischen Kontinents gelegenen Mili-tärbasen als logistische Brückenköpfe des Aggres-sionskrieges in Südostasien garantierte. Anfang der 1970er Jahre war auch die Zeit, da die Neue Volksarmee (NPA) als Guerilla der Kommunistischen Partei (CPP) von sich reden machte und die seit langem schwelenden (Land-)Konflikte auf der südlichen Insel Mindanao militärisch eskalierten. Mit Hilfe des Kriegsrechts militarisierte das Mar-

cos-Regime die Politik des Landes und das Militär übernahm zunehmend politische Funktionen – ein Vermächtnis, das auch über ein Vierteljahrhun-dert nach dessen Sturz im Februar 1986 noch immer lange Schatten wirft. Vor allem und gerade auf Mindanao.

Schmetterlinge und „3G”

Es war auch in Mindanao, wo ich 1970 das erste Mal den Spruch hörte: „In Zeiten von Wahlen ge-ben die Toten einmal und die Lebenden mehr als zweimal ihre Stimme ab. Und selbst die Schmet-terlinge auf Mindanao wählen“. Wahlbetrug, blu-tige Wahlkämpfe und Stimmenkauf in großem Stil sind auffällige Konstanten in der Landespolitik. Was dafür verantwortlich war und auf beklem-mende Weise bis heute fortwirkt, ist die un-gebrochene Macht der „3G” – Gauner, Gewehre, Geld. Wer nicht über diese Dreifaltigkeit in dem vorwiegend katholischen Land verfügt, sollte sich ernsthaft überlegen, ob er überhaupt den Sprung in die große Politik wagen will. Wer indes üppig – auf welche Weise auch immer – mit den „3G” gesegnet ist, hält indes etliche Trumpfkarten in der Hand. Diese befähigen ihn, schon zu Lebzeiten paradiesisch zu leben, Macht, Pfründe, sorgsam geknüpfte Seilschaften und notfalls auch Gesetze nach Gusto auszuschöpfen und den Reichtum der eigenen Großfamilie fortwährend zu mehren. Dies ist der Kern dessen, was in den Philippinen mala-kas genannt wird – die Politik der Stärke. Nur die Starken genießen öffentliches Ansehen, werden hofiert und dienen, so sie denn halbwegs gesittete Umgangsformen und Manieren kultiviert haben, als nachahmenswerte Vorbilder, zu denen man aufschaut.

Orchestrierter Mord

Die schmutzigste Schaumkrone der malakas-Politik entfaltete sich am 23. November 2009. Dieser Tag

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19 Menschenrechte

wird in die Geschichtsannalen der Philippinen ein-gehen als Schwarzer Montag. An diesem Tag wur-den 57 Menschen [1] Opfer eines Massakers, das in dieser Bestialität und kaltschnäuzig exekutierten Art ein Novum darstellte, die Nation zutiefst erschütterte und ebenso kritische wie besorgte Personen aus Medien, Universitäten, Kirchen und NGOs in den Chor einstimmen ließ, von einem failed state („gescheiterten Staat“) zu sprechen.

An jenem Montag hatte sich in der südphilippi-nischen Provinz Maguindanao ein Konvoi von Anhängern des Politikers und Vizebürgermeisters von Buluan, Esmael Mangudadatu, auf den Weg in die Provinzhauptstadt Shariff Aguak aufgemacht, um dort in einem Büro der staatlichen Wahlkom-mission (Comelec) fristgerecht die erforderlichen Unterlagen für seine Kandidatur als Gouverneur bei den Wahlen im Mai 2010 einzureichen. Gerade weil dieser Spross des Mangudadatu-Clans wusste, dass Shariff Aguak samt Umgebung seit knapp einem Jahrzehnt vom rivalisierenden Clan der Ampatuans als exklusive politische, militärische und wirtschaftliche Domäne reklamiert wurde, hatte er entschieden, dort nicht persönlich aufzu-kreuzen. Stattdessen wollten seine Frau und an-dere weibliche Verwandte und Bekannte in Beglei-tung mehrerer Journalisten und zwei Menschen-rechtsanwältinnen die Reise antreten und die Dokumente den Verantwortlichen übergeben. Doch auf dem Weg zu ihrem Fahrtziel wurden sie von über 100 Bewaffneten blockiert, aus den Wa-gen gezerrt, schrecklich zugerichtet und schließ-lich aus nächster Entfernung erschossen.

Esmael Mangudadatu und seine engsten Berater hatten sich von der Überlegung leiten lassen, dass die andere Seite wenigstens Frauen kein Haar krümmen und die Präsenz zahlreicher Vertre-ter_innen lokaler und regionaler Medien respek-tieren würde. Eine fatale Fehleinschätzung. Bevor der Konvoi seine Todesfahrt begann, hatte Esmael Mangudadatu wiederholt bei den verantwortli-chen Kommandeuren der Streitkräfte (AFP) und Polizei (PNP) um Personenschutz gebeten – ver-geblich. Die Einheiten inklusive paramilitärische Hilfstruppen in Gestalt sogenannter Citizens’ Armed Force Geographical Units (Cafgu) und Civilian Volunteers Organizations (CVO) fühlten sich we-sentlich einer Person loyal verbunden – Datu An-dal Ampatuan Sr., in Personalunion Provinzgou-verneur, Patriarch und Chef seines Clans, dessen

Tentakeln weit über die Region hinausreichten.

Dass dieses Massaker von langer Hand vorbereitet und geplant war, ist durch zahlreiche Zeugen-aussagen unbestritten. Die Mörder hatten sogar Vorkehrungen getroffen, um schnellstmöglich die Spuren ihrer Tat zu verwischen. Ein zuvor eigens an den Tatort beförderter Bagger hatte bereits Erdlöcher freigeschaufelt, um darin den gesamten Konvoi – die Wagen samt Insassen – zuzuschütten und verschwinden zu lassen. Dies gelang den Tätern nur teilweise, weil sie vorzeitig flüchteten, nachdem Überlebende und Zeugen des Massakers per Handy um Nothilfe gebeten hatten. Über Nacht rangierten die Philippinen laut dem in New York ansässigen Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) weltweit auf Platz eins, was die für diesen Berufsstand gefährlichsten Länder betrifft. Zuvor hatte das Land in der CPJ-Rangliste hinter Somalia, Irak und Pakistan noch den vierten Platz belegt.

Staatlich sanktioniertes Feudal- und Kriegs-herrentum

Die Ampatuans brüsteten sich stets damit, ver-wandtschaftliche Wurzeln in Arabien zu haben und verdienten sich durch ihren Spross Datu Ma-masapano Ampatuan die ersten politischen Spo-ren. Dieser erhielt Mitte der 1930er Jahre einen Beraterposten in der damaligen US-Kolonialadmi-nistration. In den 1990er Jahren war Andal Ampa-tuan Sr. Vizebürgermeister und Bürgermeister sei-nes Ortes und gewann im Jahre 2001 – mit Unter-stützung der Mangudadatus – gegen den Heraus-forderer Zacaria Candao die Gouverneurswahl in Maguindanao. Seitdem benannten die Ampatuans mehrere Orte in der Provinz nach ihren Vorfahren und Kindern. Bürgermeister in Datu Unsay und Hauptbeschuldigter des Massakers ist Datu Andal Ampatuan Jr., während weitere Clanmitglieder insgesamt ein Drittel aller Gemeinden und Städte Maguindanaos als feudale Land- und Warlords regier(t)en und sie total ihrer direkten Kontrolle unterworfen haben. Ein anderer Abkömmling der Großfamilie, Zaldy Ampatuan, schaffte es überdies im Herbst 2005, als damals gerade mal 38-Jähriger zum jüngsten Gouverneur der Autonomen Region in Muslim Mindanao (ARMM) aufzusteigen [2]. Datu Michael Mastura, ein ehemaliger Kongress-abgeordneter des ersten Distrikts in Maguindanao und selbst Nachkomme einer alteingesessenen, an-gesehenen Moro-Familie, hatte lange vor der Tat

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Menschenrechte 20

das Treiben von Andal Ampatuan Sr. auf den Punkt gebracht: „Er ist wie ein Pharao – und so nennen die Leute ihn auch. Wer gegen seinen Wil-len handelt, sollte sich das vorher sehr genau überlegen“. Demgegenüber starteten die Mangu-dadatus ihre politische Karriere in Maguindanao, als die Nachfolgerin von Marcos, Präsidentin Cora-zon C. Aquino (1986-92) den Patriarch der Familie, Datu Pua Mangudadatu, 1986 als Bürgermeister von Buluan, Maguindanao, einsetzte. Zu der Zeit unterhielten die beiden Clans noch enge, gar freundschaftliche Beziehungen.

Während der Präsidentschaftswahl im Mai 2004 zeigte sich Maguindanaos Gouverneur Andal Am-patuan Sr. als verlässlichster Regionalverbündeter von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo (2001-2010), die nicht zuletzt mit den dort errungenen Stimmen die durch massiven Betrug und Fäl-schungen gekennzeichnete Wahl für sich ent-schied. Ampatuan sorgte dafür, dass der Arroyo-Herausforderer, der populäre und überaus beliebte Ex-Schauspieler Fernando Poe Jr., weit abgeschla-gen auf den hinteren Plätzen landete. In einigen Orten wurde dermaßen krass manipuliert, dass Poe dort nicht einmal eine einzige Stimme für sich verbuchen konnte. Nicht anders verhielt es sich bei den Senatswahlen im Sommer 2007, als das Arroyo-nahe Senatorenteam sämtliche Stimmen einheimste und der Opposition eine vernichtende Niederlage zufügte. Schließlich waren die Ampa-tuans der Präsidentin stärkster Stützpfeiler ihrer herrschenden Partei (der Koalition aus Lakas-Kam-pi-CMD und Christian Muslim Democrats) in Minda-nao. Noch wenige Tage vor dem Massaker hatte sich der ARMM-Chef Zaldy Ampatuan auf einer Parteiversammlung damit gebrüstet, dem ehema-ligen Verteidigungsminister Gilbert Teodoro und Protegé der Präsidentin bei der Präsidentschafts-wahl im Mai 2010 sämtliche Stimmen seiner Regi-on zu bescheren.

Straffreiheit als Staats„tugend“

„Welche Sorte Tier sind diese Killer? Wir sind schockiert und wütend. Dies ist unbeschreiblich und zutiefst verabscheuenswürdig. Dies ist ein be-stialischer Akt der widerwärtigsten Art. So etwas habe ich bislang noch nicht erlebt – brutalste Rücksichtslosigkeit im Namen von Macht. Dies ist ein Affront gegen jedwede Form von Menschlich-

keit.“ Diese erste Reaktion auf das Massaker aus dem Munde der damaligen Vorsitzenden der staat-lichen Menschenrechtskommission (CHR) und heutigen Justizministerin, Leila de Lima, brachte die Grundstimmung der Filipinos auf den Punkt [3]. Zumal sie von einer Person geäußert wurde, die sich nicht scheute, mehrfach mächtige politi-sche Clans im Lande und das Treiben der von ihnen unterhaltenen Privatarmeen öffentlich an-geprangert zu haben. De Lima war es auch, die die zuvor von internationalen Menschenrechtsorgani-sationen wie Amnesty International und Human Rights Watch sowie die vom UN-Sonderberichter-statter für außergerichtliche Hinrichtungen und das Verschwindenlassen von Personen, Professor Philip Alston, geäußerte Kritik an der Amtsfüh-rung der Arroyo-Administration aufgriff und ein Ende der in ihrem Land praktizierten Politik der Straffreiheit forderte.

Seit dem Amtsantritt von Frau Arroyo Ende Januar 2001 bis zum Massaker in Maguindanao sind über 1.000 Menschen Opfer außergerichtlicher Hinrich-tungen geworden und über 200 Personen „spurlos verschwunden“ – allesamt Opfer, die im Rahmen des staatlichen Aufruhrbekämpfungsprogramms Oplan Bantay Laya (Operationsplan Freiheitswacht) als vermeintliche Kommunisten oder Terroristen gebrandmarkt und buchstäblich liquidiert wurden. Bislang ist keiner der Täter, die allesamt in Kreisen staatlicher Sicherheitskräfte und/oder von diesen gedungenen Schergen vermutet werden, zur Re-chenschaft gezogen, geschweige denn gerichtlich belangt und abgeurteilt worden.

Die ersten Reaktionen seitens der Regierung auf das Massaker waren – gelinde formuliert – befrem-dend. Zwar wurde es als „barbarisch“ verurteilt. Doch der AFP-Sprecher Oberstleutnant Romeo Brawner und Arroyos Pressesprecher Cerge Re-monde sprachen in diesem Zusammenhang ledig-lich von einem „Vorfall“. Lorelei Fajardo, die stell-vertretende Pressesprecherin der Präsidentin, zitierte ihre Vorgesetzte mit den Worten: „Das ist ein Vorfall zwischen zwei Familien in Mindanao. Wir sind davon nicht betroffen“. Natürlich war man später im Präsidentenpalast Malacañang be-müht, diese Aussagen zu relativieren und den 26. November 2009 im Gedenken an das Massaker als kurzfristig dekretierten nationalen Trauertag zu begehen. Die Präsidentin begründete dies mit den

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21 Menschenrechte

Worten: „Die Verpflichtung, die Menschenrechte und menschliche Würde zu achten, wird sich in den Philippinen durchsetzen!“

Um ihren Worten Taten folgen zu lassen, sandte sie ihren Berater für den Friedensprozess in Mindanao, Jesus Dureza, nach Maguindanao, um dort den Ampatuan-Clan zur Kooperation bei der Aufklärung des Massakers zu bewegen. Zeugen dieses Treffens berichteten, die Atmosphäre hätte eher der einer familiären Teeparty geglichen. Dreza begleitete sodann Andal Ampatuan Jr., den Hauptverdächtigen des Massakers, nach Manila, wo dieser der Nationalen Untersuchungsbehörde (NBI) überstellt wurde. Auf Anraten von Dureza und anderen Arroyo-Vertrauten verhängte die Präsidentin schließlich das Kriegsrecht über die beiden Provinzen Maguindanao und Sultan Kuda-rat sowie über Cotabato City, dem Sitz der ARMM-Regierung, und beauftragte Innenminister Ronal-do Puno, einstweilen deren Amtsgeschäfte zu übernehmen. Der PNP-Chef, Generaldirektor Jesus Verzosa, „beurlaubte“ mehrere hochrangige Poli-zeibeamte aus Shariff Aguak, der Hauptstadt Ma-guindanaos, die ebenfalls bei dem Massaker zuge-gen waren. Frau Arroyos ehemaliger Verteidi-gungsminister und enger Vertrauter, Gilbert Teo-doro, holte unverzüglich die Mangudadatus in die regierende Parteienkoalition, während gleichzei-tig drei Mitglieder des Ampatuan-Clans aus dieser ausgeschlossen wurden.

Gangstertum auf Gegenseitigkeit

Diese Reaktionen gossen Öl ins ohnehin lodernde Feuer. Täglich wuchs die Schar derer, die Frau Ar-royos Rücktritt forderten. Die in Umfragen unbe-liebteste Politikerin nach Marcos war in zahlreiche Korruptionsaffären verwickelt, musste mit Hilfe ihrer Seilschaften mehrere Amtsenthebungsver-fahren parieren und verdankte ihren Sieg bei der Präsidentschaftswahl 2004 einzig der Manipula-tion seitens der staatlichen Wahlkommission (Co-melec) [4]. Deren damaliger Chef, Virgilio Gar-cillano, hatte dafür gesorgt, dass Frau Arroyo die Wahl auch mit dem von ihr gewünschten Stim-menvorsprung gewann. Pikanterweise wurden die inkriminierenden Telefongespräche zwischen den beiden von Sicherheitskräften aufgezeichnet, in denen die Präsidenten ihren Freund „Hello Garci“ um eben diese Schützenhilfe gebeten hatte.

Im Sog des von ihr stets bewunderten US-Präsi-

denten George W. Bush ordnete Frau Arroyo ein Bündel von Maßnahmen an, um Dissens und Kriti-ker zu kriminalisieren und in die Nähe von „Ter-roristen“ zu rücken. Eine dieser Maßnahmen war die im Juli 2006 unterzeichnete Exekutivorder 546, die es lokalen Beamten und Politikern fortan auch de jure gestattete, privates bewaffnetes Personal im Kampf gegen den „Terrorismus“ als „Verstär-kungselement“ der staatlichen Sicherheitskräfte zu unterhalten und einzusetzen. Den eigentlichen Anlass dazu bildete, wie Jaileen F. Jimeno in einer Anfang September 2008 veröffentlichten Recher-che des Philippinischen Zentrums für investigativem Journalismus schrieb, ausgerechnet ein Wochen zuvor missglückter Anschlag auf Andal Ampatuan Sr. in Shariff Aguak, Frau Arroyos treuesten Gewährsmann in Mindanao.

Tatsächlich verkörperten die Ampatuans und Frau Arroyos Klientel politische Kongenialität par ex-cellence. Die Existenz des einen Lagers war ohne die des anderen nicht denkbar [5]. Erst unter Ar-royo erlangte der Ampatuan-Clan jene Machtfülle, die er bis Ende November 2009 genoss – ein Gang-stertum auf Gegenseitigkeit. Kein Wunder, dass die zahlreichen Kritiker der Ex-Präsidentin und die Hinterbliebenen der Opfer ihrer Gewaltpolitik auch mit der Menschenrechtslage im Lande unter dem seit Ende Juni 2010 amtierenden Präsidenten Benigno S. Aquino III unzufrieden sind. Sie drän-gen darauf, dass den Verantwortlichen des Ma-guindanao-Massakers und den dahinter stehenden politischen Drahtziehern dieses Verbrechens end-lich zügig der Prozess gemacht und ein wirksamer Zeugenschutz garantiert wird. Bis heute genießen die Hauptangeklagten privilegierte Haftbedingun-gen. 94 weitere Tatverdächtige werden noch ge-sucht und bereits sechs Zeugen sind ermordet worden [6]. Vielleicht werden ja jene Pessimisten Recht behalten, die davon ausgehen, dass die Ver-brechen des 23. November 2009 nie gesühnt wer-den, solange nicht die Expräsidentin Arroyo selbst vor den Kadi zitiert und in einem ordentlichen Gerichtsverfahren zur Rechenschaft gezogen wird. Vestigia terrent – die Spuren schrecken ab.

Anmerkungen & Literaturhinweise

[1] Die sterblichen Überreste eines 58. Todesopfers konnten nicht gefunden werden.

[2] Die ARMM mit Hauptsitz in Cotabato City ent-

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Menschenrechte 22

stand im August 1989 und umfasst heute die Pro-vinzen Lanao del Sur, Maguindanao, Basilan (ohne die Hauptstadt Isabela City), Sulu und Tawi-Tawi.

[3] Die CHR hat allerdings nur beratende, keine exekutive Funktion; sie kann lediglich Unter-suchungen durchführen und Empfehlungen aus-sprechen.

[4] Die Comelec ist keine Wahl(aufsichts)kom-mission im eigentlichen Sinne, sondern traditio-nell eine der korruptionsanfälligsten Behörden des Landes, um deren personelle Besetzung und politi-sche Einflussnahme unter den Eliten stets heftig gebuhlt wird.

[5] Siehe: Report of the Humanitarian and Fact-Finding Mission to Maguindanao, 25-30 November

2009 of the Freedom Fund for Filipino Journalists (FFF), National Union of Journalists of the Philip-pines (NUJP), MindaNews, Philippine Center for Investigative Journalism (PCIJ), Quezon City/Ma-nila 2009 & Center for People Empowerment in Governance (CenPEG) (2009): The Maguindanao Massacre and Politics of Violence. Issue Analysis No. 14/Series of 2009. Quezon City: November 28.

[6] Sixth Philippine massacre witness killed, BBC News Asia vom 28. Juni 2012; Festnahme nach Massaker mit 57 Toten auf Philippinen, in: Der Standard (Wien) vom 29. August 2012 & Olea, Ronalyn V. (2012): 1,000 days after, long battle for justice for victims of Ampatuan massacre looms, in: Bulatlat (Online Magazine – http://bulatlat.-com/main), Quezon City, August 24.

Reiche Eliten – öffentliche ArmutDie Verhältnisse in Maguindanao sind beileibe keine regionale Besonderheit. Das an der staatlichen University of the Philippines angesiedelte Forschungsinstitut Center for People Empowerment in Governance (CenPEG) hatte Ende 2009 ermittelt, dass landesweit etwa 300 Familiendynastien wie die Ampatuans existierten. Laut CenPEG waren im Jahr 2007 von den 265 Kongressabgeordneten 160 solch mächtigen Clans zuzuordnen. Diese schufen auf unterschiedliche Weise eine Kultur des systematischen Wahlbetrugs, wodurch sie sich recycelten und an der Macht hielten. Das Resultat: Über Generationen entstand eine Politikerkaste von Betrügern und Manipulatoren, ebenso korrupten wie mittelmäßigen und geschmierten Beamten, die zudem durch häufige Abwesenheit bei Kongresssitzungen auffielen und Pfründe notfalls mit Waffengewalt absichern. Landesweit gibt es schätzungsweise 1,1 Millionen nicht lizenzierte Schusswaffen, wovon allein in Mindanao etwa 110.000 zirkulieren. Arroyo selbst, Tochter des früheren Präsidenten Diosdado Macapagal (1962-65), war integraler Bestandteil dieser Maschinerie. Ihre beiden Söhne sowie eine ihrer Schwägerinnen und ein Schwager gehören wie sie (seit Juni 2010) ebenfalls dem Kongress an – von Intimfreunden ganz zu schweigen.

So mächtig und wohlhabend die Ampatuans waren und noch sind, so auffällig kontrastiert deren Privatvermögen mit der öffentlichen Armut und Rückständigkeit „ihrer“ Provinz. Amtlichen Statistiken ist zu entnehmen, dass die Armutsrate dort von 59,3 Prozent im Jahr 2000 auf 60,4 (2003) anstieg und 2006 62 Prozent betrug. Maguindanao ist gegenwärtig die landesweit zweitärmste Provinz und ARMM die ärmste Region. Kein Wunder, dass der Philippine Human Development Report (PHDR) konstatiert, dass nur 39,7 Prozent der Erwachsenen in Maguindanao sechs Jahre lang die Grundschule besuchten, während es im Landesdurchschnitt 84 Prozent seien. Laut PHDR weist Maguindanao zudem mit durchschnittlich 52 Jahren die zweitniedrigste Lebenserwartung im Lande auf – nur in einer anderen ARMM-Provinz, in Tawi-Tawi, lag diese mit 51,2 Jahren noch darunter. Laut Nationaler Statistikkoordinationsbehörde (NSCB) ist die Zahl der Gesundheitsstationen in Maguindanao von 2000 bis 2006 mit 163 konstant geblieben. Trotz alledem leisteten sich die Provinzoberen aus staatlichen Zuwendungen und ausländischen Investitionen neue Rathäuser. Allein der Bau des Kapitols in der Hauptstadt Shariff Aguak verschlang nahezu 116 Millionen Peso (umgerechnet zirka 2,4 Mio. Euro) – etwa das Doppelte der anfangs mit 60 Millionen Peso veranschlagten Summe.

Fisch & Vogel 79 – Dezember 2012

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23 Literatur

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Selbstverständlich freuen wir uns darüber hinaus stets über Ihre Ideen und Anregungen, Lob oder Kritik. Wir wünschen weiterhin viel Spaß beim Lesen.

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Gott, in Zeiten,

wenn wir Angst haben

die Hoffnung zu verlieren

und das Gefühl haben,

dass unsere Bemühungen

umsonst sind,

lass uns im Herzen und im Geiste

das Bild deiner Auferstehung sehen,

lass es die Quelle unseres Mutes

und unserer Kraft sein.

Mit dieser Hoffnung

und in Gemeinschaft mit dir

hilf uns, den Herausforderungen

entgegenzutreten

und gegen jede Ungerechtigkeit

zu kämpfen.

- Iona community -

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