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«Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden 299 Ökologie der Rhone – Resultate aktueller Erhebungen des Forschungsprojekts «Rhone–Thur»

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«Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden 299

Ökologie der Rhone – Resultate aktueller Erhebungendes Forschungsprojekts«Rhone–Thur»

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300 «Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden

EinführungAm Forschungsprojekt «Integrale Ge-wässerentwicklung Rhone-Thur» sindneben den federführenden InstitutionenEawag, WSL, VAW und EPFL auch das BWG, Buwal sowie die KantoneWallis, Thurgau und weitere Partner be-teiligt. Das Projekt besteht aus vierModulen • Systemanalyse (Modul I)• Entscheidungsanalyse (Modul II)• Flussgebietsmodellierung (Modul III)• Synergien und flussbauliche Mass-

nahmen (Modul IV).Ziel dieses transdisziplinären Projektesist es, durch problemorientierte wissen-schaftliche Beiträge aktuelle und künf-tige Flussbauprojekte, die neben Hoch-wasserschutz auch den Flusslebens-raum verbessern, zu unterstützen. DieZusammenarbeit zwischen Wissen-schaft und Praxis soll durch gemeinsameProjekte intensiviert werden. Die erstenForschungsobjekte wurden an der

Rhone und Thur in Angriff genommen.Über diese Zusammenarbeit hinaus sol-len praxisrelevante Erkenntnisse fürkünftige Flussrevitalisierungen in derSchweiz gewonnen werden. Das For-schungsvorhaben umfasst naturwissen-schaftliche, sozialwissenschaftliche so-wie flussbauliche Teilgebiete mit ver-schiedenen Schwerpunkten.Für die erfolgreiche Planung eines fluss-baulichen Projektes mit dem Ziel, denLebensraum zu verbessern, ist eine Zu-standsanalyse vor dem Baubeginn unab-dingbar. Mit den vorliegenden Publika-tionen möchten wir unsere aktuellenUntersuchungen zur Ökologie der Rhonevorstellen. Das Projekt «Dritte Rhonekor-rektion» will die Hochwassersicherheitsowie die biologischen und sozio-öko-nomischen Funktionen wiederherstellenoder verstärken. Die aktuellen ökologi-schen Randbedingungen werden in denfolgenden Artikeln aufgezeigt und Mög-lichkeiten zur Verbesserung der ökologi-

schen Situation diskutiert. Diese Bei-träge sind als Standortbestimmung zuverstehen und sollen zur Diskussion überdie künftige Entwicklung der Rhone bei-tragen. Nicht alle Fachgebiete und Fluss-abschnitte des umfangreichen Rhone-systems konnten abgedeckt werden.Weitere Analysen werden nötig sein, umdas System Rhone umfassender zu ver-stehen. Die dritte Rhonekorrektion hateinen Zeithorizont von 25 bis 30 Jahren.In dieser Zeit soll es gelingen, wasser-bauliche, ökologische und sozio-ökono-mische Anliegen eng miteinander zu ver-knüpfen.

Anschrift des VerfassersDr. Armin Peter, Eawag, Forschungszen-trum für Limnologie, CH-6047 Kasta-nienbaum.

Weitere Informationen zum Projekt«Rhone–Thur»: www.rhone-thur.eawag.ch

Inhalt

• Infiltration von Flusswasser ins Grundwasser – Markus Fette, Eduard Hoehn, Bernhard Wehrli Seite 301

• Wie verändert die hydroelektrische Nutzung die Wassertemperatur der Rhone? – Werner Meier, Alfred Wüest Seite 305

• Erfolgskontrolle der Vegetationsdynamik – Christian Roulier, Gaëlle Vadi Seite 309

• Ökologischer Zustand der Rhone: Benthische Evertebraten und Uferfauna – Klement Tockner, Ute Karaus, Achim Paetzold, Simone Blaser Seite 315

• Schwebstoffe in der Rhone von 1904 bis 2003 – Barbara Imhof, Peter Baumann, Mira Portmann Seite 318

• Makrozoobenthos und Hydraulik in ausgewählten Querprofilen der Rhone – Peter Baumann, Tobias Meile Seite 320

• Die Rhone als Lebensraum für Fische – Armin Peter, Christine Weber Seite 326

Ökologie der Rhone – Resultate aktueller Erhebungendes Forschungsprojekts «Rhone–Thur»

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Infiltration von Flusswasser ins Grundwasser■ Markus Fette, Eduard Hoehn, Bernhard Wehrli

ZusammenfassungDurch den Bau und Betrieb der grossenSpeicherkraftwerke im Wallis wurde dieFliesscharakteristik der Rhone stark ver-ändert. Der Winterabfluss wird durch denKraftwerkseinfluss generell erhöht, dieSommerhochwässer hingegen abge-schwächt. Überlagert wird dieses saisonaleAbflussverhalten durch täglich schwan-kende Wasserstände, die durch die Peak-stromproduktion der Wasserkraftwerke ver-ursacht werden. Das Flussbett der Rhonezwischen Sion und Martigny ist stark kanali-siert. Dadurch wird der Geschiebetrieb mo-difiziert. Diese Modifikation bewirkt eine Kol-

mation der Gewässersohle. Der Austauschzwischen Fluss- und Grundwasser wird da-durch eingeschränkt. Messungen in einemUntersuchungstransekt (1998–2003) beiFully zwischen Sion und Martigny und ihreAuswertung zeigten, dass nach Beginn der Schneeschmelze im Mai und nachÜberschreiten eines Durchflusses von 180 m3s-1 Flusswasser offenbar über denoberen Uferbereich ins Grundwasser infil-trierte.Im Rahmen der dritten Rhonekorrektion sindRevitalisierungsmassnahmen vorgesehen.Diese bestehen in einer Aufweitung des Ge-

rinnes der Rhone. Dies könnte zu Verände-rungen in der Durchlässigkeit der Flusssohleund der Uferrandbereiche führen. DieseVeränderungen könnten die heutige geringeDynamik des Infiltrationsprozesses verän-dern. Eine erhöhte Durchlässigkeit derSohle würde beispielsweise kürzere Fliess-zeiten des Grundwassers bewirken, was fürverschiedene Nutzungen unerwünscht ist.Zudem würde dies die Entwässerung land-wirtschaftlicher Nutzflächen erschweren.Deshalb ist bei Aufweitungen dem Aus-tausch zwischen Fluss- und GrundwasserAufmerksamkeit zu schenken.

EinleitungAlpine Wasserkraftanlagen in der Schweizsind für die Erzeugung von elektrischer Ener-gie bedeutsam. Für die Nutzung der Spei-cherkraft wird Wasser aus hochalpinen Stau-seen über Druckleitungen zu den im Tal gele-genen Kraftwerksturbinen geleitet. Nach demAbarbeiten wird das Wasser in Flüsse einge-leitet und verursacht dort Schwankungen desWasserspiegels. Dieses als Schwall undSunk bezeichnete Phänomen kann stellen-weise zu beträchtlichen, kurzzeitigen Was-serspiegelschwankungen führen, welche un-erwünschte Auswirkungen auf das Ökosys-tem haben.

Die Rhone ist ein Gewässer mit star-ken Hochwässern. Niederschläge auf der Al-pensüdseite greifen vor allem in den Südtä-lern des Wallis östlich des Monte-Rosa-Mas-sivs über den Alpenhauptkamm hinüber undkönnen dort höhere Abflussspitzen in denSeitenbächen der Rhone als im übrigen Wal-lis hervorrufen (Biedermann 1996).

Dies führt dazu, dass Hochwässerweitgehend oberhalb von Sion entstehen undder Fliessbereich der Rhone unterhalb vonSion bis zum Genfersee (Bild 1A) besondersgefährdet ist. Während der Hochwasserer-eignisse von 1987 und 1993 wurden im Ge-biet von Fully zahlreiche Durchsickerungenvon Wasser durch den Damm als erste Anzei-chen für einen bevorstehenden Dammbruchbeobachtet, was deutlich machte, dass derZustand der Hochwasserdämme und die Ab-flusskapazität in diesem Fliessabschnitt un-zureichend sind (Kanton Wallis, Dienststellefür Strassen- und Flussbau 2000).

Aufgrund der anstehenden Klimaver-änderungen ist mit häufigeren und intensive-

ren Hochwasserereignissen zu rechnen, waseine Überprüfung des derzeitigen Hochwas-serschutzkonzeptes notwendig macht (Freiund Schar 2001, Schädler 2002). Das Projekt«Dritte Rhonekorrektion» hat zum Ziel, die ungenügende Sicherheit vor Hochwässernzu verbessern. Moderne Konzepte von Fluss-korrektionen schliessen Aufweitungs- undandere ökologische Renaturierungsmass-nahmen mit ein (Willi 2001).

Das Flussbett erfüllt eine Funktion alsFilterschicht, die das Austauschverhaltenzwischen Fluss- und Grundwasser beein-flusst (Schälchli 1992). Besonders in voralpi-nen Talsohlen liegen Flüsse auf gut durchläs-sigem alluvialem Schottermaterial, und esbestehen Wechselwirkungen zwischen Flussund Grundwasser (Infiltration, Exfiltration[Hoehn 2002]). Eine Akkumulation von Fein-material im Flussbett führt zu dessen Abdich-

G1 G2

Grundwasser

DammRhone

Grundwassermessstellen

S1 G12,5m 44.2m

A

B

Martigny

Sion

Sierre

Visp

Brig

Zermatt

Riddes

DixDix

MauvoisinMauvoisin

Fullyllyllylly

Bild 1. Untersuchungsgebiet zwischen Sion und Martigny. A: Lage des Grundwasser-messnetzes. B: Transekt mit Messstelle Rhone (S1) und Grundwassermessstellen (G1 und G2). Die Messstellen sind mit Dataloggern ausgerüstet (Tiefe 4,1 m bzw. 3,5 munter GOK) für kontinuierliche Aufzeichnung von Wasserstands- und Temperatur-daten (Intervall: 2 h).

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tung/Verstopfung (Kolmation). Alpine Was-serkraftanlagen vermindern die Anzahl undAmplitude von Hochwasserereignissen. Inden meist monoton gestalteten Flussquer-profilen führt dies zu vermindertem Geschie-betrieb und damit zu einer zunehmenden Ak-kumulation von Feinmaterial im Flussbett(Murle et al. 2003). Eine verstärkte Tendenzzur Kolmation im Uferrandbereich als Folgeder Wasserkraftnutzung schränkt dieseWechselwirkungen ein. Weit reichende Fol-gen einer eingeschränkten Wechselwirkungbestehen insbesondere für die Biodiversität.Verschiedene Insektenarten verbringen einenTeil ihres Lebenszyklus sowohl im Oberflä-chen- als auch im Grundwasser. Sie profitie-ren deshalb von einem guten Wasseraus-tausch zwischen Fluss und Grundwasser(Brunke und Gonser 1997, Gonser 2000). Kol-mation reduziert den Porenraum im Flussbettund unterbricht Migrationswege für aquati-sche Organismen (Walther 2002). Als Habitatbietet das Flussbett einen Lebensraum für In-vertebraten und ermöglicht die Reproduktionund Weiterentwicklung von Fischen (Brunkeund Gonser 1997). Bei einer Aufweitung vonFlussläufen könnte die Fliesszeit des frischinfiltrierten Wassers verkürzt werden unddadurch Mikroorganismen und Schadstoffeleichter in Trinkwassergewinnungsanlagenaus Grundwasser gelangen (Regli et al. 2004).Für eine ökologisch sinnvolle Revitalisierungvon Alpenflüssen mit intensivem Schwall und Sunk und grossem Hochwasserpoten-zial muss auch der Austausch zwischen Flussund Grundwasser über Flussbett und Uferbe-reich betrachtet werden (Ward 1989).

Auf der einen Seite bietet dieserGrenzbereich einen Lebensraum für Inverte-braten und ermöglicht die Reproduktion und

Weiterentwicklung verschiedenster Fischar-ten. Auf der anderen Seite erfüllen sie eineFunktion als Filterschicht für die Selbstreini-gung des Wassers (Schälchli 1992). Ziel einerganzheitlichen Revitalisierung muss es dahersein, die ökologische Funktionsfähigkeit si-cherzustellen und die Trinkwassergewinnungmöglichst wenig zu tangieren. Im Rahmendes Rhone-Thur-Projektes wurde ein Verfah-ren entwickelt, die Wechselwirkungen zwi-schen Oberflächen- und Grundwasser zuquantifizieren.

Quantifizierung der Wechsel-wirkung zwischen Oberflächen-und GrundwasserWechselwirkungen zwischen der Rhone unddem Grundwasser können im Grundwasserüber Mischungsanteile und Aufenthaltszeitenim Untergrund abgeschätzt werden. Nebenchemischen Wassertracern bietet sich hierfürin günstigen Fällen die kontinuierlich mess-bare Wassertemperatur an. Im Rahmen einerIst-Zustand-Untersuchung wurde festge-stellt, dass die Rhone in einzelnen Profilenzwischen Sion und Martigny eine kolmatierteFlusssohle aufweist (Baumann in Vorb., vgl.Artikel Baumann und Meile in diesem Heft).Die täglichen Abflussspitzen in der Rhone,verursacht durch den Schwall-und-Sunk-Betrieb der Wasserkraftwerke, haben eine zugeringe Schleppkraft, um die Verdichtung/Verstopfung des Flussbettes rückgängig zumachen. Im Untersuchungstransekt in derNähe von Fully, das in einem Bereich erhöhterDammbruchgefahr liegt (Kanton Wallis,Dienststelle für Strassen- und Flussbau2000), konnten diese Vorgänge studiert wer-den. Kennzeichnend für die Rhone im Fliess-abschnitt zwischen Sion und Martigny ist ein

Doppelprofil, bestehend aus einem durchBlockwurf begrenzten Hauptgerinne undeinem mit Vegetation bewachsenen Vorlandvor dem Hochwasserdamm (Bild 1B). DasTransekt eignet sich gut für die Untersuchun-gen, da es unterstrom der Wasserrückgabender Kraftwerke Grande Dixence und Mauvoi-sin liegt und sich durch ausgeprägte Wasser-stands- und Temperaturschwankungen aus-zeichnet. Diese sind in zweistündigen Inter-vallen aufgezeichnet und liegen seit Ende1998 vor (Bild 2A).

Die Wassertemperatur in der Rhonewird natürlicherweise durch den Energieaus-tausch mit der Atmosphäre und dem Sedi-ment sowie durch die Reibungswärme beein-flusst (Meier et al. 2003). Überlagert wird dasTemperaturregime von der temporären Ein-leitung von Turbinenwasser der Speicher-kraftwerke. Im Boden bewirken zwei Mecha-nismen Wärmeausgleichsbewegungen: Imfliessenden Grundwasser gleicht die Wärme-leitung Temperaturgradienten in der Boden-matrix und im Wasser aus. Durch Advektionwird Wärme mit einem Grundwasserpaketentlang des Fliessweges transportiert. In einerGrundwassermessstelle resultieren aus demZusammenspiel dieser beiden Prozesse zeit-lich versetzte Temperaturmuster (Schacht-schabel et al. 1998).

Der Temperaturdatensatz von Fullyerstreckt sich über eine Fünfjahresperiodevon Oktober 1998 bis September 2003 undumfasst ca. 21200 Werte pro Grundwasser-messstelle. Langzeitreihen werden mit derMethode der Kreuzkorrelation miteinanderverglichen (Hartung 1999, Chatfield 2004).Hierbei wird ermittelt, inwieweit zwei Zeitrei-hen ein gleichartiges, aber zeitlich versetztesMuster ihres Verlaufs aufweisen. Diese Korre-lation wird mit einem Koeffizienten quantifi-ziert, der eine Aussage über die Stärke derKorrelation macht. Durch den Vergleich derZeitreihen der Wassertemperatur der Rhoneund des Grundwassers konnte deren Infiltra-tionsrate ins Grundwasser abgeschätzt wer-den. Die Verwendung eines Hochpassfiltersmacht es möglich, die Infiltrationsraten beiNiedrig- und bei Hochwasser voneinander zuunterscheiden.

Ergebnisse und DiskussionDie saisonale Temperaturschwankung derRhone bildet sich abgeschwächt und zeitlichversetzt in den Grundwasser-Messstellen G1 und G2 ab (Bild 2A). In den MessstellenS1, G1 und G2 konnte mit Hilfe der Kreuzkor-relation eine Verschiebung der Maximal-temperatur zwischen S1 und G1 zu 732 h (~1 Monat) und zwischen G1 und G2 zu 2042 h (~3 Monate) quantifiziert werden(Bild 3A). Die Wärmebewegung des Grund-

Bild 2. Quasi-sinusoidaler Verlauf der Wassertemperaturen in den Messstellen S1, G1und G2. A: Die Ganglinien sind gegeneinander zeitlich verschoben. B: Situation imWinter: Die Rhone wird durch Einleitung wärmeren Reservoirwassers aufgeheizt.

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wassers wird durch eine Interaktion mit derBodenmatrix verzögert. Dies bedeutet, dassdie aus einer Kreuzkorrelation abgeleitetezeitliche Verschiebung des Wärmesignalsnicht direkt den Transport eines Wasserpa-kets charakterisiert. Vielmehr muss die Ver-schiebung des Wärmesignals durch einenthermischen Retardationsfaktor R korrigiertwerden (Gleichung 1 [De Marsily 1986]):

wobei β als dimensionsloser Koeffizient dieVerteilung der Wärmeenergie zwischen Was-ser und Boden beschreibt und n die effektivePorosität darstellt. Unter natürlichen Be-dingungen nimmt der Koeffizient β Wertezwischen 0,3 und 0,7 an (De Marsily 1986). Bei bekanntem Wert für β und bekannterFliessdistanz x des Infiltratwassers zwischenRhoneufer und den Grundwasser-Messstel-len kann aus Gleichung 1 die Abstandsge-schwindigkeit des Grundwassers va abge-schätzt werden.

Bei bekannter Abstandsgeschwin-digkeit des Grundwassers va, Gefälle J undeffektiver Porosität n, kann aus dem Darcy-Gesetz (Gleichung 2) die Durchlässigkeit kf

und die spezifische Infiltrationsrate q be-stimmt werden:

Die kf-Werte für den Bereich zwischen S1 undG1 (3·10-6 – 6·10-6 ms-1) sind um zwei bis dreiZehnerpotenzen kleiner als diejenigen zwi-schen G1 und G2 (7·10-4 – 2·10-3 ms-1), waswir im Sinne einer Kolmatierung des Fluss-bettes interpretieren (Tabelle 1).

Aus Gleichung 2 folgten Werte für qzwischen 0,02 und 0,1 m3m-2d-1 für den Ufer-randbereich zwischen S1 und G1 bei Niedrig-wasser. Diese spezifischen Infiltrationsratensind klein, verglichen mit den von Hoehn(2002) in einer Studie über verschiedeneFlüsse in der Schweiz festgestellten Werten (q = 0,05 m3m-2d-1 – 3 m3m-2d-1).

Tagesgang der TemperaturDas für die Turbinierung verwendete Wasseraus den Stauseen im Untersuchungsgebietweist übers Jahr gesehen Temperaturen zwi-schen 4°C und 6,5°C auf (Meier 2004). ImWinter bedeutet dies für das Rhonewasser(natürliche Temperaturminima <4°C) eine Er-wärmung durch den Schwallbetrieb derKraftwerke um mehr als 2°C. Im Frühling undSommer kommt es durch das Turbinenwas-ser zu einer Abkühlung des natürlichen Rho-neabflusses von ca. 1°C (vgl. Artikel Meierund Wüest in diesem Heft) gegenüber demnatürlichen Temperaturniveau.

Im Untersuchungsgebiet wird dieserTagesgang der Temperatur im Sommer bis

n

nR

)1(1

J

qk f avnq und

Parameter Messstellen Messstellenbei Niedrigwasser < 460 mü.M. bei Hochwasser > 460 mü.M.

S1–G1 G1–G2 S1–G1

Zeitverschiebung [h] 732 2042 14

Fliessdistanz x [m] 2,5 44,2 2,5

Effektive Porosität n [–] 0,1–0,2 0,1–0,2 0,1–0,2

Koeffizient β [–] 0,45–0,54 0,45–0,54 0,45–0,54

Verzögerungsfaktor R [–] 2,8–5,9 2,8–5,9 2,8–5,9

Grundwassergefälle J [‰] 95–192 2–5 95–192

va [md-1] 0,2–0,5 1,5–3,0 23–27

kf [ms-1] 3·10-6– 6·10-6 7·10-4 – 2·10-3 1·10-4– 3·10-4

q [m3m-2d-1] 0,02–0,1 0,2– 0,6 5 –14

Tabelle 1. Aus den Gleichungen 1 und 2 berechnete Parameter für die Abstands-geschwindigkeit va, die hydraulische Durchlässigkeit kf sowie die spezifischeInfiltrationsrate q. Die Werte für ‚und n wurden abgeschätzt.

Bild 3. Wasserstand- und Temperaturverlauf in der Rhone (S1) und im Grundwasser(G1, G2). A: Kreuzkorrelation über den kompletten Datensatz zwischen den Tempera-turganglinien von S1–G1(rot) und G1–G2 (grün). B: Kreuzkorrelation über die Sommer-(Mai bis Oktober) bzw. Winterdaten (November bis April) zwischen S1–G1. C: Dieverstärkten Temperaturschwankungen von G1 ( rot) zeigen die beginnendeInfiltration von Rhonewasser in den Aquifer beim Überschreiten der Höhenkote vonca. 460 m ü.M. (grauer Balken) im Rhoneabfluss S1 (P).

ins Grundwasser hinein übertragen undkonnte im Nahbereich des Ufers (G1) gemes-sen werden (Bild 3C). Eine Kreuzkorrelationfür saisonal getrennte Datensätze S1–G1bzw. G1–G2 zeigte für den Zeitraum zwi-schen 1998 und 2003, dass der Temperatur-tagesgang im Grundwasser nur im Sommer

messbar war (Bild 3B). Eine Betrachtung desTemperaturprofils in der Messstelle G1 wäh-rend der Schneeschmelze im Jahr 2004machte dies im Rohdatensatz deutlich (Bild3C). So stieg die Grundwassertemperatur inder Messstelle G1 während der Schnee-schmelze. Bei einem Wasserstand von ca.

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460 m ü.M. (~180 m3s-1) begann sie, täglicheTemperaturschwankungen zu zeigen. G2zeigte keinerlei Tagesvariationen. Mit Hilfeeiner Hochpassfilterung der Sommerdaten inBild 3B konnte gezeigt werden, dass dasTemperaturausgangssignal in S1 bereitsnach 14 Stunden in der Messstelle G1 nach-weisbar ist. Dies ist ein Hinweis auf erhöhteInfiltration von Rhonewasser in den Aquifer,welche von hydrologisch aktiven Makroporenin der oberen Flusssohle (z.B. Wurmlöcherund Wurzelkanäle) herrühren könnte.

Mit dem gleichen Ansatz, wie er durchdie Gleichungen 1 und 2 beschrieben wurde,konnte auch eine Infiltrationsrate für Som-merhochwasser errechnet werden (Tabelle 1).Daraus wird abgeleitet, dass die Infiltrations-menge im oberen, nicht ständig benetztenUferbereich gegenüber dem kolmatiertenBereich um das 250- bis 700fache erhöht ist.Die Bandbreite der von Hoehn (2002) gefun-denen Werte kann somit im Fall von Hoch-wasser zu grösseren Durchlässigkeiten hinerweitert werden. Diese Erkenntnisse deckensich auch mit Erfahrungswerten im ThurgauerAbschnitt des Thurtals. Dort wird das Grund-wasservorkommen in einem beträchtlichenUmfang von der Thur gespeist: ca. 80%stammen aus dem Einsickern von Thurwas-ser, das allerdings nur bei Hochwasser und ei-nige Zeit danach wirklich intensiv ist (Amt fürUmwelt 2003, unveröffentlicht).

Die Verwendung von kontinuierlichenTemperaturdaten unter den im Untersu-chungsgebiet herrschenden Randbedingun-gen ist ein guter Indikator für die Bestimmungsaisonal schwankender Infiltrationsverhält-nisse zwischen Fluss- und Grundwasser. Ausden ausgewerteten Daten kann daher im vor-liegenden Fall für das Untersuchungsgebietzwischen Sion und Martigny von einer perma-nent bestehenden Abdichtung der Gewässer-sohle ausgegangen werden. Dies wird bestä-tigt durch hydraulische Berechnungen in ein-zelnen Querprofilen, die allerdings nur bis zueinem Maximalschwall von ca. 110 m3/sdurchgeführt wurden (vgl. Artikel Baumannund Meile in diesem Heft). Die verstärkte Infil-tration der Rhone bei Fully ab einem Durch-fluss von ca. 180 m3s-1 erfolgt wahrscheinlichdurch den Anstieg des Wasserspiegels in hö-here und besser wasserdurchlässige Ufer-randbereiche und nicht durch ein Aufreissender Kolmation.

Dank

Wir danken den folgenden Personen für ihre Hilfe

bei Probennahmen, Zugang zu bestehenden Da-

tensätzen sowie deren wissenschaftlichen Input:

Kanton Wallis: Alexandre Vogel

Büro BEG (Vétroz): René Décorvet

Eawag: Jürg Beer, Michael Schurter.

Literatur

Amt für Umwelt, K. T. (2003) unveröffentlicht: Aus-

wirkungen der 2. Thurgauer Thurkorrektion auf die

Grundwassernutzung, Projektbeschrieb.

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Anschrift der Verfasser

Dipl. Ing. Markus Fette, Prof. Dr. Bernhard Wehrli,

Eawag, Forschungszentrum für Limnologie,

CH-6047 Kastanienbaum, E-Mail: markus.fette@

eawag.ch

Dr. Eduard Hoehn, Eawag, Ueberlandstrasse 133,

CH-8600 Dübendorf.

Rhone-Thur-Projekt – Subprojekt SP I-1Einfluss von Schwall und Sunk

auf das GrundwasserZiel einer Revitalisierung der Rhone istunter anderem, die Durchgängigkeit desFluss-Grundwasser-Systems wiederher-zustellen. Die folgenden beiden Themenstehen im Mittelpunkt dieser wissen-schaftlichen Arbeit:1. Grundwasser als Teil von Fliessgewäs-serökosystemenWasserkraftnutzung kann die Wechselwir-kungen zwischen Oberflächenwasser undGrundwasser verändern. Dies hat Auswir-kungen auf die Biodiversität der aquati-schen Kleinfauna sowie auf Nutzungsar-ten des Grundwassers (a). 2. Traceruntersuchungen zum Austauschzwischen Fluss- und GrundwasserNeben den hier vorgestellten kontinuier-lichen Messungen der Grundwasser-spiegel und -temperaturen erlaubt dieVerwendung geochemischer Tracer eineBeschreibung der Wechselwirkungenzwischen Oberflächenwasser und Grund-wasser (z.B. die ebenfalls kontinuierlichmessbare spezifische elektrische Leitfä-higkeit). Den stabilen Isotopen des Sauer-stoffs und des Wasserstoffs kommt dabeieine grosse Bedeutung zu, da sie als Be-standteile des Wassermoleküls für denAustausch zwischen Fluss- und Grund-wasser gut geeignet sind (b).(a) Fette M., Weber, C., Peter, A. and Wehrli, B.: Hydro-

power and river rehabilitation. A case study on an al-

pine river. Journal for Nature Conservation, submitted.

(b) Fette M., Kipfer, R., Hoehn, E., Schubert, C. and

Wehrli, B.: Assessing river-groundwater exchange in

the regulated Rhone river (Switzerland) using stable

isotopes and geochemical tracers. Applied Geoche-

mistry, in press.

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«Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden 305

1. Flusstemperatur – zentrale Grundlage der Gewässerökologie

Für die Zusammensetzung und Entwicklungaquatischer Lebensgemeinschaften in Flüs-sen spielt die Wassertemperatur eine ent-scheidende Rolle. Entsprechend führen grös-sere Eingriffe in den Wärmehaushalt vonGewässern zu Verschiebungen in der Gewäs-serbiozönose. Die intensive Nutzung derWasserkraft in den Alpen beeinflusst dieFlusstemperaturen auf unterschiedlicheWeise: Zwischen Entnahme und Rückgabedes Flusswassers, auf der so genannten Rest-

Wie verändert die hydroelektrische Nutzungdie Wassertemperatur der Rhone?■ Werner Meier, Alfred Wüest

ZusammenfassungDer Betrieb der hydroelektrischen Kraft-werke im Wallis glättet den ursprünglichen(natürlichen) Jahresverlauf der Wassertem-peratur der Rhone. Im Winter liegt heute dieTemperatur bis zu 2°C über dem natürlichenNiveau, da turbiniertes Wasser aus den tem-perierten Stauseen die Rhone erwärmt. ImFrühling und Sommer ist sie heute ca. 1°Ckühler, was vor allem auf den Entzug derEnergie (11 TWh pro Jahr) durch die Strom-produktion zurückzuführen ist. Der Wegfallder Reibung in den Seitenbächen entsprichteiner mittleren Temperaturabnahme von1,6°C. Im Jahresmittel ist jedoch, trotz des

kühlenden Effekts der Stromproduktion, dieTemperatur der Rhone praktisch gleich wievor hundert Jahren, da diese Abkühlungdurch die sommerliche Erwärmung derStauseen und eine generelle Temperaturzu-nahme (wahrscheinlich klimatisch bedingt)kompensiert wurde. Auch bezüglich der jährlich in den Genfer-see eingetragenen Wärmemenge (ca. 55TWh, relativ zu 0°C) hatte der Bau der Kraft-werke wenig Einfluss – jedoch wird etwa einAchtel dieser Wärmemenge durch die Stau-seen vom Sommerhalbjahr ins Winterhalb-jahr übertragen. Durch die Produktion von

Spitzenstrom (Schwall/Sunk) können v.a. imMärz/April und September/Oktober in derRhone kurzfristig Temperaturschwankun-gen von bis zu ~2,5°C auftreten. Die grössten ökologischen Defizite bei derWassertemperatur sind einerseits die voll-ständig fehlende seitliche Temperaturvaria-bilität der Rhone – infolge der Kanalisierungwurden Totarme und Stillwasserzonenbeseitigt – und andererseits die kurzfristi-gen Temperaturschwankungen durch dieWasserkraftnutzung. Vor allem in den Sei-tenbächen können Letztere mehrere °C be-tragen.

Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez0

2

4

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12

14

Tem

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Rho

ne [°

C]

Monatsmittelwerte 1971–2002 (Minimum, Mittel und Maximum)Tägliche Messungen 1904/05 Monatsmittelwerte 1886 Monatsmittelwerte 1904/05

Bild 1. Temperaturen der Rhone bei Porte du Scex: Vor demBau der Kraftwerke (in Farbe): Tägliche Messwerte (~15:30)von April bis November 1904 und März 1905 (Uetrecht 1906;rot), deren Monatsmittelwerte sowie Monatsmittelwerte derim Januar, Februar und Dezember 1886 um 12:00 gemessenenTemperaturen (Forel 1892; blau). Aktuelle Temperaturen (inGrau; BWG, 2004): Mittel und Extrema der Monatsmittelwerteaus den Jahren 1971 bis 2002 (grau eingefärbtes Band). Dievertikalen Balken stellen die maximalen und minimalengemessenen Einzelwerte von 1982 bis 2002 dar.

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 280

2

4

6

8

10

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14Max. 2003

Tem

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[°C

]

Lufttemperatur 1904/05 [°C]

Bild 2. Beziehung zwischen täglich erfasster Temperatur derRhone in Porte du Scex (~15:30) und Lufttemperatur inVilleneuve (13:00) für April – November 1904 und März 1905(Uetrecht 1906). Die vom BWG im Extremsommer 2003gemessene maximale Rhone-Temperatur (12,7°C; Pfeil)übertraf die historischen Werte nicht, weil die enormeGletscherschmelze kühlend auf die Rhone wirkte.

wasserstrecke, erwärmt sich das Wasser imSommer aufgrund des geringeren Abflusses(Meier et al. 2003) – und wird im Winter gele-gentlich gekühlt (inkl. Grundeisbildung). Dasbeim Kraftwerksauslass in den Fluss eingelei-tete Wasser ist hingegen oft unnatürlich kalt(fehlende Erwärmung im Flussbett), undSchwall-/Sunk-bedingte Schwankungen imAbfluss führen kurzfristig zu grossen Tempe-ratursprüngen. Zudem verändern auch an-dere Eingriffe und die klimatische Erwärmungdie Flusstemperaturen (Jakob et al. 1996).

Die Auswirkungen der Wasserkraft-nutzung auf das Temperaturregime, und in der

Folge auf die Ökologie eines Flusses, werdenam Beispiel der Rhone im Rahmen des Rhone-Thur-Projektes untersucht. Dazu wird auf his-torische (Uetrecht 1906 und Forel 1892) undaktuelle Messdaten der Temperatur und desAbflusses zurückgegriffen (BWG 2004; Meier2004; MeteoSchweiz 2004), und die Tempera-turveränderungen werden in den Kontext vonflussbaulichen Massnahmen gestellt.

2. Wassertemperaturen derRhone – einst und heute

Messreihen von Flusstemperaturen, welchevor dem Bau der grossen Wasserkraftwerke

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der Alpen erhoben wurden, sind äusserst sel-ten. Umso erfreulicher, dass für die Rhonezwei solche Aufzeichnungen existieren – von1886 (Forel 1892) und von April 1904 bis März1905 (Uetrecht 1906) – welche die Flusstem-peraturen ohne die Einwirkung hydroelektri-scher Nutzung dokumentieren. Der Vergleichin Bild 1 lässt erkennen, dass die Rhone frü-her im Winter (blau) deutlich kühler und imFrühling/Sommer (rot) leicht wärmer war alsheute (graues Band; BWG 2004). Die insge-samt tiefen Temperaturen sind jedoch cha-rakteristisch für das zu einem grossen Teilvergletscherte Einzugsgebiet der Rhone.

Sowohl Abfluss als auch Wassertem-peratur sind, neben dem saisonalen Verlauf,kurzfristigen wetterbedingten Schwankun-gen unterworfen. Die Messwerte von 1886und 1904/05 (als «historisch» bezeichnet)sind deshalb nicht notwendigerweise für die«Vor-Kraftwerks-Zeit» repräsentativ. Um diehistorischen Messwerte mit den aktuellenDaten zu vergleichen und damit den Einflussder Wasserkraftnutzung zu isolieren, werdendiese Messreihen zunächst auf einen Jahres-verlauf mit durchschnittlichem Abfluss undLufttemperatur korrigiert. Als Vergleichspe-riode wird der Zeitraum von 1916 bis 1934verwendet (als «Referenz» bezeichnet). DiesePeriode der «Vor-Kraftwerks-Zeit» wurdegewählt, weil dann bereits kontinuierlicheMessungen des Abflusses und der Meteo-daten vorliegen. Da kurzfristige Temperatur-schwankungen in einem natürlichen Gewäs-ser vor allem durch Abfluss und Lufttempera-tur bestimmt sind (Neumann et al. 2003),verwenden wir für die Extrapolation auf dieReferenz-Bedingungen eine entsprechendeKorrektur erster Ordnung:

(Gl. 1)

Der zweite und dritte Term (rechte Seite vonGl. 1) stellen diese Korrekturen der Rhone-Temperatur relativ zu den historisch gemes-senen Monatsmittelwerten T hist dar. ∂T/∂Qgibt die Änderung der Rhone-Temperatur beivariierendem Abfluss an, welche mittels derhistorischen Monatsmittel bestimmt wurde.Qhist sind die monatlichen Abflusswerte, wel-che von Forel und Uetrecht erfasst wurden,und Q1916–1934 bedeuten die gemittelten mo-natlichen Abflüsse für die Referenz (1916 bis1934; BWG 2004). Entsprechend ergibt.(∂T/∂Q) •(Q1916–1934 – Qhist) in erster Näherungdie Abflusskorrektur auf Referenz-Bedin-gungen.

Für die Korrektur der Lufttemperaturverwenden wir die 1904/05 täglich gemesse-nen Luft- und Rhone-Temperaturen (Bild 2).Mit dem so bestimmten Zusammenhang(Polynom in Bild 2) zwischen LufttemperaturT Luft und der Rhone-Temperatur T (paramet-

)()( 1934191619341916 hist

LuftLuft

Luft

hist

histRef TTT

TQQ

Q

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Monat Rhone- Abfluss Mittlerer Lufttemp. Mittlere Referenz MittlereTemp. 1886 Abfluss 1886 Lufttemp. Rhone-Temp. Rhone-Temp.1886 [m3 s-1] 1916–1934 (Tagesmittel- 1916–1934 korrigiert für 1982–2002[°C] [m3 s-1] wert) [°C] Abfluss und [°C]

[°C] Lufttemp. [°C]

Januar 1,6 47 56 -1,3 -0,9 1,9 4,1

Februar 2,3 42 48 0,0 0,6 2,7 4,6

März 5 57 57 4,5 5,1 5,2 5,8

April 9,3 79 91 12,1 8,8 8,6 7,3

Mai 10,5 132 228 15,4 14,2 11,3 9,0

Juni 10,5 199 388 16,9 16,6 11,6 9,5

Juli 9,7 362 438 20,3 18,3 9,5 9,8

August 9,7 282 378 18,6 17,3 9,9 9,3

September 9,3 227 239 17,2 14,2 8,9 8,7

Oktober 8,4 123 123 11,4 8,5 7,6 7,7

November 4,8 84 83 5,0 3,4 4,2 5,7

Dezember 2,1 48 65 0,0 -0,8 2,0 4,5

Mittelwert 6,9 140 184 10,0 8,8 7,0 7,2

Monat Rhone- Abfluss Mittlerer Lufttemp. Mittlere Referenz Mittel ausTemp. 1904/05 Abfluss 1904/05 Lufttemp. Rhone-Temp. beiden

1904/05 [m3 s-1] 1916–1934 (13:00) 1916–1934 korrigiert für Referenzen[°C] [m3 s-1] [°C] (13:00) Abfluss und [°C]

[°C] Lufttemp. [°C]

Januar – 36 56 – – – 1,9

Februar – 25 48 – – – 2,7

März 6,4 33 57 7,6 5,8 6,2 5,7

April 9,7 149 91 12,9 10,8 8,4 8,5

Mai 10,8 314 228 16,0 14,0 9,8 10,6

Juni 10,2 520 388 19,8 17,8 10,1 10,8

Juli 11,1 492 438 23,8 20,9 11,0 10,2

August 9,6 378 378 21,3 18,3 9,2 9,6

September 8,8 181 239 15,4 13,2 8,9 8,9

Oktober 8,4 82 123 11,6 9,1 8,4 8,0

November 7,3 45 83 6,6 3,9 7,0 5,6

Dezember – 37 65 – – – 2,0

Mittelwert 191 184 7,0

Tabelle 1. Bestimmung der Referenztemperatur (1916–1934) aus den historischenMessungen vor dem Bau der Kraftwerke. Für die Durchführung der Korrektur sieheText. Oben: Temperaturdaten von 1886. Unten: Temperaturdaten von 1904/05. Rechtsunten: Referenz, als Mittelwert beider Datensätze.

Mittlere Mittlerer Abfluss Temperatur Temperatur Geschätzter GeschätzteRhone- Abfluss durch turbiniertes turbiniertes gefasster TemperaturTemperatur 1982–2002 Turbinen Stausee- Wasser [°C] (2) Abfluss QFass ohne WKW1982–2002 [m3 s–1] [m3 s–1] wasser [°C] (1) [m3 s–1] [°C] (3)

[°C]

Januar 4,1 121 70 4,5 4,0 4 (4)

Februar 4,6 128 72 4,5 4,3 0 (4)

März 5,8 127 70 4,0 5,0 0 6,9

April 7,3 133 58 3,8 5,7 16 8,5

Mai 9,0 229 56 4,3 7,7 54 9,7

Juni 9,5 317 62 5,0 8,0 134 10,1

Juli 9,8 335 54 5,2 6,5 157 10,3

August 9,3 294 66 5,2 6,9 150 10,0

September 8,7 211 72 5,4 6,6 100 9,8

Oktober 7,7 152 66 5,3 6,4 37 8,7

November 5,7 132 68 5,0 5,5 20 6,2

Dezember 4,5 118 62 4,5 4,3 10 (4)

Jahresmittel 7,2 192 65 4,7 5,9 56(1) Mittlere Temperatur der tubinierten Stauseewasser bei Nendaz, Mauvoisin und Emosson.(2) Die mittleren Temperaturen turbinierten Wassers, ermittelt aus den mittleren Temperaturdifferenzen der Rhone zwischen Arbeitstagen

(mit Turbinierung) und Wochenenden (ohne Turbinierung). Da bei dieser Abschätzung Flusskraftwerke eingeschlossen sind, liegendiese teilweise deutlich über den Temperaturen der Stauseen.

(3) Für die Abschätzung von TohneWKW wurde der Mittelwert von (1) und (2) verwendet. Der Unterschied ist < 0,1°C. Wird das gefasste Wassermittels der Gleichung

in die Temperaturbilanz einbezogen, so ergeben sich ~0,1 bis 0,2°C tiefere Werte.(4) Diese Abschätzung von TohneWKW funktioniert für die Wintermonate nur schlecht. Im Winter ist der Temperaturkontrast zwischen Rhone

und turbiniertem Wasser für eine Korrektur erster Ordnung zu gering und der Beitrag der Wasserkraftnutzung zum gesamten Abflusszu gross.

ohneWKWFassohneWKWFassturbturbmitWKWmitWKWohneWKW QQQ

TTQTQTQT /)}({

Tabelle 2. Abschätzung der Rhone-Temperatur ohne Einfluss Wasserkraftnutzung(gemäss Gl. 2).

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risiert durch ∂T/∂TLuft) und der DifferenzTLuft

1914–1936 – TLufthist zwischen der Lufttempe-

ratur zur Referenzzeit (TLuft1914–1936; Meteo-

Schweiz 2004) und der historischen Lufttem-peratur (TLuft

hist) wird mit dem dritten Term inGl. 1 die Wassertemperatur TRef zur Referenz-zeit berechnet. Wir möchten auf die interes-sante Beobachtung in Bild 2 hinweisen, dassim Hochsommer die Rhone-Temperaturengegen Änderungen der Lufttemperaturimmun werden (∂T/∂TLuft ~0 in Bild 2). Diesliegt daran, dass bei grosser Hitze mehrSchmelzwasser abfliesst, welches die Rhonekühlt (Buwal, 2004). Dies hat sich durch dieWasserkraftnutzung nicht geändert: Dieheute gemessenen maximalen Rhone-Tem-peraturen (Maximum: 14,1°C im Juli 1996)liegen selbst für den Extremsommer 2003(12,7°C) im Bereich der historischen Werte(Bild 2).

Um einen Einblick in die Repräsenta-tivität dieser Referenztemperatur zu gewin-nen, wurde diese Prozedur auf beide histori-schen Datensätze (1886 oder 1904/05) ange-wandt und das Ergebnis gemittelt (Tabelle 1;leider sind die Daten vom Winter 1904/05wegen Fehlmanipulation nicht verwendbar).Gemäss Tabelle 1 können die monatlichenReferenztemperaturen mit einer Zuverlässig-keit von ca. �0,5°C bestimmt werden.

Die Referenztemperatur ist in der Ta-belle 1 monatsweise zusammengefasst undin Bild 3 mit den aktuellen Rhone-Temperatu-ren verglichen.

Aus diesem Vergleich ist ersichtlich,dass zu Beginn des Jahrhunderts die Rhonewährend der drei Wintermonate um 2 bis2,5°C kühler und im Frühling 1 bis 1,6°C wär-mer war als heute (1982–2002). Im Sommerund Herbst sind die Unterschiede gering (< 1°C; Bild 3). Im Jahresmittel sind die beidenTemperaturen beinahe identisch (Differenz:nur 0,12°C; Tabelle 1).

3. Welche Temperatur hätte die Rhone ohne Wasserkraft-nutzung heute?

Neben der Referenztemperatur aus histori-schen Messungen können auch aktuelleTemperaturdaten verwendet werden, um denEinfluss der Kraftwerke abzuschätzen. DieseWassertemperatur TohneWKW lässt sich in 1.Näherung aus den aktuellen Wassertempera-turen unter Wasserkraftnutzung TmitWKW undder Menge und Temperatur des turbiniertenStauseewassers abschätzen:

(Gl. 2)

Die Temperatur des turbinierten Stauseewas-sers, Tturb, haben wir bei den Kraftwerksaus-lässen in 2002–3 kontinuierlich erfasst (Meieret al. 2004). Gegenüber dem Tiefenwasser inden Stauseen ist dieses um wenige Zehntel-grade erwärmt, da die Energieumwandlungnicht zu 100% erfolgt. Zudem haben wir die

mittlere Temperatur des gesamten turbinier-ten Wassers (einschl. Flusskraftwerke) ausder Temperaturdifferenz in der Rhone zwi-schen Arbeitstagen (mit Turbinierung) undWochenenden (ohne Turbinierung) bestimmt.Das Ergebnis für TohneWKW ist (mit Ausnahmeder Wintermonate) in der Tabelle 2 monats-weise zusammengefasst.

Eine detaillierte Analyse zeigt (Meieret al. 2004), dass weitere Einflüsse wenig be-deutend sind. Insbesondere verändert dieBerücksichtigung der gefassten Seitenbäche(QFass) die Temperaturbilanz maximal nur ~0,2°C (Tabelle 2).

Der Unterschied zur oben hergeleite-ten Referenztemperatur (Tabelle 1) beträgt imMittel nur 0,3 °C. Dieser geringe Unterschiedlässt sich leicht durch Ungenauigkeiten beider Temperaturmessung und nicht berück-sichtigte Faktoren bei den Extrapolationen er-klären. Die gute Übereinstimmung ist eher

Energiebilanzen (relativ zu 0°C) Jährliche Sommer- Winter-Wärmemenge halbjahr halbjahr(TWh) (TWh) (TWh)

Wärme der Rhone (ohne WKW) aus mittleren 53,4 48 5,4Abflüssen von 1916 bis 1934 und den berechneten Referenztemperaturen

Wärme der Rhone (mit WKW) in den Jahren 55(1) 42 131982 bis 2002(1)

Differenz heute (1982–2002, WKW) minus 1,6 –6 7,6Referenzperiode (1916–1934, ohne WKW)

I) Wärmeverlust durch Turbinierung –11,0 -8,8 –2,2(Umwandlung potenzieller Energie in Strom)

II) Wärmeaufnahme durch vergrösserte 7,9 7,9 ~0Wasseroberfläche der Stauseen(2)

III) Speicherung von Wärme in Stauseen 0,0 –5,8 5,8

IV) Wärmeverlust durch Verkleinerung der –2,4 –2,2 –0,2Wasseroberfläche auf Restwasserstrecken(3)

V) Mittlere Erwärmung der Rhone um 0,73°C 4,4 2,7 1,7in den letzten 20 Jahren(4)

Summe der Effekte von I) bis V) –1,1 –6,2 5,1

(1) Die Variation in diesem Zeitraum betrug 44 – 64 TWh.(2) Abschätzung mit Oberfläche der Stauseen und Ausgleichskoeffizienten von Kuhn (1977).(3) Messungen und Modellrechnung (Meier et al. 2004).(4) siehe Hari und Güttinger (2004).

Tabelle 3. Wärmebilanz der Rhone bei Porte du Scex.

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Te

mp

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Sei

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[°C

]

Sa 22.9. So 23.9. Mo 24.9. Di 25.9. Mi 26.9.

MorgeLonzaVispa

Bild 4. Temperaturen in drei Seitenbächen der Rhone vonSamstag, 22.9.2001, bis Mittwoch, 26.9.2001. Im Vergleich zum«natürlichen» Temperatur-Regime (Morge) vom Wochenendetreten während der Arbeitstage in den genutzten Bächen(Lonza, Vispa) heftige Temperatursprünge auf.

-2

-1

1

2

Jan Feb

Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov

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[°C

]

beobachtet/berechnetklimatischeErwärmungKraftwerksbetrieb

Bild 3. Änderung der Monatsmittelwerte der Rhone-Temperaturbei Porte du Scex (Tabelle 1): Differenz von heute (1982–2002)minus Referenz (1916–1934). Um den Einfluss der Wasserkraft-nutzung abzuschätzen, wurde die Annahme getroffen, dass dieklimabedingte Erwärmung unabhängig von der Jahreszeiterfolgte.

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überraschend, sind doch die historischenDaten vor ~100 Jahren erfasst worden. Inter-essanterweise folgt aber diese Zunahme von0,3°C zwischen der Referenzzeit (1916–1934)und den mittleren Temperaturen von 1982 bis2002 (Tabelle 2) dem beobachteten generellenTrend: Seit Beginn der kontinuierlichen Tem-peraturmessung des BWG von 1971 wurdeeine Zunahme von ~0,7 °C beobachtet, wel-che Hari und Güttinger (2004) der Klimaerwär-mung zusprechen.

4. Wärmebilanz für die RhoneAus obigen Vergleichen folgt, dass die Wär-mebilanz sich durch die Wasserkraftnutzungim Jahresmittel praktisch nicht und haupt-sächlich jahreszeitlich verschoben hat. Dieswird durch die in Tabelle 3 zusammenge-fasste Wärmebilanz quantitativ gut erklärt.Die praktisch geschlossene Bilanz soll abernicht darüber hinwegtäuschen, dass nebenden üblichen Unsicherheiten auch die natürli-che Variabilität beträchtlich ist.

Der jährliche Wärmetransport derRhone in Porte du Scex war vor dem Bau derWasserkraftwerke mit 53,4 TWh nur 3% gerin-ger als 1982 bis 2002 (55 TWh; Streuung von44 bis 64 TWh). Jahreszeitlich ergab sich abereine 12%ige Verschiebung vom Sommer-halbjahr (heute: –6 TWh) ins Winterhalbjahr(heute: +7,6 TWh). Die Veränderung im Winterist im Wesentlichen auf die Speicherung desWassers in den Stauseen zurückzuführen.Wird angenommen, dass sich die Stauseenwährend des Sommers füllen und im Herbsteine Temperatur von 5°C aufweisen, so ent-spricht dies einer Wärmespeicherung von ~6 TWh, welche im Winterhalbjahr wiederuman die Rhone abgegeben wird (Tabelle 3).

Im Sommerhalbjahr ist die Situationkomplexer: Neben der jahreszeitlichen Umla-gerung geht Wärme einerseits durch Um-wandlung potenzieller Energie in Strom verlustig und wird andererseits durch die zu-sätzlichen Oberflächen der Stauseen aufge-nommen (Tabelle 3). Im Vergleich dazu spieltder veränderte Wärmhaushalt wegen der ge-ringeren Wasseroberflächen der Restwas-serstrecken eine untergeordnete Rolle: ImSommer werden ~2 TWh weniger Wärme ausder Atmosphäre aufgenommen.

Seit 1971 hat die Wassertemperaturder Rhone um ~0,7°C zugenommen (Hariand Güttinger 2004). Beim Vergleich der Zeit-perioden vor und nach dem Kraftwerksbaumuss also auch die Klimaerwärmung berück-sichtigt werden. Wenn wir annehmen, diesesei unabhängig von den Jahreszeiten erfolgt(eine Annahme, welche sich nachträglichpraktisch unmöglich überprüfen lässt), soentfallen auf den Sommer ~3 TWh und aufden Winter ~1,6 TWh. Die beobachteten Tem-

peraturveränderungen und der Einfluss derklimatischen Erwärmung sind ebenfalls inBild 3 dargestellt.

5. Ökologische DefiziteDie wasserkraftbedingte Temperaturver-schiebung ist relativ gering und aus ökologi-scher Sicht kaum gravierend, da viele Orga-nismen über langfristige Akklimatisierungs-mechanismen verfügen. Viel wichtiger sinddie kurzfristigen Temperatursprünge desSchwall-Sunk-Betriebes. Die Messungen inverschiedenen Zuflüssen der Rhone zeigen,dass vor allem an Wochentagen, wenn dieKraftwerke kaltes Wasser aus den Stauseenturbinieren, die Temperatur in stark genutztenBächen, wie der Lonza oder Vispa (Bild 4),innert kürzester Zeit um mehr als 3°C absin-ken kann. Auch in der Rhone bei Fully wurdenwährend der Messperiode 2002–3 Tempera-turänderungen von bis zu –2,4°C innerhalbeiner Stunde gemessen.

Rasche Temperaturschwankungenhaben verschiedene negative Auswirkungenauf den Metabolismus von Fischen (Beitingeret al. 2000). So führt etwa ein schneller Abfallder Temperatur zu Lethargie und erschwerteinen Ortswechsel. Davon sind im Winter dieBachforellen besonders bei Temperaturen < 4,5°C betroffen (Saltveit et al. 2001).

Flachwasserzonen, die während derSunkphase trockenfallen oder nur sehr wenigWasser führen, gleichen sich rasch der Luft-temperatur an. Dies kann im Winter zu erheb-licher Abkühlung führen. Dadurch entstehen-des Eis wirkt sich negativ auf Fischeier und -embryonen aus. Fluktuierende Wassertem-peraturen haben möglicherweise einenschädlichen Effekt auf das Wachstum von ju-venilen Bachforellen. Langsam wachsendeForellenpopulationen sind davon stärker be-troffen als schnellwachsende (Flodmark et al.2004).

Neben der Wasserkraftnutzung hatdie Kanalisierung der Rhone, die bereits 1869(Beginn der ersten Rhonekorrektion) ausGründen des Hochwasserschutzes begann,den grössten Einfluss auf die Wassertempe-ratur: Durch die Einengung des Flussbettesist die Fliessgeschwindigkeit grösser und ho-mogener, und es bestehen keine Bereiche, indenen stehendes Wasser stark erwärmt oderabgekühlt werden kann. Damit fehlen Habi-tate für Organismen, die an solche «Rand-temperaturen» angepasst sind.

Die Einflüsse der Korrektion könnennicht direkt quantifiziert werden, da vor dieserZeit keine Messungen vorliegen. Für eineAbschätzung können jedoch vergleichbare,ungenutzte Flüsse als Referenz dienen, wiebeispielsweise der Tagliamento, der letztegrosse weitgehend unbeeinflusste Fluss der

Alpen. Er verläuft im südöstlichen Alpenge-biet zwar in Nord-Süd-Richtung, ist aber oro-graphisch mit der Rhone vergleichbar. BeimTagliamento fallen v.a. die grossen Tempera-turunterschiede über den breiten Flussquer-schnitt auf (Arscott et al. 2001): Unterschiedein den Schwemmebenen im Tiefland könnenbis zu 15°C zwischen den Lebensräumen(Hauptfluss, Seitenarme, Totarme undGrundwasseraufstösse) erreichen. Zonen mitstehendem Wasser bilden sich aufgrund dergrossen Breite der aktiven Aue, welche sichim Mittellauf bis zu 1,5 km ausdehnt. In Som-mer und Herbst überschreiten die Tempera-turunterschiede zwischen den verschiede-nen Habitaten im Tiefland sogar die Tempera-turunterschiede entlang des 120 km langenund über 1000 m abfallenden Hauptflusses.

Wir können davon ausgehen, dass inder Rhone vor der Korrektion ähnliche Verhält-nisse vorlagen und die Temperaturen in der un-korrigierten Rhone aufgrund der variablen Ab-flüsse, Aufenthaltszeiten und Wassertiefen imnatürlichen Gerinne grosse Variationen inQuerrichtung zum Fluss aufwiesen. In Tot-armen und Stillwasserzonen traten im Som-mer deutlich höhere und im Winter tiefereWerte (bis 0°C) auf. Das Wasser in den Seiten-bächen und im Hauptstrombereich der Rhonewar wegen des grossen Einflusses der Verglet-scherung aber auch im Sommer relativ kalt.

Um den Temperaturhaushalt derRhone naturnaher zu gestalten, sind damitzwei mögliche Richtungen vorgegeben:Einerseits können kurzfristige Temperatur-sprünge durch kontinuierliche Rückgabe vonWasser aus Kraftwerken reduziert werden,und andererseits kann die räumliche Hetero-genität des Flussbettes und damit der Was-sertemperatur durch flussbauliche Revitali-sierungsmassnahmen vergrössert werden.Auch wenn solche Vorhaben eher mittel- bislangfristigen Charakter haben, so sind siedoch wichtige Schritte in Richtung eines Tem-peraturregimes, wie es sich vor den Untersu-chungen von Forel und Uetrecht präsentierte.

Dank

Wir bedanken uns beim Bundesamt für Wasser

und Geologie (BWG) sowie MeteoSchweiz und

den Kraftwerken Mauvoisin, Emosson, Grande

Dixence, St. Léonard, EnAlpina, Rhonewerke AG,

Société Léteygeon SA, SA l’Energie de l’Ouest-

Suisse, dem Ingenieurbüro Schneller Ritz und

Partner AG und der Ingenieurgemeinschaft West-

schweiz für Daten und Unterstützung während der

Studie. Zudem bedanken wir uns ganz besonders

bei M. Schurter für die Temperaturmessungen im

Rhoneeinzugsgebiet, M. Frey für die Modellrech-

nungen, L. Moosmann für die Erstellung der Figu-

ren und verschiedener Beiträge sowie A. Peter

und A. Jakob für die Durchsicht des Manuskriptes.

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«Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden 309

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Anschrift der Verfasser

Dr. Werner Meier und Prof. Dr. Alfred Wüest, For-

schungszentrum für Limnologie, Eawag, See-

strasse 79, CH-6047 Kastanienbaum, E-Mail:

[email protected]

Symbolverzeichnis

Parameter Symbol Einheit

Abfluss Q m3 s-1

Mittlere Abflüsse der Rhone von 1916 bis 1934 Q1916–1934 m3 s-1

Gefasster Abfluss QFass m3 s-1

Abflüsse Rhone von Forelund Uetrecht Qhist m3 s-1

Turbinierter Abfluss Qturb m3 s-1

Rhone-Temperatur T °C

Temperatur Rhone von Forel und Uetrecht Thist °C

Lufttemperatur TLuft °C

Lufttemperatur der Jahre1914 bis 1936 TLuft

1914–1936 °C

Lufttemperatur in den Jahren 1886 und 1904/05 TLuft

hist °C

Rhone-Temperatur mit Wasserkraftnutzung TmitWKW °C

Rhone-Temperatur ohne Wasserkraftnutzung TohneWKW °C

Referenztemperatur TRef °C

1. Ausgangslage und ZieleDie Auenvegetation an der Rhone weist heutemehrere Defizite auf: wenige, kaum verschie-dene Auenwälder und ein enges Hochwas-serbett (Überflutungsfläche bei grossenHochwassern) aufgrund des eingedämmtenFlusslaufs. Die Längsvernetzung (Beziehungzwischen den Auenzonen) und Quervernet-zung (Beziehung zwischen den Ufergesell-schaften) ist schwach.

Die dritte Rhonekorrektion sieht Auf-weitungen des Flusslaufs vor, um Über-schwemmungsrisiken in der Ebene zu ver-mindern und die natürlichen Lebensräumeder Ufer zu verbessern.

Entlang der Rhone (vier permanenteTransekte zwischen Turtmann und Chamo-son) und der Thur (sechs Transekte zwischenFrauenfeld TG und Gütighausen ZH) wurdeeine Erfolgskontrolle der Auenvegetationdurchgeführt. Die Ergebnisse der Rhone-Stu-die werden hier vorgestellt. Die Kommentare

basieren auf den in beiden Regionen gesam-melten Erfahrungen.

Die Ziele der Erfolgskontrolle der Ve-getation sind die folgenden:• Messen der Vegetationsqualität von ver-

schiedenen Uferprofilen vor und nach denEingriffen: Biodiversität, Typizität, Qualitätdes Mosaiks und der Sukzession

• Beobachten der Entwicklung der Pflan-zengesellschaften in den verschiedenenUferprofilen

• Ausrichten der zukünftigen flussbaulichenMassnahmen nach den für das Ökosys-tem günstigsten Formeln (Erkennung,Steuerung)

• Liefern von Parametern zum optimalenAusmass flussbaulicher Aufweitungs-massnahmen an die Wasserbauingeni-eure.

Die folgenden Personen von der Uni-versität Neuenburg haben mitgearbeitet:François Gillet und Florian Kohler (Entwick-

lung der Datenbank Phytobase, methodolo-gischer Rahmen), Stephanie Reust, GaëlleVadi (Felderhebungen, Auswertung derDaten), Marie-Marguerite Duckert (Bestim-mung der Pflanzen). Nathalie Perrottet,Roland Keller, Stephan Lussi und ChristianRoulier von der Auenberatungsstelle habenDaten gesammelt und die Resultate vorge-stellt.

2. Methoden

2.1 TransekteDie vorgestellten Methoden basieren auf dersynusialen Pflanzensoziologie (Gillet et al.1991; Roulier 1998). Diese Methoden wurdenzur Anwendung bei der Erfolgskontrolle derAuen von nationaler Bedeutung angepasstund standardisiert (Kohler et al. 2000).

Ein permanenter Transekt ist ein geo-referenzierter Landstreifen, der die Ufervege-tationszone durchquert; hier werden auf einer

Erfolgskontrolle der VegetationsdynamikRhone: Stand der Forschung 2004■ Christian Roulier, Gaëlle Vadi – deutsche Übersetzung: Nathalie Baumann

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310 «Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden

Fläche von 5�5 m (Kräuter), 5�15 m (Sträu-cher) und 5�25 m (Bäume) aufeinander fol-gende phytosoziologische Aufnahmen ge-macht.

Die Erhebungen werden in der pflan-zenökologischen Datenbank «Phytobase S»erfasst, welche von der Abteilung für Vegeta-tionsökologie der Universität Neuenburg ent-wickelt wurde (Vadi et al. 2004: Anhang 1).Dieses Werkzeug ermöglicht es, neben demSpeichern und Sortieren der Daten ökologi-sche Auswertungen zu erstellen sowie Biodi-versitätsindizes und Statistiken zu berech-nen.

2.2 LuftbildinterpretationDie Luftbildinterpretation wird mit Hilfe einesdigitalen Fotogrammetrie-Programms aus-geführt, welches eine dreidimensionale An-sicht der stereoskopisch eingescanntenFotos auf dem Bildschirm ermöglicht.

Die Foto-Interpretation der Vegeta-tion verläuft in drei Etappen:1. Die Abgrenzung der Einheitsflächen unter-

teilt die Vegetation durch Linien, die nachvordefinierten Regeln und Kriterien gezo-gen werden. Schliessllich bildet das Li-niennetz ein Mosaik in sich einheitlicherPolygone.

2. Die Interpretation der Vegetation stellt fürjedes Polygon eine Reihe von Indikatorenauf: Pflanzenformation, Höhe der Bäume,Anteil der Laub- und Nadelhölzer, De-ckungsgrad der Vegetation.

3. Auf der Karte wird jedem Vegetationspoly-gon eine Farbe und eine Beschreibung ge-mäss seiner Pflanzenformation zugeord-net.

Diese Methode wird von Thielen & al.(2003, 2004) beschrieben. Sie wurde auf einerSerie von fünf Schwarz-Weiss-Luftbilderndes Gebiets der Ile Falcon aus den Jahren1994 bis 2002 angewendet, welche von derWalliser Dienststelle für Strassen- und Fluss-bau (DSFB) zur Verfügung gestellt wurde.

2.3 Vergleich der MethodenDie Transekte und die Foto-Interpretation lie-fern sich ergänzende Resultate über die Zu-sammensetzung und die räumliche Organi-sation der Vegetation (Tabelle 1).

3. Durchgeführte Arbeiten

3.1 UntersuchungsstandorteDie Untersuchungsstandorte an der Rhonewurden in Strecken festgelegt, in denen Ge-rinneaufweitungen des Flusslaufs realisiertoder geplant sind (Bild 1). Im Jahre 2001wurde mit Frau Cécile Rollé, Biologin (Dro-sera, Sion) und Co-Autorin der Studie «Milieuxnaturels. Etat actuel, diagnostic et objectifs de

revalorisation» (1998), eine Besichtung derRhoneufer durchgeführt. Frau Rollé hat ver-schiedene Sachlagen, insbesondere die Ge-rinneaufweitung der Ile Falcon, vorgestellt.

3.1.1 Ile FalconDer Transekt der Ile Falcon enthält auf einerLänge von 123 m fünf ökologische Ab-schnitte: ein sanft abfallendes, sandiges Ufer,das an den Damm der Rhone angrenzt (Strei-fen 1 bis 8), einen Nebenarm der Rhone (Strei-fen 9 bis 12), eine Sandinsel (Streifen 13 bis18), eine feuchte Senke (Streifen 19 bis 20) undeinen Abschnitt mit grobem Kies (Streifen 21bis 23), welcher am Hauptarm der Rhone liegt.

3.1.2 TurtmannDer Turtmann-Transekt misst 73 m und führtdurch eine ehemalige landwirtschaftlicheBrachfläche (3 m höher als das mittlere Ni-veau der Rhone gelegen) und einen Wald-saum am Ufer der Rhone. Das Ufer wird mitBlockwurf und Querbuhnen stabilisiert. Deraktuelle Zustand wird im Hinblick auf eineAufweitung beschrieben.

3.1.3 Chamoson 1 und 2Die Transekte von Chamoson sind jeweils 40 m lang und führen durch das Hochwasser-bett zwischen dem stabilisierten Ufer unddem Rhonedamm. Es wird durch hohe Kraut-vegetation und Pioniersträucher besiedelt,

welche das Jahr zuvor gemäht und ge-shreddert wurden. Der Rhonedamm ist mitTrockenheit liebenden Krautformationen undSträuchern bewachsen und grenzt an land-wirtschaftliche Kulturen.

4. ResultateDie erhobenen Resultate setzen sich in jedemTransekt wie folgt zusammen:• Kataloge und Tabellen der Pflanzengesell-

schaften (in diesem Artikel nicht aufge-zeigt)

• Statistiken und Indizes, welche die Diver-sität, die Vegetationsstruktur und die öko-logischen Bedingungen beschreiben

• Aus Homecie-Profilen (Pionier-, Postpio-nier-, Klimax-, Trocken- oder Feuchtge-sellschaften, siehe 4.1.6 [Roulier 1998]).

Der Transekt der Ile Falcon, der zwi-schen 2001 und 2004 jährlich erhoben und alseinzige Gerinneaufweitung an der Rhoneuntersucht wurde, wird nachfolgend präsen-tiert. Bei Turtmann und Chamoson wurde dieVegetation nur ein Mal im Jahre 2001 bzw.2002 kartiert. Der Ausgangszustand wirdsummarisch dargestellt. Die detaillierten Er-gebnisse sind in den Jahresberichten enthal-ten (Vadi et al. 2004).

4.1 Ile Falcon

4.1.1 VegetationBild 2 stellt einen schematischen Schnitt desTransekts dar. Der Katalog der Pflanzenge-sellschaften, der im Jahre 2004 erhobenwurde (nicht vorgestellt), enthält hauptsäch-lich Lavendelweidenmäntel, Tamarisken undSanddorn, welcher eher trockene Standortebevorzugt. Pionierkrautgesellschaften derSedimente sind auch vorhanden.

4.1.2 BiodiversitätIm Jahre 2004 folgt die Kurve der gesamtenspezifischen Diversität (Bild 3) jener von 2003,jedoch mit einer insgesamt regelmässigerenSteigung. Diese Tendenz hat im Jahre 2002begonnen. Der vor kurzem besiedelte Strei-fen 10 weist eine Artenanzahl auf, die mit denanliegenden Streifen vergleichbar ist. Sobaldsich das Wasser zurückzieht, scheint dasspezifische Potenzial schnell erreicht zu sein.Die festgestellte Abnahme der Arten im Strei-fen 23 ist auf die Hochwasser von 2004 zu-rückzuführen.

Tabelle 2 zeigt die Artenvielfalt in denSchichten: Die Anzahl der verholzenden Artenist im Jahr 2004 leicht gestiegen, während dieKrautarten denselben Wert aufweisen wie imJahr 2002. Die Hochwasser von 2000 und2002 könnten die Ursache der höheren Wertesein, die im Jahre 2001 und im Jahre 2003 inder Krautschicht festgestellt wurden.

Bild 1. Standort der permanentenTransekte entlang der Rhone. Von obennach unten: Ile Falcon, Turtmann,Chamoson.

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«Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden 311

4.1.3 Deckungsgrad der SchichtenBild 4 stellt den Deckungsgrad der Sträucherim Jahre 2004 dar, der fast mit jenem von2003 identisch ist; man könnte annehmen,dass sich die Besiedlung der Strauchschichtstabilisiert. Die Krautformationen stabilisie-ren sich ebenfalls in den meisten Abschnitten,ausser in der feuchten Senke. Hier ging derDeckungsgrad der niedrigen Schicht starkzurück, was sich auf die Werte des ganzenTransekts auswirkt. Von der Trockenheit imJahr 2003 haben wahrscheinlich zahlreicheArten profitiert, die dann 2004 nicht wiederaufwachsen konnten.

Ein Sprung erscheint zwischen 2002und 2003, mit dem Übergang der dominantenDeckung von den niedrigen Schichten (b, h)zu den hohen Schichten (B, H). Dieses Phä-nomen scheint mit dem Wachstum der Holz-arten und der Besiedlungsdynamik verbun-den zu sein.

4.1.4 Indikator F (Feuchtigkeit)Die Feuchtigkeitswerte (Tabelle 3) weisenkeine wichtigen Veränderungen von 2001 bis2004 auf. Die Krautformationen mit ober-flächlichen Wurzeln deuten einen frischen(Wert 3) bis trockenen (2) Boden an. Tatsäch-lich sind die Ablagerungen von Sand, Kiesund anderen Steinen sehr durchlässig, so-dass das Wasser nach einem Regen odernach einer Überschwemmung rasch versi-ckert. Die Werte der Strauchschichten deuteneinen frischen (3) bis feuchten (4) Standort an,da die Sträucher tiefere Wurzeln entwickeln,wo das Substrat durch Infiltration oder dasGrundwasser gespiesen wird.

4.1.5 Indikator N (trophische Stufe)Den trophischen Wert betreffend (Tabelle 3)bleiben die Indizes der Krautformationenüber die Jahre vergleichbar. Sie deuten auf

0

5

10

15

20

25

0

35

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

3

Anz

ahl A

rten

Streifen

200 1

200 2200 3

200 4

Bild 3. Spezifische Artenvielfalt: jährlichesTotal nach Schichten und Jahr.

2001 2002 2003 2004

0

10

20

30

40

50

Dur

chsc

hn. D

ecku

ngsg

rad

Jahr

B

b

H

h

Bild 4. Durchschnittlicher Deckungsgradder Schichten nach Abschnitten und Jahr.Bild 2. Schematischer Schnitt der Transekte und Zellen, erhoben von 2001 bis 2004.

Methode Permanenter Transekt Foto-Interpretation

Präsentation der Vegetationsaufnahmen VegetationskartenResultate

Massstab 10–100 m 100–1000 m

Systematik Bestimmung der Bestimmung der Pflanzengesellschaften Pflanzenformationen

Ökologische Evaluation der ökologischen Organisation der räumlichen Pionier-, Diagnose Bedingungen des Standortes Postpionier- und Klimaxformationen

(Feuchtigkeit, Nährstoffe usw.)

Biodiversität Artendiversität Formationsdiversität

Dynamik Veränderung der Arten, der Veränderung der Zonation und desGesellschaften und der Grenzen Mosaiks in einer Flächeentlang einer Achse

Tabelle 1. Vergleich der verwendeten Methoden für die Vegetationsuntersuchung.

Total Artenanzahl 2001 2002 2003 2004

Verholzende Arten 10 9 14 16

Krautarten 75 50 60 50

Tabelle 2. Spezifische Artenvielfalt nach Schichten und Jahren.

Typ Streifen Schicht F N

sandiges Ufer 1 bis 8 B 4 4b 4 3H 2 3h 3 3

Nebenarm 9 bis 12 B 4 2b 4 3H 3 3h 3 3

sandige Insel 13 bis 18 B 4 3b 4 3H 2 3h 3 3

feuchte Depression 19 bis 20 B 4 3b 4 3H 3 3h 3 3

Kiesbank 21 bis 23 Bb 4 3H 2 3h 3 3

vollständiger Transekt 1 bis 23 B 4 3b 4 3H 2 3h 3 3

Tabelle 3. Ökologische Zeigerwerte der Feuchtigkeit und der Nährstoffe der Schichtennach Abschnitten und pro Jahr.

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312 «Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden

einen mesotrophen Boden (3) hin. Ein Unter-schied kann beidseits des Nebenarms beiden Sträuchern festgestellt werden. Am Ufer(Streifen 1 bis 8) wird ein meso- bis eutrophi-scher Boden (4) und bei der Insel (Streifen 13 bis 18) ein eher mesotrophisches Milieuaufgezeigt.

4.1.6 HomecienDie Homecien sind Kategorien, welche in Dy-namik und Ökologie ein gleiches Verhaltenaufweisen. Man unterscheidet insbesonderezwischen den Pionier- (blaue Farbe) Post-pionier- (grün) und Klimaxgesellschaften (sta-bile Zonen: rot). Die verschiedenen Schichtenwerden dabei einzeln untersucht. Der in Bild 5vorgestellte Vergleich von 2001 bis 2004 zeigtdie Vegetationsentwicklung in den verschie-denen Abschnitten. Zum ersten Mal im Jahre2004 bedeckt die Schicht h den ganzenTransekt. Die Schichten H und b haben sichauch ausgebreitet. Die hohe Strauchschicht(B) ging zwischen 2003 und 2004 leicht zu-rück, was mit der Erosion des Inselufers zu-sammenhängt.

Im Jahr 2004 (Bild 5, unterer Teil) wer-den die vier Schichten noch von Vegetationmit Pioniercharakter (blau) dominiert. Wie imJahr 2003 weist die Krautvegetation lokaleinen trockenen Charakter auf (orange, Strei-fen 5, 6, 17, 21 und 22). Diese Tendenz, die imJahre 2003 als Phänomen klimatischer Bedin-gungen interpretiert wurde, taucht ebenfallswährend eines feuchteren Jahres, wie 2004,auf. Somit scheinen bodenbedingte Faktorendamit verbunden zu sein (siehe 4.1.4). DerPostpioniercharakter (grün) in zwei Abschnit-ten im Jahr 2003 erscheint 2004 nicht mehr.

4.1.7 Quantifizierung der Veränderungen (Turnover)

In Tabelle 4 wird der Turnover zwischen 2003und 2004 vorgestellt. Er wird nach dem Jac-card-Index berechnet, der die Anwesenheitoder das Fehlen der Arten für jedes aufeinan-der folgende Aufnahmepaar berücksichtigt.Kleine Werte bedeuten eine stabile Vegeta-tion (0% = keine Änderungen), während hoheIndizes starke Veränderungen charakterisie-ren (100% = Änderung aller Arten).

Die Straucharten verändern sich ins-gesamt wenig (< 50%), ausser in der Zonedes Nebenarms, welche neu besiedeltwurde. Die Strauchvegetation ist mit einemdurchschnittlichen Veränderungssatz von36% recht stabil.

Die Krautformationen dagegen sindmit Veränderungen von über 50% noch sehrin Bewegung. Nur die Zonen der Insel und derfeuchten Senke überschreiten diesen Wertnicht und scheinen sich zu stabilisieren. DieKrautschicht ist also das Zentrum der starken

Dynamik, die für die Pionierlebensräume inden Auen charakteristisch ist.

Die für 2002 und 2003 berechnetenMittelwerte der Veränderungen waren nochhöher.

4.1.8 Syntaxonomische Herkunft der Arten

Das syntaxonomische Spektrum der Artenstellt die übergeordneten Einheiten der phyto-soziologischen Systematik dar, zu welcherdiese Arten gehören. In unserem Fall wurdendie Klassen gewählt (Bild 6). Die Klassen derSträucher (CL 55 und 57) nehmen 68% desSpektrums ein; es handelt sich hierbei um Pio-niergesellschaften auf Mineralböden und typi-sche Formationen der Pionierwaldmäntel. DieKrautformationen stammen aus verschiede-nen Kategorien. Es dominieren eine Wärmeliebende Gruppe von zweijährigen, subnitro-philen, xero- bis mesophilen Arten (CL 41) undausdauernde Pflanzen der Sedimente (CL 16).

4.2 Turtmann

4.2.1 VegetationIn Turtmann besteht die Uferbestockung auseinem Wald mit Schwarzpappeln und nitra-tophilem Unterholz. Je nach Anteil auenspe-zifischer Pionier- oder Ruderalarten wird dasmit Kriechender Quecke bewachsene Brach-

land verschiedenen Pioniergesellschaftenoder Waldsäumen zugeteilt. Ein Röhricht be-siedelt das obere Ende des Transekts. Im Ab-schnitt zwischen 50 und 55 m wurde ein «Ty-phetum minimae» (Zwergrohrkolbensumpf)identifiziert. Diese Pioniergesellschaft ent-stand auf den Ablagerungen des Hochwas-sers, leider ohne den kleinen Rohrkolben(Typha minima). Diese Situation kann viel-leicht auf mögliche Standorte für diese sel-tene Art hinweisen.

4.2.2 HomecienDie meisten Krautschichten (Bild 7), die durchdas Hochwasser vom Oktober 2000 beein-flusst wurden, haben einen Pionier- oderFeuchtcharakter. Bäume und Sträucher blei-ben Zeugen der Situation vor dem Hochwas-ser, sodass der Pappelwald (Streifen 1 bis 4)einer Postpioniervegetation und die Birken-brache (Streifen 7 bis 11) einer Pioniervegeta-tion zugeordnet werden können.

4.3 Chamoson 1 und 2

4.3.1 VegetationIn den Transekten von Chamoson 1 und 2sind im Hauptgerinne keine Sedimentbänkevorhanden, da die Rhone eingedämmt unddie Ufer mit Blockwürfen stabilisiert sind. DasHochwasserbett wird von einer Brache mithohen Krautpflanzen und niedrigen Pionier-sträuchern bedeckt. Der Damm, auf welchemsich der Uferweg befindet, wird durch Vege-tationsformationen aus dem trockenen bisbesonnten Milieu besiedelt.

4.3.2 HomecienDie Homecien werden in Bild 8 dargestellt.Trotz der Mahd im Hochwasserbett im Jahre2000, wurden bereits mehrere Zellen derTransekte durch trockenheitsliebende Kraut-pflanzen (vor allem H) und Pioniervegetation(vor allem h) wieder besiedelt. Einige Home-cien der Postpioniere sind auch vorhanden.Mit Ausnahme der niederen Sträucher, dieden Damm besiedeln, hat die Mehrheit derHolzgesellschaften einen Pioniercharakter.

5. Kartografische Chronik der Ile Falcon

Fünf Vegetationskarten sind in Bild 9 vor-gestellt. Die Vegetation wird in sieben Klassenunterteilt: Wasser, natürliche Sedimente,künstlich transportierte Sedimente (Aushub),Pionierkrautgesellschaften, Weichholzsträu-cher (Höhe < 5 m) und Weichholzwälder(Höhe > 5 m) und Nichtauengebiet. Der Anteiljeder Formation wird in Bild 10 vorgestellt.

Die Karte von 1994 zeigt die Situationentlang des Transekts vor der Gerinneaufwei-tung am rechten Ufer.

Streifen1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

B1 01b2 01

H1 01h2 01

B1 02b2 02

H1 02h2 02

B1 03b2 03

H1 03h2 03

B1 04b2 04

H1 04h2 04

Bild 5. Homecien: Situation von 2001 bis2004.

CL41: 14%

CL42: 1%

CL55: 55%

CL63: 2%

CL57: 13% CL35: 3%

CL16: 8%CL17: 1%

CL40: 3%

Bild 6. Syntaxonomische Klassen.

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Im Jahr 1995 wird die Aufweitung voll-zogen. Eine kleine Insel bildet sich neben die-ser Aufweitung. Auf der grossen Insel im Zen-trum des Standortes vergrössert sich derStrauchanteil. Auf dem linken Ufer überwach-sen Gebüsche die Krautflächen.

1999 gibt die Aufhebung des Wegesam linken Ufer eine grosse Fläche frei, die vonGebüsch besiedelt wird. Die Vegetation aufder grossen Insel setzt ihre autogene Ent-wicklung fort und besteht bald vollständigaus Strauchformationen. In der Aufweitungwerden die Sedimente durch Pioniergesell-schaften und Sträucher kolonisiert. Die kleineInsel ist fast vollständig mit Sträuchern undPionierkrautgesellschaften überwachsen.

Im Jahr 2000 verjüngt ein Hochwas-ser im Oktober das Gebiet. Die Vegetationwird weggeschwemmt oder von Sedimenten

zugedeckt. Die Anteile an Pioniergesellschaf-ten und Weichholzformationen gehen zu-gunsten der natürlichen Sedimente zurück.Neben der Aufweitung entsteht ein Teich.

2002 geht die autogene Entwicklungwieder weiter. Die Gebüsche besiedeln diegrosse Insel erneut. In der Aufweitung ent-wickelt sich die Vegetation ebenfalls. Die Pio-nierkrautgesellschaften bedecken die Sedi-mente der kleinen Insel, und Weichholzsträu-cher kommen auf. Der Teich wird von einerKrautvegetation (Flachmoor) bedeckt.

Die Entwicklung des Gebiets hängtmit der Dynamik und dem Geschiebetrans-port der Rhone zusammen («Pulsation» derRhone). Jedes Jahr wird die Topografie desAuengebiets stark umgestaltet (in diesem Ar-tikel wird auf die ebenfalls aufgenommenenProfilquerschnitte nicht eingegangen).

6. Diskussion

6.1 Zuverlässigkeit und Reprodu-zierbarkeit der Methoden

Die für die Aufnahmen der Vegetation (Pflan-zensoziologie, Kartierung) angewandten Me-thoden wurden für die Erfolgskontrolle vonAuengebieten und Flussaufweitungen ent-wickelt. Die Ergebnisse liefern viel Informa-tion über den Stand und das Potenzial derStandorte. Sie sind aber, auf verschiedenenStufen, von der Beurteilung der bearbeiten-den Person abhängig: • Die Pflanzensoziologie: bei der Bestim-

mung der Arten und der Bewertung ihresDeckungsgrades

• Die Kartierung: bei der Abgrenzung derPolygone (Elementarflächen) und von derDefinition ihres Inhalts (Interpretation).

Anleitungen und Abläufe wurdenstandardisiert, um den Interpretationsspiel-raum auf ein Mindestmass zu reduzieren.Tests zur Reproduzierbarkeit der Kartierungwurden ausgeführt (Cosandey et al. 2003).Vor der Feldarbeit wird eine Einführung undEichung der Botanikerinnen und Botanikerdurchgeführt. Trotz dieser Vorsichtsmass-nahmen muss man bei der Interpretation derzeitlichen Serien eine unausweichliche Varia-tion durch die individuelle Beurteilung der be-arbeitenden Person mitberücksichtigen.

6.2 Biologisches Potenzial der Uferder Rhone

Trotz des heute stabilisierten und veramten

Typ Streifen Schicht Turnover 2003–2004 (%)

sandiges Ufer 1 bis 8 Bb 34Hh 58

Nebenarm 9 bis 12 Bb 61*Hh 65

sandige Insel 13 bis 18 Bb 28Hh 45

feuchte Depression 19 bis 20 Bb 25Hh 39

Kiesbank 21 bis 23 Bb 32Hh 83

vollständiger Transekt 1 bis 23 Bb 36Hh 57

* Die Streifen 10 und 11 wurden nicht berücksichtigt, da sie während zwei aufeinander folgenden Jahren keine Sträucher aufwiesen.

Tabelle 4. Durchschnittliche Veränderungen nach Abschnitten und Schichten,2003–2004.

a2

A1

b2

H1

h2

0 10 20 30 40 50 60 70 80(m)

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0 m

4 m

0 m

4 m

Rhone

Wald Brachland Röhricht

Eisenbahn

Streifen

Distanz

Bild 7. Homecien und semirealistische Profile: Turtmann, 2001.

h

H

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B

a

0 5 10 15 20 25 30 35 40

h

H

b

B

a

0 5 10 15 20 25 30 35 40

Bild 8. Homecien und semirealistische Pro-file: Chamoson, 2002, Transekte 1 und 2.

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314 «Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden

Zustands der Vegetation an der Rhone wurdenmehrere Auenwaldarten entlang der Transektegefunden. Darunter wichtige Weichholzartenwie Weiden, Erlen und Pappeln sowie Sand-dorn und Tamarisken. Auch in der Kraut-schicht kommen einzelne Pionierarten oder -gesellschaften vor. Es fehlt aber der kleineRohrkolben (Typha minima), der im Pfynwaldspeziell wieder eingeführt werden soll.

Die Transekte der Rhone zeigen, dassdie Vegetation neue frei liegende Flächennach einer Flussaufweitung (IIe Falcon), einerÜberschwemmung (Chamoson) oder ande-ren Arbeiten in Flussnähe (Turtmann) schnell

besiedelt. Obwohl an den drei Standortenunterschiedliche Bedingungen vorherr-schen, beherbergen alle mehrere typischeAuengesellschaften.

Die Fähigkeit der im Gebiet vorhan-denen Arten, neu entstehende Flächenschnell zu besiedeln, sollte für die künftigenGerinneaufweitungen im Rahmen der drittenRhonekorrektion gute Voraussetzungenschaffen.

6.3 Technische AspekteDa die Aufweitungen an der Thur und bei derIle Falcon nicht sehr gross sind, könnenHochwasser wie diejenigen von 2000 und2002 an der Rhone und 2002 an der Thur dasganze Gebiet umgestalten. Insbesonderewerden alle Kiesbänke und Inseln umge-schichtet.

Bei der Ile Falcon reduziert jedoch dieBreite des Hochwassergerinnes (150 m) diemechanische Auswirkung des Hochwassers,sodass verschiedene Pflanzen auch Ereig-nisse wie dasjenige von 2000 einigermassenunbeschadet überstehen können. Dass sichdie Vegetation ohne bauliche Schutzmass-nahmen halten und erneuern kann, zeigt,dass der Raum für das Gewässer hier genü-gend gross ist, um seine Funktion als Le-bensraum zu erfüllen. Zudem hat Rohde(2004) aufgezeigt, dass das nahe gelegeneAuengebiet Pfynwald als Samenquelle einewichtige Rolle spielt.

An der Thur (TG) ist die Aufweitungnoch immer so schmal, dass Hochwasser dieVegetation auf den Kiesbänken vollständigzerstören. Dagegen gedeihen im Hoch-wasserbett interessante Gesellschaften wie der Silberweidenwald bei Warth oder derEschenwald von Schäffäuli. An den Rhone-ufern fehlen die Auenwälder wegen der land-wirtschaftlichen Nutzung.

Die bisherigen Untersuchungenlegen den Schluss nahe, dass bei kleinerenAufweitungen die Zeit, die seit dem letztenHochwasser vergangen ist, einen grösserenEinfluss auf die Vegetation hat als das Alterder Aufweitung.

Aus diesen Erkenntnissen der Er-folgskontrolle der Auenvegetation lässt sichdie Forderung nach genügend langen undbreiten Aufweitungen ableiten.

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non publié.

Anschrift des Verfassers/der Verfasserin

Dr Christian Roulier, Service conseil Zones allu-

viales, CH-1400 Yverdon-les-Bains, E-Mail:

[email protected], www.auen.ch

Dipl. phil. nat. Gaëlle Vadi, Abteilung für Vegeta-

tionsökologie, Universität Neuchâtel, CH-2000

Neuchâtel.

Bild 9. Karte der Vegetationsformationen der Ile Falcon. Der Transekt befindet sichunten links. Braun: Nichtauengebiet; Violett: Weichholzwald mehr als 5 m hoch; Rosa:Weichholzsträucher weniger als 5 m hoch; Gelb: Pionierkrautgesellschaften; Dunkel-grau: künstlich transportierte Sedimente; Hellgrau: natürliche Sedimente; Blau: Wasser.

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Photo6.11.2002

Bild 10. Anteil der Vegetationsformatio-nen der Ile Falcon. Braun: Nichtauenge-biet; Violett: Weichholzwald mehr als 5 mhoch; Rosa: Weichholzsträucher wenigerals 5 m hoch; Gelb: Pionierkrautgesell-schaften; Dunkelgrau: künstlichtransportierte Sedimente; Hellgrau:natürliche Sedimente; Blau: Wasser.

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«Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden 315

1. Ökomorphologische undhydrochemische Charakterisierung

Die Rhone und ihre wesentlichen Zubringer(jeweils vor der Einmündung) wurden am 16.und 17. Mai 2002 während der Sunkphaseflächendeckend untersucht. An insgesamt150 Stellen wurde die Ökomorphologie be-wertet (Buwal-Stufe-F) und das Oberflächen-wasser beprobt.

Mehr als 80% aller Probestellen sindmorphologisch als stark beeinträchtigt bisnaturfremd einzustufen. 56% der Zuflüsse

(vor der Mündung) und 27% des Hauptflus-ses (hauptsächlich im Mittel- und Unterlauf)sind naturfremd gestaltet.

Hydrochemisch lassen sich grob dreiGruppen an Probestellen identifizieren (Ta-belle 1).1. Der Oberlauf weist geringe Nähr- aber er-

höhte Schwebstoffkonzentrationen auf.2. Der Mittel- und Unterlauf bilden hydroche-

misch eine recht homogene Gruppe, mitteils erhöhten Ammoniumkonzentratio-nen, etwa bei Lonza und flussabwärts vonSion (Bild 1).

3. Die Zuflüsse sind hydrochemisch sehrheterogen, und jeder Zufluss hat sein spe-zifisches hydrochemisches Signal.

2. Längszonierung derbenthischen Evertebraten

Im Frühjahr 2002 wurden in Abständen von 10 km (beginnend bei km 5 von der Quelle) jeweils 1 km lange Abschnitte kartiert. DasMakrozoobenthos der vorhandenen Habitat-typen (Hauptgerinne, Hinterwasser, Tümpel,Zuflüsse vor der Einmündung) wurde semi-quantitativ beprobt (Baur 2002, Karaus 2004).Eintagsfliegen (Ephemeroptera), Steinfliegen(Plecoptera) und Köcherfliegen (Trichoptera)– insgesamt knapp 19000 Individuen – wur-den von insgesamt 43 Probestellen auf nied-rigst mögliches taxonomisches Niveau be-stimmt (EPT-Taxa; Tabelle 2). Zum Vergleichwurden die weniger stark anthropogen über-

formten Flussläufe Thur und Tagliamento (Friaul, Italien) herangezogen (Karaus 2004;Tockner et al. 2003).

Entlang der Rhone wurden 65 EPT-Taxa nachgewiesen (11 Ephemeroptera, 25Plecoptera und 29 Trichoptera), was etwa80% der statistisch zu erwartenden Faunaentspricht (Jackknife-Kalkulation; Karaus2004). Von den insgesamt 65 Taxa sind 88%als selten einzustufen (zum Vergleich dieThur: 53%). Die höchste Faunenvielfalt wieserwartungsgemäss der Oberflauf auf. Ab-schnitte flussabwärts von Fluss-km 25 (etwaab Höhe Münster) trugen nur mehr unwesent-lich zur Gesamtvielfalt des Flusskorridors bei(Bild 2).

Das Hauptgerinne der Rhone war von einer euryöken Fauna mit einer breitenökologischen Valenz besiedelt (Allogamusauricollis, Leuctra spp., Baetis spp.). ImMittel- und Unterlauf konnten im Mittel <5 EPT-Taxa je Flussabschnitt nachgewie-sen werden (im Oberlauf: ~15 Taxa; Bild 2). An der Thur, zum Vergleich, waren im Mittelca. 20 Taxa je Flussabschnitt vorhanden, mitmaximal 50 Taxa pro Abschnitt.

Die wenig beeinträchtigten Zuflüsseim Oberlauf der Rhone prägten hinge-gen noch eine artenreiche aquatische Evertebratenfauna. 54% aller nachgewiese-nen Taxa entlang der Rhone kamen aus-schliesslich in diesen Zuflüssen des Ober-laufes vor.

Ökologischer Zustand der Rhone: Benthische Evertebraten und Uferfauna■ Klement Tockner, Ute Karaus, Achim Paetzold, Simone Blaser

ZusammenfassungDie Rhone mit ihren Zuflüssen zählt zu denökologisch am stärksten beeinträchtigtenFlusseinzugsgebieten des Landes. Auf-grund der intensiven hydrologischen Nut-zung, dem starken Verbauungsgrad derUfer sowie der punktuellen chemischenBelastung bietet die Rhone nur mehr einerartenarmen und anspruchslosen aquati-schen und terrestrischen Wirbellosen-fauna geeigneten Lebensraum. Schwall-Sunk-Betrieb wirkt sich gerade in regulier-ten Flussabschnitten sehr negativ auf dieterrestrische Uferarthropodenfauna aus.Einzig der Oberlauf und einige seiner Zu-flüsse weisen eine noch weitgehend in-takte aquatische Fauna auf.

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Taxazahl

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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

Taxazahl

Gewässerabschnitt (von der Quelle)

Hauptgerinne

Tümpel/Hinterwasser

Zuflüsse

Bild 1. Ammoniumkonzentration (offenes Symbol) und Leitfähigkeit(volles Symbol) entlang der Rhone. Die Proben wurden während derSunkphase gezogen. Lonza ist bei km 65, Sion bei etwa km 100.

Bild 2. Verteilung der EPT-Taxa (Ephemeroptera,Plecoptera, Trichoptera) entlang der Rhone, aufgetrenntnach Habitattypen. Gewässerabschnitte: alle 10 km abkm 5 von der Quelle. Zu beachten ist die unterschiedlicheSkalierung.

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316 «Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden

Ein Vergleich mit den Flüssen Thurund Tagliamento unterstreicht das faunisti-sche Defizit entlang der Rhone. Die Thur weistinsgesamt fast doppelt so viele Taxa als dieRhone auf (Tabelle 2). Entnimmt man nach

dem Zufallsprinzip 1000 Individuen entlangeines Flusslaufes, so kann man 20 Taxa ent-lang der Rhone erwarten, hingegen 43 Taxaentlang der Thur und 30 Taxa entlang desTagliamento (Karaus, 2004).

3. Terrestrische UferfaunaDer dynamische Grenzbereich zwischenWasser und Land (Uferlinie) gilt als besonderssensibler Lebensraum, der die Integrität einesGewässers mit seinem Umland widerspie-gelt. In intakten Auen finden sich die Vertei-lungsmaxima vieler Organismen entlang die-ser aquatischen/terrestrischen Uferlinie. Vonder hohen aquatischen Produktivität entlangder Ufer profitiert eine individuenreiche undan den steten Wechsel von Trockenfallen undÜberschwemmung angepasste räuberischeterrestrische Uferfauna. Laufkäfer, Kurzflü-gelkäfer oder Spinnen ernähren sich vorwie-gend von driftenden, schlüpfenden und ge-strandeten aquatischen Organismen. Vieleder Uferarten sind in ihrem Vorkommen auffreie Schotterflächen angewiesen. Daherkann die Uferfauna als sensibler Indikator derökologischen Integrität von Flusslandschaf-ten verwendet werden (Sadler et al. 2004,Schatz et al. 2003; Paetzold et al. im Druck;Tockner et al. im Druck). Ihre Zusammenset-zung erlaubt nicht nur einen Hinweis auf dieLebensraumqualität der unmittelbaren Ufer-habitate, sie spiegelt auch die Vernetzung

zwischen aquatischen und terrestrischenÖkosystemen wider. Die ufernahen Lebens-gemeinschaften können auch in grossenFlüssen ohne hohen Aufwand untersuchtwerden, ein wesentlicher Vorteil zum Ver-gleich mit herkömmlichen Indikatoren (z.B.Makrozoobenthos).

In der vorliegenden Arbeit wurdenzwölf Flussabschnitte, die morphologisch(kanalisiert) und hydrologisch (Schwallbe-trieb) unterschiedlich beeinträchtigt sind,quantitativ auf ihre terrestrische Uferarthro-podenfauna untersucht (Paetzold 2004).Neben Probestellen entlang der Rhone (Chip-pis und Riddes) wurde eine Reihe weitererFlusssysteme – angeordnet entlang eines an-thropogenen Einflussgradienten – untersucht(Bilder 3 und 4). Alle zwölf Uferabschnitte(Wasseranschlagslinie bis zum permanentterrestrischen Bereich) wurden im Frühjahr,Sommer und Herbst 2001 quantitativ mittelsflächenbezogener Handaufsammlungen be-probt (48 Proben pro Ufer). Alle Vertreter derdrei individuenreichsten Arthropodengrup-pen – Kürzflügel- und Laufkäfer sowie Spin-nen – wurden jeweils auf Artniveau bestimmt.Anhand von digitalen Höhenmodellen wurdezugleich die Überflutungsdynamik der Ufer-bänke simuliert.

Die Artenzahl aller Uferarthropodenwurde durch Schwall-Sunk und Begradigungsignifikant reduziert. Die Dichte wurde vorallem vom Schwall-Sunk negativ beeinflusst.Spinnen, Laufkäfer und Kurzflügelkäfer rea-gierten unterschiedlich auf Veränderungendes Abflussregimes und der Morphologie.Spinnen reagierten besonders sensibel aufFlussbegradigung, Kurzflügelkäfer auf eineKombination von Begradigung und Schwall-Sunk. Laufkäfer wiesen die geringste Beein-trächtigung auf. Begradigungen führten zueiner signifikanten Zunahme der Überflu-tungsdauer und -häufigkeit. Schwall-Sunkerhöhte zusätzlich die Kolmation des Ufer-substrates. Die Artenzahl der Spinnen undLaufkäfer war negativ korreliert mit der Über-flutungshäufigkeit und dem Kolmationsgrad.Die Artenzahl der Kurzflügelkäfer korreliertenegativ mit dem Kolmationsgrad und derGrösse der Kiesbänke.

Der Grossteil der bei Riddes undChippis (Rhone) erfassten Arten beschränktesich auf Einzelfunde. Unter den typischenUferarthropoden konnten lediglich der Lauf-käfer Nebria picicornis und die Spinne Par-dosa wagleri mit einer Häufigkeit von >2 Indi-viduen nachgewiesen werden. Die geringeDichte der Uferarthropoden an der Rhonelässt auch auf eine eingeschränkte trophi-sche Vernetzung zwischen Fluss und Uferschliessen. Zusätzliche Untersuchungen zurAuswirkung unterschiedlich intensiver

Variable Einheit Oberlauf Mittel- und Unterlauf Zuflüsse

Schwebstoffe mg/l 125 (18–640) 110 (22–260) 100 (5–820)

Leitfähigkeit µS/cm 109 (58–165) 223 (141–405) 230 (32–743)

NO3-N µg/l 337 (299–471) 495 (312–614) 414 (194–920)

NH4-N µg/l 3,5 (0–25) 58 (10–>1000) 10,4 (0–49)

PN mg/l 80 (45–126) 82 (29–188) 119 (13–1150)

PO4-P µg/l 0,1 (0–0,4) 1,4 (0–22,3) 5 (0–40)

PP mg/l 81 (8–237) 62,3 (19–164) 69 (2,2–469)

TIC mg/l 7,4 (4,3–10,4) 14,3 (9,5–25,1) 16,4 (2,4–47,3)

DOC mg/l 0,9 (0,8–1,2) 0,9 (0,5–2,2) 1,0 (0,5–2,2)

POC mg/l 1,7 (0,7–4,0) 3,1 (2,3–4,9) 3,4 (0,1–29,8)

SiO2 mg/l 3,5 (2,8–4,5) 3,5 (2,3–4,9) 3,9 (2,6–7,7)

SO4 mg/l 15,4 (6,4–28,5) 40 (23–84) 70,1 (10,7–454)

Cl mg/l 1,0 (0,5–2,1) 4,5 (1,5–9,5) 2,8 (0,5–8,7)

Tabelle 1. Physikalisch-chemische Charakterisierung der Rhone und ihrer Zuflüsse(Mittel-, Minimal- und Maximalwert).

Tabelle 2. Vergleich der Habitat- und Taxavielfalt (Eintags-, Stein- und Köcherfliegen)entlang der Rhone und der Thur (EPT-Taxa aufgetrennt nach Habitattypen). Daten:Karaus (2004).

Habitate (Anzahl der Proben) EPT-Taxa

Rhone Thur Rhone Thur

Hauptgerinne 17 14 31 62

Hinterwasser 6 5 13 41

Tümpel 3 5 5 34

Zuflüsse 17 13 60 73

Gesamt 43 37 65 115

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Artenzahl

Spinnen

Laufkäfer

Kurzflügelkäfer

Hydrologie

Morphologie

+ + + + + + - - - - - -

+ + + - - - + + + - - -

Bild 3. Vergleich der terrestrischenUferfauna (Gesamtartenzahl derSpinnen, Kurzflügel- und Laufkäfer)entlang von zwölf Flussabschnitten, diemorphologisch (begradigt) undhydrologisch (Schwall-Sunk) unter-schiedlich beeinflusst sind (Paetzold2004). Die beiden Probestellen entlangder Rhone sind sowohl morphologisch alsauch hydrologisch stark beeinträchtigtund spiegeln die Bedingungen entlangdes Mittel- und Unterlaufes wider.

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«Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden 317

A B

Bild 4. Uferbereiche entlang des Tagliamento (A) und der Rhone (B; Schwallstrecke). Am Tagliamento lässt sich eine vielfältigeStruktur der Uferzonen beobachten. Die Dichte und Diversität an Uferarthropoden ist hoch. An der Rhone hingegen sind die Ufer-bereiche kolmatiert und fast völlig frei von terrestrischen Uferarthropoden (Fotos: A. Paetzold).

Schwall-Sunk-Beeinträchtigungen auf dieUferfauna könnten Aufschluss über einenökologisch verträglichen Grenzwert geben.

4. SchlussfolgerungDie Rhone weist eine breite Palette an ökolo-gischen Defiziten auf. Ein Grossteil der Ge-wässer – einschliesslich der Zuflüsse – isthydrologisch und morphologisch stark be-einträchtigt (Loizeau & Dominik 2000). Ge-rade der Verlust an artenreichen Seitenge-wässern (Tümpel, Hinterwasser, Mündungs-bereiche der Zuflüsse) stellt eine wesentlicheUrsache für die geringe Gesamtartenvielfaltdar.

Aus Sicht der Biodiversität aquati-scher und ufernaher Evertebraten sind zu-künftige Massnahmen vorrangig dort zu set-zen, wo noch ein hohes Regenerationspoten-zial besteht. Renaturierung im Oberlauf desHauptflusses und eine stärkere Vernetzungzwischen Zuflüssen und Hauptgerinne sindals prioritär zu betrachten (vgl. Benda et al.2004). Für den Mittel- und Unterlauf kann er-wartet werden, dass die Schaffung von Sei-tengewässern und Schotterbänken das vor-handene hydrologische Defizit zum Teil kom-pensieren kann.

Flussaufweitungen, die kiesigeSchotterbänke oberhalb der mittleren Hoch-wasserlinie schaffen, können die negativenAuswirkungen des Schwall-Sunkes auf dieterrestrische Uferfauna reduzieren und damitdie Vernetzung zwischen Fluss und terrestri-schem Umland verbessern. Ergebnisse vonUhlmann (2002) haben jedoch gezeigt, dassdurch den Schwallbetrieb, unabhängig vonder Morphologie, die aquatische Invertebra-tenfauna massiv betroffen bleibt. Aufweitun-gen des Flussbettes sollen deshalb mit Mass-nahmen zur Dämpfung des Schwall-Sunk-Regimes gekoppelt werden.

Dank

Die flächendeckenden Aufnahmen (Ökomorpho-

logie, Chemie) wurden im Rahmen des ETH-Prak-

tikums «Aquatische Systeme» durchgeführt (SS

2002). Allen beteiligten Studierenden sei für das

grosse Engagement gedankt. Herr Richard Illi hat

die chemischen Laboranalysen durchgeführt. Bei

der Determination der aquatischen und terrestri-

schen Evertebraten waren Dr. Wolfram Graf, Dr.

Thomas Ofenböck, Dr. Verena Lubini, Dr. Irene

Schatz, Alexander Rief und Werner Maggi behilf-

lich. Die Arbeiten entlang der Rhone und Thur

wurden durch das Eawag/WSL-Projekt «Rhone-

Thur» unterstützt (mitfinanziert durch BWG und

Buwal). Die Arbeiten am Tagliamento wurden

durch ein Projekt der ETH-Forschungskommis-

sion gefördert.

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Uhlmann V. (2001): Die Uferzoozönosen in natür-

lichen und regulierten Flussabschnitten. Diplom-

arbeit. ETH Zürich.

Anschrift der Verfasser/Verfasserinnen

Dr. Klement Tockner, Dipl.-Biol. Achim Paetzold,

Dipl.-Biol. Ute Karaus, Simone Blaser, Abteilung

für Limnologie, Eawag, CH-8600 Dübendorf,

E-Mail: [email protected]

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318 «Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden

EinleitungDie Trübung bzw. die Schwebstoffführung istin Alpenflüssen eine wichtige Steuergrössefür die abiotischen und biotischen Verhält-nisse im Gewässer. Für den Alpenrhein wurdegezeigt, dass die Trübung sich vielfältig aus-wirkt, z.B. auf das Lichtklima und die Ausdeh-nung des pflanzlichen Bewuchses oder aufdie Kolmation und die Entwicklung der Forel-leneier (ARGE Trübung Alpenrhein, 2001).

In der Rhone sind der Schwebstoff-haushalt und die Trübung heute stark verän-dert, sowohl im Jahres- wie auch im Tages-verlauf, was hauptsächlich auf den Einflussdes Schwallbetriebs von Kraftwerken zu-rückzuführen ist. Um eine Vorstellung überden ökologischen Zielzustand des Gewäs-sers zu entwickeln, ist es wichtig, Kenntnisseüber die natürlichen Trübungsverhältnisseder Rhone zu haben. Für die vorliegende

Untersuchung standen folgende Datensätzefür die Rhone bei Porte du Scex (kurz vor derMündung in den Lac Léman) zur Verfügung:• Datensatz von Uetrecht (1906) aus den

Jahren 1904/05, der einen vollständigenJahresgang umfasst. Es wurde täglich dieSchwebstoffkonzentration in der Rhonebestimmt zu einer Zeit, als sie noch nichtvon Kraftwerken beeinflusst war.

• Daten der Abflussmessstation der Lan-deshydrologie und -geologie, an welcherseit 1965 zweimal wöchentlich dieSchwebstoffkonzentration bestimmt wird.

• Kontinuierlich aufgezeichnete Trübungs-daten der obgenannten Messstation seitNovember 2002.

Im Folgenden werden die heutigenSchwebstoffkonzentrationen und Trübungs-werte mit den Werten von 1904/05 verglichen.Da die Schwebstoffkonzentration einemdeutlichen Jahresrhythmus unterliegt, wer-den Sommer- und Winterhalbjahr getrenntbehandelt.

SommerhalbjahrDer grösste Teil der jährlichen Schwebstoff-fracht wird im Sommer transportiert; im Jahr2003 betrug die Fracht der Monate Juni, Juliund August 2162000 t bzw. 2162 kt undentsprach 83% der gesamten Jahresfracht.Im Sommer wird die Schwebstoffkonzentra-tion vor allem durch den Niederschlag sowiedie Schnee- und Gletscherschmelze beein-flusst. Im Juni und Juli 2003 führten die hohenTemperaturen und einige heftige Nieder-schläge zu einer starken Schneeschmelze.Ende Juli setzte die Gletscherschmelze ein,welche den hohen Schwebstofftransport im

ersten Teil des Augusts hervorrief, gefolgt voneinigen starken Niederschlagsereignissen.Wie in Bild 1 zu sehen ist, erreichten oderübertrafen die Schwebstofffrachten der Mo-nate Juni und August 2003 die Frachten von1904.

In durchschnittlichen Jahren liegendie Schwebstofffrachten heute aber deutlichtiefer als 1904, was vor allem auf die Wasser-kraftwerke zurückzuführen ist. Das be-sonders trübe Schneeschmelz- und Glet-scherwasser wird heute in den Speicherseenteilweise zurückgehalten und erst im Winterturbiniert.

WinterhalbjahrDie grössten Abweichungen vom natürlichenZustand sind im Winter zu erwarten. Bei denohne anthropogene Einflüsse tiefen Winter-abflüssen ist der Einfluss des turbinierten trü-ben Schneeschmelzwassers sehr relevantund stellt den Haupteinflussfaktor auf die Trü-bung der Rhone im Winter dar.

Im Winter 2002/03 soll die Rhoneausserordentlich klar gewesen sein, wie vonAugenzeugen berichtet wurde. Die Beobach-tung des klaren Wassers lässt sich auch inden Trübedaten nachvollziehen (Bild 2), imWinter 2002/03 lagen diese Werte deutlichtiefer als im folgenden Winter 2003/04. Diekleinsten gemessenen Trübewerte waren imDezember 2002 6 TEF verglichen mit 12 TEF2003, im Januar 2003 5 TEF verglichen mit 11 TEF im Januar 2004. Die durchschnittlicheTrübung im Dezember 2002 lag bei 36 TEFund war somit um 14 TEF tiefer als im folgen-den Winter. Wie ebenfalls in Bild 2 ersichtlichist, war der Abfluss im Winter 2002/03 höher

Schwebstoffe in der Rhone von 1904 bis 2003■ Barbara Imhof, Peter Baumann, Mira Portmann

Schwebstoffkonzentration: Wert in Mas-se/Volumen, Trockengewicht des suspen-dierten Materials (>0,45 µm) einer Was-serprobe.Schwebstofffracht: Wert in Masse/Zeit,Integral über den Schwebstofftransport(Abfluss � Konzentration zur Zeit t).Trübung: Wert in TEF (Trübungs-EinheitenFormazin), ermittelt durch eine Streulicht-messung. Trübung und Schwebstoffkon-zentration korrelieren, die Beziehungmuss für jedes Gewässer separat ermitteltwerden. Für eine ausführliche Beschreibung derOriginaldaten und Berechnungen siehePortmann et al., 2004.

Monatsfrachten im Sommer

0

200

400

600

800

1000

Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt

Sch

web

sto

fffr

acht

(k

t/M

ona

t)

2003

1981–1999

1904/05

Bild 1. Vergleich der monatlichen Schwebstofffrachten in kt derSommermonate (Apr–Okt) 2003 mit der Periode 1981–1999 undmit dem Jahr 1904.

30 Nov 7 Dec 14 Dec 21 Dec 28 Dec 4 Jan 11 Jan 18 Jan 25 Jan0

50

100

150

200

250 Trübe 02/03

Trüb

ung

(TE

F), A

bflu

ss (m

3 /s) Trübe 03/04

Abfluss 02/03 Abfluss 03/04

Bild 2. Vergleich der Abflusswerte und der Trübung von Dezem-ber und Januar der Winter 2002/03 und 2003/04.

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«Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden 319

als im folgenden Jahr. Diese Tatsache wider-spricht der festgestellten Tendenz, dass einerhöhter Abfluss eine höhere Schwebstoff-konzentration zur Folge hat. Dieses ausser-gewöhnliche Phänomen ist vermutlich aufeine verstärkte Exfiltration von klarem Grund-wasser in den Fluss zurückzuführen, wo-durch das Rhonewasser «verdünnt» wurdeund die Trübung somit abnahm. Darauf deu-ten zumindest die aussergewöhnlich hohenGrundwasserstände hin, die in der Rhone-ebene vor allem flussaufwärts von Martignynach den starken Niederschlägen von AnfangNovember 2002 über den ganzen Winter biszum Frühjahr 2003 herrschten (LHG, 2003).Ein anderer Hinweis auf einen erhöhtenGrundwasserzustrom liefert die chemischeAnalyse der regelmässigen Stichproben desRhonewassers an der NADUF (NationaleDaueruntersuchung der schweizerischenFliessgewässer-)Messstation Port du Scex,bei der im Winter 2002/03 erhöhte Frachtenan Sulfat und Silikat sowie erhöhte Alka-linitätswerte festgestellt wurden (Schürch,2000).

Trotz der klaren Verhältnisse im Jahr2003 lag der Schwebstofftransport im Winter1904/05 noch deutlich tiefer. Damals betru-gen die Schwebstofffrachten in den MonatenNovember bis Februar zum Teil deutlich weni-ger als 5 kt pro Monat (mo), während sie imJahr 2003 zwischen 10 und 20 kt/mo lagen.Die Frachten vom Januar 2003 liegen viermal,vom Februar zehnmal, vom November zwölf-mal und vom Dezember siebenmal über denentsprechenden Werten von 1904/05 (Bild 3).

Auch in den Tagesfrachten ist der Ein-fluss der Kraftwerke deutlich ersichtlich. DieTagesfrachten von 1904/05 verliefen unregel-mässig, während in den Jahren 2002/03 eindeutlicher Wochenrhythmus mit tiefen Wertenan den Wochenenden vorherrschte, an denennicht oder nur wenig turbiniert wurde (Bild 4).

Auch an den Sonntagen im Winter2002/03, die aufgrund des fehlenden Kraft-werkeinflusses die tiefsten Schwebstoff-konzentrationen und -frachten aufwiesen,lagen diese Werte immer noch über jenen von 1904/05. Sogar im Winter 2002/03, indem aussergewöhnlich klare Verhältnisseherrschten, wurden demnach nie so tiefeWerte erreicht wie unter natürlichen, anthro-pogen nicht beeinflussten Bedingungen.

Jahreszeitliche VerschiebungEs ist klar ersichtlich, dass eine deutliche Ver-schiebung der Schwebstofffrachten im Jah-resverlauf stattgefunden hat. Die Werte liegenim Sommer durch den Rückhalt von Wasserin den Kraftwerksspeichern tiefer als unternatürlichen Verhältnissen.

Im Gegensatz dazu sind im Winter,wenn natürlicherweise klare Bedingungenherrschen würden, die Werte deutlich erhöht,sogar im klaren Winter 2002/03. Zusätzlich istein ausgesprochener Wochenrhythmus er-sichtlich, wobei die Werte an den Wochenen-den, wenn der Einfluss der Kraftwerke am ge-ringsten ist, am tiefsten liegen, jedoch auchdann nie so tief wie 1904/05.

Ökologische AuswirkungenWie sich eine bestimmte Schwebstoff-konzentration gewässerökologisch auswirkt,hängt von zahlreichen Randbedingungen ab,wie der Art des Gewässers oder der Art derOrganismen. Zwei Faktoren spielen eine zen-trale Rolle: • Die Zeitspanne, während der eine be-

stimmte Schwebstoffkonzentration bzw.Trübung herrscht (Einwirkungsdauer)

• Das Verhältnis oder die Differenz zur natürlichen Konzentration bzw. Trübung,die an dieser Stelle und in diesem Zeitraumohne anthropogene Einflüsse herrschenwürde.

Am besten sind die direkten Auswir-kungen der Trübung auf Fische (z.B. mecha-nische Schädigung, physiologische Beein-trächtigungen) untersucht, weniger bekanntsind hingegen die indirekten Auswirkungenauf andere Organismengruppen.

Die heutigen sommerlichen Konzen-trationsbereiche in der Rhone sind gewässer-ökologisch sehr relevant. Bei juvenilen undadulten Salmoniden (Forellen) ist mit starkenEffekten zu rechnen (Newcombe & Jensen,1996). Diese hohen Schwebstofffrachtensind jedoch nicht anthropogen bedingt, na-türlicherweise würden die Werte sogar nochhöher liegen.

Ganz anders verhält es sich im Win-terhalbjahr. Die Trübung ist im Winter wesent-lich höher als im natürlichen Zustand. Absolutgesehen liegen die Schwebstoffkonzentra-tionen mit 10 mg/l bis maximal 100 mg/l zwarum fast eine Grössenordnung unter denSommerwerten, aber ebenso deutlich überden natürlichen Winterwerten. Die monat-lichen Frachten sind in den Wintermonaten2003 vier- bis zwölfmal grösser als jene von1904/05. Deshalb ist trotz der tiefen absolu-ten Winterwerte von relevanten Auswirkun-gen auf den Lebensraum und auf die Lebens-gemeinschaften der Rhone auszugehen.Dies können z.B. eine Veränderung der Licht-verhältnisse und der pflanzlichen Produktion(Portmann, 2004) oder eine Zunahme vonSchwebstoffablagerungen und eine ver-stärkte Kolmation der Flusssohle (ARGE Trü-bung Alpenrhein, 2001) sein.

Dank

Wir bedanken uns beim BWG für das Zurver-

fügungstellen der Daten. Lorenz Moosmann und

Alfred Wüest, Eawag, danken wir für ihre fachliche

Unterstützung. Der Eawag gilt unser Dank

für die Unterstützung von Mira Portmann durch

Alfred Wüest.

2003

1981–1999

1904/05

Sch

web

sto

fffr

ach

t (k

t/M

on

at)

Monatsfrachten im Winter

Bild 3. Vergleich der monatlichen Schwebstofffrachten in kt derWintermonate 2003 mit der Periode 1981–1999 und mit demWinter 1904/05.

0

0,2

0,4

0,6

0,8

1

1,2

1,4

1,6

30. Okt 29. Nov 29. Dez 28. Jan 27. Feb 29. Mrz

2002/03

1904/05

Verlauf der Tagesfrachten im Winter

Sch

web

sto

fffr

acht

(kt/

d)

Bild 4. Vergleich der täglichen Schwebstofffrachten des Winters2002/03 mit dem Winter 1904/05.

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320 «Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden

Literatur

ARGE Trübung Alpenrhein (2001): Trübung im Al-

penrhein: Ergebnisse einer Literaturstudie. Be-

richt im Auftrag der Internationalen Regierungs-

kommission Alpenrhein, Projektgruppe Gewäs-

ser- und Fischökologie, Vaduz, 20 S.

LHG (2003): Hydrologisches Jahrbuch der

Schweiz 2003, herausgegeben von der Abteilung

Landeshydrologie des Bundesamtes für Wasser

und Geologie, Bern, 460 S.

Newcombe, C. P., Jensen, J. O. T. (1996): Channel

suspended sediment and fisheries: A synthesis for

quantitative assessment of risk and impact. N.

Am. J. Fish. Man. 16, 693–727.

Portmann M. et al. (2004): Schwebstoffhaushalt

und Trübung der Rhone. Publikation des Rhone-

Thur-Projekts. 31 S.

Schürch, M. (2000): Détermination des paramè-

tres hydrauliques et hydrochimiques d’un aquifère

alluvial dans une vallée alpine (Valais, Suisse).

Diss. Univ. Neuchâtel, 232 S.

Uetrecht E. (1906): Die Ablation der Rhone in

ihrem Walliser Einzugsgebiet im Jahre 1904/05.

Zeitschr. f. Gewässerkunde 7 (5), 257–321.

Anschrift der Verfasserinnen/des Verfassers

Barbara Imhof, Wehntalerstr. 41, CH-8057 Zürich,

E-Mail: [email protected]

Peter Baumann, dipl. phil. II, Limnex AG, Schaff-

hauserstrasse 343, CH-8050 Zürich, E-Mail:

[email protected]

Mira Portmann, Brünigstr. 168, CH-6060 Sarnen.

1. Grundlagen Die Hochwasserereignisse 1987, 1993 und2000 im Wallis haben die Grenzen der heuti-gen Massnahmen zum Schutze der Rhone-ebene aufgezeigt. In Folge hat die Dienst-stelle für Strassen- und Flussbau (DSFB) desKantons Wallis das Laboratoire de Construc-tions Hydrauliques (LCH) der EPFL beauf-tragt, alle nötigen Daten zur Realisierungeines numerischen, eindimensionalen HEC-RAS-Modells zu sammeln (LCH, 2002). Aus-

gehend von den geometrischen Eigenschaf-ten des Gewässers und dem Abfluss, erlaubtdie Software HEC-RAS (HEC-RAS, 2002) inihrer aktuellen Version 3.1.2 die Berechnungder Wasserspiegel, der mittleren Abflussge-schwindigkeiten sowie daraus abgeleiteterhydraulischer Grössen.

Die geometrischen Daten des HEC-RAS-Rhone-Modells beruhen auf den vonNovember 2000 bis März 2001 letztmals ver-messenen, insgesamt 646 Querprofilen aufder rund 120 km langen Fliessstrecke derRhone vom Genfersee bis Brig. Zurzeit wirddas Modell bis Gletsch verlängert sowiedurch die Einbindung sämtlicher Rhonebrü-cken, Schwellen und allenfalls der wichtigs-ten Zuflüsse verfeinert. In der verwendeten

Profilgeometrie sind die morphologischenAuswirkungen jenes Starkhochwassers ent-halten, das in der Rhone bei Porte du Scex am15. Oktober 2000 zur höchsten bisher ge-messenen Abflussspitze von 1390 m3/sführte und den Fluss örtlich aus seinen Däm-men ausbrechen liess (BWG, 2000). Dabeiwurden die beweglichen Teile des Gewässer-bettes tief greifend umgelagert und infolge-dessen auch pflanzliche wie tierische Be-siedler der Flusssohle (Phyto- und Makro-zoobenthos) fast komplett ausgeräumt(Baumann, 2004).

Kurz nach diesem Hochwasserereig-nis, im März 2001, starteten die Felduntersu-chungen von Teilprojekt «Revitalisierung undBenthos der Rhone» (siehe Kasten) innerhalb

Bei der Untersuchung und Bewirtschaf-tung von Fliessgewässern bekommt dasZusammenspiel von Hydrologie, Hydrau-lik, (Geo-)Morphologie und Biologie einimmer stärkeres Gewicht. Das kommtetwa in neuen Wortschöpfungen wie«Ökohydraulik», «Ecohydraulics», «Hydro-Ecology» usw. zum Ausdruck, die für einerelativ junge, sich rasch entwickelndeRichtung der Fliesswasser-Ökologie ste-hen. Die dritte Rhonekorrektion im Wallisbietet eine ausgezeichnete Möglichkeit,solch ökohydraulische Fragestellungeninterdisziplinär zu bearbeiten. Ein ersterSchritt dazu ist im Rahmen des Rhone-Thur-Projektes gemacht worden, das inder vorliegenden Sonderbeilage vorge-stellt wird. Der folgende Artikel zeigt amBeispiel der Flusssohle und ihrer Bewoh-ner auf, zu welchen Resultaten die Zu-sammenarbeit zwischen Gewässerbiolo-gie und Flussbau in der Rhone geführt hatund welche ersten Schlussfolgerungensich daraus für die bevorstehende, stre-ckenweise Revitalisierung dieses Alpen-flusses ergeben.

Makrozoobenthos und Hydraulik in ausgewählten Querprofilen der Rhone■ Peter Baumann, Tobias Meile

Bild 1. Längenprofil der Rhone vom Genfersee bis Brig mit der Fluss-Kilometrierungund mit den näher untersuchten Querprofilen. Darstellung aus LCH (2002), ergänzt.Die eingefügte Tabelle enthält charakteristische Abfluss-Kennwerte dieser Profilesowie die momentanen Abflüsse bei den morphologisch-hydraulischen Aufnahmenvom Winter 2002 (Messung 1 bzw. 2).

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«Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden 321

des Rhone-Thur-Projektes. Im darauf folgen-den Winter (Januar bis März 2002) wurden ineinigen ausgewählten Querprofilen bei Brig,Leuk, Chippis und Riddes (Bild 1) folgendeMerkmale des Lebensraumes und der wirbel-losen Lebensgemeinschaft in der Rhone alsAusgangsdaten aufgenommen:• Profilgeometrie (Gewässerbreiten und

Wassertiefen)• Strömungsverhältnisse (Fliessgeschwin-

digkeiten über den Querschnitt)• Sohlenstruktur (Korngrössenverteilung in

Substratproben, überwiegend aus derDeckschicht bestehend)

• Phytobenthos qualitativ-quantitativ (Al-genbewuchs auf der Gewässersohle)

• Makrozoobenthos quantitativ (Boden-fauna in Substratproben, überwiegend ausder Deckschicht).

Die Aufnahmen fanden immer amWochenende oder am frühen Vormittag statt,wenn die zahlreichen Speicherkraftwerke mitintermittierendem (Schwall-)Betrieb mög-lichst wenig Wasser abgaben und der Abflussdaher minimal war (Sunk). (Als Schwall/Sunkwerden grundsätzlich die instationären undungleichförmigen Abflussverhältnisse inForm von positiven/negativen Wellen be-zeichnet, welche durch den Betrieb der Kraft-werke entstehen. Der vorliegende Artikelbefasst sich lediglich mit den stationären Si-tuationen bei maximalem [Schwall] und mini-malem [Sunk] Abfluss.)

Aus den im Fluss erhobenen Aus-gangsdaten konnte einerseits der zum Auf-nahmezeitpunkt herrschende Abfluss, ande-rerseits eine Reihe von Kennwerten (Indika-toren) für die Strömungscharakteristik, denso genannten hydraulischen Stress, die Soh-lenstabilität und die innere Kolmation berech-net werden (Baumann, 2004). Von diesen In-dikatoren wird im vorliegenden Artikel auf diedimensionslose Sohlenschubspannung τ∗

nach Shields und auf die relative BettstabilitätRBS nach Gordon et al. (1992; Kapitel 7.4.3)eingegangen.

2. Modellrechnungen und -überprüfung

Die aus den Feldaufnahmen vom Winter 2002bestimmten Abflusswerte bei Niederwasser(Sunk) in einzelnen Querprofilen wurden mitdem HEC-RAS-Rhone-Modell nachgerech-net. Die resultierende mittlere Fliessgeschwin-digkeit im Querprofil kann wiederum mit deneffektiv gemessenen Strömungen verglichenwerden und so zur Abschätzung der Modell-genauigkeit bei Niederwasser dienen.

In den einzelnen Querprofilen liegendie Abweichungen zwischen berechnetenund gemessenen Werten der mittleren Fliess-geschwindigkeit Um zwischen 5% (Profil

Leuk) und 32% (Profil Riddes 1), im Mittel überalle Profile bei 20%. Die maximale Profiltiefehmax (Talweg) zeigt ähnliche Abweichungen,aber mit umgekehrtem Vorzeichen (Bild 2).Dazu können, neben den Ungenauigkeitender Feldmessungen und Modellrechnungen,drei weitere Ursachen beitragen:• Veränderungen der Sohlenlage durch Ge-

schiebeablagerung oder -abtrag im Ver-lauf der ca. 10 bis 15 Monate zwischen derVermessung der Querprofile (Eingabeda-ten für die Geometrie im HEC-RAS-Mo-dell) und den Feldaufnahmen in einzelnendieser Profile (Ausgangswerte für die Be-rechnungen in situ). Für die hier betrachte-ten kleinen Abflüsse können auch geringeVeränderungen der Sohlenlage ins Ge-wicht fallen. Die im Februar 2001 festge-stellten Sohlenerhöhungen (Ablagerun-gen) im Bereich von Riddes (Bild 3) dürften

beim Hochwasser vom Oktober 2000 ent-standen und mehr als ein Jahr danach, beiden Feldaufnahmen im März 2002, schonwieder teilweise oder vollständig ausge-ebnet worden sein.

• Lokale Einflüsse auf die Wasserspiegel-lage (z.B. Rückstaubereiche infolge derZuflüsse aus Kraftwerkszentralen, Kies-entnahmen, Kiesbänke). Diese Unregel-mässigkeiten können sich örtlich wie zeit-lich rasch verändern.

• Unterschiede der Rauigkeit zwischen Nie-der- und Hochwasserbedingungen. DasHEC-RAS-Rhone-Modell ist für die Mo-dellierung von Hochwasser-Ereignissen,nicht aber für geringe Abflusstiefen imWinter geeicht worden. Der Rauigkeits-koeffizient nach Manning-Strickler ist vomAbfluss respektive der Abflusstiefe abhän-gig (BWG, 2001a).

0,25

0,5

0,75

1

1,25

1,5

0 0,25 0,5 0,75 1 1,25 1,5

Um

[m

/s];

hm

ax [

m];

(HE

C-R

AS

-Mo

del

l)

Um [m/s]; hmax [m]; (Messung)

Mittlere Strömung Um

maximale Tiefe hmax

Bild 2. Gemessene und mittels HEC-RAS berechnete mittlere Fliessgeschwindigkeit(Um) und maximale Tiefe (hmax) in den aufgenommenen Querprofilen der Rhone. Diebeiden Datenpunkte des Profils Riddes 1 sind durch Schattierung hervorgehoben.

Bild 3. Längenprofil der tiefsten Sohlenlage (Talweg) und verschiedener Wasser-spiegellagen der Rhone im Bereich der drei untersuchten Querprofile bei Riddes.Eingetragen sind auch die Einmündungen des Betriebswassers aus den beidengrossen Speicherkraftwerken Grande Dixence (Zentrale Nendaz) und Mauvoisin(Zentrale Riddes).

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322 «Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden

Trotz dieser Abweichungen kann dieerzielte Genauigkeit als genügend erachtetwerden, um die benötigten Ausgangsdatenund daraus abgeleiteten hydraulischen Para-meter (Kapitel 1) für jene typischen Schwall-abflüsse abzuschätzen, für welche eine In-

situ-Aufnahme nicht möglich war (Bild 1).Diese Berechnungen wurden am LCH imRahmen von Modul IV «Synergien und fluss-bauliche Massnahmen» (siehe Kasten) desRhone-Thur-Projektes durchgeführt. Die alsAusgangsdaten benötigten mittleren Korn-

grössen (dm bzw. d50) der Sohlen-Deck-schicht stammten aus den Siebanalysen, diefür Substratproben an zwei bis drei Standor-ten pro Querprofil vorlagen (Kapitel 1). Dem-entsprechend beziehen sich auch die hyd-raulischen Berechnungen in den Profilen je-weils auf ein bis zwei Standorte in Ufernähesowie einen Standort in der Flussmitte.

3. Struktur und Stabilität der Rhonesohle

Als Beispiele für die Resultate dieser Messun-gen und Modellrechnungen werden hier dieStruktur und Stabilität der Rhonesohle her-

Rhone-Querprofil Brig Leuk Chippis** Riddes 1 Riddes 2 Riddes 3Längsprofil kanalisiert stark kanalis. kanalisiert kanalis., flach kanalisiert kanalis., KurveGefälle gross mittel sehr gross klein sehr gross mittelSubstrat sehr grob grob sehr grob fein grob fein - grobKolmation Deckschicht keine keine — keine mässig keine - deutlichSchwalleinfluss gering mittel mittel mittel gross gross

M 7,900 3,700 10,700 4,400 7,400 8,100

B 3'300 - 10'500 1'100 -6'400 3'100 -18'300 2'900 - 8'500 1'800 - 10'800 3'900 -12'100

M 11,8 10,5 5,5 2,6 3,0 4.3 (21.2)*

B 6.5 - 21.7 1.6 - 35.5 2.4 - 8.7 0.4 - 6.7 0.7 - 8.2 0.9 - 7.8 (119)*

M 1 0 1 3 1 0 9 1 0 1 3

B 8 - 13 10 - 16 8 - 11 6 - 11 5 - 16 4 -21

M 2 7 1 9 2 0 3 7 6

B 7 -41 14 - 32 7 - 34 <1 - 5 <1 - 21 <1 - 19

M 1 7 2 1 4 6 4 5 (14)*

B 6 - 30 4 - 45 2 - 6 1 - 12 2 - 9 1 - 10 (51)*

M 9 7 7 6 118 2 2 7 4 7 2

B 80 - 138 47 - 113 105 - 138 15 - 35 60 - 87 33 - 114

M 144 111 174 4 6 103 103

B 102 - 188 81 - 174 163 - 188 29 - 77 88 -161 49 - 171

M 6 8 3 5 7 7 9 2 8 3 3

B 54 - 78 21 - 66 68 - 93 6 - 21 18 - 48 9 - 77

1. Quartil der Korn-

grösse d25 [mm]

Median der Korn-

grösse d50 [mm]

3. Quartil der Korn-

grösse d75 [mm]

Abundanz MZB

[Individuen/m2]Biomasse MZB

[g Frischgew./m2]Artenvielfalt MZB

[Anzahl Taxa/m2]

Anteil Ind. >5mm am MZB [% der Abundanz]

Anteil EP am MZB [% der Abundanz]

Tabelle 2. Merkmale der Rhone sowie Kennwerte des Makrozoobenthos und desSubstrates (Deckschicht) in den untersuchten Querprofilen. Es sind jeweils dieMittelwerte (M) und die Schwankungsbereiche der Einzelwerte (B) angegeben. Beiden Biomassen sind jene Werte farbig gekennzeichnet, die mässig (orange) oder stark(rot) von den Erwartungswerten nach Dückelmann (2001) für alpine Gewässer derjeweiligen Höhenlage abweichen.

* Werte in Klammern unter Berücksichtigung von zwei stark nach oben abweichenden Einzelwerten («Ausreisser»).** Kein vollständiges Querprofil, sondern nur zwei ufernahe Proben.MZB = Makrozoobenthos.

in-situ Messung März 2002 Sohlenstabilität nach Shields Relative Bettstabilität

Lage Q A hmax U τ∗ L τ∗ M τ∗ R RBS L RBS M RBS R

(Fluss-km) (m3/s) (m2) (m) (m/s) ( - ) ( - ) ( - ) ( - ) ( - ) ( - )

Brig Sunk 116,404 7,50 10,25 0,60 0,72 0,003 0,004 5,6 2,4

Brig Schwall 116,404 15,00

Leuk Sunk 1 93,650 16,35 24,86 0,91 0,66 0,003 0,005 0,005 4,1 2,3 3,1

Leuk Sunk 2 93,650 28,70 32,72 1,08 0,88 0,007 0,010 0,009 2,8 1,8 2,2

Leuk Schwall 93,650 40,00

Chippis Sunk 80,355 29,55 33,11 0,89 0,892 — — — — — —

Riddes oben Sunk 56,306 17,60 19,63 0,62 0,90 0,041 0,023 0,031 1,1 1,5 1,2

Riddes oben Schwall 56,306 70,00

Riddes Mitte Sunk 1 53,857 24,30 24,92 0,71 0,98 0,010 0,013 0,015 2,1 2,4 2,2

Riddes Mitte Sunk 2 53,857 38,55 36,27 0,87 1,06 0,012 0,012 0,013 1,9 1,8 1,9

Riddes Mitte Schwall 53,857 110,00

Riddes unten Sunk 50,579 39,75 38,83 1,18 1,02 0,013 0 ,030 0,009 2,1 1 ,1 3,0

Riddes unten Schwall 50,579 110,00

Ausgangswerte HEC-RAS Sohlenstabilität Shields Relative Bettstabilität

Lage Q A hmax U τ∗ L τ∗ M τ∗ R RBS L RBS M RBS R

(Fluss-km) (m3/s) (m2) (m) (m/s) ( - ) ( - ) ( - ) ( - ) ( - ) ( - )

Brig Sunk 116,404 7,50 8,15 0,45 0,92 0,007 0,005

Brig Schwall 116,404 15,00 12,56 0,63 1,19 0,010 0,007 4,3 1,9

Leuk Sunk 1 93,650 16,35 21,79 0,90 0,75 0,005 0,006 0,005

Leuk Sunk 2 93,650 28,70 31,20 1,11 0,92 0,007 0,008 0,006

Leuk Schwall 93,650 40,00 38,17 1,27 1,05 0,008 0,009 0,008 2,5 1,6 1,9

Chippis Sunk 80,355 29,55 25,44 0,80 1,16 0,011 0,008

Riddes oben Sunk 56,306 17,60 28,90 0,79 0,61 0,013 0,016 0,007

Riddes oben Schwall 56,306 70,00 71,38 1,68 0,98 0,026 0,031 0,015 0,8 1,1 0,8

Riddes Mitte Sunk 1 53,857 24,30 29,14 0,85 0,83 0,008 0,007 0,007

Riddes Mitte Sunk 2 53,857 38,55 39,60 1,07 0,97 0,010 0,008 0,009

Riddes Mitte Schwall 53,857 110,00 78,89 1,85 1,39 0,017 0,014 0,015 1,3 1,3 1,3

Riddes unten Sunk 50,579 39,75 30,52 0,86 1,30 0,022 0,048 0,018

Riddes unten Schwall 50,579 110,00 68,16 1,67 1,61 0,027 0,059 0,022 1,7 0 ,9 2,5

Tabelle 1. Hydraulische Kennwerte für verschiedene Querprofile und Abflüsse derRhone. Für die Sunkabflüsse der oberen Tabelle sind die benötigten Ausgangsgrössenin situ gemessen, für die Sunk- und Schwallabflüsse der unteren Tabelle hingegenmittels HEC-RAS berechnet worden. Q = Abfluss, A = benetzter Querschnitt, U = mittlere Fliessgeschwindigkeit, τ* = dimensionslose Sohlenschubspannunggemäss Shields, RBS = relative Bettstabilität, L = linke Flusshälfte, M = Flussmitte, R = rechte Flusshälfte (immer in Fliessrichtung betrachtet). Die orange gesetztenKennwerte weisen auf eine labile, die rot gesetzten auf eine instabile Sohlen-Deckschicht hin (Kritische Grenzbedingungen: τ* ≥ 0,047, RBS ≤1,0).

Modul IV: Synergien und flussbauliche

Massnahmen

Gemäss der Wegleitung des BWG zumHochwasserschutz an Fliessgewässern(BWG, 2001b) sind Hochwasserschutzund ökologische Anliegen keine Gegen-sätze, sondern bei Vorhaben des Hoch-wasserschutzes gleichrangig zu berück-sichtigen. Unter dem Leitmotiv «Fluss-bauliche Massnahmen im Dienste desHochwasserschutzes, der Umwelt, Ge-sellschaft und Wirtschaft» bearbeitet(e)das «Laboratoire de Constructions Hy-drauliques» LCH an der «Ecole Polytech-nique Fédéral de Lausanne» EPFL fol-gende Forschungsprojekte:1. Flussbauliche und wasserbaulicheMassnahmen zur Verminderung vonSchwall-und-Sunk-Erscheinungen infol-ge Kraftwerkbetriebs2. Verlandungsproblematik von als Natur-reservat und Erholungsraum gestaltetenÜberflutungsgebieten3. Einfluss von naturnah gestalteten Ufer-verbauungen auf Geschiebetrieb und lo-kale Erosionserscheinungen4. Mögliche Synergien eines Mehrzweck-projektes hinsichtlich Hochwasserschutz,Wasserkraftnutzung, Flussaufwertung,Eliminierung von Schwall und Sunk, Bio-topvernetzung, Freizeiterholung undVolkswirtschaft.Das Modul IV des Rhone-Thur-Projektesmöchte das Bestreben nach Gleichbe-handlung aller Ansprüche des Gewässersmit wissenschaftlichen Grundlagen stüt-zen und zudem mit praktischen Empfeh-lungen erleichtern. Das Teilprojekt 3wurde im Frühjahr 2004 abgeschlossen(Chèvre, 2004). Die Teilprojekte 1, 2 und 4,welche untereinander verknüpft sind, lau-fen bis ins Jahr 2006.

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«Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden 323

ausgegriffen. Die entsprechenden hydrauli-schen Kennwerte für die Sunk- und Schwall-abflüsse in den einzelnen Querprofilen sind inTabelle 1 zusammengestellt. Gemäss denbeiden verwendeten Ansätzen für die Sohlen-stabilität (relative Bettstabilität RBS unddimensionslose Sohlenschubspannung τ∗)bleibt die stark abgepflästerte Rhonesohle anden meisten Standorten auch bei Schwallvollkommen stabil und wird erst bei grös-seren Hochwasserereignissen aufgerissen.Eine Ausnahme bildet die Flussmitte im Quer-profil Riddes 3, wo die Indikatoren RBS und τ∗

eine bei Sunk noch stabile, bei Schwall aberbereits in Bewegung geratende Sohle anzei-gen (Tabelle 1). Dieser Standort ist, gemessenan den meisten anderen Querprofilen, durcheine ausgesprochen feine Sohlenoberflächegekennzeichnet (Bilder 4 und 5). Ein ebensofeines und teilweise noch etwas feineres Sub-strat wurde nur noch über die ganze Breitedes Profils Riddes 1 festgestellt (Kapitel 4).Auch in diesem Profil deuten RBS und τ∗ aufeine beginnende Destabilisierung bei Schwallhin, sofern bei der Berechnung die gemesse-nen Ausgangsdaten verwendet werden.Rechnet man jedoch mit den modelliertenStrömungen und Wassertiefen des HEC-RAS-Rhone-Modells, so ergibt sich über denganzen winterlichen Abflussbereich eine sta-bile Sohle (Tabelle 1). In diesem Profil habendemnach die besprochenen Abweichungenzwischen berechneten und gemessenenAusgangswerten einen massgebenden Ein-fluss auf die resultierende Beurteilung derSohlenstabilität.

Wie die Trendlinie in Bild 4 verdeut-licht, wird der mittlere Korndurchmesser dm

(als einfaches Mass für die Zusammenset-

zung der Flusssohle) in der Rhone haupt-sächlich vom Gefälle bestimmt. Die Wasser-führung als zweiter wesentlicher Einflussfak-tor spielt innerhalb des hier betrachteten, tie-fen Abflussbereiches im Winter eine kleinereRolle. Im Profil Riddes 1 entspricht das relativfeine Substrat den Erwartungen für diese fla-che Fliessstrecke. Demgegenüber ist dm überdas ganze Profil Riddes 2 (und dazu in derFlussmitte von Riddes 3) wesentlich kleiner,als es das recht grosse Gefälle erwartenliesse. Im Bereich von Riddes können die imBild 3 sichtbaren Unregelmässigkeiten derSohlenlage entscheidende Auswirkungenauf die Wasser- und Energielinie und damit in-direkt auf die Tiefen- und Strömungsverhält-nisse (Kapitel 2) sowie die Beschaffenheit desFlussbettes haben.

4. Die Rhonesohle alsLebensraum

Die mittleren Korngrössen der zwei bis dreiMesspunkte pro Querprofil liegen in der Regelsehr nahe beisammen (Bild 4). Die Rhone-sohle ist in diesen Fällen demnach über dieganze Flussbreite einheitlich zusammenge-setzt, was auf die meist monotone Gestalt derQuerprofile als Folge einer starken Kanalisie-rung zurückzuführen ist. Eine deutlich grös-sere Variationsbreite zeigen die Korngrössendes in einer Kurve liegenden Profils Riddes 3,obwohl auch dieses in ähnlicher Weise ver-baut ist. Hier zeigen sich somit bereits heuteAnsätze zu vielfältigeren Substratverhältnis-sen und flussmorphologischen Strukturen,wie sie früher in der Rhone bestanden und wiesie durch die vorgesehenen Aufwertungs-massnahmen künftig wieder vermehrt ge-schaffen werden sollen.

Für die wirbellosen Organismen desBenthos, die definitionsgemäss die Gewäs-sersohle bewohnen, gehört die Zusammen-setzung des Sohlenmaterials zu denwichtigsten abiotischen Einflussfaktoren fürihre Verbreitung. In Geschiebe führendenFlüssen mit kiesig-steiniger Sohle ist dieoberste Sedimentlage (Deckschicht) in derRegel deutlich gröber als das darunter lie-gende Material (Abpflästerung). Weil die inder Rhone entnommenen Substratprobenvorwiegend diese Deckschicht umfassten,sind zu Aufbau und Verhalten der gesamtenFlusssohle nur indirekte Schlüsse aus derbenthischen Besiedlung (in denselben Rho-neproben) und aus Erfahrungen an anderenalpinen Flüssen möglich. Dies betrifft be-sonders auch die Verlegung der tieferen Se-dimentschichten mit Feinmaterial (innereKolmation).

Die Rhonesohle im Querprofil Riddes1 unterscheidet sich durch ihr feines Substratschon äusserlich stark von jener in denübrigen, meist viel grobkörnigeren Profilen(Bild 5). Dabei liegt das oberflächliche Sub-strat in Riddes 1 über die ganze Flussbreitemehrheitlich im Korngrössenbereich von ca.10 bis 50 mm (Tabelle 2) und eignet sich so-mit grundsätzlich gut als Lebensraum für einartenreiches Makrozoobenthos (Brosse et al.,2003) wie auch als mögliches Laichsubstratfür die Bachforelle (Jungwirth et al., 2003), diein der Rhone vorherrschende Fischart (vgl.den Artikel von Peter und Weber in dieserSondernummer). Weitere fischereibiologi-sche Anforderungen an den Sohlenaufbau(Anteil Feinsedimente, Fredle-Index) werdenin Riddes 1 ebenfalls erfüllt, wenn auch teil-weise nur knapp.

0

20

40

60

80

100

120

140

0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0

Riddes 3

Leuk

Riddes 1

Riddes 2

Chippis

Brig

Mit

tler

e K

orn

grö

sse

[mm

]

Wasserspiegel-Gefälle [‰]

Bild 4. Mittlere Korngrösse des Substrates (d50) und Wasserspiegelgefälle in denuntersuchten Querprofilen im Oberlauf (rot), Mittellauf (blau) und Unterlauf(gelb) der Rhone bei Sunk. Die Trendlinie ist grün dargestellt. Im Profil Chippissind die dargestellten Punkte Einzelproben, in allen übrigen Profilen dagegenMittelwerte aus je drei Einzelproben.

Bild 5. Ausschnitte aus der Rhonesohle in derMitte des flachen Profils Riddes 1 (oben) unddes steilen Profils Chippis (unten), dargestelltim selben Massstab. Unterwasser-Videoauf-nahmen vom 26./27. Januar 2002.

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324 «Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden

5. Das Makrozoobenthos als Schwall- und Struktur-indikator

In auffallendem Kontrast zur äusserlich vor-teilhaften Erscheinung der Flusssohle stehenim Querprofil Riddes 1 die Kennwerte desMakrozoobenthos (MZB), wie sie anhand derquantitativen Proben vom März 2002 be-stimmt wurden (Tabelle 2, Bild 6):• Die Häufigkeit (Individuendichte) und die

Biomasse (Frischgewicht) des Makro-zoobenthos (MZB) fallen in Riddes 1 auf dietiefsten Werte innerhalb der untersuchtenQuerprofile. Die Biomasse lag in allen neunentnommenen Einzelproben unter den Er-wartungswerten nach Dückelmann (2001)für alpine Gewässer der entsprechendenHöhenlage. Demgegenüber bewegtensich im Profil Brig noch sämtliche Teilpro-ben innerhalb dieses Erwartungsberei-ches.

• Den Tiefpunkt im Längsverlauf erreichtenauch die Eintags- und Steinfliegen (EP),deren aquatisch lebende Larven in Gewäs-sern wie der Rhone zu den besten Indika-toren für die ökologische Qualität bzw.Funktionsfähigkeit zählen (Baumann,2004). Sowohl die absolute Anzahl undBiomasse als auch der (relative) Anteil die-ser Insekten am gesamten MZB sank inRiddes 1 auf fast vernachlässigbare Wertegegenüber den flussaufwärts gelegenenProfilen.

• Anstelle der nahezu ausgelöschten EP er-reichte in Riddes 1 die Invertebraten-Gruppe der Würmer (Oligochaeten) we-sentlich höhere Anteile als weiter flussauf-wärts. Dabei handelte es sich fastausschliesslich um kleine Arten, die zu-sammen mit den ebenso schlanken undbeweglichen Larven der Zuckmücken(Chironomiden) in der Flussmitte von Rid-des 1 praktisch den gesamten Benthosbe-stand ausmachten. Dementsprechend ge-ring blieben die Anteile der grösseren Or-ganismen (Länge >5 mm) am MZB. In denseitlich gelegenen Proben trat noch eineKöcherfliegen-Art hinzu, die in Schwall-strecken generell sehr verbreitet ist. Diesevergleichsweise grossen, schweren undschwerfälligen (weil in starren Gehäusenlebenden) Tiere führten in Ufernähe zwarkaum zu höheren Individuendichten, aberzu deutlich mehr Biomasse als in der Fluss-mitte.

Dass die Häufigkeit und Biomassedes MZB im Fliessverlauf der Rhone von Brigüber Leuk nach Chippis sowohl absolut alsauch relativ zu den Erwartungswerten abneh-men, dürfte hauptsächlich auf den zuneh-mend stärkeren Schwalleinfluss entlang die-ser Fliessstrecke zurückzuführen sein. Weil

die Deckschicht der Rhonesohle aber gleich-zeitig grob bis sehr grob bleibt, bieten sichauch grösseren Tieren neben und unter ein-zelnen Steinen offenbar noch gewisse Rück-zugsmöglichkeiten (Refugien) vor der beiSchwall zunehmenden mechanischen Ein-wirkung («hydraulischer Stress»). Auf dieseWeise sind wahrscheinlich die recht hohenAnteile an grösseren Individuen (in den Profi-len Brig und Leuk), speziell aber an den sen-siblen EP (in Brig, Leuk und Chippis) zu er-klären.

Zwischen den Querprofilen Chippisund Riddes 1 gehen manche untersuchtenKennwerte des MZB nochmals deutlich zu-rück, der Anteil an EP bricht gar regelrecht ein.Die Schwallabflüsse steigen aber entlang die-ser Fliessstrecke nur geringfügig an (Bild 1),und die Kennwerte erholen sich in den weiterflussabwärts anschliessenden Profilen Rid-des 2 und Riddes 3 sogar wieder leicht, ob-wohl der Schwalleinfluss genau dort stark zu-nimmt (Bilder 1 und 3). Auch die festgestelltenVeränderungen in der Wasserqualität würdeneher eine gegenteilige Entwicklung erwartenlassen als die effektiv eingetretene (Bau-mann, 2004).

Es ist daher anzunehmen, dass dieLebensgemeinschaft des Benthos im Quer-profil Riddes 1 der Rhone gerade wegen dervergleichsweise feinen Sohlenoberflächestärker beeinträchtigt wird. Zwar ergaben dieverwendeten hydraulischen Berechnungs-ansätze für die Sohlenstabilität in diesem Pro-

fil keine eindeutigen Resultate (Kapitel 3), diebiologischen Aufnahmen deuten aber aufeine regelmässig bewegte Sohlenauflage hin.Derartige Rollkieslagen sind z.B. für die tiefenFliessrinnen in einigen näher untersuchtenTeststrecken des Alpenrheins beschriebenworden (ARGE Trübung Alpenrhein, 2001).Auch in jenen Flussbereichen war das Makro-zoobenthos durch äusserst geringe Abun-danzen und Biomassen gekennzeichnet. Eswird vermutet, dass die im Rollkies lebendenOrganismen bei einem Schwalldurchgangdurch die Bewegung der locker gelagertenKörner gegeneinander aufgerieben («Kugel-mühlen-Effekt») und weggetrieben werden.Auf die Dauer können sich nur jene Organis-men halten, denen aufgrund ihrer Grösse undKörperform die tiefer liegenden, stabilen Se-dimentschichten als Refugien offen stehen.Diese Rückszugsmöglichkeiten sind natur-gemäss umso grösser, je beweglicher undkleiner ein Organismus im Vergleich zu denZwischenräumen (Interstitial) der tieferen Sedimentschichten ist (Wiley, 1981).

6. SchlussfolgerungenFür die im Fliessverlauf tendenziell zuneh-menden Defizite bei der benthischen Besied-lung der Rhone werden hauptsächlich die Ka-nalisierung des Gerinnes und der Schwallbe-trieb verantwortlich gemacht. Um die in derRegel sehr monotone Profilgeometrie zudurchbrechen, sind in der Rhone auch örtli-che Gerinne-Aufweitungen als Revitalisie-

5

10

15

20

25

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

Übrige Taxa

Zuckmückenlarven

Köcherfliegenlarven

Steinfliegenlarven

Eintagsfliegenlarven

Würmer

Uferdistanz [m]

Uferdistanz [m]

0

5

10

15

20

25

1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45

Bio

mas

se M

akro

zoob

enth

os [g

/m2 ]

Bio

mas

se M

akro

zoob

enth

os [g

/m2 ]

Bild 6. Biomasse des Makrozoobenthos (Frischgewicht) in den Querprofilen der Rhonebei Brig (obere Grafik) und Riddes 1 (untere Grafik), aufgegliedert nach den wichtigstenvertretenen, systematischen Gruppen. Darstellungen in Fliessrichtung betrachtet.

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«Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden 325

rungsmassnahme vorgesehen. Die vorlie-genden Auswertungen haben gezeigt, wieentscheidend die Auswirkungen des flussab-wärts zuehmenden Schwallbetriebes für denErfolg oder Misserfolg von Revitalisierungs-massnahmen sein können. So sind etwa ineinem verbreiterten Flussabschnitt bei tieferWasserführung als Folge der vermindertenSchleppkraft lokal Ablagerungen von feine-rem Geschiebe zu erwarten. Aus gewässer-und fischökologischer Sicht stellt dies abernur so lange eine Verbesserung der Struktur-verhältnisse dar, als dieses aufliegende Sub-strat über die winterliche Entwicklungspe-riode des Benthos und der Fischbrut – alsoauch bei Schwall – einigermassen stabilbleibt. Andernfalls drohen Lebensraum und -gemeinschaft, wie für das Querprofil Riddes1 gezeigt, sogar noch stärker beeinträchtigtzu werden als im abgepflästerten Zustand.Begleitende wasserbauliche Massnahmenzur Reduzierung von Schwall-und-Sunk-Erscheinungen, wie sie im Modul IV (siehe Kasten) untersucht werden, haben folglicheine grosse Priorität.

Die Struktur und Stabilität der Fluss-sohle ist gerade in Aufweitungen mit ihremunregelmässigen Verlauf im Längs- undQuerprofil (Hunzinger, 2004) schwierig vor-herzusagen, muss aber bei zukünftigen Revi-talisierungsprojekten zwingend berücksich-tigt werden. Wie empfindlich die verschiede-nen Berechnungsansätze auf örtlich undzeitlich variable Verhältnisse wie beispiels-weise lokale Unebenheiten der Sohle reagie-ren können, geht aus den vorliegenden Aus-wertungen ebenfalls hervor. Der Einsatz desHEC-RAS-Rhone-Modells bleibt zwar auchunter diesen schwierigeren Randbedingun-gen grundsätzlich möglich. Für zukünftigeAnwendungen bei Niederwasser müssten dieQuerprofile allerdings wieder neu vermessenwerden. Unbedingt zu empfehlen ist sodann,dass neben den flussmorphologischen undhydraulischen Grundlagen auch die Entwick-lung der biologischen Kennwerte weiter ver-folgt wird. Besonders in den ersten Flussab-schnitten, die zur Revitalisierung anstehen,sollten wiederum interdisziplinäre, ökohyd-raulische Begleitprogramme (Erfolgskon-trollen) durchgeführt und deren Resultatelaufend in die weitere Planung einbezogenwerden.

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Anschrift der Verfasser

Peter Baumann, dipl. phil. II, Limnex AG, Schaff-

hauserstrasse 343, CH-8050 Zürich, E-Mail:

[email protected]

Tobias Meile, dipl. Bauing. EPFL, Laboratoire de

Constructions Hydrauliques, EPFL, CH-1015

Lausanne, E-Mail: [email protected]

Teilprojekt: Revitalisierung undBenthos der Rhone

Im Rahmen des Teilprojektes wurdenneben den Querprofilen, auf die der vorlie-gende Artikel eingeht, auch einige lokale,flussmorphologische Strukturen derRhone wie Kiesbänke, Schnellen (Riffles),Totholz usw. untersucht. In einigen dieserspeziellen Teil-Lebensräume (Mesohabi-tate) wurde ein quantitativ und/oder quali-tativ wesentlich reichhaltigeres Benthosfestgestellt als in anderen und auch in denmeisten Querprofilen (mit Ausnahme vonBrig). Der Mangel an solch speziellenStrukturen wird denn auch als eines dergewässerökologischen Hauptdefizite inder Rhone ausgewiesen, zusammen mitder hier behandelten «Denaturierung» derFlusssohle (Abpflästerung, Kolmation, beiSchwall destabilisierter Rollkies).Es konnte gezeigt werden, dass diese De-fizite durch die starke Kanalisierung undEinengung des Gerinnes (zuletzt bei derzweiten Rhonekorrektion von 1930 bis1961) mit verursacht wurden und damitdurch Revitalisierungsmassnahmen (wiez.B. Aufweitungen) zu vermindern sind.Für eine weiter gehende Verbesserungsind jedoch besonders im Unterlauf derWalliser Rhone auch Massnahmen zurDämpfung des Schwallbetriebes notwen-dig.Die hydraulisch-morphologischen undbenthologischen Feldaufnahmen von SPI-6 fanden hauptsächlich von März 2001bis April 2002 statt. Ausführlich sind dieResultate dieser Untersuchungen und dieSchlussfolgerungen daraus im Fachbe-richt des Teilprojektes zum Ist-Zustandder Rhone dargelegt (Baumann, 2004).

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326 «Wasser Energie Luft» 96. Jahrgang, 2004, Heft 11/12, CH-5401 Baden

1. Ziel der UntersuchungenDie fischökologischen Untersuchungen inder Rhone sollen einen Überblick geben über • Zustand der Fischhabitate (Habitatvielfalt,

Vernetzung der Habitate): heutige und his-torische Perspektive

• Bedeutung der Seitengewässer• vorhandene Fischarten• Zustand der Populationen• Bedeutung der natürlichen Reproduktion• Einschätzung der fischökologischen Ver-

hältnisse in den Restwasser- und Schwall-Sunk-Strecken.

2. Vorgehen und MethodenDie Beurteilung der Fischpopulationen ba-siert auf elektrischen Befischungen (Einsatzvon Gleichstromgeräten mit Leistungen zwi-schen 5 und 8 kW). Unterhalb Brig sowie imPfynwald war es möglich, die Fischpopulatio-nen quantitativ zu erheben. An den übrigenStellen wurde vorwiegend entlang dem Ufereine bestimmte Fläche befischt (halbquanti-tative Befischung). An zwei Stellen führten wirdie Befischung mit dem Fangboot durch(unterhalb Turtmänna-Mündung, Chippis).

Zur Beurteilung der Naturverlaichungerfolgten im Frühling (März/April) separateBefischungen oder es wurde an einigen Stel-len mit speziellen feinmaschigen Kescherngefischt.

Die Befischungen fanden im Frühlingvor der Schneeschmelze statt. Die meistenStrecken wurden am Wochenende bei gerin-ger Wasserführung befischt, insbesonderedie stark Schwall-geprägten Fliessgewässer-abschnitte.

Um einen zeitlich und räumlich weiterreichenden Blickwinkel zu erhalten, wurdendrei Ansätze kombiniert:a) Systemüberblick: Im Frühjahr 2003 wur-

den von der Quelle bis zur Genfersee-Mündung 22 Strecken halbquantitativ be-fischt (siehe Bild 1). Zusätzlich erhoben wirabiotische Parameter wie Unterstandsan-gebot, Wasserchemie und hydrologischeBeeinträchtigung. Auch die historische Si-

tuation der Rhone wurde einbezogen. Die-ser Ansatz erlaubt eine Beurteilung der Situation im Längsverlauf.

b) Routineuntersuchung: Sieben ausge-wählte Stellen (Bild 1) wurden zwischen2001 und 2004 zu unterschiedlichen Zeit-punkten befischt, teils quantitativ, teilshalbquantitativ. Damit wird den natürlichenzeitlichen Schwankungen der untersuch-ten Grössen Rechnung getragen.

c) Untersuchung der Seitenbäche derRhone: Diese Analyse erfolgte im Jahre2001 im Rahmen einer Diplomarbeit (Küt-tel, 2001), mit einigen Ergänzungen imJahre 2002. Insgesamt wurden 28 Seiten-bäche zwischen Brig und Martigny öko-morphologisch untersucht, 21 davon zu-sätzlich in Bezug auf die Bedeutung dernatürlichen Fortpflanzung der Bachforelle.Von grossem Interesse waren die Durch-wanderbarkeit für Fische und das Vorhan-densein von günstigen, mündungsnahenHabitaten sowie deren Eignung als Fort-pflanzungsräume.

3. Resultate

3.1 Historischer LebensraumRhone

Historische Quellen beschreiben die Rhoneals wilden und ungestümen Fluss, der dieRhoneebene vollständig seiner ungebändig-ten Kraft unterwirft. Dieses Bild zeigt sich

ZusammenfassungAls Lebensraum hat sich die Rhone unterdem menschlichen Einfluss seit 1863 starkverändert. Grundlegende morphologi-sche Eingriffe wie die zwei Rhonekorrek-tionen haben zu einer Verarmung deraquatischen Lebensräume geführt. Diehydroelektrische Nutzung hat das natürli-che Abflussregime massiv beeinflusst.Diese Eingriffe haben an der aquatischenLebensgemeinschaft ihre Spuren hinter-lassen. Verglichen mit natürlichen Syste-men weist die Fischfauna der Rhone heutegravierende Defizite auf: Die Artenvielfaltist äusserst gering, und zahlreiche Indi-viduen der dominierenden Bachforelleweisen Deformationen auf, wie sie beiZuchttieren üblich sind. Die natürlicheFortpflanzung ist auf massivste Weise ein-geschränkt. Lebensraumverbesserungenim Rahmen der dritten Rhonekorrektionsind dringend nötig. Dabei ist auf eine guteVernetzung der Lebensräume und aufStrukturvielfalt zu achten. Diese soll u.a.durch flussdynamische Prozesse sicher-gestellt werden. Aufweitungen haben eingrosses Potenzial zur Verbesserung derLebensräume, insbesondere dann, wennsie gross genug dimensioniert sind. Mög-liche Ablagerungen von Feinsedimen-ten in Aufweitungsstrecken mit Schwall-Sunk-Regime sind jedoch von Anfang anzu verfolgen. Durch Modellierungen vorund Erfolgskontrollen nach dem Bau las-sen sich die Auswirkungen auf die Le-bensgemeinschaft abschätzen. Im unte-ren Teil der Rhone sind zusätzlich zu denAufweitungen schwalldämpfende Mass-nahmen in Betracht zu ziehen.

Die Rhone als Lebensraum für Fische■ Armin Peter, Christine Weber

Bild 1. Übersicht über die Lage der Befischungsstrecken im Rhone-Hauptfluss.

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auch auf der Dufourkarte aus dem Jahr 1850(Bild 2A). Auf weiten Strecken bildet dieRhone ein reich verzweigtes und vielfältigesSystem. Entsprechend hoch ist die seitlicheVernetzung mit Feuchtgebieten und Auen.

Basierend auf der topografischenKarte lassen sich die strukturellen Gegeben-heiten der Rhone zwischen Brig und Genfer-see mit den Kenngrössen umschreiben, die inTabelle 1 angegeben sind. Dabei fällt der hoheAnteil an Seitenarmen auf, der, verglichen mitder Länge des Hauptgerinnes, fast zu einerVerdoppelung der gesamten Fliessstreckeführt.

Wenig beeinflusste verzweigte Sys-teme wie die Rhone um 1850 zeichnen sichaufgrund ihrer Dynamik durch eine grosse Va-riabilität der Wassertiefen, Breiten und Fliess-geschwindigkeiten aus. Dies führt zu vielfälti-gen Temperatur- und Substrateigenschaften.

Dieser Lebensraum erlaubt eine viel-fältige Besiedlung durch aquatische Organis-men. Ausgehend von Gewässerbreite undGefälle kann die Rhone um 1850 zwischenQuelle und Genfersee der Forellen- undÄschenregion zugeordnet werden.

Bezüglich der zu erwartenden Arten-zahl muss aber auch den charakteristischenBedingungen der Rhone Rechnung getragenwerden. Als alpines Fliessgewässer war dieRhone stets ein vergleichsweise kühler Fluss.Allerdings gehören abgekoppelte Seiten-arme und Überschwemmungsflächen, dieihre Temperatur stark der Umgebung anpas-sen, zu verzweigten Flüssen. Die Nähe zumGenfersee und somit zu einem grossen Ar-tenpool ist von spezieller Bedeutung. Ausdiesem Grunde dürfen insbesondere im unte-ren Flussabschnitt viele Fischarten erwartetwerden.

Fatio (1882 und 1890) erwähnte 18Fischarten, die in der Rhone vorkamen. DieseAngaben dürften sich besonders auf den un-teren Fliessabschnitt der Rhone beziehen.Eine historisch noch ältere Erwähnung findetsich bei Sebastian Münster in seiner Kosmo-graphie aus dem Jahre 1544. Er nennt fol-gende acht Fischarten: Bachforelle, Äsche,Grundel (Schmerle oder Gründling), Groppe,Schleie, Hecht, Alet und Karpfen. Diese An-gaben gelten für die Rhone und ihre Zuflüsse(siehe Gattlen, 1955).

Einen umfassenden Überblick überdie Fischarten, die im Rhonetal vorkommen,geben Küttel et al. (2001). Im Vergleich mitFatio fehlen heute drei Fischarten (Aal,Schneider, Schmerle). 13 neue Fischartensind hingegen dazugekommen. Es handeltsich jedoch vorwiegend um Fischarten, dieehemals in der Schweiz nicht vorkamen (achtArten). Heute leben im Rhonetal 28 Fisch-arten.

3.2 Menschliche EingriffeSeit Dufours Zeit hat sich die Rhone stark ge-wandelt (Bild 2B). Insbesondere die zwei Kor-rektionen (1863–1876 und 1932–1960) sowiedie umfassende Entwässerung der Ebenehaben zu einer grundlegenden strukturellenVeränderung der Rhone geführt. Diese Ent-wicklung ist in den Kenngrössen in Tabelle 1deutlich sichtbar. So wurde zwar der Haupt-arm der Rhone zwischen 1850 und 1900 nurum 4,6 km (3,7%) verkürzt, die Verkürzungenhinsichtlich Gesamtlänge des aktiven Gerin-nes aber betragen 44,7% (102,2 km). Ver-gleichbare Rückgänge betreffen die Ufer-linie.

Neben diesen strukturellen Eingriffenhat auch das Abflussregime seit den 1920er-Jahren grundsätzliche Veränderungen durchdie hydroelektrische Nutzung erfahren (sieheArtikel von Fette et al.). Die Rhone führt zwi-schen Quelle und Genferseemündung auf36,1 km (21,6%) Restwasser. Entlang 109 km(65,1%) herrscht Schwall-Sunk-Betrieb(HADES, 1992).

Wie hat die Fischfauna auf diesediversen Veränderungen reagiert? WelcheSchlussfolgerungen lassen sich heute im Hinblick auf allfällige Verbesserungen derLebensräume ziehen? Angesichts der be-vorstehenden dritten Korrektion der Rhonesind alle diese Fragen von besonderer Be-deutung.

3.3 Fischökologische Erhebungen

3.3.1 Aktuelle Situation HabitateDie Rhone weist eine sehr geringe Heteroge-nität an Strömungsmustern auf: Es dominie-ren schnell fliessende Strömungen, strö-mungsberuhigte Abschnitte fehlen weitge-hend.

Auch die Wassertiefe variiert kaum,flache wie auch tiefe Stellen sind untervertre-ten. Diese gleichförmigen Strömungs- undTiefenverhältnisse führen zu einer stark redu-zierten Temperaturvielfalt, insbesondere imGerinnequerschnitt.

Die zeitliche Verteilung der Abfluss-menge wird stark von der Elektrizitätsnutzungbestimmt und verläuft weitgehend gegenläu-fig zum natürlichen Abflussregime. So habenin Schwallstrecken die Winterabflüsse starkzugenommen (Loizeau, 1998), und der Was-serspiegel der Rhone nahe bei der Genfer-seemündung schwankt im Winter täglich ummehr als 1 m.

Sowohl die longitudinale als auch dielaterale Vernetzung sind beeinträchtigt: Zahl-reiche Wehre im Hauptfluss (Gluringen,Fiesch, Mörel, Susten, Lavey) und in den Zu-flüssen unterbrechen das Längskontinuum.Der Zugang in die Zuflüsse ist aufgrund vonAbstürzen häufig erschwert oder gar verun-möglicht. Für die Seitengewässer stellteKüttel (2001) zwei wesentliche Defizite fest:

Bild 2. Auswirkungen der flussbaulichen Massnahmen an der Rhone in der Region vonAproz. A: Situation um 1850 (Dufourkarte). B: Aktuelle Situation (Landeskarte 2003).Reproduziert mit der Bewilligung von swisstopo (BA046601).

Zeitebene

Strukturelle Kenngrösse 1850 1900 1950 2003

Länge des Hauptarms (km) 123,60 119,34 119,25 118,98

Gesamtlänge des aktiven Gerinnes (km) 228,80 133,37 132,44 126,59

Mittlere benetzte Breite (Median in m) 93,30 53,41 68,67 52,87

Länge der Uferlinie (km) 414,41 264,40 257,09 250,60

(km/km Hauptarm-Länge) 3,36 2,22 2,16 2,11

Fischbiologische Zonierung Forellen-, Äschenregion

Tabelle 1. Zeitliche Entwicklung von fischökologisch relevanten strukturellen Kenn-grössen und der fischbiologischen Zonierung für den Abschnitt der Rhone zwischenBrig und Genfersee.

A B

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Erstens wiesen rund 80% der untersuchtenGewässerabschnitte eine starke Beeinträch-tigung der Morphologie auf. Zweitens ist dieDurchwanderbarkeit in vielen Gewässern einProblem. Nur gerade zehn Seitengewässer(36%) sind mehr als einen Kilometer ab Mün-dung durchwanderbar.

Auch fehlt für die Rhone unterhalbvon Sierre eine Anbindung an grössereFeucht- und Auengebiete.

In der Rhone besteht ein grosserMangel an Strukturen, speziell entlang derUfer, aber auch in der Flussmitte. Ausnahmenbilden der Oberlauf sowie die zirka 6 km langeFliessstrecke im Pfynwald. Letztere weist alsRestwasserstrecke allerdings ein schwerwie-gendes Abflussdefizit auf, was sich sehr ne-gativ auf die Fischhabitate auswirkt.

Wird die Habitatsqualität der befisch-ten Strecken in der Rhone anhand ausge-

wählter Habitatsparameter (hydraulischeHeterogenität, Variationskoeffizient [VC] mitt-lere Breite, VC mittlere Maximaltiefe, äussereKolmation, Fischunterstände, Uferverbau-ung, Verzahnung) bewertet (Schager & Peter,2004), ergeben sich die Resultate in Bild 4.

Nur die Strecken im Oberlauf (ober-halb Brig), im Pfynwald, bei der Ile Falcon (di-rekt unterhalb Pfynwald) und die Strecke 18.1(Restwasserstrecke Lavey) weisen eine mitt-lere Habitatsqualität auf (<3). Alle andernuntersuchten Strecken besitzen eine un-befriedigende morphologische/hydraulischeQualität.

3.3.2 Aktuelle Situation der FischeSowohl der Systemüberblick wie auch dieRoutineuntersuchungen zeigen ein überein-stimmendes Bild. Die Artendiversität imRhone-Hauptgerinne ist mit sieben nachge-wiesenen Arten äusserst gering: Bachforelle,Groppe, Elritze, Egli, Gründling, Goldfischund Regenbogenforelle (eingeführte Arten).Mit Ausnahme der Bachforelle und derGroppe handelt es sich bei den gefundenenFischen um Einzelfänge.

Die festgestellte Fischdichte ist ge-ring. In einer quantitativen Befischung derRoutineuntersuchung unterhalb von Brigwurden im Jahr 2002 447 und im Jahr 2003709 Individuen pro Hektare gefangen, waseiner Biomasse von 19 bzw. 30 kg/ha ent-spricht

In drei Befischungsstrecken im Pfyn-wald wurden bei quantitativen Abfischungenim Jahre 2001 ebenfalls nur geringe Biomas-sen von 19 bis 27 kg/ha festgestellt (Tabelle2). Halbquantitative Abfischungen im Jahre2003 (nur ein Befischungsdurchgang) bestä-tigten diese niedrigen Fischbiomassen fürden Pfynwald (Bild 5).

Bezüglich Fischdichte zeigt sich inder Systemanalyse ein signifikant positiverZusammenhang mit dem Unterstandsange-bot. Je grösser der Anteil an Unterständenwie Blöcken und tiefen, strömungsberuhig-ten Stellen, desto grösser die Bachforellen-fänge pro befischter Fläche. Entsprechendschneiden die mit Blockwurf gesicherten,strukturierten Ufer besser ab als die Streckenmit sandigen, unterstandsarmen Buhnenfel-dern.

Der Populationsaufbau der Bachfo-relle weicht deutlich von einer natürlichenVerteilung ab. In zahlreichen Strecken, ins-besondere in den stark mit Schwall-Sunkbeeinflussten Abschnitten im Unterlauf fehlengrössere Fische. Auch die kleinsten Grössen-klassen sind generell untervertreten.

Die erhobenen wasserchemischenParameter liegen alle in einem für Bachforel-len tolerierbaren Rahmen (Alabaster, 1980).

Bild 3. Die Rhone im Pfynwald. Der Pfynwald ist als Flussaue von nationaler Bedeu-tung. Das Restwasserregime verunmöglicht jedoch die Ausbildung hervorragenderFischhabitate.

3

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R 1

R 2

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R 7

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S 11

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S 13

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S 13

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S 13

.3

S 13

.3

S 16

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S 16

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S 16

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S 15

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S 18

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S 22

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S 22

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S 20

S 17

S 14

Strecke

Hab

itats

qua

lität

Bild 4. Überblick über die morphologische Habitatsqualität in den Befischungs-strecken. Habitatsqualität: 1 = gut, 3 = mittel, 5 = schlecht. Die Lage der Befischungs-strecken ist aus Bild 1 ersichtlich. R6.1 und R6.2 beziehen sich auf denselbenStreckenabschnitt, charakterisieren jedoch das linke und rechte Flussufer (usw.).

20

40

60

80

100

Strecke

Fisc

he /

100

m

S 1 S 2

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S 4

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2

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S 10

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S 11

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S 13

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S 16

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S 24

.1

S 24

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S 15

.1

S 15

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S 17

S 18

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S 18

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S 20

S 21

.1

S 21

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S 22

.1

S 22

.2

Bild 5. Übersicht über die in der Systemanalyse erzielten Fischfänge.

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Entsprechend ergibt sich keine signifikanteBeziehung zur Fischdichte.

Die Routineuntersuchungen bestäti-gen den Befund des Systemüberblickes unddie niedrigen Fischbiomassen. Viele deruntersuchten Bachforellen (bis 37% der Fi-sche) weisen Deformationen auf (Flossen undKiemendeckel). Dies sind Anomalien, wie siefür Zuchtfische typisch sind. Ein grosser Teilder gefangenen Bachforellen stammt somitaus Fischzuchten. Mit grosser Wahrschein-lichkeit lässt sich dadurch auf eine deutlichegenetische Beeinflussung der Rhoneforellenschliessen.

3.3.3 Bedeutung der natürlichenFortpflanzung

Küttel (2001) zeigte, dass die natürliche Fort-pflanzung der Bachforelle in den Seitenge-wässern funktionieren kann. Er untersuchte21 Seitenbäche, in zehn davon konnte er Brüt-linge und somit eine funktionierende Natur-verlaichung nachweisen. Allerdings muss dieDichte der festgestellten Brütlinge in den meis-ten Fällen als niedrig eingestuft werden (Aus-nahmen: Rèche, Feschelbach und Löübach).Vor allem in den morphologisch stark beein-trächtigten Abschnitten war die Naturverlai-chung deutlich geringer als in morphologischintakten Gewässern. Aus den Seitengewäs-sern kann daher für die Rhone kein wesent-licher Beitrag zur Dichte der 0+-Fische (Fischeim ersten Lebensjahr) erwartet werden.

In der Rhone ist die Naturverlaichungder Bachforelle ein grosses Problem. Resul-tate unserer Untersuchungen zeigen, dasssie nur im unteren Teil des Pfynwaldes und beider Ile Falcon sowie bei Chippis funktioniert.Über den Oberlauf der Rhone stehen uns

keine Daten zur Naturverlaichung zur Verfü-gung.

Die Groppe (Cottus gobio) pflanztsich ebenfalls im Pfynwald fort. Dort konntesie regelmässig nachgewiesen werden. Auchin anderen Strecken wurde die Groppe ver-einzelt gefangen.

4. DiskussionUnsere Untersuchungen dokumentieren gra-vierende Defizite für die Fischhabitate derRhone und einen schlechten Zustand derFischfauna. a) Menge und Vielfalt der Fisch-Lebens-

räume: Mit den strukturellen Verände-rungen der Rhone im Rahmen der zweibisherigen Korrekturen sind wertvolleFischhabitate verschwunden (Auen,Feuchtgebiete). Die Lebensräume sindheute sehr monoton und in ihrer Ausdeh-nung gering. Strukturen fehlen weitge-hend. Massive Strukturdefizite bestehenan den Ufern sowie in der Flussmitte.

b) Restwasserstrecken und Schwall-Sunk-Strecken: Diese Strecken weisen ebenfallseine sehr geringe Habitatsqualität auf. DieAusnahme ist der Pfynwald, der aber vorallem im oberen Teil massive Restwasser-defizite aufweist. In hydraulisch verarmtenStrecken (Restwasser und Schwall-Sunk)ist für Fische eine gute morphologischeQualität von besonderer Bedeutung. InSchwall-Sunk-Strecken fallen einige Ge-wässerbereiche täglich trocken. NegativeAuswirkungen auf Bachforellen sind vorallem während der Sunkphase bei einemschnellen Pegelrückgang (>10 cm proStunde) belegt (Halleraker et al., 2003).

Strecke/Ort Befischungsjahr Bachforellen pro Bemerkungen100 m Uferstreifen

R1, unterhalb Brig 2003/2004 66 (40–91) quantitativ:2002:19,2 kg/ha2003: 30 kg/ha

R2, Turtmänna- 2001/2002/2003 27 (12–77)Mündung

R3, Pfynwald 2001/2002/2003 23 (5–51) quantitativ 2001:19 kg/ha Bachf.23 kg/ha Bachf.27 kg/ha Bachf.Groppe und Regenbogenforelle

R4, Ile Falcon 2002/2003 16 (11–20)

R5, Chippis 2001/2002/2003 9 (4–14) Groppe und Elritze

R6, Aproz, rechts 2003/2004 45 (22–68)

R6, Aproz, links 2003/2004 60 (49–70)

R7, Riddes links 2003/2004 11 (3–19)

R7, Riddes rechts 2003/2004 39 (28–45) Gründling, Flussbarsch,Groppe, Goldfisch

Tabelle 2. Resultate der Routineuntersuchungen in den Strecken R1–R7. Die fettgedruckte Zahl entspricht dem Mittelwert der Bachforellendichte pro 100 m Uferstrei-fen (1 Befischungsdurchgang). In Klammer steht der Bereich: Minimum und Maximum.

Bild 6. Bachforelle mit verkürztem Kiemendeckel. Deformationen an Flossen oderKiemendeckeln sind bei Fischen aus Intensivzuchten häufig zu beobachten.

Bild 7. Bachforellenbrütling. Brütlinge aus der Naturverlaichung sind in der Rhoneäusserst selten. Sie konnten nur im Pfynwald, in der Strecke bei der Ile Falcon sowie ineinigen Seitengewässern nachgewiesen werden. Im Oberlauf (oberhalb Brig) wirdebenfalls eine noch funktionierende Naturverlaichung vermutet (Foto: E. Schager,Eawag).

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c) Abkopplung der Seitengewässer: Seiten-gewässer spielen für die natürliche Fort-pflanzung der Bachforelle eine sehr grosseRolle (Baglinière & Maisse, 2002). DieRhone weist diesbezüglich ein sehr gros-ses Defizit auf.

d) Artenvielfalt und Populationsaufbau: Ob-wohl heute im Rhonetal mehr Fischartenleben als Ende des 19. Jahrhunderts, exis-tieren in der Rhone massive Artendefizite.Die morphologisch monotone und schnellfliessende Rhone ist ein verarmtes Fisch-gewässer. Die Seitengewässer und Kanäleim Unterlauf tragen wesentlich zur Arten-vielfalt bei (Küttel, 2001). Die Bachforelle istüberall in der Rhone vorhanden, in derRegel in geringen bis sehr geringen Dich-ten. Weitgehend dürften die Fische ausintensiver Besatzwirtschaft stammen undsind somit kein nachhaltiger Beitrag zur Er-haltung der Fischpopulationen. Die Natur-verlaichung im Rhonetal ist nur noch ansehr wenigen Gewässerstellen möglich.

Wo können Massnahmen zur Verbes-serung der ökologischen Funktionsfähigkeit,wie sie in der dritten Rhonekorrektion vorge-sehen sind, ansetzen? Für die Rhone als ur-sprünglich verzweigtes System stellen lokaleGerinneaufweitungen ein grosses Potenzialdar, erfüllen sie doch zugleich Anforderungenaus Hochwasserschutz und Ökologie. Zumeinen stoppen sie die fortschreitende Eintie-fung eines Gerinnes und erlauben die Aus-prägung einer naturnahen Morphologie, zumanderen ermöglichen sie die Entstehung vonvielfältigen aquatischen und terrestrischenLebensräumen (Hunzinger, 1998).

Aus der ökologischen Perspektivehat sich gezeigt, dass Aufweitungen mög-lichst gross und vernetzt zu dimensionierensind (laufende Studien des Rhone-Thur-Pro-jekts an der Thur). Erst ab einer deutlichenVerbreiterung über eine längere Distanz hin-weg stellt sich auch die ursprüngliche fluss-morphologische Dynamik wieder ein. Zusätz-lich braucht es für die Wiederbesiedlungaufgewerteter Lebensräume eine gute Ver-netzung zu arten- und individuenreichen Le-bensgemeinschaften. Wenn Vernetzungenund Aufwärtswanderungen mit Fischpässengewährleistet werden, ist ebenfalls ein Au-genmerk auf eine funktionierende Abwande-rung zu richten. Diese ist mit technischenFischpässen nicht gewährleistet.

Ein spezielles Problem ist die Frage,wie weit sich Lebensraumverbesserungenpositiv auf Strecken mit einem Schwall-Sunk-Regime auswirken können. Unfer et al. (2004)zeigten für die Obere Drau, dass Schwall-Sunk sich in der neu gebauten Aufweitungnachteilig auswirkt. Besonders die 0+-Äschen waren davon betroffen, aber auch

Spinnen und Laufkäfer. Zur Verbesserung derLebensraumqualität wird für die Rhone derBau von Flussaufweitungen empfohlen.Vorab sind in einem ersten Schritt innerhalbder Schwall-Sunk-Strecken die Auswirkun-gen auf Fische und andere Lebewesen abzu-klären. Diese werden durch Habitatsmodel-lierungen ermittelt. In einem zweiten Schrittsind die gebauten Aufweitungen möglichstrasch auf ihren ökologischen Erfolg zu über-prüfen. Zusätzlich sind andere schwalldämp-fende Massnahmen im Unterlauf der Rhoneunerlässlich.

Dank

Wir bedanken uns bei Rolf Collaud für die Unter-

stützung. Den lokalen Fischereivereinen danken

wir für die gute Zusammenarbeit. Bei den zahlrei-

chen Elektrobefischungen und Feldaufnahmen

waren wir auf die Mithilfe von vielen Personen an-

gewiesen. Unser Dank geht an Brigitte Germann,

Erwin Schäffer, Bia Mampasi Mbuenemo, Andi

Steffen, Caroline Joris, Eva Schager, Christian

Werlen und viele weitere Helferinnen und Helfer.

Elodie Paulmier und Flavio Zanini, EPFL, danken

wir für die gute Zusammenarbeit bei der histori-

schen Analyse.

Literatur

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Anschrift des Verfassers/der Verfasserin

Dr. Armin Peter, lic. phil. nat. Christine Weber,

Eawag, Forschungszentrum für Limnologie,

Abteilung Angewandte Gewässerökologie,

CH-6047 Kastanienbaum, E-Mail: armin.peter@

eawag.ch, [email protected]