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Langenbecks Arch Chir (1990) 375:325 Lange.nbecks. : : : Archiv o Chirurg e © Springer-Verlag 1990 Osophagus und Tracheobronchialsystem- eine schicksalhafle Beziehung J. R. Siewert ChirurgischeKlinikund Poliklinik,Technische Universit/itMtinchen,Klinikum rechts der Isar, Ismaninger StraBe 22, W-8000 Mtinchen 80 Der entscheidende und zugleich limitierende Faktor fiir die Radikalit/it der Oesophagektomie ist das Tracheo- bronchialsystem. Beide Organe sind als Folge einer ge- memsamen Embryogenese geradezu schicksalhaft mit- einander verbunden. Diese enge r/iumliche Nachbar- schaft fiihrt zu einer Limitierung der ~sophaguschirurgie in diesem Bereich. In dem Bestreben zu einer kompletten Tumorexstirpation zu kommen - nur sie fiihrt zu einer Prognoseverbesserung - w/ire eine Ausdehnung der ~so- phagektomie auf das Tracheobronchialsystem zwar vor- stellbar, sie ist operationstechnisch aber nur selten mit vertretbarem Risiko ausfiihrbar und prognostisch nur unter extrem gfinstigen Voraussetzungen sinnvoll [3!.. Deshalb ist die prfioperative Diagnostik beim Oso- phaguskarzinom an der Frage orientiert, ob Tumorbezie- hungen zum Tracheobronchialsystem bestehen oder nicht. Bestehen derartige Beziehungen, ist eine komplette Tumorexstirpation (eine sog. Ro-Resektion im Sinne der UICC 1987) unwahrscheinlich. Dieser Situation tr/igt auch die aktuelle topographisch-anatomische Klassifika- tion des Osophaguskarzinoms Rechnung [4]. Hier unter- scheidet man zwischen einem Osophaguskarzinom ober- halb der Trachealbifurkation und einem solchen untero halb der Trachealbifurkation; entscheidend ist die Zu- satzinformation ,,mit oder ohne Bezug zum Tracheo- bronchialsystem". Leider sind alle indirekten Verfahren wie Computer- tomographie und Kernspintomographie nur sehr bedingt geeignet, diese Frage zu kl/iren. In einer eigenen Studie betrug die diagnostische Treffsicherheit beider Verfahren in Hinblick auf diese Fragestellung nur 60% [2]. Das derzeit zuverl/issigste Verfahren zur Beurteilung der Tumorinfiltrationstiefe - der endoluminale Ultra- schall - tut sich ebenfalls hinsichtlich der Lagebeziehung zum Tracheobronchialsystem schwer [1]. In Anbetracht der therapeutischen Relevanz dieser Frage sollte nicht gez6gert werden, sie m6glichst zuver- 1/issig pr/iopertiv zu beantworten. Das verl/iBlichste Ver- fahren ist - wie in der Arbeit von A. Imdahl et al. ausge- ffihrt - die Bronchoskopie; ob allerdings in Form der starren Bronchoskopie, sei dahingestellt. Der marginale Gewinn an diagnostischer Treffsicherheit wird mehr als wettgemacht durch das erh6hte Risiko und den Aufwand (Narkose) der starren Bronchoskopie. Die hier angege- bene diagnostische Treffsicherheit lfil3t sich noch weiter erh6hen, wenn man nicht die alte topographische Eintei- lung des ~sophaguskarzinoms nach ~sophagusdritteln sondern die eingangs empfohlene Einteilung wfihlt. Die Aussage, dab noch 50% der F/ille mit Tumorbe- ziehung zum Tracheobronchialsystem resektabel waren, fiberrascht und bezieht sich sicher nicht auf Ro-Resektio- nen. Im eigenen Krankengut gelten derartige Ffille grunds/itzlich als nicht mehr Ro-resezierbar und werden deshalb einer pr/ioperativen Chemotherapie unterzogen. Diese therapeutische Konsequenz unterstreicht noch ein- mal die Bedeutung der prfioperativen Abklfirung der Tu- morbeziehung zum Tracheobronchialsystem. Ohne Frage ist auch der Nachweis bzw. der Aus- schlul3 von Zweittumoren des Tracheobronchialsystems von Bedeutung. Eine Rate von ca. 5% bislang unent- deckter Bronchialkarzinome spricht eine deutliche Spra- che. Noch relevanter ist allerdings der Ausschlul3 eines Zweitkarzinoms im Hypopharynx durch Laryngoskopie. Die Wahrscheinlichkeit eines Zweitkarzinoms in diesem Bereich ist gr613er als im Bronchialsystem. Nach einer Phase der indirekten Betrachtung der Qsophaguskarzinome durch CT und Kernspin - die ins- gesamt eher enttfiuscht hat - stehen jetzt wieder Verfah- render direkten Betrachtung und Analyse des Osopha- gus (Bronchoskopie, Endoskopie, endoluminaler U1- traschall) ganz im Vordergrund. In Anbetracht der zu- nehmenden therapeutischen Relevanz der prfioperativen Diagnostik - im Hinblick auf multimodale Therapiever- fahren - ist die h6chstm6gliche diagnostische Treffsicher- heit, die am ehesten durch direkte Verfahren erreichbar ist, angezeigt. Literatur 1. Dittler HJ, SiewertJR (1990) PrfioperativesStagingbeim Oeso- phaguscarcinom. Dtsch Med Wochenschr(ira Druck) 2. Lehr L, Rupp N, Siewert JR (1988) Assessmentof resectability of esophageal cancer by computed tomography and magnetic resonance imaging. Surgery 103:344-350 3. PrfiuerHW, Barthlen W, SiewertJR (1990) Simultaneouspneu- monectomyand esophagectomy for bronchial carcinoma. Eur J Cardio-thorac Surg (submitted) 4. SiewertJR, Roder JD, Fink U (1990) Fortschrittein der chirur- gischen Behandlung des Plattenepithelkarzinoms der Speise- r6hre. Internist 31:131-i42

Ösophagus und tracheobronchialsystem — eine schicksalhafte beziehung

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Page 1: Ösophagus und tracheobronchialsystem — eine schicksalhafte beziehung

Langenbecks Arch Chir (1990) 375:325

Lange.nbecks. : : : Archiv o Chirurg e © Springer-Verlag 1990

Osophagus und Tracheobronchialsystem- eine schicksalhafle Beziehung J. R. Siewert

Chirurgische Klinik und Poliklinik, Technische Universit/it Mtinchen, Klinikum rechts der Isar, Ismaninger StraBe 22, W-8000 Mtinchen 80

Der entscheidende und zugleich limitierende Faktor fiir die Radikalit/it der Oesophagektomie ist das Tracheo- bronchialsystem. Beide Organe sind als Folge einer ge- memsamen Embryogenese geradezu schicksalhaft mit- einander verbunden. Diese enge r/iumliche Nachbar- schaft fiihrt zu einer Limitierung der ~sophaguschirurgie in diesem Bereich. In dem Bestreben zu einer kompletten Tumorexstirpation zu kommen - nur sie fiihrt zu einer Prognoseverbesserung - w/ire eine Ausdehnung der ~so- phagektomie auf das Tracheobronchialsystem zwar vor- stellbar, sie ist operationstechnisch aber nur selten mit vertretbarem Risiko ausfiihrbar und prognostisch nur unter extrem gfinstigen Voraussetzungen sinnvoll [3!..

Deshalb ist die prfioperative Diagnostik beim Oso- phaguskarzinom an der Frage orientiert, ob Tumorbezie- hungen zum Tracheobronchialsystem bestehen oder nicht. Bestehen derartige Beziehungen, ist eine komplette Tumorexstirpation (eine sog. Ro-Resektion im Sinne der UICC 1987) unwahrscheinlich. Dieser Situation tr/igt auch die aktuelle topographisch-anatomische Klassifika- tion des Osophaguskarzinoms Rechnung [4]. Hier unter- scheidet man zwischen einem Osophaguskarzinom ober- halb der Trachealbifurkation und einem solchen untero halb der Trachealbifurkation; entscheidend ist die Zu- satzinformation ,,mit oder ohne Bezug zum Tracheo- bronchialsystem".

Leider sind alle indirekten Verfahren wie Computer- tomographie und Kernspintomographie nur sehr bedingt geeignet, diese Frage zu kl/iren. In einer eigenen Studie betrug die diagnostische Treffsicherheit beider Verfahren in Hinblick auf diese Fragestellung nur 60% [2].

Das derzeit zuverl/issigste Verfahren zur Beurteilung der Tumorinfiltrationstiefe - der endoluminale Ultra- schall - tut sich ebenfalls hinsichtlich der Lagebeziehung zum Tracheobronchialsystem schwer [1].

In Anbetracht der therapeutischen Relevanz dieser Frage sollte nicht gez6gert werden, sie m6glichst zuver- 1/issig pr/iopertiv zu beantworten. Das verl/iBlichste Ver- fahren ist - wie in der Arbeit von A. Imdahl et al. ausge- ffihrt - die Bronchoskopie; ob allerdings in Form der starren Bronchoskopie, sei dahingestellt. Der marginale Gewinn an diagnostischer Treffsicherheit wird mehr als wettgemacht durch das erh6hte Risiko und den Aufwand (Narkose) der starren Bronchoskopie. Die hier angege-

bene diagnostische Treffsicherheit lfil3t sich noch weiter erh6hen, wenn man nicht die alte topographische Eintei- lung des ~sophaguskarzinoms nach ~sophagusdritteln sondern die eingangs empfohlene Einteilung wfihlt.

Die Aussage, dab noch 50% der F/ille mit Tumorbe- ziehung zum Tracheobronchialsystem resektabel waren, fiberrascht und bezieht sich sicher nicht auf Ro-Resektio- nen. Im eigenen Krankengut gelten derartige Ffille grunds/itzlich als nicht mehr Ro-resezierbar und werden deshalb einer pr/ioperativen Chemotherapie unterzogen. Diese therapeutische Konsequenz unterstreicht noch ein- mal die Bedeutung der prfioperativen Abklfirung der Tu- morbeziehung zum Tracheobronchialsystem.

Ohne Frage ist auch der Nachweis bzw. der Aus- schlul3 von Zweittumoren des Tracheobronchialsystems von Bedeutung. Eine Rate von ca. 5% bislang unent- deckter Bronchialkarzinome spricht eine deutliche Spra- che. Noch relevanter ist allerdings der Ausschlul3 eines Zweitkarzinoms im Hypopharynx durch Laryngoskopie. Die Wahrscheinlichkeit eines Zweitkarzinoms in diesem Bereich ist gr613er als im Bronchialsystem.

Nach einer Phase der indirekten Betrachtung der Qsophaguskarzinome durch CT und Kernspin - die ins- gesamt eher enttfiuscht hat - stehen jetzt wieder Verfah- render direkten Betrachtung und Analyse des Osopha- gus (Bronchoskopie, Endoskopie, endoluminaler U1- traschall) ganz im Vordergrund. In Anbetracht der zu- nehmenden therapeutischen Relevanz der prfioperativen Diagnostik - im Hinblick auf multimodale Therapiever- fahren - ist die h6chstm6gliche diagnostische Treffsicher- heit, die am ehesten durch direkte Verfahren erreichbar ist, angezeigt.

Literatur

1. Dittler HJ, Siewert JR (1990) Prfioperatives Staging beim Oeso- phaguscarcinom. Dtsch Med Wochenschr (ira Druck)

2. Lehr L, Rupp N, Siewert JR (1988) Assessment of resectability of esophageal cancer by computed tomography and magnetic resonance imaging. Surgery 103:344-350

3. Prfiuer HW, Barthlen W, Siewert JR (1990) Simultaneous pneu- monectomy and esophagectomy for bronchial carcinoma. Eur J Cardio-thorac Surg (submitted)

4. Siewert JR, Roder JD, Fink U (1990) Fortschritte in der chirur- gischen Behandlung des Plattenepithelkarzinoms der Speise- r6hre. Internist 31:131-i42