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225 Orthodontische Behandlung offener Biss im permanenten Gebiss Bei dental offenem Biss kann über spezifische rein orthodonti- sche Mechaniken mit oder ohne Mikroschrauben der offene Biss geschlossen werden. Bei Protrusionsstellung der Inzisivi kann über die Extraktionstherapie eine Korrektur des offenen Bisses erfolgen. Der skelettal offene Biss erfordert bei der Klasse-I-Ano- malie die chirurgisch unterstützte GNE. Bei stark ausgeprägtem skelettal offenem Biss kann die orthognathe Chirurgie erforder - lich werden. Angle-Klasse II Der dental offene Biss kann in der Klasse-II-Anomalie bei prokli- nierten Fronten und Engstand durch Extraktionstherapie korri- giert werden. In unserem Behandlungskonzept bedeutet dies eine Kombination mit Mikroschrauben zur sagittalen und verti- kalen Verankerung. Besteht ein skelettal offener Biss, kombiniert mit einer denta- len Klasse II oder moderaten skelettalen Klasse II, kann einge- schränkt rein orthodontisch behandelt werden. Bei skelettal offe- nem Biss und ausgeprägter skelettaler Klasse II ist insbesondere im retrognathen Gesicht eine alleinige orthodontische Therapie nicht indiziert, da das ästhetische Resultat in vielen Fällen nur unbefriedigend ist. Angle-Klasse III Der offene Biss mit einer Klasse-III-Anomalie kann bei modera- tem skelettalem Ausprägungsgrad durch Intrusion mit Mik- roschrauben (S. 447 ff) oder Extraktionstherapie kompensiert werden (s. Kap. Extraktionstherapie). Bei größeren sagittal ske- lettalen Abweichungen ist jedoch eine Kombinationsbehandlung mit orthognather Chirurgie indiziert. 583 Behandlung offener Biss im permanenten Gebiss: Therapiekonzept Unser Therapiekonzept für die ortho- dontische Therapie im permanenten Gebiss steht in einem engen Zusam- menhang mit der Klasse-I-, -II- oder -III-Anomalie, der dentoalveolären oder skelettalen Kausa vertikal und sagittal, der Achsenposition und dem Engstand der Frontzähne. Bei offenem Biss und Angle-Klasse-I-Ano- malie mit korrekter Frontzahnrelati- on stehen in der orthodontischen Therapie im permanenten Gebiss die Molarenintrusion und GNE im Vor- dergrund. Bei offenem Biss und Klas- se-II-Anomalie ist es die Extraktions- therapie und/oder die chirurgisch unterstützte GNE mit orthognather Chirurgie. Bei Klasse-III-Anomalien wird häufig Slicen und Molarenintru- sion sowie orthognathe Chirurgie an- gewendet. Orthodontische Behandlung offener Biss im permanenten Gebiss Die orthodontische Behandlung des offenen Bisses im bleiben- den Gebiss ist geprägt durch die vertikale Kontrolle der Molaren und präzises Platzmanagement. Aufgrund der häufig kleinen api- kalen Kieferbasen ist bei vielen Patienten mit vertikalem Schädel- aufbau und offenem Biss vor der orthodontischen Therapie eine GNE erforderlich. Dies ist unabhängig von dem Ausmaß der transversalen Dehnung und der Diagnose Kreuzbiss. Der durch die GNE erzeugte Zugewinn an knöcherner Basis ist Vorausset - zung, um Mechaniken zur Bisssenkung wie Torque in der ortho- dontischen Phase anwenden zu können. Bei jugendlichen Er - wachsenen (16. Lebensjahr) und Erwachsenen bedeutet dies die chirurgisch unterstützte GNE. Die orthodontische Therapie des offenen Bisses im permanenten Gebiss und der Schwierigkeits- grad der Behandlung sind in den einzelnen Angle-Klassen unter - schiedlich (Tab. 583). Bestehen beim offenen Biss vertikale skelet - tale Parameter, kombiniert mit ausgeprägten skelettalen sagittalen Abweichungen, ist insbesondere bei offenem Biss und Klasse-II- und Klasse-III-Anomalien im permanenten Gebiss und bei Erwachsenen ein orthognather chirurgischer Eingriff erfor - derlich. Angle-Klasse I Die Therapie des offenen Bisses in der Klasse-I-Anomalie ist ab- hängig von der Achsenposition der Frontzähne und etwaigen Engständen. Die apikale Basis ist bei vielen Patienten nicht nur transversal, sondern auch sagittal zu klein. Eine ungewollte Prot - rusion durch orthodontische Maßnahmen ist daher unbedingt zu vermeiden. Therapie offener Biss im permanenten Gebiss Angle-Klasse I • Molarenintrusion orthodontische Therapie mit Mikroschraube und/ oder Late Leveler TPA • Extraktionstherapie (Prämolarenextraktion) orthodontische Therapie TPA • chirurgisch unterstützte GNE Angle-Klasse II • Extraktionstherapie und orthodontische Therapie (Prämolarenextraktion – Oberkiefer 1. und Unterkie- fer 2. Prämolaren) maximale Verankerung sagittal und vertikal mit Mikroschraube und TPA • chirurgisch unterstützte GNE • orthognathe Chirurgie Angle-Klasse III • Extraktionstherapie und orthodontische Therapie • Slicen und orthodontische Therapie • chirurgisch unterstützte GNE • orthognathe Chirurgie aus: Wichelhaus, Kieferorthopädie - Band 1 (ISBN 9783137258018) © 2013 Georg Thieme Verlag KG

Orthodontische Behandlungoffener Biss im permanentenGebiss · 226 Biomechanik orthodontische Therapie offener Biss 586 Orthodontische Therapie offener Biss:Torque Der klinische Befund

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225Orthodontische Behandlung offener Biss im permanenten Gebiss

Bei dental offenem Biss kann über spezifische rein orthodonti-sche Mechaniken mit oder ohne Mikroschrauben der offene Bissgeschlossen werden. Bei Protrusionsstellung der Inzisivi kannüber die Extraktionstherapie eine Korrektur des offenen Bisseserfolgen. Der skelettal offene Biss erfordert bei der Klasse-I-Ano-malie die chirurgisch unterstützte GNE. Bei stark ausgeprägtemskelettal offenem Biss kann die orthognathe Chirurgie erforder-lich werden.

Angle-Klasse IIDer dental offene Biss kann in der Klasse-II-Anomalie bei prokli-nierten Fronten und Engstand durch Extraktionstherapie korri-giert werden. In unserem Behandlungskonzept bedeutet dieseine Kombination mit Mikroschrauben zur sagittalen und verti-kalen Verankerung.

Besteht ein skelettal offener Biss, kombiniert mit einer denta-len Klasse II oder moderaten skelettalen Klasse II, kann einge-schränkt rein orthodontisch behandelt werden. Bei skelettal offe-nem Biss und ausgeprägter skelettaler Klasse II ist insbesondereim retrognathen Gesicht eine alleinige orthodontische Therapienicht indiziert, da das ästhetische Resultat in vielen Fällen nurunbefriedigend ist.

Angle-Klasse IIIDer offene Biss mit einer Klasse-III-Anomalie kann bei modera-tem skelettalem Ausprägungsgrad durch Intrusion mit Mik-roschrauben (S. 447 ff) oder Extraktionstherapie kompensiertwerden (s. Kap. Extraktionstherapie). Bei größeren sagittal ske-lettalen Abweichungen ist jedoch eine Kombinationsbehandlungmit orthognather Chirurgie indiziert.

583 Behandlung offener Bissim permanenten Gebiss:Therapiekonzept

Unser Therapiekonzept für die ortho­dontische Therapie im permanentenGebiss steht in einem engen Zusam­menhang mit der Klasse-I-, -II- oder-III-Anomalie, der dentoalveolärenoder skelettalen Kausa vertikal undsagittal, der Achsenposition unddem Engstand der Frontzähne. Beioffenem Biss und Angle-Klasse-I-Ano­malie mit korrekter Frontzahnrelati­on stehen in der orthodontischenTherapie im permanenten Gebiss dieMolarenintrusion und GNE im Vor­dergrund. Bei offenem Biss und Klas­se-II-Anomalie ist es die Extraktions­therapie und/oder die chirurgischunterstützte GNE mit orthognatherChirurgie. Bei Klasse-III-Anomalienwird häufig Slicen und Molarenintru­sion sowie orthognathe Chirurgie an­gewendet.

■ Orthodontische Behandlung offener Bissim permanenten Gebiss

Die orthodontische Behandlung des offenen Bisses im bleiben-den Gebiss ist geprägt durch die vertikale Kontrolle der Molarenund präzises Platzmanagement. Aufgrund der häufig kleinen api-kalen Kieferbasen ist bei vielen Patienten mit vertikalem Schädel-aufbau und offenem Biss vor der orthodontischen Therapie eineGNE erforderlich. Dies ist unabhängig von dem Ausmaß dertransversalen Dehnung und der Diagnose Kreuzbiss. Der durchdie GNE erzeugte Zugewinn an knöcherner Basis ist Vorausset-zung, um Mechaniken zur Bisssenkung wie Torque in der ortho-dontischen Phase anwenden zu können. Bei jugendlichen Er-wachsenen (16. Lebensjahr) und Erwachsenen bedeutet dies diechirurgisch unterstützte GNE. Die orthodontische Therapie desoffenen Bisses im permanenten Gebiss und der Schwierigkeits-grad der Behandlung sind in den einzelnen Angle-Klassen unter-schiedlich (Tab.583). Bestehen beim offenen Biss vertikale skelet-

tale Parameter, kombiniert mit ausgeprägten skelettalensagittalen Abweichungen, ist insbesondere bei offenem Biss undKlasse-II- und Klasse-III-Anomalien im permanenten Gebiss undbei Erwachsenen ein orthognather chirurgischer Eingriff erfor-derlich.

Angle-Klasse IDie Therapie des offenen Bisses in der Klasse-I-Anomalie ist ab-hängig von der Achsenposition der Frontzähne und etwaigenEngständen. Die apikale Basis ist bei vielen Patienten nicht nurtransversal, sondern auch sagittal zu klein. Eine ungewollte Prot-rusion durch orthodontische Maßnahmen ist daher unbedingt zuvermeiden.

Therapie offener Biss im permanenten Gebiss

Angle-Klasse I • Molarenintrusion– orthodontische Therapie mit Mikroschraube und/

oder Late Leveler– TPA

• Extraktionstherapie (Prämolarenextraktion)– orthodontische Therapie– TPA

• chirurgisch unterstützte GNE

Angle-Klasse II • Extraktionstherapie und orthodontische Therapie(Prämolarenextraktion – Oberkiefer 1. und Unterkie­fer 2. Prämolaren)– maximale Verankerung sagittal und vertikal mit

Mikroschraube und TPA• chirurgisch unterstützte GNE• orthognathe Chirurgie

Angle-Klasse III • Extraktionstherapie und orthodontische Therapie• Slicen und orthodontische Therapie• chirurgisch unterstützte GNE• orthognathe Chirurgie

aus: Wichelhaus, Kieferorthopädie - Band 1 (ISBN 9783137258018) © 2013 Georg Thieme Verlag KG

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226 Biomechanik orthodontische Therapie offener Biss

586 Orthodontische Therapieoffener Biss: Torque

Der klinische Befund des Patientenim weiteren Verlauf der Therapie.Nach Entfernung des Torquebogenswerden Stahlbögen der Dimension.018 × .025 mit weiteren bissvertie­fenden Mechaniken eingesetzt.

585 Biomechanik: Frontzahn-torque

Durch die Applikation von Frontzahn­torque, der im Oberkiefer aufgrunddes Spiels im Slot bei den meistenPatienten zur korrekten Einstellungder Oberkieferinzisivi eingebogenwerden muss, entstehen biomecha­nische Nebeneffekte, die in der The­rapie des offenen Bisses genutzt wer­den können. Klinisch relevant für denoffenen Biss sind die entstehendenvertikalen Kräfte in Form einer Extru­sion der Front. Damit können Extrusi­onsbewegungen von 1–2 mm erzieltwerden.

584 Orthodontische Therapieoffener Biss: Torque

Bei dem Patienten bestand ein fron­tal offener Biss, der durch die Extrak­tionstherapie alleine nicht vollstän­dig geschlossen werden konnte. Dahäufig in der Justierungsphase undim Finishing für die korrekte Einstel­lung der axialen Position der Front­zähne im Oberkiefer noch zusätzlichTorque erforderlich ist, kann der Ne­beneffekt des Torques gleichzeitigzur Bissvertiefung genutzt werden.

■ Biomechanik orthodontische Therapie offener BissBiomechanisch ist bei der orthodontischen Therapie des offenenBisses darauf zu achten, dass Nebeneffekte der Straight-Wire-Apparatur und eingesetzte Kräfte und Momente nicht zu einerExtrusion der 1. und 2. Molaren führen. Die vertikale Kontrolleder Molaren während der orthodontischen Therapie des offenenBisses ist daher besonders wichtig. Im Oberkiefer kann ein TPAeingesetzt werden, der passiv gebogen wird. Die Positionierungder Attachments der 2. Molaren im Ober- und Unterkiefer musskorrekt und nicht aus okklusalen Gründen zu weit gingival posi-tioniert werden. Stört das Attachment beim Zubeißen, sind Auf-bisse anzuwenden. Für die Applikation der Sweep-Biegung zur

Intrusion der Molaren ist der Einbezug der 2. Molaren erforder-lich (Abb. 591–Abb.595). Neben dem Sweep in Kombination mitvertikalen Klasse-I-Elastics im Eckzahnbereich kann zur Bissver-tiefung gezielt der Torque im Front- und Seitenzahnbereich ein-gesetzt werden (Abb.584–Abb.590). Der Torque muss durch Bie-gungen im Bogen und der Seitenzahntorque gezielt über den TPAappliziert werden. Zusätzlich können die Effekte der Molarenint-rusion und des Torque durch den High-Pull-Headgear verstärktwerden. In Kombination mit einer orthodontischen Apparaturführt der High-Pull-Headgear zu einer Intrusion der Molaren undExtrusion der Frontzähne im Oberkiefer (Abb.593).

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590 Orthodontische Therapieoffener Biss: Seitenzahn-torque, TPA – Befund nachSeitenzahntorque

Befund nach Applikation von bukka­lem Wurzeltorque der Patientin mitTPA. Nach 3-monatiger Torqueappli­kation zeigt der klinische Befund ei­nen ausreichenden Overbite. Der of­fene Biss konnte geschlossenwerden. Voraussetzung dieser Me­chanik ist, dass bukkal ausreichendKnochen vorhanden ist. Bei unzurei­chendem apikalem Knochenangebotist eine GNE vorzuschalten.

589 Biomechanik: Seitenzahn-torque, TPA

Durch exzentrische Biegungen desTPA kann gezielt ein bukkaler Wur­zeltorque auf die Molaren appliziertwerden. Wenn die Biegungen an bei­den Seiten des TPA gleich sind, ent­stehen nur Momente und keine verti­kalen Nebeneffekte. Dereingebogene Torque kann überprüftwerden, indem die Kraft gemessenwird, mit der der TPA zur Zungezeigt. Das richtige Moment wird beieiner Kraft von ca. 0,5 N übertragen.

588 Orthodontische Therapieoffener Biss: Seitenzahn-torque, TPA –Anfangsbefund

Der klinische Anfangsbefund der Pa­tientin vor der orthodontischen The­rapie zeigt einen frontal offenen Biss.Die Molaren sind nach bukkal ge­kippt. Nur mit orthodontischen Ap­paraturen kann ein bukkaler Wur­zeltorque appliziert werden. Hierfüreignet sich besonders der TPA, dadas Moment und die biomechani­schen Nebeneffekte klinisch kontrol­liert werden können.

587 Biomechanik: High-Pull-Headgear und orthodonti-sche Apparatur

Der High-Pull-Headgear mit langen,nicht angulierten Außenarmen er­zeugt aufgrund der exzentrischenKrafteinleitung auf die Oberkie­ferdentition ein Moment auf dieDentition, das zu einer Extrusionder Front und Intrusion der Molarenim Oberkiefer führt (Mitte). Darausresultiert eine Abkippung der Ok­klusionsebene. Das angenommeneWiderstandszentrum (WZ) der Ober­kieferdentition liegt apikal zwischenden Prämolaren. Dieser Effekt kanndurch Frontzahntorque verstärktwerden (links).

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594 Klinischer Befund nach biss-vertiefender Mechanik mitSweep und Vertikalelastics

Nach einer Behandlungszeit von 6–8Wochen zeigt sich bei der Patientinbereits eine Vertiefung des Over-bites. Voraussetzung für den gutenklinischen Effekt ist die Mitarbeit desPatienten. Die Mechanik darf nur beizuverlässigen Patienten eingesetztwerden.

593 Biomechanik

Zur Intrusion der Molaren wird ein.016 × .022 bzw. 0.18 × .025 Stahl­bogen mit 20 ° Sweep im Ober- undUnterkiefer eingesetzt (links). Da derSweep alleine biomechanisch eineBissöffnung zur Folge hat, werdenvertikale intermaxilläre Klasse-I-Zügeeingesetzt (rechts). Diese verlaufenintermaxillär zwischen den Eckzäh­nen im Ober- und Unterkiefer ⅛ 3½oz. Der Effekt des Sweeps und derElastics kann durch den High-Pull-Headgear verstärkt werden (rechts).

592 Orthodontische BehandlungOffener Biss: Sweep mit Ver-tikalelastics – Führungs- undJustierungsphase

Am .016 × .022 Stahlbogen kanneine Mechanik eingesetzt werden,die zu einer Intrusion der Molarenund Bisssenkung führt. Vorausset­zung ist, dass die 2. Molaren mit indie orthodontische Therapie einbe­zogen sind.

591 Orthodontische Behandlungoffener Biss: Sweep mit Verti-kalelastics – Nivellierung

Bei der Patientin zeigt sich zu Beginnder orthodontischen Therapie in derNivellierungsphase ein frontal offe­ner Biss mit moderatem Ausprä­gungsgrad. Die eingesetzte Straight-Wire-Apparatur wird in der Nivellie­rung mit NiTi-Bögen .016 und .016 ×.022 zu einer Bissvertiefung führen.

595 Klinischer Befund nach derorthodontischen Therapiedes offenen Bisses

Nach der orthodontischen Therapiekonnte bei der Patientin ein gesi­cherter Overbite eingestellt werden.Voraussetzung für ein stabiles Ergeb­nis ist, dass kein Zungenhabit be­steht.

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230 Extraktionstherapie

■ ExtraktionstherapieDie Extraktionstherapie ist ein therapeutisches Mittel zur Kor-rektur des dental offenen Bisses bei Frontzahnprotrusion mitund ohne Engstände und Platzmangel. Bei skelettal offenem Bisssollte die Extraktionstherapie nur eingeschränkt durchgeführtwerden, da häufig bei divergierenden Kieferbasen die Frontzahn-achsen zur Ober- und Unterkieferbasis korrekt stehen. Zur Kor-rektur eines frontal offenen Bisses werden bei einer Klasse-I-An-omalie die 1. Prämolaren im Ober- und Unterkiefer extrahiert.Dies vereinfacht die einzusetzende Mechanik sowie die Veranke-rung und verkürzt die Behandlungszeit, da weniger Zähne gegeneine dentale Verankerung bewegt werden können (Abb.596–Abb.606.

Indikation Extraktionstherapie offener Biss, permanentes Gebiss• Protrusion und Engstand der Front• dental offener Biss

596 Extraktionstherapieoffener Biss,Angle­Klasse I:Klinischer Anfangsbefund

Der klinische Anfangsbefund der Pa­tientin zeigt einen frontal offenenBiss. Der Ausprägungsgrad des offe­nen Bisses ist moderat. Gleichzeitigstehen die Frontzähne im Unterkie­fer protrudiert und es besteht einfrontaler Engstand im Ober- und Un­terkiefer. Es liegt keine primäre Zun­gendysfunktion vor. Aufgrund desmoderaten Ausprägungsgrads, desfrontal offenen Bisses und der Ach­senposition der Front kann der offe­ne Biss durch Extraktionstherapie ge­schlossen werden.

597 KephalometrischerAnfangsbefund

Der kephalometrische Anfangsbe­fund der Patientin verdeutlicht dieskelettal vertikale Komponente derAnomalie, die vorwiegend im Unter­kiefer (ML-NSL 43 °) lokalisiert ist. DieOberkieferinklination entspricht derNorm. Neben der skelettalen Kom­ponente des offenen Bisses bestehtbei der Patientin ein dental offenerBiss mit Protrusion der Ober- und Un­terkieferinzisivi.

598 Extraktionstherapie offenerBiss, orthodontische Phase I:Distalisation der Eckzähne

In der orthodontischen Therapie desdental und skelettal offenen Bissesbei Protrusion und Engstand derFront wenden wir in unserem Be­handlungskonzept keine reine Gleit­bogen-, sondern eine modifizierteGleitbogenmechanik mit initialenTeilbögen an. Vorteile: kein Jigglingder Front und eine reine dentale Ver­ankerung ohne Mikroschrauben.

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231Extraktionstherapie

602 Extraktionstherapieoffener Biss, orthodontischePhase II: Führungsphase

Ziel der Führungsphase, nach demZusammenführen der Frontzähne imOberkiefer, bei der Extraktionsthera­pie des offenen Bisses ist die Retrak­tion und der Lückenschluss derUnterkieferfront sowie eine ausrei­chende Bisshebung zur Retraktionder Oberkieferfront. Dies ist erfor­derlich, um die Inzisivi störungsfreiretrahieren zu können.

601 Extraktionstherapieoffener Biss, orthodontischePhase II: Nivellierung/Führungsphase

Bereits am Ende der Nivellierungs­phase kann im Oberkiefer die Frontüber Ketten zusammengeführt wer­den. Dies ist erforderlich, um dieFront in toto zu retrahieren. Im Un­terkiefer werden am .016 × .022Stahlbogen bereits die Lücken ge­schlossen. Da beim offenen Biss derLückenschluss hauptsächlich von an­terior erfolgt, sind spezifisch intru­dierende Aufrichtemechaniken fürdie Molaren nicht erforderlich.

600 Extraktionstherapieoffener Biss, orthodontischePhase II: Nivellierung

Nach der Distalisation der Eckzähneerfolgt die Nivellierung mit .012,.016 und .016 × .022 NiTi-Bögen mitKraftentwicklung zwischen 0,3 und1 N. Durch die bereits retrudierteFront, während der Eckzahndistalisa­tion, kann die orthodontische verti­kale und sagittale Bewegungsstreckeder Frontzähne minimiert und damitdie Behandlungszeit verkürzt wer­den.

599 Extraktionstherapie offenerBiss, orthodontische Phase I:Distalisation der Eckzähne

In Phase I der orthodontischen The­rapie erfolgt die Distalisation derEckzähne mit Teilbögen. Bei gleich­zeitiger Klasse­I­Anomalie ist bei die­ser Mechanik eine dentale Veranke­rung mit Achterligaturen derMolaren und TPA im Oberkiefer aus­reichend. Nach einer Therapiedauervon 8–12 Monaten entsteht nebender Distalisation der Eckzähne durchdie Muskelfunktion auch ein retru­dierender Effekt auf die Front.

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232 Extraktionstherapie

606 Follow up nach orthodonti-scher Therapie des offenenBisses mit Extraktions-therapie

Im weiteren Verlauf, außerhalb derRetention, zeigt die Patientin weiter­hin einen gesicherten Overbite undeine Angle-Klasse I. Aufgrund einerErkrankung wurde die geplante kon­servistische Versorgung mit perma­nenten Füllungen noch nicht durch­geführt.

605 Nach der orthodontischenBehandlung des offenen Bis-ses mit Extraktionstherapie

Bei der Patientin konnte durch dieExtraktionstherapie ein korrekterOverbite eingestellt werden. Da keinHabit besteht, ist nach Abschluss derRetention die Prognose für eine guteLangzeitstabilität günstig. Aufgrundeiner Bolton-Diskrepanz bleibt eineLücke distal des seitlichen Front­zahns bestehen. Ein Aufbau war sei­tens der Patientin nicht erwünscht.

604 Extraktionstherapieoffener Biss, orthodontischePhase II:Kontraktionsphase

Für den Restlückenschluss in derKontraktionsphase der Extraktions­therapie des offenen Bisses wird dieUnterkieferfront bereits debondet.Dies ermöglicht die Einstellung einesgesicherten Overbites, insbesonderebei Patienten mit offenem Biss. DerRestlückenschluss erfolgt mit einermodifizierten Gleitbogenmechanik.

603 Extraktionstherapieoffener Biss, orthodontischePhase II:Kontraktionsphase

In der Kontraktionsphase der ortho­dontischen Therapie des offenen Bis­ses wird bei der Patientin die Ober­kieferfront retrahiert. In unseremBehandlungskonzept verwenden wirbeim offenen Biss und Angle-Klasse Ieinen Retraktionsbogen, der als Teil­bogenmechanik eingesetzt wird (s.Kap. Extraktionstherapie). Dies er­möglicht uns, den Fall weiter mit reindentaler Verankerung zu behandeln.

aus: Wichelhaus, Kieferorthopädie - Band 1 (ISBN 9783137258018) © 2013 Georg Thieme Verlag KG