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Landtag Ausschussprotokoll Nordrhein-Westfalen APr 16/872 16. Wahlperiode 16.04.2015 Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 7. Sitzung (öffentlicher Teil) 1 16. April 2015 Düsseldorf Haus des Landtags 10:00 Uhr bis 13:00 Uhr Vorsitz: Peter Biesenbach (CDU) (Stellv. Vorsitzender) Protokoll: Stefan Ernst 1 Organisierte Gewalt durch Neonazis und militante rechtsradikale Gruppierungen in NRW ggf. Organisierte Gewalt durch Neonazis Hearing * * * 1 nichtöffentlicher Teil mit TOP 2 siehe nöAPr 16/135

Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III · PDF filestand“ von Major Hans von Dach. Schauen Sie in das Angebot rechter Versender wie zum Beispiel hier der Kameradschaft der ehemaligen

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Landtag Ausschussprotokoll Nordrhein-Westfalen APr 16/872 16. Wahlperiode 16.04.2015

Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 7. Sitzung (öffentlicher Teil)1

16. April 2015

Düsseldorf – Haus des Landtags

10:00 Uhr bis 13:00 Uhr

Vorsitz: Peter Biesenbach (CDU) (Stellv. Vorsitzender)

Protokoll: Stefan Ernst

1 Organisierte Gewalt durch Neonazis und militante rechtsradikale Gruppierungen in NRW

ggf.

Organisierte Gewalt durch Neonazis

– Hearing –

* * *

1 nichtöffentlicher Teil mit TOP 2 siehe nöAPr 16/135

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Ich begrüße Sie herzlich zur siebten Sit-zung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses III. Die Tagesordnung ha-ben Sie mit der Einladung erhalten. Änderungs- oder Ergänzungswünsche liegen mir nicht vor. Auch jetzt meldet sich keiner. Damit können wir in die mitgeteilte Tages-ordnung eintreten.

1 Militante rechtsradikale Gruppierungen in NRW

ggf.

Organisierte Gewalt durch Neonazis

– Hearing –

Ich muss Ihnen mitteilen, dass uns Herr Prof. Virchow heute Morgen krankheitsbe-dingt hat absagen müssen. Daher entfällt heute der Teil „Organisierte Gewalt durch Neonazis“. Wir werden uns daher mit Frau Röpke und Herrn Bezler heute Morgen in aller Ruhe mit den übrigen Gruppierungen in Nordrhein-Westfalen beschäftigen kön-nen.

Ich möchte Sie, Frau Röpke und Herr Bezler, zuvor fragen, ob Sie möglicherweise als Zeugin oder als Zeuge infrage kommen. Wir hatten einmal eine Sachverständige hier, die auch persönlich Kontakt hatte. Von daher mussten wir sie bitten, uns wieder zu verlassen. Sollte es bei Ihnen auch so sein, dass Sie durch eigenes Erleben et-was zum Gegenstand unseres Ausschusses sagen können, bitte ich Sie, das freiwil-lig heute Morgen zu bekennen, weil Sie uns damit die Arbeit erleichtern.

Wir tagen öffentlich. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass nach wie vor keine Bild- oder Tonaufnahmen zulässig sind. Wir achten darauf, dass dieses Verbot eingehal-ten wird.

Ich bitte außerdem Zuschauer, die möglicherweise als Zeugen infrage kommen, sich zu melden. Diejenigen müssten wir bitten, den Saal zu verlassen.

Noch ein letzter Hinweis an Frau Röpke und Herrn Tobias Bezler: Bitte sprechen Sie ins Mikrofon. Das gilt auch, wenn Ihnen später Fragen gestellt werden. Die Kollegin-nen und Kollegen, die in Ihrem Rücken sitzen, nehmen es Ihnen nicht übel; das ha-ben wir schon in mehreren Sitzungen ausprobiert. Denn wir brauchen Ihre Stimme auch auf Band. Der Sitzungsdokumentarische Dienst führt parallel ein Protokoll, zu dessen Unterstützung die Tonaufnahme dient. Bitte schalten Sie das Mikrofon immer wieder aus, nachdem Sie Ihren Wortbeitrag beendet haben; andernfalls gibt es tech-nische Störungen.

Sofern Sie keine Fragen mehr haben, kann ich schweigen und den Sachverständi-gen das Wort erteilen. Nach der mir vorgeschlagenen Reihenfolge soll zunächst Herr Bezler das Wort ergreifen zur Inputrunde „Militante rechtsradikale Gruppierungen in NRW“. Herr Bezler, Sie haben das Wort. Bitte schön.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Tobias Bezler: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich wollte zu Ihnen über Konzepte und Grundlagen des rechten Terrors sprechen, also zu der Frage: Woher kommt das terroristische Potenzial der deutschen, aber auch internationalen Neonaziszene? Wer leitet sie an? Was leitet sie an?

Vielleicht fehlt der Vortrag von Prof. Virchow. Deswegen möchte ich kurz auf die Fra-ge eingehen: Welche Funktion üben Gewalt und Terror aus? Michael Sturm hat hier dazu schon in Teilen Ausführungen gemacht.

Gewalt und Terror erfüllen in der neonazistischen Szene ganz bestimmte Funktio-nen. Es geht um den konkreten Wunsch, jemandem zu schaden und einen großen Schaden anzurichten. Ebenso geht es um eine indirekte Wirkung, nämlich einzu-schüchtern und Angst und Schrecken zu verbreiten. Natürlich geht es auch darum, Gewalt und Terror als radikale Konsequenz aus der Vernichtungsideologie und der Menschenverachtung der Szene auszuüben.

Dieses Foto habe ich in Gera beim „Rock für Deutschland“ fotografiert. Es zeigt, wie der Rassismus der Neonaziszene bestens mit der nach außen zur Schau getragenen Militanz zusammengeht. Man blickt in die Läufe zweier Pistolen. Das T-Shirt ist mit Blutspritzern grafisch gestaltet. Es gibt aber auch eine Binnenwirkung in der Neona-ziszene durch Gewalt und Terror, dass man sich nämlich selbst der eigenen Radika-lität versichert. Entsprechend existieren kulturelle Äußerungen bei auf Facebook ge-teilten Bildern, auf T-Shirts, in Liedtexten. Zuschlagen und Mord sind also feste Be-standteile einer faschistischen Identität. Das macht Neonazis aus. Man will gewis-sermaßen Herr über Leben und Tod sein. Insofern sind Gewalt und Terror von rechts keine Ausnahmen bzw. extreme Auswüchse, sondern eine Art integraler Bestandteil des Neonazismus.

Das passt sehr gut zu den Vorstellungen, wie ein zumeist männlicher Neonazi zu sein hat: In der traditionellen Rollenvorstellung soll er der Krieger sein, der das Vater-land oder die eigene Familie militant verteidigt. Er soll ein Held, ein tapferer Soldat, eine protestierende Männlichkeit sein. Das gibt auch denjenigen, die nicht unbedingt die tollen Kämpfer sind, eine Chance, sich zumindest als so etwas zu inszenieren. Das passt sehr gut.

Nicht ohne Grund denken viele bei Rechtsterror und Neonaziorganisationen an Wehrsportgruppen. Ich habe ein altes Flugblatt der Wehrsportgruppe Hoffmann als Illustration mitgebracht. Hier organisierte sich nach dem klassischen Vorbild soldati-scher Gruppen, also militärischer Einheiten, eine rechte Gruppe. Es handelt sich um ein klassisch militärisches Konzept. Man will Elite sein. Es funktioniert mittels einer Befehlskette von oben nach unten. Das Konzept funktioniert über militärische Stärke und Überlegenheit. Die Wehrsportgruppe Hoffmann beispielsweise hatte mindestens 400 Männer und Frauen unter sich organisiert. Es sind aber nur einzelne zu Attentä-tern geworden.

Hier sehen wir einen dieser Soldaten der Wehrsportgruppe Hoffmann, die sich nicht abgeschottet hat, was sie von klassisch rechtsterroristischen Gruppen unterscheidet. Mit dem Heft „Kommando“ ist sie vielmehr sehr offensiv in die Öffentlichkeit getreten. Ich weiß nicht, ob sich die einzelnen, die dann zu Attentätern geworden sind – bei-

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er spielsweise Dieter Epplen, der 1976 einen Sprengstoffanschlag auf den Sender American Forces Network begangen hat, der Doppelmörder von Erlangen, Uwe Beh-rendt, oder weitere Menschen aus der Wehrsportgruppe Hoffmann, denen zwei At-tentate in Paris vorgeworfen werden –, als Folge dieses klassisch militärischen Kon-zepts dazu entwickelt haben oder ob sie sich nur nicht haben militärisch disziplinie-ren lassen.

Denn in der deutschen Naziszene wurde eigentlich ein anderes terroristisches Kon-zept bevorzugt, nämlich das Konzept des Kleinkriegs - vielleicht kennen Sie den me-dial präsenteren Namen der sogenannten Werwölfe -, ein Konzept jenseits der kon-ventionellen Kriegsführung. Arthur Erhard schrieb dieses Werk 1935 als SS-Hauptsturmführer. 1944 und 1945 brachten Waffen-SS und das Oberkommando der Wehrmacht es nochmals heraus. Nach dem Scheitern konventioneller militärischer Aktionen sollte durch einen Kleinkrieg, also einen Partisanenkrieg, gewissermaßen mit Guerillataktiken die Niederlage der deutschen Wehrmacht noch abgewendet, das Ruder herumgerissen werden.

Da besteht die Verbindung zu heute. Es handelt sich auf der einen Seite um ein mili-tärisches Konzept, aber auf der anderen Seite auch um die Entstehung eines Mythos für Neonazis als Einzelne, Vereinzelte. Als für ein klassisch militärisches Konzept ei-gentlich viel zu kleine Gruppe können sie durch Bewaffnung, militante Aktionen, An-schläge und Mord in einer politisch eher ausweglosen Situation das Ruder dennoch herumreißen. Das macht rechte Terroraktionen für die Neonaziszene so zwingend und attraktiv.

Wie bildet man sich für terroristische Aktionen aus? Woher holt man sich die Anlei-tung zum Kämpfen? In den Nachkriegsjahrzehnten benutzte man dafür beispielswei-se dieses Buch, nämlich das Handbuch der Schweizer Armee, also ein nicht neona-zistisches Buch. Das ist eine Kleinkriegsanleitung für jedermann, „Der totale Wider-stand“ von Major Hans von Dach. Schauen Sie in das Angebot rechter Versender wie zum Beispiel hier der Kameradschaft der ehemaligen Südtirolkämpfer - Buch-dienst Südtirol -, so erkennen Sie, dass immer noch Bücher angeboten werden, die ganz klar eine militärische oder bewaffnete Ausbildung ermöglichen wie zum Beispiel „Radikale Combat-Schießtechniken“ von Siegfried Hübner.

Der amerikanische Neonaziaktivist Louis Beam, der zuerst beim Ku Klux Klan und später bei Aryan Nations aktiv war, hat ab 1983 ein Konzept propagiert, das „führer-loser Widerstand“ bzw. im englischen Original „Leaderless Resistance“ heißt. 1992 hat er es in der amerikanischen Nazizeitung „The Seditionist“, „Der Aufrührer“, veröf-fentlicht. Er griff ein Konzept auf, das ein amerikanischer General, nämlich Julius Amos, für nicht militante sowjetische Oppositionsgruppen der 60er-Jahre entwickelt hatte. Louis Beam sagte:

Es muss um selbstständig agierende Kleingruppen gehen, wenn wir uns militant or-ganisieren, die nur durch die gemeinsam geteilte Ideologie verbunden sind und nicht durch eine hierarchische Befehlskette oder eine organisatorische Struktur.

Eine Führungsperson oder untergebene Kader braucht es also nicht. Befehle insge-samt sind überflüssig. Es soll eine Zellenstruktur gebildet werden, damit man von

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er den Repressions- und Ermittlungsbehörden des Staates nicht angreifbar ist. Daher muss die Struktur horizontal angelegt werden. Jede Zelle agiert autark und ist nur der Ideologie verpflichtet. Die ideale Besetzung hat er in den 60er-Jahren übrigens mit drei Personen angegeben.

Über die Kriegsberichtsvideos beispielsweise oder Tom Metzgers Organisationen White Aryan Resistance - Weißer arischer Widerstand - ist dieses Konzept ganz massiv auch in die deutsche Neonaziszene getragen worden.

In der zweiten Ausgabe des Blood-&-Honour-Magazins von 1996, die überhaupt in der deutschen Division erschienen ist, ist dieses Konzept vorgeschlagen worden. Dabei darf man nicht vergessen: Es handelt sich von Anfang an um ein Konzept für rassistischen Terror, den sogenannten Race War, gegen Teile der eigenen Bevölke-rung. Die 90er-Jahre sind voll von terroristischen und pathetischen Texten der Neo-naziszene wie dem Autonomen Nationalistischen Manifest. Dabei handelt es sich um zehn Seiten Revolutionsromantik von 1990.

Sehr beliebt in der deutschen Naziszene der 90er-Jahre ist das mindestens drei-, eventuell sogar vierbändige Werk von Hans Westmar „Eine Bewegung in Waffen“. Bei diesem Namen handelt es sich um ein Pseudonym. Die Bundesanwaltschaft sah die Hauptverdächtigen in Christian Malcoci, Christian Scholz und Henry Fiebig. Die NSDAP/AO aus den USA hat es nachgedruckt und nach Deutschland verschickt. Es wird ein Organisationsmodell für legale und illegale Aktivitäten gleichermaßen ent-worfen.

Es heißt: Wenn der Staat mittels seines Repressionsapparates die Bewegung zu zerschlagen versucht, dürfe der Werwolf den verdeckten Kampf beginnen und sich – Zitat – aller zur Vernichtung des Systems geeigneten Mittel bedienen. Dazu wird ein Netzwerk aus einer Reihe von Aktionsgruppen oder Einzelpersonen empfohlen, die Anlauf- und Versorgungspunkte für Illegale unterhalten sollen.

Bisher waren das relativ trockene Konzepte, militärische Handbücher. Die Frage lau-tet: Lesen Neonazis so etwas überhaupt?

Mit Sicherheit haben sie das gelesen, was im subkulturellen Kontext daherkam. Deswegen verbreiteten insbesondere die amerikanischen Neonazis solche Konzepte beispielsweise in Romanform.

Hier sehen Sie zum Beispiel den Roman „The Hunter“ von Andrew Macdonald. Da-hinter steckt der Chef der National Alliance, William Pierce. Dieser Roman wurde von der deutschen Neonaziszene in einer Art Crowd-Übersetzung im Forum „Thiazi.net“ gemeinsam übersetzt, was die Bedeutung anzeigt. Die Romanfigur Jäger erschießt im Buch zuerst interracial cupples, nimmt sich dann aber auch gezielt Morde an Journalistinnen und Politiker vor. Die Leserinnen und Leser sollen mitbekommen: Die Gesellschaft mag dahindümpeln, aber man befindet sich dennoch schon im Rasse-krieg, ist Elite und muss sich bewaffnen.

Teile des Buches widmen sich interessanterweise der Frage, ob man als V-Mann für die Behörden arbeitet und sie in diesem Sinne in der Hand haben, die Geheimdiens-

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er te also nutzen kann. Jäger, der Hauptakteur im Roman, lässt sich beispielsweise vom FBI für Anschläge Geld geben.

Viel bekannter in der deutschen Neonaziszene ist das andere Buch von Andrew Macdonald geworden „The Turner Diaries“, die Turner-Tagebücher in deutscher Übersetzung von 1991. Die Geschichte spielt in der Zukunft: Es werden 100 Jahre alte Tagebücher aus den Jahren 1990 bis 1993 gefunden. Die Romanfigur Earl Tur-ner ist Mitglied einer terroristischen Zelle im Untergrund. Überfallen und ermordet werden männliche jüdische und schwarze Ladeninhaber, um die Lage in einer Art weißer Revolution eskalieren zu lassen. Earl Turner und seine Bande überfallen Banken und Geldtransporter. Die Tagebucherzählung beginnt mit einer Hausdurch-suchung durch die Polizei und der Waffenkonfiszierung durch den Staat. Das erinnert ein bisschen an den NSU. Geplant werden in dem Buch zuerst Terroraktionen gegen Richter, Journalisten und Politiker. Anschließend wird es immer wilder. Am Schluss geht es um ethnische Säuberungen in Kalifornien. Der antistaatliche Kampf, der im Buch eine wichtige Rolle spielt, ist ebenfalls ein rassistischer. Das sehen Sie an dem Zitat, das gerade noch eingeblendet war.

Die Turner Diaries wurden in der deutschen Naziszene vielfach rezipiert, beispiels-weise hier in der Neonazizeitung „Volk in Bewegung“ aus dem Jahr 2012 zum zehn-ten Todestag von William Pierce.

Warum sind die Turner-Tagebücher so beliebt geworden? Es heißt im Buch: Der Ter-ror soll schockieren, soll bewusst willkürlich und unberechenbar sein, damit – Zitat – die Menschen mit verfehlten Gedankengängen endlich brechen. - Diese Konzepte haben Neonazis und Terroristen international inspiriert. Das Bild zeigt Timothy McVeigh, der am 19. April 1995 zusammen mit Terry Nichols und Michael Fortier ei-ne Autobombe vor dem Murrah Federal Building, einem Behördengebäude in Oklahoma City, zur Explosion brachte. 168 Menschen starben.

Dieses Buch hat auch David Copeland inspiriert, der aus rassistischen und homo-phoben Motiven 1999 in London innerhalb von 14 Tagen drei Nagelbombenanschlä-ge begangen hat. Er sagte in einer Vernehmung – meine Quelle ist die BBC; ich kenne die Protokolle nicht im Original –: Wenn Sie die Turner-Tagebücher gelesen haben, wissen Sie, dass es im Jahr 2000 einen Aufstand geben wird sowie rassisti-sche Gewalt auf der Straße. Die Hoffnung ist, dass es einen Gegenschlag durch die ethnischen Minderheiten geben würde. Daraufhin wiederum würden alle weißen Leu-te losgehen und die British National Party wählen. So lautet das Konzept, wie es lau-fen soll.

Das Buch hat allerdings auch deutsche Neonazis inspiriert wie zum Beispiel den Po-lizistenmörder Kay Diesner, der den Buchhändler Klaus Baltruschat in Berlin 1997 mit einer Pumpgun verletzt und auf der Flucht einen Polizeibeamten erschossen hat. Er erklärte in einem Onlineinterview mit der Gruppe Freie Nationalisten Nationaler Widerstand Ruhr: Jeder sollte erkennen, wie die Welt da draußen wirklich ist. Er kann sich letztendlich nur für unsere Sache entscheiden. Die Turner-Tagebücher sa-gen und zeigen alles, was von Wichtigkeit ist. Lasst sie uns in die Tat umsetzen.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Interessanterweise ist die terroristische Organisation, die in den Turner-Tagebüchern nur fiktional geschildert wird, anschließend von Neonazis in den USA tatsächlich auf-gebaut worden. Robert Jay Mathews hat im September 1983 mit acht weiteren den sogenannten Orden „The Order - Brüder schweigen“ aufgezogen. Diese Organisati-on hatte also einen deutschen Namen. „Brüder schweigen“ bezieht sich auf das Treuelied der SS: Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu.

Die Gruppe hat in einer Art Ritualmord den jüdischen Radiojournalisten Alan Berg gezielt hingerichtet, aber auch Banken mit Waffen mit Schalldämpfer ausgeraubt. Das dabei erbeutete Geld wurde in die neonazistische Bewegung, in den weißen ari-schen Widerstand von Tom Metzger, gesteckt.

„The Order“ bekannte sich ausdrücklich nicht zu den Taten, solange die Mitglieder im Untergrund lebten. „The Order“ entwickelte eine ganz bestimmte Manie, nämlich die Waffen und die anderen Beweismittel aus früheren Taten aufzubewahren, obwohl die Täter dadurch schwer belastet würden. Die eigenen Tatwaffen bekamen eine gewis-sermaßen religiöse Aufladung als Reliquien und wurden für später aufbewahrt. Sie wollten mit den Beweisstücken aus den damaligen terroristischen Taten Helden für ein späteres Publikum sein.

Man merkt schon: Neonazistische Terrorzellen begehen nicht immer zwingend stra-tegische Taten, sondern auch Taten, die mehr dem Ruf der eigenen Gruppe gewid-met sind. Bei den Morden wird richtiggehend exekutiert. Bei den Überfällen wird aber darauf geachtet, dass nicht so große Personenschäden zu beklagen sind. Beispiels-weise schießt man sich nie den Weg frei.

Im Unterschied zu Deutschland beim NSU hat das FBI einen Fahndungserfolg und kann die Gruppe schnell zerschlagen. Am Schluss brennt die Hütte, in die sich Ro-bert Jay Mathews geflüchtet hat, nieder. Er stirbt dabei. „The Order“ hat spätestens dadurch einen großen Einfluss auf Neonazis weltweit. Es geht also darum, einen Schaden zu verursachen und dann einen Heldentod zu sterben.

Es gibt aber auch tatsächlich Verbindungen zwischen dem Buch Turner Diaries und dem NSU. Es gibt Parallelen, die meines Erachtens zu beachten sind. Das ist kein Wunder, denn William Pierce, der Autor, war auf einem Kongress der Jungen Natio-naldemokraten in Deutschland. Er hatte starke Kontakte zum Thüringer Heimat-schutz und dessen Macher Tino Brandt. Bei Ralf Wohlleben, dem Angeklagten im NSU-Prozess, wurden die Turner-Tagebücher auf dem PC gefunden. Bei André Eminger, dem weiteren Angeklagten im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht, wurden die Turner-Tagebücher auf einer Festplatte gefunden, abgespeichert im Jahr 2003 und gelöscht nach der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011.

Andreas Graupner, Platten-Online-Musiker, der im NSU-Prozess als Zeuge auftreten musste, schilderte eindrücklich, wie begehrt die Turner-Tagebücher auf deutschen Nazikonzerten waren. Er sagte: Das war total rar – nicht, weil das Buch so selten war, sondern weil alle es haben wollten. - Es ist in der deutschen Naziszene also of-fensichtlich stark rezipiert worden. Es gibt meines Wissens noch eine Aussage von Sebastian Seemann, in der er sagt, Marco Gottschalk habe mit seiner Gruppe die

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Turner-Tagebücher gelesen. – Über den Wahrheitsgehalt kann ich hier natürlich nicht sagen.

Warum sind die Turner-Tagebücher so beliebt? Man wird in Romanform gewisser-maßen mitgenommen auf einen Weg der Radikalisierung. Gemeinsam wird der Skrupel vor Morden abgebaut.

Zum NSU gibt es zudem einfach viele Parallelen. Ich habe Zitate aus den Turner-Tagebüchern mitgebracht. Darin geht es um eine Wohnungsanmietung unter falschem Namen, die Benutzung von Fahrrädern, darum, dass die Wände zu dünn sind, dass die Wohnung gedämmt werden muss. Das alles sind Parallelen zum NSU. Es geht auch darum, dass man bewusst stigmatisierte Menschen ermorden will, um die Ermittlungen nicht zwingend zu machen. Es geht auch darum, dass man keine Bekennerschreiben hinterlassen soll. In einer Passage des Buches will jemand am Tatort des Mordes Flugblätter hinterlassen, was von den anderen Mitgliedern der Einheit unterbunden wird. Am Ende steht ein Überfall auf einen geparkten Polizeiwa-gen als Rache für Fahndungsmaßnahmen, das Ausscheiden aus dem Leben und das Zerstören der eigenen Basis, im Roman eine Werkstatt, die beim Entdecktwer-den durch die Polizei in die Luft gesprengt werden soll, damit die Suche in den Trümmern möglichst lange dauert, um Fluchtaktivitäten zu unterstützen.

Die Neonazis aus den Netzwerken des NSU und aus dem Umfeld waren tatsächlich fasziniert von „The Order“. André Eminger, Angeklagter im NSU-Prozess, feierte in seinem eigenen Fanzine „The Arian Law And Order“, also im Erzgebirge, die ameri-kanische rechtsterroristische Organisation ab. Er schrieb: Es ist eine neue Art des Kampfes einer Untergrundbewegung. – Er bewunderte sie als Elitekämpfer, die aus den besten Leuten der verschiedenen Bewegungen stammen sollen.

Als sein Bruder Maik Eminger im NSU-Prozess aussagen sollte – was er nicht getan hat –, erschien er vor Gericht in diesem T-Shirt: Brüder schweigen. Das ist meiner Meinung nach eine eindeutige Referenz im NSU-Prozess auf die amerikanische rechtsterroristische Organisation. „The Order“ wurde auch in Nordrhein-Westfalen abgefeiert. Ich kenne einen Beitrag im Fanzine „Der Förderturm“ aus Oberhausen aus dem Jahr 2000/2001. Dort gab es einen bewundernden Artikel über „The Order“.

Wichtig ist noch zu erwähnen, dass dann die Phase kam, in der Blood & Honour als eine subkulturell beliebte Organisation für viele, viele Neonazis viel zugänglicher als bisher rechtsterroristische Konzepte verbreitete, beispielsweise im sogenannten Field Manual. Max Hammer ist ein Pseudonym; Erik Blücher, heute Erik Nilsen, soll es geschrieben haben.

In dem Field Manual wird Bezug genommen auf die Taten des sogenannten Laser-man. Der Deutschschweizer Wolfgang Alexander Zaugg hat unter dem Namen John Ausonius von August 1991 bis Januar 1992 in Stockholm und Uppsala zehn Mord-anschläge auf elf Migrantinnen und Migranten begangen, manchmal mit einem Ge-wehr mit Laserzieleinrichtung oder mit einem Revolver, was ihm den Namen Laser-man eingebracht hat. Eine Person hat er dabei umgebracht. Alle Opfer wurden zufäl-lig ausgewählt; das wird in dem Buch noch einmal deutlich. Es ist in erheblichem Maße Angst und Schrecken bei Migrantinnen und Migranten in Schweden ausgelöst

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er worden. John Ausonius floh über Dresden und Frankfurt nach Südafrika, was ihn auch mit den NSU-Plänen verbindet. Er hatte mindestens 20 Banken ausgeraubt. Dabei ist er jedes Mal auf einem Fahrrad geflohen. 1992 ist er gefasst worden. Dabei kam heraus, dass er immer unter falschen Identitäten gelebt hat und für die Morde keine Fahrräder, sondern Mietfahrzeuge benutzt hat. Im Buch wird darauf hingewie-sen, dass nach den Taten keine Bekennerschreiben geschrieben werden sollen.

Bei Blood & Honour gab es noch mehrere Strategiepapiere. Alle reden immer von Max Hammers Buch „The Way Forward“, aber das ist nur einer von vielen Texten, die dort vertrieben worden sind. Darin sind noch einmal klassische rechtsterroristi-sche Hinweise gegeben; das wird auch im Blood-&-Honour-Verbot in Deutschland aufgeführt. Dort heißt es: Wenn ihr stigmatisiertere Leute tötet, wird es keine sinnvol-len Ermittlungen geben.

Max Hammer wirbt für die Organisierung in Zellen zur Ausübung militanter Aktionen. Man soll nicht mehr länger warten. Die Organisation soll zwingend als Netzwerk lau-fen, als führerloser Widerstand. Zusätzlich zu diesen militanten terroristischen Kon-zepten soll die Verankerung von Blood & Honour als subkulturelles Netzwerk im Rechtsrockbereich bei Jugendlichen mit geselligen Veranstaltungen, Partys und Konzerten gleichermaßen transportiert werden. Terroristische Aktivitäten wie die Mu-sikaktivitäten und die Propaganda gibt es also per CD und Internet.

Damit komme ich zum Schluss: Was hatte das für Auswirkungen in Deutschland?

Um die Jahreswende 1999/2000 ballt sich gewissermaßen ein terroristisches Vorge-hen in Deutschland. Es kommt zum Bombenanschlag auf die sogenannte Wehr-machtsausstellung in Saarbrücken, zu mehreren Attentaten auf das Grab von Heinz Galinski in Berlin und zu dem Anschlag in Düsseldorf-Wehrhahn. In deutschen Neo-nazizeitungen erscheinen deutliche Hinweise wie hier im Magazin der Nürnberger Naziszene. Dort heißt es auf dem Titelbild: Militant ins neue Jahrtausend. – Auf der zweiten Umschlagseite heißt es: Mehr als Worte zählen die Taten. – Das kennen wir auch aus dem Bekennervideo des NSU. Es geht genau um dieses Handeln: nicht mehr länger abwarten, sondern jetzt militante Aktionen begehen. Das kennzeichnet die damalige Zeit. In der Neonazizeitschrift „Hamburger Sturm“ erscheint ein Inter-view mit angeblich oder tatsächlich im Untergrund lebenden Kameraden der soge-nannten Nationalrevolutionären Zellen, die sich auch hinter den Polizistenmörder Kay Diesner stellen.

Nicht als rechtsterroristisches Konzept, aber als klare Ansage an die anderen Kame-raden und Kameraden, jetzt terroristische Aktionen zu begehen, sehe ich auch den vom NSU verschickten Brief, wahrscheinlich aus dem Jahr 2002. Darin geht es da-rum, jetzt ebenfalls militante klandestine Aktionen zu begehen.

Mein letztes Chart soll hingegen zeigen, wie die behördliche Einschätzung zum da-maligen Zeitpunkt ausgesehen hat. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen Drucksache 13/7378 vom 8. April 1997 heißt es auf die Frage nach Werwolfkonzepten und führerlosem Widerstand: „Es gibt keine Hinweise auf ei-ne Umsetzung solcher Konzepte in der Neonaziszene.“

Landtag Nordrhein-Westfalen - 11 - APr 16/872

Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Andrea Röpke: Herr Bezler hat die terroristischen Ambitionen, den propagierten Rassekrieg der neonazistischen Bewegung dieser Jahre, vorgestellt und vor allen Dingen die Ideologien, die dahinter stehen. Ich möchte das Ganze an ein paar Bei-spielen verdeutlichen und die Bezüge zu Nordrhein-Westfalen herstellen.

Zunächst einmal möchte ich betonen: Unser Anliegen als Fachjournalisten ist es, immer wieder darauf hinzuweisen, dass vor allen Dingen Beate Zschäpe, Uwe Mund-los und Uwe Böhnhardt in Bezug auf die Analyse seit dem Jahr 2011 immer wieder Anzeichen dafür nach außen tragen, dass sie niemals völlig isoliert waren. Sie haben in ihrem engsten Helferkreis unter den Angeklagten im Münchner Prozess Kamera-den gehabt, die bis zuletzt – sogar heute noch während des Prozesses in München, den Herr Bezler ständig beobachtet; ich bin auch ab und an da – ganz offen Kontakte ins militante und auch terroristische Milieu zeigen. Das heißt, sie machen auch im Prozess als Angeklagte und im Zuschauerraum keinen Hehl daraus.

Ich möchte ein paar Beispiele schildern, damit es vielleicht ein besseres Verständnis dafür gibt, warum wir so darauf pochen, dieses Netzwerk im Falle des Nationalsozia-listischen Untergrundes in Bezug auf die Verbindung nach Nordrhein-Westfalen hin offenzulegen:

Beate Zschäpes Verhalten ist nicht das Verhalten einer Nazibraut, wie es die „Bild“-Zeitung tituliert hat, sondern es sind ganz klare politische Bekennungen. Die Frau ist genauso radikalisiert worden wie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt: über den Thü-ringischen Heimatschutz. Die Frau hat frühzeitig einen Hang zu Waffen gehabt, was durch die Polizei belegt ist. Vor allen Dingen zeigt sie seit 2011 eine klare Beken-nung. Sie hat nach dem Tod ihrer beiden engsten Mitstreiter – wir wissen bis heute nicht, wie sie davon erfahren hat – die Wohnung in Zwickau, das größte Versteck mit 120 m², in Brand gesetzt. Sie hätte es nicht tun müssen. Sie hätte sich stellen kön-nen. Sie aber hat die Flucht durch die halbe Republik angetreten. Vor allen Dingen hat sie einen Teil der 16 Bekenner-DVDs, die heute bekannt geworden sind, einge-worfen. Übrigens ist mindestens eine DVD in Nürnberg eingeworfen worden, wobei bis heute nicht bekannt ist, welcher Kamerad das getan hat.

Beate Zschäpe hat also ein klares Bekennung, ein Zeichen setzen wollen am 4. November 2011. Wie die Nebenklage immer wieder bestätigt, ist sie eine der ganz, ganz wenigen Angeklagten, die in einem so langen, so aufwendigen Verfahren tatsächlich auch politisch durch und durch stabil ist und tatsächlich schweigt. Ihr Schweigen ist auch eine Art Bekennung. Sie zeigt keine Reue. Sie hat keine Gefühle gezeigt, als die Opfer aus der Keupstraße ausgesagt haben. Sie zeigt keine Gefühle. Sie zeigt keine Solidarität zu ihren Kameraden. Sie ist dort durch und durch völlig professionell aktiv.

Gefühle hat man nur erkannt – ich habe mir das gestern noch einmal angetan; die Sachen sind uns als Journalisten zugespielt worden – in den beschlagnahmten Brie-fen an den Dortmunder Neonazi Robin Schmiemann. Auch das ist sicherlich kein Zu-fall. Beate Zschäpe tauscht nicht nur ihre innersten Gefühle, ihre politische Gesin-nung, ihre Wut aus. Sie tauscht sich tatsächlich mit einem militanten, wegen eines massiven Schusswechsels bei einem Raubüberfall verurteilten Kameraden aus Nordrhein-Westfalen aus. Mit ihm hetzt sie über V-Leute wie Sebastian Seemann. Zu

Landtag Nordrhein-Westfalen - 12 - APr 16/872

Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er ihm sucht sie den Kontakt. Ich finde es äußerst bezeichnend, weil Robin Schmie-mann zu einer militanten und gefährlichen Combat-18-Gruppe gehörte.

Der Angeklagte André Eminger aus Zwickau – Herr Bezler hat es eben angespro-chen – und sein nicht vor Gericht stehender Zwillingsbruder Maik Eminger zeigen ganz offen, dass sie Kontakte ins militante Milieu haben. Mich persönlich schockiert es immer wieder, wenn man das als Zuschauer vor Gericht mitbekommt. Dort sitzt ein Angeklagter in einem Terrorprozess. Es geht um zehn tote Menschen und viele, viele Verletzte. Sie treten tatsächlich mit Szene-T-Shirts auf und kommen vor allen Dingen mit verurteilten Terroristen der Kameradschaft München aus dem Jahr 2003, einer terroristischen Zelle, in den Prozess. Eine größere Provokation von rechts kann es meines Erachtens vonseiten der Angeklagten nicht geben.

Auch der unscheinbare Angeklagte Holger Gerlach aus Hannover, der angeblich ge-ständig sein soll und eine Zeit lang unter dem Zeugenschutz des BKA stand, hat während des Zeugenschutzes – das ist mittlerweile nachgewiesen; der Zeugen-schutz ist auch zurückgenommen worden – Kontakt zu Kameraden gehabt, die spä-ter als Zeugen im Prozess aussagen sollten. Unter anderem traf er sich mit Alexand-er Scheidemantel aus Köln, der in Niedersachsen Kontakte zu Blood & Honour hatte. Der ganze Zeugenschutz ist dann zurückgerudert. Mittlerweile wird Gerlach etwas anders angefasst.

Ralf Wohlleben aus Jena, der bekannteste Angeklagte im NSU-Verfahren neben Beate Zschäpe, dessen Name immer ausgeschrieben wird, der als mutmaßlicher Waffenbeschaffer gilt, ist mittlerweile Kult in der Szene. Wo sich die Szene offen zu-rückhält, sich mit Beate Zschäpe zu solidarisieren, wird er anders verehrt. Das gilt auch im Hintergrund. Dort propagiert man den Slogan „Freiheit für Wolle“ ganz offen. Das heißt, die militante Neonaziszene bringt zurzeit immer wieder Konzerte und Sampler heraus und sammelt ganz offen Geld für Ralf Wohlleben, versucht, die Be-suche zu koordinieren und ihm beizustehen. Sie relativiert natürlich seine Rolle als Waffenbeschaffer unter anderem auch der Mordwaffe.

Dabei schont sich die Szene nicht. In Thüringen haben sie sich gerade wieder eine Ceska angeschafft. Sie haben gerade in Ballstädt wieder brutal eine Kirmesgesell-schaft nachts überfallen. Der Prozess steht demnächst an. Das heißt, die Szene ru-dert in keinem Fall zurück, sondern solidarisiert sich ganz offen mit den Terroristen. Auch da gibt es wieder die Einbindung in die Bewegung.

Ergänzend zum Vortrag von Herrn Bezler möchte ich noch sagen: Die Neonazisze-ne, der Terror von rechts, hat sich niemals dadurch ausgezeichnet – das ist einfach eine falsche Vermittlung der Verfassungsschutzbehörden gewesen –, dass sie Be-kennerschreiben hinterlässt. Es ist nicht das Zeichen. Es ist nicht deren Stil. Tatsäch-lich ist es dieser terroristischen Bewegung bzw. diesen terroristischen Zellen eher wichtig, ein Bekennung nach innen abzugeben. Die solidarische Bewegung bzw. Tei-le der Bewegung, das Kameradschaftsspektrum, sollen wissen: Wir sind da. Ihr re-det. Ihr propagiert den Rassekampf. Wir setzen ihn in die Tat um. Wir machen das für euch. – Diese Bekennung nach innen ist ganz, ganz wichtig. Deshalb kam es si-cher auch erst zur Absendung der Bekenner-DVDs durch Beate Zschäpe nach dem Tod ihrer wichtigsten Mitstreiter.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Die Bekennung nach innen ist noch einmal dadurch ganz deutlich geworden, dass 2002 die NSU-Briefe versandt worden sind. Das heißt, die drei, die im Vordergrund stehen, wollten gar nicht so abgeschottet sein. Sie wollten sagen: Wir sind da. Wir sind der NSU. – Sonst hätten sie diese Briefe nicht aufgesetzt. Sonst hätten sie nicht einen ausgewählten Kreis von neonazistischen radikalen Strukturen angeschrieben. Sie haben teilweise – das wissen wir heute – im Jahr 2002 auch Spenden verschickt. Zu diesen Spendenempfängern gehörte eben auch der bereits erwähnte „Förder-turm“, ein Fanzine aus Bottrop. Dessen ehemaliger Betreiber hat in seiner Verneh-mung anscheinend auch zugegeben, Beate Zschäpe durchaus schon gekannt zu haben, ihr Gesicht gesehen zu haben bei früheren Demonstrationen. Auch da gab es also wieder eine Einbettung des NSU in die Szene bis heute.

Nun möchte ich gerne auf Beispiele für die Einbindung nach Nordrhein-Westfalen kommen. Eigentlich sollte Prof. Virchow das heute vorstellen, aber ich werde versu-chen, das ein bisschen zu erklären. Ansonsten müssen Sie nachfragen.

An der Nationalistischen Front kommt man nicht vorbei, wenn man sich mit Wehr-sportwaffen und Militanz in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Die Nationalistische Front hatte Ende der 80er-Jahre ein eigenes Zentrum erworben. Ihr Schwerpunkt lag in Detmold-Pivitsheide. Wie nicht selten gab es dort mehrere militante und terroristi-sche Gruppierungen, die mit Waffen ausgestattet waren. Tatsächlich ist es Meinolf Schönborn gewesen, der das Zentrum in Detmold-Pivitsheide angeführt hat.

Bei den Ermittlungen zum NSU ist klar geworden, es wird angedeutet, dass Uwe Mundlos als junger Neonazi aus Thüringen – später eben in Sachsen ansässig seit 1998 – Mitte der 90er-Jahre Sympathien für die Nationalistische Front hatte. Sie sieht sich als Elite, als elitäre Kaderorganisation, sehr soldatisch, sehr militant, sehr streng hierarchisch organisiert und angeführt eben von Meinolf Schönborn. Tatsächlich wei-tete sie sich nach Thüringen aus und baute dort Strukturen auf, bereits bis nach Sachsen. Gerade junge, intelligente und fanatische Kameraden aus den neuen Bun-desländern waren dieser Gruppierung aus Westfalen sehr willkommen, die ihren Schwerpunkt später nach Brandenburg verlegt hat.

Ganz wichtig für die Nationalistische Front waren Nachwuchsschulungen, vor allen Dingen militärische Übungen. Das Bild, das Sie sehen, ist eines ihrer eigenen. Es gibt sehr harte Bilder, die später beschlagnahmt worden sind, auf denen sie tatsäch-lich mit Schnellfeuergewehren posieren, auf denen sie bei Wehrsportschießübungen zu sehen sind. Ihre eigenen Fotos zeigen immer wieder bewaffnete Trupps. Die Na-tionalistische Front war vordergründig eine Partei, die 1992 verboten worden ist, aber hinergründig war sie eine durch und durch militante Kampfbereitschaft. Bereits 1988 zeigte das das Nationalistische-Front-Mitglied Josef Saller, dass an oberster Stelle der rassistische Kampf stand. Er zündete ein von Migranten bewohntes Haus in Bayern an. Dabei kamen vier unschuldige Menschen ums Leben. Wie viele der Brandstifter wurde Saller im Gefängnis weiter betreut.

Die Nationalistische Front gründete Unterorganisationen. Es war häufig so, dass sie zur Tarnung und zur Verwechslung immer wieder eigene kleine Ablegergruppen gründeten wie zum Beispiel die Liste 88, also die Liste HH, also Heil Hitler, oder die Nationalen Eingreifkommandos – NEKs. Das waren Versuche, tatsächlich handver-

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er lesene auserwählte junge Neonazis als Kämpfer aufzubauen, als schlagkräftige Gruppen, ganz im Sinne der Wehrsportgruppe Hoffmann. Einerseits sollten sie nach außen diszipliniert auftreten. Andererseits sollten sie die Militanz und den Kampf nach innen suggerieren.

Die Aktivisten der Liste 88 waren etwas ganz Besonderes. Wir haben das natürlich kaum mitbekommen, weil das Ganze sehr intern und getarnt abgelaufen ist. Nach dem Verbot der Nationalistischen Front im Jahre 1992 machten sie weiter. 1994 wurde zum Beispiel wieder ein Waffenlager der Liste 88 der Nationalistischen Front in Bayern hochgenommen. Immer wieder wurde sie auch nach dem Verbot mit Waf-fen in Verbindung gebracht. Es ist ganz typisch für diese militanten und fast terroristi-schen Gruppierungen, dass sie mit einem Bein immer im Untergrund gestanden hat.

Denn diese Splittergruppen haben immer einerseits eine Ausbreitung, einen propa-gierten Rassenkampf gewünscht, andererseits aber nach innen gewirkt mit Zeitschrif-ten wie „Angriff“ oder „Umbruch“. Darin hieß es 1995, also drei Jahre nach dem Ver-bot: Bildet kleine geheime Gruppen. Greift die feindlichen Strukturen an. – Im „Um-bruch“ stand tatsächlich etwas, was ich ganz wichtig finde: Eine professionelle Vor-bereitung sei wichtig. Dabei wurde klar gesagt, dass die Brandanschläge von Mölln und Solingen kontraproduktiv gewesen seien, weil sie nicht professionell genug durchgeführt worden seien. Es heißt dann weiter: Die Anschlagsziele sollten so aus-gewählt sein, dass sie nicht die Gefühlsduselei als Bestandteil der liberalen Deka-denz wecken würden. – Das heißt tatsächlich: Mordopfer migrantische Kleinunter-nehmer sind sicher ein Anschlagsziel im Sinne der Strategie des „Umbruchs“ gewe-sen.

Meinolf Schönborn, einer der wichtigsten Köpfe der Nationalistischen Front, tritt mitt-lerweile wieder ganz offen auf. Am kommenden Wochenende hat er, glaube ich, wieder ein Schulungsseminar in Ilfeld in Nordthüringen – trotz des Verbotes und trotz der Einschätzung des Verfassungsschutzes. Ich fand es ganz interessant, dass der Verfassungsschutz 1998 nach Schönborns Haftentlassung gesagt hat, der Mann sei derartig isoliert und außen vor, dass von ihm keine politische Gefahr mehr ausgehe. Das ist ein schlechter Witz, wie sich herausgestellt hat. Schönborn ist nach wie vor aktiv. Hier ist er zum Beispiel beim Eisfeldtag zu sehen mit Kinderbelustigung und Rechtsrock. Dort trifft er sich mit dem damaligen NPD-Vorsitzenden. Es handelt sich um eine Feier der Arischen Bruderschaft von Thorsten Heise.

In Schönborns Umfeld, der Nationalistischen Front, gab es tatsächlich mehrere To-desfälle, die durchaus einen tieferen Blick erfordern könnten. 1992 ist der Nationalis-tische-Front-Anhänger Jens Stumpf in Sachsen Anhalt an einen Stuhl gefesselt und durch eine Vielzahl von Messerstichen getötet worden. Der Sozialarbeiter, der sich als äußerst rechts und militant entpuppte, der einen Sprengstoffanschlag auf ein Au-to begangen hatte, gehörte zum elitären Kreis der speziellen Kleinstgruppe Liste 88. Bei der Tat wurde allerdings nicht weiter die politische Dimension beleuchtet, son-dern seine Freundin verantwortlich gemacht.

Sie wissen alle, dass es 2012 zu Schlagzeilen kam, als die Leiche von Jörg Lange im weißen Haus nahe Neuruppin gefunden wurde. Es handelte sich um einen sehr akti-ven Mecklenburger Neonazi, der sich tatsächlich in diesem Haus aufhielt. Es war von

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Meinolf Schönborns Lebensgefährtin angemietet worden. Er gehörte zum engsten Umfeld von Schönborn und war Jahrgang 1969. Die Diagnose lautete: Herzinfarkt. Es wäre sicherlich nicht bekannt geworden, dass das ein Nazihaus war und dass dieser Neonazi gestorben ist, wenn man nicht neben der Leiche tatsächlich einen Mi-litärrucksack mit einem kleinen Kriegswaffenarsenal gefunden hätte. Es stellt sich na-türlich nach wie vor die Frage: Was hatte der Mann tatsächlich in diesem von Schön-borns Lebensgefährtin angemieteten Haus vor?

Der Tote zählt zu Schönborns neuer Gruppierung Neue Ordnung. Es wurde klar, dass er wenige Tage zuvor einen alten Kameraden getroffen hatte, der ihn schließ-lich tot aufgefunden hat. Dieser Kamerad, Jan Gallasch, ist wiederum ein sehr enger Kamerad von Meinolf Schönborn. Früher gehörte er zur Nationalistischen Front, dann zum Schutzbund Deutschland und der Bewegung Neue Ordnung.

Sie sehen: Das sind viele, viele Gruppierungen. Es soll sehr unübersichtlich und verworren sein. Das Markante ist, dass ausgerechnet der bereits erwähnte Zwillings-bruder des NSU-Angeklagten André Eminger, Maik Eminger aus Zwickau, mittlerwei-le in Brandenburg aktiv, tatsächlich mit Schönborn und Gallasch gemeinsam in die-sen Strukturen aktiv war. Man kannte sich also durchaus. Gallasch fand den Toten mit dem Rucksack voller Waffen. Tatsächlich stellte sich heraus, dass bereits im Jahr 2003 Herr Schönborn, Herr Gallasch und die Brüder Eminger, von denen sich eben der eine vor Gericht verantworten muss, gemeinsam bei einer Sonnenwendfeier der Artgemeinschaft waren. Sie sehen durchaus Bekanntschaften auch von Nordrhein-Westfalen bis in diese ostdeutschen Kreise.

Schönborn selbst hat den Toten Lange in einem Nachruf als überzeugten National-sozialisten tituliert und noch einmal darauf hingewiesen – auch das möchte ich Ihnen ans Herz legen –, dass Lange ein ehemaliger Jugoslawiensöldner gewesen sei, der für die kroatische faschistische HOS-Miliz gekämpft habe. Sehr viele Neonazis sind Anfang der 90er-Jahre in den Jugoslawienkrieg gezogen. Außergewöhnlich viele sind in Nordrhein-Westfalen wieder aufgetaucht. Wir haben es also mit sehr waffen-affinen und enthemmten Neonazis zu tun, die aus diesem Krieg zurückgekehrt sind und in diesen Neonaziorganisationen immer wieder auftauchen.

Der nächste Tote im Umfeld von Herrn Schönborn war Thomas Richter, ein sehr be-kannter Neonazi, der immer wieder auf Demonstrationen zu sehen war. Er war einer, der immer den Fotoapparat dabei hatte, der Internetpräsenzen mit aufgebaut hat, der den „Nationalen Beobachter Halle“ konzipiert hat. Später kam heraus, dass er ein langjähriger und einer der am besten bezahlten Spitzel des Bundesamtes für Verfas-sungsschutz war, vorher aber schon für das Landesamt für Verfassungsschutz Nord-rhein Westfalen tätig.

Thomas Richter starb – so die Diagnose – durch einen Zuckerschock mit 39 Jahren, kurz bevor er beim BKA eine Aussage hätte machen müssen. Dabei handelt es sich momentan um eine der spannenden Fragen in Bezug auf das NSU-Verfahren: Rich-ter wird dafür verantwortlich gemacht, eine sogenannte NSU-NSDAP-CD unter den Neonazis in Umlauf gebracht zu haben. Diese CD könnte den Verfassungsschutzbe-hörden durchaus Schwierigkeiten bereiten, weil einer der am besten dotierten Spitzel die Bezeichnung NSU schon 2005/2006 in Umlauf gebracht hat. Daher stellt sich na-

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er türlich die Frage: Was hat man schon früher gewusst? Ist diese Bezeichnung schon vorher im Umlauf gewesen? Welche Rolle spielte tatsächlich Corelli alias Thomas Richter?

Damit komme ich zur nächsten Gruppierung mit Bezug nach Nordrhein-Westfalen. Unabhängig von der Nationalistischen Front steht die Blood-&-Honour-Division Deutschland. Sie ist noch heute neben Combat 18 die militante Kultorganisation. Je-der kleine Neonazi, der geschult wird, kennt die Codes und Zeichen „28“ – also der zweite und der achte Buchstabe im Alphabet, nämlich B und H, also Blood & Honour. Blut und Ehre war die Losung der Hitlerjugend und wurde als die Parole für diese Organisation ausgegeben.

Der Erfinder von Blood & Honour war Ian Stuart Donaldson, der Sänger von Skrewdriver. Ihn ereilte 1993 ein unrühmlicher Tod: Er jagte gegen einen Betonpfei-ler mit überhöhter Geschwindigkeit. Seitdem ist Ian Stuart Donaldson Kult, aber auch Blood & Honour.

Die deutsche Division gründete sich etwa 1993/1994. Der Verfassungsschutz hat sie in einem wichtigen internen Pamphlet 2004 nicht einmal mehr aufgeführt. Obwohl es immer wieder Warnungen gab, wurde Blood & Honour als ausschließliches Musik-netzwerk angegeben, was sehr fahrlässig war.

Man muss wissen, dass Mitte der 90er-Jahre die Musikstrukturen ein riesengroßes Geschäft waren. Heute gibt es über 100 Neonazibands. Es gibt eigene Labels. Es gibt einen riesigen Merchandisingbereich. Damals wurde die Parole ausgegeben: Wir machen unser eigenes Netzwerk, aber das Geld kommt wieder der politischen Arbeit zugute. Schon Ian Stuart Donaldson hat gesagt – und das war viel wichtiger –: Wir können den propagierten Rassekrieg, wir können unseren Hass gegen Minderheiten, wir können unseren Hass auf diese Gesellschaft, auf die etablierte Politik, wie sie das nennen, tatsächlich über Musikinhalte viel besser transferieren, als wenn wir Vorträge halten. So kommen wir an die Jugendlichen ran. – Das war die Intention von Blood & Honour.

In Nordrhein-Westfalen gab es, soweit wir wissen, nur die Sektion Westfalen, ange-führt von Dirk Fasold, der heute immer noch mal wieder aktiv auftaucht, vor allen Dingen aus dem Umfeld der Kameradschaft Bielefeld mit dem sehr aktiven Bernd Stehmann.

Anders als uns von den Sicherheitsbehörden vermittelt worden ist, gab es bei Blood & Honour sehr hierarchische Strukturen. Sie waren durch und durch organisiert. Wie bei den Rockergangs gab es eine sechsmonatige Anwärterschaft. Es wurde nicht je-der genommen. Man musste sich behaupten. Es gab immer wieder Auseinanderset-zungen, Kriege und später auch Spaltungen, bis es tatsächlich im Jahr 2000 zum Verbot kam. Bis dahin hatte Blood & Honour aber schon längst den Weg des Mu-siknetzwerkes mit internationalen Verbindungen verlassen. Ich weiß von vielen Aus-steigern, die das immer wieder gesagt haben, dass ganz klar war: Wenn du Waffen haben willst, geh zu Blood & Honour. Die haben Waffen. – Es war immerbekannt, dass diese Gruppierung für Militanz und Waffen, für Abrechnungen zuständig war.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Sehr wichtig ist auch: Der propagierte Rassenkampf und die Pamphlete, die auch bei Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe 1998 beschlagnahmt wurden, die alle in der As-servatenkammer des LKA Thüringen gelandet sind, zeigten, wie sehr gerade Blood & Honour, wie sehr die Musik gerade die Männer dieses Trios interessiert hat, wie sie selbst in den Handel involviert waren. Das LKA in Thüringen bestätigte auch, dass Mundlos und Böhnhardt zu den Blood-&-Honour-Strukturen in Thüringen gehörten.

Mit dem tatsächlichen Verbot war es nicht zu Ende. Ich möchte kurz verdeutlichen, wie das Ganze so aussieht. Wir befinden uns nun Ende der 90er-Jahre. Es gibt sub-kulturelle Strukturen. Dieses Foto ist neu. Es stammt von einer Blood-&-Honour-Gruppierung in den Niederlanden. Es sind Thüringer Kameraden dabei. Vor allen Dingen sehen Sie aber das offene Bekenntnis zum Nationalsozialismus. So hing zum Beispiel im Clubhaus von Blood & Honour immer eine Ku-Klux-Klan-Fahne. Sie se-hen auch die Gruppendynamik: Die Männer recken den Arm zum Hitlergruß, die Frauen machen teilweise mit, und die Kinder erleben das. Das ist die Gemeinschaft, in der sie aufwachsen. So sind die jüngeren Leute sozialisiert und radikalisiert wor-den.

Blood & Honour hat sich nicht nur die Strukturen der Anführer und über die Texte de-finiert, sondern vor allen Dingen auch über die Bands, die das Ganze nach außen getragen haben. Sie mussten natürlich überzeugend sein. Sie mussten glaubwürdig sein. Die Neonaziszene ist missgünstig. Wenn irgendjemand unter Verdacht gerät, sich mit Geld zu bereichern, wie es mal bei Torsten Lemmer der Fall war, ist das ganz schlecht. Diese Bands müssen also auch glaubwürdig radikal nach innen sein.

In der Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums gegen Blood & Honour gab es folgende Beispiele für die Radikalität der Lieder. So sangen sie unter anderem: Die Patrioten von heute müssen sich auf die größten aller Kriege, den Rassenkrieg, vorbereiten. Dafür muss man geheime Strukturen schaffen und bereit sein, sein Le-ben zu opfern. Wir als stolze Arier machen unsere Arbeit selber und erlauben drecki-gen Menschen nicht, irgendwo in unserer Nähe zu sein. Sie sind Bazillen. Noch ein stinkender Araber, schlimmer als ein Jude. Ich werde den Rassenkrieg führen, du nichtsnutziger arabischer Schleim. – Das heißt, die Sänger, die Mitwirkenden bei Blood & Honour müssen bereit sein, ins Gefängnis zu gehen, die Verantwortung zu übernehmen, voll und ganz hinter dieser absolut menschenverachtenden Ideologie stehen.

Ich wollte Ihnen zeigen, wie weit das gehen kann. Das sind Dokumente, die wir ge-sammelt haben: Es handelt sich um die Großmutter aus Thüringen, die bei einem Konzert von Herrn Wohlleben in Pössneck die kleine Enkelin auf dem Arm hat mit der 28. Sie benutzt das Kind, um das Bekenntnis Blood & Honour weiterzutragen bei einem Neonazikonzert. Bei Facebook war der hessische Neonazi – hier rechts im Bild – zu sehen, der seinem kleinen Sohn tatsächlich beibringt, wie man den Hitler-gruß richtig macht. Es handelt sich also um Fanatismus durch und durch mit dem Rassenkampf als Ziel.

Im Jahr 2000 hatte sich das Thema Blood & Honour in der Öffentlichkeit erst mal er-ledigt. Blood & Honour jedoch – das ist heute bekannt – hat in Deutschland ganz klar mindestens sechs Jahre lang weiter agiert, maßgeblich von Thüringen aus. Darin

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er liegt natürlich immer die Gefahr von Verboten; das wissen Sie alle. Sie waren auf den Untergrund vorbereitet. Sie haben sich schon mit einem Bein im Untergrund be-funden.

Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt 100 km weg von Jena nach Chemnitz gefahren sind, als sie im Jahr 1998 fliehen mussten. Sie sind dort in die Wohnungsgemeinschaften von Blood-&-Honour-Aktivisten eingezogen und herumgereicht worden. Man hat ihnen geholfen. Man hat sie gedeckt. Man hat ihnen Identitäten besorgt. Diese Gruppierung hat also gar keine Probleme damit gehabt, diese Illegalität zu unterstützen – im Gegenteil: Sie waren Märtyrer für die Sache. Dazu war diese Organisationsstruktur bereit.

Eine wichtige Strategie möchte ich ergänzen: Ganz wichtig ist die Kommunikation der Tat. Es wurde vermittelt – meines Erachtens hat der NSU genauso gehandelt –, dass die Taten ihre eigene Sprache sprechen sollen. Wenn also eine Waffe verwen-det wird, ist die Ceska Bekennung, insbesondere, wenn sie gegen Polizisten ver-wendet wird, die Feinde der Neonazis sind. Sie wird auch gegen Migranten gerichtet. Das ist eine Bekennung der Tat. Sie soll intern kommuniziert werden. Die Anschläge selbst sollen für sich sprechen ohne Bekennerschreiben und Hinweise auf die Täter.

So hoffen sie einerseits, lange unentdeckt zu bleiben und teilweise lange legal zu agieren. Beate Zschäpe ist zum Beispiel zu einem Fest in Plagwitz gegangen, hatte Freunde in der Nachbarschaft, ist in den Keller gegangen und hat dort Sekt getrun-ken, sie hat für die Abtarnung gesorgt.

Andererseits gibt es natürlich auch die sehr große Anzahl von Banküberfällen, her-umzufahren und wie in Dortmund auszuspionieren und sehr umfangreiche Pläne an-zulegen, was sie meiner Ansicht nach nicht alleine getan haben können.

Es geht eben auch darum, abzutarnen und den Zeitraum zu bekommen, lange zu agieren. Bei Blood & Honour hieß es eben: Die Anschläge sollen nur von denjenigen verstanden und aufgegriffen werden, für die es wichtig ist und die die Strategie im Hintergrund kennen.

Zudem glauben wir nach wie vor, dass sie ein Fanal setzen sollen. Die Anschläge sollen provozieren, dass Weiteres passiert, dass eine Selbstständigkeit vor Ort ent-steht. Sie haben vielleicht mitbekommen, dass es in Dortmund im Jahr 2005 zum ersten Mal aus dem Umfeld der Kameradschaft Dortmund und des Nationalen Wi-derstands die Parole gab: Dortmund ist unsere Stadt. – Das ist propagiert worden, bevor ein Jahr später Herr Kubasik erschossen worden ist. Das muss man einfach im Zusammenhang sehen. Die Mitglieder dieser Organisation sehen sich als politische Soldaten.

Ich möchte Ihnen noch eine letzte Gruppierung vorstellen, die ich in diesem Zusam-menhang als sehr wichtig erachte. Sie bewegt sich immer im Umfeld von Blood & Honour, ist aber noch einen Schritt weiter gegangen. Es handelt sich um die heute noch aktive Neonaziband Oidoxie aus Dortmund. Ihr Aushängeschild ist Marko Gott-schalk, der neben Lunikoff und Landser einen richtigen Kultstatus hat. Wir hatten mit einem Aussteiger gesprochen, der gesagt hat: Wenn ich Oidoxie höre, weiß ich, das ist Combat 18, also der militante terroristische Ableger von Blood & Honour. Oidoxie

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er ist also gleich Combat 18. Sie haben das Logo terror machine. Sie verwenden noch heute das Logo C 18 immer wieder. Auf dem Foto sehen Sie eine Selbstdarstellung aus dem Umfeld von Oidoxie. Man sah sich als kampfbereite vermummte bewaffnete Zelle. Sie sehen vielleicht, dass sie die Waffen im Anschlag haben.

C 18 sorgte Ende der 90er-Jahre für eine ganze Welle von Anschlägen; das hat Herr Bezler schon gesagt. Es waren grauenhafte Anschläge, die eigentlich hätten War-nung sein müssen. Es gab Nagelbombenanschläge gegen Migranten und Homose-xuelle. Es gab die Hinrichtung des Gewerkschafters Björn Söderberg in Schweden. Es gab die Hinrichtung von zwei Polizisten. Es gab Banküberfälle zuhauf, die auf das Konto aus dem Umfeld von C 18 gingen. Diese Gruppierung, die 1999/2000 aktiv war, diente einfach dieser militanten terroristischen Szene als Vorbild und wurde par-tiell nach Deutschland getragen. Die Verfassungsschutzbehörden sagten immer wie-der, in Deutschland gebe es nur einen rechten Feierabendterrorismus. C-18-Zellen seien so nicht bekannt. Dabei hat es mehrere davon gegeben, wie heute auch einge-räumt werden muss.

Noch kurz zur Band Oidoxie und Marko Gottschalk aus Dortmund. Wichtige Namen in diesem Zusammenhang, die wenig bekannt sind, sind auch noch Marco Eckert und - er ist zwar kein Bandmitglied, stammt aber aus dem Umfeld von Oidoxie - Ro-bin Schmiemann, der Briefpartner von Beate Zschäpe, mit dem sie im Jahr 2012 so innig korrespondierte. Zu nennen ist auch noch der berühmte V-Mann und Waffen-narr Sebastian Seemann. Diese Neonazis, die aus dem direkten Umfeld von Oidoxie aus Dortmund stammen, und drei weitere gründeten im Jahr 2003 eine geheime mili-tante Zelle. In seiner Vernehmung hat Sebastian Seemann später ausgesagt, dass sich diese paramilitärische Zelle ganz offen auf Combat 18 berief.

Ich finde es markant, dass auch Aussteiger aus anderen Bundesländern das wuss-ten. Es hat sich also recht schnell innerhalb dieser militanten Strukturen herumge-sprochen, was sich in Dortmund gründet, was das Aushängeschild Oidoxie eigentlich im Hintergrund vorhat. Im Keller von Marko Gottschalk trafen sie sich. Tatsächlich hatte Seemann erzählt – das hat Herr Bezler auch schon gesagt –, dass die sieben, die zur Zelle gehörten, tatsächlich die Turner Diaries lesen sollten. Sie waren auch Standard bei den NSU-Mitgliedern. Die Waffen wurden über Blood & Honour Flan-dern beschafft. Es waren scharfe Waffen. Es wurden Schießübungen in Belgien ab-gehalten; das ist behördenbekannt. Für den Wehrsport, also das Üben des Überle-bens im Gelände, fuhr man ins Sauerland.

Nachdem die Gruppe drei Jahre agiert hatte, wurde im Jahr 2006 ganz plötzlich die Auflösung bekannt gegeben. Das mag damit zu tun haben, dass eine Partnergruppe in Belgien aufgeflogen war – vielleicht auch durch Sebastian Seemann; das ist mir aber nicht bekannt. Bei denen wurden mörderische Pläne, Anschlagspläne und Sprengstoff gefunden.

Es ist aber wichtig, den Zeitpunkt 2006 noch einmal festzuhalten. Oidoxie wurde be-reits 1995 gegründet. Sie ist eine uralte Neonaziband, die noch heute aktiv ist. Sie hatte weitreichende Verbindungen. Die Protagonisten dieser Musikszene sind total überzeugt, verfügen aber auch über eine Vernetzung, die ganz anders ist. Nehmen Sie zum Beispiel SS-Siggi aus Dortmund, Siegfried Borchardt, oder Axel Reitz. Das

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er sind Lokalgrößen in Nordrhein-Westfalen. Sie werden hin und wieder nach Nieder-sachsen oder Thüringen eingeladen, referieren hin und wieder und gehen mal bei Demonstrationen mit.

Aber die wirklich Vernetzten sind die Bandmitglieder. Sie sind diejenigen, die ständig davon leben, diese Musik nach außen zu tragen. Sie müssen wirklich überall auftre-ten. Es werden immer ganz exklusiv drei bis vier Bands zusammen eingeladen, hoch konspirativ geheim. Es ging dabei immer um einen Gewinn von 20.000 bis 30.000 € bei den Konzerten, wie die Behörden bekannt gegeben haben. Es ist beachtlich, welche Kontakte diese Dortmunder Band mit dem terroristischen Hintergrund schon im Jahr 2000 hatte.

Im Zusammenhang mit Nordrhein-Westfalen muss man ganz klar die Band Stahlge-witter nennen. Sie werden immer in Niedersachsen verortet, was nicht ganz richtig ist. Der Sänger Daniel Giese kommt aus Meppen, der Textschreiber Jens Hesser kommt aus Lingen, aber eines der wichtigsten Bandmitglieder kommt aus Nordrhein-Westfalen. 2000 spielten sie zusammen mit Oidoxie. Ich erwähne Stahlgewitter, weil aus ihnen Gigi und die braunen Stadtmusikanten hervorgegangen sind, auf die ich gleich noch komme. Es ist ein bisschen kompliziert; ich hoffe, Sie steigen noch durch.

Oidoxie kannte nicht nur Stahlgewitter, sondern – das finde ich ganz markant – von Konzerten auch die Band Blitzkrieg. Blitzkrieg aus Chemnitz ist kaum bekannt; wir haben sie bisher wenig beachtet. Aber ihre Bandmitglieder sind direkt aus dem Zent-rum von Blood & Honour Chemnitz, das den dreien auf der Flucht geholfen hat. Die-se Bandmitglieder gehören tatsächlich zu den Helferstrukturen. Sie gehörten zu Blood & Honour. Blitzkrieg ist tatsächlich die Band, die den nächsten Kontakt zum NSU gehabt hat. Es ist nicht verwunderlich, dass sie heute bei allen Solidaritätsakti-onen mitmacht wie „Freiheit für Wolle“ usw. Sie gestalten Sampler mit, sie kennen diese militanten Strukturen.

Ausgerechnet mit denen und Stahlgewitter hatte eben auch Oidoxie sehr früh und sehr intensiv zu tun. Ein kleines Beispiel: Oidoxie spielte 2012 vor einem Banner des Thüringer Heimatschutzes in Gera. Dieses Konzert, bei dem ich persönlich rausge-flogen bin, wurde von Ralf Wohlleben veranstaltet. Da fuhr die Dortmunder Band Oidoxie hin und solidarisierte sich und sorgte dafür, dass Spenden für Ralf Wohlle-ben und den NSU in die Töpfe kamen. 2014 spielte Oidoxie bei Blood & Honour im Elsass. Im europäischen Ausland ist Blood & Honour also nach wie vor aktiv. Das wird teilweise von deutschen Neonazis koordiniert. Der Gewinn sollte an ein Nazi-haus in Ballstädt in Thüringen gehen, wo übrigens der fürchterliche Überfall gegen die Kirmesgesellschaft stattgefunden hat. Dieses Nazihaus wiederum unterstützt Ralf Wohlleben, den mutmaßlichen NSU-Helfer.

Oidoxie bringt sich also immer wieder ein und kennt die Strukturen. Ihr Label – PC-Records – ist das größte Neonazimusiklabel. Sein Gründer, Hendrik Lasch, war ein früherer Freund von Uwe Mundlos. Man kannte sich und verkehrte. Hendrik Lasch hat eingeräumt, dass er Uwe Mundlos auch im Untergrund getroffen hat. Uwe Mund-los hat für dieses Label damals auch T-Shirts gezeichnet. Bei PC-Records produziert

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er natürlich auch die Dortmunder Band Oidoxie. Das heißt: Alle kennen sich sehr gut und sind sehr eng miteinander.

Damit komme ich zum Anschlag; dann bin ich auch bald fertig. 2006 gab es An-schläge in Dortmund und in Kassel. In diesem Zusammenhang könnten die Vernet-zung, die Radikalität und das terroristische Ansinnen von Oidoxie eine Rolle gespielt haben. Eines der Bandmitglieder ist Alexander Gorges, der aus Südthüringen stammt. Er spielte bei der Band Kinderzimmerterroristen, die heute noch aktiv ist. Mittlerweile lebt er in der Schweiz und organisiert, wie es aus informierten Kreisen heißt, internationale Rechtsrock- und Blood-&-Honour-Konzerte. Immer wieder wird auch Combat 18, also dem militanten terroristischen Ableger, gehuldigt. Alexander Gorges hat seine Kontakte aus Thüringen mit nach Dortmund gebracht.

Marco Eckert, ein weiteres Bandmitglied von Oidoxie, kommt aus Hessen. Wenn man sich sein Facebookprofil ansieht, fällt man wirklich vom Glauben ab, wie offen dieses Bandmitglied damit umgeht. Er kennt die wichtigsten Neonazis aus Chemnitz, die ganz klar zu den Helferstrukturen gehören, teilweise schon als Zeugen im Pro-zess aussagen mussten und gegen die teilweise ermittelt wird. Er hat beste Kontakte nach Kassel zum Sturm 18. Dabei handelt es sich um eine äußerst militante Kame-radschaft. Es gibt aber auch einen Versandhandel und eine Band dieses Namens – also Sturm Adolf Hitler.

Ich kann Ihnen diese Textzeile nicht vorenthalten, zu der der Oidoxie-Bassist gespielt hat: Wir werden Terroristen sein. Ja, und ich bin dabei. Wir räumen hier auf. Wir räu-chern sie aus. Wir gehen in den Untergrund, autonom und militant. Wir werden erst ruhen, bis der Letzte von euch aus diesem Land ist verband. – Wir finden hier also tatsächlich die gleiche Propaganda, die gleiche Ideologie.

Es gibt die zahlreichen Ausspähnotizen zum Tatort 2006 in Dortmund, die auffällig sind. Oidoxie, diese Band aus Dortmund, hatte beste Kontakte nach Kassel und nach Thüringen, aber auch nach Sachsen. Wenige Tage vor den beiden Anschlägen, am 4. und am 6. April 2006 auf Mehmet Kubasik in Dortmund und Halit Yozgat in Kassel, hat die Band in Kassel ein Konzert gegeben.

Bislang ist immer noch nicht richtig von der Polizei recherchiert bzw. verfolgt worden, dass bei diesem Konzert Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos dabei gewesen sein sol-len. Es gibt V-Leute wie Benjamin Gärtner, die im Untersuchungsausschuss gesagt haben, es gäbe eine DVD. Ich verstehe nicht, warum die Polizei diese DVD nicht an-gefordert hat. Sie wäre interessant, weil Oidoxie ja gespielt haben sollen und eventu-ell Mundlos und Böhnhardt dort herumhüpften und vielleicht noch andere Kontakte vor Ort waren. Wenige Wochen später geschehen tatsächlich die Morde auf der Achse Dortmund-Kassel. Ich weiß nicht, ob das immer als Zufall betrachtet werden sollte. Man sollte das verfolgen. Ich verstehe vor allen Dingen nicht, warum die Poli-zei an dieser Schiene nicht weitergemacht hat.

Oidoxie, vor allen Dingen Combat 18 und deren befreundete Gang, haben wenige Monate vor den beiden Morden im Jahr 2006 der Gewalt abgeschworen. Die Verbin-dung Dortmund-Kassel ist auch durch eine gemeinsame Organisation aufgezeigt worden. Das ist die Oidoxie-Street-Fighting-Crew, in der Kasseler militante Neonazis

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er sowie Anhänger von Oidoxie und des Umfelds aktiv waren. Tatsächlich verstehe ich nicht, warum diese „Zufälligkeit“, dass die Morde in Dortmund und Kassel so schnell aufeinander folgten und diese neonazistische, terroristische, militante Verbindungsli-nie so eng und durch das Oidoxieumfeld gekennzeichnet war, nicht intensiver ver-folgt worden ist.

Wenn man sich mit der Musik beschäftigt, kommt man nicht darum herum: Hier se-hen Sie den Dönerkillersong von der Band Gigi und die braunen Stadtmusikanten, der bereits 2010 veröffentlicht worden ist. Dieser Song ist bei PC-Records in Chem-nitz veröffentlicht worden – wie soll es auch anders sein, was für ein Zufall.

In dem Lied heißt es: Neunmal hat er es schon getan. Die SOKO Bosporus schlägt Alarm. Ermittler stehen unter Strom. Eine blutige Spur, und keiner schnappt das Phantom. Am Dönerstand herrschen Angst und Schrecken. Kommt er vorbei, müs-sen sie verrecken. Kein Fingerabdruck, keine DNA, denn neun sind nicht genug. –

Sie hat auch dieses fürchterliche Cover mit diesem kleinen Kind, dessen Nazieltern in den USA das Kind tatsächlich Adolf Hitler genannt haben. Die CD ist später indi-ziert worden – übrigens nicht wegen dieses Liedes. Soweit wir wissen ist 2010, also ein Jahr vor dem Auffliegen des NSU, zum ersten Mal in der Naziszene diese Ceska-Mordserie thematisiert worden.

Für mich stellt sich hier ganz klar die Frage, ob mit diesem Lied die Strategie der Kommunikation der Tat angewendet werden sollte. Warum veröffentlicht diese Band diese Morde an Migranten? Was ist daran für sie interessant? Es ist doch möglich-erweise eher von Nachteil zu sagen, dass das etwas mit ihnen zu tun haben könnte. Warum tun sie das? Es zeugt von einem gewissen Selbstbewusstsein, es zeugt aber auch von Strategie. Das ist genau das, was auch Herr Bezler gesagt hat: Das Ganze hat nicht immer nur mit Strategie zu tun, sondern ganz wichtig ist auch die Beken-nung nach innen.

Ich halte es für mehr als einen Zufall, dass ausgerechnet PC-Records den Dönerkil-lersong aus Chemnitz aus diesem Blood-&-Honour-Helferzentrum heraus veröffent-licht hat. Hendrik Lasch, der Freund von Uwe Mundlos, hatte die Firma mittlerweile an einen anderen Freund weitergegeben, sitzt aber noch im selben Gebäude. Es wird ein bisschen klarer, wenn man sieht, dass Gigi und die braunen Stadtmusikan-ten, die übrigens mit Andreas Koroschetz einen Musiker in Mönchengladbach hier in Nordrhein-Westfalen haben, als Stahlgewitter – das war ihr vorheriger Name – be-reits Lübeck 1996 thematisiert hat.

Sie können sich vielleicht erinnern: In Lübeck wurde 1996 ein von Migranten be-wohntes Haus angezündet. Vor Ort wurden vier Neonazis aus Grevesmühlen festge-nommen, die alle Schmauchspuren hatten. Man hat sie laufen lassen. Sie sind nie vor Gericht gestellt worden. Der Brandanschlag ist niemals geklärt worden, obwohl zehn Menschen ums Leben gekommen sind. Stattdessen hat die Polizei massiv ge-gen Safwan Eid, einen libanesischen jungen Mitbewohner, ermittelt, der aber mittler-weile rechtskräftig freigesprochen worden ist.

Diesen Vorfall hat diese Band ganz klar thematisiert. Im Lied Lübeck ‘96 heißt es: Ein Schrei der Empörung halte durch unser Land, denn in Lübeck war ein schönes Asyl-

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er heim abgebrannt. In Lübeck gab‘s ein Feuer im Asylbewerberheim. Auch hier sollten die Mörder böse Neonazis sein. Zehn Tote und ein Täter, der nicht aus Deutschland kam, denn sie zünden sich des Öfteren gerne selber an.

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen: Diese Morde, diese Anschläge passieren nicht einfach aus der Mitte der Gesellschaft, sondern tatsächlich aus der Ideologie dieser bis in die Mitte der Gesellschaft reichenden Bewegung. Tatsächlich könnte in den Jahren 1996 oder 1999 dieses Lied Lübeck ‘96 eine ganz andere In-tention gehabt haben als der Dönerkillersong. Bei Lübeck ‘96 könnte man vielleicht versucht haben: Ermittelt doch mal nach innen. Die Kriminellen sind doch die Opfer, weil das Migranten sind. Die sind pauschal Täter. – Beim Dönerkillersong könnte man gesagt haben: Guck mal, hier passieren Morde. Hier machen Leute aus unserer Szene, aus unserer militanten Bewegung, das, was ihr propagiert.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Frau Röpke, auch an Sie vielen Dank.

(Beifall)

Sie haben uns beide eine Vielzahl von Informationen mitgebracht. Gibt es Fragen? – Anfangen darf die SPD-Fraktion. Herr Bialas.

Andreas Bialas (SPD): Vielleicht darf ich mit einer Frage an Sie beide anfangen, die ein wenig an das anschließt, was wir in der letzten Sitzung hatten: Inwieweit ist es glaubhaft, dass in einer derartigen Szene, die Sie als ein Stück weit nach klassisch militärischen Konzepten, nach Hierarchien aufgebaut beschrieben haben, in der - so formulierten Sie es - Wissen und Befehl eine bedeutende Rolle spielen, einzelne Werwölfe ohne Wissen oder Befehl anderer dort tätig sind – jenseits der Frage, wie es im logistischen System einer Unterstützungsnotwendigkeit aussieht?

Inwieweit zeichnet sich eine Struktur ab mit den verschiedenen Elementen, die be-dient werden? Ich spreche vom militärischen Arm, von der Anwerber- und Unterhal-tungsbranche, von der Vernetzungsarbeit, vom Finanzsektor – so möchte ich das einmal nennen –, vom Logistiksektor, aber auch vom theoretischen, gedanklich ge-stützten Sektor. Inwieweit gibt es dort Vernetzungen? Können diese Vernetzungen möglicherweise auch einzelnen Vernetzern zugeordnet werden? Es schimmert im-mer wieder durch, dass es sich um ein Geflecht handelt, das im Grunde genommen sehr eng aufeinander abgestimmt ist. Wenn es diese Form von System gibt, stellt sich mir die Frage: Inwieweit erscheint es verständlich, dass man das nicht durch Beobachtung herausbekommen kann? Ich möchte es einmal höflich formulieren: Sie werden nicht alle schweigen. Wenn das System denn so ist, ist es stark darauf aus-gerichtet, dass Kommunikation stattfinden muss - in welcher Art und Weise auch immer.

Mit ähnlichen Fragen beschäftigen wir uns derzeit beim Salafismus. Sie haben vorhin gesagt, dass es scheinbar einen Kriegsortterrorismus gegeben hat, wodurch in Be-zug auf die Gefährlichkeit dieser teils unbekannten, teils potenziellen, teils inzwi-schen bekannt gewordenen Täter eine andere Qualität erreicht wird. Wissen Sie, ob es vonseiten der Sicherheitskräfte Sichtweisen gab, schlicht und ergreifend Bewe-

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er gungsmuster nachzuvollziehen? In den 90er-Jahren gab es die Kriege auf dem Bal-kan. Ein bisschen überzogen gefragt: Inwieweit sind sie als reale Trainingscamps genutzt worden?

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Wer möchte anfangen? – Herr Bezler, bit-te.

Tobias Bezler: In der Tat scheint sich ein Widerspruch aufzutun in einer Szene, die auf Führerkult und Führerprinzip setzt und in der das gerade, was die ideologische und öffentliche Arbeit angeht, stark zu sehen ist. Wenn ich für den militanten terroris-tischen Teil von Netzwerken rede, gibt es andererseits kleine Zellen, sie sind nicht hierarchisch, sondern horizontal organisieren.

Das ist aber kein Widerspruch, auch wenn unterschiedliche Hinweise und Erklärun-gen in den terroristischen Konzepten gegeben werden. In „Eine Bewegung in Waf-fen“ wird ausführlich geschildert, dass es die militanten, im Untergrund lebenden Kämpfer sind, die eine legalistische Partei gründen, die straff nach dem Führerprinzip organisiert ist. Beides ist gleichzeitig vorhanden. Wann immer jemand eine terroristi-sche Aktivität oder Attentate verüben will, braucht es logischerweise ein gewisses Maß an Abschottung. Sonst ist die Organisation viel zu schnell für die Ermittlungsbe-hörden zu zerschlagen. Deswegen gibt es für die militanten Aktionen eine netzwerk-artige Zellenstruktur.

Das ist wahrscheinlich mit den bisherigen Begriffen der abgeschlossenen Gruppe und der Unterstützerinnen und Unterstützer nur schwer zu fassen. Es mag sein, dass es dadurch auch juristisch schwieriger wird.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Auf einem Blood-&-Honour-Konzert wird für die abge-tauchten Mitglieder des NSU Geld gesammelt. Zeuginnen und Zeugen haben berich-tet, dass jemand mit dem Eimer durch 1.500 Menschen geht und Geld für die unter-getauchten Kameradinnen und Kameraden in diesen Eimer geworfen wird. Das ist juristisch nicht als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung strafbar, solange nicht gesagt wird, für welche Kameraden gesammelt wird und welche Straftaten sie mit diesem Geld begehen. Aber ohne das Hineinwerfen des Geldes in den Eimer ist der terroristische Untergrund gar nicht denkbar und nicht aufrecht zu erhalten. Das unterscheidet sich fundamental von einem Verständnis von abgeschotteter Gruppe und Unterstützerstruktur.

Wir müssen also wahrnehmen: Die deutsche Neonaziszene hat sich so organisiert, dass Menschen, die rechte Terroranschläge begehen wollen, sich im Netzwerk be-wegen können. Es gibt einfach Hunderte von Menschen, die bereit sind, ihren Bei-trag zu leisten. Es handelt sich um eine schwierige Dialektik. Gleichzeitig wird wider-sprüchlich und unterschiedlich – es gibt auch Streit in der Szene – auf verschiedene andere Konzepte für die politische Arbeit gesetzt: von der Parteienbildung bis hin zum Kameradschaftswesen. Zum Teil lässt sich die Trennung nicht machen: Was ist eigentlich militante Aktion, was ist legalistische Arbeit?

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Ist es schwierig, so etwas durch Beobachtung herauszubekommen? Da bin ich mir nicht sicher – ganz im Gegenteil: Wenn es ein zu terroristischen Taten bekanntes Netzwerk in der Gesellschaft gibt, dem Hunderte von Personen angehören, ist es meiner Meinung nach viel eher möglich, auf solche Strukturen aufmerksam zu wer-den als auf immer wieder angeführte Lone-Wolf-Terroristen wie Anders Breivik, die tatsächlich als einzelne relativ abgeschottet ihre Vorbereitungen getroffen haben.

Andrea Röpke: Wir haben uns auch immer wieder gefragt: Warum haben wir das nicht entdeckt? Warum haben wir, die wir uns natürlich mit den terroristischen Ge-schichten beschäftigen - ausführlich vor allem noch einmal 2003 nach der Verhaftung der Kameradschaft München und dem Wissen um ihre Terrorpläne -, es nicht er-kannt? Warum haben wir die Anzeichen nicht erkannt?

Warnungen hat es natürlich vonseiten der Fachjournalisten immer gegeben. Wir ha-ben gesagt: Es sind einfach wahnsinnig viele Waffen im Spiel. Wenn selbst Gruppie-rungen wie die Heimattreue Deutsche Jugend als Nachfolgerin der Wiking-Jugend schon Kinder so hierarchisch, militant und straff ausbilden, wenn Kinder verdonnert werden, wenn Kinder mit Angst umgehen, wenn sich Kinder nicht trauen zu reden, muss noch viel mehr dahinter stecken.

Als Fachjournalisten haben wir ein bisschen folgendes Problem: Wenn es in den letz-ten Jahren um Waffenfunde, Militanz und Terror ging, haben wir natürlich immer nur einen Teil der Informationen bekommen, die die Sicherheitsbehörden hatten. Meis-tens ist tatsächlich davon ausgegangen worden, dass es Einzeltäter seien, wie Herr Bezler es eben angesprochen hat. Es gab immer wieder Wehrsportgruppen, Spreng-stoff- oder Waffenfunde, die aber meines Erachtens viel zu wenig beleuchtet und in diese Netzwerke eingeordnet worden sind.

Bei den Neonazistrukturen gibt es ein weiteres Problem: die unterschiedlichen hie-rarchischen Ebenen. Auch wenn das sogenannte Kerntrio tatsächlich Helfer wie Hol-ger Gerlach, André Eminger oder Ralf Wohlleben hatte, müssen die nicht alle durch und durch intelligent sein. Sie müssen nicht alle diese Ziele bis zum Ende vertreten. Manchmal reicht es auch, wenn sie Kurierdienste leisten. Viele Neonazis sind Hel-fershelfer. Es handelt sich auch um Frauen, die ihre Ausweise zur Verfügung stellen. Wir müssen diese Vielschichtigkeit und diese Hierarchien also erst einmal begreifen. Das war bis zum NSU, bis zum Jahr 2011, auch bei uns nicht der Fall.

Genauso wie die Behörden haben wir sicherlich den Fehler gemacht, Einzelne, Aus-steiger, die ausgepackt haben, Leute, die vor Gericht geredet haben, als zu lächer-lich empfunden zu haben. Wie die anderen Kollegen und Wissenschaftler auch habe ich natürlich unzählige Gerichtsprozesse besucht. Manchmal denkt man: Mensch, der kann doch wirklich gar nicht so ein Terrorist sein. Der kann doch gar nicht diese militanten und rassistischen Ziele verfolgen, wenn ich den so vor Gericht sehe und so erlebe. Wir hätten aber etwas hellhörig werden müssen. Denn gerade, wenn man mit Aussteigern spricht, merkt man ganz massiv: Sie verschweigen die Hälfte. Über bestimmte Dinge wird nicht geredet; das sitzt durch und durch. Sie können noch so offen sein und noch so sehr abrechnen wollen: Sie verschweigen einen Großteil.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Damit kommen wir zu einem Punkt, den wir unterschätzt haben: Ganz viele tragen eine Mitschuld und haben natürlich dadurch auch gelernt, darüber nicht zu reden. Es gibt also immer noch sehr schwierige Mechanismen der Erkennung dieser Struktu-ren.

Wir können nur immer wieder darauf beharren, dass wir viel mehr Aufklärung brau-chen. Wir brauchen viel mehr Offenheit der Sicherheitsbehörden. Wir brauchen aber nicht diese ewige Relativierung: Ach, es gibt keine Strukturen. Es gibt nur einen Fei-erabendterrorismus. Es gibt keine Helfernetzwerke. – Wir brauchen ein durchaus vielschichtiges Konzept, in Zukunft mit solchen terroristischen Strukturen umzuge-hen. Das tun wir heute nicht. Wir merken es immer wieder.

Ich recherchiere gerade intensiv zu den Verbindungen zwischen Neonazis und Ro-ckergangs, also der modernen gewaltbereiten Mafia, die die Szene mit Waffen, Mili-tanz und Kampfsport versorgt. Auch da wird nicht genügend aufgeklärt. Dort gibt es das nächste Phänomen, denn die Naziszene kommt dort ganz einfach an Gewalt wie Kampftrainings, Waffen und Sprengstoff. Auch da gucken wir wieder viel zu sehr weg.

Zum Balkankrieg kann ich nur sagen, dass uns aufgefallen ist, dass damals immer wieder vor allem von antifaschistischen Strukturen gewarnt worden ist, dass eine sehr große Gruppe von Kriegsveteranen zurückgekommen war. In der Zeit von 1993 bis 1995 kamen durchgeknallte und völlig enthemmte Leute zurück. Wir haben im-mer noch Neonazis wie Michael Homeister um den ich als Journalistin einen großen Bogen mache, weil ich ihn heute noch für durchgeknallt und völlig unberechenbar halte. Er war in Köln bei den HoGeSa-Veranstaltungen. Ich kenne solche Ex-Söldner. Man weiß, dass sie in die Gruppen hineinwirken, dass sie noch heute schwierig sind. Man weiß von Aussteigern, dass sie in der eigenen Struktur für Angst und Schrecken sorgen. Wir haben aber auch unterschätzt, dass über diese Ex-Söldner natürlich auch die Waffen gekommen sein könnten. Auch da ist viel zu wenig bekannt.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Herr Hendriks, bitte.

Heiko Hendriks (CDU): Ich schließe an das an, was Herr Bialas gefragt hat und was Sie, Frau Röpke, aus Sicht einer Journalistin beantwortet haben. Bei dieser Frage-stellung beziehe ich mich aber vor allen Dingen auf Folgendes: Warum ist man nicht früher darauf gekommen, dass das mit der rechtsterroristischen Szene zusammen-hängt? Diese Frage treibt uns um. Sie haben gerade aus Sicht einer Journalistin eine Antwort darauf gegeben, die ich einmal so stehen lasse.

Herr Bezler, Sie haben zu Recht gesagt – ich habe in den letzten Wochen eigentlich schon darauf gewartet, dass hier das Stichwort Turner-Tagebücher kommt –, dass das Strategiekonzept der Kleinkriege bekannt ist, wenn man sich mit der Szene be-schäftigt. Strategische Taten sollen folgen. All das, was Sie gesagt und Sie ergänzt haben, sehe ich genauso.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Aber bei den Turner-Tagebüchern haben wir natürlich eine andere Dimension. Sie haben einige Beispiele genannt. Wenn man sich die Tagebücher durchliest, stellen sie beinahe eine Art – in Anführungszeichen – Regiebuch dar. Es sind so viele Paral-lelen erkennbar bis hin zu dem abschließenden Polizistenmord, dass man sich natür-lich diese Frage stellen muss. Aus Sicht einer Journalistin ist das gerade gemacht worden; das will ich einfach mal so stehen lassen.

Wenn auch der ein oder andere Journalist etwas naiv war und Verbindungen nicht hergestellt hat – das alles möchte ich in Anführungszeichen wissen; ich meine das nicht böse –, so hätten doch die Ermittlungsbehörden nach den ersten Taten und der Kenntnis der Turner-Tagebücher und des Konzepts des Kleinkriegs erkennen müs-sen, dass es einen anderen Zusammenhang gibt. Wie erklären Sie sich, Herr Bezler, dass die Ermittlungsbehörden bei all den Möglichkeiten, die sie haben, nicht zu ei-nem bestimmten Zeitpunkt darauf hätten kommen müssen? Das ist die Frage, die uns beschäftigt.

Meine zweite Frage ist ein bisschen simpler, Frau Röpke, aber das interessiert mich einfach. Ich habe keine Kenntnis darüber, dass Herr Schönborn direkte Kontakte zum Kerntrio hatte. Haben Sie andere Erkenntnisse?

Tobias Bezler: Ich kann Ihnen aus journalistischer Sicht das Versagen der Sicher-heitsbehörden an diesem Punkt natürlich nicht erklären. Dazu müssen sie deren Ver-treterinnen und Vertreter fragen. Die Turner-Tagebücher bzw. „The Hunter“ waren mit Sicherheit bekannt, denn sie waren in der deutschen Neonaziszene einfach wei-test verbreitet. Zudem sind sie im Internet frei verfügbar; sie finden sich auf vielen Neonaziseiten zum freien Download im Angebot.

Ich kann mir schon vorstellen, wie die Entschuldigung lauten könnte - das ist die ständige Behauptung, die ich seit Jahren zu rechtsterroristischen Konzepten höre -: Das lesen Neonazis doch gar nicht. – Man macht das immer an dem Punkt fest, die deutsche rechte Szene sei zu blöd, einen terroristischen Untergrund auszubilden. Sie sei zu zersplittert, zu uneins. Sie sei abgeschottet von der Gesellschaft und hätte keine Unterstützung.

Das sind die eindeutigen Falschaussagen, die dann immer kommen. Sie wurden bei rechtsterroristischen Konzepten dadurch erweitert, dass man sagte: Das lesen Neo-nazis gar nicht. – Manchmal wurde das um die diskutierbare These ergänzt: Naja, vielleicht lesen Neonazis das als Roman, aber nicht als Praxisanleitung.

Das war ein bitterer Fehler, wie wir jetzt sehen, weil die vorhandenen Waffen natür-lich eingesetzt werden und solche Texte natürlich auch als Praxisanleitung dienen. Aber selbst, wenn nicht: Wie viele Neonazis wurden in ihrem gewalttätigen Tun moti-viert durch solche Texte? Wie viele Neonazis wurden zu militanten Aktionen zumin-dest inspiriert – vielleicht nicht mit Blick auf die großen Bombenanschläge und Atten-tate der Turner-Tagebücher? Diese Frage stellt sich zusätzlich. Klar werden bei den Turner-Tagebüchern am Ende Atombombenanschläge aufgeführt; das natürlich nicht. Aber sie spiegeln den Stand einer Szene wider, in der Romane – wenn auch ein literarisch wirklich unterirdischer Roman – dazu benutzt werden, das Morden, den

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Abbau der Skrupel, die Abscheu vor Morden abbauen. Wenn so etwas gelesen wird, wenn so etwas der Kassenschlager der Naziszene ist, sagt das viel über die neona-zistische Szene damals aus. Das muss den Behörden bekannt gewesen sein.

Andrea Röpke: Wir haben auch das Problem, dass wir teilweise erst jetzt erfahren - ich komme aus Niedersachsen -, dass zum Beispiel in Bremen 2007 kistenweise Turner-Tagebücher beschlagnahmt worden sind. Ich wünsche mir, dass Anfragen im Bundestag gestartet werden, wo überhaupt überall in den Asservatenkammern der Polizei diese Bücher gehortet werden. Es geht nicht nur darum, was in Bezug auf Waffen ist, sondern darüber hinaus, was sonst noch da war. Für uns ist es natürlich immer schwer, das mitzubekommen.

Bei Herrn Schönborn gibt es immer das Problem, dass er einerseits schon seit Ewig-keiten aktiv ist, er aber andererseits immer sehr im Verborgenen agiert. Wenn am kommenden Wochenende wieder sein Lesertreffen stattfindet, findet das vermutlich im Hufhaus in Ilfeld statt. Ich habe zwei bis drei Mal versucht, dort zu dokumentieren und dorthin zu fahren.

Sie glauben gar nicht, wie abgelegen die Treffpunkte teilweise sind. Es handelt sich um eine fünf Kilometer lange Anfahrt in den Wald. Dieses Zentrum ist tatsächlich völ-lig abgeschlossen. Sie stellen dort ihre eigenen Wachen auf. Wenn man die Polizei fragt, ob sie einen vielleicht zum eigenen Schutz begleitet, weil dort auch Kinder be-troffen sind und dort auch Militantes abgehen kann in diesem tiefen Thüringer Wald, ist die Polizei dazu meistens nicht bereit oder fährt einmal kurz hinein und wieder heraus, sodass man gar nichts sehen kann.

Wir wissen also eigentlich nur das Wenigste von Schönborns Treffen. Wir haben sehr wenige Erkenntnisse. Wir können natürlich immer wieder verfolgen, was er selbst publiziert. Wir können verfolgen, was uns zugespielt wird und was Aussteiger berichten. Aber das ist natürlich immer nur ein Teil dessen, was tatsächlich ge-schieht. Wir wissen nicht, was es an Verborgenem in Deutschland gibt. Gerade geht es wieder richtig los mit Lagern. Es ist wirklich dramatisch, was wir nicht mitbekom-men.

Wir haben aber tatsächlich ein Indiz dadurch, dass Meinolf Schönborn so eng mit Maik Eminger zusammenarbeitet. Maik Eminger wird von vielen Insidern als der Kopf der Zwillingsbrüder angesehen, wobei beide sehr aktiv sind. André muss sich im NSU-Verfahren vor Gericht verantworten. Viele fragen sich: Warum steht nicht Maik Eminger vor Gericht? Tatsächlich hat die gesamte Familie von Maik Eminger einen rechten Hintergrund. Seine Ehefrau hat einen Schrein mit den Bildern der verstorbe-nen Mundlos und Böhnhardt im Wohnzimmer vor den Kindern aufgebaut. Es gibt al-so ganz enge Familienbande.

Wenn Maik Eminger bei Lagern der Artgemeinschaft – das ist eine elitäre Gemein-schaft – mit Schönborn und Gallasch verkehrt, gehe ich davon aus, dass man sich auch weiterhin kennt, wenn man sich so kennt. Das ist natürlich nicht beweisbar, aber in dieser Szene, in der man so lange verkehrt und gleiche Strukturen aufbaut, die Kleinststrukturen sind, muss man sich kennen. Die Emingers hatten bis zum

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Schluss Kontakt zu den dreien. Ich weiß nicht, inwiefern man nicht tatsächlich davon ausgehen könnte – allein schon über die Bekanntschaft von Corelli alias Thomas Richter –, dass es durchaus auch Bekanntschaften gegeben haben könnte. Davon gehen wir jedenfalls aus. Es ist aber bisher eben nicht nachweisbar. Wir werden uns aber große Mühe geben, weiter zu recherchieren.

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank für die beiden Inputs. Ich möchte gerne noch einmal an dem Punkt Waffen nachhaken. Das hatten Sie gerade schon ausge-führt, Frau Röpke. Sie sagten auch, dass wir vieles eigentlich nicht wissen. Wir ha-ben gerade schon viel darüber gehört, welche Bedeutung Gewalt, aber auch Waffen für die Szene haben. Das ist an den verschiedenen Covern usw. deutlich geworden. In welcher Weise ist die Szene bewaffnet, auch was Sprengstoff angeht? Woher kommen die Waffen? Wie funktioniert die Beschaffung der Waffen? Hat das auch etwas mit den 90er-Jahren und dem Jugoslawienkrieg zu tun? Woher kriegen die ei-gentlich den Sprengstoff?

Andrea Röpke: Als Beispiel muss man vielleicht eine Organisation nennen, die durchaus auch in Nordrhein-Westfalen aktiv ist, nämlich die sehr elitäre rassistische Hammerskins-Bewegung. Sie nennen sich Officers und laufen mittlerweile wie Ro-cker rum. Ähnlich wie die Neonazikameradschaften haben sie Kutten an. Man ver-bindet sie nicht unbedingt mit Schnellfeuergewehren und Sprengstoff. Man denkt e-her an eine Gruppierung, die vielleicht Musikfeste organisiert. Wir haben also diesel-be Tarnung wie bei Blood & Honour. Tatsächlich ist es aber so, dass sie durch und durch eine Affinität zur Militanz haben. Wehrsportübungen gehören dazu, vor allem im europäischen Ausland. 2012 ist einer der führenden amerikanischen Ham-merskins Amok gelaufen und hat aus rassistischen Gründen sechs Sikks hingerichtet und hat vorher ganz solidarisch noch sein Patch seiner Bruderschaft abgegeben. Die Deutschen haben sich sofort dazu verhalten. Es ist eben eine internationale rassisti-sche Bruderschaft.

Diese Bereitschaft ist immer noch durchgehend erkennbar. Sie zieht sich durch viele Gruppierungen. Das gilt auch für die völkischen Gruppierungen. Ich bin sehr viel in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs. Wir bekommen tatsächlich immer wieder Hin-weise: Die nutzen die alten Truppenübungsplätze. Kommt her, hier sind wieder Kin-der in Uniform, die unterwegs sind. Hier gibt es wieder ein Osterlager. Montagmor-gens in der Runde erzählen die Kinder im Unterricht nichts; sie schweigen. Aber sie sind irgendwie mit Waffen bekannt gemacht worden. Wir bekommen immer wieder Hinweise. Wir haben immer wieder Ansätze. Wir bekommen ab und an Fotos zuge-spielt, auf denen zu sehen ist, dass sie Überlebenstraining im Gelände anbieten.

Es gibt Tarnfirmen wie zum Beispiel den norddeutschen Baumdienst. Das sind Neo-nazis, die Forstwirtschaft studiert haben. Sie bieten nebenher Überleben im Gelände an, das heißt survival camps. Es gibt Nahkampftechniken, die Kindern und Jugendli-chen beigebracht werden. Solche Techniken und Ausbildungen gehören zum Stan-dardrepertoire. Es gibt auch eigene Sportvereine.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Solche Sachen bemerken wir massiv, aber zur Bewaffnung wissen wir eigentlich viel zu wenig; das kann ich nur immer wieder betonen. Wir erfahren das eigentlich nur von der Polizei, wenn wieder irgendwo Waffen ausgehoben worden sind. Aber meist folgt sofort die Aussage der Pressestelle, dass kein politischer Zusammenhang be-steht. Dann ist es immer schwierig nachzubohren.

Fabian Virchow hätte heute vielleicht ausführlicher dargestellt, dass die Bewaffnung traditionell über Neonazistrukturen kommt, die Waffen horten. Das sind die Stay-Behind-Gladio-Strukturen nach 1949, die sich über die Armee tatsächlich mit Waffen versorgt haben. Es handelt sich um ein Phänomen, aus dem tatsächlich heute immer noch geschöpft zu werden scheint. Das macht die neuen Ermittlungen zum Oktober-fest interessant. Tatsächlich scheint es noch Erddepots zu geben. Eine ganze Menge dieser Erddepots sind von Waffenhändlern wie Herrn Lembke und Herrn Naumann und anderen gefunden und gegenüber der Polizei enthüllt worden. Aber gerade im Zusammenhang mit der Oktoberfest-Bombe taucht immer wieder der Verdacht auf, ob nicht noch mehr Sprengstoff und noch mehr Waffen aus diesen geheimen Depots kommen, die auch zur Strategie gehören.

Andererseits kommen Waffen natürlich auch ganz klar über den Osten. Die Neona-ziszene verfügt über beste Kontakte nach Russland und in die Ukraine. Der Ukraine-konflikt ist für die Naziszene ganz spannend. Darüber hinaus gibt es auch das Rock-ermilieu. Es gibt also sehr weitreichende Verbindungen.

Tobias Bezler: Es gibt viele offene Fragen, denn beispielsweise wurde der Spreng-stoff, der sich 1981 in den vielen Erddepots von Förster Heinz Lembke fand, nie kri-minaltechnisch mit dem Sprengstoff der am Oktoberfest gezündeten Bombe vergli-chen. Das erinnert fatal an Jena 1998. Rohrbomben des NSU sind in den Asserva-tenkammern längst zerstört. Ihr Sprengstoff wurde meines Wissens nicht kriminal-technisch mit dem Sprengstoff der Bombe verglichen, die in der Kölner Keupstraße zur Explosion gebracht worden ist.

Ich hätte auch die Verbindungen zur organisierten Kriminalität erwähnt. Gerade ein Konzept der netzwerkartigen zellenförmigen Organisierung erleichtert das Anknüpfen an kriminelle Strukturen, auch an lokale kriminelle Strukturen.

In den 90er-Jahren kommen zwei ganz spezifische Praxen hinzu jenseits der terroris-tischen Konzepte, auf die ich mich aus Zeitgründen beschränkt hatte. Es gibt natür-lich die Praxis, bei den abziehenden sowjetischen Soldaten Waffen und Sprengstoff zu erwerben. Das ist eine ganz andere Ausgangsvoraussetzung für militante Neona-zis der damaligen Zeit. Zudem gibt es die Möglichkeit, über die Kontakte oder das Selbermitwirken als Söldner in den Kriegen des ehemaligen Jugoslawiens dort Waf-fen zu beschaffen.

Gerade der Fall NSU zeigt aber, dass einige Waffen schlichtweg auch legal verkauft werden, beispielsweise über das in den 90er-Jahren in der Schweiz katastrophal ge-regelte Waffenrecht. Denn dort wurde die Ceska-Mordwaffe des NSU waffenrechtlich regulär erworben und nur unzulässig nach Deutschland weitergegeben.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Den Sprengstoff für die NSU-Mitglieder gab es über Thomas Starke, den V-Mann des Berliner LKA. Ich habe keine Ahnung, woher er ihn hatte. Die Ermittler bringen auch immer noch Jörg Winter und Giso Tschirner ins Spiel, die das im Prozess aller-dings abgestritten haben.

Ich kann noch eine aktuelle Sache berichten. In Kelheim in der Oberpfalz wurde von der Polizei ein riesiges Waffenlager entdeckt. Selbstverständlich wird der rechte Hin-tergrund abgestritten. Der Durchsuchte ist allerdings Bezieher der Nationalzeitung und ein rechter Aktivist. Gestern ist Anklage vor dem Amtsgericht Regensburg erho-ben worden für Hunderte von Waffen. Darunter sind nagelneue Kriegswaffen, die nur auf einem Schwarzmarkt, also aus einem Firmen- oder Behördenmarkt, stammen können, weil diese Waffen zu neu sind, als dass sie schon in irgendeinem Krieg hät-ten Verwendung finden können. Ich habe keine Ahnung, wie stark der öffentliche Druck in Bezug auf die Aufklärung solcher Aktivitäten ist.

Es gibt auch immer wieder die Auffindung von Bundeswehrwaffen, so etwa bei der Wehrsportgruppe Süd im Jahr 2007/2008. Sie ist öffentlich kaum bekannt geworden. Mit 44 Mitgliedern war sie eine der größten Wehrsportorganisationen in Deutschland. Sie hatte zur Unterbringung der mehreren Tonnen an Waffen und Munition in Augs-burg auf dem Lerchenfeld sogar das ehemalige originale Bundeswehrmunitionsdepot angemietet, damit die Waffen weiterhin korrekt verstaut werden. Ich kann aus journa-listischer Sicht keine Ermittlungen anstellen, woher sie die Waffen bekommen haben.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Herr Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Auch von unserer Seite ganz herzlichen Dank für die wirklich beeindruckenden Vorträge. Das waren sehr viele neue Informationen. Ich habe zwei konkrete Nachfragen. Schon mehrfach ist die Frage nach der Militanz und der Besorgung von Waffen etc. durch den Balkankonflikt angesprochen worden. Können Sie ungefähr quantifizieren, wie viele in Kroatien unterwegs gewesen sind und wie viele wieder zurückgekommen sind?

Meine zweite Frage ist sehr konkret für unseren Untersuchungsauftrag. Frau Röpke, eine Passage ging mir zu schnell; das habe ich nicht ganz genau verstanden. Sie hatten angesprochen, dass die Band Oidoxie zwei Monate vor den Morden in Dort-mund und Kassel eine Strategieveränderung im Sinne des Abschwörens von Aktio-nen oder von Gewalt geäußert hätte. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das noch einmal genauer erläutern könnten.

Tobias Bezler: Die erste Frage muss sich aus dem Kopf beantworten. Es gibt unter-schiedliche Zahlen. Mit Sicherheit waren mehr als 100 deutsche Neonazis als Söld-ner unterwegs, wenn man Kroatien und Bosnien zusammennimmt. Es gibt aber auch Auseinandersetzungen der Ermittlungsbehörden, denn die für Mordermittlungen auf dem Balkan zuständigen Kollegen aus Oberbayern waren zeitweise der Meinung, dass es mindestens 250 deutsche Neonazis gewesen sein müssen.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Andrea Röpke: Ich glaube, die Zahlen liegen höher; das müssten wir noch einmal nachschauen. Es gab eine aktuelle Zahl, die ich jetzt aber nicht im Kopf habe. Das können wir gerne nachreichen. Wenn es Sie interessiert, suchen wir das noch einmal heraus und reichen es an den Vorsitzenden nach. Natürlich sind sie nicht in den harmlosen Gruppierungen untergetaucht, sondern speziell in den Kleinstkreisen, die empfänglich waren für das Heldentum als Söldner. Dadurch tauchten natürlich meh-rere zugleich in diesen Strukturen auf. Das reichen wir Ihnen auf jeden Fall nach.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Gibt es auch aktuelle Zahlen zur Ukraine?)

– Okay. Ich schreibe mir das kurz auf. Da müssen wir noch einmal schauen. Dazu finden wir bestimmt etwas.

Ich kann Ihnen das auch gar nicht genauer sagen. Ich weiß es von Musikexperten. Im April waren die beiden Morde in Dortmund und Köln. Oidoxie ist die Band nach außen. Dann gab es noch die Combat-18-Gruppe, die sich gar nicht so explizit na-mentlich benannt, sondern sich immer nur auf Combat 18 bezogen hat. Sie hat sich das internationale militante Netzwerk als Vorbild genommen. Dann gab es die Oido-xie-Street-Fighting-Crew.

Anfang des Jahres 2006 gab es tatsächlich das Bekenntnis, sich nicht mehr an die-ser Kleinzellenstruktur und sich nicht mehr an diesem bewaffneten Kampf zu orien-tieren. Es gab also eine Abkehr davon. Wir haben damals gedacht – das weiß ich noch –, das hätte mit internen Streitigkeiten zu tun. Wir haben das natürlich nicht in Zusammenhang mit Dortmund und Köln gebracht. Wir haben einfach nur wahrge-nommen: Die haben sich zerstritten. In dieser Kleinzelle gibt es Führungsstreitigkei-ten untereinander. Schmiemann hat kurze Zeit später einen Prozess bekommen we-gen des bewaffneten Raubüberfalls. Diese Zelle ist also richtig zerfallen in der Öf-fentlichkeit. Wir haben das so wahrgenommen, dass es interne Zwistigkeiten gab. Von heute aus gesehen macht das Ganze natürlich einen etwas anderen Eindruck.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Frau Rydlewski.

Birgit Rydlewski (PIRATEN): Vielen Dank auch von mir für die Ausführungen. In-wieweit sind danach noch Aktivitäten von Oidoxie bekannt? Was machen die bis heute?

Andrea Röpke: Ich hatte ein paar Beispiele genannt. Sie sind natürlich nach wie vor aktiv. Marko Gottschalk war gerade in Dortmund bei einem Neonaziaufmarsch. Er war als Sänger angekündigt. Die machen weiter. Marco Eckert, der Bassist, huldigt nach wie vor seinen internationalen und vor allen Dingen bundesweiten Kontakten nach Chemnitz. Sie haben weitere Musikprojekte. Sie sind noch 2012 beim Rock für Deutschland aufgetreten in Gera, solidarisieren sich mit Ralf Wohlleben, einem der NSU-Angeklagten. Sie spielen also nach wie vor weiter.

Es soll – das müssen wir noch genauer beobachten; das machen Kollegen, die sich im Musikbereich noch viel besser auskennen – wieder anfangen, dass der Combat-18-Bezug wieder hergestellt wird. Sie haben die Legalisierungsgeschichte wieder ein

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er bisschen verlassen. Die Szene ist ohnehin momentan noch heterogener als sonst, noch unübersichtlicher, denn sie zeigt diese Militanz viel offener durch die Parteien Die Rechte und Der Dritte Weg. Auch durch die zahlreichen kameradschaftlichen Bruderschaften ist es vielleicht auch zu erklären, warum die militanten Musikbands wieder derartig offen mit ihrer Radikalität und ihrer Militanz umgehen.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Jetzt hat sich Herr von Grünberg gemeldet. Bitte.

Bernhard von Grünberg (SPD): Vielen Dank für Ihre Erkenntnisse. Frau Röpke, ich habe eines Ihrer Bücher gelesen. Sie haben bereits vor 2011 zu den Tatausfüh-rungszeitpunkten geschrieben, nämlich das, was Sie jetzt beschrieben haben. Selbst wenn Sie sagen, Sie hätten selbst nicht so viel mitgekriegt, fand ich das, was Sie da geschrieben haben, schon wichtig, weil Sie gerade die Frage nach den Einzeltätern, den kleinen Gruppen, der Zusammenarbeit in diesen verschiedenen Musikgruppen und zur internationalen Zusammenarbeit sehr deutlich beschrieben haben. Die er-staunliche Frage lautet: Warum hat der Verfassungsschutz, der ja mit seinen V-Leuten überall dabei war in diesem kleinen engen Kreis, ebenso wie die Polizei die ganze Zeit gesagt: Das kann gar nicht sein, dass das die Täterstrukturen sein kön-nen?

Natürlich stellt sich die große Frage: Wenn Sie in diesem relativ kleinen Kreis mitbe-teiligt waren und unabhängig von den Turner-Tagebüchern über die Texte der Lie-der, die immer wieder gespielt worden sind und durch die diese Radikalisierung re-duziert dargestellt worden ist, Bescheid wussten, mussten sie intensiv Bescheid wis-sen. Wie kommt es nach Ihrer Auffassung eigentlich, dass ein solches Fehlurteil ge-fällt worden ist?

Gerade unter dem Aspekt der nach wie vor bestehenden Bedrohung möchte ich ger-ne wissen: Ist es eigentlich sinnvoll, eine Einrichtung wie den Verfassungsschutz mit seinen V-Leuten abzuschaffen nach Ihrer Auffassung? Reicht es aus, das Ganze mehr wissenschaftlich anzugehen, weil man das auch wissenschaftlich erarbeiten kann? Oder braucht man wirklich V-Leute, die teilweise andere Erkenntnisse haben?

Ich möchte noch zu den Waffen kommen. Heutzutage gibt es überall auf der Welt Waffenhändler, bei denen man Waffen kaufen kann. Das ist nichts Neues. Inwieweit war auch an diesem Punkt der Verfassungsschutz beteiligt? Was hat er von diesen umfangreichen Waffenkäufen gewusst? Wo hat er möglicherweise selbst Waffen verkauft oder vermittelt? Es gibt ja mehrere Geschichten, in denen er selbst Waffen vermittelt hat. Dazu möchte ich gerne Ihre Meinung hören.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Ich habe nur bei der Art der Frage deshalb massive Bedenken – Sie dürfen sie gleich gerne beantworten –, weil Tatsachenbe-hauptungen im Raume stehen, die so unzulässig sind. Nehmen Sie das als Vermu-tung von Herrn von Grünberg, der dazu Ihre Meinung erbittet. Die Formulierung war eine Tatsachenbehauptung. Das will ich nicht so stehen lassen. Sie sind bitte so nett,

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er das als Vermutung bzw. als Frage zu nehmen. Dann können Sie gerne darauf ant-worten.

Tobias Bezler: Wie gesagt: Die Frage, wie das alles sein kann, müssen Sie die Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörden fragen. Aber diese fal-sche Einschätzung bzw. den Unterschied zur Einschätzung gegenüber den Erkennt-nissen von Fachjournalistinnen und Fachjournalisten wie Andrea Röpke, der sehr ek-latant ist, hat selbst dann nicht aufgehört, als innerhalb der Behörden andere Einsich-ten kamen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Nach dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße hat New Scotland Yard ungefragt – ich betone: ohne Aufforde-rung, also ohne dass das vorher international gesteuert worden wäre – ein 70-seitiges Dossier an die Kölner Ermittler gegeben mit dem grob zusammengefassten Inhalt: Bei uns war es David Copeland, ein Neonazi, im gleichen Fall. – Die einzige Reaktion, die von den Ermittlern dokumentiert ist, ist nachzufragen, ob David Cope-land noch im Gefängnis sitzt. Als das bejaht wurde, wurde die Spurenakte geschlos-sen, denn David Copeland konnte nicht der Täter in der Kölner Keupstraße sein. Dort sieht man also eine bewusste Verschleierung bzw. ein bewusstes Nichtwahrneh-menwollen, wie die Bedrohung durch den Rechtsterrorismus aussieht. Offensichtlich haben sich Erkenntnisse, die von V-Leuten gewonnen werden, weder als zutreffend erwiesen, noch hat man die vielleicht doch zutreffenden Erkenntnisse wahrgenom-men oder man hat sie bewusst unterdrückt.

In Bezug auf die Waffen gäbe es auch genügend Tatsachenbehauptungen. In eini-gen Fällen haben sich diejenigen, die für die Radikalisierung und Bewaffnung der Szene gesorgt haben, als staatlich bezahlte Informantinnen und Informanten heraus-gestellt. Es gibt auch Verfassungsschutzbehörden, die schon ein Attentat begangen haben. Ich erinnere an das sogenannte Celler Loch in der JVA Celle, in dessen Nachwirkungen es auch einen Toten gegeben hat. Insofern möchte ich die journalis-tische Sicht etwas verlassen und sagen: Natürlich braucht es V-Leute ganz sicher nicht. Es hat sich in Inlandsgeheimdiensten als Gefahr für die Demokratie nicht als Schutz für die Verfassungsgrundwerte entpuppt.

Andrea Röpke: Ich möchte noch kurz ergänzen. Sie werden es vermutlich im Unter-suchungsausschuss noch behandeln: Sebastian Seemann ist das beste Beispiel da-für – ein absoluter Waffenfreak genauso wie Carsten Schipanski –, dass es sich da-bei um genau die Ansprechpartner für die Szene handelt, wenn es um die Frage ging: Wie komme ich an Waffen? Wie wir heute wissen, handelte es sich bei ihnen um die hoch bezahlten Verfassungsschutzmitarbeiter oder Spitzel. Aus moralischen oder ethischen Aspekten – allein schon, was diese Enthüllung angeht – wundert es mich immer wieder. Nach 2012 haben wir wirklich Tausende von Akten und Recher-cheergebnissen gelesen. Aber ich bin wirklich schockiert, mit was für kriminellen, fa-natischen, menschenverachtenden, rassistisch aktiven Neonazis man zusammenge-arbeitet hat. Aber das waren auch hochkriminelle gewaltbereite Straftäter, mit denen sich die Verfassungsschutzbehörden abgegeben haben. Vor 2011 haben wir immer als Warnung ausgegeben, dass die Behörden alle Spitzel beschäftigt haben, zum Teil selbst sogar die Polizeibehörden. Eine Behörde wusste von der anderen schon

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er nicht mehr, wer tatsächlich als Spitzel oder als V-Mann der Behörde bezahlt wurde und aktiv war. Genau vor diesem Effekt, dem Brandstiftereffekt, hat das LKA ge-warnt.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor 2011 habe ich ein einziges Mal die Chance gehabt, mit einem V-Mann zu sprechen. Er hat mir sehr glaubwürdig erzählt – er hat uns das alles gut belegt –, dass er aufhören wollte. Er war ein älterer Mann. Er konnte nicht mehr, weil er auch nicht mehr daran geglaubt hat. Er ist von seinem V-Mann-Führer in Thüringen immer wieder dazu gebracht worden weiterzumachen, in die nächste Gruppe zu gehen, die nächsten Sachen heranzuschleppen immer mit dem Verspre-chen, dann eine neue Identität zu bekommen und in ein neues Leben starten zu können. Das war für mich schon damals ernüchternd. Ich war schockiert: Zum einen das Wissen, dass die eine Behörde von der anderen nicht weiß, wen man da eigent-lich beschäftigt, auf der anderen Seite diese Skrupellosigkeit, seit 2011 auch so ge-fährliche Menschen zu beschäftigen.

Wir können nur immer wieder betonen: Das sind Neonazis. Es sind bezahlte Neona-zis. Ein Großteil der V-Leute steckt das Geld wieder in die Militanz hinein. Das heißt, mit Geld des Staates werden die Gewaltbereitschaft, die Militanz, der Terror finan-ziert. Daher bin ich natürlich auch absolut gegen diese Praxis.

Ein letzter Punkt ist mir noch sehr wichtig: Es muss darüber aufgeklärt werden, dass der rechte Terror ein ganz anderes Gesicht hat als der linke. Rechter Terror ist im-mer ein stiller Terror. Die Opfer haben meist keine Lobby; es sind die Schwächeren der Gesellschaft. Mit Ausnahme von Politikern und Polizisten sind es wirklich diejeni-gen, die sich nicht das Gehör verschaffen können und bei denen als erstes im Op-ferumfeld recherchiert wird. Das macht sich rechter Terror immer wieder zu Nutze. Wir brauchen also eine wesentlich bessere Analyse und Aufklärung. Ich würde mir natürlich auch erhoffen, dass das bei der Polizei und den Aufklärungsbehörden ins-gesamt endlich mal stattfinden würde. – Das konnte ich mir nicht verkneifen.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Auch bei Ihnen beiden nehme ich das als Meinung auf ins Protokoll.

(Andrea Röpke: Das war eine Meinung! Ganz klar!)

Denn wenn Sie sagen würden, das sei eine Sachverständigenauskunft, habe ich massiv Arbeit. Dann müsste ich vieles über die Zulässigkeit regeln. Nehmen wir das als Meinung.

(Andrea Röpke: Das haben wir ja auch betont!)

Herr Hendriks.

Heiko Hendriks (CDU): Ist Ihnen bekannt, ob es Belege dafür gibt, dass das Kern-trio bei Blood-&-Honour-Produkte bestellt hat – wenn ja: wann und welche? Dort gibt es ja Listen von Kunden. Das ist der Hintergrund. Gibt es Belege dafür, dass einer der drei als Kunde geführt war und irgendetwas bestellt hat, bezogen hat oder Mate-rial geliefert bekommen hat? Kennen Sie diese Belege?

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Tobias Bezler: Die habe ich noch nie durchgearbeitet. In der Tat haben die drei sich Dinge sowohl für den täglichen Bedarf als auch für das Begehen militanter Aktionen wie Nachtsichtgeräte etc. bestellt, aber nicht unter ihrem eigenen Namen, sondern unter den überlassenen Identitäten anderer Neonazis. Deswegen ist es schwierig, wenn wir nicht wissen, welche Neonazis alle ihre Identität zur Verfügung gestellt ha-ben. Die Listen kenne ich wohl auch, die aufgeflogen sind.

(Heiko Hendriks [CDU]: Das ist belegbar?)

Andrea Röpke: Das ist belegbar. Das waren Bestellungen im Frankonia-Verlag.

Tobias Bezler: Es gibt eine Bestellung bei Frankonia Waffen. Deren Produkte für das Trio liefen auf eine damals benutzte Chemnitzer Adresse.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Seien Sie jetzt bitte sehr bedacht, was Sie sagen. Denn wenn Sie dazu Wissen haben, nehme ich Sie doch als Zeugen unter Kuratel, denn dann kommen Sie für uns infrage.

Andrea Röpke: Nein, das ist nachgelesenes Wissen. Es ist veröffentlicht worden.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Da muss ich ein bisschen aufpassen. Wir nehmen ja ein Wortprotokoll auf. Wenn Sie sagen, dass Sie Wissen haben, sind Sie automatisch verhaftet im Sinne einer Zeugin oder eines Zeugen. Wenn Sie sagen, dass das nur irgendwo steht …

Andrea Röpke: Das stand im „SPIEGEL“.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Gut. Dann deklarieren Sie das bitte auch so.

Tobias Bezler: Die Fankonia-Geschichte ist mehrere Prozesstage lang im NSU-Prozess in öffentlicher Sitzung verhandelt worden.

Andrea Röpke: Ich kann noch ergänzen. Das müssten wir noch einmal nachschau-en; das kann ich Ihnen auch ganz genau sagen. Es ist auch bekannt geworden, dass – ich glaube – 1998 bei der Hausdurchsuchung, aufgrund derer die drei geflo-hen sind, Hefte von Blood & Honour und von White Youth, der Jugendorganisation von Blood & Honour, gefunden worden sind. Sie gehörten also zum Abonnenten-kreis. Man könnte noch einmal genau schauen, welche Ausgaben das waren.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Frau Düker.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Monika Düker (GRÜNE): Erst einmal auch von meiner Seite herzlichen Dank. Frau Röpke, Sie hatten die CD erwähnt, die 2010 erschienen ist. Dankenswerterweise ha-ben Sie den Text dokumentiert, der unglaublich konkret auf neun Morde verweist. Die CD ist 2010 erschienen. Wie war die Reaktion darauf? Wie hat die Szene darauf reagiert? Ist Ihnen bekannt, ob es Reaktionen bei den Sicherheitsbehörden gab?

Ich ahne die Antwort schon, aber ich würde Sie gerne fragen: Gibt es irgendetwas Dokumentiertes, was möglicherweise schon in den anderen Untersuchungsaus-schüssen dokumentiert worden ist, was wir noch nicht kennen? Hat jemand gesagt: Solche Publikationen werden ja wohl dem Verfassungsschutz bekannt gewesen sein? Das wird ja wahrscheinlich eine Auflage gewesen sein. Kannte das auch der Verfassungsschutz? Wurde danach irgendetwas vonseiten der Sicherheitsbehörden gemacht, was schon dokumentiert worden ist?

Andrea Röpke: Es gibt 100 Neonazibands, die jedes Jahr CDs veröffentlichen. Auch für uns ist daher nicht sofort ersichtlich, wenn eine Band etwas Neues auf den Markt gebracht hat, ausgenommen vielleicht für diejenigen Journalisten, die auf diese Rechtsrockgeschichten spezialisiert sind. Die CD ist 2010 bei PC-Records veröffent-licht worden. Sie ist in Umlauf gebracht worden. Jetzt kommt das große Aber: Man hätte eigentlich hellhörig werden müssen, weil Gigi und die braunen Stadtmusikanten eine Tarnband ist, die immer äußerst provokativ ist. Ich glaube, es gibt keine CD von ihnen, die nicht als jugendgefährdend eingestuft worden ist. Alles, was diese Band herausbringt, hätte eigentlich von den Sicherheitsbehörden allein schon wegen des Jugendschutzes sofort ins Auge genommen werden müssen.

Die Reaktion der Szene kann ich in der Zeit vor 2011 ehrlich gesagt auch nicht beur-teilen. Dazu müsste man explizit bei Musikexperten nachfragen. Ich glaube, das ist nicht so wahrgenommen worden. Das ist tatsächlich intern gelaufen. Auch die Neo-naziszene arbeitet sehr stark mit Verschlüsselungen, mit internen Foren und Chats. Der Austausch kann durchaus intern gelaufen sein, ohne dass er bekannt geworden ist. Im Nachhinein ist es aber so, dass sich Daniel Giese auch wegen Volksverhet-zung vor Gericht verantworten musste – aber nicht wegen des Dönerkillersongs, sondern wegen anderer Lieder auf der CD, die jetzt indiziert ist. Ich habe das Ge-richtsverfahren verfolgt. Man merkte schon, dass das Lied mittlerweile einen sehr hohen Stellenwert in der Szene hat.

(Monika Düker [GRÜNE]: Wenn man sich so konkret auf neun Morde bezieht? Hat sich keiner gefragt: Was meinen die mit diesen neun Morden? Das ist doch ganz banal!)

– Ich habe auch schon einmal versucht, das zu recherchieren, weil mich das natür-lich auch beschäftigt. Wir stellen uns immer wieder die Frage: Was wusste die Band? Was wussten die Macher? Was wusste das Label, das nun wirklich direkt im Umfeld dieser Verstecke angesiedelt ist? Der Gründer ist ein Freund von Mundlos gewesen. Kurz vorher hatte es eine Geschichte im „Stern“ gegeben über die Mordserie. Wenn ich mich nicht täusche, hat es auch eine Geschichte in der „Bild-Zeitung“ gegeben. Das heißt, diese Mordserie ist durchaus durch die Medien gegangen. Es gab auch ein Bericht in „Aktenzeichen XY“. Mir ist das ehrlich gesagt alles ein bisschen ent-

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er gangen. Das ist ein Vorwurf, den ich mir heute mache. Der Vorgang ist aber in der Öffentlichkeit präsent gewesen. Ich glaube, deshalb hat man es auch aufgegriffen. Das war ein Grund dafür.

Tobias Bezler: Es gibt ein Verfahren bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährden-de Schriften, das zur Indizierung dieser CD geführt hat. Vielleicht können Sie sich die Akten besorgen. Denn es wird kolportiert, dass ausgerechnet dieses Stück dabei überhaupt keine Rolle gespielt hat, sondern eher der Name der CD oder andere ge-waltförmige Aufrufe. Diese CD haben aber spätestens im Verfahren bei der Indizie-rung wahrscheinlich jede Menge zuständige Beamtinnen und Beamte angehört. Das wäre mal ganz interessant.

Egal ob hier Täterwissen besungen worden ist oder nicht – das mag ich nicht beant-worten –, finde ich eine andere Frage viel wichtiger: Es sagt über die Neonaziszene einiges aus, egal ob man sich über den vermeintlichen Witz dieses Textes freut oder über das Wissen, dass tatsächlich Kameraden hinter der rassistischen Mordserie stehen. Diese Frage muss, was die CD angeht, geklärt werden.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Prima, vielen Dank. – Herr Dr. Stamp, wei-tere Fragen? – Das ist nicht der Fall. Frau Rydlewski.

Birgit Rydlewski (PIRATEN): Ich möchte gerne auf die Wehrsportgruppen zurück-kommen. Inwieweit kann man die Wehrsportgruppen und die Neonaziszene über-haupt trennen? Gibt es Überschneidungen? Sind sie deckungsgleich? Wie muss ich mir das vorstellen?

Inwieweit gibt es Hinweise auf Aktivitäten von Wehrsportgruppen in Städten von Nordrhein-Westfalen in den 90er-Jahren zum Beispiel für Dortmund?

Andrea Röpke: Wehrsport muss man immer auch im Kontext der Neonaziszene se-hen. Das kann man schon historisch verfolgen: Die Mitglieder der Wiking-Jugend ha-ben 42 Jahre lang den Neonazinachwuchs von heute gedrillt. Das heißt, eigentlich alle führenden Neonazianführer sind durch die Schule der Wiking-Jugend gegangen. Sie hat genauso wie die Nationalistische Front immer Wehrsportübungen durchge-führt. Die Wehrsportgruppe Hoffmann beispielsweise hatte immer auch einen Able-ger für Frauen genauso wie die Wiking-Jugend. Es gab natürlich auch Beteiligte, die sagen konnten, dass sie kein Interesse an diesen Outlaw- und Überlebenskampfge-schichten haben, aber der Großteil hat sich dadurch natürlich auch erst einmal in der Szene etabliert, dass sie diese Wehrsportübungen eben mitgemacht haben. Das ist immer auch ein Procedere gewesen.

Wahrscheinlich wäre es ein Teil des Vortrags von Herrn Virchow gewesen: Es hat natürlich auch in Nordrhein-Westfalen immer wieder Gruppierungen gegeben. Mir fällt zum Beispiel die Gruppe um Gerd Ulrich ein, der heute in Detmold wohnt. Er ist ein führender Aktivist der Heimattreuen Deutschen Jugend und auch in der Wiking-

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Jugend aktiv. Die hatten auch Sprengstoff gehortet. Der Verfassungsschutz hat sie lange im Visier gehabt. Auch hier hat es immer wieder Gruppierungen gegeben.

In Dortmund hat es die Wehrsportgruppe Schlageter gegeben unter Michael Kratz, von dem heute kaum etwas bekannt ist, der im Hintergrund wirkt. Aber auch er war Ex-Söldner bei der HOS-Miliz in Kroatien und für drei Jahre dort. Er war bei der Wehrsportgruppe, bei der Nationalistischen Front und hat all die militanten Gruppie-rungen abgeklappert. Er war bei der Anti-Antifa in Paderborn aktiv und kannte nach eigenem Bekunden Siegfried Borchardt. Ich möchte Ihnen einen kleinen Rundbrief und ein Leitblatt der Wehrsportgruppe Schlageter aus Dortmund nicht vorenthalten, die uns zugespielt worden sind. Sie werden etwa dem Jahr 2000 zugeordnet. Darin heißt es: Ich habe schon einen 90er-Reisebus zwecks Besuchs des Obersalzbergs. Deswegen läuft die Planung schon auf Hochtouren für den 1. Mai in Bremen. Damit befehle ich euch: Bewaffnet euch. Die Bullen werden unseren Bus diesmal nicht auf-halten, da wir aus den Niederlanden anreisen werden – natürlich getarnt. Bitte keine verbotenen Waffen mitnehmen. Ein gut ausgerüsteter Werkzeugkasten ist für kleine-re und größere Reparaturen optimal. – Es handelt sich um einen Aufruf dieser Wehr-sportgruppe zu einer Aktion zum 1. Mai in Bremen, also eine eigentlich ganz legalen Geschichte.

In einem weiteren Rundbrief beruft sich diese Wehrsportgruppe Schlageter auf den Kameraden Siegfried Borchardt. Ich finde es interessant, dass sie nicht nur zum Wehrsport aufrufen, sondern sich auch immer wieder tarnen. Sie höhnen hier zum Beispiel geradezu, dass sie eine ihrer Versammlungen im Haus eines türkischen Kul-turvereins durchgeführt hätten. Sie sind ganz stolz darauf, dass ihnen das gelungen ist.

Sie haben auch einen Fragebogen an die Mitglieder herausgegeben; das ist sehr spannend. Auch hier wird wieder diese Kaderqualität deutlich. Man will wieder die in-telligenteren fanatischen Kameraden herausziehen. Man nimmt nicht jeden. Man braucht fast schon einen Bürgen. Jeder muss eine gewisse Bildung und Intelligenz haben, um in dieser elitären Kleinstzelle mitwirken zu können. Über diese Gruppe ist aber wie gesagt sehr wenig bekannt.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Herr Bialas, Sie hatten sich noch gemeldet.

Andreas Bialas (SPD): Ich würde gerne auf einige Sachen zurückkommen, die Sie gesagt haben. Mir ist noch nicht völlig klar – vielleicht ist das auch der Widerspruch an sich –, dass in der theoretischen militanten Ausrichtung das Ziel verfolgt wird, dass der Terror schockieren soll. Dieser Terror hat uns im Grunde genommen erst schockiert, als der Umfang und das Ausmaß und gerade eben auch die geheimen Strukturen bekannt geworden sind. Vorher gab es diesen Schock in der breiten Be-völkerung gar nicht so. Irgendwann muss das Ganze doch auf ein inszeniertes Ende hinauslaufen, damit dieser Schock offenkundig wird.

Darüber hinaus haben Sie gesagt: Auch wenn es nicht nach außen dringt, weil die Aktionen letztlich so lange wie möglich stattfinden sollen und das nur im Geheimen geht, versucht man, im internen Bereich seinen Duft zu hinterlassen und darzustel-

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er len, wer wie wem zuzuordnen ist, um sich intern auf die eigene Schulter klopfen zu können. Ich gehe davon aus, dass Sie jenseits dieses Songs sehr viel danach ge-schaut haben, ob es denn schon anderweitige Anzeichen in Briefen, in Gesprächen in anderweitigen Publikationen oder Ausführungen gegeben hat, die darauf hinge-wiesen haben.

Ich habe noch eine Frage zur jetzigen Struktur der Neonazibands in NRW. Sie sag-ten, dass diese Bands im Grunde genommen eine ganz starke Aufgabe haben beim Vernetzen, beim Transport und beim Zusammenführen. Wie sieht das aktuell aus?

Meine letzte Frage. Sie sprachen eben an, dass man bei den dann auch in den Ge-richtssälen aufgetauchten Neonazis im Grunde genommen überlegt hat: Wer sitzt da eigentlich vor uns? Das ging ja fast in die Richtung der Banalität des Bösen. Man hätte es ihnen im Grunde genommen überhaupt nicht zugetraut. Haben Sie Hinweise vonseiten der Sicherheitsbehörden, dass man das aufgrund der schon einmal fehlge-laufenen Fehleinschätzung tatsächlich ein Stück weit so betrachtet hat? Hat man das nicht ernst genommen, weil man die Personen nicht hat ernst nehmen können? Sie sagten das aus Ihrer Sicht. Haben Sie irgendwelche Hinweise, dass es auch vonsei-ten der Sicherheitsbehörden derartige Einschätzungen gegeben hat? Das ist eine reine Meinung.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: So hab ich sie auch gewertet. Sonst hätte ich etwas gesagt.

Tobias Bezler: Terror sollte schockieren, unberechenbar und möglichst willkürlich erscheinen. Das ist eine Aussage im Roman Turner-Tagebücher. Ich wollte nicht in den Raum stellen, dass das eine zwingende Ansage für alle Aspekte des deutschen Neonazismus ist. Aber seien Sie sicher: Dieser Terror hat schockiert. Insbesondere in migrantischen Communities hat dieser Terror Angst und Schrecken in einem un-vorstellbaren Ausmaß ausgelöst. So viel dazu.

Es soll mehr Songs geben, in denen die Neonaziszene auf die Taten Bezug nimmt. Ich kenne beispielsweise die Band Eichenlaub von Christian Kapke, die im Song „Ei-nes Tages“ das Abtauchen des NSU-Trios mehrfach auf Konzerten besungen hat.

Nicht zutrauen, weil man die Personen nicht hat ernst nehmen können: Wenn man davon ausgeht, dass es nur ein militärisches Großkonzept gibt, dass es nur einen Gesamtschlag beispielsweise vom deutschen Neonazismus gegen die Bundesrepub-lik Deutschland aufgrund militärischer Überlegenheit geben kann, gehen wir natürlich davon aus, dass das lächerlich ist. Das ist eine Minderheit. Das sind kleine Gruppen.

Es ist aber nicht ernst genommen worden, dass kleinere Gruppen spätestens seit 1935, eigentlich aber schon viel früher das Konzept des kleinen Kriegs ausgearbeitet hatten, der übrigens nach allen Militärforschungsergebnissen fast immer grundsätz-lich brutaler und eskalierter geführt wird als der konventionelle Krieg. Hier ist Gewalt völlig entgrenzt. Der Kampf im kleinen Krieg richtet sich eventuell gegen andere Feinde. Das ist nicht zwingend der Feind von außen oder der Gesamtstaat an sich, der als militärischer Gegner auftritt, sondern das sind die Feinde als Teil der eigenen

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Bevölkerung, die als Kollaborateure oder als innerer Feind von Neonazis angespro-chen und bedroht werden. Dieser Kleinkrieg ist auch der Beweis der eigenen Prä-senz. Er soll insbesondere aus einer Minderheitenposition, aus einer Position der Schwäche heraus zu einem Kampf werden, der das Ruder herumreißt, der eine Es-kalation, eine Dynamik erst in Gang bringt. Es ist daher gefährlich, immer zu sagen, die Neonaziszene sei so schwach und stelle deshalb keine Gefahr dar, denn sie wol-len durch diese Taten ja genau diese Eskalationsspirale auslösen, die natürlich mit Überlegenheit statt mit Schwäche enden soll.

Andrea Röpke: Vielleicht kann man das mit dem veranschaulichen, was ganz aktu-ell abgeht. Ich bringe das immer mit den ausländerfeindlichen Fackelläufen in Schneeberg im Erzgebirge in Verbindung, an denen wir teilgenommen haben. Als erstes hat man die breite Wut bürgerlicher Menschen bemerkt, die sich tatsächlich nicht scheuten, sich Neonazis anzuschließen. Das war in Schneeberg im Jahr 2012 zu beobachten. Anschließend gab es die HoGeSa-Entwicklung, diese äußerst mili-tanten und gewaltbereiten Hooligans, die sich die Salafisten auf die Fahne schrieben. Aber schon nach 100 m schrien sie in Köln: Ausländer alle raus. – Das dauerte nicht lange. Diesen Personen haben sich im Laufe der PEGIDA-Bewegung tatsächlich immer mehr Menschen angeschlossen. Das erinnert verdammt an den Anfang der 90er-Jahre, als Neonazis wie Christian Worch, aber auch Siegfried Borchardt und andere tatsächlich die Parolen ausgegeben haben: Der Rassenkampf ist eröffnet. Jetzt geht es los. – Tatsächlich kam es dann zu den Pogromen von Hoyerswerda bis in den Westen, die von Woche zu Woche stattfanden mit vielen, vielen Toten. Das geht gerade ganz hintergründig wieder los: Es brennen Container. Es gibt Brandan-schläge auf noch nicht bewohnte Unterkünfte.

Ich finde, wir müssen solche Zeichen als Fanal erkennen. Das sind natürlich geistige Brandstifter, die das nicht nur aus einer Alltäglichkeit heraus machen, sondern das ist ein ganz klares strategisches Moment. Dieses Zeichensetzen ist ganz wichtig gewe-sen. Wie Herr Bezler schon sagte: Dieser Schockmoment sollte natürlich an die ver-hasste Community, an die Feinde und auch an die Polizisten gerichtet sein. Ich den-ke an den Mord von Michael Berger an drei Polizisten. Warum höhnt kurze Zeit spä-ter die Kameradschaft Dortmund: 3:1 für Deutschland? Drei tote Polizisten und nur ein deutscher Nationalist. Das sind doch ganz klare Zeichen dafür, dass man den Kampf aufgenommen hatte. Berger war auf jeden Fall nicht isoliert; insofern war er kein Einzeltäter.

Man kann unzählige Prozesse nennen, bei denen das Ausmaß der Vernetzung, der Militanz oder des politischen Hintergrunds von Neonazis von Sicherheitsbehörden unterschätzt wird. Das ist erschreckend. Als markanteste Beispiele gelten für mich immer noch die Prozesse gegen Meinolf Schönborn, der immer wieder davonkam. Dann gibt es die Einschätzung des Verfassungsschutzes: Der Schönborn kann uns nicht mehr gefährlich werden. – In seinem engsten Kameradenkreis werden darauf-hin wieder Kriegswaffen gefunden. Es gibt wieder Tote. Ich verstehe ehrlich gesagt bis heute nicht, wie es möglich sein kann, dass Thomas Richter alias Corelli im Zeu-genschutz nur 100 km entfernt von Meinolf Schönborn untergebracht wird. Wer sich

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er ein bisschen in Westfalen auskennt, weiß: Wenn man jemanden schützen will, bringt man ihn nicht ausgerechnet in die Ecke zurück, in der er agiert hat.

Als weiteres Beispiel ist der Prozess gegen das Aktionsbüro Mittelrhein zu nennen. Dabei handelt es sich um einen der Mammutprozesse gegen eine kriminelle Vereini-gung von Neonazis. Eigentlich das ganze Führungspersonal der Kameradschafts-szene in Nordrhein-Westfalen muss sich verantworten. Ich habe noch nie so viele Neonazianwälte im Gerichtssaal auf einem Haufen gesehen. Dieser Prozess wird in der Öffentlichkeit völlig verharmlost. Dieser Prozess hätte tatsächlich viel mehr Auf-merksamkeit verdient, weil er eben den Alltagsterror zeigt. Er zeigt, wie intelligente junge Männer – junge Frauen stehen weniger vor Gericht – angefixt werden, wie sie mitmachen, wie diese Gruppendynamik zieht, wie die Organisationsstrukturen, wie die Hierarchien funktionieren. Dieser Prozess ist eines der Beispiele für mich, wie wir diese Militanz und die Bereitschaft der Neonaziszene zur Militanz einfach immer noch zu wenig beachten.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Ich habe noch eine weitere Wortmeldung von Frau Schäffer und von Frau Rydlewski. Bitte schön, Frau Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Ich möchte gerne noch einmal auf die Musikszene in Nordrhein-Westfalen eingehen, nämlich einmal auf die Hammerskins, die Sie gerade schon erwähnt hatten. An dieser Stelle möchte ich gerne noch ein bisschen nach-bohren, denn in den Vorträgen kam vieles über Blood & Honour vor, aber die Ham-merskins sind ein bisschen außen vor geblieben. Wie sahen bzw. sehen die Struktu-ren in Nordrhein-Westfalen aus? Wo liegen Unterschiede zu, aber auch Gemein-samkeiten mit Blood & Honour?

Zum anderen möchte ich auf die Band Weiße Wölfe eingehen. Frau Röpke, Sie hat-ten sehr viel über Oidoxie gesprochen. Aber auch die Weißen Wölfe aus dem Sauer-land waren eine der bekanntesten Neonazibands in Nordrhein-Westfalen. Mich wür-de interessieren, wie Ihre Einschätzung dazu lautet.

Andrea Röpke: Ich fange mal mit den Hammerskins an. Das ist sicherlich eine der gefährlichsten Organisationen, die wir gerade bundesweit haben. Sie ist auch eine der professionellen. Sie wird von einem Lehrersohn aus Norddeutschland angeführt, der in Ludwigshafen agiert. Sie arbeiten mit Officers-Meetings. Sie arbeiten äußerst konspirativ. Die Mitglieder der Hammerskins in Nordrhein-Westfalen sind der Sektion Bremen untergeordnet. Markant ist natürlich, dass einer der Musiker von Gigi und die braunen Stadtmusikanten, Andreas Koroschetz, als einer der maßgeblichen Ham-merskins in Nordrhein-Westfalen eingeordnet wird. Zugleich wird er von den Behör-den der verbotenen Kameradschaft Aachener Land zugeordnet. Koroschetz ist je-mand, der sicherlich sehr massiv im Hintergrund die Fäden mit zieht. Das ist sehr ty-pisch für die Hammerskins: Sie suchen nicht die Öffentlichkeit. Sie sehen sich als ei-nen elitären rassistischen Geheimbund. Es gibt immer wieder dadurch Hinweise, dass sie natürlich mit mutmaßlichen NSU-Helfern wie Thomas Gerlach aus Altenburg in Thüringen verbandelt sind, dass das Ganze auch mit Waffen zu tun haben könnte.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Gerade bei portugiesischen Hammerskins sind Waffen aufgetaucht. Es gibt Fotos von Hammerskins mit Waffen ohne Ende. Sie weichen mit ihren Konzerten gerade massiv nach Frankreich aus. Gerade Frankreich ist einer der Ausfluchtsorte. In West-falen haben die Hammerskins den Wewelsburgversand mit Hendrik Stiewe. Bei uns in Norddeutschland gibt es den Ort Jamel, den Sie mittlerweile vielleicht alle kennen. Das ist ein kleines Dörfchen in der Hand von Nazis. Auch dieser Nazi ist einer der führenden Hammerskins. Er ist übrigens auch wegen des Besitzes einer Maschinen-pistole kürzlich im Gefängnis gewesen.

Diese Strukturen sind durch und durch gefährlich militant. Sie haben nach außen hin einen unglaublichen bürgerlichen Charakter. Sie wohnen wirklich im Neubaugebiet und sind bis unter die Halskrause tätowiert, gehen aber bürgerlichen Berufen nach und sind es wirklich gewohnt, im Verborgenen zu agieren und nebenher das Geld zu verdienen. Man darf nicht vergessen, dass gerade die Hammerskins ganz massiv als Ideologietransmitter für ihren propagierten Rassenkrieg die Musik benutzen. Die kommt vor allen Dingen natürlich bei den Kindern und Jugendlichen an.

Die Weißen Wölfe sind in letzter Zeit meines Erachtens nicht mehr aufgetaucht. Es gibt Dennis Linsenbarth, und ein paar Leute bei Oidoxie haben auch bei den Weißen Wölfen gespielt. Ich glaube, Gottschalk hat bei den Weißen Wölfen im Sauerland ge-trommelt. Wir kennen die Weißen Wölfe natürlich. In den letzten Jahren waren sie immer mal wieder aktiv. Aber in der Neonaziszene ist es wie mit den Kameradschaft und den Strukturen: Es gibt immer wieder neue Projekte. Irgendwann besinnt man sich wieder auf die Projekte, die einen Namen haben. Die CDs der Weißen Wölfe laufen natürlich noch. Es ist auch immer noch ein Schlagwort. Das ist die Band aus dem Sauerland, die zieht. Oidoxie ist natürlich noch bekannter, aber das sind schon Bands, deren Namen kursieren. Ich möchte auch nicht ausschließen, dass sie sicher auch wieder aktiver werden. Aber danach müsste man Leute fragen, die sich damit besser auskennen.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Frau Rydlewski, bitte.

Birgit Rydlewski (PIRATEN): Ich möchte gerne noch einmal auf die Turner-Tagebücher zurückkommen. Inwiefern kann man Veröffentlichungen in dem Fanzine des V-Manns Tarif im „Sonnenbanner“ als Konkretisierung, als Übertrag auf die deutschen Verhältnisse ansehen? An der Stelle müsste man im Grunde davon aus-gehen, dass auch der Verfassungsschutz darüber Kenntnis gehabt haben muss. Können Sie dazu noch einmal etwas sagen?

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Auch hier gebe ich noch einmal den Hin-weis, dass ich das heute alles laufen lasse. Aber alle diese Fragen bringen mich im-mer in die Not, über ihre Zulässigkeit nachzudenken. Nehmen Sie das also einfach als meine Bitte, dazu zu sagen, was Sie wissen, aber es auch so zu proklamieren, dass wir wissen, was es ist.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Tobias Bezler: Die 90er-Jahre waren eine Zeit, als nicht jede neonazistische Gruppe oder Kameradschaft im Internet mit einer eigenen Präsenz vertreten war. Die Kom-munikation ist weitestgehend über papierne Heftchen gelaufen, über so genannt Skinzines oder Fanzines. Das Besondere ist, dass es sich dabei um keine geheimen Werke gehandelt hat, auch wenn sie in der Öffentlichkeit vielleicht nicht so bekannt waren. Sie waren durchaus auf Konzerten oder per Abonnement ganz normal erhält-lich. In diesen Werken ist eine Vielzahl von Erkenntnissen zu Terror und zu Terror-konzepten enthalten. Es ist grundsätzlich ähnlich wie heute bei den auf Facebook geteilten Bildern, dass Menschenverachtung geteilt mit Militanz und offen zur Schau gestellten Waffen eher normal sind, denn die Ausnahme.

Ich kenne Veröffentlichungen im „Sonnenbanner“, in denen auf ältere militärische Ideen der Zellenbildung Bezug genommen wird zum Beispiel von Major Hans von Dach, dem Buch aus der Schweiz. Daraus hat die Redaktion wohl Passagen zitiert. An eine konkrete Verwendung der Turner-Tagebücher kann ich mich spontan nicht erinnern; das müsste ich nachliefern. In der Tat waren die Neonazis in Deutschland immer kreativ, um terroristische Konzepte anzupassen und auch Mischformen zu benutzen, um zu überlegen, wie man es passend machen könnte. Es handelt sich also nicht nur reine kritiklose Schwärmerei für Terrorkonzepte; es gab auch viel Wi-derspruch. Beispielsweise hatte Michael Kühnen ein Konzept des führerlosen Wider-stands offensiv zu bekämpfen versucht in der deutschen Naziszene. Das ist klar; das hätte wahrscheinlich seinem Führeranspruch widersprochen. Insofern müsste ich hier eine differenziertere Antwort geben. Ich kann gerne nachliefern, wie die Situation des „Sonnenbanners“ in Sachen Turner-Tagebücher ausgesehen hat.

Andrea Röpke: Wenn ich es richtig nachvollziehe, sind die vielen Hausdurchsu-chungen, die vonseiten der Polizei und den Landeskriminalämtern stattfinden, oft so, dass sie Asservate ohne Ende beschlagnahmen. In Thüringen ist bekannt geworden, dass viele Asservate aufgrund einer Einstufung von ein oder zwei Personen, die viel-leicht gar nicht genügend qualifiziert sind – so war es zum Beispiel ja auch im Fall der Hausdurchsuchung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe und vor allem bei Böhnhardt 1998 –, eingestuft werden. Es ist so, dass die fähigen Beamten, die ei-gentlich für den Staatsschutz dort eingesetzt waren, gar nicht vor Ort waren. Beamte stufen bestimmte Asservate gar nicht als politisch brisant genug ein. Diese Asservate landen niemals bei denjenigen, die sie tatsächlich auswerten sollen. Ich finde diese ganze Asservatengeschichte eigentlich ziemlich spektakulär, denn das zeigt es am besten. Der Verfassungsschutz hat als Entschuldigung gesagt: Der Corelli, der Thomas Richter, hat uns doch massenhaft CDs geliefert. Da konnten wir doch die NSU-CD nicht gleich herausfinden.

Ich glaube tatsächlich – das ist ganz klar meine eigene Wertung –, wenn man mit diesen beschlagnahmten Asservaten sinnvoller umgehen würde, würde das sicher-lich einen Großteil des V-Mann-Einsatzes erledigen, weil massenhaft Material vor-handen ist. Aber wenn es nicht die richtigen Beamten bzw. die richtigen Leute zu se-hen bekommen, kann es auch nicht vernünftig analysiert werden. Da besteht ein rie-sengroßes Manko. Dieses Urteil haben wir in den letzten drei Jahren durch die Aus-einandersetzung mit diesem Thema fällen können.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Frau Röpke, nur eine unmaßgebliche Er-gänzung: Das gilt für jedes Rechtsgebiet, ob sie nun die organisierte Kriminalität oder den Einbruchsdiebstahl nehmen – alles, was Sie an Phänomenen bei 1,5 Millionen Straftaten haben.

Jetzt haben sich noch Herr Bialas und Frau Schäffer gemeldet. Ich denke, dann ha-ben wir aber auch für heute sehr viel gehört.

Eine Frage an die Sachverständigen: Dürfen wir Ihre PowerPoint Präsentationen un-tereinander verwenden?

Andrea Röpke: Sie wollen sie nicht ins Netz stellen, oder?

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Nein, nur für die Mitglieder des Ausschus-ses.

Andrea Röpke: Ja, klar.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Herr Bialas.

Andreas Bialas (SPD): Ich werde von vornherein darauf achten, eine allgemeine Fragerichtung einzunehmen.

(Heiterkeit des stellvertretenden Vorsitzenden)

Eines ist mir noch nicht richtig klar: Richtig Terror – vor allen Dingen, wenn er in Form von Guerillataktik ausgerichtet ist – hat schon etwas mit der Erkenntnis zu tun, dass man in klassischen militärischen Kampfverbänden nichts ausrichten kann, son-dern ganz anders vorgeht. Beim linken Terror gab es die Strategie: Man pickt sich ganz gezielt Repräsentanten heraus. Daraufhin wird der Staat mit seinen Sicher-heitskräften entsprechend reagieren. Diese Reaktion wird einen breiten Einfluss auf die Bevölkerung haben, die sich davon gegängelt, abgeschreckt oder sonst wie füh-len wird. Dadurch wird sich dann das Volk erheben, und die Revolution ist da.

Im rechten Sektor – das haben Sie selbst gesagt – kann diese Strategie nicht ganz stimmig sein, weil die Aktionen eher dazu geführt haben – im Dritten Reich zum Teil ja auch –, in der breiten Bürgerlichkeit nicht unbedingt eine Form von Begeisterung auszulösen, sondern eher Ablehnung und negative Einstellungen. Ich glaube, Sie sprachen von liberaler Gefühlsduselei; damit möchte ich der FDP nicht zu nahe tre-ten. Es kann also nicht die Strategie sein, dass man über die Aktion tatsächlich hofft, die Masse zu gewinnen. Nach wie vor kann das also wie früher nur gelingen, wenn es immer nur nebenbei ein kleines bisschen wabert, man aber noch andere Arme wie eine politische Ausrichtung im Grunde genommen braucht. Wie lässt sich diese Theorie darstellen? Gibt es dazu irgendwelche Theoreme, die das aufnehmen und die enge Verzahnung zwischen der Abschreckung durch das Handeln, durch die Ta-ten, und einer politischen Tätigkeit, die viel besser ankommt, wenn sie halbwegs ge-

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er mäßigt daherkommt, wie wir gerade bei vielen Massenbewegungen wie PEGIDA etc. sehen?

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Bevor Sie antworten, greife ich jetzt aber doch ein. Alle Mutmaßungen sind unzulässig. Das gebiert immer eine weitere; sofort kommen weitere Meldungen. Sie können gerne Stellung nehmen. Ich nehme die bei-den Wortmeldungen aber noch dazu. Noch einmal: Mutmaßungen sind leider als Fragen unzulässig. Deswegen tun wir so, als ob Sie etwas erkennen können. Dann haben wir es wieder drin. Ich nehme aber noch Frau Schäffer und Frau Rydlewski dazu.

(Zurufe)

– Also bitte.

Tobias Bezler: Es gibt einfach unterschiedlichste Stoßrichtungen. Die einen wollen den Rassekrieg eskalieren lassen, hoffen also auf eine Eskalation dieser Situation. Andere nehmen den Staat als Ziel, und zwar nicht im Widerspruch dazu, sondern der Staat ist letztlich der Schuldige, der für Überfremdung, Rassenvermischung oder für sonst etwas genommen wird. Er wird von vielen Neonazis als jüdisch dominiert an-gesehen und als zionist occupied government bezeichnet.

Es gibt Neonazis, die militante Aktionen im Sinne der Kommunikation der Tat began-gen haben, wie Andrea Röpke es geschildert hat. Es gibt die klassische Propagan-dawirkung einer Tat. Durch eine militante Aktion schaffe ich es, ein Thema medial oder in den öffentlichen Diskurs einzuspeisen. Das ist nicht immer klar von dem kon-kreten Wunsch zu trennen, einen Schaden anzurichten und den Feind auch tatsäch-lich zutreffen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Beim Terror deutscher Burschenschaften in Südtirol wird allgemein politikwissenschaftlich davon geschrieben, dass das nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, die Südtirolfrage zu diskutieren. Zweifellos war eine Propagandawirkung tatsächlich intendiert. Intendiert war von den Tätern aber auch, die italienische Schwerindustrie durch Stromausfälle durch das Strommasten-umlegen zu treffen. Dadurch sind Hochöfen der italienischen Schwerindustrie ausge-fallen, was einen Schaden in Milliardenhöhe angerichtet hat.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Jetzt gehe ich noch einmal hinein. Bitte konzentrieren Sie es auf unseren Ermittlungsauftrag.

Andrea Röpke: Ich möchte noch kurz ergänzen. Die Strategie ist genauso, wie ge-rade gesagt worden ist: Sie ist sehr heterogen. Es gibt die ganz klar terroristisch mili-tanten Strategien. Zurzeit beobachten wir aber eher das Phänomen, dass die Neo-naziszene die Fremdenfeindlichkeit in großen Teilen der Bevölkerung bestätigt sieht. Die neuesten Studien bestätigen, dass von Bayern bis in die neuen Bundesländer jeder dritte, in den anderen westlichen Bundesländern jeder vierte bis fünfte Deut-sche fremdenfeindlich eingestellt ist. Da haben die Neonazis teilweise natürlich sehr leichtes Spiel.

Landtag Nordrhein-Westfalen - 47 - APr 16/872

Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Frau Röpke, darf ich auch Sie auf unseren Untersuchungsauftrag hinweisen?

Andrea Röpke: Das spielt da hinein. Das sind die Bildung von Bürgerwehren, von der wir natürlich warnen. Das kann auch Teil der Strategie sein. Es gibt militante Ne-onazis, die wirklich sagen: Wir lassen jetzt das Volk für uns arbeiten. Das Volk ist so empört gegen Migranten, und Bürgerwehren sind ein Teil davon. – Wenn man diese Bürgerwehren analysiert, sieht man, dass ein Teil militanter Neonazistrukturen zu-sammen mit normalen Bürgern dort aktiv wird. Das ist beispielsweise gerade in Mecklenburg-Vorpommern der Fall. In Escheburg in Schleswig-Holstein ist ein Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim verübt worden, das bezogen werden sollte und groß und aufwendig saniert worden war. Diese Tat ist von einem unbescholte-nen 38-jährigen Familienvater begangen worden. Damit sind wir wieder beim Setzen eines Fanals, von dem wir gesprochen haben. Es geht darum, radikale Zeichen zu setzen und die Bevölkerung zu erreichen. Dafür ist eigener Terror dann erst einmal gar nicht notwendig

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Frau Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Ich habe noch eine Frage nach einer konkreten Organi-sation, und zwar nach dem Ku Klux Klan, der in Baden-Württemberg vor allen Din-gen in diesem Zusammenhang für Schlagzeilen gesorgt hat. Gibt es Strukturen in Nordrhein-Westfalen oder nach Nordrhein-Westfalen, die für unseren Untersu-chungsauftrag interessant sein könnten?

Darüber hinaus möchte ich gerne nach zwei konkreten Personen fragen, die zumin-dest Kontakte nach Nordrhein-Westfalen hatten, nämlich nach Thomas Starke und nach Toni Stadler, die in unserem Untersuchungsauftrag auch eine Rolle spielen. Könnten Sie uns empfehlen, weitere Personen, die nach Nordrhein-Westfalen Kon-takte hatten im Zusammenhang mit dem NSU, näher unter die Lupe zu nehmen in unserem Untersuchungsausschuss?

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Ich darf auch hier den Hinweis geben: Soll-ten die Sachverständigen Empfehlungen geben, denken Sie bitte an die Zeugenver-nehmung.

Tobias Bezler: Ich habe gehofft, dass Prof. Fabian Virchow anwesend ist, weil er bestimmt zum Ku Klux Klan in Nordrhein-Westfalen hätte Ausführungen machen können. Das umfasst mein Wissensstand aktuell nicht. Ich hätte aus Sicht eines Pro-zessbesuches über Thomas Starke erzählen können. Er ist aber gar nicht zur Zeu-genaussage aufgetreten. Deswegen kann ich Ihnen da leider nicht weiterhelfen.

Andrea Röpke: Zum Bezug des Ku Klux Klan nach Nordrhein-Westfalen kann ich hier nicht viel mehr sagen, als dass Thomas Richter alias Corelli, der 1992 in Det-mold-Pivitsheide bei Schönborn wohnte, später maßgeblich den Ku Klux Klan in Ba-

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er den-Württemberg mit aufgebaut hat. Inwiefern er Neonazis aus Nordrhein-Westfalen aus den alten Strukturen mitgezogen hat, können wir gerne nachreichen. Dazu gibt es mittlerweile auch Veröffentlichungen und Bekanntes.

Thomas Starke ist natürlich auch so ein Rechercheschwerpunkt, weil er einer der ersten Helfer von Blood & Honour Chemnitz ist; dort war er Vizechef der Sektion von Blood & Honour in Chemnitz. Er hat sofort dafür gesorgt, dass dem Trio Wohnungen angeboten worden sind. Ab 1998 wohnte er in Neuenrade in einer Pension, weil er in Dortmund gearbeitet hat. Zwischen 1998 und etwa 2001 ist er zwischen Neuenrade, Dortmund und Chemnitz gependelt, während sich die drei in seinem Umfeld von Blood & Honour versteckten. Er hatte also einen direkten Draht zu allen dreien und war sogar mit Beate Zschäpe liiert.

Von Thomas Starke sind in den Medien nur SMS bekannt geworden. So schrieb er, in Dortmund – er meinte zwar Neuenrade, hat aber Dortmund geschrieben – gebe es zu viele Türken, zu viele Ausländer. Daraufhin hat ihm ein Kamerad aus Chemnitz sinngemäß geantwortet: Ja, da müsste mal aufgeräumt werden. – Solche Dinge sind bekannt geworden. Es gab auch einen Neonazi aus Neuenrade, der nach Chemnitz gezogen ist. In wieweit Bekanntschaftsverhältnisse vorliegen, ist nicht bekannt.

Thomas Starke hat in seinem Telefonregister die Telefonnummer von Oidoxie ge-habt. Starke war einfach der Hauptorganisatoren aus Chemnitz für Konzerte. Er war ein Helfer des Trios und gehört noch immer zu den Verdächtigen. Dass er die Num-mer von Oidoxie in seinem Speicher hatte, ist nicht so ungewöhnlich, weil, wie ich schon betont habe, sich die Musiknetzwerke kannten.

Toni Stadler ist auch so ein V-Mann, von dem man wirklich nur sagen kann: Es ist nicht ganz nachvollziehbar, wie man den beschäftigen konnte. Er kommt aus Guben in Brandenburg. Stadler hat selbst äußerst rassistische CDs vertrieben und verkauft. Wenn ich es richtig weiß, gehörte er zur Band Rassenhass. Er lebt bis heute in Dortmund und will, wie ich den Medien entnommen habe, dazu keine Aussage ma-chen. Er wird natürlich von einem anderen V-Mann belastet, weil Stadler – so sagt der andere V-Mann, genannt Heidi – eben wenige Tage vor dem Mord, ich glaube, am 1. April, Uwe Mundlos in Dortmund getroffen haben soll. So wird es von diesem V-Mann Heidi behauptet, der gesagt hat, er habe die beiden erkannt. Er würde den Stadler kennen. Das war natürlich eine Aussage, die uns sehr schockiert hat, weil das bedeuten würde, dass Uwe Mundlos schon längere Zeit vor dem Mord an Meh-met Kubasik in der Stadt war und dass er eventuell auf altgediente Hilfe aus Kame-radenkreisen vielleicht zurückgegriffen hat. Das ist der derzeitige Erkenntnisstand.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Frau Röpke, Sie machen uns zunehmend nervös. Wir werden Ihre Aussage deutlich nachlesen müssen. Es könnte schon sein, dass Sie als Zeugin infrage kommen.

Andrea Röpke: Das können Sie nachlesen.

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III 16.04.2015 7. Sitzung (öffentlicher Teil) Er Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Nein, es geht mir nun die Zeugeneigen-schaft. Es geht mir nicht darum, etwas anzuzweifeln. Wir schauen mal. – Frau Rydlewski.

Birgit Rydlewski (PIRATEN): Ich habe noch eine konkrete Frage zur Band Stahl-gewitter, die Bandmitglieder in Nordrhein-Westfalen hat. Gibt es Erkenntnisse dar-über, ob es Kontakt in die Neonaziszene in NRW gibt und falls ja: an welchen Orten?

Andrea Röpke: Ganz klar in Mönchengladbach und Aachen, die Kameradschaft Aachener Land, das ist klar, die Hammerskins hatte ich schon erwähnt. Stahlgewitter ist auch eine Kultband, die lange Zeit als hart galt. Sie ist der Vorläufer von Gigi und die braunen Stadtmusikanten, die bundesweit gespielt haben im kameradschaftsmili-tanten und im Kameradschaftsmilieu. Genau kann ich das gerade nicht sagen. Über die Personen gilt das besonders im Bereich Aachen.

Stellv. Vorsitzender Peter Biesenbach: Dann können wir jetzt wirklich allen vielen Dank sagen.

(Beifall)

Das gilt auch dafür, dass Sie mit einem immensen Potenzial an Informationen uns wirklich kräftig befeuert haben. Herzlichen Dank auch für Ihr Kommen und für die Be-reitschaft, so offen, so informativ und so umfangreich hier zu sprechen.

Sie beide haben ein Formular vor sich liegen, in dem es um Reisekosten und die Kostenerstattung geht. Falls Sie da etwas eintragen wollen, geben sie das Formular bitte an den Mitarbeiter. Ansonsten können Sie es uns auch zusenden.

Vielen Dank für heute. – Damit wäre die öffentliche Sitzung beendet. Wir machen in wenigen Minuten mit der nichtöffentlichen Sitzung weiter. Ich bitte all diejenigen, die dem Ausschuss nicht angehören, darum, den Saal zu verlassen. Wir machen dann nahtlos weiter.

Ihnen gute Heimfahrt und gute Rückkehr.

gez. Peter Biesenbach Stellv.Vorsitzender

13.07.2015/19.08.2015

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