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Origina rbeiten Passivschichten auf rostfreien St ihlen: Eine l]bersicht fiber oberfl ichenanalytische Ergebnisse H. Fischmeister und U. Roll Max-Planck-Institut ftir Metallforschung, D-7000 Stuttgart, Bundesrepublik Deutschland Passive Layers on Stainless Steels: A Survey of Surface Analysis Results Summary. Stainless steels are passivated by formation of a thin layer of oxy-hydroxide strongly enriched in chromium. A decade of surface analytical research has yielded converg- ing results from which some generalized conclusions can be derived. The thickness of the films increases linearly with the potential; both the hydroxyl content and the electric field across the film appear to be linearly related to its chromium/iron ratio. Oxide films containing less than 50% Cr do not seem to be permanently stable. Both the stationary value of the chromium enrichment in the film and the kinetics of the enrichment process can be quantitatively described by a model based on preferential dissolution of iron in the electrolyte at ca. eight times the rate of chromium dissolution. The roles of nickel and chromium in enhancing passivity are discussed in qualitative terms. Zusammenfassung. Rostfreie St~hle werden durch dfinne Oxy-Hydroxidschichten passiviert, die gegeniiber der Legie- rung stark an Chrom angereichert sind. Nach einem Jahr- zehnt oberflfichenanalytischer Forschung zeichnet sich eine Konvergenz der Ergebnisse ab, aus der einige verallgemei- nernde Schlugfolgerungen abgeleitet werden k6nnen. Die Schichtdicke wfichst linear mit dem Potential; das elektri- sche Feld in der Schicht nnd ihr Hydroxylgehalt scheinen yon ihrem Chromgehalt bestimmt zu sein. Die Oxidschich- ten sind nur dann dauerhaft stabil, wenn sie mehr als 50% Cr enthalten. Der stationfire Wert der Cr-Anreicherung im Film und die Kinetik des Anreicherungsverlaufes k6nnen mit Hilfe eines Modells quantitativ beschrieben werden, das auf der Annahme pr~iferentieller Aufl6sung yon Eisen gegen- fiber Chrom (in einem konstanten Verhfiltnis yon ca. 8:1) beruht. Die Rolle des Nickels und des Molybd/ins ffir die verbesserte Passivierbarkeit der Chromst~ihle wird qualitativ er6rtert. Nach Vetter [5, 6] und Wagner [7] nimmt x von der Metall- zur Elektrolytgrenzflfiche yon 0 auf 0,33 zu, so dab an der letzteren (fast) nur Fe3+-Ionen vorhanden sind. Die sehr niedrige Fe z +-Konzentration an der Grenze Oxid/Elektro- lyt bewirkt einen konstanten Potentialsprung und damit konstante Ubertrittsrate yon Fe 3+-Ionen in den Elektroly- ten. Durch den Film, dessen Dicke stationfir bleibt, wandert st/indig Eisen yore Metall in den Elektrolyten; der Ionen- durchsatz entspricht dem Aufl6sungsstrom. Sauerstoff wird nur dann fiber die Grenze Film/Elektrolyt transportiert, wenn der Film dicker oder dfinner wird. Eine aufgezwungene Erh6hung des Potentials zwischen Metall und Elektrolyt wird dutch Zunahme der Filmdicke aufgefangen, wobei der Potentialgradient.sowie der Flug der Eisenionen (und damit die Aufl6sungs-Stromdichte) unver/indert bleiben. Die Frage der Raumladungsverteilung im Film ist seit langem Gegenstand regen Interesses [6, 8], soll aber hier nicht weiter besprochen werden. Legierungen des Eisens mit Chrom, Chrom- Nickel und Chrom-Nickel-Molybdfin haben gegenfiber dem Basis- metall ein breiteres Gebiet der Passivit/it und bessere Resi- stenz gegen solche Anionen, die, wie z.B. Chlor, die Passiv- schicht des reinen Eisens zerst6ren. Auch bier ist die Passivie- rung mit der Bildung eines Oxidfilms verbunden, der entwe- der amorph ist oder eine spinell/ihnliche Struktur aufweist [2, 4, 9- J 1]. Gegenfiber dem Reineisen hat hier das elektro- chemische System zus/itzliche Freiheitsgrade durch die M6g- lichkeit, Ionen der Legierungsmetalle in die Passivschicht einzulagern. Schon frfih fanden sich Indizien ffir den Einbau von Chrom [11-13] und Silicium [13, 14], aber erst die neuen oberfl/ichenempfindlichen Analysenmethoden brach- ten hinreichend sichere Aussagen. Aus ihnen beginnt sich nun ein Bild zu formen, das die strukturellen Aspekte der Passivitfit yon Eisenlegierungen verst/indlich werden 1/il3t. Diese Ergebnisse zusammenfassen und zu deuten ist Ziel der vorliegenden Arbeit. Zuvor mfissen aber einige methodische Details behandelt werden. Einleitung Der passive Zustand yon Reineisen ist gekennzeichnet durch Konstanz einer sehr niedrigen Aufl6sungs-Stromdichte fiber einen breiten Potentialbereich. Die Metalloberflfiche ist mit einem Film aus F%-xO4 bedeckt, dessen Struktur der des 7-Fe20~ (Spinelltyp) fihnlich, aber stark gest6rt ist [1-4]. Offprint requests to: H. Fischmeister Methodische Fragen Zur Analyse der im Elektrolyten gebildeten Oxidschicht ist ESCA grundsfitzlich besser geeignet als AES oder SIMS, da die deutlichen chemischen Verschiebungen in den ESCA- Spektren Aussagen fiber den Ionisierungszustand der Katio- nen im Oxid und die Unterscheidung yon 0 2-- und OH- [15, 16] erm6glichen (Abb. 1). Die Unterscheidbarkeit der Signale von Metall und Kation ist wichtig, weil die im passi- yen Zustand vorliegenden Oxidfilme so dfinn sind (1- 4 nm), dab in der Regel neben den Signalen des Oxids auch Fresenius Z Anal Chem (1984) 319:639- 645 Springer-Verlag 1984

Passivschichten auf rostfreien Stählen: Eine Übersicht über oberflächenanalytische Ergebnisse

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Origina rbeiten

Passivschichten auf rostfreien St ihlen: Eine l]bersicht fiber oberfl ichenanalytische Ergebnisse H. Fischmeister und U. Roll Max-Planck-Institut ftir Metallforschung, D-7000 Stuttgart, Bundesrepublik Deutschland

Passive Layers on Stainless Steels: A Survey of Surface Analysis Results

Summary. Stainless steels are passivated by formation of a thin layer of oxy-hydroxide strongly enriched in chromium. A decade of surface analytical research has yielded converg- ing results from which some generalized conclusions can be derived. The thickness of the films increases linearly with the potential; both the hydroxyl content and the electric field across the film appear to be linearly related to its chromium/iron ratio. Oxide films containing less than 50% Cr do not seem to be permanently stable. Both the stationary value of the chromium enrichment in the film and the kinetics of the enrichment process can be quantitatively described by a model based on preferential dissolution of iron in the electrolyte at ca. eight times the rate of chromium dissolution. The roles of nickel and chromium in enhancing passivity are discussed in qualitative terms.

Zusammenfassung. Rostfreie St~hle werden durch dfinne Oxy-Hydroxidschichten passiviert, die gegeniiber der Legie- rung stark an Chrom angereichert sind. Nach einem Jahr- zehnt oberflfichenanalytischer Forschung zeichnet sich eine Konvergenz der Ergebnisse ab, aus der einige verallgemei- nernde Schlugfolgerungen abgeleitet werden k6nnen. Die Schichtdicke wfichst linear mit dem Potential; das elektri- sche Feld in der Schicht nnd ihr Hydroxylgehalt scheinen yon ihrem Chromgehalt bestimmt zu sein. Die Oxidschich- ten sind nur dann dauerhaft stabil, wenn sie mehr als 50% Cr enthalten. Der stationfire Wert der Cr-Anreicherung im Film und die Kinetik des Anreicherungsverlaufes k6nnen mit Hilfe eines Modells quantitativ beschrieben werden, das auf der Annahme pr~iferentieller Aufl6sung yon Eisen gegen- fiber Chrom (in einem konstanten Verhfiltnis yon ca. 8:1) beruht. Die Rolle des Nickels und des Molybd/ins ffir die verbesserte Passivierbarkeit der Chromst~ihle wird qualitativ er6rtert.

Nach Vetter [5, 6] und Wagner [7] nimmt x von der Metall- zur Elektrolytgrenzflfiche yon 0 auf 0,33 zu, so dab an der letzteren (fast) nur Fe3+-Ionen vorhanden sind. Die sehr niedrige Fe z +-Konzentration an der Grenze Oxid/Elektro- lyt bewirkt einen konstanten Potentialsprung und damit konstante Ubertrittsrate yon Fe 3 +-Ionen in den Elektroly- ten. Durch den Film, dessen Dicke stationfir bleibt, wandert st/indig Eisen yore Metall in den Elektrolyten; der Ionen- durchsatz entspricht dem Aufl6sungsstrom. Sauerstoff wird nur dann fiber die Grenze Film/Elektrolyt transportiert, wenn der Film dicker oder dfinner wird. Eine aufgezwungene Erh6hung des Potentials zwischen Metall und Elektrolyt wird dutch Zunahme der Filmdicke aufgefangen, wobei der Potentialgradient.sowie der Flug der Eisenionen (und damit die Aufl6sungs-Stromdichte) unver/indert bleiben. Die Frage der Raumladungsverteilung im Film ist seit langem Gegenstand regen Interesses [6, 8], soll aber hier nicht weiter besprochen werden.

Legierungen des Eisens mit Chrom, C h r o m - Nickel und Chrom-Nicke l -Molybdf in haben gegenfiber dem Basis- metall ein breiteres Gebiet der Passivit/it und bessere Resi- stenz gegen solche Anionen, die, wie z.B. Chlor, die Passiv- schicht des reinen Eisens zerst6ren. Auch bier ist die Passivie- rung mit der Bildung eines Oxidfilms verbunden, der entwe- der amorph ist oder eine spinell/ihnliche Struktur aufweist [2, 4, 9 - J 1]. Gegenfiber dem Reineisen hat hier das elektro- chemische System zus/itzliche Freiheitsgrade durch die M6g- lichkeit, Ionen der Legierungsmetalle in die Passivschicht einzulagern. Schon frfih fanden sich Indizien ffir den Einbau von Chrom [11-13] und Silicium [13, 14], aber erst die neuen oberfl/ichenempfindlichen Analysenmethoden brach- ten hinreichend sichere Aussagen. Aus ihnen beginnt sich nun ein Bild zu formen, das die strukturellen Aspekte der Passivitfit yon Eisenlegierungen verst/indlich werden 1/il3t. Diese Ergebnisse zusammenfassen und zu deuten ist Ziel der vorliegenden Arbeit. Zuvor mfissen aber einige methodische Details behandelt werden.

Einleitung

Der passive Zustand yon Reineisen ist gekennzeichnet durch Konstanz einer sehr niedrigen Aufl6sungs-Stromdichte fiber einen breiten Potentialbereich. Die Metalloberflfiche ist mit einem Film aus F%-xO4 bedeckt, dessen Struktur der des 7-Fe20~ (Spinelltyp) fihnlich, aber stark gest6rt ist [1-4] .

Offprint requests to: H. Fischmeister

Methodische Fragen

Zur Analyse der im Elektrolyten gebildeten Oxidschicht ist ESCA grundsfitzlich besser geeignet als AES oder SIMS, da die deutlichen chemischen Verschiebungen in den ESCA- Spektren Aussagen fiber den Ionisierungszustand der Katio- nen im Oxid und die Unterscheidung yon 0 2-- und OH- [15, 16] erm6glichen (Abb. 1). Die Unterscheidbarkeit der Signale von Metall und Kation ist wichtig, weil die im passi- yen Zustand vorliegenden Oxidfilme so dfinn sind ( 1 - 4 nm), dab in der Regel neben den Signalen des Oxids auch

Fresenius Z Anal Chem (1984) 319:639- 645 �9 Springer-Verlag 1984

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Or gJna Fapers

Cr 2p31z 0 ls Mo (3d31z,3ds/z)

2kC -2kC

Cr3+ Ermet IW ~ - - OH-

1 1 / ' i ' ~-" o 2-

I / ~ ,.

5i3o s~s s3s s3o Bindungsenergie [ eV ]

Mo 4§

MoO,(OH) V

Mo6+ F ~ - - ~ ' ] M~ t

1 I F - - I

23s 2~0

Abb. 1 ESCA-Spektren einer Fel 7Crt 5Ni4Mo-Legierung nach Elektropolieren und Uberfiihrung durch Luft in das Spektrometer [17]

solche vom darunterliegenden Metall erhalten werden. Sind sie, wie in AES-Spektren, nicht unterscheidbar, so kann f/ilschlich die Anwesenheit von Legierungsmetall im Oxid- film vorgespiegelt werden. Beispielsweise zeigen die AES- Spektren der Passivschichten austenitischer Stfihle in der Regel Ni-Gehalte um 10% an, die - wie der Vergleich mit ESCA-Spektren derselben Proben eindeutig beweist - auf das ,,Durchschimmern" des darunterliegenden Metalls zu- rfickzuffihren sind. In Wahrheit kommt Nickel im Oxidfilm passivierter rostfreier Stfihle nut in ganz kleinen Mengen v o r .

Bei der Analyse von Passivschichten auf rostfreien St/ih- len treten systems.p.ezifische Schwierigkeiten auf, bedingt durch die teilweise Uberlappung der AES-Peaks von Cr (489 und 529 eV) mit dem von O (503 eV) sowie von Mo (221 eV) mit Ar (215 eV) bzw. Mo (186 eV) mit C1 (181 eV); bei ESCA gibt es Peakfiberlappungen zwischen Mo (3d5/2, 3d3/2) und S (2s). Zusfitzlich erschwert wird die Analyse des Mo dutch die geringen Mengen, mit denen es in den Stfihlen und in den Oxidschichten vertreten ist, dutch die Multiplizit/it der Peaks und durch das Vorkommen dreier Ionisierungszu- st~nde im Oxid (vgl. Abb. 1). Die Analyse erfordert an- spruchsvolle Methoden der Peakzerlegung, die erst seit kur- zero verfiigbar sind.

Die Signalintensit/it einer Atom- oder Ionensorte i ist bestimmt durch die Ausbeute des Photoelektronenprozesses Yi, die Konzentration q in Atomen pro Volumeneinheit, die Intensitfit der Anregung Io und durch die Absorption erzeugter Photoelektronen innerhalb der Probe. Als ,,Aus- trittstiefe" 2 der Photoelektronen definiert man jene Tiefe im Probenmaterial, aus der noch l/e = 36,8% der erzeugten Photoelektronen die Probe verlassen k6nnen (Abb. 2). Sie variiert in bekannter Weise [18-20] mit der kinetischen Energie der Elektronen und liegt bei den bier infragekom- menden AES- und ESCA-Linien zwischen etwa 0,4 und 2,0 nm. Wenn die zu analysierenden Photoelektronen unter einem Winkel e zur Normalen der Probenoberfl/iche abge- nommen werden (in Abb. 2 ist c( = 0~ erh/ilt man ffir eine homogene Probe die detektierte Intensitfit [21]:

Ii = % )~i cos ~. (1)

Dabei fa6t (~i die Anregung, die Photoelektronenausbeute und die Konzentration des Elementes i zusammen:

~i = Io Yi ci. (2)

F fir die Intensit/it aus einer Oxidschicht der Dicke d erh~ilt m a n

i!ox) = ~o~) 2!ox). cos c~ [1 -exp( -d(~ ~ cos ~)]. (3)

640

1 2

51 -~x~- q d b

Abb. 2. Schematische Darstellung der freien Wegl~inge 2 und der Intensit~it der austretenden Photoelektronen. Die bei �9 gebildeten Photoelektronen werden bei • absorbiert, sie tragen dann nicht mehr zum gemessenen Signal bei

Signale aus dem darunterliegenden Metall werden beim Durchtritt dutch die Oxidschicht geschwficht; die detektierte Intensit~t vom metallischen Substrat ist

/Ira) = ~!m) ,~!m) . COS 0{" exp (-d(OX)/2! ~ cos ~). (4)

Bei naiver Auswertung von ESCA- und AES-Spektren, ohne Berficksichtigung der Gln. ( i - 4 ) , kann es zu ernstli- chen Fehldeutungen kommen. So nimmt die Signalintensitfit des Cr aus einer Cr-reichen Passivschicht auf einem Substrat von geringerem Cr-Gehalt ab, wenn die Schicht durch Ionen- beschug schrittweise abgedfinnt wird. Dies wird hfiufig als Indiz fiir einen vom Elektrolyten zum Metall abfallenden Cr-Gehalt gedeutet, obwohl allein schon die Dickenminde- rung der Cr-reichen Schicht genfigt, um ein Abnehmen des Cr-Signals zu bewirken. Wenn zwischen den Signalen aus dem Metall und aus dem Oxid nicht unterschieden werden kann, die Schicht abet nicht wesentlich dicker ist als die Austrittstiefe, so zeigt das Signal eine gewichtete Summe der Konzentrationen im Oxid und Metall an. Da die Metall- atome im Oxid nur etwas weniger als halb so dicht gepackt sind wie im Metall, kann bei AES-Analysen auf diese Weise z.B. ein zu hoher Fe-Gehalt in den Oxidschichten vorgespie- gelt werden.

Die Gln. ( 1 - 3) gelten ffir Schichten und Substrate ho- mogener Zusammensetzung; liegen Konzentrationsgradien- ten vor, so ,,sieht" die Analyse stets nut den fiber den gesam- ten Tiefenbereich integrierten und nach MaBgabe der inne- ren Absorption gewichteten Gehalt der betreffenden Atom- sorte. Dieser wird h/iufig als ,,integraler Gehalt" bezeichnet [16, 22].

Das Tiefenprofil der Elementverteilung ist bei der Unter- suchung von Passivschichten yon besonderem Interesse. Die beste Methode zu seiner Ermittlung w/iren Messungen mit

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@v ginaiarbeJten

systematischer Variation des Austrittswinkels [23, 24]. Bis- her werden die Konzentrationsprofile yon Passivschichten fast immer durch Schichtabtragung mittels Ionenbeschul3 (sputter profiling) ermittelt. Dabei sind einige gravierende Fehlerquellen zu beachten. Zwar ist nachgewiesen, dab in der Metallphase die Sputterraten von Fe, Ni und Cr nur wenig verschieden sind [25, 26], aber fiir die Oxidphase feh- len derartige Untersuchungen. Angesichts des betrfichtli- chen Unterschiedes in der thermodynamischen Stabilit/it der Oxide wfiren unterschiedliche Sputterraten zu erwarten, die zu Verschiebungen der scheinbaren Oxidzusammensetzung wfihrend des Abtrages fiihren k6nnten. Mo hat schon im metallischen Zustand eine niedrigere Sputterrate als die/ibri- gen Legierungsbestandteile der rostfreien St/ihle [27]. Aus noch nicht genfigend gekl/irten Griinden zeigen fast alle Sputterprofile tief in die Metallphase hineinreichende, often- sichtlich falsche ,,Sauerstoffschwfinze".

Beim Profilieren mit ESCA ist zus/itzlich die Gefahr der Ver/inderung yon Ionisierungszustfinden zu beriicksich- tigen. Durch Sputterversuche an Oxidproben konnte gezeigt werden, dab bei gentigend niedrigen Beschleunigungsspan- nungen keine nennenswerte Reduktion oder Oxidation von Fe304 erfolgt [28], und aueh fiir die Oxide von Cr und Ni sowie fiir FeO ist die M6glichkeit des Sputterabtrages ohne Reduktion nachgewiesen [29-32]. Diese Ergebnisse diirfen aber nicht vorbehaltlos verallgemeinert werden, weil dabei der Sauerstoffrestdruck in der Sputteratmosph/ire eine Rolle spielen dfirfte.

Zur Bestimmung von Konzentrationsgradienten k6nnen auch Messungen mit Signalen verschiedener Austrittstiefe herangezogen werden. Olefjord u. Brox [15] haben dieses Verfahren mit Sputterabtrag kombiniert, wobei sie zwecks m6glichst weiter Variation der Austrittstiefen sowohl ESCA als auch AES benutzten. Ihre Ergebnisse, die (nach Mitte- lung) in Abb. 3 dargestellt sind, diirften die bisher am besten abgesicherte Analyse einer Passivschicht darstellen. Es wirft ein Licht auf die heute erreichbare Mel3genauigkeit, dab die Ungleichheit zwischen positiven und negativen Ladungen nirgends gr613er war als 7%. In Abb. 3 ist die Ladungsba- lance als Randbedingung mitberiicksiehtigt.

Passivsehiehten auf ferritisehen (Fe-Cr-)Stiihlen

Die in Abb. 3 ersichtliche Anreicherung yon Cr im Oxid gegeniJber dem Anteil dieses Metalls in der Legierung ist ein genereller Zug der Passivschichten auf rostfreien St~ihlen; sie ist seit den ersten oberflfichenanalytischen Untersuchungen [16, 33] immer wieder best~itigt worden. Eine der ausfiihrlich- sten Untersuchungen stammt yon Asami u. Mitarb., vgl. Abb. 4 [34]. Ab der Schwelle ffir dauernde Passivierbarkeit, bei etwa 52,5% Cr, liegt der Cr-Gehalt im Oxidfilm stark fiber.jenem in der Legierung.

Ubereinstimmend wird auch festgestellt, dab vor allem in den/iugeren Partien der Oxidfilme wesentliche Mengen yon O H - vorhanden sind [16, 34, 36, 37]. Das Verh/iltnis von OH - zum Gesamtsauerstoff nimmt mit zunehmendem Cr-Gehalt des Filmes zu. Abbildung 5 zeigt eine Zusammen- stellung der Ergebnisse verschiedener Autoren. Es ist bisher nicht klar, ob hier Hydroxylionen anstelle von O z- in das Oxid eingebaut werden, wobei sie vielleicht als Wasserstoff- brtickenbildner zur Stabilisierung einer ,,amorphen" Struk- tur beitragen k6nnten, oder ob es sich um adsorbiertes Was- ser handelt. Offensichtlich ist das Auftreten von O H - im Film mit dem passiven Verhalten gekoppelt. Asami u. Mit-

Konzenfrafion [At.%] I00

MG

F 1 80-

60-

L,0-

20-

0 0

T

0 z-

. / "OH-'

No ~ - " - , "

s ~o ~'s [kl T

MetaL[ Metoll.-Grenzftbche E[ektrotyfm[3renzf[~che

Abb. 3. Beispiel einer besonders gut abgesicherten Schichtanalyse (Olefjord u. Mitarb. 1983 [15])

1,0

0,5 "

( )Fi,m

/ o s'o

Fe A f.~ I00 Cr

Abb. 4 Anteil des Chroms an den Kationen im Oxidfilm gegen Chromanteil in der Legierung (Asami u. Mitarb. 1978 [34], berechnete Kurve: Roll u. Fischmeister 1983 [35])

02-+OH- )FiLm 1.0

0,8 "

0,6-

0,4-

0,2-

o o,2 oi~ o.6 o,8 1.o

(Cr 3+/Geso.m fkofionen)Fitm

Abb. 5. Hydroxylanteil am gesamten Sauerstoffsignal in ESCA- Spektren von Passivschichten auf ferritischen Cr-Stfihlen mit ver- schiedenem Cr-Gehalt, als Funktion des Anteils yon Cr an den Kationen des Oxidfilmes. O, Olet]ord u. Fischmeister 1975 [16], sauerstoffges/ittigtes Wasser, Cr-Gehalt an der Filmoberfl/iche va- riiert w/ihrend der Ann/iherung an den station/iren Zustand. �9 Asami u. Mitarb. 1978 [34], 1 M H2SO~

arb. [34] fanden an der Schwelle zur dauernden Passivierbar- keit, bei 12,5% Cr, eine abrupte *nderung des Kurvenver- laufes ffir den OH--Antei l gegen den Cr-Gehalt der Legie- rung. Gleichzeitig findert sich das Verh/iltnis Fe 2 +/Fe 3+ im Film sprunghaft [38]. An der Oberflfiche einer auf reinem Cr gebildeten Passivschicht fanden Olefjord und Fischmei- ster [16] im ESCA-Spektrum ausschliel31ich OH . Die Syste-

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P a p e r s

matik, die sich hier abzeichnet, legt nahe, dal3 Hydroxyl- ionen ei.n integrierender Bestandteil der Passivschichten sein dfirften, und mehrere Autoren [33, 34, 3 9 - 42] haben gefol- gert, dab zumindest die/iul3erste Lage der Deckschicht aus Cr-Oxy-Hydroxid besteht. Zwar kann man aufgrund der oberfl/ichenanalytischen Ergebnisse adsorbiertes Wasser nicht ausschliel3en, aber ellipsometrische Untersuchungen vo.n Sugimoto und Matsuda [36] weisen aufdie Anwesenheit von Hydroxid an der Schichtoberfl/iche in situ bin.

Der Aufbau der Cr-Anreicherung im Oxidfilm vollzieht sich in Mineralsfiuren schnell [43], in neutralen Salzl6sungen langsamer [44] und in Wasser erst im Verlauf vMer Stunden [16, 45]. Wenn der Cr-Gehalt der Legierung oberhalb der Passivierbarkeitsschwelle liegt, kommt es zu einem stationfi- ren Zustand, in dem die Dicke und der Cr-Gehalt konstant werden [43, 44]. Da auch in diesem Zustand noch ein Aufl6- sungsstrom fliel3t, handelt es sich um ein dynamisches Gleichgewicht, bei dem st/indig Ionen die Schicht durch- queren und im Elektrolyten in L6sung gehen, ohne dab sich dabei die Zusammensetzung oder die Dicke der Schicht /indert.

In der Literatur liegen nun geniigend Daten vor, um einige quantitative und generelle Aussagen fiber die Schicht- eigenschaften in diesem stationfiren Zustand zu machen. Abbildung 6 zeigt, dab in Analogie zu den Verh/iltnissen beim reinen Eisen die Schichtdicke mit dem angelegten Po- tential linear w/ichst, sowohl nach elektronenspektroskopi- schen wie nach ellipsometrischen Messungen. Der Unter- schied zwischen den beiden MeBverfahren scheint systema- tisch zu sein: die Schichtdicken nach ESCA stehen zu den ellipsometrisch ermittelten in einem konstanten Verh/iltnis von etwa 1,5:1, was wohl der Unsicherheit der zur Auswer- tung verwendeten optischen Konstanten bzw. der Photo- elektronen-Austrittstiefe zugeschrieben werden darf.

In Abb. 7 sind Angaben verschiedener Autoren fiber den Chromgehalt und die Dicke von Passivschichten im station/iren Zustand ausgewertet. Sie unterscheiden sich hin- sichtlich des Potentials, bei dem die Schichten gebildet wur- den, zeigen aber gleichartigen Einflul3 des Cr-Gehaltes auf die Schichtdicke. Wenn man aus Angaben fiber die Poten- tialabh/ingigkeit der Schichtdicke bei verschiedenen Cr-Ge- halten jeweils die Feldst/irke E ermittelt,

E = u1)/(d2- d0, (5)

findet man einen einheitlichen linearen Zusammenhang (Abb. 8). Analog zu den Vorstellungen fiber die Passivit/it des Reineisens k6nnte man annehmen, dab die Schichtdicke durch die Tunnelleitffihigkeit bzw. durch die elektrische Durchschlagsfestigkeit des Oxids bestimmt ist [8]. DaB die elektrische Stabilitfit des Oxids mit steigendem Cr-Gehalt abnimmt, k6nnte mit dem h6heren Hydroxylgehalt chrom- reicher Schichten in Verbindung gebracht werden.

Qualitativ ist der erh6hte Cr-Gehalt der Oxidschichten schon von Rhodin [13], Kolotyrkin [46, 47] und von Oka- moto [33] mit der pr/iferentiellen Aufl6sung yon Fe gegen- fiber Cr im Elektrolyten erkl/irt worden. Eine quantitative Analyse ist aufgrund eines einfachen Modells m6glich, das von uns andernorts ausffihrlicher dargelegt wird [35].

Im station/iren Zustand mfissen alle Ionen, die den Film vom Metall her betreten, ihn auch wieder zum Elektrolyten hin verlassen. Hieraus folgt

-12 "23 .12 "23 JVe = J F e , J C r = J c r " (6)

642

Fi[mdicke [ A ]

15

10

Fi lmdicke [ ,~]

2O

d �9 Fe24Cr2Mo{6mln 10 -

d soo Pota r i so f ionspo fe nfi o [ [mV, SCE]

cl

30" Fe-Cr : : 15%Cr

6 Pola r isa f i onspo fen f i a [ [mV,SCE]

b Abb. 6. Abh/ingigkeit der elektronenspektroskopisch (a) und ellip- sometrisch (b) bestimmten Schichtdicke vom Potential nach Er- reiehung des station/iren Zustandes. Verschiedene St/ihle und Ver- suchsbedingungen [15, 36, 39-41, 43]

Fiimdicke [~ l

~ o t+O- ~o

30- ~

2O o,. 0'.6 o17 0.8 0',9 1.o

( Cr 3§

Abb. 7, Zusammenhang zwischen Dicke und Cr-Gehalt von Passiv- schichten, entnornmen aus (gegl/itteten) Angaben fiber Schichtdicke und Cr-Gehalt bei Elfstrfm [44] (3% NaC1, Quadrate) und Asami u. Mitarb. [34] (�9 = 500 mV, �9 = 100 mV, 1 M H2SO4)

Er3+ 1 Gesamfkafionen/Fitm

0,8

0,2- �9 0,6-

0,5 0,6 110 I;4xi0 7

Fe[dsl'~rke im Film [V/cm]

Abb. 8 Zusammenhang zwischen Feldst/irke und Cr-Gehalt der Passivschicht; Daten verschiedener Autoren [15, 34, 39-41, 43]

M i t j ~ wird die Anzahl der Atome bzw. Ionen von Cr und Fe bezeichnet, die pro Zeit- und Flficheneinheit die Grenzfl/i- che zwischen Metall (1) und Oxid (2) bzw. zwischen Oxid (2) und Elektrolyt (3) passieren. Bezeichnet man in analoger Weise die Konzentrationen (in Atomen/Ionen pro Raumein-

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heit, jeweils auf der Seite i) mit c~ und die Obergangswahr- scheinlichkeiten mit w ~, so gilt

j ~ . k ik i~ =J~i" cM" WM. (7)

Der Vorfaktor) Ok enth/ilt die Frequenz der Sprungversu- che fiber die Phasengrenzen. Gegenfiber .ik J M dfirfen die Sprfinge in Gegenrichtung, j~ , wegen der Irreversibilit/it der Reaktion vernachl/issigt werden. Aus G1. (6) und (7) erh/ilt man, wenn alleJ~ als ann/ihernd gleich betrachtet werden,

23 12 12 23 CCr CFe WCr WFe

. . . . . /3, (8) CFe WCr WFe

wobei zun/ichst often bleibt, ob/3 von den Parametern des elektroehemischen Systems abh/ingt.

Ffir die Atom- bzw. Kationenbrfiche x~ im Metall an der Grenzfl/iche zum Oxid bzw. im Oxid an der Grenzfl/iche zum Elektrolyten erh/ilt man

12 x2 ~ = /3" Xc~ (9)

( / 3 - 1) x~ 2 + 1 '

Der Parameter/3, der alle Obergangswahrscheinlichkei- ten enthfilt, ist nach G1. (9) aus oberfl/ichenanalytischen Messungen zu ermitteln. Aus den Daten yon Asami (Abb. 4) erh/ilt man/3 = 8,0, und zwar unabh/ingig vom jeweiligen Legierungsgehalt. Die Obereinstimmung dieses einfachen Modells mit den Mel3daten zeigt die durchgezogene Kurve in Abb. 4, die nach G1. (9) mit/3 = 8,0 berechnet ist. Da das aufgezwungene Potential bei gegebenem Legierungsgehalt nur die Schichtdicke beeinflugt, kann/3 innerhalb des Poten- tialbereiches der Passivit/it als unabh/ingig von den System- parametern angesehen werden.

Das Modell 1/igt sich sogar mit konstantem Wert von/3 auf das Aufbaustadium der Schicht anwenden. Nach Ergeb- nissen yon Olefjord u. Fischmeister [16] und anderen Auto- ren [48 - 50] scheint die bei der ersten Berfihrung des Metalls mit dem Elektrolyten gebildete Schicht eine Zusammenset- zung zu haben, die jener der Legierung sehr nahe entspricht, solange die bevorzugte Aufl6sung des Fe sich mangels Reak- tionsumsatz noch nicht geltend machen konnte. Mit fort- schreitendem Reaktionsablauf (gemessen durch den La- dungsdurchsatz ~idt) h/iuft sich immer mehr zurfickgebliebe- nes Cr in der Oxidschicht an, bis der station/ire Zustand erreicht ist. Megdaten fiir die Zeitabh/ingigkeit der Cr-Kon- zentration in der Oxidschicht einer Fe-Cr-Legierung mit 19,8% Cr [51] sind zusammen mit einigen Stfitzwerten ffir den Zeitverlauf des Aufl6sungsstroms von Leygraf u. Mit- arb. [43] publiziert worden. Die Strom-Zeit-Daten wurden durch eigene Messungen erg/inzt [52]. Die Obereinstimmung yon Experiment und Rechnung (Abb. 9) beweist, dab auch die Umbildungskinetik vom Initial- zum station/iren Zu- stand als Folge der bevorzugten Aufl6sung von Fe im Elek- trolyten quantitativ verstanden werden kann.

Nach G1. (9) errechnet sich der Kationenbruch des Cr im Oxidfilm ffir einen Legierungsgehalt yon 12,5 %, entspre- chend der Passivierbarkeitsschwelle, zu etwas fiber 50%. Das Modell der bevorzugten Aufl6sung von Fe wiirde auch unterhalb dieser Schwelle Oxidfilme mit Cr-Anreicherung entstehen lassen. In der Tat beobachtet man bei St/ihlen unter 12,5% Cr in gewissen Elektrolyten die vorfiberge- hende Bildung solcher Schichten, aber im Gegensatz zu den stabilen Filmen bei Legierungsgehalten fiber 12,5% Cr fah- ren diese Schichten fort, zu wachsen, wobei sich der ange- zeigte Cr-Gehalt erniedrigt [16, 44]. Dies deutet an, dab beim

Er3, ) Oesamtkafionen' Fi[rn

1,0 l

0,8-

0,6-

0,4.-

0,2-

0 0

S

,I [ , o'.s I s Po[arisafionszeif [hi

25

Abb. 9. Einschwingen der Schichtzusammensetzung in den stationfi- ren Zustand. MeBpunkte von Leygraf u. Mitarb. [43], �9 = 100 mV, O = 500 mV, 0,5 M H2SO4; Kurve berechnet: Roll u. Fischmei- ster [35]

Cr 3§ "~ 5esnmfkotionen I Film t,0-

0,8-

0,6-

0/+-

0,2-

0 0 lb 2'0 3'0 ~o so

Filmdicke [~,l

Abb. 10 Daten verschiedener Autoren [15, 16, 34, 39-41, 43] fiber Cr-Gehalte in Passivschichten auf ferritischen (O, B) und austenitischen (�9 [~) St/ihlen in verschiedenen Medien

weiteren Wachstum der Schicht vorwiegend Fe-Ionen einge- baut werden, was charakteristisch ffir das Erliegen der Passi- vit/it ist [44]. Stabil scheinen Passivschichten nur dann zu sein, wenn ihr Cr-Gehalt (ausgedrtickt als Kationenbruch) mehr als 50% betr/igt.

Passivschiehten auf austenitischen St~ihlen

Hinsichtlich der Cr-Anreicherung im Film verhalten sich austenitische St/ihle sehr fihnlich wie die Ni-freien ferriti- schen (Abb. 10). Nickel wird in den Oxidfilm nur in ganz geringen Mengen aufgenommen. Angezeigte Gehalte liegen meist unter 1% (bezogen auf die Summe der Kationen), der maximale Wert, der gefunden wurde, betrug 3,5% [41]. Die betr/ichtliche Streuung in Abb. 10 dfirfte zum Teil darauf zurfickzufiihren sein, dab der station/ire Zustand noch nicht erreicht war (die Zeitabh/ingigkeit der Schichtzusammenset- zung wurde oft nicht genfigend berficksichtigt). Nickel ver- mindert die Aufl6sungsstromdichte sowohl im aktiven als auch im passiven Potentialbereich [53], was die Einstellung des station/iren Zustandes verz6gern muB.

Bemerkenswert ist, dab in Abb. 10 kein MeBpunkt unter- halb 50% Cr im Film f/illt. Es best/itigt sich die an den ferritischen St/ihlen gemachte Feststellung, dab Filme mit Cr-Gehalten unter 50% nicht stabil zu sein scheinen.

Auch hinsichtlich der Schichtdicke bei gegebenem Poten- tial und pH scheint es zwischen austenitischen und ferriti- schen St/ihlen keine groBen Unterschiede zu geben. Unab-

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Page 6: Passivschichten auf rostfreien Stählen: Eine Übersicht über oberflächenanalytische Ergebnisse

Orig ina | P a p e r s

liJIil 'J[IJf] -Ni

( )

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.o] MetoLt Film E[ektrotyf

Abb. ll . Zusammensetzung der Passivschicht und der Metallphase zun/ichst dem Oxid bei einem austenitischen Stahl Fel9Crl 1Ni2Mo, I h passiviert bei 200 mV (SCE) in 0,1 M HC1 + 0,4 M NaC1 (Ole- fjord u. Elfstr6m [40])

h/ingig vom Substrat scheinen sich im wesentlichen die glei- chen Cr-Fe-Oxy-Hydroxidschichten mit /ihnlichen Eigen- schaften zu bilden.

Unterschiede zeigen sich hingegen in der Zusammenset- zung der/iul3ersten Metallschicht unter dem Oxidfilm. Hier wurde von Olefjord u. Elfstr6m [39-41], Asami u. Hashi- moto [54] sowie von Diekmann u. Mitarb. [55] eine kr/iftige Anreicherung des Nickels gefunden. Die Dicke der angerei- cherten Zone ist nicht gemessen worden, sie mug aber aul3er- ordentlich d finn sein. Die Bildung einer solchen Zone ist verst/indlich, wenn man annimmt, dab Nickel zwar/ihnlich leicht wie Eisen durch den Oxidfilm diffundiert und in den Elektrolyten fibergeht, dab aber der Obertritt vom Metall in das Oxid gehemmt ist. Dies w/ire mit Rficksicht auf die sehr unterschiedliche Sauerstoffaffinit/it von Fe und Ni gut vorstellbar. Abbildung 11 zeigt die Zusammensetzung der Passivschicht und des darunterliegenden Metalls bei einem austenitischen Stahl nach Ergebnissen yon Olefjord u. Elf- str6m [40]. Da Dicke und Konzentrationsverlauf in der An- reicherungszone unbekannt sind, ist die Abbildung schema- tisch so gezeichnet, als sei die ganze Oberkonzentration auf eine einzige Atomlage beschr/inkt. In Wirklichkeit mug man sich wohl ein abklingendes Konzentrationsprofil vorstellen, /ihnlich dem Fremdatomstau an einer Umwandlungsfront.

Aus Abb. 11 ist ersichtlich, dab auch Cr und Mo in der /iugersten Metallschicht angereichert sind. SteUt man ffir den Obergang vom Metall in das Oxid Oberlegungen in Analogie zu G1. ( 6 - 9 ) an, so finder man, dab ein solcher Stau immer dann entstehen mug, wenn die Obergangsraten der Elemente vom Metall in die Oxidphase nicht genau gleich sin&

Ein/ihnlicher Stau bildet sich auch aus, wenn austeniti- sche St/ihle neutralem, sauerstoffges/ittigtem Wasser ausge- setzt werden [45]. Hier 1/iuft der Vorgang so langsam ab, dab er gut verfolgt werden kann. Es zeigt sich, dab die Anreicherung von Ni, Cr und Mo in der/iugersten Metall- schicht synchron mit dem Aufbau der Cr-Anreicherung im Oxidfilm dem station/iren Zustand zustrebt.

(0ber die Rolle des Molybd/ins beim Aufbau der Passiv- schichten gibt es sehr widerspriichliche Angaben. Abbil- dung 11 zeigt, wie auch schon Abb. 3, dab dieses Element durchaus in die Oxidschicht eingelagert werden kann. Der elektronenspektroskopische Nachweis von Mo in Passiv-

schichten ist aus den im Abschnitt fiber die Methodik dargelegten Grfinden schwierig und die Genauigkeit der Konzentrationsbestimmung ist schlecht, um so mehr, als Mo in rostfreien St/ihlen immer nur eine Minoritfitskomponente (bis 4 Gew-%) darstellt. Die Ergebnisse der bisherigen Un- tersuchungen sind kfirzlich yon Goetz und Landolt zusam- mengefal3t worden [56]. Bei der Analyse von Tiefenprofilen durch Sputtern bleibt Mo bevorzugt an der Oberfl/iche zu- rfick. Dies mul3 durch besondere Eichverfahren beriicksich- tigt werden. Mit solchen VorsichtsmaBregeln ausgeffihrte AES-Untersuchungen stimmen mit ESCA-Untersuchungen fiberein, bei denen die Tiefenverteilung der Elemente ohne Sputtern ermittelt worden war. Sie zeigen, dab hinsichtlich der Mo-Anreicherung zwei Bereiche zu unterscheiden sind: bei niedrigen Potentialen im passiven Bereich ist Mo im Film stark vertreten, bei h6heren nur wenig [40, 57]. ESCA- Untersuchungen von Olefjord u. Mitarb. [15, 40, 45] zeigen, dab das Molybd/in in drei Ladungszustfinden vorliegt: als Mo 4+, Mo 6+ und in einem Zustand, der eine chemische Verschiebung zwischen dem vier- und dern sechswertigen Ion aufweist und yon Olefjord als charakteristisch ffir die Bindung in Oxy-Hydroxid bezeichnet wird (vgl. auch Abb. 1). Dieser Zustand tritt vorzugsweise bei niedrigen Po- tentialen auf, w/ihrend bei h6heren der sechswertige fiber- wiegt [40].

Es ist noch ungekl/irt, inwiefern der Defektzustand und damit die Transporteigenschaften des Oxidfilms durch den Einbau von Molybdfin ver/indert werden. Eine Beeinflus- sung der Filmeigenschaften erscheint grunds/itzlich denk- bar: die Tendenz des Mo zu Bildung von Oxy-Hydroxiden k6nnte den Film stabilisieren [15, 45, 58], vielleicht auch die Obertrittswahrscheinlichkeit der anderen Elemente von der Oxidoberfl/iche in den Elektrolyten verringern. Dennoch ist die ursprfinglich yon den meisten Verfassern verfolgte Hypothese, dab die Verbesserung des Passivit/itsverhaltens rostfreier St/ihle durch den Einbau dieses Legierungselemen- tes in die Passivschicht zustandek/ime, heute weitgehend verlassen worden, u'.a. deswegen, weil zwischen dem Loch- fral3widerstand und dem Mo-Gehalt im Film keine Korrela- tion gefunden wird [42, 57].

Die Ergebnisse von Olet]ord u. Mitarb. lenken die Auf- merksamkeit besonders auf die Anreicherung des Mo in der /iul3ersten Metallschicht. Bei einem Austenit mit 22% Cr, 17% Ni und 3,6% Mo wurde eine Anhebung des Mo-Gehal- tes in dieser Schicht auf das siebenfache des Legierungsge- hares beobachtet [40], immer unter der Annahme, dab die l~lberschul3konzentration auf eine einzige Atomlage be- grenzt sei. Zwischen der Anreicherung yon Mo u n d der von Cr scheint es einen Synergismus zu geben. Olefjord hat in diesem Zusammenhang die Hypothese aufgestellt, dab sich an der Metall/Oxid-Grenzfl/iche eine besonders stabile Zu- sammensetzung nach Art einer intermetallischen Phase, etwa/ihnlich Sigma, ausbilden dfirfte [40, 57]. Olefjord und Mitarb. [15, 40, 59] haben gezeigt, dab es in der aktiven Phase, die von einer blanken Metalloberfl/iche auf dem Weg zum passiven Potential notgedrungen durchlaufen werden mul3, zu einer besonders kr/iftigen Anreicherung von Molyb- d/in und Chrom in der Stauzone an der Metalloberfl/iche kommt.

Aus diesen Beobachtungen ergibt sich das folgende, einstweilen noch sehr spekulative Bild v o n d e r Wirkungs- weise des Molybd/ins und des Nickels in den hoch-korro- sionsbest/indigen Stfihlen: dank der Anreicherung der bei- den Elemente in der /iugersten Schicht des Metalls unter

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Or gina|arbeiten

dem passivierenden Oxidfi lm verringert sich zun/ichst die fJbertr i t tsrate der fibrigen Elemente in das Oxid und weiter in den Elektrolyten; die Aufl6sungsstromdichte sinkt. Wenn bei einsetzendem LochfraB die Schutzschicht punktweise durchbrochen wird, trifft der Elektrolyt auf eine Metal lober- fl~iche, deren Zusarnmensetzung wesentlich edler und schnel- ler repassivierbar ist als die des Grundmetal ls . Da Nickel im Oxidfilm nicht in nennenswerten Mengen vorkommt , ist anzunehmen, dab seine Wirkungsweise haupts/ichlich mit der Anreicherung in der fiul3ersten Metallschicht verknfipft ist. Bei Molybd/ in mul3 noch often bleiben, inwiefern sein Einbau in den Oxidfi lm zusfitzlich zur Verbesserung der Korrosionsbest / indigkei t beitr/igt.

Zur wichtigen Frage nach dem Mechanismus des Erlie- gens der Passivschicht durch Lochfral3 hat die Oberflfichen- analyt ik bisher nur wenig beitragen k6nnen - nicht zuletzt deswegen, weil Ger/ite mit genfigender Ortsaufl6sung ffir die Untersuchung von Pits in den frfihen Stadien ihrer Entwick- lung erst seit kurzem verffigbar sind. Okamoto [60] hat spe- kulat'iv einen Mechanismus vorgeschlagen, nach dem der Einbau von Chlor ionen im Austausch gegen gebundenes Wasser ffir die Keimbi ldung des punktweisen Zusammen- bruchs der Schutzwirkung verantwort l ich ist. Diese Vorstel- lung spielt auch eine wesentliche Rolle in dem von Hoa r [61] schon friiher entwickelten Bild. Chlor wird jedenfalls schon vor Einsetzen des Lochfral3es in die Passivschichten einge- baut , wie von da Cunha Belo u. Mitarb. [62] mittels AES und von Elfstr6m [44] mittels ESCA gezeigt wurde.

Zusammenfassend da f t man feststellen, dab der Einsatz oberfl/ ichenanalytischer Methoden in den letzten 10 Jahren sehr wesentlich zur Konkret is ierung und Vertiefung unserer Vorstellungen fiber die Passivitfit der rostfreien St/ihle beige- tragen hat.

Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft fiir die F6rde- rung eines Projektes, in dessen Rahmen diese Arbeit entstanden ist.

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