16
Samuel Pepys magazin – ausgabe nr.1 Zum ersten Mal: Samuel Pepys DieTagebücher 1660 – 1669 Vollständige Ausgabe in 9 Bänden nebst einem »Companion«. Deutsche Erstausgabe im Haffmans Verlag bei www.Zweitausendeins.de »Daß ein Buch wie das Tagebuch des Samuel Pepys überhaupt existiert, ist im Grunde ganz unbegreiflich. Ein rares Wunderwerk.« Robert Louis Stevenson

Pepys Magazin 1

Embed Size (px)

DESCRIPTION

First of three magazines about Samuel Pepys, in german.

Citation preview

Page 1: Pepys Magazin 1

Samuel Pepysmagazin – ausgabe nr. 1

Zum ersten Mal:

Samuel PepysDieTagebücher

1660– 1669Vollständige Ausgabe

in 9 Bändennebst einem »Companion«.Deutsche Erstausgabe im

Haffmans Verlagbei www.Zweitausendeins.de

»Daß ein Buch wie das Tagebuch des Samuel Pepys überhaupt existiert, ist im Grunde ganz unbegreiflich. Ein rares Wunderwerk.« Robert Louis Stevenson

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:55 Uhr Seite 1

Page 2: Pepys Magazin 1

»Nie zuvor haben wir eine so reiche Darstellung des Innerneines Menschen gesehen wie in diesen Bänden.«

Sir Walter Scot t

»Das intimste Erlebnisprotokoll, das bis dahin je einMensch geschrieben hatte … Das Tagebuch zeigt eineungemein entwickelte Fähigkeit zur Registrierung vonDetails. Zum ersten Mal sehen wir die mikrologische Optik,die dem Alltag ästhetischen Reiz abgewinnt. Es ist dieseOptik, die die Voraussetzung für die Entstehung desRomans darstellt.« Dietrich Schwanitz, »Englische Kulturgeschichte«

»Von der ersten Seite an ist das Tagebuch so vieles zugleich,daß einem schwindelig werden kann. Es ist eine zeitge-schichtliche Chronik: Londoner entzünden Freudenfeuer,weil sie ein verhaßtes Parlament losgeworden sind; die wildenFeiern, die auf die Wiedereinsetzung des Königs folgen.Es ist aber auch der erste ausführliche und unmittelbare Erlebnisbericht eines Mannes, der seine ersten unsicherenSchritte in der Berufswelt unternimmt und zu seiner Überraschung feststellt, daß ihm die Arbeit allergrößte Befriedigung verschafft. Es liefert eine Fülle von Details ausseinem Berufsalltag, aber auch aus seinem häuslichen Alltag.Es ist voller Musik,voller Theaterstücke und Predigten,es wimmelt von Gemälden, Büchern und wissenschaftlichenGeräten. Es ist eine Geschichte von Ambitionen und wachsendem Wohlstand. Geld ist denn auch ein immerwiederkehrendes Thema: wie es hergestellt wird, wie es geliehen und verliehen, ausgegeben und gespart wird und

wie man es versteckt. Geld in jeder Form: in Form von Gold-stücken und Säcken voller Silber, als Schiffsladung mit Gewürzen und Seide, in Form von Bestechungsgeldern,Löhnen, Schulden, Darlehen und Erbschaften oder in Formvon Kerbhölzern des Schatzamts (Stöcken aus Haselnuß-holz, auf denen die Höhe jedes Darlehens an den Staat eingekerbt wurde) oder in Form erster Banknoten. Zu Beginn des Tagebuchs besitzt Pepys kaum £25; am Ende,knapp zehn Jahre später, beträgt sein Vermögen £10 000.«

Claire Tomalin, »Samuel Pepys – The Unequal l ed Sel f«

»So wie Louis Armstrong zur Trompete und Picasso zumPinsel gegriffen hat, so hat Pepys sich seinem Tagebuch gewidmet.« Independent on Sunday

»Unser größter Tagebuchschreiber.« J. H. Plumb, Spec tator

»Pepys war – mit seiner unerschöpflichen Energie, seinerLebendigkeit, seiner Beobachtungsgabe – ein ganz und gar außergewöhnlicher Mensch mit einem ganz und gar gewöhnlichen Geist. So pflegen wir uns ein Genie nicht vorzustellen, und doch ist es diese Mischung, die das Tage-buch zu dem Werk eines Genies macht. Wer hat die Viel-gestaltigkeit der Welt so unvergeßlich eingefangen wie er –ein Ritt am Morgen bei klarem Frost, zwei Mädchen im Park,

London Bridge von Claude de Jongh, um 1639.

London Bridge von Claude de Jongh, um 1639.

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:55 Uhr Seite 2

Page 3: Pepys Magazin 1

die um die Wette laufen, der Ärger im Büro, der Streit imEhebett? Er war vielleicht ein Karrierist, ein rücksichtsloserLüstling, berechnend und egoistisch, aber er vermochte eswie kein zweiter, das pulsierende Leben einzufangen.«

Ferdinand Mount , The Times Li t erar y Supplement

»Sex, Alkohol, Feuer, Musik, Ehekrisen, der Sturz von Königen, Korruption und Zivilcourage, Kriege, Seefahrt,öffentliche Hinrichtungen, Kerkerhaft im Tower: das Lebendes Samuel Pepys ist voller unwiderstehlicher Details.«

Hermione Lee

»Das große Vergnügen, das uns die Pepys-Lektüre bereitet,ist das Vergnügen, das Pepys sich selbst bereitet bei seinenLebenserkundungen … Das Pepys’scheTagebuch ist der genüßliche Lebensbericht nicht des historisch bedeutendenMarinebeamten, sondern des unermüdlichen Hedonisten.«

The Guardian

»Trotz der zahlreichen banalen Einzelheiten, der vielen Bemerkungen über Freunde und Kollegen,der Freude an derexakten Wiedergabe von Situationen und Gesprächen wirktPepys nicht geschwätzig und klatschsüchtig. Denn nebeneiner glänzenden Beobachtungsgabe und scharfen Zungebesitzt er auch Gerechtigkeitssinn und einen Blick für dasrechte Maß.« Jörg Drews, »Kindlers Neues Li t eraturlexikon«

»Pepys berührt immer wieder wie ein großer realistischer Romanautor, der Jahrhunderte zu früh geboren wurde.Das hängt zum Teil mit dem Stoff selbst zusammen: Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der mit Charme

und Geschick die Karriereleiter erklimmt. Das ist kein Stoffdes 17. Jahrhunderts, sondern der Stoff eines Thackeray oderBalzac. Und Pepys’ Unterfangen, das tägliche Erleben in seiner Totalität darzustellen, begegnet uns im Grunde erstwieder bei Joyce oder in den Tagebüchern von Virginia Woolf. Man könnte eine Zeitleiste ziehen, wann der englische Roman welchen Raum im bürgerlichen Haushaltbetrat: Im 19. Jahrhundert begab er sich vom Wohnzimmerin die Küche, danach ging es ins Schlafzimmer, und zu Anfang des 20. Jahrhunderts betrat er zum ersten Mal das Badezimmer und das Klo. Ein langsamer Prozeß der Inbesitznahme. Pepys ist lange vorher in jeden einzelnenRaum gegangen, und er hat uns alles erzählt.«

Phil ip Hensher, The At lant i c Monthly

»Ich=für=mich habe mir alles, was in Tagebuch=Form auf-tritt, seit langem schon in 4 Klassen eingeteilt; und, daß iches nur frei heraus sage: keine davon taugt sonderlich viel. –Trotzdem habe auch ich in dieser Gattung, selbstredend,meine relativen Lieblinge. / Angefangen beim ›König‹ SAMUEL PEPYS –: ›1 seidenen Frack gekauft, der michviel Geld kostet; anschließend zu GOtt gebetet, daß er michinstand setzen möge, ihn abzubezahlen.‹ – bedeutendere,in Deutschland noch ganz ungekannte Stellen zu zitieren,verhindern mich unsere g’schamig verschmitzten Presse-gesetze.« Arno Schmidt , »Das Tagebuch und der moderne Autor«

»Helmut Schmidts Ferienlektüre: Das Tagebuch des SamuelPepys. Der Bundeskanzler nahm es an den Brahmsee mit.«

Der Spiege l

Blick auf London, um 1660.

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 14:05 Uhr Seite 3

Page 4: Pepys Magazin 1

»Es gehört durchaus nicht zu den Pflichten des Herausgeberseines anerkannten Klassikers, darüber zu entscheiden, ob etwas „die Geduld

des Lesers überstrapazieren“ könnte oder nicht. Wir wollen wie gebildeteMenschen und nicht wie Kinder behandelt werden.«

Robert Louis Stevenson

»Pepys schrieb nicht nur über Newton und Shakespeare,sondern auch über seine ständige Lust und Liebe, andereFrauen anzumachen und zu verführen, und über seine Eifer-sucht, wenn seine hübsche Frau alleine mit dem Tanzlehrerzu Hause war, und er prüfte, ob das Bett zerwühlt war. Seine Tagebücher sind so freizügig wie Casanovas Memoiren.«

Hellmuth Karasek , Hamburger Abendblat t

»Als sie Anfang des 19. Jahrhunderts in England entdecktworden waren, waren sie eine Sensation. Und das sind sieheute auch.« Volker Weidermann, FAS

»Niemand hat je seine Zeit so vollständig und so vielseitigabgebildet wie der erste Privatmann der Literaturgeschichte.«

Roger Wil l emsen

»Bunter, ausschweifender und wechselvoller als das Lebenvon Samuel Pepys lässt sich keine Biografie denken.«

Felic i tas von Lovenberg , FAZ

»Das nennen Sie Pepys’ Tagebuch?

Das ist nicht Pepys’ Tagebuch, das ist die elende Zusammenstellung von Exzerpten aus Pepys’ Tagebuch, herausgegeben von irgendeinem übereifrigen Kerl, der in der Hölle verfaulen möge! Ich könnte ausspucken davor!Wo ist der 12. Januar 1668, als ihn seine Frau aus dem Bettjagt und mit einem glühend heißen Feuerhaken quer durchs Schlafzimmer verfolgt?

Wo ist Sir Penns Sohn, der allen mit seinen Quäker-Vorstellungen so sehr zu schaffen macht?

Eine Erwähnung bekommt er grade mal in diesem soge-nannten Buch, und das mir, die ich aus Philadelphia bin!

Ich füge zwei abgeschabte Dollar-Scheine bei. Ich werdemich mit diesem Ding behelfen, bis Sie mir einen richtigenPepys finden. Und dann, dann werde ich dieses Ersatzbuchauseinandernehmen, Seite für Seite, und Sachen darin einwickeln.«

Helene Hanff , »84 , Charing Cross Road«Aus dem Amerikanischen von Rainer Mori tz

The East India Company’s yard in Deptford, 1660.

Blick auf Greenwich von Hendrick Danckerts, um 1669.

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:55 Uhr Seite 4

Page 5: Pepys Magazin 1

Wer warSamuel Pepys?Samuel Pepys [sæmjuel pi:ps] wurde 1633 alsSohn eines Schneiders in London geboren.Er besuchte die St.-Paul-Schule in London undstudierte am Magdalene [mo:dlin] College inCambridge. 1655 heiratet er. Etwa zur gleichenZeit tritt er in die Dienste eines adligen Vettersein, Edward Mountagu, des späteren erstenGrafen von Sandwich. 1660 beginnt SamuelPepys, ein Tagebuch zu führen. Fast zehn Jahrelang, bis Ende Mai 1669, hält er jeden einzelnenTag fest – und erschafft ein literarisches Werkohnegleichen.

Pepys schildert als Augenzeuge und aus ersterHand die Ereignisse einer der aufregendstenEpochen der englischen Geschichte – die Rück-kehr zur Monarchie nach zwölf Jahren Cromwell-Republik, den Ausbruch der Pest im Jahr 1665,den großen Brand von London im Jahr 1666,den zweiten englisch-holländischen Seekrieg.

Auf nie zuvor dagewesene Weise verknüpft Pepysdie große Weltgeschichte mit seiner nicht min-der ereignisreichen privaten Lebensgeschichte,berichtet von seinem beruflichen Aufstieg imNavy Board, dem britischen Flottenamt, von den Wonnen und Qualen, die der wachsendeWohlstand mit sich bringt, von seiner großenLeidenschaft für die Musik, das Theater,die neuen Wissenschaften, für gutes Essen undschöne Bücher und nicht zuletzt für Frauen.

Pepys ging mit weit geöffneten Augen durchsLeben, seine Neugier kannte keine Grenzen, seinWissensdurst war unstillbar. Ihn interessiertedas Leben in all seinen Aspekten. Davonsprechen konnte er nur im Tagebuch: Über-schäumend vor Details, erschütternd-komisch in seiner rückhaltlosen Offenheit, schildert es dieerstaunlich moderne Geschichte eines jungenMannes, der sich seinen Platz in der Welt erobert.

Samuel Pepys verfaßte seine Tagebuchaufzeich-nungen in einer von Thomas Shelton entwickel-ten Kurzschrift.Von 1660 bis 1669 füllte ersechs Schreibbücher, die er binden ließ und inseine Bibliothek integrierte, an der er als leiden-schaftlicher Büchersammler sein Leben langarbeitete: 3’000 einheitlich gebundene undkatalogisierte Bände, die nach seinem Tod(1703) in den Besitz des Magdalene College in Cambridge übergingen.

Erst über hundert Jahre später wird man auf dieTagebücher aufmerksam. Drei Jahre dauert diemühevolle Arbeit des Transkribierens. 1825 er-scheint eine erste Auswahledition. Das Tagebuchmacht seinen Verfasser schlagartig berühmt.Zu den frühesten Bewunderern zählen Sir WalterScott und Samuel Taylor Coleridge. Das große Interesse der Öffentlichkeit macht zahlreiche erweiterte Neuausgaben notwendig. Eine ersteGesamtausgabe, die den Namen verdient,erscheint von 1893 bis 1899 in acht Bänden.

Doch auch sie ist gekürzt – um die erotischenPassagen, die dem viktorianischen Publikumnicht zuzumuten sind. Fast ein weiteres Jahr-hundert muß vergehen, bis die erste und einzigevollständige, historisch-kritische Ausgabe vonRobert Latham und William Matthews er-scheint, von 1970 bis 1983, die von der Timeszu Recht als eine verlegerische Großtat und editorische Meisterleistung gepriesen wurde.Jetzt wird ein KnabenmorgenblüthentraumWirklichkeit. Der ganze Pepys erscheint aufdeutsch. Kein kleiner Pepys, keine Auswahl,kein weiteres Stück- und Flickwerk, sondernDie Tagebücher des Samuel Pepys komplett.Erst das vollständige Tagebuch mit Pepys’Eintragungen Tag für Tag, Jahr um Jahr, fast einJahrzehnt lang, erzählt den ganzen Romanseines Lebens.

340 Jahre nach seiner Niederschrift, 110 Jahrenach der ersten nennenswerten englischen und25 nach der ersten vollständigen historisch-kritischen Originalausgabe erscheinen SamuelPepys’ Tagebücher vollständig auf deutsch.Auf total 4’416 Seiten. Fünf Jahre Arbeit fürsechs Übersetzer und einen Lektor.

Nur knapp 20% der Tagebücherliegen bisher in verschiedenen,sich überschneidenden Auswahl-bänden auf deutsch vor.

Im August 2010 erscheinen Die Tagebücher desSamuel Pepys, von der ersten Eintragung am 1. Januar 1660 bis zur letzten am 31. Mai 1669,zum ersten Mal vollständig auf deutsch.

Aus dem Englischen übersetzt von Georg Deggerich, Michael Haupt,Arnd Kösling,Hans-Christian Oeser, Martin Richter und Marcus Weigelt.Nach der Latham-&-Matthews-Editionmit Anmerkungen und Karten eingerichtet,redaktionell begleitet und überwachtvon Heiko Arntz.

Dazu ein »Samuel Pepys Companion« mit demgrundlegenden Aufsatz zum Thema von RobertLouis Stevenson („Der klügste Aufsatz, der je zuPepys geschrieben wurde“, Claire Tomalin),mit Stammbaum, Entschlüsselung des erotischenVokabulars, Chronik, ausführlichem Personen-verzeichnis und Materialien in Wort und Bild, her-ausgegeben von Heiko Arntz & Gerd Haffmans.Neun schöne Bände und der »Companion« als Broschur. Mit eigens gefertigten Umschlag-bildern von Jonathan Wolstenholme.

Die Tagebücher des Samuel Pepysvon der ersten Eintragung am 1. Januar 1660 bis zur letzten am 31. Mai 1669

Blick auf Whitehall Palace und St James’s Park von Hendrick Danckerts, um 1685.

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:55 Uhr Seite 5

Page 6: Pepys Magazin 1

daß ich seither an nichts anderes denken konnte als an dieSchuld, die ich mir selbst an dem Desaster zuschreibenmuß, und der bloße Anblick bereitete mir nicht wenigerPein, als würde ich mich in Michelangelos Hölle wieder-finden. Dies möchte auch als Entschuldigung dienen,warum ich nicht früher Euer großes Geschick gelobt habe,mit dem Ihr die Zeichnung anfertigtet, wie es die Höf-lichkeit geboten hätte. Aber es ist gewiß nicht Höflichkeit,die mich viel eher wünschen läßt, daß diese Eure Zeich-nung Platz im Oberhaus fände, dort wo bislang derWandteppich die Armada zeigt, zur ewigen Mahnung, biswieder der Geist jener Zeit in unserem Land herrscht, in dernoch Gottes Segen auf unserem Tun ruhte, was für unserZeitalter, wie ich fürchte, nicht gilt.«

Dieser Brief ehrt seinen Verfasser, aber entscheidend istnicht so sehr der Wortlaut, sondern der Gestus. So wolltePepys von seinen Zeitgenossen gesehen werden, als jemand,der so denkt, sich so ausdrückt. Wenden wir uns nun demTagebuch zu, durch das er in späteren Generationen be-rühmt wurde. Der Eintrag vom selben Tag beginnt inderselben Tonart wie der Brief: er verurteilt »die großeVerblendung des Unterhauses« und »die schändliche Hand-lungsweise des Oberhauses«. Und dann, ohne jeden Über-gang, fährt unser Tagebuchschreiber fort: »Von dort zumeinem Buchhändler an der Strand, wo ich eine Stundeblieb und das schändliche, unzüchtige Werk L’Ecole des filleskaufte, aber nur einfach gebunden, weil ich entschlossenbin, es nach dem Lesen sofort zu verbrennen und es nichtins Bücherverzeichnis und in meine Bibliothek aufzunehmen,

Samuel Pepys Magazin Nr. 1Seite 6

Robert Louis Stevenson

Ein unverwechselbares Ich

Dieser ganz und gar einzigartige Mann – ist einzigartig ausdrei guten Gründen:

erstens, weil ihn zu Lebzeiten ein Nimbus von gerade historischem Gepräge umgab, während wir das Gefühl haben,mit ihm fraternisieren zu können;

zweitens, weil er in der hohen Kunst oder Tugend derSelbstoffenbarung die gesamte Konkurrenz weit hinter sichgelassen hat; und

drittens, weil er zugleich ein ganz normaler Mensch warund sich doch der Öffentlichkeit präsentiert in einer Detail-fülle und Umfassendheit, die ein Genie wie Montaignewohl vor Neid erblassen lassen müßte.

Nicht nur um seiner selbst willen verdient Pepys daherunser anhaltendes Interesse und intensives Studium, sondern weil dieser einzigartige Mensch mit seinem einzig-artigen Talent das Einzigartige des menschlichenGeschlechts insgesamt zu beleuchten im Stande war.

Das TagebuchDaß ein Buch wie das Tagebuch des Samuel Pepys über-haupt existiert, ist im Grunde ganz unbegreiflich. Pepysverkörperte in einer korrupten, dem Laster verfallenen Zeitden unbestechlichen, fleißigen Beamten. Vieles von demWenigen, was sich Gutes über James den Zweiten sagen läßt, geht, wenn man ehrlich ist, auf das Konto von Pepys.Für einen König mag es wenig sein, für einen Untertan ist es sehr viel. Die Seemacht England verdankt seinem klardenkenden, regen Verstand nicht wenig. Noch die späterenHeldentaten eines Hawke, Rodney oder Nelson wären ohneihn schlecht denkbar. Samuel Pepys hielt im Jahr des großenBrandes von London bis zuletzt die Stellung im Flottenamt.Er wurde von einigen der größten Köpfe seiner Zeit geliebtund verehrt. Er war Vorsitzender der Akademie der Wis-senschaften (der Royal Society). Von seiner Sterbestundehieß es, er sei so würdig gestorben, wie er gelebt habe, unddamit war alles gesagt. Er führte in der Tat ein würdigesLeben, zuweilen begleitet von Leibgardisten, während Un-tergebene sich vor seiner Allongeperücke beugten, undwenn er sich äußerte, dann in wohlgesetzten Worten, dieseinem Rang und Stand entsprachen. Am 8. Februar 1668schreibt er an John Evelyn einen kurzen Brief. Es geht umden holländischen Krieg, und Pepys vergleicht verbittert diejüngsten Ereignisse mit der einstigen glücklichen Zerschla-gung der spanischen Armada im Jahr 1588: »Sir, ich hoffe,Ihr werdet mir verzeihen, daß ich mich nicht früher für EureZeichnung bedankt habe, die Ihr mir bereits vor längeremzusandtet und die zeigt, wie die Holländer ungehindert aufdem Medway vordringen konnten, wenn ich Euch erkläre,

Samuel PepysTagebücher 1660

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:55 Uhr Seite 6

Page 7: Pepys Magazin 1

Samuel Pepys Magazin Nr. 1Seite 7

22. April 1661: Umzug des Königs vom Tower nach Whitehall.

23. April 1661: Krönungszeremonie in Westminster-Abbey.

um meinen Büchern keine Schande zu machen, wenn esdort gefunden wird.« Selbst heute, wo die Dienstpflicht vielstärkeren Kontrollen unterliegt, verdiente der Briefschreibernoch unsere Achtung. Doch was soll man bitte zu dem Tage-buchschreiber sagen, der nicht nur ein unzüchtiges Buchkauft, sondern der sich dessen schämt, der es aber dennochtut und dann beides ins Tagebuch schreibt – daß er es tutund daß er sich schämt.

Jeder von uns, ob er schreibt oder spricht, muß eine gewisseHaltung annehmen, wenn er sich an ein Gegenüber wendet.Bei verschiedenen Gegebenheiten erleben wir uns sehr ver-schieden, wir sind fröhlich mit dem einen, ernst mit demanderen, je nachdem wie es die Art der Beziehung und dieSituation erfordert. Es geht dabei nicht um Verstellung,denn der Mensch ist ein wandelbares, unbeständiges We-sen, ist Teil einer Umwelt, die ihn fortwährend verändert,und diese Anpassungsfähigkeit ist das beste, was einer in derSchule des Lebens lernen kann. Wer zu jedem Zeitpunktunverrückbar auf seinem Standpunkt beharrt, oder wer ge-radlinig wie ein Tambourmajor durchs Leben marschiert, isteine Plage für seine Mitmenschen und ein Narr dazu. Aberfür wen nimmt Pepys in seinem Tagebuch eine bestimmteHaltung an, und wie soll man diese Haltung charakterisie-ren? Hätte er das unzüchtige Buch einfach nicht erwähntoder hätte er es gekauft und sich dessen heimlich gefreutund diese Freude dann im Tagebuch notiert, wir hätten ihnnur zu gut verstanden. Aber nein, er ist ängstlich darauf be-dacht, die »Schande« des Buchkaufs zu verbergen, und kannes doch nicht lassen, die ganze Angelegenheit schwarz aufweiß festzuhalten. Das Verhalten der Menschen ist wider-sprüchlich, was auch an einer anderen Stelle im Tagebuchsehr deutlich wird.

Mrs. Pepys hat ein Schreiben verfaßt, in dem sie ihre nurallzu berechtigten Klagen über ihren Ehemann in klarenWorten und in aller Schärfe zusammengefaßt hat. Pepysgerät in Panik, entreißt es ihr brutal und vernichtet das ver-räterische Dokument, auf daß es ja niemand zu sehenbekommt. Und dann – man traut seinen Augen nicht – lan-det die ganze Geschichte im Tagebuch, ungeschönt und mitallen grausamen Details. Ganz offensichtlich ist ihm nichtswichtiger, als seinen guten Ruf zu wahren, und doch hält ersich ein Tagebuch, in dem er beweist, daß er diesen gutenRuf kaum verdient. Das mag uns für einen Moment an dieselbstquälerische religiöse Bekenntnisliteratur der Zeit er-innern, aber doch nur für einen Moment. Pepys will durch-aus nicht erbaulich sein, die Niederschrift seiner vielenkleineren und größeren Sünden ist keine Form der Buße,wenn er auch immer wieder seine Handlungen bereut – undauch das muß gesagt sein: auf seine ehrliche Reue folgthäufig eine deutliche Besserung. Nein, die Sünden der reli-giösen Bekenntnisliteraten folgen einem sehr gleichförmigenSchema, und der Ton, in dem sie vorgetragen werden, istgeflissentlich zerknirscht. Bei Peyps erleben wir vielmehr,wie sich einer schlicht und ergreifend danebenbenimmt, inseinem Blick sehen wir ein Funkeln, von dem wohl alleinPepys nichts ahnt. Gesunde Wutausbrüche der triebhaftenSorte, lächerliche Versuche, sich selbst etwas vorzumachen –ein Verhalten, das nur allzugut nachvollziehbar ist und oftunser Mitleid verdient.

Samuel PepysTagebücher 1661

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:55 Uhr Seite 7

Page 8: Pepys Magazin 1

Samuel Pepys Magazin Nr. 1Seite 8

sie zu einem jährlichen Fest- und Gedenkessen einlud, auchnoch, als er in die höheren Kreise aufgestiegen war. WederHazlitt noch Rousseau hatten eine romantischere Beziehungzu ihrer Vergangenheit, sie haben sie allenfalls mehr roman-tisiert. Und wenn Pepys mit beiden Autoren diese kindlicheBegeisterung teilte – teilte nicht ebenso Rousseau, der unsseine Bekenntnisse hinterließ, wie Hazlitt, der sein LiberAmoris mit überschäumender Liebe zum Detail schrieb, mitPepys das Selbstherrliche, den Egoismus? Denn beidesgehört zusammen, oder genauer: das erstere macht das letz-tere erst möglich oder genießbar.

Um Pepys wirklich gerecht zu werden, müssen wir uns nocheinmal in die Welt des Kindes versetzen. Ich weiß noch, daßich in mehr als einem Buch auf dem Vorsatzpapier notierthabe, wann und wo ich es gelesen habe, oder ob ich vielleichtgerade krank war und im Bett lag oder irgendwo im Gartensaß. Es war dies für mein späteres Ich gedacht. Ich dachte, eswäre gewiß ergreifend, wenn ich dermaleinst auf diese Noti-zen stieß und mir über die Distanz der Jahre hinweg meinaltes Ich vergegenwärtigen würde. Wenn ich heute dieseEintragungen sehe, bin ich leider kein bißchen ergriffen –was beweist, daß ich irgend etwas in meinem Leben falschgemacht habe, oder ich bin einfach älter geworden, alsSamuel Pepys es je war. Denn im Tagebuch finden wir mehrals einmal selbstherrlich kindliche Zeugnisse dieser Art,etwa wenn er erklärt, daß seine Kerze zu erlöschen droht –»weshalb ich dies so eilig hinsudele«. Oder die im Grundeüberflüssige Eintragung: »Nach Hause in mein Arbeitszim-mer, wo ich nur die Ereignisse dieses Tages bis hierher auf-schrieb – und dann wieder aus dem Haus.« Oder mehr imZusammenhang: »Ich blieb auf, bis der Nachtwächter mitseiner Glocke unter meinem Fenster vorbeikam und gerade,als ich diese Zeile schrieb, rief: ›Ein Uhr vorbei und es geht einkalter, frostiger Wind.‹« Solche Stellen sind unmißverständ-lich. Sie sind für die späteren Jahre gedacht. Samuel Pepysmöchte dem unbekannten Pepys der Zukunft zeigen, wer er

Pepys war jugendlich für sein Alter, er eroberte seinen Platzin der Welt erst allmählich, stieß sich die Hörner spät ab,und er bewahrte sich etwas entschieden Jungenhaftes, nochbis er fast vierzig war. Um den Geist, in dem das Tagebuchgeschrieben wurde, recht erfassen zu können, müssen wiruns eine Gemütslage in Erinnerung rufen, die die meistenvon uns spätestens mit dem zwölften Lebensjahr abgelegthaben. In unseren jungen Jahren haben wir sie nochgekannt, diese Lust am bloßen Existieren. Wir ließen unshinreißen von den Ereignissen, ohne im mindesten an dieFolgen zu denken, die Erinnerung an vergangene Abenteuerwar unendlich rührend, und an die eigene Zukunft dachteman mit begeisterter Neugier. Ich denke, Pepys hatte etwasvon einem solchen jungen Menschen. Er war nicht senti-mental im landläufigen Sinne, aber sehr wohl, wenn es umseine eigene Person ging. Er hing an seiner Vergangenheit,bewahrte sie in seinem Herzen. Er war den Erinnerungenhilflos ausgeliefert. Er konnte nicht an Islington vor-beifahren, wohin ihn sein Vater einst zu Gebäck und Biermitgenommen hatte, ohne im King’s Head einzukehren,»dem alten Mr. Pitts zu Ehren«, der damals dort der Wirt war.Er freute sich, wenn er eine Nacht in Epsom verbringenkonnte, um einmal wieder auf den alten Pfaden zu wandeln,die er mit der jungen Mrs. Hely gewandelt war, denn »siewar die erste Jungfer, für die ich Liebe und Zuneigung emp-fand, und ich suchte gern ihre Gesellschaft und nahm sie beider Hand, denn sie war sehr hübsch«. Er begibt sich nachWoolwich, wo die »arme Assurance« geborgen werden soll,und ergänzt in Klammern: »an die ich nur angenehme Erin-nerungen habe; zweimal war ich bei Kapitän Holland anBord gewesen, in der Ostsee.« Er besichtigt die alte Naseby,die inzwischen die Charles ist, und bekennt, »daß es einegroße Genugtuung war, das Schiff zu besichtigen, auf demmein Glück begonnen hatte«. Der Blasenstein, der ihm her-ausgeschnitten worden war, bewahrte er in einem Kästchenauf, und den Turners bewies er zeitlebens für ihre Hilfeleis-tung in jenen schweren Tagen seine Dankbarkeit, indem er

Samuel PepysTagebücher 1662

Samuel PepysTagebücher 1663

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:55 Uhr Seite 8

Page 9: Pepys Magazin 1

Samuel Pepys Magazin Nr. 1Seite 9

war. Der spätere Pepys soll wissen, warum diese oder jeneStelle hingesudelt wurde, soll sich an den Ruf des Nacht-wächters erinnern (wir können uns vorstellen: mit einemSeufzen), und an die Kälte an jenem Morgen. Es war seinromantisches Ich, das diese Zeilen schrieb. Unser Mann, dasist zu spüren, war dabei, Erinnerungen zu produzieren – umeine Art Echoeffekt zu genießen, was wir alle zuweilen tun(was manchem zum Trost dient, andere erst recht schwer-mütig macht). In diesem Sinn kann das ganze Buch als einKunstwerk betrachtetwerden,dessenAdressatPepys selbst ist.

Dies ermöglicht uns, die Frage nach der Haltung zu beant-worten, die Pepys in seinem Tagebuch annimmt, die rück-haltlose – um nicht zu sagen: naive – Offenheit, die diesesBuch zu einem raren Wunderwerk macht. Nicht daß er seineFehler nicht gesehen hätte – ganz im Gegenteil, häufiggenug schämt er sich für sie in Grund und Boden, bessertsich, legt Gelübde ab und bricht sie wieder. Aber ob er nunetwas Gutes oder Schlechtes tat, es war doch stets sein un-verwechselbares Ich, das diese Dinge tat; und es war diesesfaszinierende ego, über das zu schreiben ihn interessierte;und auch nur, weil er sich des Lohns gewiß war, der ihnerwartete, wenn dermaleinst die Rollen vertauscht wärenund der Schreiber lesen würde, was er geschrieben hatte.Was immer er tat oder sagte oder dachte oder erlitt, eswar immer ein Aspekt seines Charakters, ein Teil seinerLebensgeschichte; und da wenigstens für ihn dieser Manninteressanter war als ein Moses oder Alexander, mußte allessehr getreulich aufgezeichnet werden. Ich habe das Tage-buch ein Kunstwerk genannt. Nun, wenn ein Autor einenEinfall hat – eine Bemerkung, eine Handlungsweise, dieexakt zu einem bestimmten Helden in einem Theaterstückoder einem Roman paßt –, dann wird er diesen Einfall nichtunterdrücken, auch wenn die Bemerkung für sich genom-men töricht ist oder die Handlungsweise niederträchtig. DasZaudern Hamlets, die Grausamkeit Othellos, die NaivitätEmma Bovarys oder das Liederliche des Mr. Swiveller hat-ten für ihre Autoren durchaus nichts Unbefriedigendes, undebenso erging es Pepys mit seinem Helden. Er hat seineHauptfigur geliebt, wie ein Autor seine Hauptfigur zu liebenpflegt, nicht blind, sondern mit besonderer Einsicht undduldender Toleranz. Ich habe große Teile des Tagebuchsimmer und immer wieder gelesen, und die Stellen,in denen der Autor sich seinem Gegenstand nicht voll-ständig gewachsen zeigt, sind, selbst wenn man überkritischist, so gering an Zahl, daß sie zu nennen sich verbietet.Man könnte wohl sagen, daß wir alle ein solches Tagebuchschreiben, im Geiste, in unserem Kopf, aber ich fürchte,es ist von etwas anderer Art. Ich fürchte, der Bericht, mitdem wir uns täglich über unsere Erlebnisse und TatenRechenschaft ablegen, ist nur allzu häufig ein fragwürdigesGewebe aus Verklärung und Schönfärberei, und selbst wennPeyps naiv war und feige, wie man ihm nachgesagt hat, somüssen wir wenigstens bekennen, daß wir ihm darin innichts nachstehen. Vor der nackten Wahrheit über uns selbstschrecken wir alle zurück, und nur die Törichteren unter unswollen nicht glauben, daß es sie überhaupt gibt. Pepys hatsie erkannt und schonungslos zu Papier gebracht.

Es ist wenig wahrscheinlich, daß der Geist, mit dem Pepyssein Tagebuch zu schreiben begann, unverändert blieb bis

The Navy Office.

The Royal Exchange.

The Coffee-House.

Samuel PepysTagebücher 1664

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:56 Uhr Seite 9

Page 10: Pepys Magazin 1

Samuel Pepys Magazin Nr. 1Seite 10

zum Schluß. Pepys war nicht dumm, irgendwann muß ihmaufgegangen sein, was für ein ungewöhnliches Werk er dortschuf. Er war ein großer Leser, er wußte, wie andere Bücheraussahen. Ihm muß wenigsten zuweilen der Gedanke ge-kommen sein, daß jemand das Manuskript entziffern könnteund er, Pepys, mit all seinen Freuden und Leiden wiederzum Leben erweckt werden würde. Der Gedanke dürfteihm behagt haben. Aber da er nicht dumm war, war ihm auchklar, daß er dort in seinem Schreibtisch hochexplosivesMaterial, Schießbaumwolle und Herkulespulver, verwahrte.Hätte ein Zeitgenosse das Tagebuch entdeckt, Pepys’gesellschaftlicher, politischer Untergang wäre besiegelt ge-wesen. Es gibt Indizien dafür, wie die Furcht vor der Ent-deckung zunimmt. 1660, als das Tagebuch noch jung war,zeigte er es ganz unbefangen einem Leutnant zur See, 1669aber, als das Tagebuch fast an sein Ende gekommen war,hätte er sich ohrfeigen mögen dafür, daß er es einem so ver-trauenswürdigen Freund wie Sir William Coventry gegen-über nur erwähnte. Und es gibt Indizien, aus denen manschlußfolgern kann, daß er den Gedanken an eine postumeLeserschaft wenigstens als Möglichkeit in Erwägung gezo-gen hat. Das wichtigste: Die Tagebücher wurden nicht ver-nichtet. Und die Tatsache, daß er sich so auffallend großeMühe gab, die »unanständigen« Passagen zu verschlüsseln,zeigt wohl zweifelsfrei, daß er noch an andere Leser dachte.Während alle Welt ihn für seine »würdigen Taten« bewun-derte, mochte er also, wer weiß, auf ein Stückchen Un-sterblichkeit hoffen.

Ein freier GeistEines Sonntags im Winter, nachdem er ein Abführmittelgenommen hat, verbringt Pepys einen großen Teil desTages damit, ein Gedicht zu schreiben, »das Loblied einesFreigeists (für den ich mich selbst halte) auf die Wis-senschaften und alle Formen des Genusses«. Aus demGedicht wurde nichts, doch das Tagebuch wurde im gewis-sen Sinne ebenjenes Loblied, das er ins Auge gefaßt hatte;und sein Porträt von Hayls, das in der Ausgabe von MynorsBright so vorzüglich reproduziert wurde, illustriert genaudies. Hayls verstand ganz offensichtlich sein Handwerk; undselbst wenn er seinem Modell das Leben schwermacht undPepys so sitzen läßt, daß »viel Schatten« auf sein Gesichtfällt, wobei dieser sich »fast den Hals verrenkt«, eingehülltin eine »indische Toga«, die eigens zu diesem Zweckausgeliehen wurde, so verzichtet der Maler doch sehr aufvordergründige Effekte und konzentriert sich ganz auf denMenschen. Ob wir nun das Bild mit Hilfe des Tagebuchsoder das Tagebuch mit Hilfe des Bildes deuten, fest steht,daß Hayls zu denjenigen Malern zählt, die lesen können,was jemandem »ins Gesicht geschrieben« steht. Da wäre derSchmollmund, die begehrlich feuchten Lippen; gierig sichumsehende, große Augen, die auch Tränen vergießen kön-nen; eine markante Nase, sowohl vom Charakter wie vonden Dimensionen her; alles in allem eine sehr fleischliche,fast weichliche Erscheinung. Das Gesicht wirkt anziehend,weil es einem entgegenzukommen scheint. Ich habe dasWort gierig verwendet, und der Leser soll nicht glauben,er könne es durch das verwandte Wort hungrig ersetzen,

Am 31. August 1665 notiert Pepys:»Allein in der City starben in dieser Woche 7’496 Menschen, darunter 6’102 durch die Pest.«

Samuel PepysTagebücher 1665

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:56 Uhr Seite 10

Page 11: Pepys Magazin 1

Samuel Pepys Magazin Nr. 1Seite 11

denn dieser Blick hat nichts Sehnsüchtiges, in die FerneGerichtetes, sondern genießt mit animalischer Lust, was mitHänden greifbar ist. Es ist dies durchaus nicht das Gesichteines Künstlers, sondern das des Bonvivant – freundlich,zufrieden mit sich und anderen, und diese Zufriedenheitsetzt er nicht durch Exzesse aufs Spiel, sondern bewahrt siesich durch fortwährenden Wechsel der Genüsse. Nur eineinzelnes Begehren kann eigentlich ein Laster genannt wer-den; Abwechslung hingegen ist gesund – das eine Verlangengleicht das andere aus und hält es im Zaum.

Die ganze Welt, Stadt wie Land, war für Pepys ein Lust-garten. Wohin er auch ging – die größten Erwartungenbeflügelten seine Schritte; was er auch tat – er tat es mit derlebhaftesten Begeisterung. Eine unersättliche Neugier aufdas große Welttheater und die Geheimnisse aller Wissens-gebiete erfüllte ihn und trieb ihn zu Reisen und vielfältigenStudien an. Er träumte zeitlebens von Rom; nichts machteihn glücklicher, als über die Ewige Stadt zu lesen oder vonihr reden zu hören. Als er in Holland ist, ist er »begierig, allesSehenswerte zu sehen«. Er trifft sich in einem Schloßparkin der Nähe von Den Haag mit Mitreisenden, und er kannseine Begeisterung kaum in Worte fassen, »und das um somehr, da wir uns an einem so herrlichen Ort und in einemfremden Land befanden, so daß ich von einem Wohlgefühlergriffen wurde, wie ich es noch nie erlebt habe«. Er ranntestets zu allen berühmten Hinrichtungen. Er mußte unbe-dingt die Leiche des Ermordeten sehen, und der Anblickder klaffenden Wunde machte, daß ihm noch bei derNiederschrift, wie er sagt, die Hand zitterte. Er nahmTanzunterricht und vermerkt, daß »alle sagen, ich hätte dasZeug zu einem guten Tänzer«. Er nahm Gesangsunterricht,spazierte über die Gray’s-Inn-Promenade und versuchte»die ganze Zeit, einen trillo zu singen (was zu meinenGesangsübungen gehört), und ich habe das Gefühl, daß esschon besser geht«. Er lernte, Laute zu spielen, Blockflöte,Flageolett und Theorbe, und es war nicht mangelndesInteresse, was ihn davon abhielt, auch noch ein Tasten-instrument zu erlernen. Er lernt Arien zu komponieren, undsein Kopf »ist ganz voll davon, eine Theorie der Musik zuentwerfen, wie sie noch nie versucht worden ist«. Als ereinen Musikanten hört, der »ganz ausgezeichnet« pfeifenkann, »wie ein Vogel«, beschließt er, wiederzukommen undihm ein Goldstück zu geben, damit er ihm die Kunst bei-brächte. Einmal schreibt er: »Ich segelte mit der Bezanzurück und gelangte bei kräftigem Wind und günstiger Strö-mung bis zur Reede von Hope. Lernte unterwegs, was dieSeemänner aussingen, wenn sie die Wassertiefe loten, sehrzu meiner Zufriedenheit.« Wenn er merkte, daß sein Lateineiner Auffrischung bedürfe, nahm er sich wieder seineGrammatik aus der Schulzeit vor. Er war Mitglied der Rota-Gesellschaft (James Harringtons politischem Debattier-klub) bis zu dessen Auflösung sowie der Akademie derWissenschaften, der »Royal Society«, noch bevor sie diesenNamen erhielt. Als er in Barn Elms spazierengeht, liest er ineinem Buch über Hydrostatik von Robert Boyle, zu seiner»großen Zufriedenheit«. Er vergleicht Bibelkonkordanzenmiteinander, bekrittelt Predigten, ist vertraut mit Descartesebenso wie mit Aristoteles. Er beschäftigt sich in ein unddemselben Jahr mit den verschiedenen Holzarten und derVermessung von Bauholz, den verschiedenen Arten von

Panorama von London vor dem grossen Feuer.

Und so erlebt Pepys am 2. September 1666 den Ausbruch des Feuers:»Gegen drei Uhr früh weckte uns Jane und berichtete, in der City sei ein grosses Feuer zu sehen.«

Panorama von London nach dem grossen Feuer.

Samuel PepysTagebücher 1666

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:56 Uhr Seite 11

Page 12: Pepys Magazin 1

Samuel Pepys Magazin Nr. 1Seite 12

Teer, Öl, Hanf und mit der Herstellung von Tauwerk, mitMathematik und Buchführung, mit dem Linienschnitt desSchiffkörpers und der Takelung anhand eines Schiffmodellsund macht sich kundig über die Verwaltung der Magazineauf den Werften, und zwar – wie sollte es anders sein –»sehr zu meiner Zufriedenheit«. Dies waren gewiß andereVorlieben, als ein Shelley sie hegte, aber sie waren damitnicht weniger erfüllend. Er braucht nur etwas zu kopieren,und schon – hört ihn euch an! – bereitet es ihm »großesVergnügen, die Linien zu ziehen und die Überschriften mitroter Tinte zu schreiben«. Selbst wenn sein Kohlenkellergeleert und geputzt wird, geschieht dies – natürlich – »sehrzu meiner Zufriedenheit«. Ein Gericht aus Schweine-innereien ist ein Gericht, das er »sehr liebt«. Er kann nichtin der Kutsche von Lord Sandwich nach Hause fahren, ohnedas »noble, prächtige« Gefährt zu loben. Wenn er zu einemFestessen eingeladen wird, malt er sich bereits im vorhineindie zahlreichen Köstlichkeiten aus. Als er eine neue Uhr hat,ruft er aus: »Himmel, wie kindisch ich bin, daß ich denganzen Nachmittag in der Kutsche die Uhr in der Handhalten und wohl hundertmal nachsehen mußte, wie spät eswar.« Im Park von Vauxhall spazierenzugehen, die Nachti-gallen und andere Vögel zu hören, oder hier eine Harfeund dort eine Maultrommel, und die vornehmen Leutezu sehen, all dies ist »ein großes Vergnügen«. Und vor allemdie Nachtigallen haben es ihm angetan; auch auf dem Wegnach Woolwich macht er halt, um ihnen, sehr zu seinerZufriedenheit, zuzuhören, während ringsum die Aprilnebelaufsteigen und die Sonne durchbricht.

Er mußte stets etwas »zu seiner Zufriedenheit« tun, oderbesser noch: zwei Dinge zur gleichen Zeit. Er hatte inseinem Haus eine große Werkzeugkiste, zwei Hunde, einenAdler, einen Kanarienvogel, eine Amsel, die Melodien sin-gen konnte – auf daß in seinem erfüllten Tagesablauf nur jakein Moment der Leere eintrete. Wenn er einmal auf seinEssen, eine Portion Verlorene Eier, warten muß, nutzt erdie Zeit, um Flageolett zu spielen; wenn die Predigt öde ist,liest er im Buch Tobit oder überlegt, wie er sich der schönenFrau in der Bank nebenan nähern könne. Wenn er über Landging, hatte er stets ein Buch dabei, um unterwegs zu lesen,für den Fall, daß die Nachtigallen nicht zur Stelle wären.Selbst in der Stadt, wo es so vielen schönen Gesichternnachzusehen galt, markierten Weinkäufe hier und Bilder-käufe dort seinen Weg – Kennzeichen eines Lebens, daskeine Langeweile duldet. Was den Genuß anging, war erIdealist; wie die Prinzessin im Märchen bemerkte er sofort,wenn irgendwo ein Rosenblatt nicht an seinem Ort war.Sosehr er es liebte, sich zu unterhalten, er konnte es nichtgenießen oder gar vor anderen glänzen, wenn er das Gefühlhatte, unpassend gekleidet zu sein. Sosehr er das Essenliebte, er konnte nicht allein essen, weil er dies »nichtgewohnt« war. Der Rahmen mußte stimmen; Auge und Ohrmußten ebenso auf ihre Kosten kommen wie der Gaumen.Ein gutes Essen wollte ihm nicht recht schmecken, wennes in einer »schäbigen Gasse« im »Haus eines Perücken-machers« serviert wurde; und selbst ein einfacher Imbißwurde verdorben durch schlechte Musik. Sein Körper warunverwüstlich und leistete ihm treue Dienste auf seinerunermüdlichen Freudenjagd. Am 11. April 1662 vermerkter: »War sehr erschöpft, als ich zu Bett ging, was mir selten

Blick auf die zugefrorene Themse von Abraham Hondius, 1667.

Am 12. Juni 1667 schreibt Pepys in sein Tagebuch:»Die Holländer haben die Sperrkette durchbrochen und unsere grossen Schiffe

in Brand gesetzt (darunter auch die ›Royal Charles‹) … Ich fürchte inzwischen,dass das ganze Königreich verloren ist.«

Samuel PepysTagebücher 1667

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:56 Uhr Seite 12

Page 13: Pepys Magazin 1

Samuel Pepys Magazin Nr. 1Seite 13

passiert«; und er war bereits über dreißig, als er frohgemutdie Nacht durchmachte, um einen Kometen zu beobachten.Der Genuß kann den Genußsuchenden nicht ermüden;bei der Freudenjagd gilt wie in anderen Disziplinen auch:nur der Fehlschlag schmerzt.

Eine Uhr konnte ihn ebenso begeistern wie eine Kutsche,ein Kuttelngericht oder eine Geigenweise; doch am meistenbewunderte er seine Mitmenschen, ihre Schönheit, ihreVerdienste, ihre Lebensfreude oder sei es auch nur ihrepittoreske Erscheinung. Er erweist sich hier als wahrerHumanist. Denn wer sich selbst liebt, nicht in eitler Selbst-gefälligkeit, sondern mit klarem Verstand, ist besser geeig-net als jeder andere, seinen Nächsten zu lieben. In diesemSinne kann man sehr wohl davon sprechen, daß Wohl-tätigkeit in den eigenen vier Wänden beginnt. Ganz gleich,welchen Vorzug ein Mensch auch hat, Pepys kann ihn dafürlieben und bewundern. Er »verschlingt« Lady Castlemaine»förmlich mit Blicken«; und er ist in der Tat in ihren Anblicküber Jahre hinweg ganz vernarrt; wenn eine Frau gutaussieht und nicht geschminkt ist, läuft er meilenweit, nurum sie ein zweites Mal zu sehen; und als eine Dame ihn imTheater versehentlich anspuckt, ist er doch sogleich ver-söhnt, als er bemerkt, daß sie sehr schön ist. Auf der anderenSeite ist er gerührt vom Anblick der knienden jungen Mrs.Pett; und über seine Tante James äußerte er sich so: »eineliebe, gute, gottesfürchtige Seele, die von nichts anderemspricht als vom lieben Gott, aber mit einem treuen Bieder-sinn, der mir wohl gefiel.« Er läßt sich anstecken von PennsAusgelassenheit und seinen schmutzigen Liedern, aber erbewundert nicht minder den verdienten Mr. Coventry. Er istlustig mit einem betrunkenen Seemann, aber hört aufmerk-sam und geduldig zu, als ihm bei einem Ritt nach Essex einQuäker die Geschichte seiner religiösen Bekehrung erzählt.Er leiht der Rede von Königen und Herzögen sein kritischesOhr. Er verbringt einen Abend im Garten von Vauxhallzusammen mit Killigrew und Newport: »In eine schöneGesellschaft war ich da geraten«, schreibt er, »obwohl siegleichzeitig sehr geistreich und witzig waren und es sichlohnt, sie einmal erlebt zu haben, um zu wissen, was siereden und treiben.«

Was soll man von einem Stil sagen, der sechs dicke Bändelang unendlich lebendig, beredt und bilderreich ist, der dasganzen Spektrum menschlicher Erfahrungen zum Gegenstandhat und kaum eine ermüdende Passage kennt, der sich in dieunglaublichsten Details verliert, und doch ist alles getragenvom großen Fluß echter Narration – man kann seinen Stilungrammatisch nennen, man kann ihn unelegant nennen,man mag ihm Fehler nachweisen, aber die erzählerischenQualitäten kann man ihm nicht absprechen. Er erfüllt seinen Zweck, den eigentlichen Sinn und Zweck des Erzäh-lens, und dies vollkommen. Mag die Form, in der Pepys sichäußert, auch kindlich ungeschickt sein, der Stoff wird dochzu Poesie, weil er ihn sich anverwandelt, durch seinen un- verstellten Blick, seine ungetrübte Begeisterung. Die Begei-sterung, die aus dem Mann spricht, entzündet uns nochheute, nach all den Jahren. Denn der eigentliche Unter-schied zwischen Pepys und Shelley, um den etwas unseriö-sen Vergleich von oben noch einmal aufzugreifen, ist einqualitativer, kein gradueller; in seiner Welt fühlte Pepys

nicht weniger kühn als Shelley, und seine Welt ist die wahreProsa der Poesie – Prosa, weil sein Geist ganz diesseitig undbegrenzt war, und Poesie, weil der Mann so hinreißendlebendig war. Deshalb ist eine Passage wie die mit demSchäfer in Epsom für den Leser so restlos überzeugend undein reines Vergnügen. Man fühlt: So und nicht anders war es;und man würde daran ebensowenig etwas ändern wollenwie an einem erhabenen Passus bei Shakespeare, einerschlichten Pointe bei Bunyan oder an einer teuren Erinne-rung aus unserer eigenen Vergangenheit.

Er war so sehr Künstler, wie man es nur sein konnte, ohneeiner zu sein.

Der gute RufDie Sorge um das Ansehen saß tief. Ein Ideal von Wahrheitkannte er nur im Tagebuch. Ihn interessiert nicht, was etwasan sich sei, ihn interessierte die äußere Erscheinung; er gibtvor, ein großes Erbe gemacht zu haben, dabei hat er sich imwesentlichen einen lästigen Rechtsstreit aufgehalst; er freutsich, wenn man ihn für großzügig hält, obwohl er weiß,daß er kleinlich gehandelt hat. Er protzt, aber in Maßen. Ihnhätte man nie für einen Stutzer halten können wie den jun-gen Penn; wenn er sich in Schale schmiß, dann stets seinemRang und seiner Würde gemäß. Lange Zeit zögerte er, biser sich zum Kauf der berühmten Perücke entschloß. Dennein Mann der Öffentlichkeit folgt der Mode gemessenenSchritts, eilte ihr nicht voraus wie ein Geck (und hinkt ihrnicht hinterher wie ein Provinzler) – es war das obersteGebot des Zeitalters. Lange Zeit wagte er es nicht, eineKutsche anzuschaffen, denn es wäre in seiner Position un-schicklich gewesen. Doch die Zeiten ändern sich; währendsein Vermögen wächst, bekommt das, was unschicklich ist,

Samuel PepysTagebücher 1668/69

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:57 Uhr Seite 13

Page 14: Pepys Magazin 1

Samuel Pepys Magazin Nr. 1Seite 14

ein anderes Gesicht, und es ist ihm »fast peinlich, in einerMietkutsche gesehen zu werden«. An einer Stelle überlegter, ob Penn Quäker geworden sei »oder einfach nur schwer-mütig« – die Anhänger des Schicklichen und der gesell-schaftlichen Verpflichtungen werden von diesen Dingennicht losgelassen, sie verfolgen sie; und der Weg, der sichzunächst als Rosenpfad zum Glück dargestellt hat, erweistsich als steil und dornig wie jeder andere Weg auch. Und eskommt die Zeit für Pepys, wie für alle anständigen Bürger,wo er nicht nur seine Vergnügungen, sondern auch seinRechtsempfinden den gesellschaftlichen Gepflogenheitenanpassen muß. Als Steuern erhoben werden sollen, sinnendie Beamten auf Mittel und Wege, die Vermögenssteuer zuumgehen. Die Ungerechtigkeit stößt Pepys auf, in einerAnwandlung von Großmut beschließt er, freiwillig sein Ver-mögen mit 1000 Pfund anzugeben; doch da niemand ihmmit leuchtendem Beispiel vorangehen will, keiner »unsererwohlhabendsten Kaufleute« mit ihrer natürlichen Vorliebefür weiße Westen, befindet er, es sei »nicht angebracht«; erfürchtet, es könne ihm als »Ehrsucht« ausgelegt werden,und ist, statt ein ehrlicher Einzelgänger, lieber ein Diebunter vielen.

Krethi und Plethi und Mummenschanz, Wein, Weib undGesang werden seine ständigen Begleiter; Schauspieler undSchauspielerinnen, betrunkene, grölende Höflinge findensich an seiner Seite; bis er sich so sehr an dieses Lebengewöhnt hat, daß der große Ehekrach von 1668 ihn völligunvorbereitet trifft.

Es mußte so kommen; er hatte es sich selbst eingebrockt.Wie einer, der sein halbes Leben lang neben einem Pulver-faß arglos seine Pfeife raucht und sich wundert, wenn ereines Tages eine Katastrophe auslöst, so erging es dem arg-losen Pepys mit seinen vielen kleinen und größeren Sünden.Eben noch umgeht er mit schlafwandlerischer Sicherheitalle Fallen, die das Doppelleben bereithält, summt dentrillo und denkt an nichts Böses, und im nächsten Momentnimmt ihm das Schicksal das Heft aus der Hand und führtihm schlagartig vor Augen, was er angerichtet hat. Die Ent-deckung seines Ehebruchs – für jemanden wie Pepys,der seine Frau doch liebt, nach all den Jahren und trotz allenAufs und Abs nach wie vor liebt, und der, nicht zu vergessen,so sehr auf den guten Ruf bedacht ist – für jemanden wie ihnmußte dies ein verheerender Schlag sein. Die Tränen, die ervergoß, sind nicht zu ermessen, und die Schmach, die erempfand. Und Mrs. Pepys, eine einfache Frau, die jetzt mitvollem Recht außer sich ist vor Wut, unternahm nicht dasgeringste, diese Schmach zu mindern. Sie wird handgreif-lich, rückt ihm mit der Feuerzange zu Leibe; sie schert sichkeinen Deut um seinen guten Ruf; sie zwingt ihn, seinerGeliebten einen beleidigenden Brief zu schreiben, nachdemsie ihn bereits gezwungen hat, sie aufzugeben. Sie war inihrem Reden und Tun hoffnungslos inkonsequent, und daswar vielleicht das schlimmste; bald ist sie auf Versöhnungaus, dann bricht mit unverminderter Kraft die alte Wutwieder aus. Pepys hat es seiner Frau nicht leichtgemacht;er hat sie mit seiner Eifersucht verfolgt, als er ihr bereitsuntreu war; er war knauserig, wenn es um ihre Kleider undVergnügungen ging, und gönnte sich selbst beides im Über-maß. Er hat sie verletzt, nicht nur mit Worten; einmal trägt

sie ein blaues Auge davon. Aber jetzt, wo er sich schuldigweiß, kennt seine aufrichtige Zuneigung zu seiner Frau,seine Geduld und Nachsicht, keine Grenzen. Solange manihm noch nicht auf die Schliche gekommen war, war seineReue nie besonders groß, ein Theaterbesuch mit seinerFrau, eine Fahrt mit ihr über Land, ein neues Kleid reichtenaus, um das schlechte Gewissen zu beruhigen. Doch jetzt,wo alles herausgekommen ist, scheint er vor sich selbst jedeAchtung verloren zu haben. Seine Frau kann mit ihm tunund machen, was sie will; er mag jammern und zagen, abernie äußert er auch nur den leisesten Vorwurf; er ist völligwehrlos, ihm bleiben nur seine Tränen und eine Demut,die an Unterwürfigkeit grenzt. Ich glaube, daß wir ihn lieben,gerade weil er so war, wie er war.

In all diesen Jahren hütete er das Tagebuch, das Geheimnisseines Lebens mit all seinen Widersprüchen und Eskapa-den, wie ein Heiligtum. Wir können also davon ausgehen,daß er den so teuren Erinnerungen seiner frühen Jahre biszum Schluß die Treue gehalten hat. Er gedachte nochimmer der jungen Mrs. Hely in den Wäldern von Epsom,und er kehrte wieder ein ins Wirtshaus in Islington, um dasGlas auf die Toten zu erheben, und wenn er die Musik hörte,die ihn damals so in Verzückung versetzte, wird ihn dieErinnerung an die Liebe ergriffen haben, die ihn einst mitseiner Frau verband.

Erstmals aus dem Englischen von Heiko Arntz.Die vollständige Fassung mit Anmerkungen folgt im

»Samuel Pepys Companion«.

Samuel PepysCompanion

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:57 Uhr Seite 14

Page 15: Pepys Magazin 1

Ein entscheidender Hinweis auf die Aussprachefindet sich im Tagebuch selbst. Das ist bekannt-lich in Kurzschrift verfaßt, aber Namen pflegtePepys für gewöhnlich in Langschrift auszu-schreiben, so auch den seinen. Doch an zweiStellen, am 27. Juli 1665 und 7. Oktober 1667,macht er sich diese Mühe nicht und notiert beiErwähnung zweier entfernter Vettern das ent-sprechende Kurzschriftsymbol. Beide Male liestes sich als „P-e-p-s“.

Das ist interpretationsbedürftig. Die von Pepysverwendete Kurzschrift von Thomas Shelton ver-wendet, vereinfacht gesagt, vor allem Symbolefür Konsonanten. Die Vokale ergeben sich durchdie unterschiedliche Positionierung der Konso-nanten-Symbole oder durch Punkte, die über,unter oder neben das Konsonanten-Symbolgesetzt werden. Die Vokale a, e, i, o, u müssendabei sowohl für lange, wie für kurze Vokale alsauch für Diphtonge herhalten. So daß ein inKurzschrift geschriebenes b-o-t sowohl „bott“als auch „bout“, „boat“, „bought“ und „boot“bedeuten kann. Entsprechend kann das Zeichenfür P-e-p-s gedeutet werden als (englischeSchreibweise:) „Peeps“, „Pepps“ oder „Payps“.Eindeutig ist immerhin, daß Samuel Pepys seinenNachnamen einsilbig ausgesprochen hat.

Zwischen diesen Varianten herrscht nur einescheinbare Konkurrenz. Dazu muß man wissen,daß es Ende des 17. Jahrhunderts in England zueiner lautlichen Verschiebung des „ey“-Lautszum „ee“-Laut kam. Die Schreibweise „ea“repräsentiert bis dahin den „ey“/(„äi“)-Laut,heute hingegen den „ee“/(„ie“)-Laut wie in„heap“, „leap“ usw. Nur wenige „ea“-Wörterhaben die alte Aussprache bewahrt. Dazuzählen etwa „great“ und „break“. In SamuelButlers satirischem Versroman „Hudibras“ (umden sich Samuel Pepys in den Jahren 1662 und’63 so redlich bemüht) findet sich folgendesReimpaar:

Doubtless the pleasure is as greatIn being cheated as to cheat.

In Alexander Popes The Rape of the Lock reimtsich noch tea auf obey (und noch im 18. Jahr-hundert bei William Cowper sea auf survey),und in Irland hat sich die alte Aussprache ohne-hin erhalten: he gave him a nate bating (a neatbeating). So daß sich ergibt: Die korrekte, aberaltertümliche Aussprache dürfte Peyps („Päips“)sein.

Für den modernen Menschen des frühen 18. Jahrhunderts, der seinen „täi“ (tea) nichtmehr auf “ßäi“ (sea) trinkt, sondern seinen„tie“ auf „ßie“, ergibt sich die Aussprache„Peeps“ („Pieps“). H.A.

Samuel Pepys Magazin Nr. 1Seite 15

»Übrigens glaube ich, daß die Peeps- oder Peppies- oder Pipes-Tagebücher heute viel popu-lärer wären, wenn es eine allgemein verbindlicheAussprache seines Namens gäbe.Wie häufighatte ich nicht in einer vornehmen Abend-gesellschaft das Bedürfnis, über die Tagebücherzu sprechen, aber ich war mir nie sicher, wie derName richtig auszusprechen sei.Wenn man zumBeispiel »Peeps« sagte, dann würde die Damezur Linken unweigerlich bemerken: »Pardon, Siemeinen gewiß Pipes?« Und der Herr zur Rechtenwürde sagen: »Verzeihung, aber Sie irren beide.Es heißt Peppies.« Wenn Peeps, Pipes oder Peppies klug gewesen wäre, hätte er sich einenNamen wie Joe Blow zugelegt, und jeder Schul-junge in Amerika würde heute seine Tagebücherlesen, statt auf der Straße herumzulungern und Radkappen zu klauen.«

Groucho Marx

Die Unsicherheit, wie der Name Pepys auszu-sprechen sei, herrschte bereits unter den Zeit-genossen im 17. Jahrhundert, und entsprechendvariantenreich fiel die Schreibweise aus. DasTaufregister notiert: „Samuell sonn to JohnPeapis wyef Margaret“, und im Hochzeitsregi-ster zweiundzwanzig Jahre später findet sich:„Samuel Peps of the perish (gent).“ Als Beamterim Flottenamt erhält er Schreiben, die an „SquirePeaps“ gerichtet sind, und James Carkesse,Pepys’ alter Feind aus dem Jahr 1667, rächt sichdreizehn Jahre später an seinem ehemaligenVorgesetzten mit einem Spottgedicht und reimt:„Him I must praise, who opened has my lips /Sent me from Navy to the Ark by Pepys.“ ImSterberegister findet sich schließlich die Variante„Peyps“, und für Lord Braybrooke, den Heraus-geber der ersten Ausgabe der Tagebücher(1825), stand fest, daß diese Schreibweise diegenaue Aussprache wiedergebe.

Um es gleich vorwegzunehmen – die heute all-gemein verbindliche (und verbindlich heißt: vomMagdalene College in Cambridge gepflegte)Aussprache ist: „Peeps“ (oder in deutscherSchreibweise: „Pieps“).Aber mit welcher Begründung?

Peeps, Peppiesoder PipesArtikulationsschwierigkeiten

Samuel Pepys Magazin

Verlage Haffmans & Tolkemitt

Impressum

Das Samuel Pepys Magazin erscheint als Werbemittel zu

Samuel PepysDie Tagebücher 1660–1669

Berliner Ausgabe.

Umschlag Magazin – Ausgabe Nummer 1:Samuel Pepys von John Hayls, 1666.

Umschlagbilder der Bücher & Vignettenvon Jonathan Wolstenholme, 2009.

Texte & Redaktion: Heiko Arntz, Gerd Haffmans

& Till Tolkemitt.

Konzeption & Gestaltung:Werbeagentur Edelweiss & Reingold

in Winterthur.

Lithos: Fotosatz Amann, Aichstetten.Druck: Memminger MedienCentrum.

Das nächste Magazinerscheint im April / Mai 2010:

im Inhalt eine ausführliche Chronik, dieEntschlüsselung des erotischen Vokabulars,

Karten, Schauplätze & ein Besuch in deribliotheca. epysiana.

Alexanderstraße 7 · D-10178 BerlinTelefon 030 / 200 95 366 · Fax 030 / 200 95 368

www.haffmans-tolkemitt.de

Pepys_Magazin_1_xp6.qxd 26.01.2010 9:57 Uhr Seite 15

Page 16: Pepys Magazin 1

Samuel PepysTagebücher 1660

Samuel PepysTagebücher 1661

Samuel PepysTagebücher 1662

Samuel PepysTagebücher 1663

Samuel PepysTagebücher 1664

Samuel PepysTagebücher 1665

Samuel PepysTagebücher 1666

Samuel PepysTagebücher 1667

Samuel PepysTagebücher 1668/69

Samuel PepysCompanion

Samuel PepysDie Tagebücher 1660 – 1669.

Vollständige Ausgabe zum ersten Mal vollständig auf deutsch in 9 Bänden.Aus dem Englischen übersetzt von Georg Deggerich, Michael Haupt, Arnd Kösling,

Hans-Christian Oeser, Martin Richter und Marcus Weigelt.Nach der Latham-&-Matthews-Edition mit Anmerkungen und Karten eingerichtet und

lektoriert von Heiko Arntz.Dazu ein

Samuel Pepys Companionmit dem grundlegenden Aufsatz von Robert Louis Stevenson,

mit Stammbaum, Entschlüsselung des erotischen Vokabulars, Chronik, ausführlichem Personenverzeichnisund Materialien in Wort und Bild, herausgegeben von Heiko Arntz & Gerd Haffmans.

9 schöne Leinen-Bände und 1 Companion als Broschur.Mit eigens gefertigten Umschlagbildern von Jonathan Wolstenholme.

Am 24. August 2010 erscheint:

Wer bis zum 21. Juni 2010 bestellt (und gleich bezahlt) wird doppelt belohnt.Sie sparen nicht nur ein Viertel des Preises und zahlen nur 129,90 € statt 169,90 €, sondern werden auch

als mutige Unterstützerin oder Unterstützer der ersten Gesamtedition im Pepys Companion namentlich verzeichnet.Verschenken läßt sich die Namensnennung natürlich auch.

Wer nach dem 21. Juni bestellt, kann leider aus drucktechnischen Gründen bei der Namensnennung nicht mehr berück-sichtigt werden. Der Pepyskriptionspreis von nur 129,90 € statt 169,90 € läuft mit Auslieferung der Tagebücher ab.

4’416 Seiten, 9 Bände Tagebuch, in Leinen gebunden, im Format 12 x19 cm; mit einem Companion, 128 Seiten, Broschur.Subskriptionspreis bis zum 24. August 129,90 € statt 169,90 €.

Bestell-Nummer 250 011Deutsche Erstausgabe im Haffmans Verlag

nur bei www.Zweitausendeins.de

Die Bücher bekommen Sie im Versand, Postfach, D-60381 Frankfurt am Main, Telefon 069-420 8000, Fax 069-415 003. Internet www.Zweitausendeins.de.E-Mail: [email protected]. Oder in den Zweitausendeins-Läden in Aachen, Augsburg, Bamberg, Berlin, Bochum, Bonn, Bremen,

Darmstadt, Dortmund, Dresden, 2x in Düsseldorf, in Duisburg, Erfurt, Essen, Frankfurt am Main, Freiburg, Göttingen, Gütersloh, 2x in Hamburg, in Hannover, Karlsruhe, Kiel, Köln, Konstanz, Leipzig, Ludwigsburg, Mannheim, Marburg, München, Münster, Neustadt/Weinstraße, Nürnberg,

Oldenburg, Osnabrück, Speyer, Stuttgart, Trier, Tübingen, Ulm und Würzburg. In der Schweiz über buch 2000, Postfach 89, CH-8910 Affoltern a.A.

Einladung zur Pepyskription:

»Sein Selbstporträt ist unvergleichlich, sein London unvergeßlich. Ohne Pepys wüßten wir wesentlich weniger über das spannendste Jahrhundert unserer Geschichte, das 17., und auch entschieden weniger über die Natur des Menschen. Sein Tagebuch ist das größte, das je geschrieben wurde.« Claire Tomalin, The Guardian, 10.1.2010