44
PERSPEKTIVE HAUSARZT Informationsbroschüre Berufsbild Hausarzt

PersPektive Hausarzt - Thieme€¦ · Für viele angehende Allgemeinmediziner stellt sich am ende der Weiterbildungszeit die Frage: „Wie werde ich mein eigener Chef?“ eines jedoch

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

PersPektive Hausarzt Informationsbroschüre Berufsbild Hausarzt

3

Inhalt

vorwort ......................................................................................................................................... 4

studienschwerpunkt Allgemeinmedizin .......................................................................................... 6

Hausarzt in der eigenen Praxis ..................................................................................................... 10

königsdisziplin Familienmedizin ................................................................................................... 14

Hausärztin und Mutter – Beruf und Familie flexibel kombiniert ..................................................... 18

teamleistung Patientenversorgung .............................................................................................. 22

Wichtiges spezialgebiet: zuhören können ..................................................................................... 26

Hausarzt zwischen tradition und Moderne .................................................................................... 30

Zahlen und Fakten rund um den Hausarzt ..................................................................................... 34

4

Vorwort

Ulrich WeigeldtVorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes

5

Der Beruf des Hausarztes ist sehr vielfältig und erfül-lend. Trotzdem herrscht in einigen Regionen Deutsch-lands schon jetzt ein spürbarer Mangel an Hausärzten.

Verständliche Gründe dafür sind die überbordende Bürokratie, die hohe Arbeitsbelastung und die im Vergleich zu anderen Arztgruppen niedrigere Vergü-tung. Und dennoch: Die Tätigkeit als Hausarzt übt nach wie vor auf viele Kollegen eine hohe Anziehungs-kraft aus. Und das mit Recht: Seit Anfang dieses Jahres haben wir für unseren Ärztenachwuchs wirklich positi-ve Nachrichten. Mit politischer Unterstützung wurden im Herbst 2008 – nach langem Kampf – die Weichen für eine Aufwertung des Hausarztberufes gesetzlich neu gestellt. In Zukunft werden eigenständige Haus-arztverträge die Arbeitsbedingungen und die finanziellen Perspektiven der Hausärzte deutlich ver-bessern.

Gerade der Beruf des Hausarztes ermöglicht durch eine flexible Arbeitszeit- und Praxisregelung individu-

elle Arbeitsmodelle, in denen die Berufs- und Famili-enplanung gut vereinbart werden können. Das ist an-gesichts geänderter Wertestrukturen ein wichtiges Kriterium bei der Berufswahl und/oder der Entschei-dung für eine bestimmte ärztliche Fachrichtung. Da-mit bietet die hausärztliche Tätigkeit immer noch sehr attraktive und darüber hinaus sichere Perspektiven, auch und gerade für den weib lichen Nachwuchs.

Um Ihnen die Vielfalt des Berufsbilds aufzuzeigen, haben wir verschiedene Hausärztinnen und Hausärzte in ganz Deutschland besucht und sie danach gefragt, was für sie das Besondere an ihrem Beruf ausmacht und wie ihr Alltag aussieht. Die Berichte der Kollegin-nen und Kollegen werden Sie interessieren und wir sind überzeugt, dass der medizinische Nachwuchs zukünftig wieder häufiger diesen facettenreichen und faszinierenden Beruf wählen wird.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!

Diese Publikation wendet sich gleichermaßen an Männer und Frauen. Im Sinne einer besseren Lesbarkeit der Texte wurde von uns entweder die männliche oder weibliche Form von personenbezogenen Hauptwörtern gewählt. Dies impliziert keinesfalls eine Benachteiligung des jeweils anderen Geschlechts.

6

StudIenScHwerpunkt AllgemeInmedIzIn

Wie wird man eigentlich Hausarzt? Diese Frage beschäftigt viele Medizinstudierende. „es gibt verschiedene Wege

zum Hausarztberuf. Denn leider existiert bis jetzt in Deutschland keine einheitliche Weiterbildungsordnung“,

weiß PD Dr. Antje Bergmann, Dresdens erste Privatdozentin für Allgemeinmedizin. sie ist dort für die qualifizierte

Ausbildung der studierenden im Bereich der Allgemeinmedizin zuständig.

7

Bereits seit mehr als sieben Jahren leitet Dr. Bergmann den Lehrbereich am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden. Gleichzeitig arbeitet sie noch Vollzeit als Hausärztin im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) der Uniklinik. „Der Praxisbezug ist sehr wichtig“, sagt Antje Bergmann. „Nur wenn wir den erhalten, kön-nen wir den Studierenden eine optimale, eben praxisna-he Ausbildung bieten.“ Das zeigt sich auch im Ausbil-dungsplan: Seit dem Wintersemester 2007/08 gibt es keine Vorlesungen in der Allgemeinmedizin mehr. Man setzt auf Seminare in kleinen Gruppen, um theoretische Grundlagen zu vermitteln. Sie sind ab dem vierten Stu-dienjahr Pflicht. Im letzten Studienjahr absolvieren die angehenden Mediziner schließlich eine Woche lang ein Blockpraktikum in einer der 50 allgemeinmedizinischen Lehrpraxen. Hier kommen viele Studierende erstmals wirklich mit der Arbeit eines Hausarztes in Berührung. „Das ist absolut notwendig, denn die vielen Facetten des Berufes kann man nicht in der Theorie vermitteln“, er-klärt Dr. Bergmann. Die verschiedenen Rollen und Auf-gaben des Hausarztes werden hier „mit Leben gefüllt“. Dazu gehören die Koordinations- und Integrationsfunk-tion, die Versorgung von chronisch Kranken und von Notfallpatienten sowie die Prävention und die Gesund-heitsbildung.

Praxisnahe Ausbildung bei optimaler Betreuung

Das Vorurteil vieler Medizinstudierenden vom langwei-ligen Hausarztberuf, der nur Patienten mit Husten und Schnupfen behandelt und sonst an den Facharzt über-weist, wird im Blockpraktikum rasch beseitigt. Der

Respekt vor der Arbeit des Hausarztes steigt und manch ein Student, der zuvor eigentlich einen anderen Fach-bereich wählen wollte, schwenkt um und entscheidet sich für die Familienmedizin. So auch Kristin Seele. Sie arbeitet seit Herbst 2008 bei Dr. Bergmann als Weiter-bildungsassistentin. „Die Betreuung ist hier außer-gewöhnlich gut. Mit meinen Fragen kann ich mich jederzeit an einen von vier Fachärzten wenden. So eine intensive Betreuung bekommt man in der Klinik nicht“, betont Seele. Eine Luxussituation für die Assistentin.

PD Dr. Antje Bergmann, 39Fachärztin für Allgemeinmedizin

8

Eigentlich wollte Kristin Seele Anästhesistin werden, sie promoviert derzeit noch in diesem Fachbereich. „Inzwi-schen möchte ich mich lieber als Hausärztin niederlassen. Wir haben hier jeden Tag so viele verschiedene spannende Fälle. Ob Auge, Haut, Herz oder Psyche – mit allem haben wir hier zu tun“, schildert sie. Woher sie die notwendigen Informationen zur Niederlassung beziehen kann, weiß sie bereits. „Bei den Ärztebanken und Ärzteversicherungen kann man sich beraten und ein Finanzierungskonzept erstellen lassen. Und auch die kassenärzt lichen Vereini-gungen bieten immer wieder Informationsveranstaltungen an.“ Die Kosten für eine Praxiseröffnung lassen sich aller-dings nicht so einfach festlegen. „Es macht einen großen Unterschied, ob man eine Praxis auf dem Land, in der Stadt, in den neuen oder in den alten Bundesländern er-öffnen will“, weiß die angehende Familienmedizinerin. „Auf dem Land ist eine Niederlassung oft leichter, weil viele Praxisinhaber dringend einen Nachfolger suchen und ihre Praxis wie auch den Patientenstamm günstig abgeben.“

Mit Stipendien fördert das Bundesland Sachsen jetzt auch die Ausbildung angehender Hausärzte finanziell, die zu-mindest für eine Zeit in einem unterversorgten Gebiet auf dem Land tätig werden wollen.

Forschung in der Allgemeinmedizin

Neben ihrer Tätigkeit als Hausärztin und ihrem Lehrauf-trag betätigt sich Antje Bergmann auch in der allgemein-medizinischen Forschung. Klinische Laborstudien werden aber nicht durchgeführt. „Auch hier ist uns der Praxis bezug sehr wichtig“, erklärt Bergmann. „Denn als Allgemein-mediziner interessieren wir uns in erster Linie für den Patienten.“ Vor allem medizinsoziologische Fragestellun-gen werden bearbeitet.

Unterstützung, insbesondere in der Methodik und Statis-tik, bekommt sie von ihrer wissenschaftlichen Mitarbei-terin, einer Soziologin und Gesundheitswissenschaftlerin. Derzeit arbeitet das Team um Dr. Bergmann unter ande-rem an einer Studie zu psychosomatischen Erkrankungen in der Hausarztpraxis, an einer Pilotstudie zu Hausbesu-chen, an einer Untersuchung über allgemeinmedizinische Beratungsanlässe und an der Erstellung der DEGAM-Leitlinie zu Schilddrüsenerkrankungen.

Der Hausarzt als zentraler Koordinator und Begleiter

Die Allgemeinmedizin ist für Antje Bergmann eine ganz besondere Disziplin in der Medizin. „Als Hausärztin muss ich oft innerhalb von Minuten Entscheidungen über die

9

Schwere eines Falles treffen und einen entsprechenden Lösungsvorschlag parat haben.“ Dabei hilft ihr die „erlebte Anamnese“: „Ich durchlebe mit einem Großteil meiner Patienten verschiedene Lebensabschnitte, nicht nur in Bezug auf ihre Krankheiten. Auf der Basis ihrer Krankengeschich-te und der mir bekannten Familienhintergründe baue ich meine Therapiestrategie auf.“ Doch der erfahrenen Haus-ärztin ist bewusst, dass dies auch Gefahren birgt: „Die ge-nauen Kenntnisse über den Patienten können auch dazu verleiten, manchmal vorschnell eine Einordnung vorzuneh-

men. Deshalb muss man die eigenen Diag nosen immer wieder kritisch hinterfragen.“

Dr. Bergmann weiß, dass sie als Familienärztin eine zentra-le Stellung im Gesundheitswesen hat. Sie übernimmt die vielfältigsten Aufgaben in der medizinischen Versorgung. Durch ihr breites Fachwissen trägt sie dazu bei, dass die heute verfügbaren Diagnose- und Therapietechniken sinn-voll eingesetzt werden.

10

HAuSArzt In der eIgenen prAxIS

Für viele angehende Allgemeinmediziner stellt sich am ende der Weiterbildungszeit die Frage: „Wie werde ich mein

eigener Chef?“ eines jedoch ist allen klar: sie müssen eine Menge Details vorab klären und einiges an Papierkram

bewältigen. Doch woher bekommt man die notwendigen informationen? Wer erklärt die betriebswirtschaftlichen Hin-

tergründe? Wo erfährt man, wie man sich richtig absichert? Mit welchen kosten muss man rechnen? Mit all diesen

Fragen musste sich auch Dr. Lars schirmer aus Aue vor seiner Niederlassung auseinandersetzen. Die ersten schritte

in richtung eigene Hausarztpraxis unternahm er schon während seiner Weiterbildungszeit. seit ungefähr zwei Jahren

ist er jetzt sein eigener Herr.

11

„Im Studium erfährt man praktisch nichts über die Mög-lichkeiten, sich als Hausarzt niederzulassen“, erläutert Dr. Schirmer. „Das medizinische Wissen bekommt man beige-bracht, aber betriebswirtschaftliches Verständnis fehlt voll-ständig.“ Lars Schirmer hat erst während seiner Weiterbil-dung Einblicke in die Praxisführung gewinnen können. Durch den Arbeitsalltag in der Hausarztpraxis erfuhr er, „wie man’s macht“. Besonders hilfreich waren für ihn die zahlreichen Kontakte zu Kollegen, die er während seiner ambulanten Tätigkeit knüpfte. Zudem erfuhr er wichtige Details bei den Informationsveranstaltungen und Praxis-vorbereitungsseminaren, die von kassenärztlichen Vereini-gungen (KV), Ärzteversicherungen, Ärztebanken und von Pharmafirmen angeboten werden. Auch dort hatte er die Gelegenheit, sich mit Kollegen auszutauschen. „Gerade dieser Austausch war für mich besonders wichtig. Das hat mir Sicherheit gegeben und die Begeisterung meiner Kol-legen hat mir die Angst vor möglichen Risiken genom-men.“

Und was, wenn man plötzlich sein eigener Chef ist?

Lars Schirmer hatte sich gut auf seine neue Rolle als Praxischef vorbereitet: „In meiner Weiterbildungszeit habe ich zahlreiche Erfahrungen im Praxisalltag gesammelt. Ich habe mir vieles dort abgeschaut. Bei manchen Abläufen war mir aber auch klar: Das würde ich anders machen.“ Bereits bevor man die Praxis eröffnet, sollte man sich über die Strukturen genau informieren. Behält man das Team der Praxis, die man übernimmt, sichert man nicht nur deren Existenz, sondern erleichtert sich auch den Einstieg. Vor allem in Bezug auf die Patienten, denn die sind mit

den Arzthelferinnen bereits vertraut. „Schwieriger wird es dann allerdings, wenn man neue Arbeitsabläufe etablieren möchte. Da muss man dann wirklich Chef sein und sich durchsetzen“, weiß Lars Schirmer. Bei ihm war der Übergang fast nahtlos. Schon eine Woche nach Beendigung der Weiterbildungszeit eröffnete er seine Praxis im Erzgebirge.

„Ich würde jedem empfehlen, sich als Hausarzt niederzu-lassen“, erklärt Dr. Schirmer. „Allerdings sollte man in der heutigen Zeit darüber nachdenken, ob und wie man sich

Dr. Lars Schirmer, 35Facharzt für Allgemeinmedizin

12

mit Kollegen zusammenschließen kann. Denn der büro-kratische Aufwand ist sehr hoch und so kann man die Arbeit besser verteilen.“ Diese Zusammenarbeit muss dabei nicht unbedingt in der gemeinsamen Praxis stattfinden, sie funktioniert auch regional: Zur gegenseitigen Unterstüt-zung haben Lars Schirmer und drei weitere Kollegen mit Einzelpraxis eine Art Hausärztenetzwerk gegründet. Sie treffen sich mehrmals jährlich zum Erfahrungsaustausch, zum Beispiel zu Abrechnungsfragen, IGeL-Leistungen, standardisierten Untersuchungen oder Leitlinien. Dazwi-schen anfallende Fragen werden telefonisch geklärt.

Unterstützung erhält der Hausarzt natürlich auch von seinem gut geschulten Personal. „Je besser das Praxisteam arbeitet, umso mehr kann sich der Arzt seiner eigentlichen Tätigkeit widmen“, weiß Schirmer. „Motivierte, mitden-kende medizinische Fachangestellte sind ganz einfach Gold wert!“ Froh ist er ebenfalls über die Mithilfe von seiner Ehefrau Sylvia. Inzwischen sind die drei Kinder groß genug, sodass ihr die Zeit bleibt, als Arzthelferin in der Praxis mitzuarbeiten und sich um die Buchhaltung zu kümmern. Das senkt die Kosten für den Steuerberater.

Was kostet die eigene Praxis?

„Ich habe damals einen Kredit über 40.000 Euro auf-genommen“, erinnert sich Dr. Schirmer. „Davon konn-te ich die Praxis bezahlen, sie nach meinen Vorstellungen umbauen, die Computersysteme erneuern und sogar noch eine Kindersitzecke einbauen lassen. Für den Patientenstamm habe ich rund 5.000 Euro ausgegeben.“ Dass die Preise in der Stadt oder in den alten Bundes-

13

ländern wesentlich höher sind, das ist ihm bewusst. „Aber die Zeiten, in denen man 100.000 Euro für eine Praxis-übernahme bezahlen musste, sind, denke ich, überall vorbei. Die Kosten sind in der Regel überschaubar.“ Güns-tige Kredite geben beispielsweise die Deutsche Apotheker- und Ärztebank oder die Dresdner Bank; man sollte sich allerdings vorab genau über die Bedingungen informieren und mit den Angeboten anderer Banken vergleichen. Lars Schirmer hatte das Glück, eine relativ neu und umfassend eingerichtete Praxis übernehmen zu können. „Aber man kann auch mit einer weniger gut ausgestatteten Praxis starten und im Laufe der Zeit die Ausrüstung auf-stocken.“

Lars Schirmers Erwartungen als niedergelassener Hausarzt haben sich voll erfüllt. Für ihn ist es einer der schönsten Berufe, die es gibt. Auch leben kann er gut davon. Dennoch wünscht er sich mehr Anerkennung für seine Arbeit und die seiner Kollegen. Denn ohne Hausarzt kann unser Gesundheitssystem nicht funktionieren. Er ist der Arzt, der stets den Patienten als Ganzes im Auge hat. Auch seine Professoren vermittelten anschaulich die Bedeutung des Hausarztes – als derjenige, der am besten ausgebildet sein muss, um geschickt lenken, beraten und führen zu können.

14

könIgSdISzIplIn FAmIlIenmedIzIn

„Nach zwei Jahrzehnten intensiv gelebten Hausärztinnendaseins in einer kleinstadt bin ich fest davon überzeugt,

dass die Familienmedizin die königsdisziplin aller medizinischen Fachrichtungen ist“, sagt Dr. Petra reis-Berkowicz

aus Gefrees. „Dabei ist Menschlichkeit ein wesentlicher Charakterzug, den ein Hausarzt mitbringen muss, um diesen

Beruf mit Freude auszuüben. entschädigt für den hohen einsatz wird man durch die zahlreichen dankbaren Patienten,

die diese besondere Art der ärztlichen Zuwendung eigentlich nur noch in der Hausarztmedizin kennenlernen dürfen.“

15

Ihr Leben als Hausärztin, das weiß Dr. Petra Reis- Berkowicz, ist spannend und abwechslungsreich. Ihrer Flexibilität und ihrem Improvisationsvermögen verdankt sie es, den oft sehr turbulenten Arbeitsalltag zu meistern. Als Hausärztin pflegt sie einen sehr engen, fast freundschaft-lichen Kontakt zu ihren Patienten. Mit einem Großteil von ihnen ist sie per Du. „Viele meiner Patienten habe ich auf-wachsen sehen. Heute kommen sie als junge Eltern zu mir. Das ermöglicht es mir, viel offener mit ihnen zu sprechen.“ Petra Reis-Berkowicz kennt die Lebensumstände ihrer Patienten sehr genau. Für sie ist die sogenannte „erlebte Anamnese“, also das Integrieren der aktuellen Beschwerden des Patienten in seine soziale Gesamtsituation, Teil ihrer täglichen Arbeit. „Manchmal weiß ich schon, was los ist, wenn der Patient zur Tür hereinkommt“, erzählt sie. Das Zwischen-den-Zeilen- Lesen hat sie unter anderem in ihrer Weiterbildung in der Psychiatrie gelernt. „Man bekommt eine andere Wahrnehmung und stellt kleinste Veränderun-gen beim Patienten fest.“

Dr. Reis-Berkowiczs Ansehen als Hausärztin in Gefrees ist hoch. „Natürlich genießt man heute als Landärztin nicht mehr automatisch eine so hohe Reputation wie früher. Die muss man sich schon erwerben durch eine gute Beziehung zu den Patienten und die entsprechende medizinische Kom-petenz.“ Trotzdem hat der Hausarzt hier noch eine größere Bedeutung als in der Stadt. „Bei uns ist der Hausarzt heute immer noch die erste Anlaufstelle. Wir überweisen dann an den Facharzt, wenn wir das Problem nicht entsprechend lösen können.“ Die Hausärztin bespricht im Anschluss daran mit dem Patienten ausführlich die Befunde und die vorgeschlagene Therapie. „Die Bindung zwischen Hausarzt und Patient ist in der Regel sehr viel enger als zu den Fach-

ärzten. Manche meiner Patienten kennen nach fünf Jahren noch nicht den Namen ihres behandelnden Kardio-logen.“

Berufspolitisches Engagement aus Verantwor-tung für ihre Patienten

Durch ihr berufspolitisches Engagement hat sich Dr. Petra Reis-Berkowicz über die Grenzen von Gefrees hinaus einen Namen gemacht. Als geschäftsführendes Vorstandsmitglied

Dr. Petra Reis-Berkowicz, 50Fachärztin für Allgemeinmedizin

16

des Bayerischen Hausärzteverbandes, Bezirksvorsitzende von Oberfranken sowie Leiterin des Presse- und Medienressorts kämpft sie seit vielen Jahren um den Erhalt der ambulanten hausärztlichen Versorgung. „Viele Politiker versuchen, Gesundheit planbar und Krankheit nach Rentabilitätsge-sichtspunkten berechenbar zu machen. Aber betriebswirt-schaftliche Gesetze kann man einfach nicht für die Famili-enmedizin anwenden. Denn dabei geht die Menschlichkeit verloren“, unterstreicht sie. „Die ist noch viel wichtiger als das pure Verordnen von Medikamenten. Einem chronisch Kranken muss der Hausarzt dabei helfen, sein Schicksal anzunehmen. Das geht nicht mit einer Fünf-Minuten-Medizin.“

Für den Erhalt der Familienmedizin sind aber auch eine angemessene Bezahlung der Leistungen und ein Abbau der Bürokratie notwendig. Hierfür kämpfen die Hausärzte. Einen Etappensieg konnte man in Bayern dieses Jahr schon feiern: Seit April können sich Ärzte und Pa tienten hier jetzt für den AOK-Hausarzttarif einschreiben. „Der Hausarzt bekommt hier feste Pauschalen für jede Behandlung. Dadurch wird die Abrechnung wesentlich einfacher und übersichtlicher“, erläutert Petra Reis-Berkowicz. „Außerdem erhält der Arzt pro behandelten Patienten jetzt deutlich mehr Geld.“

Neue Modelle der hausärztlichen Versorgung

Eine aktuelle Umfrage hat ergeben, dass die Mehrheit der Bevölkerung ihrem Hausarzt vertraut und sich von ihm individuell wie auch gut beraten fühlt. Um diese Art der hausärztlichen Versorgung jedoch weiterhin gewähr leisten zu können, müssen sich die Hausärzte

17

ebenso in Zukunft weisungsungebunden, aber auch ressourcenverantwortlich um die Belange der ihnen an-vertrauten Patienten kümmern können. Dabei sind verschiedene Versorgungsformen – gerade in ländlichen Gegenden, wo bereits ein Hausärztemangel herrscht – vorstellbar. „Wir planen gerade, in Gefrees eine Art Versorgungszentrum mit Satellitenpraxen in Ortschaften zu errichten, in denen es keinen Hausarzt mehr gibt. Das ist vor allem für die nicht mehr mobilen Patienten gedacht. Je nach Bedarf befindet sich dann ein Hausarzt entweder teilweise oder Vollzeit in dieser Praxis.“ Ein flexibles Modell, das sich dem Wandel der Zeit anpasst. Denn durch die Feminisierung der zukünftigen Ärzte-generationen und die damit verbundenen Veränderun-

gen im Hausarzt beruf sind bessere Arbeitsbedingungen unbedingt erforderlich. Familienplanung, der Wunsch nach Teilzeit arbeitsplätzen und geändertes Freizeitver-halten können durch neue Versorgungsformen leichter realisiert werden. Dadurch bleibt der Hausarztberuf für den medizinischen Nachwuchs auch in Zukunft attrak-tiv. „Der Familienarzt muss erhalten bleiben, denn er bildet in unserer Leistungsgesellschaft eine der letzten vorhandenen Anlaufstellen, an die sich Menschen in körperlicher und seelischer Not wenden können. Es ist wichtig, dass der Hausarzt auch in politischer Hinsicht den gesell schaft lichen Stellenwert wiedererlangt, der ihm zusteht“, fordert Petra Reis-Berkowicz.

Der Hausarzt genießt größtes vertrauen, Quelle: ernst & Young Gesundheitsbarometer 2009

3,49

3,27

2,97

2,97

2,82

2,42

1,81

3,48

3,29

3,04

2,91

2,95

2,42

1,84

3,50

3,26

2,92

3,02

2,73

2,41

1,79

1 2 3 4

Praktischer Arzt / Hausarzt

Facharzt

Arzt am Allgemeinkrankenhaus

Apotheker

Arzt an Uniklinik

Homöopath / Heilpraktiker

Internetforen etc.

Durchschnitt

Männer

Frauen gar nicht eher nein eher ja ja, sehr

78%

75%

70%

49%

24%

89%

93%

durchschnittlicher Anteil „ja, sehr/eher ja“

„Wem vertrauen Sie in Gesundheitsfragen?“

18

HAuSärztIn und mutter – BeruF und FAmIlIe FlexIBel komBInIert

vor inzwischen mehr als 18 Jahren eröffneten Dr. regine Brunner und Dr. Doris Prugger ihre Gemeinschaftspraxis in

ismaning, einem vorort von München. insgesamt gibt es dort acht Hausarztpraxen. „Da muss man sich schon ein wenig

spezialisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, verrät Dr. Brunner.

19

Hausärztin Regine Brunner behandelt viele unterschied-liche Krankheitsbilder. „In unserer Praxis bieten wir neben der Basismedizin auch besondere Leistungen wie traditionelle chinesische Medizin oder Phlebologie an. Unsere Spezialisierungen haben dazu geführt, dass wir mittlerweile eine überwiegend jüngere Patientenklientel betreuen“, sagt Regine Brunner. Als Hausärztin verfügt sie über ein sehr breites medizinisches Wissen. „Wir haben hier auch Patienten mit seltenen Krankheiten. Man muss vieles schon einmal gesehen haben, um eine zuverlässige Diagnose stellen zu können“, erklärt sie.

Ursprünglich wollte Regine Brunner Chirurgin werden. Sie brach ihre Weiterbildung aber nach fünf einhalb Jah-ren ab, weil die Wochenend- und Nachtdienste es ihr unmöglich machten, sich um ihre damals zwei Jahre alte Tochter zu kümmern. „Wir mussten Vollzeit eine Kin-derfrau beschäftigen und ich sah meine Familie kaum noch“, erzählt sie. Sie entschloss sich, mit ihrer Studien-kollegin Doris Prugger eine Hausarztpraxis in Ismaning zu eröffnen. „Nach unserer Niederlassung wurde das Muttersein für uns einfacher, weil wir uns ab diesem Moment selbst organisieren konnten.“ Solange der Nach-wuchs noch klein war, teilten sie sich eine Kinderfrau und wechselten sich sowohl bei der Kinderbetreuung als auch beim Dienst ab. Bis heute arbeiten die beiden Praxisin habe rinnen durchschnittlich je 30 Stunden pro Woche.

Hausarztberuf und Familie lassen sich gut kombinieren, da ist sich Dr. Brunner sicher. Allerdings geht das aus ihrer Sicht nur in einer Gemeinschaftspraxis: „Man braucht Kollegen, mit denen man sich gut versteht und

mit denen man sich die Arbeit teilt. Allein kann man das nicht stemmen“, weiß die Hausärztin. Das gilt auch für die männlichen Kollegen. „Das Arbeitspensum in einer Einzelpraxis ist heute fast nicht mehr zu bewältigen. Da bleibt keine Zeit mehr für ein Privatleben.“

Erst kürzlich wurde ein Ärztenetzwerk, bestehend aus neun Hausarztpraxen, gegründet. Dr. Brunner kümmert sich als erste Vorsitzende nun um regelmäßige Treffen, gemeinsame Fortbildungsmaßnahmen und ein gemein-

Dr. Regine Brunner, 51Fachärztin für Innere und Allgemeinmedizin

20

sames Qualitätsmanagement. Das erleichtert auch den Kollegen in der Einzelpraxis die Arbeit: Gegenseitige Ver-tretung, gemeinsames Auftreten gegenüber der KV, Vertrags abschlüsse mit den Krankenkassen – all das wird dadurch vereinfacht. „Außerdem macht die Arbeit im ‚ lockeren‘ Team auch mehr Spaß“, sagt Regine Brunner.

Unternehmen Hausarztpraxis

Für Regine Brunner ist klar: Ihre Praxis muss sich auch wirtschaftlich rentieren. Als Unternehmerinnen tragen sie und Dr. Prugger die Verantwortung für die Sicherung der Arbeitsplätze ihres Teams und ein positives Arbeitsklima. „Ohne unsere Angestellten könnten wir keinen reibungslo-sen Praxisablauf garantieren. Um deren Arbeitsplätze und unsere eigenen zu sichern, müssen wir ausreichend Geld erwirtschaften.“

Die Hausärztinnen haben sich deshalb ebenfalls über zusätz-liche zukunftsträchtige Einnahmequellen – unabhängig von der Hausarztpraxis – Gedanken gemacht und parallel einen Praxisladen eröffnet. Dort verkaufen sie unter anderem Kom-pressionsstrümpfe und Venensalben, aber auch Rezepturen der traditionellen chinesischen Medizin.

Inzwischen gibt es noch eine dritte Ärztin bei Dr. Brunner. Sie begann als Weiterbildungsassistentin in der Ismaninger Hausarztpraxis und ist seit der Geburt ihres Kindes halbtags als Angestellte tätig. Eine gute Möglichkeit, gerade für Be-rufseinsteiger, sich ohne finanzielles Risiko mit den Bedin-gungen in einer Hausarztpraxis vertraut zu machen. „Wir arbeiten hier immer mindestens zu zweit“, erzählt Dr. Brun-ner. „Unsere Patienten sind daran gewöhnt, dass unsere Praxis fast das ganze Jahr besetzt und im Notfall immer ein Ansprechpartner anwesend ist.“

21

Hausarztzentrierte Versorgung sichert medizinische Grundversorgung

Eine ausreichende Bezahlung der ärztlichen Leistungen ist aus Sicht von Regine Brunner unbedingt erforderlich, um den Patienten langfristig die hausärztliche Versorgung zu erhalten. Dazu leisten die Verträge zur hausarztzent-rierten Versorgung, die Hausärzte jetzt mit der AOK Bay-ern abschließen können, einen wichtigen Beitrag. Auch die Inhaberinnen der Gemeinschafts praxis in Ismaning haben sich an diesem Programm beteiligt. Sie erwarten, dass sich die Bedingungen – auch finanziell – für die Haus-ärzte dadurch dauerhaft verbessern werden, um dadurch die medizinische Grund versorgung auch für die Zukunft zu sichern. Viele der Teilnahmevoraussetzungen erfüllen die Ärztinnen schon seit mehreren Jahren. So zum Beispiel die regelmäßigen Fortbildungsveranstaltungen und Qua-litätszirkel. „Weiterbildung und die Vertiefung unserer Arbeitsbereiche sind unbedingt notwendig. Schließlich wollen wir unsere Patienten nach dem neuesten Stand der Wissenschaft behandeln.“

Hausärzte wird es aus Sicht von Dr. Brunner immer geben. Sie gewährleisten die Grundversorgung in der Medizin. Die Hausärztin fasst zusammen: „Wichtig ist es jetzt, da-für zu sorgen, dass der Hausarztberuf auch in finanzieller Hinsicht eine Perspektive hat. Denn nur so können wir den medizinischen Nachwuchs dazu motivieren, unseren abwechslungsreichen Beruf zu ergreifen.“

22

teAmleIStung pAtIentenVerSorgung

„Wenn wir die medizinische versorgung für unsere Patienten auch in Zukunft erhalten wollen, müssen wir verstärkt

im team arbeiten“, betont Dr. eckhard starke, Hausarzt aus Offenbach am Main. „eine Arbeitsaufteilung ist allein

deshalb notwendig, weil wir heute unter einem hohen kostendruck stehen, unsere Patienten aber trotzdem optimal

behandeln wollen.“ Dr. starke ist davon überzeugt, dass nur dann kostendeckend gearbeitet werden kann, wenn Ärzte,

kliniken und andere nicht ärztliche Anbieter wie Pflegedienste sich die Arbeit teilen. Dabei übernimmt der Hausarzt

die koordination und Qualitätskontrolle.

23

Dass eine Teamarbeit im Gesundheitsbereich funktio-nieren kann, hat Dr. Starke schon durch das im letzten Jahr von ihm gegründete Palliativnetz bewiesen. Daran beteiligt sind unter anderem Ärzte, Klinikvertreter, Pfle-gedienste, Hospizdienste, Seelsorger und Juristen. Zu den Mitgliedern des Beirates zählen außerdem die Bür-germeisterin von Offenbach, Birgit Simon, sowie Ver-treter der Krankenkassen und des Hessischen Ministe-riums für Arbeit, Familie und Gesundheit. Und es gibt bereits Erfolge zu vermelden: In Kürze wird ein eigenes Hospiz gleich neben dem Ketteler Krankenhaus, in dem sich die Hausarztpraxis von Eckhard Starke befindet, eröffnet.

Bürokratische Hürden erschweren die Patientenbetreuung

Mehr als 20 Jahre führte Dr. Starke eine Praxis in einem Offenbacher Wohngebiet. Vor rund einem Jahr ent-schloss er sich, die Hausarztpraxis am Ketteler Kranken-haus zu gründen. Fast alle seine Patienten haben ihm die Treue gehalten und kommen nach wie vor zu ihm. Von diesem etwas ungewöhnlichen Modell verspricht er sich nicht nur die Ausdehnung seines Patienten-stamms. Eckhard Starke möchte mit seiner Arbeit auch erreichen, dass die Klinikärzte eine bessere Vorstellung von der Tätigkeit eines Hausarztes bekommen. „Jeder Hausarzt hat während seiner Weiterbildung eine Zeit lang in der Klinik gearbeitet. Aber die wenigsten Kli-nikärzte haben wirklich eine Vorstellung von dem brei-ten Betätigungsfeld eines Hausarztes. Allein durch die räumliche Nähe bekommen die Kollegen jetzt mehr von meiner Arbeit mit.“

Das erleichtert auch den Austausch mit den Kollegen in der Klinik. „Bislang ist die Verzahnung zwischen Kranken-haus und ambulanter Versorgung aufgrund der Abrechnungsstrukturen zwar noch nicht optimal, aber wenn man diese bürokratischen Hürden eines Tages abschafft, würde das die Betreuung der Patienten erheblich vereinfachen.“ Auch hier ist die palliativmedizi nische Versorgung ein Vorbild für künftig notwendige Verände-rungen. Denn Eckhard Starke kooperiert eng mit dem Chefarzt der Medizinischen Klinik I des Ketteler Kranken-

Dr. Eckhard Starke, 57Facharzt für Allgemeinmedizin

24

hauses in der ambulanten palliativ medizinischen Versor-gung. Regelmäßig besprechen sie sich zu den Pa tienten – und auch hier ist der Hausarzt der Koor dinator für die einzelnen Maßnahmen.

Hausarzt in der Großstadt

„Für mich gibt es keinen schöneren Beruf als den des Haus-arztes“, sagt Dr. Eckhard Starke. Der Vater von drei Kindern ist Arzt bereits in der sechsten Generation. „Ich hätte mir nie vorstellen können, etwas anderes zu machen.“ Hausarzt sein, das weiß Eckhard Starke, ist mehr als die Kenntnis von technischen Untersuchungsmethoden. „Ich muss die Pati-enten auch mit meinen Händen und den Augen untersuchen können. Denn bei Hausbesuchen habe ich keine technischen Geräte bei mir.“ Das Vertrauen seiner Patienten ist ihm wichtig. „Ich möchte meinen Patienten das Gefühl geben, dass ich sie in der Therapie begleite und für sie da bin.“ Dazu gehört auch, sich Zeit für Erklärungen zu nehmen. Bezahlt bekommt er das nicht, er tut es trotzdem.

Die große Patientenvielfalt in einer Großstadt verlangt dem Hausarzt einiges ab. „Zum einen haben wir in Großstadt-nähe einen hohen Migrantenanteil. Sprach liche Barrieren und unterschiedliche Sitten erfordern ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und eine sehr individuelle Beratung“, weiß der Arzt. „Auf der anderen Seite haben wir viele sehr gut informierte Patienten, die eine detaillierte Aufklärung über ihr Krankheitsbild fordern. Bei diesen Patienten ist dann allerdings die Therapietreue entsprechend höher, weil sie die mög lichen Konsequenzen eines Abbruchs besser verstehen.“

25

Obwohl der Wettbewerb in der Großstadt durch die hohe Anzahl an Hausarztpraxen groß ist, bietet der Hausarztberuf auch hier Vorteile. So sind die Wege bei Heim- und Hausbesuchen in der Regel kürzer als auf dem Land. Außerdem erlaubt die höhere Facharztdich-te eine differenzierte Diagnostik.

Für Eckhard Starke ist die Einzelpraxis in der Großstadt kein Auslaufmodell. Denn die hohe Arztdichte bietet zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten in der medizi-nischen Versorgung. Das entlastet den einzelnen Haus-arzt – auch finanziell. „Eine effektive Möglichkeit, regionale Versorgungsaufträge gemeinsam zu überneh-men, besteht zum Beispiel in der Aufteilung von spezi-

ell ausgebildeten Arzthelferinnen, beispielsweise bei der Wundversorgung.“ Die Idee: Mehrere Hausarztpraxen teilen sich eine Mitarbeiterin, die ein bestimmtes Auf-gabengebiet übernimmt. Das spart Kosten und garantiert die berufliche Auslastung dieser Arzthelferin bei nicht spezialisierten Praxen. „Wir Ärzte müssen in Zukunft geschäftsmännischer agieren, damit wir uns nicht selbst verschuldet in finanzielle Notsituationen manövrieren“, meint Dr. Starke. Denn – und davon ist der Hausarzt überzeugt – man kann sich nur richtig auf die Arbeit mit den Patienten einstellen und diese optimal versorgen, wenn man finanziell abgesichert und nicht durch ein zu hohes Arbeitspensum dauerhaft überlastet ist.

26

wIcHtIgeS SpezIAlgeBIet: zuHören können

Dr. Monika Brase aus Bremen ist Hausärztin und dreifache Mutter. sie entschied sich ganz bewusst für ihren Beruf.

Als Hausärztin behandelt sie Menschen jedes Alters. sie sieht dabei den Menschen als Ganzes und weiß meist über

seine Lebensumstände ebenso gut Bescheid wie über seine krankheiten. „Zu uns kommen die Mütter mit ihren

Neugeborenen bis hin zur 99 Jahre alten Großmutter“, berichtet Monika Brase.

27

Ihre wichtigste Spezialisierung ist zuhören können. „Erst muss man den Patienten anhören und dann untersuchen. Als Hausärztin brauche ich ein sehr breites Wissen über die verschiedenen Krankheitsbilder. Ich muss die Beschwer-den meiner Patienten richtig einordnen können und wissen, wann ich den Facharzt hinzuziehe. So habe ich das auch meinem kleinen Neffen erklärt: Ich muss von allem etwas wissen, aber nicht ganz genau.“

Ursprünglich wollte Dr. Brase Gynäkologin werden. Doch sie brach ihre Weiterbildung ab, weil ihr das zu einseitig erschien, und wurde Allgemeinärztin. Bis heute ist sie gerne Hausärztin, obwohl ihr der Beruf viel abverlangt. „Eigentlich muss ich immer erreich bar sein“, sagt sie. „Wir geben auch unsere privaten Telefonnummern für Notfälle an. Da kann es schon vorkommen, dass am Samstag beim Frühstück das Telefon klingelt.“ Trotzdem bleibt ihr immer noch Zeit für ihre Familie – denn sie arbeitet in einer Gemeinschaftspraxis als Teilzeitärztin.

Gemeinschaftspraxis – das Modell der Zukunft

1994 stieg Monika Brase in die Gemeinschaftspraxis ein. Ihr Kollege suchte nach einer Teilhaberin, um als Vater von drei Kindern mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können. Zwei Tage pro Woche arbeitete sie in der Pra-xis und an einem Tag machte sie Hausbesuche. Schon bald wurde sie schwanger, trat aber kurz nach der Geburt ihrer Tochter den Dienst wieder an. „In der ersten Zeit brach-te mir meine Mutter meine Tochter zum Stillen oder ich nahm sie mit zur Arbeit, bis wir schließlich eine Tages-mutter bekamen.“ Ähnlich verlief es auch nach der Geburt

der beiden anderen Kinder. Dank der Unterstützung durch ihre Tagesmutter gelang es ihr, Beruf und Familie zu kom-binieren.

Für die Hausärztin ist die Gemeinschaftspraxis das Modell der Zukunft. „Wir können von unserer Arbeit leben. Wir müssen aber nicht, wie viele unserer Kollegen in Einzel-praxen, jeden Tag von 7 bis 22 Uhr arbeiten. Die machen sich regelrecht kaputt.“ Und dann bleibt ihnen oftmals nach Abzug aller Kosten trotzdem nicht genug Geld zum Leben übrig. „Bei uns funktioniert das deshalb so gut, weil

Dr. Monika Brase, 50Fachärztin für Allgemeinmedizin

28

wir uns die laufenden Kosten teilen und wir eine große Anzahl an Patienten betreuen können“, erklärt Monika Brase. Da können die Kollegen in der Einzelpraxis nicht mithalten.

Inzwischen sind an der „Gemeinschaftspraxis für Fami-lienmedizin“ vier Ärzte beteiligt: zwei Frauen und zwei Männer. Keiner von ihnen hat eine reguläre Fünf-Tage-Woche. Sie entlasten sich durch wechselnden Dienst und Arbeitsteilung. „Wichtig ist aber dabei, dass man sich gut versteht und die Praxis kollegen sich diese Form der Tätigkeit vorstellen können – also bereit sind, zu teilen und sich entlasten zu lassen“, schildert die Hausärztin. Auch die medizi nischen Fachangestellten arbeiten im Schichtsystem. Nur so sind Öffnungszeiten durchgehend von morgens bis abends möglich. Ein ständiger Austausch

ist dabei das A und O. „Wir besprechen uns innerhalb des gesamten Teams zu den Patienten, ihren Erkrankungen und dem Therapie verlauf“, erzählt Dr. Brase. Einmal wöchentlich beraten sich die Praxishelferinnen unterein-ander und in etwas größeren Abständen trifft sich das gesamte Team.

Jeder Arzt hat einen eigenen Patientenstamm, der über-wiegend von ihm betreut wird. Besonders für die Beratung in Konfliktsituationen ist das wichtig. Bei akuten Proble-men wenden sie sich jedoch an den jeweiligen Kollegen, der gerade im Dienst ist.

VERAH: Versorgung als Teamleistung

Die Anforderungen an die Hausärzte sind hoch: Heute müssen immer mehr ältere Menschen medizinisch versorgt werden. Sie leiden häufig unter chronischen Erkrankun-gen. Viele von ihnen sind nicht mehr mobil und müssen zu Hause betreut werden. Medizinische Versorgung und Pflege werden dabei stets vom Hausarzt koordiniert. Ein Dienst für den Patienten, den der Hausarzt leisten muss – trotz zunehmenden Hausärztemangels und Kosten-begrenzung.

Hausärztliche Versorgung wird immer mehr zur Leistung des gesamten Praxisteams. Deshalb gibt es jetzt die modulartige Weiterbildung für medizinische Fachange-stellte zur Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis, kurz: VERAH. Sie soll eigenständig bestimmte Auf-gabenbereiche übernehmen, um den Arzt zu entlasten.

29

Sie kümmert sich zum Beispiel um eine effiziente Praxis-organisation, übernimmt koordinierende Aufgaben bei bestimmten Krankheitsfällen oder führt Hausbesuche durch, für die nicht unbedingt ein Arzt gebraucht wird. Eine der ersten VERAHs ist Karin Hilker. Erst kürzlich hat sie ihre Prüfung bestanden. Karin Hilker ist eine lang-jährige Mitarbeiterin in der Praxis von Dr. Brase und kennt die Patienten gut. Ab jetzt übernimmt sie in der Bremer Praxis delegierbare Haus besuche. Zu ihren Aufgaben zählt unter anderem die Prävention: Sie erinnert die Patienten an die Auf frischung von Impfungen und motiviert sie dazu, regelmäßige Check-ups durchführen zu lassen. Außerdem leistet sie Patienten und deren Angehörigen Hilfestellung bei der Einleitung von Pflegemaßnahmen. Manchmal muss

sie auch einfach nur Blut abnehmen oder eine Wunde versorgen. Auch Routine hausbesuche bei älteren Patienten gehören dazu.

Jeden Tag, bevor Karin Hilker sich auf den Weg macht, bekommt sie pro Patient ein Hausbesuchsprotokoll, welches genau beschreibt, was zu tun ist. „In dringenden Fällen kann ich über mein Mobiltelefon immer Rückspra-che halten“, sagt Karin Hilker. Nach den Besuchen bespricht sie die Protokolle mit den Ärzten. Die frisch gebackene VERAH freut sich über ihre neuen Aufgaben: „Die Weiterbildung zur VERAH wird unseren Fähig keiten endlich gerecht. Wir dürfen jetzt viel eigenverantwortlicher arbeiten.“

30

HAuSArzt zwIScHen trAdItIon und moderne

Dr. York Glienke ist Hausarzt in der dritten Generation. seine Praxis in Böblingen wurde schon vom Großvater ge-

gründet. Nach seinem Medizinstudium ging York Glienke erst einmal ein paar Jahre ins Ausland: Australien, irland,

england, südafrika, Namibia ... Dort lernte er die vielen verschiedenen Facetten des Arztberufes kennen. Doch es zog

ihn zurück in die Heimat und er beteiligte sich an der Gemeinschaftspraxis seiner Mutter. seit sie in rente ist, führt

er die Praxis gemeinsam mit einem kollegen. in diesem Jahr wird die Praxis noch um eine kinderärztin – Glienkes

ehefrau – erweitert. so ausgestattet, ist eine hausärztliche Betreuung ganz nach der Devise „von der Wiege bis zur

Bahre“ möglich.

31

„Wir möchten für unsere Patienten bei allen Gesundheits-problemen die erste Anlaufstelle sein“, betont York Glienke. „Deshalb unterstützen wir die Hausarztmodelle.“ Als eine der ersten beteiligte sich seine Praxis an dem neuen Haus-arztprogramm in Baden-Württemberg. Ausgearbeitet wur-de dieses Programm vom Hausärzteverband Baden-Würt-temberg, dem MEDI Verbund und der AOK Baden-Württemberg mit dem Ziel, den Pa tienten die haus-ärztliche Versorgung langfristig zu sichern. Die Grundlage für den Vertrag bildet der Paragraf 73 b des Sozialgesetzbuch V. Dieser schreibt das Anrecht der Patienten auf eine um-fassende hausärztliche Versorgung fest. Wichtig ist: Die Teilnahme ist für Arzt und Patienten freiwillig. Inzwischen haben sich rund 3.000 Hausärzte und 650.000 AOK- Versicherte in Baden-Württemberg für das Programm zur hausarztzentrierten Versorgung (HZV) eingeschrieben (Stand Juli 2009). In Dr. Glienkes Praxis allein sind es 1.100 Pati-enten.

HZV: Rechte und Pflichten für Arzt und Patient

Arzt und Patient müssen einiges bei diesem Hausarztpro-gramm beachten: Der Versicherte bindet sich durch die Einschreibung für ein Jahr an einen Hausarzt seiner Wahl. Das bedeutet, dass er sich im Krankheitsfall immer zuerst an ihn wendet. Der Arzt überweist ihn – falls nötig – nach genauer Untersuchung an einen Facharzt. Ausnahme: Für Augenärzte, Frauenärzte und Notfalldienst braucht der Patient keine Überweisung von seinem Hausarzt.

Für seine berufstätigen Patienten bietet der Hausarzt min-destens einmal pro Woche eine Abendsprechstunde bis 20

Uhr an. Er bemüht sich um Wartezeiten von höchstens 30 Minuten und unterstützt seine Patienten bei kurzfristigen Terminvereinbarungen mit Fachärzten. Zudem führt er bei Versicherten ab dem 36. Lebensjahr einmal jährlich einen kostenlosen Check-up durch und bietet EDV-gestützte Risikoanalysen für Herzinfarkt und Schlaganfall an. Außer-dem verpflichtet er sich, regelmäßig an Fortbildungsveran-staltungen und Qualitätszirkeln teilzunehmen und ein speziell auf die Hausarztpraxis zugeschnittenes Qualitäts-management zu betreiben. Dokumentation, Abrechnung und Verordnung laufen über eine eigene spezielle Software.

Dr. York Glienke, 38Facharzt für Allgemeinmedizin

32

Zur technischen Mindestausstattung der Praxis müssen bestimmte Apparate wie EKG, Blutzuckermessgerät oder ein Spirometer gehören.

Neu ist auch, dass die Leistungen anhand festgelegter Pauschalen honoriert werden. Dies vereinfacht die Ab-rechnung und der Arzt bekommt insgesamt mehr Geld. Dem Gesundheitssystem entstehen dadurch aber nicht mehr Kosten. Denn dank der Koordinationsfunktion des Hausarztes werden teure Doppeluntersuchungen, „Doctor Hopping“ und Medikamentenüberschneidungen vermie-den.

„Durch den neuen Hausarztvertrag können wir auch in Zukunft eine individuelle, patientenzentrierte Versorgung aufrechterhalten“, erklärt Glienke. „Langfristig ist das nämlich nur möglich, wenn der Hausarzt seine Leistungen auch entsprechend bezahlt bekommt.“

Papierlose Praxis

Auch wenn York Glienke Hausarzt aus Tradition ist: Seine Praxis befindet sich auf dem neuesten Stand der Technik und wird komplett papierlos geführt. Für ihn stellt die digitale Abrechnung einen Pluspunkt für den neuen Vertrag dar. „In England und Australien habe ich nur positive Er-fahrungen mit der digitalen Datenübermittlung gemacht“, erklärt er. „Am Anfang gab es zwar ein paar Schwierigkei-ten mit der neuen Software. Die sind aber inzwischen weitgehend beseitigt.“ Die neue Praxissoftware erleichtert die digitale Abrechnung erheblich. Datenschutzprobleme sieht Dr. Glienke nicht. „Die Software muss eine sichere

33

Übermittlung der Abrechnungsdaten über das Internet garantieren. Das tut sie aus meiner Sicht auch. Außer-dem sind die Unterschiede zu anderen Abrechnungs-programmen insgesamt marginal.“ Trotzdem braucht man ein bisschen Übung und Routine, um das Pro-gramm bedienen zu können. Deshalb hat das gesamte Praxisteam an den vom Hersteller angebotenen Schu-lungen teilgenommen.

Für Dr. Glienke sind die Hausarztverträge zukunfts-weisend: „Krankenkassenübergreifende und deutschland-

weite Verträge würden einen wichtigen Beitrag zur Entbürokratisierung, zu ausreichender Bezahlung und zur Erhaltung von Qualitätsstandards leisten. Und genau das ist notwendig, damit es sich auch für den medizinischen Nachwuchs lohnt, diesen spannenden Beruf zu ergreifen. Nur so bleibt uns der Hausarzt als zentrale medizinische Versorgungsstelle langfristig erhalten.“ Glienke weiß, dass Hausärzte immer gebraucht werden – heute und in Zukunft. Vor allem vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung und ihres unersetzlichen Vertrauensverhältnisses zu den Patienten.

34

zAHlen und FAkten rund um den HAuSArztWie wird man Hausarzt?

• Abschluss: Facharzt/Fachärztin für Innere und Allge-meinmedizin (Hausarzt/Hausärztin)

• Weiterbildungszeit: insgesamt 60 Monate bei einem Weiterbildungsbefugten an einer Weiterbildungsstätte.

- 36 Monate stationäre Basisweiterbildung im Gebiet Innere Medizin und Allgemeinmedizin; davon sind bis zu zwölf Monate in den Gebieten der unmittelba-ren Patientenversorgung (in Drei-Monats-Abschnit-ten möglich) anrechenbar, die auch im ambulanten Bereich abgeleistet werden können

- 24 Monate Weiterbildung in der ambulanten haus-ärztlichen Versorgung, davon können bis zu sechs Monate in Chirurgie (in Drei-Monats-Abschnitten möglich) angerechnet werden

- 80 Stunden Kursweiterbildung in psychosomatischer Grundversorgung

In welchen Städten gibt es Lehrstühle für Allgemeinmedizin oder allgemein medi zi-nische Abteilungen?

In ganz Deutschland gibt es 31 allgemeinmedizinische Uniabteilungen.

Welche Aufgaben hat ein Hausarzt?

• Erster ärztlicher Ansprechpartner bei allen Gesund-heitsproblemen

• Grundversorgung aller Patienten mit körperlichen und seelischen Gesundheitsstörungen in der Notfall-, Akut- und Langzeitversorgung

• Prävention und Rehabilitation

eine Übersicht inklusive der entsprechenden verlinkung findet sich unter www.degam.de/links_uniabteilungen.html

Weitere informationen finden sich auf der seite der DeGAM: www.degam.de/weiterbildung.html

Weiterführende Literatur:Hagen sandholzer, Praxistrainer Allgemeinmedizin, schattauer verlag, isBN 978-3794525133Frank H. Mader, Herbert Weißgerber, Allgemeinmedizin und Praxis, springer verlag, isBN 978-3540719021Michael M. kochen, Allgemeinmedizin und Familienmedizin: Duale reihe, thieme verlag, isBN 978-3131413833

35

Die Aufgabenbereiche

• Filter- und Steuerfunktion: Stufendiagnostik und Therapie unter Einbeziehung von Fachärzten

• Haus- und familienärztliche Funktion: Betreuung des Patienten in seinem sozialen Umfeld (Familie, Gemeinschaft)

• Gesundheitsbildungsfunktion: Gesundheitsberatung und Gesundheitsförderung

• Koordinations- und Integrationsfunktion: gezielte Überweisung an Spezialisten, Koordination zwischen den verschiedenen Versorgungsebenen, Zusammen-führen und Bewerten aller Ergebnisse und deren

kontinuierliche Dokumentation, Vermittlung von

Hilfe sowie Pflege des Patienten in seinem Umfeld

Gibt es eine Fortbildungspflicht für Hausärzte?

Gemäß GKV-Modernisierungsgesetz sind alle Vertrags-ärzte, bei einem Vertragsarzt angestellte Ärzte, ermäch-tigte Ärzte oder Ärzte in medizinischen Versorgungszen-tren, die ihre Zulassung bis zum 30. Juni 2004 erhalten haben, dazu verpflichtet, innerhalb von fünf Jahren 250 Fortbildungspunkte (CME-Punkte = Continuing Medi-cal Education = zertifizierte Fortbildung für Ärzte) zu erwerben. Die Nachweise mussten erstmals spätestens am 30. Juni 2009 erbracht werden. CME-Fortbildungs-maßnahmen werden vom IhF, sowie von (fast) allen großen Verlagen und in Fachpublikationen angeboten.

36

Welche Fortbildungsinhalte sind wichtig?

Um eine strukturierte und speziell auf die hausärzt-liche Praxis zu ge schnit-tene Fortbildung anbie-ten zu können, hat der deutsche Hausärzte-verband das Institut für hausärztliche Fort bildung (IhF) gegründet. Grund-lage für die Erarbei-tung hau särztlicher Fortbildungsinhalte ist die Berücksichtigung des breiten unselektierten haus-ärztlichen Patientenkollektivs. Dies zeichnet sich unter anderem durch folgende Kriterien aus:

• Altersspektrum vom Kleinkind bis zum Greis

• multimorbide/chronisch Kranke

• geriatrische Patienten

• Mehrfachtherapie

• Langzeittherapie

• Selbstmedikation

IhF – Fortbildungsprogramm

Basierend auf diesen Schwer-punkten bietet das IhF

Fortbildungsprogramme zu folgenden Themen an (Auswahl):

• Palliativmedizin

• Präventionsworkshop für Hausarzt und Praxis team

• Pharmakotherapie in der hausärztlichen Praxis

• Jugendgesundheits-untersuchungen

• Disease Manage ment (DMP), zum Beispiel Asthma/COPD

• Hausärztliches geriatrisches Basis assessment

• Impfungen – effektiver Gesundheitsschutz

• Osteoporose

37

„Tag der Allgemeinmedizin”

Praxisorientierte Veranstaltung mit interaktiven Work-shops. Erstmals organisiert und durchgeführt von der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Heidelberg. Inzwischen findet dieser Tag an verschiedenen Orten in Deutschland statt (Frankfurt, Homburg, Göttingen, Kassel).

Hausärztetage der Landesverbände im Deutschen Hausärzteverband und Deutscher Hausärztetag

Jahrestagungen mit aktuellen Fortbildungsangeboten und berufspolitischen Informationen.

Akademie für hausärztliche Fortbildung Bremen (AHF)

• Angebot vom Landesverband Bremen des Deutschen Hausärzteverbandes

• Industrieunabhängige Fortbildungsangebote

• Hausärztliche Qualitätszirkel: Kleingruppen, die bestimmte Themen auf der Grundlage der Erfahrun-gen der Teilnehmer analysieren und mithilfe verschie-dener Verfahren Lösungsvorschläge erarbeiten

Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf vollständigkeit. Zusätzlich gibt es weitere Angebote der jeweiligen Landesärztekammern und der regionalen Ärztekreise.

Mehr informationen gibt es auf den Webseiten der Landesverbände oder unter www.hausaerzteverband.de

38

Was verdient ein Hausarzt?

Ein wichtiges Kriterium jeder Berufswahl sind auch die Verdienstmöglichkeiten. Als Grundlage wurde eine Stu-die des Statistischen Bundesamts herangezogen (Stand September 2009). Das Statistische Bundesamt verwen-det den Reinertrag als Kennziffer. Der Reinertrag ist die Summe aller Erträge abzüglich aller Aufwendungen aus selbstständiger ärztlicher Tätigkeit. Der Studie zufolge hat ein Hausarzt in den neuen Bundesländern durch-schnittlich einen Reinertrag zwischen 96.000 Euro (Ein-zelpraxis) und 123.000 Euro (Gemeinschaftspraxis). In den alten Bundesländern liegt er zwischen 114.000 Euro (Einzelpraxis) und 126.000 Euro (Gemeinschaftspraxis). Hausärzte, die sich in die neuen Verträge zur hausarztzen-trierten Versorgung einschreiben, können mit deutlich höheren Verdienstmöglichkeiten rechnen.

Wer berät zum Thema „Niederlassung“ und begleitet bei den ersten Schritten?

Schon während der Weiterbildung kann man sich bei erfahrenen Kollegen wertvolle Informationen holen: Was ist gut in der jeweiligen Praxis und was würde man selbst anders machen? Übernimmt man eine Praxis, dann ist es ideal, das gesamte Team zu übernehmen. Die Mitarbeite-rinnen kennen die Patienten gut, dies erleichtert dem neuen Chef die Einarbeitung. Nachteil: Änderungen in den Praxisabläufen lassen sich nicht immer einfach in ei-nem eingespielten Team etablieren. Vor der Praxisgrün-dung ist eine umfassende Beratung wichtig. Informatio-nen gibt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) des jeweiligen Bundeslandes: so zum Beispiel zum Thema „Eintrag ins Arztregister“, „Antrag auf Zulassung als Ver-tragsarzt“, „Bewerbung um einen ausgeschriebenen Pra-xissitz“ etc. Praxisvorbereitungsseminare und Informati-onsveranstaltungen werden auch von Ärztebanken, Ärzteversicherungen oder Pharmafirmen angeboten. Die KVen informieren ferner auch über Zuschüsse. Schon jetzt gibt es bestimmte Gebiete, wie z.B. Brandenburg, in denen niederlassungswillige Hausärzte mit Zuschüssen bis zu 50.000 Euro unterstützt werden.

Genauere informationen zu den vorteilen der hausarztzentrierten versorgung gibt es unter www.hausaerzteverband.deMehr zu den Arztverdiensten: www-ec.destatis.desuchwort: kostenstruktur-Arzt

39

Der Arzt als Unternehmer: Wie gründet man seine eigene Praxis?

Wer als Arzt in einer eigenen Praxis tätig sein möchte, muss eine Approbation vorweisen, im Arztregister einge-tragen sein und einen schriftlichen Antrag an den Zulas-sungsausschuss stellen. Praxisneugründungen sind in-zwischen eher selten. Die meisten Gebiete sind zulassungsbeschränkt, deshalb gelten Praxisübernahmen als gängiger Weg zur Selbstständigkeit.

Damit eine Praxisübernahme oder -neugründung erfolg-reich wird, muss sich der Arzt auf die kaufmännischen und juristischen Aspekte einer Existenzgründung gut vorbereiten. Eine gute, unabhängige Beratung bildet eine wichtige Grundlage dafür.

Das Wichtigste: eine optimale Finanzierung

Jede Praxis – ob Gründung oder Übernahme – erfor-dert ein individuelles Finanzierungskonzept. Um die Bedürfnisse der Ärzte gezielt abdecken zu können, hat die HÄVG (Hausärztliche Vertragsgemeinschaft e. G.) mit der Dresdner Bank eine Kooperation gestartet.

Mehr informationen unter www.dresdner-medkompetent.de

Grundsätzlich gilt:

Das Konzept sollte sich an den persönlichen Zielen und Vorstellungen des Mediziners orientieren, das vorhande-ne Eigenkapital berücksichtigen und an steuerliche Kri-terien gebunden sein.

40

Absicherung

Im Zusammenhang mit der Tätigkeit als Arzt und der Praxisgründung sollten verschiedene Risiken abgesichert werden:

• Krankheit und Berufsunfähigkeit • Berufshaftpflicht • Private Rentenversicherung • Haftpflicht- und Sachversicherung

Welche verschiedenen Modelle zur Praxis-organisation gibt es?

Durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz von 2007 haben sich die Möglichkeiten für eine familien-freundliche Gestaltung des Arztberufes erheblich erwei-tert. Diese umfassen:

• Voll- und Teilzeittätigkeit

• Kombination von Berufstätigkeit in Klinik und Praxis

• Kooperationsmodelle: Gemeinschaftspraxis, Praxis-gemeinschaft, Jobsharing

• Angestelltentätigkeit auch in der Praxis oder in einem MVZ

• Teilniederlassung

Neben der klassischen Einzelpraxis haben sich in den vergangenen Jahren mehrere Formen der Zusammen-arbeit in der Arztpraxis entwickelt.

Praxisgemeinschaft:

Ein Zusammenschluss von mindestens zwei Ärzten, die in gemeinsamen Räumen arbeiten, Geräte und Personal gemeinsam nutzen und sich die Kosten teilen, sonst aber unabhängig voneinander bleiben.

Berufsausübungsgemeinschaft (= Gemeinschaftspraxis):

Eine wirtschaftliche und organisatorische Einheit von mindestens zwei Ärzten mit gemeinsamem Patienten-stamm, gemeinsamer Abrechnung und gemeinsamer Haftung.

Jobsharing:

Eine besondere Form der Berufsausübungsgemeinschaft mit einem Senior- und einem Juniorpartner. Sie eignet sich gut zur Praxisabgabe oder -übergabe, aber auch für Ärzte, die wegen Kinderbetreuung über längere Zeit ge-meinsam tätig werden wollen. Der hinzukommende Arzt in Juniorposition erhält zunächst eine beschränkte Zulassung. Sie ist zeitlich unbefristet, aber an die Berufs-ausübungsgemeinschaft gebunden. Spätestens nach zehn Jahren wandelt sie sich in eine vollwertige Zulassung um.

Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ):

In einem MVZ können Ärzte angestellt arbeiten, ohne die mit einer Praxisgründung verbundenen wirtschaftli-chen Risiken tragen zu müssen. Es bietet eine fachüber-greifende ambulante Versorgung aus einer Hand und unter einem Dach an.

Weiterführende Literatur: Barbara Barner, Dieter Bollmann, Manfred Diehl, Die vertrags ärztliche versorgung im Überblick, Deutscher Ärzteverlag, isBN 978-3769150278

41

Was ist der Deutsche Hausärzteverband?

Der Deutsche Hausärzteverband www.hausaerzteverband.deist der größte Berufsverband niedergelassener Ärzte in Deutschland und Europa. Er vertritt die berufspoliti-schen Interessen seiner über 32.000 Mitglieder gegen-über der Politik und der Öffentlichkeit. Jedes Bundes-land wird dabei von einem eigenen Landesverband vertreten. Zu den Zielen gehört die Durchsetzung eines angemessenen Honorars für die Hausärzte.Weitere Ver-bandsziele sind die Sicherstellung einer qualifizierten, wohnortnahen Patientenversorgung und der Erhalt der Freiberuflichkeit. Außerdem macht sich der Verband auch stark für den Erhalt qualifizierten Nachwuchses, gibt juristischen Beistand und hilft bei Abrechnungsfra-gen. Zudem tritt er als Vertragspartner für die Hausärzte gegenüber den Krankenkassen auf.

Was ist das IhF (Institut für hausärztliche Fortbildung)?

Eine Fortbildung für Hausärzte muss sich konsequent an den besonderen Anforderungen einer Hausarzttätig-keit orientieren. Daher wurde das IhF vom deutschen Hausärzteverband gegründet, um strukturierte, unab-hängige und auf die hausärztliche Praxis zugeschnittene Fortbildungsveranstaltungen anzubieten und so die hausärztliche Versorgungsqualität auf hohem medizini-schem Niveau zu sichern. Die Richtschnur der The-menauswahl orientiert sich an der Relevanz in der haus-ärztlichen Praxis. Dabei wird der Fokus stets auf die Verbindung von fundiertem Studienwissen und Praxis-nähe gesetzt.

42

Was ist die HÄVG (Hausärztliche Vertragsgemeinschaft e. G.)?

Die HÄVG ist ein genossenschaftlich organisiertes Un-ternehmen, das für den Deutschen Hausärzteverband und die Landesverbände Managementaufgaben bei der Umsetzung von (Rahmen-) Verträgen übernimmt. Sie führt unter anderem die Vertragsverhandlungen mit ge-setzlichen Krankenkassen für Verträge außerhalb des KV-Systems, wie z.B. die Verträge zur hausarztzentrier-ten Versorgung. Die HÄVG übernimmt dabei auch die komplette Abrechnung für die Hausärzte. Die Teilnah-me an diesen Verträgen ist auch für Nichtmitglieder des Hausärzteverbands möglich.

Was ist die DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedi-zin)?

Die Aufgabe der DEGAM www.degam.de ist vor allem die Stärkung der Bedeutung der Allgemeinmedizin und Familienmedizin in Forschung, Lehre und Praxis. Ihre Arbeit organisiert sich in fünf themenbezogene Sektio-nen:

• Weiter- und Fortbildung

• Studium und Fakultäten

• Versorgungsaufgaben (z.B. Prävention, Familie, Geriatrie)

• Forschung

• Qualitätsförderung

43

Was ist die BÄK (Bundesärztekammer)?

Die BÄK www.bundesaerztekammer.de ist der Zusammen-schluss der Landesärztekammern. Für jeden Arzt ist die Mitgliedschaft in einer Landesärztekammer Pflicht. Die Landesärztekammer übernimmt als Berufsvertretung wichtige Aufgaben. Sie ist unter anderem zuständig für die Regelung der ärztlichen Berufsausübung durch Beschluss der Berufsordnung und der Weiterbildungs-ordnung.

Was ist die KBV (Kassenärztliche Bundesvereinigung)?

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung www.kbv.de ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihre Mitglie-der sind die KVen. Die Aufgaben der KBV sind unter anderem:

• der Abschluss des Bundesmantelvertrages sowie weiterer Verträge

• die Mitwirkung im Gemeinsamen Bundesausschuss und im Bundesschiedsamt

• die Durchführung des Fremdkassenzahlungsausgleichs

• die Führung des Bundesarztregisters

Was ist die KV (Kassenärztliche Verei nigung)?

Bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) des jeweili-gen Bundeslandes erhält der Arzt seine Zulassung und wird so zum sogenannten Vertragsarzt. Die KVen regeln seine wesentlichen Rechte und Pflichten. Sie ist bis heute die entscheidende Körperschaft für den Hausarzt. Zu ih-ren Aufgaben zählen:

• die Sicherstellung der ambulanten ärztlichen und psycho-therapeutischen Versorgung

• die Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder

• die Gewährleistung der Qualität und Wirtschaftlich-keit der ambulanten ärztlichen und psychotherapeuti-schen Versorgung

Weitere interessante Links für angehende Hausärzte:

www.jobcenter-medizin.dewww.medical-point.euwww.thieme.de/viamedici/index.htmlwww.medi-learn.dewww.studmed.de

www.hausaerzteverband.dewww.degam.dewww.hausarzt-online.dewww.bmg.bund.dewww.perspektive-hausarzt.de

44

Herausgeber (v.i.s.d.P.): Deutscher Hausärzteverband e. V., Köln, vertreten durch ulrich Weigeldt

redaktion und Gestaltung: 73Pro GmbH, Ismaning

Fotografie: Markus Dlouhy

seite 38/39 Dresdner Bank, eine Marke der Commerzbank aG

1. ausgabe Oktober 2009

Impressum