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ANATEVKA FIDDLER ON THE ROOF VOLKSTHEATER ROSTOCK

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AnAtevkAFiddler on the rooFVOLKSTHEATERROSTOCK

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3 AnATEVKAFIDDLER ON THE ROOFbasierend auf den Geschichten von sholem aleichemmit ausdrücklicher GenehmiGunG von arnold Perlbuch von JosePh steinmusik von JerrY bockGesanGstexte von sheldon harnickdeutsch von rolf merz und Gerhard haGen

/ Musikalische Leitung Manfred Hermann Lehner / Inszenierung Jürgen Pöckel/ Bühne und Kostüme Roy Spahn/ Choreografie Katja TaranuPremiere am 01.09.2013/ Großes Haus

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besetzunG / Tevje, ein Milchmann Peter Bause/ Steffen Schreier *

/ Golde, seine Frau Sandra Bleicher

Deren Töchter:/ Zeitel Katharina Schutza/ Hodel Maria Teresa González/ Chava Antje Luckstein/ Sprintze Pauline Gade/ Bielke Janne Thomä

/ Jente, eine Heiratsvermittlerin Gabriele Schwabe/ Mottel Kamzoil, ein Schneider Janis Masino/ Schandel, seine Mutter Andrea Glocke/ Perchik, ein Student Stephan Brauer/ James J. Kee *

/ Lazar Wolf, ein Metzger Nils Pille/ Motschach, ein Gastwirt Matthias Noack/ Rabbi Michael Beitman-Korchagin/ Mendel, sein Sohn André Trautmann/ Awram, ein Buchhändler Günter Berdermann/ Nachum, ein Bettler Aivars Kalnins/ Oma Zeitel, Goldes Großmutter Jaana Kauppinen-Widiger/ Fruma-Sara, Lazar Wolfs erste Frau Felicitas Müller / Jussel, ein Hutmacher Christian Lang/ Wachtmeister Titus Paspirgilis/ Fedja, ein junger Mann Patrick Nitschke/ Sascha, sein Freund Krzysztof Gradzki/ Igor, ein russischer Sänger Maxim Kurtsberg/ Rifka Annegret Voigt/ Ester Diana König/ Der Fiedler auf dem Dach Mihai Belu/ Ovidius David * Doppelbesetzungen in alphabetischer Reihenfolge

Opernchor des Volkstheaters RostockTanzcompagnie des Volkstheaters RostockNorddeutsche Philharmonie Rostock

Biografien aller künstlerischen Mitwirkenden: www.volkstheater-rostock.de/ Aufführungsdauer 2 Stunden, 50 Minuten, eine Pause

/ Technischer Leiter Peter Martins/ Werkstattleiter Dirk Butzmann/ Bühneninspektor Holger Fleischer/ Bühnentechnik Andreas Templin/ Leiterin der Kostümabteilung Jenny-Ellen Fischer/ Kostümanfertigung Kornelia Junge, Martina Steckert/ Kostümassistenz Jana Maaser/ Chefmas-kenbildnerin Beatrice Rauch/ Maske Iris Hohol, Michaela Schroeckh/ Leiter der Beleuchtung Andreas Lichtenstein/ Leiter der Tonabteilung Michael Martin/ Ton Guido Thomä/ Leiterin der Requisite Iris Rothbarth/ Requisite Patrick Budzier/ Herstellung der Dekoration Werkstätten des Volkstheaters RostockEs wird darauf hingewiesen, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen der Aufführung durch jede Artelektronischer Geräte strikt untersagt sind. Zuwiderhandlungen sind nach dem Urheberrechts-gesetz strafbar.

/ Choreinstudierung Stefan Bilz, Carsten Bowien/ Dramaturgie Roland Dippel/ Musikalische Studienleitung Hans-Christoph Borck/ Musikalische Einstudierung Teodora Belu, Jens Hoffmann, Jewgenij Potschekujew/ Regieassistentin und Abendspielleitung Carola Heine/ Inspizientin Renate Nitsch/ Souffleuse Christiane Blumeier-Braun/ Bühnenbildhospitantin Pia Tasche

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KRiEgE und REVOLuTiOnEn und SEucHEn und übERScHwEmmungEn und ALL diE AndEREn KLEinEn dingE, wELcHE diE LEuTE SOnST nOcH An dicH HERAnTRAgEn. AbER KönnTEST du dicH nicHT mAL EinE SEKundE VOn dEinEm KATASTROpHEnEinSATz fREi mAcHEn?

AussteuerArbeit, Arbeit, Mädchen,Arbeit Tag und Nacht,näht euch Blusen, Kleider,putzt euch – eine Pracht.

Quält euch nicht ab beim Nähen,müht euch bleich und krank,denn für all die Schmerzenwird euch bald der Dank.

Guckt nicht auf die Tränen,Kräfte, Müh und Fleiß,ziert den Hals mit Perlen,kosten mag es Schweiß…

Zappelt euch das Herzchen,werdets kaum gewahr,denn für jedes Leidenkommt Gewinn in bar.

Bleichen euch die Bäckchen,störs euch nicht die Ruh,flechtet nur den Löckchennoch ein Schleifel zu.

Mögen euch die Feuereuch im Aug vergehn,seid mit all den Groschenhundertmal so schön.

Rot gekrümmte Fingerklauben es zusamm – hat man mehr im Beutel,besser ist der Mann.

Federn auf dem Hute,feiner Putz am Leib –so gefällt man jedemals Braut und als Weib…Herschele (1882-1941)

HerscHele: Aussteuer/ AnATEVKA

Tevje, 2. Akt/ Prolog

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98 schon er selbst gewählte Name Sholem Alei-chem ist symbolisch in seinen verschie-denen Schreibweisen (auch: Scholem Alechem / Schalom Alechem / Shalom Aleichem / Schulem Aleichem usw.): Friede sei mit euch! ● ● ● Dieses Pseu-

donym wählte sich der bedeutendste jiddisch-sprachige Schriftsteller Schalom Yakov Rabi-nowitsch (1859-1916). Der „jüdische Mark Twain“ schrieb in seinen Prosawerken über eigene freud- und leidvolle Erfahrungen, über das Leben jüdischer Auswanderer in den USA und den jüdischen Alltag in Osteuropa um die Jahrhundertwende. Seine ersten Werke erschienen auf Russisch oder Hebräisch, der Sprache der gebildeten jüdischen Oberschicht. Mit seinen Büchern leistete er einen wertvollen Beitrag zur Etablierung des Jiddischen als Literaturspra-che. ● ● ● Als Sohn eines Gutspächters erhielt Schalom Rabbinowicz eine strenge jüdische Erziehung im Cheder (diese traditionellen religiös geprägten Schulen gab es in Mitteleuropa bis im 18. Jahrhundert, in Osteuropa bis zum Zweiten Weltkrieg). Nach seinem Abitur 1876 war er bis 1880 Hauslehrer. Erste literarische Werke entstanden für die Tageszeitungen „Ha-Zefirah“ und „HaMeliz“ sowie für das „Jüdische Volksblatt“ Nach seiner Heirat mit Olga Loyev und ihrem frühen Tod 1885 begann er auf Jiddisch zu schreiben und bestritt seinen Lebens-unterhalt aus Börsenspekulationen mit dem von seinem Schwiegervater hinterlassenen Erbe.

Schalom Rabbinowicz ruinierte sich 1890 finanziell und musste vor seinen Gläubigern ins Ausland fliehen. In Odessa und Kiew konnte er sich in den Folgejahren unter harten Entbeh-rungen als Autor einen Namen machen. ● ● ● Vor 1900 wandte Sholem Aleichem seine Sympathien von sozialistischen Ideen auf die Zionistische Bewegung und schrieb für deren Agitationsbroschüren sowie den Roman Moschiachs Tzaitn (Die Zeiten des Messias). ● ● ● Nach mehreren Pogromen, die den historischen Hintergrund des Musicals Anatevka bilden, emig-rierte er 1905 aus Odessa. Es folgten zahlreiche Ortswechsel mit Aufenthalten in Den Haag, Ber-lin, Vortragsreisen durch Russland, Dänemark, Lemberg, Städte in Galizien und der Bukowina, in der Schweiz, England und in den USA. Auf eine enttäuschende Rückkehr nach Europa blieb er bis zu seinem Tod am 13. Mai 1916 in New York. Seine große Popularität lässt sich daran ermessen, dass am Tag seiner Beisetzung alle jüdischen Geschäfte New Yorks geschlos-sen blieben. 1964 wurde in Tel Aviv ein Gedenkmuseum für Sholem Aleichem eröffnet.

ES wAR wOHL VOm ScHicKSAL nicHT VORgESEHEn, dASS du

ALLE AnnEHmLicHKEiTEn dES LEbEnS HAbEn SOLLTEST

und dASS wiR Auf unSERE ALTEn TAgE Ein biSScHEn fREudE gEHAbT HäTTEn,

nAcH ALL dER HARTEn ARbEiT.

scHolem AlejcHem – ein meilenstein für die jiddiscHe literAtur/ AnATEVKA

Tevje, 1. Akt/ 6. Szene

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cHAim semiAtizki: GenuG/ AnATEVKA

GenugVor allem, was da einmal war, mein Kindhab ich dir doch schon sovielmal erzählt –es ist so traurig wie der Rauch im Wind,der immer noch in meiner Stimme schwelt.

Du lässt nicht ab und fragst mich immer noch,läufst mir mit Neugieraugen hinterher,und immer bittest du: erzähl mir doch,und wischst dir von den Augen eine Zähr.

Genug schon bei Vergangenem verweilt –Mit dir zusammen sei ich noch mal Kind,und weil im Märchen alles wieder heilt:zeig du den Weg, aus dem man sich entrinnt.

Schließ mir den Mund, nimm deine kleinen Händ,wisch ab die Trauerworte, und noch heutsag das Geheimnis mir, sag wie erkenntman neu das Wunder und die erste Freud.

Zünd wieder an das Licht in meinem Blick,mach mir das Leben farbig, frisch und neu,und wie dein Spielzeug bring für mich zurücknoch einmal alles, was so lang vorbei.Chaim Semiatizki (1908-1941)

nAcHTS muSS ES HERRLicH SEin,

iST mAn zu zwEin,dOcH LEidER bin icH –

gAnz ALLEin.Matchmaker, 1. Akt/ 1. Szene

mAmE, dER jungE REicHE fLEcKELES, miT dEm icH gESTERn Auf dEm bALL SOViEL gETAnzT HAbE, wiLL, dASS wiR unS HEuTE nAcHmiTTAg bEim ALTEn LindEnbAum Am mARKTpLATz TREffEn SOLLEn.dAS gEfäLLT miR nicHT! wEnn iHR EucH dOcH ScHOn KEnnT – wOzu bRAucHT iHR dAnn iRgEndEinEn ALTEn HERRn LindEnbAum HinEinzumiScHEn und iHm pROViSiOn zu zAHLEn?

Jüdischer Witz (anonym)

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AufbrucH – nicHt AusbrucH/ AnATEVKA

12 die ursPrünGliche kraft dieser neu Gezähmten und nachemPfundenen volksmusik schläGt überall durch. schon ist das lied vom armen mann, der lieber reich sein möchte, ein schlaGer, den bald auch bei uns die GeiGer von den dächern sPielen werden. So schrieb anlässlich der deutschen Erstaufführung im Hamburger Operettentheater Josef

Müller-Marein in „Die Zeit“ vom 9. Februar 1968. Auch an der Alster trat als Milchmann Tevje der Mann auf die Bühne, der in der Rolle und zwischen Tokyo und Tel Aviv triumphierte: Shmuel Rodensky. ● ● ● Wie beim Erfinder der Tevje-Geschichten fielen bei ihm Fiktion und Realität zusammen. Der in Vilnius (heute Litauen) geborene Shmuel Rodensky (1904-1989) verließ das kaiserliche Russland und wurde ein Pionier des jungen Staates Israel: Eine Por-trätbüste des verarmt gestorbenen Schauspielers steht im Foyer des Israelischen Nationalthe-aters: „Sein Leben verlief volkstümlich fatalistisch nach dem Motto: ‚Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat’s genommen.‘ In der Rolle des armen jüdischen Milchmannes Tevje besang er den Traum des kleinen Mannes ‚Wenn ich einmal reich wär‘ und begeisterte damit Millionen. Die sentimentale Bühnen-Geschichte über das Leben in dem ostjüdischen Schtetl ‚Anatevka‘ in der Ukraine verhalf dem kraftvollen Überlebenskünstler zu Ruhm und Vermögen.“ (Nach-ruf in „Der Spiegel“ vom 24. Juli 1989) ● ● ● Alle Einwände gegen broadwaygemäß aufge-putzte Volksmusik und Verflachungen konnte dem Werk im damals noch geteilten Deutsch-land nichts anhaben, ganz im Gegenteil. Anatevka wurde noch während der ersten Serie am

Broadway von 1964 bis 1972 mit über 3200 Aufführungen zu einem der beliebtesten Musicals in West und Ost, wo es durch die Inszenierung Walter Felsensteins 1970 an der Komischen Oper unter dem originalen Titel Der Fiedler auf dem Dach Premiere hatte. Dazu Josef Herbort in „Die Zeit“ vom 29. Januar 1971: „Felsenstein liefert den Bilderbogen eines Musicals, aber er fügt ihm gelegentliche Kommentare zu, die analysierend zu nicht immer bequemen Er-gebnissen führen.“. ● ● ● Die enorme Fallhöhe zwischen komödiantisch-unterhaltsamen Genreszenen, den Konfliktmomenten des realistischen Volksstücks und die am Ende sich abzeichnenden Vision des Holocausts stellen Bühnenkünstler vor immer wieder spannende Herausforderungen. Ein Grund für den Erfolg des Musicals ist die emotionale Gratwanderung zwischen positiven Gefühlen, familiären Konflikten, sozialer Kontrolle und einer von der Dorfgemeinschaft in ihren Alltagsstreitereien und Feiern nicht wahr genommenen Daseins-freude. R. D.

nun wERdET iHR fRAgEn, wiE ES miT diESEn

TRAdiTiOnEn AngEfAngEn HAT. icH wERd’ ES EucH

SAgEn – icH wEiSS ES nicHT. dAS iST EbEn TRAdiTiOn. und

Auf gRund diESER TRAdiTiOnEn wEiSS HiER

jEdER, wAS ER zu Tun und zu LASSEn HAT und wAS dER

LiEbE gOTT VOn iHm ERwARTET.

Tevje, 1. Akt/ Prolog

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frAGen An reGisseur jürGen Pöckel/ AnATEVKA

Was ist die Herausforderung durch Anatevka?Es liegt nahe, die Tragödie des Holocaust gleich mit Beginn als unglückliches Spielmoment einzuführen. Dadurch verliert das Stück seinen Farbenreichtum, der von Bock und Stein beabsichtigt war. Sholem Aleichem war sich zwar der verstärkten antisemitischen Tendenzen in Europa bewusst, doch die Extremauswirkungen des Antisemitismus konnte er zum Zeit-punkt der Niederschrift noch nicht voraussehen. Das durch „Tradition“ geprägte Leben in Anatevka ist alles andere als ein Tanz auf dem Vulkan, die Figuren glauben an die Beständigkeit ihrer Existenz – und das wollten wir auch zeigen. Und wie war es in den 60er Jahren zur Entstehung?Ähnlich wie die Operetten-Kultur in der Weimarer Republik war der Broadway geprägt durch jüdische Künstler. In den 60er Jahren fand auch in anderen Werken eine intensive Ausein-andersetzung mit den Auswirkungen des Antisemitismus statt, z. B. in Kanders Cabaret nach den Erzählungen von Christopher Isherwood. Die Zwiesprache der Titelrolle von Hello, Dolly! mit ihrem verstorbenen Ehemann Ephraim prägt das Werkkolorit dieses Musicals und seines Schauplatzes New York. Doch zielt dieses nicht auf eine Darstellung des Holocaust, sondern auf das Kolorit einer großen Bevölkerungsgruppe. The Fiddler on the Roof schließlich stellt jüdisches Leben im Osten dar, das durch die Pogromstimmung ein unerwartetes Ende findet. Das Tragische an dem Stück ist, dass es zeigt, wie die heftigen Reibungen zwischen Tradition und Reform angesichts der Vertreibung unwesentlich werden.

Was ist heute noch aktuell an Anatevka?Derzeit befinden wir uns bereits in der dritten Anatevka-Welle auf den mitteleuropäischen Theatern. Die erste Phase war geprägt von der Folklore im Stück, die zweite tendenziell von der politischen Dimension. Für mich steht hier und heute mehr die Auseinandersetzung zwischen dem Mensch und seinen Fragen zur Religion, zur Gesellschaft und zur eigenen Existenz im Vordergrund: Tewjes Repliken über „Einerseits…“ und „Andererseits…“, der ver-meintliche Zwang durch die Religion und der reale Zwang durch die Dorfgemeinschaft für die Einzelnen, v. a. Tewjes Töchter. Das Dorf Anatevka ist ein Modell für das (erzwungene) Verhalten von Minderheiten auch in anderen Regionen und Religionen.Warum?Joseph Stein und Jerry Bock versetzten den gesellschaftlichen Rahmen von Aleichems Erzäh-lungen in einen stilisierten Bühnenrealismus. Historische Basis dafür war, dass die Bewohner der osteuropäischen „stedels“ durch ihre restriktive Lebensführung und archaischen Glau-bensmuster sich fortschrittlichen Tendenzen verweigerten. Frauen waren von überwiegend religiös geprägten Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen. In einem solchen Umfeld konnte es nicht ausbleiben, dass ein Reformer wie Perchik sogar mit gemäßigten politischen Ideen polarisieren musste.

SEiTdEm mEin mAnn gESTORbEn iST, bin icH EinE

ARmE wiTwE, ALLEin.niEmAnd, miT dEm icH

SpREcHEn KAnn, niEmAnd, dEm icH widERSpREcHEn KAnn. dAS iST KEin LEbEn!

ALLES, wAS icH nAcHTS Tun KAnn, iST, An iHn zu dEnKEn,

und AucH dAS mAcHT KEinEn SpASS! du wEiSST gEnAuSO

guT wiE icH, dASS miT iHm nicHT ViEL LOS wAR.

Jente, 1. Akt/ 1. Szene

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HeinricH Heine: Prinzessin sAbbAtH/ AnATEVKA

Prinzessin SabbathIn Arabiens MärchenbucheSehen wir verwünschte Prinzen,Die zu Zeiten ihre schöneUrgestalt zurückgewinnen:

Das behaarte UngeheuerIst ein Königsohn geworden;Schmuckreich glänzend angekleidet,Auch verliebt die Flöte blasend.

Doch die Zauberfrist zerrinnt,Und wir schauen plötzlich wiederSeine königliche HoheitIn ein Ungetüm verzottelt.

Einen Prinzen solchen SchicksalsSingt mein Lied. Er ist geheißenIsrael. Ihn hat verwandeltHexenspruch in einen Hund.

Hund mit hündischen Gedanken,Kötert er die ganze WocheDurch des Lebens Kot und Kehricht,Gassenbuben zum Gespötte.

Aber jeden Freitag Abend,In der Dämmrungstunde, plötzlichWeicht der Zauber, und der HundWird aufs Neu ein menschlich Wesen.

Mensch mit menschlichen Gefühlen,Mit erhobnem Haupt und Herzen,Festlich, reinlich schier gekleidet,Tritt er in des Vaters Halle.

„Sei gegrüßt, geliebte HalleMeines königlichen Vaters!Zelte Jakobs, eure heilgenEingangspfosten küßt mein Mund!“

Durch das Haus geheimnisvollZieht ein Wispern und ein Weben,Und der unsichtbare HausherrAtmet schaurig in der Stille.

Stille! Nur der Seneschall(Vulgo Synagogendiener)Springt geschäftig auf und nieder,Um die Lampen anzuzünden.

Trostverheißend goldne Lichter,Wie sie glänzen, wie sie glimmern!Stolz aufflackern auch die KerzenAuf der Brüstung des Almemors.

Vor dem Schreine, der die ThoraAufbewahret und verhängt istMit der kostbar seidnen Decke,Die von Edelsteinen funkelt -

Dort an seinem BetpultständerSteht schon der Gemeindesänger;Schmuckes Männchen, das sein schwarzesMäntelchen kokett geachselt.

Um die weiße Hand zu zeigen,Haspelt er am Halse, seltsamAn die Schläf den Zeigefinger,An die Kehl den Daumen drückend.

Trällert vor sich hin ganz leise,Bis er endlich lautaufjubelndSeine Stimm erhebt und singt:Lecho Daudi likras Kalle!

Lecho Daudi likras Kalle -Komm, Geliebter, deiner harretSchon die Braut, die dir entschleiertIhr verschämtes Angesicht!

Dieses hübsche HochzeitkarmenIst gedichtet von dem großen,Hochberühmten MinnesingerDon Jehuda ben Halevy.

In dem Liede wird gefeiertDie Vermählung IsraelsMit der Frau Prinzessin Sabbath,Die man nennt die stille Fürstin.

Perl und Blume aller SchönheitIst die Fürstin. Schöner warNicht die Königin von Saba,Salomonis Busenfreundin,

Die, ein Blaustrumpf Äthiopiens,Durch Esprit brillieren wollte,Und mit ihren klugen RätselnAuf die Länge fatigant ward.

Die Prinzessin Sabbath, welcheJa die personifizierteRuhe ist, verabscheut alleGeisteskämpfe und Debatten.

Gleich fatal ist ihr die trampelndDeklamierende Passion,Jenes Pathos, das mit flatterndAufgelöstem Haar einherstürmt.

Sittsam birgt die stille FürstinIn der Haube ihre Zöpfe;Blickt so sanft wie die Gazelle,Blüht so schlank wie eine Addas.

Sie erlaubt dem Liebsten alles,Ausgenommen Tabakrauchen –„Liebster! Rauchen ist verboten,Weil es heute Sabbath ist.“

„Dafür aber heute MittagSoll dir dampfen, zum Ersatz,Ein Gericht, das wahrhaft göttlich –Heute sollst du Schalet essen!“

Schalet, schöner Götterfunken,Tochter aus Elysium!Also klänge Schillers Hochlied,Hätt er Schalet je gekostet.

Schalet ist die Himmelspeise,Die der liebe Herrgott selberEinst den Moses kochen lehrteAuf dem Berge Sinai,

Wo der Allerhöchste gleichfallsAll die guten GlaubenslehrenUnd die heilgen zehn GeboteWetterleuchtend offenbarte.

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18 19imPressumVolkstheater Rostock GmbHSpielzeit 2013/2014/ Intendant Peter Leonard / Kaufmännischer Geschäftsführer Stefan Rosinski/ Redaktion und Originalbeiträge Roland Dippel/ Konzept + Design usus.kommunikation, Berlin/ Layout und Satz Christiane Scholze/ Fotos Dorit Gätjen/ Quellen Herschele (= Hersch Danielewitsch) und Chaim Semiatizki in Hubert Witt (Hg.): Der Fiedler vom Getto. Jüdische Gedichte aus Polen; Leipzig 1985 (Verlag Philipp Reclam jun.)/ Jüdische Witze. Ausgewählt und eingeleitet von Galicia Landmann; Olten 1962/ München 1963 www.zeit.de/1968/06/juedisches-musical www.zeit.de/1968/06/juedisches-musical www.spiegel.de/spiegel/print/d-13495750.www.spiegel.de/spiegel/print/d-13495750.html www.zeit.de/1971/05/der-fiedler-spielt-bratschewww.zeit.de/1971/05/der-fiedler-spielt-bratschewww.wikipedia.org/wiki/Scholem_Alejchem/ Zitat der Rückseite Tevje, 2. Akt/ 6. Szene/ Druck Stadtdruckerei Weidner GmbH/ Programmheft 1,00 2

Schalet ist des wahren GottesKoscheres Ambrosia,Wonnebrot des Paradieses,Und mit solcher Kost verglichen

Ist nur eitel TeufelsdreckDas Ambrosia der falschenHeidengötter Griechenlands,Die verkappte Teufel waren.

Speist der Prinz von solcher Speise,Glänzt sein Auge wie verkläret,Und er knöpfet auf die Weste,Und er spricht mit selgem Lächeln:

„Hör ich nicht den Jordan rauschen?Sind das nicht die BrüßelbrunnenIn dem Palmental von Beth-El,Wo gelagert die Kamele?

Hör ich nicht die Herdenglöckchen?Sind das nicht die fetten Hämmel,Die vom GileathgebirgeAbendlich der Hirt herabtreibt?“

Doch der schöne Tag verflittert;Wie mit langen SchattenbeinenKommt geschritten der VerwünschungBöse Stund - Es seufzt der Prinz.

Ist ihm doch als griffen eiskaltHexenfinger in sein Herze.Schon durchrieseln ihn die SchauerHündischer Metamorphose.

Die Prinzessin reicht dem PrinzenIhre güldne Nardenbüchse.Langsam riecht er - Will sich labenNoch einmal an Wohlgerüchen.

Es kredenzet die PrinzessinAuch den Abschiedstrunk dem Prinzen –Hastig trinkt er, und im BecherBleiben wen'ge Tropfen nur.

Er besprengt damit den Tisch,Nimmt alsdann ein kleines Wachslicht,Und er tunkt es in die Nässe,Dass es knistert und erlischt.Heinrich Heine (1798–1856)

HeinricH Heine: Prinzessin sAbbAtH/ AnATEVKA

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AndERERSEiTS… dA gibT’S KEin

„AndERERSEiTS .”