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6. Makrookonomische Analyse 6.1 Aufgabenstellungen der Makrookonomik 6.1.1 Aussagen fUr die Volkswirtschaft insgesamt Die Makrookonomik hat, wie bereits in 1.1.3 ausgefuhrt, zunachst die Aufgaben- stellung, Aussagen zu wirtschaftlichen Phanomenen fur eine Volkswirtschaft insgesamt zu machen. Sie stellt somit nicht auf wirtschaftliche Verhaltensweisen und Gegebenheiten bei einzelnen Wirtschaftssubjekten ab, sondem geht grund- satzlich von der gedanklichen Konstruktion aus, daB Aggregate von Wirt- schaftssubjekten und von wirtschaftlichen Aktivitaten oder Transaktionen konsi- stent und nachvollziehbar beschrieben und mit okonomischen Methoden analysiert werden konnen. Diese Aggregate miissen nicht immer die gesamte Volkswirtschaft umfassen, sie bestehen aber gleichwohl aus wesentlichen und gewichtigen Be- standteilen der Volkswirtschaft und schlieBen eine Zusammenfassung von unterein- ander heterogenen Wirtschaftssubjekten ein. Dariiber hinaus zahlt zum Aufgaben- bereich der Makrookonomik auch die Erfassung der wirtschaftlichen Verbindun- gen einer Volkswirtschaft mit auslandischen Volkswirtschaften, wiederum unter dem Aspekt, diese Verbindungen in ihren gesamtwirtschaftlichen Dimensionen deutlich werden zu lassen. Solche Aussagen fur die Volkswirtschaft insgesamt ergeben sich in Form ei- ner konsistenten Beschreibung mit Hilfe der gesamtwirtschaftlichen GroBen und ihrer Teilaggregate der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Das gesamtwirt- schaftliche GiitermaB BIP oder das EinkommensmaB der Inlander BNE sind Gro- Ben, die sich von der Konzeption her auf die Gesamtwirtschaft beziehen. Gleiches gilt fur die in der VGR unterschiedenen Wirtschaftssektoren und beispielsweise fur die Verwendungsaggregate des BIP, wie Konsum der privaten Haushalte oder Bruttoinvestitionen. Die Beschreibung von GroBen der Gesamtwirtschaft erfordert bereits eine Modellkonstruktion als gedankliche Voraussetzung fur die konsistente Erfassung der Zusammenhange. In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird hierbei unter anderem die Vorstellung eines Kreislaufmodells benutzt, innerhalb dessen sich die Wirtschaftsprozesse in einer Volkswirtschaft abspielen. 6.1.2 ErkHirung von Abhangigkeiten Makrookonomische Analyse beschrankt sich nicht auf die konsistente Beschrei- bung von GroBen der Gesamtwirtschaft, sie ist vielmehr und zuerst eine Aufgaben- stellung, die in der Erklarung wirtschaftlicher Abhangigkeiten oder von Ursa- chen-Wirkungs-Zusammenhiingen besteht. In der Geschichte der Volkswirt- schaftslehre stand dieser Aufgabenbereich am Anfang der Disziplin. Mit der Er- griindung von Ursachen-Wirkungs-Zusammenhangen fur gesamtwirtschaftliche G. Graf, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre © Physica-Verlag Heidelberg 2002

[Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Makroökonomische Analyse

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6. Makrookonomische Analyse

6.1 Aufgabenstellungen der Makrookonomik

6.1.1 Aussagen fUr die Volkswirtschaft insgesamt

Die Makrookonomik hat, wie bereits in 1.1.3 ausgefuhrt, zunachst die Aufgaben­stellung, Aussagen zu wirtschaftlichen Phanomenen fur eine Volkswirtschaft insgesamt zu machen. Sie stellt somit nicht auf wirtschaftliche Verhaltensweisen und Gegebenheiten bei einzelnen Wirtschaftssubjekten ab, sondem geht grund­satzlich von der gedanklichen Konstruktion aus, daB Aggregate von Wirt­schaftssubjekten und von wirtschaftlichen Aktivitaten oder Transaktionen konsi­stent und nachvollziehbar beschrieben und mit okonomischen Methoden analysiert werden konnen. Diese Aggregate miissen nicht immer die gesamte Volkswirtschaft umfassen, sie bestehen aber gleichwohl aus wesentlichen und gewichtigen Be­standteilen der Volkswirtschaft und schlieBen eine Zusammenfassung von unterein­ander heterogenen Wirtschaftssubjekten ein. Dariiber hinaus zahlt zum Aufgaben­bereich der Makrookonomik auch die Erfassung der wirtschaftlichen Verbindun­gen einer Volkswirtschaft mit auslandischen Volkswirtschaften, wiederum unter dem Aspekt, diese Verbindungen in ihren gesamtwirtschaftlichen Dimensionen deutlich werden zu lassen.

Solche Aussagen fur die Volkswirtschaft insgesamt ergeben sich in Form ei­ner konsistenten Beschreibung mit Hilfe der gesamtwirtschaftlichen GroBen und ihrer Teilaggregate der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Das gesamtwirt­schaftliche GiitermaB BIP oder das EinkommensmaB der Inlander BNE sind Gro­Ben, die sich von der Konzeption her auf die Gesamtwirtschaft beziehen. Gleiches gilt fur die in der VGR unterschiedenen Wirtschaftssektoren und beispielsweise fur die Verwendungsaggregate des BIP, wie Konsum der privaten Haushalte oder Bruttoinvestitionen.

Die Beschreibung von GroBen der Gesamtwirtschaft erfordert bereits eine Modellkonstruktion als gedankliche Voraussetzung fur die konsistente Erfassung der Zusammenhange. In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird hierbei unter anderem die Vorstellung eines Kreislaufmodells benutzt, innerhalb dessen sich die Wirtschaftsprozesse in einer Volkswirtschaft abspielen.

6.1.2 ErkHirung von Abhangigkeiten

Makrookonomische Analyse beschrankt sich nicht auf die konsistente Beschrei­bung von GroBen der Gesamtwirtschaft, sie ist vielmehr und zuerst eine Aufgaben­stellung, die in der Erklarung wirtschaftlicher Abhangigkeiten oder von Ursa­chen-Wirkungs-Zusammenhiingen besteht. In der Geschichte der Volkswirt­schaftslehre stand dieser Aufgabenbereich am Anfang der Disziplin. Mit der Er­griindung von Ursachen-Wirkungs-Zusammenhangen fur gesamtwirtschaftliche

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GroBen entstand die makrookonomische Wirtschaftstheorie. Die Makrookonomik ist dabei bestrebt, Hypothesen fUr beobachtbare Phanomene des Wirtschaftslebens zu entwickeln. Die Hypothesen soIlen wesentliche wirtschaftliche Abhangigkeiten und Kausalitaten erfassen und nachvoIlziehbar begrlinden. Es geht bei der Hypothesenbildung beispielsweise darum, Inflation, Wirtschaftswachstum, Ar­beitslosigkeit oder Wechselkursveriinderungen auf eine oder wenige bedeutsame Ursachen zurlickzufilhren und dabei moglichst stabile Zusammenhiinge herauszu­fmden. Makrookonomische GroBen unterliegen in aller Regel einer Vielzahl gleichzeitig wirkender Einfliisse nicht nur aus der nationalen Wirtschaft, sondem auch aus dem Rest der Welt, so daB die Entdeckung von soIch stabilen Beziehun­gen zwischen den GroBen nicht immer leicht ist. Die Hypothesenbildung erfordert insoweit himeichende Informationen fiber Wirtschaftsabliiufe und die Fiihigkeit dominante Einflfisse herauszufiltem und sie als wesentliche Ursache filr spezifische Wirkungen verstiindlich zu Machen.

Diese Hypothesen sind ihrerseits als Bausteine eines Modells zu verwenden, so daB daraus ein makrookonomisches Modell resultiert, das nicht nur fUr einen Einzelfall verwendbar ist, sondem auch bei iihnlichen Konstellationen zur Analyse der zu erwartenden wirtschaftlichen Wirkungen herangezogen werden kann.

Die makrookonomische Analyse kann zudem mit konkreten, beobachteten Daten aus einer Volkswirtschaft angereichert werden. Es lassen sich somit fiber die numerische KOnkretisierung der gesamtwirtschaftlichen Abhiingigkeiten und der darin eingehenden VerhaltensgroBen mehr als nur aIlgemeine Richtungstendenzen angeben, wenn sich beispielsweise ein gesamtwirtschaftlicher EinfluB iindert. Hierzu ist das makrookonomische Modell oder ein Teilbereich daraus zuniichst in eine formal-mathematische Konstruktion zu bringen, die beispielsweise aus Verhaltensfunktionen besteht. Entsprechende aus vorliegenden wirtschaftlichen Daten geschatzte Funktionen, die gegebenenfalls in umfangreicheren okonome­trischen Modellen zusammengefaBt werden, dienen dann dazu, die Wirkungen von wirtschaftlichen AnstOBen auch in kOnkreten Zahlen, z.B. in Wertbetriigen in Wiihrungseinheiten oder als Prozentsatz bei der Inflationsrate bzw. bei Wechsel­kursanderungen angeben zu konnen. Makrookonomische Modelle erlauben mithin durch Schiitzung der darin enthaltenen VerhaltensgroBen und Berucksichtigung institutioneller Rahmengrofien konkrete, zahlenmaOig belegbare Ergebnisse.

Ein wesentliches Ziel makrookonomischer Theorie und der dabei herausge­fundenen Abhiingigkeiten zwischen wirtschaftlichen GroBen ist schlieBlich, Er­kliirungen fUr gesamtwirtschaftliche Reaktionen zu finden, die im Endeffekt auch im Rahmen bedingter Voraussagen oder Prognosen zu benutzen sind. Die Er­gebnisse soIcher Analysen bilden somit eine Voraussetzung fUr einen zielgerich­teten wirtschaftspolitischen Mitteleinsatz. Eine iiberlegte Wirtschaftspolitik, die auf die gesamte Volkswirtschaft einwirken will, liiBt sich nur dann durchfilhren und rechtfertigen, wenn die wirtschaftlichen Kausalzusammenhange als soIche und in ihrem Wirkungsgrad bekannt sind. Wirtschaftspolitik benotigt daher fundierte ma­krookonomische Kenntnisse des Wirtschaftsprozesses.

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6.1.3 Gesamtwirtschaftliche Budgetrestriktionen

Die Makrookonomik maeht nieht nur Aussagen tiber GroBen und Zusammenhange in der Volkswirtsehaft insgesamt, sie muB von ihrem Analyseansatz Knappheiten oder Budgetrestriktionen beriieksichtigen, denn nur dann ergeben sieh tiberhaupt wirtsehaftliehe Problemstellungen. Die makrookonomisehe Analyse steht dabei vor der grundlegenden Sehwierigkeit, daB die gesamtwirtschaftlichen Knappheiten oder Budgetrestriktionen nicht direkt beobachtbar oder meBbar sind und sich zum Teil durch geringfiigig geanderte Arrangements in den Produktionsprozessen modifizieren lassen. Solche Knappheiten konnen insoweit nur gedanklieh veran­schaulicht werden.

Eine Moglichkeit zur Verdeutlichung der gesamtwirtschaftlichen Budgetre­striktion liefert die Transformationskurve oder Produktionsmoglichkeiten­kurve, wie sie in Abb. 39 enthalten ist.

Gut 2

o Gut 1

Abb. 39: Transformationskurve

Die Transformationskurve soIl aufzeigen, daB eine Volkswirtschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt tiber begrenzte Ressourcen und Produktionsmoglichkeiten verfiigt, die sich im einfaehsten Fall in der Produktion der Giiter 1 und 2 einsetzen lassen. Von beiden Gtitem konnen nicht beliebige Mengeneinheiten gleichzeitig produziert werden. Es gibt vielmehr einen durch die Transformationskurve zum Ausdruck gebrachten Zusammenhang, wonach eine Mehrproduktion des Gutes 1 mit einer EinbuBe bei den Produktionsmengen fUr das Gut 2 verbunden ist. Die Bewegung vom Punkt A zum Punkt B auf der Transformationskurve solI dies deut­lich machen. Die EinbuBe in den Produktionsmoglichkeiten rur das Gut 2 bei einer Ausweitung der Produktion des Gutes 1 sind die Opportunitatskosten in der Pro­duktion des Gutes 1. Die Uberlegungen gelten entsprechend umgekehrt, wenn eine Mehrproduktion fUr das Gut 2 angestrebt wird, was sich ebenfalls nur dureh Ver­zieht auf Mengeneinheiten des Gutes 1 realisieren laBt.

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Die inverse Beziehung zwischen den maximalen Produktionsmoglichkeiten fur die beiden Giiter existiert selbstverstandlich nur dann, wenn Verhaltnisse auf der Transformationskurve selbst betrachtet werden. Denn die Transformations­kurve zeigt in ihren Achsenabschnitten die jeweils maximalen altemativen Mengen der beiden Giiter 1 und 2 an, die in einer Volkswirtschaft bei gegebenen Ressour­cen und gegebenen Produktionsmoglichkeiten bzw. Produktionsverfahren erzeugt werden konnen. Werden die Ressourcen nicht vollstandig eingesetzt oder greift man auf (bewuBt) ineffiziente Produktionsverfahren zUrUck, so lassen sich nur Mengenkombinationen unterhalb der Transformationskurve realisieren, wie bei­spielsweise im Punkt c.

Die Transformationskurve ist als eine nach auBen gebogene, yom Ursprung her konkave Kurve dargesteIlt. Damit solI zum Ausdruck kommen, daB es mit zu­nehmender Produktion beispielsweise des Gutes 1 immer groBere EinbuBen beim anderen Gut geben wird, wenn von Gut 1 noch ein weiterer Zuwachs in der Pro­duktion erreicht werden solI, bzw. umgekehrt. Mengenausweitungen bei einem Gut sind insoweit nicht mit konstanten Opportunitatskosten verbunden, sie geben mit steigenden Opportunitatskosten einber. Dahinter verbergen sich ertragsge­setzliche Zusammenhange, die aus der Annahme gegebener Ressourcen resultieren. Die Ressourcen, insbesondere die Produktionsfaktoren, sind fur die beiden Giiter aus Abb. 39 nicht in gleicher Weise produktiv einzusetzen. Es gibt vielmehr Spe­zialisierungen, die aus dem arbeitsteiligen ProduktionsprozeB resultieren, so daB eine Mehrproduktion von einem Gut immer groBere EinbuBen beim anderen be­dingt. Dies bezeichnet man auch als das Phanomen der abnehmenden Ertragszu­wacbse. Wenn die Produktionsmengen bei einem Gut immer weiter gesteigert wer­den soIl en, werden gleiche Einsatzmengen an Produktionsfaktoren nur jeweils geringere zusatzliche Produktionsmengen erreichen.

Die Transformationskurve will schlieBlich eine gedanklicbe Vorstellung da­fur vermitteln, worin sich eine gesamtwirtscbaftlicbe Effizienz niederschHigt. Die Punkte auf der Transformationskurve beruhen auf einem effizienten Einsatz der Ressourcen in der GUterproduktion und geben daher immer die jeweils maximalen Mengen an, die von beiden Giitem gleichzeitig hergesteIlt werden konnen. Ein ineffizienter Einsatz der Ressourcen erlaubt demnach nur Giitermengenkombinatio­nen unterhalb der Transformationskurve, wie z.B. im Punkt c.

Die Transformationskurve zeigt die gesamtwirtschaftliche Knappheit oder die Budgetrestriktion fur eine Volkswirtschaft, was ihre maximalen Giitermengen anbetrifft, zu einem gegebenen Zeitpunkt an. Wenn die Ressourcen zunehmen oder die Produktionsverfahren produktiver werden, kann mit einer Verlagerung der Transformationskurve nach auBen gerechnet werden. Durch effiziente Produktion ist es dann moglich, von beiden Giitem gleichzeitig mehr zu erreichen. Dies ent­spricht dem Konzept des Wirtschaftswachstums.

Gesamtwirtschaftliche Budgetrestriktionen lassen sich nicht nur mit einer Transformationskurve erfassen, sie schlagen sich auch darin nieder, daB gesamt­wirtschaftliche Prozesse immer tiber einen Kreislaufzusammenbang miteinander verbunden sind. Eine makrookonomische Analyse muO fur verwertbare Aussagen

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immer die Interdependenz der wirtschaftlichen Strome und der Markte aufgrund der Kreislaufabhangigkeiten berucksichtigen. Das heiBt nicht, daB es durchweg direkte oder unmittelbare okonomische Ursachen-Wirkungszusammenhange zwi­schen GroBen auf einem Markt oder zwischen verschiedenen Markten oder Sekto­ren geben wird. Uber die Kreislaufabhangigkeiten kommt es jedoch prinzipiell zu Ruckwirkungen von Veranderungen auf einem Markt auch auf anderen Mark­ten. Die makrookonomischen Markte stehen iiber den volkswirtschaftlichen Kreislauf in einem logischen gegenseitigen Abhangigkeitsverhaltnis. Das Erfor­demis nach Konsistenz zwingt dazu, diese gesamtwirtschaftlich gegebenen Abhan­gigkeiten zwischen den Markten immer einzubeziehen, da sie von ihrem Gewicht her bedeutsam sind. Ein gesamtwirtschaftlich wesentlicher AnstoB, der auf einem Markt zu Veranderungen fiihrt, kann fUr andere Markte nicht unerheblich sein. Dies ist gerade das Kennzeichen und der Unterschied gesamtwirtschaftlicher Vor­gange gegeniiber mikrookonomischen Phanomenen, die sich nur auf einem Markt als bedeutsam erweisen und im iibrigen wegen ihrer geringen GroBe oder ihres geringen AusmaBes im Gesamtsystem der Volkswirtschaft keine weiteren wirt­schaftlichen Auswirkungen hervorrufen werden.

Die mikrookonomisch berechtigte ceteris paribus-Annahme kann fUr makro­okonomische Analysen nicht gleichfalls verwendet werden. Fur mikrookonomi­sche Ableitungen und Aussagen konnte auf eine strikte logische Unabhangigkeit der Marktparteien verwiesen werden. Insoweit bestand dort kein mit Notwendig­keit zwingender Zusammenhang zwischen Angebots- und NachfragegroBen auf einzelnen Markten und den von ihnen ausgelosten Anderungen. Bei gesamtwirt­schaftlichen Betrachtungen ist diese strikte Trennung in aller Regel aber nicht mehr wirtschaftlich begriindbar. Es ist vielmehr immer der Kreislaufzusammen­hang zu berucksichtigen.

Dies gilt selbstverstandlich nicht nur fur makrookonomische Modelle, son­dem auch fUr wirtschaftspolitische Aussagen und MaBnahmen, die auf die Ge­samtwirtschaft abstellen. Dieser Unterschied der gesamtwirtschaftlichen Analyse ist vorrangig zu berucksichtigen, wenn es darum geht, wirtschaftspolitisch ver­wertbare Aussagen abzuleiten. Nicht immer halten sich Lehrbiicher und Wirt­schaftspolitiker an dieses yom Kreislaufzusammenhang begriindete Gebot der Logik. Wenn mithin beispielsweise private Haushalte weniger Konsumnachfrage ausiiben und statt dessen mehr sparen, so fiihrt dies nicht notwendigerweise zu ei­nem Ausfall gesamtwirtschaftlicher Giitemachfrage insgesamt. Denn im Kreislauf­zusammenhang bedeuten hohere Erspamisse unter anderem auch ein vermehrtes Kapitalangebot, was seinerseits tiber sinkende Zinsen giinstigere Finanzierungs­bedingungen fur Investitionen auslOsen und insoweit zu verstarkter Nachfrage nach Investitionsgiitem fuhren kann. Dementsprechend wiirde sich aufgrund dieses AnstoBes nur die Zusammensetzung der gesamtwirtschaftlichen Gtitemachfrage nicht aber ihr Umfang oder ihr Niveau andem. Wenn mit anderen Worten eine geringere Konsumnachfrage der privaten Haushalte mit einer hOheren Erspamis einhergeht, so zwingt der Kreislaufzusammenhang dazu, sich dariiber klar zu wer­den, in welche Verwendung die Erspamisse flieBen und an welcher Stelle des

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volkswirtschaftlichen Kreislaufs sie wieder in Erscheinung treten sowie welche wirtschaftlichen Auswirkungen dann von dort zu erwarten sind. Es kann daher nicht einfach davon ausgegangen werden, daB die hahere Ersparnis gewissennaBen den volkswirtschaftlichen Kreislauf verlaBt und ohne weitere wirtschaftliche Aus­wirkung bleibt. Zu Uberprufen ware allerdings, ob es durch entsprechende Ver­haltensanderungen zu vorubergehenden Produktionsausfallen oder nachhaltigen Absatzminderungen kommen konnte.

Makrookonomische Analyse wird zwar vielfach zunachst ohne Berucksichti­gung des Kreislaufzusammenhangs entwickelt und didaktisch so prasentiert werden mUssen. Es ist jedoch eindringlich davor zu warnen, diese Teilergebnisse oder Zwischenresultate bereits als gesamtwirtschaftlich bedeutsam zu bewerten und fur wirtschaftspolitische Empfehlungen zu benutzen. Nur wenn Einzelergebnisse unter Einbeziehung der Interdependenzen eines Kreislaufs weiterhin bestatigt oder gesamtwirtschaftlich gewichtig bleiben, konnen sie auch nachhaltige wirtschafts­politische Bedeutung beanspruchen.

6.2 Makrookonomische Lehrmeinungen

6.2.1 Klassik

Die Fragestellung der Klassik, deren Hauptvertreter Adam Smith, David Ricardo und John Stuart Mill sind, richtet sich vornehmlich auf den Umfang der Produk­tion von GUtern und dessen Zuwachs durch Akkumulation des Kapitals. Die Sichtweise ist dabei langfristig. Zusammen mit der unterstellten Flexibilitat von Preisen, Zinsen und Lohnen fuhrt das System immer zu Gleichgewichten fur die Gesamtwirtschaft, da im FaIle eines gleichwohl entstehenden Ungleichgewichts entsprechende Preisanderungen eintreten, die zur Marktraumung und zum Gleich­gewicht beitragen. Diese Sicht wird noch durch das Saysche Theorem verstiirkt. Die von Jean Baptiste Say vorgelegte Theorie der Absatzwege besagt, daB jede Produktion auch einen Verbrauch bedeutet. Danach konnen Produktion und Kon­sumtion nicht auseinanderfallen oder jedes Angebot schafft sich seine eigene Nach­frage. Ungleichgewichte sind daher nur temporar moglich, da sie durch den Markt­und Preismechanismus rasch wieder beseitigt werden. Dies tragt zur Stabilitat von gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichten bei.

Der langerfristige Ansatz der klassischen Nationalokonomie wird von den Klassikern auch auf das Geldsystem einer Volkswirtschaft Ubertragen. Geld, das zu Transaktionszwecken benotigt wird, spielt nur eine untergeordnete Rolle, da es den gUterwirtschaftlichen ProzeB einer Volkswirtschaft unbeeinfluBt laBt. Insoweit spricht man von Neutralitat des Geldes. Ein geringeres oder haheres Geldvolu­men schlagt sich nach der Quantitatstheorie lediglich im Preisniveau nieder, d.h. in der Hohe der absoluten Preise, und wirkt sich nicht auf die Preisrelationen der GUter untereinander aus. Geld oder das Geldsystem liegt auf einer Volkswirtschaft

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wie ein Schleier, der die realen, guterwirtsehaftliehen Verhaltnisse nieht verandem kann.

Das System der Klassik widmet von seinen Ansatzen her den beobachtbaren Konjunkturschwankungen nicht aIlzu vie I Aufmerksamkeit. FOr Karl Marx hinge­gen, der ebenfalls in der klassischen Tradition steht, sind die Konjunkturschwan­kungen indes nicht nur eine kurzfristige SWrung, sondem ein bedeutsames Phano­men, das einer eigenstandigen Erklarung bedarf. Marx erklart die Wirtschaftskrisen nicht durch Nachfrageschwankungen, sondem durch den tendenziellen Fall der Profitrate. Dies verursacht nach seiner Meinung immer starkere Krisen und wird schlieBlich zum Zusammenbruch des kapitalistischen Wirtschaftssystems fUhren. Naehfrageaspekte spielen somit in der langfristigen Sieht des klassischen Systems eine insgesamt untergeordnete Rolle.

6.2.2 Neoklassik

Das System der Neokiassik, das in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts ent­stand, ist zum einen durch die Marginalanalyse einsehlieBlieh der subjektiven Wertlehre gekennzeichnet. Ais Begriinder gelten William Stanley Jevons, Carl Menger, Leon Walras sowie Johann H. v. Thunen, Antoine Augustin Cournot und Eugen v. Bohm-Bawerk. Zum anderen zeiehnet sieh die Neoklassik dadurch aus, daB der Zeithorizont der Betraehtung kurzfristiger ist. Es wird nicht mehr wie in der Klassik naeh den Bedingungen und Konsequenzen der Kapitalakkumulation gefragt, sondem es werden gegebene BedOrfnisse und gegebene Produktionsmittel unterstellt, die den Rahmen bilden, in dem sich der optimale Einsatz der Produkti­onsfaktoren ermitteln laBt. 1m Vordergrund steht die mikrookonomisehe Analyse. Es wird daher der TauschprozeB auf Einzelmarkten und dessen Ergebnis in Form von relativen Preisen der Guter untereinander beschrieben. Der Preismechanismus sorgt im System der Neoklassik bei vollig flexiblen Preisen und Lohnen dafur, daB auf jedem Markt stets ein Ausgleich der Mengen von Angebot und Nachfrage eintritt. Die Analysemethode der Neoklassik ist vorwiegend statiseh. Sie eignet sich fur die Beschreibung eines zeitlosen allgemeinen Gleichgewichts, bei dem aIle okonomischen GroBen gleichzeitig und ohne zeitliche Verzogerung aufeinander abgestimmt werden.

6.2.3 Keynes

John Maynard Keynes ist Zeitzeuge der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, die mit bis dato unermeBlichen Arbeitslosenzahlen, einer abnehmenden Giiterproduktion und sinkenden Preisniveaus verbunden ist. Er sieht zugleich in den Aussagen der Klassik, u.a. im Saysehen Theorem, keine zureichende Erklarung der Situation, die keinesfalls dem Bild eines vOriibergehen­den Ungleichgewichts entspricht. Keynes entwickelt daher in seinem Buch "Gene­ral Theory of Employment, Interest and Money" (1936) eine eigene makrooko­nomisehe Analyse. Er stellt sich darin die vor dem konkreten historischen Hinter-

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grund naheliegende Frage nach dem unzureichenden Volumen der volkswirt­schaftlichen Giiternachfrage. Die Produktionsbedingungen treten als Problem­stellung weitgehend zurUck, da fUr Situationen unterhalb der Vollbeschiiftigung ohnehin angenommen wird, daB die Produktion sich rasch der Nachfrage anpaBt und keinen selbstiindigen EinfluB ausUbt. Die Grunde fUr das geringe Nachfrage­niveau auf dem Glitermarkt und die dadurch entstandene hohe Arbeitslosigkeit werden von Keynes allerdings nieht anhand der konkreten Daten und wirtschaftli­chen Ablaufe seit dem Ende der 20er Jahre verfolgt. Er unterstellt vielmehr aIlge­mein herrschende Unsicherheiten in den Erwartungen, die sich auf die Investi­tionsnachfrage auswirken und sie verringern. Daneben ist die bei ihm im Unter­schied zur Neoklassik zinsabhlingig angenommene Geldnachfrage oder Liquidi­titspriferenz eben falls erwartungsabhiingig, so daB bei entsprechend ungiinsti­gen Erwartungen von Investoren und Anlegern sinkende Zinsen die GUternachfrage nicht stabilisieren k6nnen. Angesiehts nach unten starrer L6hne entsteht dann Ar­beitslosigkeit, die nur Uber vermehrte staatliche Nachfrage zu reduzieren sein soIl.

Die von Keynes vorgetragene Forderung nach staatlichen Eingriffen in den WirtschaftsprozeB ergibt sieh auch deshalb, wei! er keine Notwendigkeit dafUr erkennt, daB ein gesamtwirtschaftliches Glitermarktgleichgewieht mit VoIlbe­schiiftigung auf dem Arbeitsmarkt einhergehen muB. Die von ihm geforderten zu­satzlichen Staatsausgaben sollen nachfragesteigernd wirken, ohne gleiehzeitig die Grenzleistungsfahigkeit des Kapitals zu reduzieren. Er empfiehlt im Ubrigen staat­liche MaBnahmen zur Stabilisierung der Konsumneigung bei den privaten Haus­halten.

Keynes beschrankt sieh in seiner Analyse bewuBt auf die kurze Periode, in der Qualitat und Quantitat von Arbeit und Sachkapital gegeben sind. Er will sich damit gegenUber der langfristig angelegten Analyse der Klassik abheben. Das Buch von Keynes laBt jedoch eine Reihe von Interpretationsm6glichkeiten zu und liefert daher kein v611ig geschlossenes makro6konomisches System. Es ist auBer­dem in seiner Argumentation und in der zentralen Fragestellung (unzureichende gesamtwirtschaftliche Gliternachfrage) Uberaus zeitbezogen zu verstehen und sollte nicht ohne weitere Erlauterung auf gesamtwirtschaftliche Zusammenhlinge in anderen historischen Zeitperioden Ubertragen werden. Die Argumentation orien­tiert sich zudem stark an der Vorstellung einer geschlossenen Volkswirtschaft, bzw. an auBenwirtschaftlichen Bedingungen, die typisch fUr die Zwischenkriegszeit sind, aber die Gegebenheiten nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere in unseren Tagen nicht zureichend widerspiegeln.

Die Ubertragbarkeit der Analyse von Keynes und seiner wirtschaftspoliti­schen Empfehlungen ist zudem insoweit grundsatzlich eingeschriinkt, als die Ursachen des Nachfrageeinbruchs der frlihen 30er Jahre von ihm nicht wirklich zutreffend erkannt worden sein mUssen. Denn Keynes hat weder besondere em­pirische Untersuchungen angestellt oder Belege gesammelt, noch hat er alternative Erkliirungsansatze fUr die Wirtschaftskrise beleuchtet, wie z.B. die Versuche der Wirtschaftspolitik, zorn Goldstandard nach den Wertverhaltnissen von vor dem Ersten Weltkrieg zurUckzukehren, oder das bewuBte Inkaufnehmen von Bankzu-

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sammenbruchen durch die Geldpolitik in den USA oder in Deutschland. Dies schrankt die Qualitat seiner Aussagen nachhaltig em.

6.2.4 Keynesianismus

Der Keynesianismus, der sich in den 40er und 50er Jahren als weithin dominie­rende volkswirtschaftliche Analysemethode herausbildete, nahm die zeitbezogene Fragestellung von Keynes und die moglicherweise unzutreffende Ursachenergriin­dung fUr ausfallende gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht mehr wahr. Der Keynesianismus versuchte vielmehr vom Resultat der Keynesschen Uberiegungen her, weitere erganzende Argumente fUr staatliche Nachfragestiitzung und fUr staatliche Eingriffe in den WirtschaftsprozeB generell herauszuarbeiten. Zurn Teil wurden dabei Bemerkungen von Keynes fiber instabiles Verhalten von Konsurnen­ten oder Investoren verabsolutiert, urn von daher nach der ordnenden Hand des Staates zu rufen. Zurn Teil werden Nebenbemerkungen von Keynes fiber von ihm selbst nicht beobachtete Phanomene - wie die Liquiditatsfalle - zum zentralen Ele­ment der Analyse und fUr die daraus gewonnenen wirtschaftspolitischen Empfeh­lungen.

Auch die Beobachtung unterausgelasteter Produktionskapazitaten der When 30er Jahre wurde zum Teil so weitgehend uminterpretiert, daB daraus nicht nur die Hilfsannahme einer (unendlich) groBen Elastizitat des GUterangebots wurde, son­dem daB das gesamtwirtschaftliche Knappheitsproblem vollig wegdefiniert wurde. Wenn allerdings keine gesamtwirtschaftliche Knappheit mehr existiert, erubrigen sich auch okonomisch begriindete wirtschaftspolitische Empfehlungen.

Soweit im Keynesianismus einfache Modellzusammenhange des GUter- und Geldmarktes urn rudimentare Arbeitsmarktbetrachtungen erganzt werden, stOBt man vielfach auf das Phanomen der Phillips-Kurve. Mit der Phillips-Kurve soli die Arbeitsmarktreaktion erfaBt werden, die insbesondere von der Geldpolitik und ihrer Beeinflussungsmoglichkeit der Inflationsrate ausgehen kann. Die Phillips­Kurve unterstellt einen zumindest kurzfristig negativen Zusammenhang zwischen Inflationsrate und Arbeitslosenrate. Damit wird zum Ausdruck gebracht, daB ho­here Inflationsraten mit geringeren Arbeitslosenraten einhergehen und umgekehrt. Eine typisch keynesianische Konzeption sieht deshalb vor, daB die Wirtschaftspo­litik zur Reduktion der Arbeitslosenrate durchaus hohere Inflationsraten in Kauf nehmen sollte. Entsprechende Versuche sind jedoch bei der Reduktion der Ar­beitslosenrate meist wirkungslos geblieben.

Die Keynesianische Analyse weist in den 50er und 60er Jahren auch Wei­terentwicklungen auf, die sich fUr die makrookonomische Theorie insgesamt als bedeutsam erwiesen haben. Diese Weiterentwicklungen betreffen vomehmlich die Bereiche des Geld- und Kapitalmarkts sowie der intemationalen Wahrungsbezie­hungen. Hervorzuheben sind die Arbeiten von James Edward Meade, Don Patin­kin, James Tobin und Robert A. Mundell. Kennzeichnend bleiben hierbei aber weiterhin Uberiegungen, die auf der Nachfragesteuerung aufbauen und dem Staat

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eine zentrale Rolle fUr die gesamtwirtschaftIiche Giiternachfrage und das ge­samtwirtschaftliche Gleichgewicht tibertragen.

6.2.5 Monetarismus

Der Monetarismus wird haufig mit dem Namen von Milton Friedman verbun­den, der grundlegende AnstOJ3e zu dieser nationalokonomischen Schule gegeben hat. Ein wesentlicher Ausgangspunkt des Monetarismus besteht darin, die von Keynes vorgetragene und yom Keynesianismus ungepruft tibernommene ErkUi­rung der Weltwirtschaftskrise in den 30er lahren zu hinterfragen. 1st mithin die Weltwirtschaftskrise tatsachlich durch einen Nachfrageausfall entstanden, weil die privaten Konsumenten und Investoren in ihrem Verhalten grundsatzlich instabil sind bzw. waren? Oder gab es andere Grunde, die insbesondere in den angelsachsi­schen Landern tiber die gesamten 30er Jahre noch zur Stagnation beigetragen ha­ben? Friedman verweist zur Beantwortung dieser Fragen im wesentlichen auf die Geldpolitik wahrend der Krisenjahre, die eine tiberaus groJ3e und so nicht vorherzusehende Geldmengenreduktion zugelassen hat. Das Sinken des Preisni­veaus, die Abnahme der Gtiterproduktion und der Gtiternachfrage wurden durch die Geldpolitik verstiirkt. Danach besaB und besitzt die Geldpolitik durchaus Ein­fluJ3moglichkeiten auf den Realsektor einer V olkswirtschaft. Die mangelnde Be­deutung des Geldes in einigen keynesianischen Ansatzen ist demnach ungerecht­fertigt, denn "money matters", d.h. die Geldpolitik und die von ihr gesteuerten Geldmengenveranderungen konnen sich in Veranderungen des Wirtschaftsprozes­ses niederschlagen.

Wenn allerdings die Geldpolitik tiber Geldmengenvariationen nicht nur auf die Preise, sondern auch auf den Realsektor einwirken kann, erscheint die Forde­rung an die Geldpolitik gerechtfertigt, eigene unvorhergesehene monetare Schocks zu vermeiden, urn damit nicht selbst zu Schwankungen in der Wirtschaftstatigkeit beizutragen. Der Monetarismus kommt mithin wegen der yom Geldsektor ausge­henden Bedeutung rur die gesamte Volkswirtschaft zur Forderung nach Konstanz der Geldpolitik beispieIsweise in Form einer gleichbleibenden Wachstumsrate der Geldmenge, die auJ3erdem ein geringes Niveau haben soIl, urn den Spielraum fUr Preissteigerungen zu begrenzen.

Der Monetarismus greift daneben auf das Gedankengut der Neoklassik zu­ruck, wonach eine Gleichgewichtstendenz in der Volkswirtschaft vorherrscht und der private Sektor grundsatzlich stabil ist. Es kommt hinzu, daB der staatlichen Finanzpolitik keine Wirksamkeit beigelegt wird, wei! diese unabhangig von ihrer Finanzierung Iediglich private Nachfrage verdrangt. Ihre Aufgabe ist allenfalls darin zu sehen, die langfristigen Angebotsbedingungen in der Volkswirtschaft zu verbessem. Darunter ist auch zu verstehen, daJ3 sich die staatliche Wirtschaftspoli­tik bemtihen soUte, zur Stabilitat der Erwartungen der Wirtschaftssubjekte beizu­tragen, was sich durch einen Verzicht auf haufige und in ihren Wirkungen nicht immer widerspruchsfrei bleibende staatliche wirtschaftspolitische Aktionen errei­chenlaJ3t.

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6.2.6 Neukeynesianismus

Weitere Fortentwicklungen des Keynesianismus versuchen tiber intensivere mi­krookonomische Fundierung die gesamtwirtschaftliche Analyse okonomisch stringenter zu gestalten, so daB in der okonomischen Argumentationsweise die frUheren Unterschiede zu neoklassischen Ansatzen geringer werden. Vertreter des Keynesianismus stellen aber weiterhin auf die Verantwortung des Staates fUr das Erreichen eines gesamtwirtschaftlichen Produktionsniveaus mit Vollbeschliftigung ab, wobei sie auf den Einsatz von finanzpolitischen und geldpolitischen Mitteln zahlen. 1m tibrigen verweisen sie zumindest zum Teil auf Prozesse der Hysterese, nach denen vorubergehende AnstOBe oder Schocks dauerhafte langfristige Aus­wirkungen haben werden und tiber iibliche Marktprozesse keine Wiederherstellung eines friiheren Gleichgewichtszustandes erwartet werden kann.

Der Neukeynesianismus billigt insbesondere der volkswirtschaftlichen Geldmenge erheblichen realwirtschaftlichen Einflu8 zu und will deshalb die Geldpolitik als aktives Steuerungsinstrument einsetzen. Die Wirksamkeit der Geldpolitik wird in ihrer Moglichkeit gesehen, auf den realen Zins EinfluB nehmen zu konnen, der fUr die Giiterproduktion und das AusmaB der Beschliftigung be­deutsam ist.

SchlieI31ich hebt der Neukeynesianismus reale Unvollkommenheiten hervor, die in unvollstandiger Konkurrenz, asymmetrischen Informationen und mange In­den Flexibilitaten von Preisen und Lohnen bestehen. Insgesamt werden dam it Ab­weichungen yom Gleichgewichtsmodell (der Neoklassik) begriindet. Diese Abwei­chungen von den GleichgewichtslOsungen dienen den Neukeynesianem dazu, dem Staat eine aktive wirtschafispolitische Steuerungsaufgabe auch im Rahmen seiner Finanzpolitik zu iibertragen, urn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht bei Voll­beschliftigung zumindest rascher erreichen zu konnen.

6.2.7 N euklassik

Die Neoklassik tritt seit einigen lahren in einer spezielleren Version auf, die sich neue klassische Makrookonomik nennt. Wesentliche Vertreter sind Robert Lu­cas und Thomas Sargent. Diese neue klassische Makrookonomik behlilt viele neo­klassische Grundbausteine bei, wie z.B. die Annahme flexibler Lohne und Preise. 1m tibrigen arbeitet sie mit der Hypothese rationaler Erwartungen. Rationale Erwartungen bedeuten, daB die privaten Wirtschaftssubjekte die wirtschaftliche Entwicklung aus den jeweils gegebenen Informationen korrekt vorhersehen und daB sie insbesondere staatliche wirtschaftspolitische MaBnahmen rechtzeitig in ihrer Erwartungsbildung berucksichtigen. Daher kann von einer wirtschaftspoliti­schen MaBnahme des Staates kein neuer oder separater Impuls ausgehen, da bereits vor DurchfUhrung der MaBnahme die gesamtwirtschaftlichen im Wirtschaftskreis­lauf sich ergebenden Konsequenzen erkannt sind und keine Verhaltensanderung mehr auslOsen.

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1m neuklassischen Ansatz werden Konjunkturen als ein ProzeB permanenter Marktraumung angesehen, die auf reale Schocks wie auf Veranderungen der Pro­duktivitat oder Veranderungen des intemationalen Wirtschaftsumfelds zuruckge­hen. An diese Veranderungen passen sich die privaten Wirtschaftssubjekte an und such en dementsprechend unterschiedliche GleichgewichtslOsungen fur die Giiter­produktion iiber die Zeit hin. Dem staatlichen Handeln wird insbesondere bei Ein­griffen in die Markte und den gesamtwirtschaftIichen ProzeB grundsatzliches MiB­trauen entgegengebracht, zumal der Staat keinen Informationsvorteil gegeniiber den Privaten besitzt. Sofem seine Aktivitaten nicht antizipiert werden und insoweit von vornherein unwirksam bleiben, werden sie eher zu Wohlfahrtsverlusten als zu wirtschaftlichen Verbesserungen beitragen.

6.3 Grundlegende Bausteine eines makrookonomischen Modells

Die makrookonomische Analyse steht grundsatzlich vor der Frage, wie sie ange­sichts der Vielzahl der Wirtschaftssubjekte mit je unterschiedlichen subjektiven Vorstellungen und Zielen zu einem geeigneten Analyserahmen kommen kann, der einerseits die Unterschiedlichkeit des Verhaltens und der okonomischen Einfliisse beriicksichtigt und andererseits noch so iibersichtlich bleibt, daB wesentliche wirt­schaftliche Wirkungszusammenhange erkennbar werden. Der Aggregationsgrad ist damit festzulegen, auBerdem ist zu bestimmen, welche Art von wirtschaftlichen Hypothesen Verwendung finden soll, d.h. werden allgemeine Verhaltensabhangig­keiten benutzt oder entscheidungstheoretisch begriindete Optimierungen betrachtet, die der mikrookonomischen Vorgehensweise entsprechen. Es kommt hinzu, daB die Analyse vor dem Hintergrund einer Zeitdimension zu erfolgen hat, und es da­her zu klaren ist, ob eher langerfristige oder eher kiirzerfristige Aspekte zu be­Ieuchten sind.

Die nachfolgenden Ausfuhrungen wollen sich auf Modellbausteine stiitzen, die typisch sind fur eine kiirzerfristige Analyse. Dies ist im iibrigen der Zeitraum, der fur die in Wahlzyklen denkende Wirtschaftspolitik entscheidend ist. Bei der Konzentration auf die kiirzere Frist erweist es sich als sinnvoll, den Wirtschafts­prozeB in einer Volkswirtschaft als Ergebnis von Marktvorgangen zu betrachten, die sich vorrangig auf vier gesamtwirtschaftlichen Markten abspielen.

Einer dieser Markte wird als Giitermarkt bezeichnet. Auf ibm werden die meisten Giiter (Waren und Dienstleistungen) gehandelt, die von privaten Haus­halten, den Untemebmen, dem Staat und dem Ausland nachgefragt werden. Es geht mithin vorrangig darum, die GUtemachfrage in ihren Komponenten und we­sentlichen Einfliissen darzustellen. Von die Nachfrage auf dem Giitermarkt gehen wesentliche Einfliisse auf die Hohe der gesamtwirtschaftlichen Giiterproduktion aus. In Verbindung mit dem Geldmarkt ergeben sich hier im iibrigen die zentralen Bestimmungsgriinde fur das Preisniveau.

Daneben steht der Arbeitsmarkt, auf dem eine spezielle Art von Dienstlei­stungen, namlich die Arbeitsieistungen angeboten und nachgefragt werden. Die

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Unterscheidung zwischen den Markten ist hier wie im f01genden nicht zu1etzt des­ha1b notwendig, weil die Wirkungszusammenhange und okonomischen Einfliisse unterschiedlich sind. So liefert der Arbeitsmarkt nicht nur Aussagen zum AusmaO der auf dem Markt gebandeJten Arbeits1eistungen, er steht zudem in einem direkten Zusammenhang mit der gesamtwirtschaftlichen Giiterproduktion und bildet damit die Basis fUr das Guterangebot in der Volkswirtscbaft.

Auf dem Geldmarkt kommen Angebot und Nachfrage nach Geld zusammen, wobei die Funktion des Geldes als Tauschmittel die wesentliche Rolle spielt. Das Angebot an Geld in einer Volkswirtschaft wird unter anderem von der Geldpolitik mitgepragt und iiber den Geldmarkt auf die volkswirtschaftlichen Prozesse iibertra­gen. Auf dem Geldmarkt wird die Hohe des kurzfristigen Zinses, des Geldmarkt­zinses, bestimmt. Der Geldmarkt in einer Volkswirtschaft steht im iibrigen in en­gen Abbangigkeiten zum Gutermarkt, denn fUr das Abwickeln der Tauschpro­zesse auf dem Giitermarkt ist das Tauschmittel Geld erforderlich, das sich in die­sem Zusammenhang auch auf das Preisniveau insgesamt auswirken wird. Der Geldmarkt ist daruber hinaus mit dem vierten gesamtwirtschaftlichen Markt, dem internationalen Kapitalmarkt, verbunden.

Fiir beobachtbare Volkswirtschaften mit auBenwirtschaftlichen Verflechtun­gen stellt der internationale Kapitalmarkt einen notwendigen Baustein jeder ma­krookonomischen Analyse dar. Uber den internationalen Kapitalmarkt stehen z.B. Exporteure und Importeure von Waren und Dienstleistungen sowie Kapitalanleger im Inland und Ausland miteinander in Verbindung. Sie beeinflussen damit die Wechselkurse und die weltweit geltenden langfristigen Zinsen. Die international bestimmten langfristigen Zinsen sind mit dem Zinsniveau auf dem Geldmarkt abzu­stimmen. Sie haben daruber hinaus wesentlichen EinfluB auf die Investitionsnach­frage in der Volkswirtschaft.

1m Rahmen dieser einfUhrenden Darstellung soll kein vollstandiges aus die­sen vier Bausteinen zusammengesetztes makrookonomisches Modell prasentiert werden. Wir werden uns vielmehr auf einzelne gesamtwirtschaftliche Nachfrage­oder Angebotsbeziehungen beschranken und die darin enthaltenen wirtschaft­lichen Reaktionsweisen erlautern. So wird etwa die Konsumnachfrage der privaten Haushalte oder die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Arbeitsleistungen aus erkennbaren wirtschaftlichen Einfliissen abgeleitet. Diese Vorgehensweise ist als erster Schritt erforderlich, urn die grundlegenden wirtschaftlichen Abhangigkei­ten verstandlich und iiberschaubar zu machen. Soweit wie moglich wollen wir uns auf Konzepte stUtzen, die zwischen den makrookonomischen Lehrmeinungen ein­heitlich behandelt oder als Ausgangspunkt fUr weitere Analysen akzeptiert werden. Grundsatzlich steht die Uberlegung im Vordergrund, ob aufgezeigte okonomische Abhangigkeiten hinreichend schliissig sind und sich gegebenenfalls in Uberein­stimmung mit beobachtbaren Phanomen befinden.