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Plagiate 57(2006)2, 81-89 81 1 Dunkelziffern Scheinbar unaufhaltsam wächst weltweit die Zahl aufgedeckter Plagiate. Ihre Dunkel- ziffer dürfte ein Vielfaches davon betragen. Auch der Autorenbegriff ist – aufgrund grassierender unethischer Autorenschaf- ten (inflationäre Ehrenautorenschaften, Ghost Writings) in der Krise, die Unzufrie- denheit vor allem unter den jüngeren, sta- tusniedrigeren Wissenschaftlern und Wis- senschftlerinnnen wächst: So setzen etliche medizinische Journale mittlerweile lieber auf den Begriff der „Kontribuentenschaft“, Großprojekte der Hochenergiephysiker zur Gänze auf statutarisch geregelte kollektive Autorenschaften. Welche institutionellen Leitbilder und or- ganisatorischen Kontexte fördern die Be- reitschaft zum Plagiieren bzw. unethische Praktiken beim Publizieren (genauer: bei der Zurechnung wissenschaftlicher Leis- tungen)? Welche Möglichkeiten bieten Wissenschaftsforschung und Informati- onswissenschaft, Plagiatsüberprüfungs- software und Datenbankfunktionen (z. B. „related documents“) bei der Plagiatsbe- kämpfung? Welche Antworten bieten wis- senschaftliche bzw.kulturelle Institutionen auf diese Herausforderungen? Wieso kla- gen Betroffene über Verzögerungstak- tiken? 2 „Seelenverkäufer“ Als „plagiarius“, als Seelenverkäufer, ver- dammte der Römer Martial im 1. Jh. n. Chr. seinen Dichterkollegen Fidentius. Er hatte Martialsche Gedichte als eigene verbreitet. Die eigenen geistigen Werke seien wie frei- gelassene Slaven: wer sich ihrer bemäch- tige, begehe „plagium“, Menschenraub (Ste- gemann-Boehl 1994, 113f.). Unter Plagiat wird die unbefugte Über- nahme fremden Geistesguts, der „Dieb- stahl“ geistigen Eigentums verstanden. Im Gegensatz zum Diebstahl ist, so die deut- sche Juristin Stefanie Stegemann-Boehl, die Voraussetzung eines Plagiats weder ein Vorsatz noch ein Verschulden. Ob die Pla- giatoren in bösem Glauben handelten oder einer „Kryptamnesie“ (= fälschliche Selbst- zuschreibung von Ideen nach Vergessen der Quelle) zum Opfer fielen, sei für den ur- heberrechtlichen Schutz unerheblich. Viele Wissenschaftler sehen dies anders, und Pla- giieren oft eher als „lässliche Sünde“. Ihre Beanstandung gilt als eher schäbig. Dabei haben das Plagiat und der Kampf da- gegen lange Tradition.Verdächtigt wurden viele. Nur einige Namen: Pythagoras, Gali- leo, Nietzsche, Darwin, Scheler, Freud. Oft waren die Vorwürfe wohl unberechtigt, entsprangen vor allem Prioritätsstreitigkei- ten, d. h. dem Ringen um die (oft recht will- kürliche) Festlegung: Wer war der Erste? Nur dieser (zumindest wenn mächtig bzw. bekannt) wird in aller Regel von der wissen- schaftlichen „Gemeinschaft“ belohnt. Wer sich für ein Genie hält, dem fällt es zudem schwer, sich mit dem Phänomen der „Mul- tiple Disoveries“ (Merton) abzufinden: Er- findungen bzw. Entdeckungen liegen, wenn die „Zeit“ für sie reif ist, d. h. die not- wendigen Voraussetzungen vorhanden sind, gewissermaßen in der Luft. Parallele Entdeckungen durch mehrere Wissen- schaftler(-gruppen) sind historisch die Regel und nicht die Ausnahme. Auch galten Prioritätsstreitigkeiten und Plagiatsvorwürfe im vorletzten Jahrhun- dert als chic: Man musste mittun, um seine Zugehörigkeit zum Spiel zu reklamieren, um zu demonstrieren: Das könnte ich auch. 2.1 Plagiate: Varianten In Geschichte und Gegenwart der Wissen- schaften finden sich verschiedene Abstu- fungen von Plagiaten: Das Totalplagiat, als unveränderte Über- nahme, ist eher etwas für waghalsige Draufgänger. Totale Plagiate wurden bislang am häufigsten bei Dissertatio- nen entdeckt. Einige Mediziner, aber auch ein Informatiker, inszenierten ihre gesamte Karriere mittels bis zu 60 kom- plett kopierter Aufsätze. Am bekanntes- ten ist der Fall des Irakers Elias A. K. Al- sabti (vgl. Fallstudie 4.3). 1:1-Übernah- men könnten z. T. über professionelle Datenbanken und Suchmaschinen he- rausgefiltert werden: könnten, denn die bisher enttarnten Fälle wurden eher zu- fällig durch aufmerksame Leser ent- deckt. Die Chancen juristischer Verfolg- barkeit durch Plagiierte wären hier am höchsten. Eine risikoärmere Variante des Totalpla- giats ist das Übersetzungsplagiat aus einer (möglichst exotischen) fremden Sprache. Doch die Zahl der Übersetzun- gen und die Qualität von Übersetzungs- programmen nimmt zu, und es gibt mehr und mehr internationale Kontakte zwischen Wissenschaftlern, nicht zu- letzt aufgrund einschlägiger Förderpro- gramme. Das Teilplagiat ist ein wissenschaftliches Cuvée. Die teilweise Übernahme und Verschnitte fremder Texte ohne Quel- lenangabe wäre im Prinzip auch durch DV-Programme enttarnbar. Es ist von Land zu Land unterschiedlich juristisch verfolgbar – mit eher mäßigen Erfolgs- Plagiate und unethische Autorenschaften* Gerhard Fröhlich, Linz (Österreich) Die Zahl aufgedeckter Plagiate wächst wei- terhin. Ihre Dunkelziffer dürfte ein Vielfa- ches davon betragen. Aufgrund grassieren- der unethischer Autorenschaften (inflatio- näre Ehrenautorenschaften,Ghost Writings) setzen medizinische Journale nun auf den Begriff der „Kontribuentenschaft“,Großpro- jekte der Hochenergiephysiker auf statuta- risch geregelte kollektive Autorenschaften. Welche institutionellen Leitbilder und or- ganisatorischen Kontexte fördern die Bereit- schaft zum Plagiieren bzw.unethische Prak- tiken beim Publizieren (genauer: bei der Zu- rechnung wissenschaftlicher Leistungen)? Welche Möglichkeiten bieten Wissenschafts- forschung und Informationswissenschaft, Plagiatsüberprüfungssoftware und Daten- bankfunktionen (z. B. „related documents“) bei der Plagiatsbekämpfung? Welche Ant- worten bieten wissenschaftliche Institutio- nen? Wieso klagen Betroffene über Verzöge- rungstaktiken? Sind die Alternativen „in- formed peer review“ und „open access“? Plagiarism and unethical authorships The number of uncovered cases of plagia- rism is constantly growing. The grey-scale number is supposed to be even higher. Be- cause of a growing amount of unethical au- thorships (inflationary honorary authors, ghost writings) medical journals are putting the term "contribuents" in front.Big projects of high energy physicians are regulated through strict statutory rules and manda- tory of collective authorships.Which institu- tionalized guidelines and organisational contexts are supporting the willingness for doing plagiarism or unethical practices for publishing (better said: inadequate ack- nowledgements of scientific efforts)? Which possibilities are available for social studies of science and information sciences, plagia- rism software and database functions (e.g. "related documents") for fighting against plagiarism? What are the answers of the scientific institutions? Why are the affected scientists or scholars bewailing tactics of delay? Are "informed peer review" and "open access" the only alternatives?

Plagiate und unethische Autorenschaften* - zalf.de · Unter Plagiat wird die unbefugte Über-nahme fremden Geistesguts, der „Dieb-stahl“ geistigen Eigentums verstanden.Im Gegensatz

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Page 1: Plagiate und unethische Autorenschaften* - zalf.de · Unter Plagiat wird die unbefugte Über-nahme fremden Geistesguts, der „Dieb-stahl“ geistigen Eigentums verstanden.Im Gegensatz

Plagiate

57(2006)2, 81-89 81

1 DunkelziffernScheinbar unaufhaltsam wächst weltweitdie Zahl aufgedeckter Plagiate.Ihre Dunkel-ziffer dürfte ein Vielfaches davon betragen.

Auch der Autorenbegriff ist – aufgrundgrassierender unethischer Autorenschaf-

ten (inflationäre Ehrenautorenschaften,Ghost Writings) in der Krise, die Unzufrie-denheit vor allem unter den jüngeren, sta-tusniedrigeren Wissenschaftlern und Wis-senschftlerinnnen wächst:So setzen etlichemedizinische Journale mittlerweile lieberauf den Begriff der „Kontribuentenschaft“,Großprojekte der Hochenergiephysiker zurGänze auf statutarisch geregelte kollektiveAutorenschaften.Welche institutionellen Leitbilder und or-ganisatorischen Kontexte fördern die Be-reitschaft zum Plagiieren bzw. unethischePraktiken beim Publizieren (genauer: beider Zurechnung wissenschaftlicher Leis-tungen)? Welche Möglichkeiten bietenWissenschaftsforschung und Informati-onswissenschaft, Plagiatsüberprüfungs-software und Datenbankfunktionen (z. B.„related documents“) bei der Plagiatsbe-kämpfung? Welche Antworten bieten wis-senschaftliche bzw.kulturelle Institutionenauf diese Herausforderungen? Wieso kla-gen Betroffene über Verzögerungstak-tiken?

2 „Seelenverkäufer“Als „plagiarius“, als Seelenverkäufer, ver-dammte der Römer Martial im 1. Jh. n. Chr.seinen Dichterkollegen Fidentius. Er hatteMartialsche Gedichte als eigene verbreitet.Die eigenen geistigen Werke seien wie frei-gelassene Slaven: wer sich ihrer bemäch-tige,begehe „plagium“,Menschenraub (Ste-gemann-Boehl 1994, 113f.).Unter Plagiat wird die unbefugte Über-nahme fremden Geistesguts, der „Dieb-stahl“ geistigen Eigentums verstanden.ImGegensatz zum Diebstahl ist, so die deut-sche Juristin Stefanie Stegemann-Boehl,dieVoraussetzung eines Plagiats weder einVorsatz noch ein Verschulden. Ob die Pla-giatoren in bösem Glauben handelten odereiner „Kryptamnesie“ (= fälschliche Selbst-zuschreibung von Ideen nach Vergessender Quelle) zum Opfer fielen,sei für den ur-heberrechtlichen Schutz unerheblich.VieleWissenschaftler sehen dies anders,und Pla-giieren oft eher als „lässliche Sünde“. IhreBeanstandung gilt als eher schäbig.Dabei haben das Plagiat und der Kampf da-gegen lange Tradition.Verdächtigt wurdenviele. Nur einige Namen: Pythagoras, Gali-leo, Nietzsche, Darwin, Scheler, Freud. Oftwaren die Vorwürfe wohl unberechtigt,entsprangen vor allem Prioritätsstreitigkei-ten, d. h. dem Ringen um die (oft recht will-kürliche) Festlegung: Wer war der Erste?

Nur dieser (zumindest wenn mächtig bzw.bekannt) wird in aller Regel von der wissen-schaftlichen „Gemeinschaft“ belohnt. Wersich für ein Genie hält, dem fällt es zudemschwer, sich mit dem Phänomen der „Mul-tiple Disoveries“ (Merton) abzufinden: Er-findungen bzw. Entdeckungen liegen,wenn die „Zeit“ für sie reif ist, d. h. die not-wendigen Voraussetzungen vorhandensind, gewissermaßen in der Luft. ParalleleEntdeckungen durch mehrere Wissen-schaftler(-gruppen) sind historisch dieRegel und nicht die Ausnahme.Auch galten Prioritätsstreitigkeiten undPlagiatsvorwürfe im vorletzten Jahrhun-dert als chic: Man musste mittun,um seineZugehörigkeit zum Spiel zu reklamieren,um zu demonstrieren:Das könnte ich auch.

2.1 Plagiate: VariantenIn Geschichte und Gegenwart der Wissen-schaften finden sich verschiedene Abstu-fungen von Plagiaten:

� Das Totalplagiat,als unveränderte Über-nahme, ist eher etwas für waghalsigeDraufgänger. Totale Plagiate wurdenbislang am häufigsten bei Dissertatio-nen entdeckt. Einige Mediziner, aberauch ein Informatiker,inszenierten ihregesamte Karriere mittels bis zu 60 kom-plett kopierter Aufsätze.Am bekanntes-ten ist der Fall des Irakers Elias A. K. Al-sabti (vgl. Fallstudie 4.3). 1:1-Übernah-men könnten z. T. über professionelleDatenbanken und Suchmaschinen he-rausgefiltert werden: könnten, denn diebisher enttarnten Fälle wurden eher zu-fällig durch aufmerksame Leser ent-deckt. Die Chancen juristischer Verfolg-barkeit durch Plagiierte wären hier amhöchsten.

� Eine risikoärmere Variante des Totalpla-giats ist das Übersetzungsplagiat auseiner (möglichst exotischen) fremdenSprache. Doch die Zahl der Übersetzun-gen und die Qualität von Übersetzungs-programmen nimmt zu, und es gibtmehr und mehr internationale Kontaktezwischen Wissenschaftlern, nicht zu-letzt aufgrund einschlägiger Förderpro-gramme.

� Das Teilplagiat ist ein wissenschaftlichesCuvée. Die teilweise Übernahme undVerschnitte fremder Texte ohne Quel-lenangabe wäre im Prinzip auch durchDV-Programme enttarnbar. Es ist vonLand zu Land unterschiedlich juristischverfolgbar – mit eher mäßigen Erfolgs-

Plagiate und unethische Autorenschaften*Gerhard Fröhlich, Linz (Österreich)

Die Zahl aufgedeckter Plagiate wächst wei-terhin. Ihre Dunkelziffer dürfte ein Vielfa-ches davon betragen. Aufgrund grassieren-der unethischer Autorenschaften (inflatio-näre Ehrenautorenschaften,Ghost Writings)setzen medizinische Journale nun auf denBegriff der „Kontribuentenschaft“,Großpro-jekte der Hochenergiephysiker auf statuta-risch geregelte kollektive Autorenschaften.Welche institutionellen Leitbilder und or-ganisatorischen Kontexte fördern die Bereit-schaft zum Plagiieren bzw.unethische Prak-tiken beim Publizieren (genauer: bei der Zu-rechnung wissenschaftlicher Leistungen)?Welche Möglichkeiten bieten Wissenschafts-forschung und Informationswissenschaft,Plagiatsüberprüfungssoftware und Daten-bankfunktionen (z. B. „related documents“)bei der Plagiatsbekämpfung? Welche Ant-worten bieten wissenschaftliche Institutio-nen? Wieso klagen Betroffene über Verzöge-rungstaktiken? Sind die Alternativen „in-formed peer review“ und „open access“?

Plagiarism and unethical authorshipsThe number of uncovered cases of plagia-rism is constantly growing. The grey-scalenumber is supposed to be even higher. Be-cause of a growing amount of unethical au-thorships (inflationary honorary authors,ghost writings) medical journals are puttingthe term "contribuents" in front.Big projectsof high energy physicians are regulatedthrough strict statutory rules and manda-tory of collective authorships.Which institu-tionalized guidelines and organisationalcontexts are supporting the willingness fordoing plagiarism or unethical practices forpublishing (better said: inadequate ack-nowledgements of scientific efforts)? Whichpossibilities are available for social studiesof science and information sciences, plagia-rism software and database functions (e.g."related documents") for fighting againstplagiarism? What are the answers of thescientific institutions? Why are the affectedscientists or scholars bewailing tactics ofdelay? Are "informed peer review" and"open access" the only alternatives?

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aussichten. Auch die Doktorarbeit eineranerkannten deutschen Professorin,Eli-sabeth Ströker, wurde von einer Kom-mission mit der üblichen „ja,aber“-Klau-sel beanstandet und blieb für die C4-Phi-losophin folgenlos. Schlechter erging esda der statusniedrigeren Aufdeckerin,Marion Soreth.Ein deutscher Mathematiker hatte, desRussischen kundig, in den 1980er-Jah-ren seine Habilitation zu weiten Teilenaus einer sowjetischen Monographie ab-geschrieben. Später, er war längst alsHochschullehrer in Amt und Würden,wurde jenes „hilfreiche“ (Finetti/Him-melrath, 1999, 94) Werk aus dem Russi-schen ins Englische übersetzt und damitder internationalen Kollegenschaft zu-gänglich. Bald flog das Plagiat auf. Daszuständige Wissenschaftsministerium(NRW) entzog dem Mathematiker dieLehrbefugnis. Seine Klage dagegenwurde in zwei Instanzen abgewiesen.Doch ähnliche Fälle drastischer Bestra-fung bei Plagiaten sind rar.

� Ein Ideenplagiat, d.h. die bloße Über-nahme der „Substanz“ ohne Würdigungder Urheber, ist nur schwer nachzuwei-sen. Plagiierte haben nur minimaleChancen auf erfolgreiche Beanstan-dung. Zum Schutz eigener Ideen (aberauch zur Erhöhung der Rezeptionschan-cen wissenschaftlicher Botschaften)empfehlen sich neben Bekanntheit (derVerfasser und ihrer Texte) gelungeneMetaphern, bildhafte Übertragungenihrer Botschaften.Robert K. Merton kre-ierte z.B. den „Matthäus-Effekt“, nachdem Gleichnis vom anvertrauten Geldeim Evangelium nach Matthäus („dennjene die haben, denen wird gegebenwerden, jene die nichts haben, wirdsogar das noch genommen werden“).Auf Soziologenchinesisch hieße das:derkumulative Vorteil kumulativ Bevorteil-ter. Das ließe sich leicht sprachlich vari-iert übernehmen. Den „Matthäus-Effekt“(die ungerechte Verteilung vonBelohnungen in der Wissenschaft) hin-gegen kann Merton, selbst einer seinerNutznießer, keiner unbemerkt rauben.

� „Altruistische Plagiate“ sollten in jenendüsteren Zeiten, in denen das Neue ver-pönt war,vor der Verfolgung,etwa durchdie Heilige Inquisition schützen. Man„fand“ ein „bisher verschollen geglaub-tes“ Manuskript einer anerkannten Au-

torität, der man den eigenen Stand-punkt unterlegte. Doch auch heute ver-öffentlicht manchmal ein InstitutschefAttacken gegen einen Kollegen lieberunter dem Namen eines Subalternen.Das kann zweierlei Gründe haben: Kri-tik ist eine Form der Anerkennung, unddie gönnt man manchen Kollegen ganzund gar nicht. Eskaliert der Konflikt,kann man sich zudem immer noch vonseinem frechen Mitarbeiter distanzie-ren. Zwillingsforscher Sir Cyril Burt be-trieb altruistisches Plagiat im großenStil:Er simulierte in seinem Journal eineflorierende Scientific Community mitzahlreichen Rezensionen und Kritikeneigener Arbeiten unter ca. vierzig (!) er-fundenen Namen (siehe Fallstudie 4.1).Die Übergänge zum „Ghost Writing“(siehe 3.4) sind fließend.

� Der Ausdruck „Autoplagiate“ ist eine Er-findung zählwütiger Evaluatoren (siebenötigen eine Maßeinheit: das Paper)und Copyright-erpichter Verleger.Warum sollten Autoren gelungene For-mulierungen,komprimierte Darstellun-gen von Forschungsdesigns etc. nichtmehrfach verwenden? Die Arbeitsweisevieler Textwissenschaftler besteht ineiner spiralförmigen Höherentwick-lung. Natürlich sollte man die früherenTexte, auf denen man aufbaut, in einerFußnote angeben. Problematisch sindAutoplagiate aber,wenn identische Kur-ven oder Abbildungen in verschiedenenPublikation angeblich ganz Unter-schiedliches repräsentieren (vgl.Fallstu-dien 4.5 und 4.6).

� „Verbalplagiate“: Zu wenig kaltblütigwar ein Chemiker,der Ende 1983 als Rek-tor der GHS Essen zurücktrat. Er hatteTeile seiner Antrittsrede als Rektor auseinem populärwissenschaftlichen Ar-tikel übernommen – ohne Quellenan-gabe. Erschienen war dieser Jahre zuvorim Organ des Verbandes der Chemi-schen Industrie – Wasser auf den Müh-len seiner uni-fraktionspolitischenFeinde: Sie forderten erfolgreich seinenRücktritt,nach nur gut zehn Wochen imAmt. Solcherart Konsequenz ist höchstselten, die wissenschaftliche Commu-nity reagierte darauf auch kontrovers,denn „ strenggenommen war weder derplagiierte Beitrag noch die ... Antritts-rede ein wissenschaftliches Werk“ (Fi-netti/Himmelrath, 1999, 94). Auch ausden USA ist ein ähnlicher Fall bekannt.

� Bildplagiate können analog zu Textpla-giaten als totale oder partielle angelegtwerden (vgl. 4.6). Digitale Technologiensind im Prinzip eigentumsfeindlich –zahllose Kopien lassen sich ohne Quali-tätsverluste bequem herstellen – und er-leichtern auch Plagiate und Fälschun-gen. Die Übernahme von Abbildungenbietet sich in der Medizin an. Aufgrundzahlreicher bildgebender Verfahren undAnalysemethoden ist hier die Verlo-ckung groß. Von Wissenschaftstheo-

retikern unterschätzt, ist die Überzeu-gungsmacht visueller Rhetorik bei wissenschaftlichen Kontroversen über-raschend stark. Auch Öffentlichkeitser-folge hängen heute von der Visualisier-barkeit eines Themas ab: Keine Bilder,keine Journalreportage. Keine Anima-tionen, kein Beitrag in einem TV-Maga-zin. Digitale Bilder lassen sich leichtüberarbeiten und verfremden. Die bis-lang aufgedeckten Plagiatoren gingenrecht sorglos-dreist vor und verzichtetendarauf. Es ist zu fürchten, dass vorsich-tigere und geschicktere Fälscher kaumauffallen. Doch können Experten auchdigitale Überarbeitungen nachweisen,allerdings ist dies mit einigem Aufwandverbunden.

Die Übergänge vom Plagiat zu Formen desDiebstahls im engen Sinn des Wortes sindfließend:

� Eilige Forscher von Welt entwendenauch Daten. Bei einem Workshop aufSchloß Elmau weigerte sich ein Krebs-forscher erfolgreich, seine Daten an dieWand zu projezieren:Ein Vertreter einerkonkurrierenden Biotech-Firma saß mitKamera,Teleobjektiv und Stativ bewaff-net im Saal, um seine Folien zu fotogra-fieren. Die Tagungsleitung musste ein-greifen.

� Wichtige Bakterien-, Viren-, Zellkultu-ren machen Wissenschaftler einanderauch zum Geschenk – oft aber mit dervertraglichen Verpflichtung, auf jederVeröffentlichung,die auf Basis jener Kul-turen erscheint, als Koautor genannt zuwerden. Der überaus ehrgeizige US-Aidsforscher Robert C.Gallo hat wohl einGeschenk seiner französischen Kollegen(eine wichtige Variante des HIV-Virus)als eigene Entwicklung ausgegeben.Dabei ging es um Milliarden, nämlichum einen kostenpflichtigen HIV-Test.Der Streit wurde letztlich auf Ebene derStaatspräsidenten (!) beigelegt.

2.2 PositionsvorteileAls anonymer Gutachter bei Stiftungenund Journalen hat man den Vorteil, dasNeue lange vor der Veröffentlichung zu Ge-sicht bekommen. Und man kann die Kon-kurrenz hinhalten,sie mit Änderungswün-schen quälen und die Gutachten verzö-gern. In der Zwischenzeit kann man seineeigenen Leute, versehen mit den Daten,Ideen, Projektdesigns der Begutachteten,in den Kampf werfen und die Konkurrenzüberholen:

� Eine prominente Gutachter-Affäre ver-bindet sich mit den beiden Medizinern-Vijay R. Soman und Philip Felig (Univer-sität Yale). Sie lehnten einen Aufsatzeiner konkurrierenden Gruppe vom NIH(National Institutes of Health) ab.Soman schlachtete ihn für eigene Zwe-

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Plagiate und unethische Autorenschaften

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Plagiate und unethische Autorenschaften

cke aus (siehe 4.4). Dieser Fall zeigt, dassauch Gutachten von den beauftragtenReferees an subalterne Mitarbeiter dele-giert werden.

� Noch dreister lehnte das deutsche Krebs-forscherpaar Herrmann/Brach als Gut-achter unter dem Schutz der Anonymi-tät einen holländischen Forschungsan-trag ab und reichte ihn, ins Deutscheübersetzt, 1:1 bei der derselben Stiftungselbst wieder ein: 260 000 DM wurdenihnen bewilligt.Diesen Missbrauch der Peer-Review-Praktiken bezeichnet Stefanie Stege-mann-Boehl (1994) als Wissenschafts-spionage. Diese wird jedoch auch imkonventionellen Sinn betrieben (Stich-wort: Echolon).

� Selbst ohne Schutz der Anonymität,etwa als Doktorvater (oder als dessen As-sistent, meist dem tatsächlichen Be-treuer der Prüfungsarbeiten),sind Anlei-hen und Übernahmen der ErgebnisseBetreuter ohne entsprechende Würdi-gung oder Gewinnbeteiligung möglich.Die Gefahren öffentlicher Enttarnungoder gerichtlicher Verfahren sind ge-ring: Meist wagen es die Nachwuchs-wissenschaftler aus (berechtigter)Furcht vor beruflichen und persönlichenKonsequenzen nicht,gegen ihre Plünde-rer vorzugehen. Besonders lukrativ istder Einsatz des Plagiatguts für Patentan-meldungen.Dafür geeignet:Anträge aufDoktoratsstipendien und noch unveröf-fentlichte Doktorarbeiten (so geschehenz.B. am Max-Planck-Institut für Astro-physik).

� Ideal ist die Verwaltung eines wissen-schaftlichen Nachlasses, aus dem mansich bedienen kann:Nach dem Tode desenglischen Chirurgen John Huntersbrach bei dessen Schwager und Nach-lassverwalter Edward Home, bis dahinwissenschaftlich recht still, ungeheureProduktivität aus. Dann verbrannte erden gesamten Nachlass – er hätte dasseinem Schwager versprechen müssen.

� Studentische Plagiate (die häufigsteForm von Plagiaten) leben von Internet-Suchmaschinen und von Firmen, diegegen Geld bereits andernorts erfolg-reich eingereichte Diplomarbeiten(oder in den USA Term Papers, d.h. Se-mesterabschlussarbeiten) verkaufen.Diese Firmen verdienen doppelt: Dennsie bieten auch betroffenen Universi-täten gegen üppige Honorare ihre Bera-terdienste bzw. den kostenpflichtigenZugang zu ihren firmeninternen Daten-banken an.

� Auch Dissertationen kann man von„Promotionsberatern“ anfertigen las-sen. In allen seriösen Zeitungen findensich entsprechende Annoncen. GanzRaffinierte lassen sich von ihren Auf-traggebern schriftlich versichern, dassdie überreichte Arbeit „nicht als Prü-fungsarbeit eingereicht werde“ und sindso rechtlich nicht zu belangen.

Wie häufig sind Plagiate? Der langjährigeallmächtige „Nature“-Herausgeber Mad-dox gab in einem schwachen Moment zu:Die bisher enttarnten Plagiatoren seienaufgrund amateurhafter Arbeitsweise unddummer Zufälle aufgeflogen;unklar bleibe,wie viele unentdeckte gewitztere Plagiato-ren es gäbe.Die WissenschaftsjournalistenBroad und Wade (1984) rechnen mit hohenDunkelziffern: Beim Publikwerden jedesneuen Falles treffe bei den Redaktionenstets eine Lawine von Leserbriefen zu ähn-lichen,noch unaufgedeckten Fällen ein.Ge-nerell scheinen die Vorkommnisse wissen-schaftlichen Fehlverhaltens in den letztenJahren zuzunehmen.1

3 Sub-, Geister-, Ehren-, Vielschreiber3.1 Recht auf Ausbeutung?

Schlaue Kopisten danken ihren unfreiwil-ligen Quellen zwecks Absicherung in einerFußnote für „hilfreiche Kommentare“. Ichstudiere bei der Lektüre von Büchern oderAufsätzen zu allererst die aufschlussrei-chen kleingedruckten Danksagungen.Einebeliebte, da juristisch eher wasserdichte,Taktik besteht im Zerlegen der Arbeit inviele kleinste Häppchen. Diese werden anjeweils andere Subautoren (bzw. „ghost authors“,vgl.Flanagin et al.1998) delegiert.So können sie nur schwer Ansprüche aufKoautorenschaft anmelden. Nach Lektüremancher Danksagungen, die sich auf Re-cherche,Untersuchung,Textformulierung,Endredaktion,Registererstellung beziehen,frage ich mich regelmäßig:Was hat der aufdem Buchdeckel vermerkte Autor eigent-lich selbst zu seinem Opus beigetragen? Das dramatische Unrecht der Situationzeigt eine Initiative österreichischerWerkvertragsnehmer: Sie kämpfen für dasRecht auf Autorenschaft. Mit Posten undDrittmitteln versorgte Personen lassenFreiberufler, d.h. stellenlose Sozialwissen-schaftler für sich arbeiten (Untersuchungs-design, Datenerhebung, Auswertung, Be-richtformulierung) und firmieren dann oftals alleinige Autoren auf dem offiziellenAbschlussbericht.Auch Ehefrauen und Partnerinnen formu-lieren oft die Texte – inoffiziell.Die Karriereeines Schweizer Philosophen soll laut Au-tobiographie seiner Witwe zur Gänze aufdem Wissen und den Schreibkünsten sei-ner Gattin beruht haben (Seeberger-Stur-zenegger 2002).

3.2 Ehre, wem Ehre gebührt?Das Anführen von Personen ohne irgend-einen Arbeitsbeitrag (meist sogar ohneKenntnis des Textes) als Autoren nennt sichEhrenautorenschaft. Mit dieser in Natur-wissenschaften und Medizin allenthalbenverbreiteten Taktik können auch Vorteilefür die eigentlichen Verfasser verbundensein: Mit einem Nobelpreisträger (als opti-male Variante) als vorgeblichem Koautor

wird das Manuskript von einem gehobe-nen Journal oder Verlag umgehend akzep-tiert und später wohl auch eifrig zitiert.Auch potentiell bedrohliche Konkurrentenoder Kritiker können durch Ehrenautoren-schaften neutralisiert, gleichsam zumSchutz verpflichtet werden.Andere betreiben einfachen wissenschaft-lichen Warentausch: Sie geben z. B. fötaleZellen nur gegen die vertragliche fixierteZusicherung aus der Hand, bei jeder Publi-kation, die aufgrund der Auswertung die-ses wertvollen Zellmaterials entsteht, alsKoautor angeführt zu werden.Eine Längsschnittstudie (Gupta/Karisid-dappa 1998) zeigt die Effekte üppiger Finan-zierung auf die kollektive Produktivität:VielGeld aus vielen Fonds für viele Autoren er-bringen viele Publikationen, auf denenman sich vielfach als Koautor anführen las-sen kann. Rankings unterscheiden meistnicht zwischen Einzel- und Koautoren-schaften. Alle Beteiligten vermelden stolzgestiegene Leistungsbilanzen:Autoren,He-rausgeber,Institutionen,Forschungsförde-rer und Nationen. Doch zeigen nach derZahl der Koautoren gewichtete Auswertun-gen einen Rückgang der Produktivität jeEinzelautor.Institutsleiter oder Vermittler von Projekt-geldern werden vielfach bei allen Artikelnaus dem Projekt als Koautoren angeführt– gerade auch dann, wenn sie den Beitragnicht einmal gelesen haben. Das ist sogarjedem Ehrenautor dringend zu empfehlen,damit er im Falle von Problemen treuher-zig versichern kann,er hätte das Paper „niegesehen“.Fungiert man als alleiniger Ehrenautor,noch dazu gegen beträchtliches Honorar,wie – folgen wir Erckenbrecht 1998 – derPhilosoph Bertrand Russell, sollte man dasManuskript doch genauer durchsehen.Rus-sell wurde wohl vom Verlag ausgetrickst,denn dieser wollte im Gegensatz zu Russellnicht, dass der „Koautor“ Paul Foulkes ge-nannt werden sollte. „Die Kalkulation desVerlages ging auf,das Buch wurde ein Welt-bestseller“ (information philosophie3/2001, 52).

3.3 Auch Graphomanen lassen schreiben

Unter „Graphomanen“ versteht man Viel-schreiber.Sie werden aufgrund ihrer leiten-den Position in einem Großinstitut beijedem Artikel aus ihrem Hause als Koau-tor angeführt: Auf genau 948 (!) wissen-schaftlichen Publikationen in einem Jahr-zehnt brachte es der Russe Yury Struchkow,der damalige Leiter des Allunions-Institutsfür Elementorganische Chemie in Moskau,als (Ko-)Autor – das ergibt fast zwei Publi-

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1 Gestiegenes Unrechtsbewusstsein,größere Bereit-schaft zur Denunziation sowie einfach der „Out-put“ neuer Spezialisten (Betrugsbehörden, Om-budsleute) hat sicherlich auch zur erhöhten Zahlaufgedeckter Affären beigetragen.

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Plagiate und unethische Autorenschaften

kationen pro Woche. Wissenschaftler ausder gesamten Sowjetunion mussten näm-lich neu produzierte Substanzen zur Struk-turbestimmung an Struchkows Kristallo-graphielabor senden. Je ein befasster Mit-arbeiter und Direktor Struchkow selbstwurden in die Autorenliste der entspre-chenden Artikel aufgenommen – sonstwäre die Probe wohl versehentlich liegen-geblieben (vgl. Anderson 1992, Roth 1992).„Produktivität“ scheint weniger ein Symp-tom für Originalität und Fleiß zu sein, alsein Indikator für institutionelle Macht.Dassollte den unbedingten Anhängern quan-titativer Evaluation, den Liebhabern vonOutput-Indikatoren zu denken geben.

3.4 Professionelles Ghost Writing Die bisher geschilderten Formen der Geis-terautorenschaften sind, da auf Familien-bzw. Kleingruppen-Basis, vergleichsweiseharmlos zu den Praktiken des professionel-len, „großindustriellen“ Ghost Writings,wie sie in der US-amerikanischen Pharma-und Medizinforschung immer mehr vonder Ausnahme zur Regel werden. Wissen-schaftliche Publikationen dienen als juris-tische Hilfsmittel bzw. Marketing-Tools(vgl. Lynch 2004, Sismondo 2004).Beim US-„Passivraucherskandal“ drohteeinem Tabakkonzern massive Schadener-satzklage. Konzernanwälte verfassten Le-serbriefe an wissenschaftliche Journaleund wichtige Medien und versahen sie –gegen Honorar – mit den Namen offiziellunabhängiger renommierter Wissen-schaftler.Auch komplette Untersuchungenwurden von den Anwälten strategisch ge-plant und mit den Namen unabhängigerWissenschaftler etikettiert. Eine gerichtli-che Verurteilung des Konzerns wurde ab-gewendet (vgl.Glantz et al.2002).Diese undähnliche Skandale konnten aufgrund vonKlagen von Patienten- bzw. Umweltgrup-pen auf Basis des „Freedom of InformationAct“ aufgeklärt werden, weil die Gerichtedie Konzerne zur Aushändigung aller Un-terlagen verpflichteten.

3.5 Wozu die Aufregung?Probleme nicht-ethischer Autorenschaftseien nicht so tragisch, meinen manche:Unmittelbaren Schaden nehme die Wis-senschaft durch irreführende Manipula-tion oder Erfindung von Daten, aber nichtdurch Abschreiben oder durch Anmaßungvon Autorenschaft.Doch die wichtigste Be-lohnung, die anerkannte Währung in denWissenschaften – Ehre, Anerkennung,Ruhm – wird beschädigt. So fühlt sich einhoher Prozentsatz an Jungphysikern ausge-beutet.Demotivierung und wachsender Zy-nismus jüngerer Wissenschaftler als Folgeungerechter Verteilung und ungerechtfer-tigter Aneignung dieses „symbolischen Ka-pitals“ (Pierre Bourdieu) der Reputationkönnten die Versuchung steigern, „echte“Fälschungen zu begehen.

4 Fallbeispiele4.1 Eineinmannsystem

Der britische Psychologe Cyril Burt„bewies“um den Zweiten Weltkrieg mit einer Reihevon Untersuchungen die Vererbung der In-telligenz: Die Intelligenzwerte waren bei(getrennt aufgewachsenen) eineiigen Zwil-lingspaare stets weitaus ähnlicher als beiden zweieiigen. Erst nach seinem Todewurde von einem aufsässigen Nachwuchs-wissenschaftler aufgedeckt,dass Burt dieseWerte nicht ermittelt, sondern freihändigeingesetzt habe. Interessant im vorliegen-den Kontext:Die von Burt angeführten Ko-autorinnen konnten nie gefunden werden,und nicht nur diese nicht: Burt veröffent-liche Rezensionen und Kritiken eigener Ar-beiten unter erfundenen Namen in seinemBritish Journal of Statistical Psychology.Von 1947-1963 konnte er dort als allmäch-tiger Herausgeber nach Belieben schaltenund walten: Für vierzig (!) Autoren unterBurts Herausgeberschaft gibt es keinerleiHinweis auf ihre irdische Existenz – wederPersonalakten noch sonstige Spuren.Auchim Stil ähneln ihre Artikel stark Burts ei-genen. Keinem war es aufgefallen: Allewaren beeindruckt,wie souverän er seinen„Kritikern“ konterte.Burt gaukelte der Welteine rege Diskussion seiner Auffassungenund eine große, gar nicht vorhandene ak-tive Anhängerschaft vor.

4.2 AbsahnerDer US-Amerikaner James Watson (1969)und der Brite Francis Crick gelten als Erfin-der des DNS-Doppelhelix-Modells. Sieschöpften ihre gesamte Umgebung nachKräften ab. Die entscheidenden Daten hat-ten sie sich über zwei Kanäle von der Kris-tallographin Rosalind Franklin beschafft,ohne ihr Wissen und ihre Einwilligung.DieGlorifizierung von Watson und Crick istnicht nachvollziehbar: Etliche anderewaren nahe dran. Dass die beiden einigeWochen früher zum Durchbruch kamen,istihrer Skrupellosigkeit zuzuschreiben.

� Watson nutzte die Spannungen zwi-schen Franklin und Wilkins im konkur-rierenden King’s College und drängteihn dazu,ihm – ohne Wissen und Einwil-ligung der Urheberin – Franklins gelun-gendstes Röntgenbeugungsbild Nr. 51der B-Form der DNS inkl. Daten zu zei-gen.

� Die Ergebnisse einer Evaluation desKing’s College durch den Medical Re-search Council (MRC) mit allen Detailer-gebnissen Franklins spielte Mit-Evalua-tor Max Perutz vom konkurrierendenCavendish seinen Laborkollegen Watsonund Crick zu:„Der MRC-Bericht enthieltalles, was sich Watson und Crick erhoffthatten – er war so wertvoll wie ein De-codierungsbuch des Feindes.“ (Maddox2003,185).Perutz’Rechtfertigung hinter-her: Er sei halt „in Verwaltungsdingen

unerfahren und ungezwungen“ gewe-sen (ebd.).

� Angesichts recht überschaubarer Ver-hältnisse musste jedem britischen Na-turwissenschaftler bekannt sein, anwelchem Ort die Experimente und Be-rechnungen zur DNS vorgenommenwurden. Trotzdem kümmerten sich dieNature-Herausgeber nicht um eine kor-rekte Zuschreibung der Entdeckung.Aufgrund eines Empfehlungsbriefesvon Sir Lawrence Bragg, dem Laborchefvon Watson und Crick, gaben sie beden-kenlos deren prioritätssichernden Auf-satz in Druck – ohne Begutachtung.

� Skandalöser Lohn für Wilkins’ Maul-wurfstätigkeit und Männerbündelei:der Nobelpreis zusammen mit Watsonund Crick – es bleibt ein Rätsel aufgrundwelcher eigenen wissenschaftlichenLeistung.

4.3 Eine Karriere als IllusionistDer Iraker Elias A. K. Alsabti ist ein genia-ler wissenschaftlicher Hochstapler. InBroad/Wades (1984, 58) Resümee kommenweder Journale,noch wissenschaftliche Ge-sellschaften und Universitäten gut weg:„Beim Aufbau seiner akademischen Illu-sion hatte Alsabti eine medizinische Prü-fungsurkunde gefälscht, die jordanischeRegierung um Zehntausende von Dollarserleichtert,eine Verwandtschaft mit der kö-niglichen Familie erfunden, sich in ameri-kanische Universitäten hineingeschwin-delt, sich selber einen Professorentitel ver-liehen und unter dem Vorwand, in einerHandvoll angesehener amerikanischer In-stitute Forschung zu betreiben, viele undvielleicht alle seiner sechzig veröffentlich-ten Aufsätze abgeschrieben. Seine Taktiktäuschte die Redakteure von Dutzendenwissenschaftlichen Zeitschriften rund umdie Welt. Außerdem fielen auf seine Lügenund Taschenspielertricks die Regierungenvon zwei Staaten des mittleren Ostens, dieGutachterausschüsse von elf wissenschaft-lichen Gesellschaften und die Verwaltungs-beamten von sechs amerikanischen Hoch-schulen herein.“(Hervorh. G. F.)Wichtig ist an diesem Fall – wie bei so vie-len anderen – nicht die Person des Fälschersoder Plagiators, sondern das offenkundigeVersagen der wissenschaftlichen Institutio-nen und ihr Unwillen, eindeutig nachge-wiesene Plagiate bzw. Fälschungen be-kanntzugeben, sondern sie als „persönli-ches Problem“ zwischen dem Plagiator unddem Aufdecker sozialpsychologisch herun-terzuspielen.

4.4„...wie das Schicksal so spielt...“Eine dreiste Gutachter-Affäre verbindetsich mit den beiden MedizinernVijay R.Soman und Philip Felig (Universität Yale).Nur dem Durchhaltevermögen der geschä-digten Brasilianerin Helena Wachslicht-Rodbard ist die Enttarnung dieses Plagiats

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zu verdanken. Sie hatte zusammen mitihrem Institutschef Jesse Roth vom NIH(National Institutes of Health) und einemweiteren Koautor beim New England Jour-nal of Medicine (NEMJ) einen Aufsatz ein-gereicht.Es kam zu monatelangen Verzöge-rungen,auch negativen Gutachten.Was sienicht wissen konnte: Eines stammte voneinem Konkurrenten ihres Chefs, PhilipFelig – genauer:von seinem UntergebenenSoman.„Obwohl es ein Verstoß gegen die Praxis derZeitschrift war,gab Felig das Manuskript anseinen Untergebenen Soman weiter. Mitden neuen Informationen,die das Rodbard-Manuskript lieferte,beschleunigte sich dasTempo von Somans Projekt beträchlich. ...Felig schickte Rodbards Aufsatz an das NewEngland Journal of Medicine zurück undempfahl mit seiner eigenen Unterschriftdie Ablehnung.Er erwähnte nicht,dass seinUntergebener Soman den Aufsatz gelesenhatte und gerade an einer identischen Un-tersuchung arbeitete. Mittlerweile hatteSoman ohne Feligs Wissen eine Kopie vomRodardschen Manuskript gemacht undnutzte es zur Formulierung seines eige-nen.“ (Broad/Wade 1984, 194f.).Wenige Wochen nach negativer Begutach-tung von Rodbards Aufsatz reichte Somanauf dieser Basis ein eigenes Paper zumThema ein, beim American Journal of Me-dicine – mit Felig als Koautor natürlich(nicht zuletzt, weil Felig beim AJM als Mit-glied des Redaktionsbeirats fungierte;„journal related“ Autoren werden be-kanntlich bevorzugt). Die Pointe: „…wiedas Schicksal so spielt, landete es bei Roth… auf dem Tisch. Er wiederum reichte esan seine Mitarbeiterin Rodbard weiter. Siewar wie erschlagen. Da lag ihr Aufsatz,komplett mit wörtlichen Zitaten undsogar einer Formel, die sie sich … ausge-dacht hatte.“ (ebd., 195)Es war sofort klar:Hier musste sich einer deranonymen Gutachter bedient haben – si-cherlich einer mit negativem Votum. Ob-wohl die Fakten ziemlich eindeutig waren,bremsten und bunkerten die involviertenJournale und Institutionen.Niemand wollteRodbard helfen, nicht einmal ihr eigenerChef. Die Aufklärung des Falles ist nur jah-relanger Hartnäckigkeit Rodbards zuzu-schreiben. Sie hat inzwischen aufgrundihrer kräftezehrenden Erfahrungen die me-dizinische Forschung aufgegeben.Den Aus-gang der Affäre können sich die erfahrenenLeser denken:Der Untergebene verließ nacheinem Geständnis Universität und Land.Sein rühriger Chef,inzwischen nach Colum-bia berufen,musste dort zwar aufgrund sei-

ner höchst selektiven Mitteilungen in ei-gener Sache zurücktreten, wurde aber vonYale erneut eingestellt.Der Ausgang dieser Affäre entspricht demzahlreicher anderer Fälschungsskandale:Statusniedrige Mitarbeiter werden gefeu-ert, vor allem wenn es sich um Ausländerhandelt (und prompt des Landes verwie-sen). Den einheimischen statushohen Pro-jektleitern bzw.Koautoren geschieht in derRegel nur wenig bis nichts. Zudem illus-triert dieser Fall ein Tabuthema des Peer Re-view,das (regelwidrige) Delegieren der ver-traulichen Gutachten an subalterne Mit-arbeiter.

4.5 „Bloß Beifahrer“2

Jan Hendrik Schön galt als absoluter Shoo-ting-Star der deutschen Physik, weilte miteinem deutschen Stipendium in den USA,bei den angesehenen Bells Laboratorien.Schön galt zusammen mit seinem MentorBertram Batlogg als Nobelpreisanwärter.Schön und Batlogg versprachen der Weltden (viel kleineren, viel schnelleren) Bio-Computer.Niemand fand die Publikations-rate Schöns (alle acht Tage ein Paper) merk-würdig. Keine seiner Fälschungen fieleinem Gutachter auf – weder bei Nature,Science noch bei anderen Top-Journalen.Wie gewohnt brachte eine anonyme De-nunziation die Lawine ins Rollen.Auch hier wurden die Fälschungen v.a.überinkriminierte Visualisierungen (irrefüh-rende Bild-Autoplagiate) belegt:IdentischeBilder (v. a. Kurven) für vorgeblich unter-schiedliche Substanzen und Effekte. Bat-logg glaubte nur allzu gern an die Befundeseines eifrigen Mitarbeiters,die seine Theo-rien so schön bestätigten – und die er mitdem Stempel der Glaubwürdigkeit versah.Rohdaten und Details ließ er sich nie zei-gen. Dazu saß er – so Kollegen – viel zuvielim Flugzeug,um Schöns Resultate auf Kon-gressen zu vermarkten. Obwohl bei vielenPublikationen als „correspondence author“firmierend, bezeichnete sich Meister Bat-logg nach dem Auffliegen als bloßer „Bei-fahrer“, den das alles nichts anginge. SeineKritiker hielten ihm zurecht entgegen:Batt-log sei nicht Beifahrer,sondern verantwort-licher „Fahrlehrer“ gewesen.

4.6 Von Kreuzbändern und Mäusebeinen

Weniger spektakulär sind etliche Fälle vonBildplagiaten, etwa von Meinolf Goertzen,Universität Düsseldorf.3 Goertzen berich-tete im Journal of Bone and Joint Surgeryvon der erfolgreichen Verpflanzung vonKreuzbändern in den Kniegelenken vonHunden. Gereinigt wurden die Transplan-tate demnach mittels hochenergetischerRöntgenstrahlung. Doch ein HamburgerExperte erkannte im abgedruckten Bildsein eigenes, und es stammte von einemMenschen. Goertzen reichte ein neues Bildein, diesmal eine Montage mit einem wie-

derum plagiierten Bild. Goertzens Schutz-behauptung, die auch vielfach in anderenFällen zu hören war: Die Bilder seien ledig-lich zur Illustration seiner Forschungs-arbeiten gedacht gewesen und insofern ir-relevant für die Beurteilung des wissen-schaftlichen Gehalts (Finetti/Himmelrath1999, 135).Auch bei der „Mäusebeinaffäre“,in der eineLeibniz-Preisträgerin verwickelt war, wur-den von anonymen Lesern in mehrerenTop-Journalen (darunter Nature Medicineund Blood) dasselbe Bild mit jeweils un-terschiedlichen Legenden (Bildbeschrei-bungen) entdeckt (also wiederum irrefüh-rende Bild-Autoplagiate). Der Fall gleichtganz dem Schema:Anonyme Denunziatio-nen und visuelle Beanstandungen (Labor-journal 2004).Die DFG hatte die Vergabe des zugesproche-nen Leibnizpreises auf Wunsch der beschul-digten Preisträgerin zurückgestellt undeine Untersuchungskommission gebildet,die auf der Hauptausschuss-Sitzung derDFG im Juli 2005 folgendes Fazit zog: DerProfessorin sei „wissenschaftliches Fehlver-halten nicht zur Last zu legen". Neben dendrei als fehlerhaft erkannten Publikationenwurden elf weitere zufällig ausgewählteArbeiten untersucht. „Dabei hat sich ge-zeigt, dass zu allen publizierten Ergebnis-sen Originaldaten vorgelegt werden konn-ten, die sich auch als belastbar erwiesen.Die festgestellten Mängel bezogen sich aus-schließlich auf repräsentative Beispielsab-bildungen, die unter alleiniger Verantwor-tung von Ihrem Mitarbeiter erstellt undausgewählt wurden." (Brief der DFG an dieBeschuldigte, z.n. Laborjournal, 8. 7. 2005).Die Professorin habe inzwischen Maßnah-men zur Qualitätssicherung getroffen. DerAusschuss stellte das Verfahren ein,die DFGgab das Leibniz-Preisgeld frei.

4.7 Fazit: TandemsEtliche Fälschungen basieren auf einemDoppelgespann: einem angesehenen älte-ren Meister in der Mäusebeinaffäre sowieeiner dynamischen Professorin und seinem(ihren) jungen Gesellen.Die Meister habeneine Theorie,die Jünglinge liefern passendeDaten. Die Meister versehen die Forschun-gen ihrer Gesellen mit Glaubwürdigkeit,bewirken ihre rasche und unbeanstandetePublikation. Als Koautoren ziehen sie ausden Arbeiten ihrer Gesellen Ruhm,noch hö-here Posten oder Gehälter und Drittmittel-millionen. Nach Fälschungsnachweis dis-tanzieren sie sich von all dem, als wärenichts gewesen. Eine Neubewertung alldieser „Ehrenautoren“ stünde an.Wie vielePosten, Drittmittel, Ehrungen, Preisgelderhaben sie auf Basis der gefälschten Publi-kationen eingeheimst? Wären sie ohne dievielen gefälschten Publikationen ihrer Mit-arbeiter im Berufungskarussell weiter vo-rangekommen? Welche gewissenhaftenForscher wurden aus dem Feld geschlagenund geschädigt?

2 Zum Krebsforscherskandal um den Star-Medizin-professor Roland Mertelsmann und dem Forscher-paar Friedhelm Hermann und Marion Brach vgl.Fröhlich 2003a sowie den Beitrag von Holger Wor-mer in diesem Heft. Auch hier entging der Meis-ter selbst letztlich jeglichen Sanktionen, obwohlMertelsmann von seinen dutzenden „Ehrenauto-renschaften“ erheblich profitiert hatte.

3 Vgl. Hubert 1999; science Week 9. 1. 1997; Finetti/Himmelrath 1999, 133ff.

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5 Ertappt: Was dann?Vor allem in deutschen Landen ist das Fälscherrisiko noch immerrelativ gering. Der Grundsatz der „Freiheit von Forschung undLehre“ schützt nach Ansicht deutscher Richter den einzelnen Wis-senschaftler und nicht die Universität. Ein Gießener Biophysikerkonnte erfolgreich dagegen klagen, dass seine Universität auf-grund eines Fälschungsvorwurfs eine Kommission zwecks Über-prüfung seiner Forschungen installierte.Begründung des Gerichts:Die Selbstverwaltungsorgane der Universität hätten kein Recht zuwissenschaftlicher Kritik,solange der Betrug nicht eindeutig nach-gewiesen sei. Das Problem: Die Kommission sollte gerade instal-liert werden, um den Betrugsvorwurf zu untersuchen. Amschlimmsten steht es um den Schutz jener,deren Manuskripte bzw.Forschungsanträge von ihren anonymen Gutachtern ausge-schlachtet werden. Diese gingen fast immer straffrei aus.

Deutsche Forschungsgemeinschaft und Max-Planck-Gesellschafthaben zwar inzwischen Ethik-Codices bzw. Verfahrensregeln zurBehandlung von Fälschungsverdacht verabschiedet,die in einigenFällen bereits angewendet wurden. Doch offiziöse Mitteilungenüber enttarnte Forschungen bleiben mitunter kryptisch wie Ver-lautbarungen des Vatikans über innerkirchliche sexuelle oder fi-nanzielle Verfehlungen.Die DFG-Ombudsmanschaft ist eine zahn-lose Einrichtung, die zwischen beiden Seiten (hier: zwischen Pla-giatoren und Plagiierten) „schlichten“ soll. Die Lektüre ihrerBerichte hinterlässt einen deprimierenden Eindruck.

Forschungsförderungsfonds hätten noch am ehesten Motivationund Chancen, gegenüber Fälschern juristisch erfolgreich tätig zuwerden. Wissenschaftliche Fälschung ist an sich immer noch „ju-ristisch irrelevant“. Doch beim Bezug von Forschungsmitteln dro-hen Betrugsklagen und (in den USA) im Falle einer Verurteilungdie Rückzahlung der vereinnahmten Gelder durch die Institutionder Fälscher (wir verstehen nun, warum diese sich dagegen weh-ren, dass Betrugsfälle bekannt und offiziell werden). Manche US-Gerichte billigen auch plagiierten Wissenschaftlern hohen Scha-denersatz zu.Am allerwichtigsten für Fälscher sind Nerven aus Stahl (alles ab-streiten) und finanzielle Polster, um ein Heer von Starjuristen inden Kampf zu schicken, die jeden, der den Fall auch nur zu erwäh-nen wagt, mit horrenden Schadenersatzklagen eindecken. Etli-che universitäre Untersuchungskommissionen (aber auch Jour-nale und beim Krebsforscherskandal selbst die DFG) ließen sichvon den forschen Anwälten der Fälscher bzw. Plagiatoren ein-schüchtern.Auch gewieftes Herumlavieren kann aus der Patsche helfen: zu-erst teilweise Reue zeigen, die Verfehlungen tunlichst als Schlam-perei der Assistenten hinstellen („Ich war zum Zeitpunkt der En-dreaktion verreist“), sowie scheinbar devot den Rückzug („re-traction“) der inkriminierten Publikationen versprechen. Danneinige Zeit abwarten,und diese angekündigte Tat schlicht und ein-fach vergessen. Meist fällt das keinem auf. Abgesehen davon sindsolche Rückzieher ohnehin ziemlich wirkungslos. Die Retracti-ons werden meist übersehen, die zurückgezogenen Aufsätze wei-ter verwendet und zitiert.

6 Warum?Wie erwähnt, vergessen Wissenschaftler oft die Quelle ihrer Ein-fälle und halten sie fälschlicherweise für eigene.In gewisser Weiseist der wissenschaftliche Einzelautor bloß eine Illusion. Der Er-kenntnisprozess ist kollektiv, beruht auf Generationenketten undvielschichtigen Querbeziehungen.Wohl nur wenige Ideen entste-hen einsam am Schreibtisch. Viele Fragen wie Lösungen entste-hen im Pingpong der „kühnen Vermutungen“ (Popper), Scherze,Einwände und Gegenkritiken,etwa in der Diskussion unter Freun-den oder in Kongresspausen, und ihr „eigentlicher“ Urheber istoft kaum festzustellen.

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6.1 Leitbild „EntrepreneurialUniversity“

Überführte Wissenschaftler entschuldig-ten sich oft mit Arbeits- und Existenzdruck.Der Konkurrenz- und Erfolgsdruck wirddurch die emsige Geschäftigkeit der neuenKaste der Evaluatoren (vgl. zur Kritik Fröh-lich 1999b, 2002, Fröhlich/Bauer 2003) an-geheizt:� Der Existenzdruck befristeter Stellen

zwingt Wissenschaftler fortwährend zu(mehr oder minder geschönten) Erfolgs-bilanzen. Letztlich zählen die Zahl derVeröffentlichungen (mit möglichsthohem Impact Faktoren) und die Höheeingeworbener Drittmittel als Qualitäts-kriterium.

� Die Drittmittel-Abhängigkeit führt zuInformationsvorenthaltung (Fröhlich1998): Auftraggeber behalten sich ver-traglich die Kontrolle über Projektveröf-fentlichungen vor. Unangenehme Be-funde, die den therapeutischen Nutzenihrer Medikamente in Frage stellen oderProdukte eines Konkurrenten begüns-tigen würden,werden unterdrückt,not-falls mit Hilfe der Gerichte.Journal-Gut-achter im Naheverhältnis zu einer Firmasind befangen.

Die klassischen Imperative des wissen-schaftlichen Ethos’ nach Robert K. Merton– Universalismus, Kommunismus, Unei-gennützigkeit, organisierter Skeptizismus– waren bis vor einigen Jahren im „altenEuropa“ hochgeschätzt – zumindest als re-gulative Ideen. Die Kehrtwendung begannmit Margaret Thatchers Hochschulpoli-tik im Vereinigten Königreich: Die Gegnerklassischer Wissenschaftskonzeptionenorientieren sich am mystifizierten LeitbildUS-amerikanischer Elite-Universitäten(wie beispielsweise Yale), welche sie –zuDumping-Preisen – zu imitieren suchen:Grundlagenforschung an klassischen Uni-versitäten Humboldtschen Typs sei altmo-disch. Statt wissenschaftlicher Reputationsei das Akquirieren von Auftragsgeldern„zeitgemäßer“,verbunden mit permanen-ter externer Evaluation. So wollen es dieVertreter des neuen (neo-liberalen) Leit-bilds der „Entrepreneurial University“:Auch Wissenschaft müsse sich rechnen.Die enge Kooperation mit der Wirtschaftim Anwendungskontext wird zur vorran-gigen Pflicht erklärt. Werden industriellesGhost Writing und selektive wissenschaft-liche Kommunikation im Interesse derAuftraggeber auch bei uns zur Normalpra-xis?

6.2 Evaluation und wissenschaftliches Fehlverhalten

Anhängern quantitativer Evaluation solltezu denken geben, dass etliche viel zitierte„hot papers“ (etwa von Hermann/Brach/Mertelsmann oder Batlogg/Schön) inzwi-schen eindeutig als gefälscht gelten: Zita-tionsraten sind keineswegs wie oft behaup-tet ein Qualitätsmaß.

Anhängern qualitativer Evaluation sollte zudenken geben, dass viele Fälscher wissen-schaftliche Preise einheimsten und offen-bar alle Gutachterverfahren problemlosüberstanden:Auch Preise und Peer Reviewgarantieren wenig. Die Affären flogendurch aufmerksame Leser oder durch In-sider auf.Letztere wiesen ihre Vorgesetztenauf schwere Mängel hin,die versuchten ab-zuwiegeln und einzuschüchtern.Warum haben die gelobten „Qualitäts“-Kontrollverfahren des Peer Review bei gro-ßen wie kleinen Affären versagt? Zahlrei-che empirische Befunde stellen Redaktio-nen wie Gutachtern schlechte Noten aus(vgl. Fröhlich 2002, 2006): Sie übersehenschwerste Fehler und lassen sich von Vor-urteilen leiten. Die Editoren- und Referee-praxis wirkt recht altertümlich handwerk-lich, ohne informationswissenschaftlicheUnterstützung.Nur ein Beispiel: Peters/Ceci 1982 entnah-men aus zwölf psychologischen Fachjour-nalen je einen Aufsatz und reichten diesejeweils nach kosmetischen Änderungen(Autorennamen und -institution) bei den-selben Zeitschriften erneut ein. Nur dreivon 38 (!) Herausgebern und Gutachtern er-kannten die in ihren Journalen durch-schnittlich vor zwei Jahren bereits publi-zierten Aufsätze wieder.

7 Was tun? Auch die Informations-wissenschaft ist gefordert

Es wäre leicht,mit einem kompakten Kata-log von Maßnahmen zur Plagiats- und Be-trugsbekämpfung zu beeindrucken. Dochwir wissen auch von nicht-intendierten Ef-fekten etlicher Reformvorschläge. Trotz-dem ein stichwortartiger Kurzkatalog mög-licher sinnvoller Maßnahmen:a) Schutz der „whistle blowers“ (Aufdecker

werden bislang eher negativer sanktio-niert als Plagiatoren und Fälscher);

b) juristische Stärkung der Stellung derplagiierten bzw. betrogenen Wissen-schaftler;

c) Einrichtung von wissenschaftsethi-schen Seminaren in allen Studiengän-gen, v.a. aber in allen Promotionsstudi-engängen (in Linz bereits im Studiumzum Dr. rer. soc. oec.).Aber es gibt den „Beichtspiegeleffekt“(erst das Auflisten möglicher Sündenbringt manche naive katholische Kinderauf die Idee, was alles an Unkeuschemmöglich wäre): Nach einem wissen-schaftsethischen Kurs an einer US-Unisollen die Studenten überhaupt erst aufden Geschmack am Plagiieren und Fäl-schen gekommen sein.

d) Mit einigen Rechten ausgestattete Om-budsleute an allen größeren wissen-schaftlichen Institutionen, wissen-schaftlicher Gesellschaften, Verbändender Journalherausgeber,Forschungsför-derern. Denn es sollte Personen geben,

die von ihrer Position her ein Interesseam Aufdecken wissenschaftlichen Fehl-verhaltens haben.

e) Generell wäre die Förderung von Zivil-courage sinnvoll (z.B.,wie in den USA in-zwischen üblich, Preisverleihungen anmutige Bürgerinnen und Bürger).

f) Flankiert müssten diese Maßnahmenallerdings von einer Änderung der Eva-luationskriterien und -praktiken wer-den. Quantität (Publikationen, einge-worbene Drittmittel) als wichtigsterWert kann zu unlauteren Praktiken ver-führen.

Nicht nur die Zähleinheit „Paper“, auch derklassische Autorenbegriff selbst steht zurDisposition.Etliche naturwissenschaftlicheGroßprojekte überlassen das Schreiben vonAnträgen bzw. von Papers nur mehr eini-gen wenigen darauf spezialisierten Mit-arbeitern. Mit einem philologischen Auto-renbegriff kommen wir bei höchst funktio-nenteiliger, massiv von kompliziertenSpezialtechnologien abhängiger Forschungnicht weit. Etliche medizinische Journalesetzen mittlerweile auf den Begriff der„Kontribuentenschaft“ und fordern vonManuskripteinreichern genaue Angabendarüber, welche Tätigkeiten von welcherPerson durchgeführt wurden. Dies wirdauch bei der Veröffentlichung angegeben –bei den seriösesten Journalen inkl. der An-gabe von Verbindungen zur Industrie undsonstigen Geldgebern („conflict of inte-rest“). Im Big Science der Hochenergiephy-sik mit komplexen, höchst arbeitsteiligenProjekt-gruppen aus hunderten von Wis-senschaftlern und Technikern hat man diebislang radikalsten Konsequenzen gezo-gen: Teilchenbeschleuniger bestehen in-zwischen zur Gänze auf statutarisch gere-gelten kollektiven ‚Autorenschaften’:Sämt-liche Mitarbeiter – mit einem halben JahrVerzögerung nach Einstellung, dafür inkl.einem halben Jahr nach Ausscheiden –werden auf sämtlichen Publikationen als‚Autor’ angeführt. Selbst Dissertationenwerden, da objektiv von Einzelpersonengarnicht mehr realisierbar, unter denNamen sämtlicher ‚Autoren’ publiziert.Dass es sich um eine Doktorarbeit handelt,und von welcher Person, ist nur einer Fuß-note zu entnehmen (Biagioli/Galison 2003).Machtkämpfe, wer wo in welcher Reihen-folge als Autor genannt wird,entfallen,undauch die Macht der Projektleiter, Autor-schaften als Belohnung zuzuteilen bzw. alsBestrafung abzuerkennen. Das sozialpsy-chologische Klima in diesen Großprojektensoll daher ganz angenehm sein.Auch in derWissenschaftsfuturologie geht man davonaus,dass die weltweit integrierten Compu-tersysteme der Zukunft nur mehr vernetzteKooperationen und keine Einzelautorenmehr kennen werden, allenfalls einzelne(aus Marketinggründen) herausgehobene„Superstars“ (Gould 1989).Es stellen sich zwei Alternativen für die mit-telfristige Entwicklung des wissenschaft-lichen Publikationswesens – erheblich auf-

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Plagiate und unethische Autorenschaften

gerüstetes, kostenintensives „InformedPeer Review“ oder kostengünstige öffentli-che Kritik („peer monitoring“) im „open ac-cess“. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sichbeide Tendenzen parallel durchsetzen wer-den.Schon jetzt gibt es zahlreiche strikt ge-trennte „Parallelwelten“ (z.B. deutsch oderenglisch publizierende deutsche Psycho-logen). Diese Tendenz zur Segmentierungkönnte sich verstärken.Herausgeber, Forschungsförderer, Gutach-ter nehmen die zahllosen kritischen Be-funde der Wissenschaftsforschung kaumzur Kenntnis. Es wird auch keine systema-tische Förderung von Gutachterkompetenzbetrieben – anscheinend wird diese als eineArt Naturgabe angesehen.Die „Modernisierung“ der altmodischenÜberprüfungspraktiken der Herausgeberbzw.Beiräte sollte daher ein vordringlichesReformanliegen sein, Wissenschaftsfor-scher und Informationswissenschaftler alsBerater zugezogen werden. Der kostenin-tensive Einsatz professioneller Datenban-ken und Plagiatsüberprüfungssoftwarewäre für „informed peer review“ unver-zichtbar.Doch werden sich konventionelle Journalemittelfristig überhaupt noch halten kön-nen? Das Argument der „Knappheit“ desPlatzes für Veröffentlichungen ist im digi-talen Zeitalter obsolet. „Open-Access“-Pu-blikationen erhalten höhere Article Im-pacts als kostenpflichtige.So stellen immerhäufiger Autorinnen und Autoren mehroder minder illegal ihre Publikationen gra-tis ins Netz. Journale offerieren vermehrtkostenfreie digitale Schlupflöcher. Die Be-deutung einzelner Zeitschriften sinkt: DieVerlage stellen Datenbanken mit allen vonihnen verlegten Artikeln und Büchern mitSuchfunktionen ins Netz. Verweise versu-chen die Aufmerksamkeit auf andere Publi-kationen im eigenen Pool umzulenken.Abschließend ein Gedankenexperiment:Wäre öffentliche Kritik oder gar Aufde-ckung als Plagiator oder Fälscher durch„Peer Monitoring“ nicht blamabler als ge-heime Beanstandung hinter den Kulissen?Könnte der Verzicht auf Peer-Review-‚Zen-sur’ die Qualität wissenschaftlicher Publi-kationen nicht sogar erhöhen?

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* Dieser Beitrag stützt sich auf Fröhlich1999a, 2001, 2003a,b, 2006.

Vortrag auf dem Symposion „Copy, Shake,Paste – Plagiate und unethische Autoren-schaften in Wissenschaft und Literatur" ander Johannes Kepler Universität Linz (Öster-reich) am 15.und 16.April 2005.Für die finan-zielle Unterstützung Dank:Österreichische Gesellschaft für Dokumen-tation und Information (ÖGDI), Österrei-chische Gesellschaft für Soziologie (ÖGS),Ver-band wissenschaftlicher Gesellschaften Österreichs (VWGÖ), Hochschulverband In-formationswissenschaft (HI)

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Wissenschaft und Technik, Ethik,Wissenschaftstheorie, Veröffent-lichungswesen, Bewertung, Wissen-schaftsforschung, Evaluation,Peer Review

Gerhard FröhlichDr. phil., a. Univ. Prof.am Institut für Philo-sophie und Wissen-schaftstheorie der Johannes Kepler Uni-versität Linz (Öster-reich), habilitiert inKulturtheorie und

Wissenschaftsforschung. Schwerpunk-te: Wissenschaftsforschung (KritikSzientometrie,Peer Review,Fälschung),Kultur- und Medientheorie. Datenban-ken (gemeinsam mit Ingo Mörth):HyperBourdieu.jku.at, HyperElias.jku.at, HyperGeertz.jku.at.Institut für Philosophie und WissenschaftstheorieJohannes Kepler Universität LinzFreistädter Str. 315 / I, A-4040 LinzTelefon: +43 (732) 24 68-71 92Telefax: +43 (732) 24 68-71 95E-Mail:[email protected]://echtfalsch.jku.at

D e r A u t o r

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iate

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1 EinleitungNicht erst seit dem Aufkommen des Inter-nets gibt es Probleme mit Plagiaten. Je-mand verwendet die Worte anderer,gibt sieals eigene aus, gewinnbringend. Das Wort„Plagiat“ als Bezeichnung für Wortdieb-stahl ist seit der frühen Neuzeit verbürgt.Essoll darauf zurückgehen, dass der spätan-tike römische Epigrammatiker Martialeinen Konkurrenten beschuldigte, seinegeistigen Kinder geraubt zu haben,und ihndaraufhin „Plagiarius“, Menschenräuberoder Kindesräuber, nannte.In der Rolle einer Beraubten1 oder der einerBeurteilenden wäre es wünschenswert,eine einfache Methode zu haben, um Pla-giate zweifelsfrei zu erkennen,am liebstengleich mit allen Quellen. In diesem Aufsatzwerden die Autorinnen sich mit Strategiender Plagiatsbekämpfung auseinander-setzen, d. h. Erkennung, Vermeidung undAhndung von Plagiaten. Wir werden unsmit verschiedenen Plagiatsformen und -typen auseinandersetzen, mit Strategienzur nicht-automatischen Erkennung vonPlagiaten und über einen Test von gängigerPlagiatserkennungssoftware berichten.Es gibt viele Definitionen davon, was Pla-giat ist, und wie so oft, widersprechen siesich. Eine gängige Vorstellung davon, wasunter Plagiat zu verstehen ist, gibt ein Stu-dent, Karsten Kutschera2, in einer im Netzpublizierten Seminararbeit an:„Als Plagiat bezeichnet man allgemein diebewusste Aneignung fremden Geistesgutes.Plagiator ist derjenige,der ein fremdes Werkoder Teile eines fremden Werkes als sein ei-

genes Werk ausgibt und somit ‘geistigenDiebstahl’ begeht. [...] Der Plagiator ist alsoderjenige,der seinen Text wörtlich bei einemanderen Urheber abschreibt, ohne ihn kor-rekterweise zu zitieren, um anschließenddieses Werk als sein eigenes geistiges Eigen-tum wieder herauszugeben.“

Umstritten ist diese Definition in zweier-lei Hinsicht. Muss es wirklich ein bewuss-ter Schritt gewesen sein? Es gibt die sog.Kryptoamnesie, das Vergessen, dass mannicht der Autor war. Es gibt sogar gestan-dene Forscher, die der Meinung sind, dassunbewusste Übernahme nicht zählt3. Aberes bleibt ein Plagiat,auch wenn es keine be-wusste Absicht war, denn die Worte sindnun mal von einem anderen übernommenworden. Die zweite Frage ist die Frage derwörtlichen Übernahme von Textstellen. Esist klar,dass eine 1:1-Übernahme Plagiat ist.Aber was ist,wenn eine leichte Bearbeitungstattgefunden hat? Sätze werden vielleichtumgestellt, eine Aufzählung umsortiert,Wörter werden durch Synonyma ersetztoder die Sätze werden etwas geglättet.Aberdie Argumentationskette,die Struktur wer-den übernommen. Das ist auch Plagiat,aber wie weit kann man mit einer Ähnlich-keit gehen? Die Abgrenzung ist schwierig,es gibt keine eindeutigen Regeln.

2 Plagiatsformen Es gibt viele verschiedene Formen der Pla-giatserstellung4. Diese werden auch vonmanchen Autoren als Plagiatsarten be-

zeichnet, wie in Finetti und Himmelrath5

Sie verwenden auch den Begriff „Wissen-schaftsspionage“ in ihren Ausführungenüber Betrug im bundesdeutschen Wissen-schaftssystem, wenn sie über Plagiat spre-chen. Wir werden den Begriff „Plagiats-form“ verwenden, weil „Form“ etwas mit„Gestaltgebung“ zu tun hat. Manche For-men sind sofort klar als Plagiate zu erken-nen, bei anderen ist es eine Sache der Aus-legung,ob es sich um Plagiate handelt odernicht. Die unterschiedlichen Formen wer-den in diesem Kapitel vorgestellt, weil eseinfacher ist, ein Plagiat aufzudecken,wenn man weiß,wie es erstellt worden ist.

2.1 Copy & Paste in totoEs ist kristallklar, dass so etwas ein Plagiatist.Der Plagiator hat sich irgendwo bedient– eine Hausarbeitenbörse oder ein Buch –und Wort für Wort abgeschrieben. Der Autorenvermerk wird selbstverständlichnicht übernommen, sondern durch den ei-genen Namen ersetzt. Manche stellen sichhierbei recht ungeschickt an und überneh-men auch Schreibfehler gleich mit, oderFormatierungen wie z. B. Links auf Web-seiten, die dann als unvermittelte Unter-streichungen in der Arbeit auftauchen.

2.2 ÜbersetzungsplagiatBei einem Übersetzungsplagiat wird ein ge-eigneter Text gefunden,der jedoch in eineranderen Sprache vorliegt,übersetzt und alseigene Leistung ausgegeben.Es gibt immermehr automatische Übersetzungsdienste,

Strategien der PlagiatsbekämpfungDebora Weber-Wulff und Gabriele Wohnsdorf, Berlin

Ein leider sehr aktuelles Thema ist das Plagiat und die Auseinandersetzung damit gewor-den. In diesem Aufsatz werden Strategien der Plagiatsbekämpfung diskutiert. Zunächstwird eine Definition vorgestellt, die allerdings sehr umstritten ist. Verschiedene Plagiats-formen von der 1:1-Kopie bis hin zur Strukturübernahme werden diskutiert.Nach einer Über-sicht von Plagiatstypen werden Strategien zur Auffindung von Plagiaten aufgeführt. Eswird auch kurz auf verschiedene Software-Lösungen eingegangen,die jedoch recht beschei-dene Resultate liefern. Abschließend wird eine Aufforderung zum Handeln formuliert.

Strategies for handling plagiarismThe topics of plagiarism and appropriate reactions to its discovery have been recently dis-cussed. This paper discusses strategies for handling plagiarism. After an attempt to definethe term and a discussion of the problems involved in such a definition, the paper lists thedifferent forms of plagiarism, from identical copy to structural plagiarism. A discussionof the types of plagiarism situations is followed by a thorough discussion of ways and meansfor discovering plagiarism. A test of plagiarism detection software shows that they areonly moderately successful. The paper closes with a call for action against plagiarism.

1 Auch wenn eine weibliche oder männliche Formverwendet wird, meinen wir selbstverständlichMänner und Frauen.

2 Karsten Kutschera, www.ubka.uni-karlsruhe.de/cgi-bin/psview?document=ira/1997/6&format=1&page=151 - 25. 1. 2006

3 http://hnn.us/comments/62779.html: HistoryNews Netwoks hat Bryan Le Beau um eine Stellung-nahme gebeten, weil eine Rede im Jahr 2003 Zi-tate von Cornel West verwendete, ohne Hinweiseauf seine Autorenschaft. Le Beaus Antwort vom14.Juni 2005:"This is not a case of plagiarism in thatthere was not intention [sic] of deceiving anyone."

4 Eine alternative Einteilung ist bei Fröhlich,G.,„Wierein ist die Wissenschaft? Fälschung und Plagiat imrauen Wissenschaftsalltag“. In: H. Etzlsdorfer, W.Katzinger, W. Winkler (Hg.): echt_falsch: Will dieWelt betrogen sein? Wien: Kremayr & Scheriau,2003, S. 82-83 zu finden.

5 Marco Finetti und Armin Himmelrath.Der Sünden-fall: Betrug und Fälschung in der deutschen Wis-senschaft. Raabe : Stuttgart. 1999

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P l a g i a t s b e k ä m p f u n g

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z.B.Babelfish6,die einem die Arbeit hierbeiabnehmen.Diese Form des Plagiats scheintbesonders im wissenschaftlichen Bereichsehr beliebt. Man hofft, eine ausreichendobskure Quelle gefunden zu haben, damitdas Plagiat nicht auffliegt. Es gibt viele Be-richte hinter vorgehaltener Hand über sol-che Plagiate,auch bei Doktorarbeiten.Über-sehen wird oft, dass gerade Wissenschaft-lerinnen sehr gerne ziemlich obskureWerke zum Forschungsthema aufspüren.Daher sind etliche solche „Arbeiten“ ent-larvt worden, obwohl der Umgang damitselten öffentlich gemacht wird, sonderneher hinter verschlossenen Türen gehaltenwird.

2.3 Shake & PasteEs gibt eine Gewürzmischung in den USA,die „Shake ‘n Bake“ heißt. Man gibt die Ge-würze in eine Plastiktüte, ein zerlegtesHühnchen dazu, verschließt die Tüte undschüttelt sie gut durch. Dann werden dieTeile in beliebiger Reihenfolge herausge-nommen und auf ein Backblech gelegt.Dasfinden wir eine passende Analogie zu die-ser Form des Plagiats: Es werden aus ver-schiedenen Quellen Abschnitte genom-men (in der Regel Absätze), sie werden gutgemischt und dann scheinbar wahllos hin-tereinander zusammengefügt in der Hoff-nung, alles erfasst zu haben und nichtaufzufallen. Es verwundert dabei, dass sol-che Plagiatoren sich nicht einmal die Mühemachen, ihre Arbeit einmal im Ganzendurchzulesen – da würden sie sehen, dasses nicht gelungen ist.Solche Arbeiten wirken oft wie ein bunterFlickenteppich, es gibt einen Fetzen hierund einen Fetzen dort, mit groben Stichenzusammengehalten. Solche Plagiate fallenoft durch Wechsel in der Schreibweise vonNamen auf, oder durch Formatierungs-wechsel oder ein unterschiedliches Satz-niveau, das sich von Absatz zu Absatz ver-ändert.Wechselt eine Arbeit zwischen bes-tem Konjunktiv mit vielen Fremdwörternund einfachen Sätzen mit Rechtschreibfeh-lern hin und her, sollte man untersuchen,ob es sich um ein Shake & Paste-Plagiathandelt.

2.4 HalbsatzflickereiDiese Form des Plagiats ist recht viel Ar-beit – man fragt sich manchmal, ob es fürden Plagiator nicht simpler gewesen wäre,den Aufsatz einfach ganz neu zu schreiben.Hier werden Sätze und Halbsätze aus ver-schiedenen Quellen genommen und etwas„bearbeitet“. Eine Aufzählung wird umge-stellt, ein Wort durch ein Synonym ersetzt,ein Halbsatz dazwischen geschoben, oderder ganze Satz auf den Kopf gestellt, damiter nicht sofort auffindbar ist.Manche Leuteschaffen es sogar, aus mehreren Quelleneinen recht passablen Aufsatz zusammen-zunähen, aber es ist und bleibt ein Plagiat,weil er nicht in eigene Worte gefasst ist.

2.5 StrukturübernahmeDie Strukturübernahme ist eine der um-strittensten Formen des Plagiats. Der Pla-giator hält sich an die Reihenfolge von Ar-gumenten oder Gedanken,die ein andererAutor verwendet hat, aber gibt sie in eige-nen Worten wieder. Ist das nun Plagiatoder nicht? Wenn man die geistige Leis-tung als das Produkt eines Urhebers sieht,dann ist auch dies ein Plagiat,denn der Pla-giator macht sich nicht die Mühe, eine ei-gene Struktur zu schaffen, sondern ver-wendet ohne Nennung oder Kennzeich-nung die Struktur eines anderen. Etlichewissenschaftliche Streitfälle (die auchmehr oder minder öffentlich ausgetragenwerden) basieren auf genau dieser Art desPlagiats. A wirft B vor, sein Werk plagiiertzu haben. B verteidigt sich, es gebe keinewortwörtlichen Übernahmen. Es ist aberklar zu sehen, dass die Arbeiten durchauseine einheitliche Struktur haben.

2.6 In der Programmierung:gebundene Umbenennungen

In der Informatik gibt es eine besondereForm des Plagiats bei Programmierübun-gen. Da Studierende zu Recht der Mei-nung sind, dass eine buchstabengetreueÜbernahme auffallen könnte, machen siesich die Mühe, die Variablen umzubenen-nen. In der Programmiersprachenlehrenennt man dieses Verfahren eine gebun-dene Umbenennung, und es hat in der Tatkeine Auswirkung darauf, was das Pro-

gramm tut. Was die Plagiatoren aber oftübersehen ist, dass Lehrkräfte für Pro-grammierung eher in Strukturen denkenals in Bezeichnungen von Variablen, alsonicht so sehr auf Syntax achten. Daherfliegen solche Versuche – oder auch Ver-suche, einfach die Kommentare zu strei-chen oder zu verändern – oft auf. Es gibtinzwischen auch etliche Programme, dieHilfestellungen geben können, Übungenzu finden, die allzu ähnlich strukturiertsind.

3 PlagiatstypenUnter Plagiatstypen verstehen wir die Si-tuationen, in denen ein Plagiat verwendetwird. Diese Typen entsprechen der Bezie-hung zwischen Plagiatorin und Urheberin.Es ist für die Bekämpfung und Ahndungvon Plagiaten von Bedeutung, in welcherBeziehung diese zueinander stehen.

3.1 Plagiat für PunkteDieser Plagiatstyp entsteht, wenn der Pla-giator durch seinen Diebstahl im ErfolgsfallPunkte oder Scheine oder Abschlüsse erlan-gen würde. Daher schließt dieser Typ vonPlagiat sowohl Lernende ein,die Teile einerHausarbeit abschreiben, als auch For-schungsanfänger, die bei der Erstellungihrer ersten wissenschaftlichen Arbeit pla-giieren.Es wird – aus welchen Motiven auch immer,hierzu gibt es bisher wenig Forschung – einPlagiat angefertigt, um eine Leistung vor-zutäuschen, die von einer Beurteilendenbewertet wird. Es gibt dafür eine Note,einen Schein, einen Studienabschluss,einen Titel. Es wird etwas Wertvolles er-schlichen, mit den Worten der Urheberin.Die Urheberin ist in der Regel unbekanntund steht in keiner direkten Beziehungzum Plagiator, außer in dem Fall einesGhostwriters, der extra engagiert wordenist, um einen Text zu verfassen. Letzteregehen in der Regel so gut vor,dass sie keinePlagiate erstellen, sondern ein richtiges

6 http://world.altavista.com

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Werk. Wer so etwas einreicht, begeht keinPlagiat, sondern „nur“ Betrug.Es wird manchmal argumentiert, dass die-ser Plagiatstyp nicht richtig schlimm sei –der Urheberin entstehen keine Unannehm-lichkeiten,die Hausarbeit war sowieso überein Thema, das bereits hundertfach bear-beitet wurde oder die Professorin wird ehkeine Zeit haben,die Arbeit genau zu lesen.Also spart man sich Zeit und Mühe, undschreibt ab.Problematisch an Plagiaten für Punkte istaber, dass die Punkte gerade eben eine Leis-tung bewerten sollen, die hier nicht statt-gefunden hat. Der Plagiator lernt nicht, waser eigentlich lernen sollte,er durchdringt dieMaterie nicht,die zu erforschen war.Die ehr-lichen Mitstudierenden werden benachtei-ligt,weil jemand ohne eigene Leistung unterUmständen eine bessere Note bekommenwird als sie.Die Gesellschaft ist auch leidtra-gend,denn sie erwartet z.B.von jemand miteinem Doktortitel, dass er oder sie dazu inder Lage ist, eigenständig Forschung zu be-treiben und nicht,dass sie lediglich abschrei-ben oder Daten fabrizieren können. Wenndie Schulen und Hochschulen Plagiate tole-rieren oder gar unter den Teppich kehren,schaden sie sich selber auf lange Sicht, weildie Qualität ihrer Ausbildung leidet.Um solche Plagiate zu vermeiden, mussman zunächst einmal aufklären.Sowohl inden Schulen als auch an Hochschulen muss

der Umgang mit fremden Texten bespro-chen und eingeübt werden. Bei der Auf-gabenstellung kann man besondere For-men verwenden (siehe Abschnitt 4.7).Abervor allem müssen wir – trotz Zeiten vonMassenuniversitäten und Modularisierun-gen – aufhören, unsere Studierenden wieNummern zu behandeln statt als Men-schen. Wir sind Teil einer Abschluss-zeugnis-Erzeugungsmaschinerie gewor-den, es geht kaum noch um den wissen-schaftlichen Diskurs.7 Bedingt durch dieMenge an zu beurteilenden Texten habenwir uns angewöhnt, die Texte nicht mehrsehr gründlich zu lesen. Die Studierendenmüssen wieder das Gefühl bekommen,dass die Professorin wirklich an der Einzel-arbeit interessiert ist.

3.2 Plagiat durch ProfessorinEin besonders perfider Plagiatstyp ist der-jenige, der durch eine Professorin (oder an-dere Vorgesetzte) mit den geistigen Schöp-fungen von Abhängigen begangen wird.Dieser Typ des Plagiats wird selten öffent-lich bekannt, weil die Bestohlenen oft (be-rechtigterweise) Angst vor Repressalien sei-tens der Professorin haben.Hier geht es darum, dass der Urheber eineLeistung erbracht hat – eine Diplomarbeitgeschrieben, eine Magisterarbeit, ein Gut-achten,eine Promotion – die kurze Zeit spä-ter allein unter dem Namen der Professo-rin erscheint bzw. zum Patent angemeldetwird.Es herrscht gerade unter deutschen Profes-soren eine erstaunliche Schlossherren-Mentalität: „Was ich mache ist meins undwas meine Leibeigenen machen ist auchmeins.“ Es werden sehr ungeniert Passagenaus studentischen Arbeiten in eigene Ver-öffentlichungen übernommen, Verfahrenals eigene ausgegeben und gar Gutachten,die von Abhängigen geschrieben wurden,als eigene Werke gegen Entgelt abgegeben.Wagt die Urheberin,gegen dieses Vorgehenzu protestieren, riskiert sie ihre Stelle8, ihrForschungsvorhaben9 oder ihren Ruf.Es gibt natürlich seitens der Professoren-schaft ein sehr starkes Interesse an den Er-gebnissen, die am Lehrstuhl erarbeitetworden sind. Dieses muss nur auf eine ehr-liche Basis gestellt werden: Man muss dieUrheber allesamt benennen, nicht nur alsFußnote („Vielen Dank an Frau X“), son-dern bei Teilurheberschaft muss die Stu-dentin als Autorin mit aufgeführt werden,so wie bei dieser Arbeit. Die Professorin hatzwar die Struktur aufgestellt und formu-liert, die Studentin hat aber große Teile derForschung im Bereich des Softwaretestsvollzogen, sowie auch fruchtbare Kritik ander Klarheit der Aussagen geübt und etli-che Passagen zum Besseren umformuliert.Es ist ein Gemeinschaftswerk, auch wennbeide Autorinnen ungleichen Anteil daranhaben.Man kann aber eigentlich nur klarstellen,wer welchen Anteil an einem Werk hat,

wenn im Rahmen eines Systems wie MediaWiki10 alle Änderungen,die am Textvorgenommen worden sind, protokolliertwerden und rekonstruierbar sind. Damitkönnten auch sogenannte Ehrenautoren-schaften sichtbar werden, weil jemand imAufsatz aufgeführt wäre, der keine einzigeZeile selber verfasst hat.

3.3 Plagiat unter PeersDer letzte Plagiatstyp, den wir unterschei-den möchten, ist Plagiat unter Peers, alsounter gleichberechtigten Forschern, diesonst nicht in einem Abhängigkeitsverhält-nis zueinander stehen. Es gibt zwei Sortenvon Plagiat, die hierunter zu fassen sind.Die erste Sorte entstammt dem Gutachter-wesen.Gutachterinnen haben anonym Zu-gang zu Projektideen von Kolleginnen. Daliegt die Versuchung nahe,das zu begutach-tende Projekt abzulehnen und es unter ei-genem Namen, ggf. bei einem anderenGeldgeber, einzureichen. Es gibt mehrereFälle, die in der Literatur geschildert wor-den sind11,wo diese Art von geistigem Dieb-stahl bekannt geworden ist.Man muss aberbefürchten,dass diese nur die Spitze des Eis-bergs sind.Um dieses Unwesen zu bekämpfen, müss-ten die Geldgeberorganisationen aktiv wer-den. Da sie oft gerade dabei sind, ihr An-tragswesen auf digitale Basis umzustellen,wäre es einfach,eine Gutachter-Datenbasiseinzurichten. Antragstellerinnen werdenzunächst daraufhin untersucht, ob sie bis-her als Gutachterinnen gearbeitet haben.Ist das der Fall,wird der aktuelle Antrag ma-schinell mit den begutachteten Anträgenverglichen. Wenn eine solche Datenbankz. B. zentral beim BMBF geführt würde,hätte man eine Handhabe,„geborgte“ For-schungsideen zu entdecken. Es wäre auchdenkbar, alle Anträge mit allen bisherigenAnträgen der Antragstellerin zu verglei-chen, denn oft werden Anträge mit mini-maler Änderung an der Themenstellungimmer wieder verwertet. Manche Antrag-stellerinnen versuchen, für dieselben Vor-haben unter unterschiedlichen Titeln Geldeinzuwerben.Die zweite Sorte tritt auf,wenn unkollegialeKollegen der Einfachheit halber keine eige-nen Beiträge auf Tagungen einreichen,son-dern die Arbeiten von anderen nehmenund unter eigenem Namen für eine der vie-len kleinen Konferenzen oder Zeitschrifteneinreichen.12 Es ist unwahrscheinlich, dasses irgendjemand gibt,der alle Konferenzenim Fach besucht oder alle Zeitschriften liest.Somit hat der Plagiator die Hoffnung, un-entdeckt zu bleiben,während die eigene Li-teraturliste wächst.Es gibt einige Fälle, die mehr oder wenigeroffen diskutiert werden. Ein Fall ist HuangYi,angeblich Professor an der Nanjing Uni-versity of Posts and Telecommunications inChina. 1998 hat Huang Yi das Paper „Zero-tree Wavelet Coding – Using Fractal Pre-diction“13 auf einem Kongress vorgetragen

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P l a g i a t s b e k ä m p f u n g

7 Vgl.Mark Deluze,„We're Training Cheaters“,Aviso,Nr. 36, S. 8-9, Mai 2004

8 Die Autorin hat persönlich so einen Fall erlebt, derdamit schöngeredet wurde, dass selbstverständ-lich noch eine Fußnote mit der Urheberschaft desMitarbeiters aufgenommen werden würde, derText sei erst mal nur eine Rohfassung,den der Mit-arbeiter unrechtmäßig gelesen hätte. Man würdeaber von einer Kündigung absehen,wenn der Mit-arbeiter selber kündigt – und so geschah es auch.

9 Auch hier ist in Deutschland gerade ein sehr diffi-ziler Fall dabei durch die Gerichte zu gehen, weilnach der Weigerung des Mitarbeiters, Gutachtenfür seinen Doktorvater zu schreiben, seine Dok-torarbeit für nicht promotionswürdig angesehenwird. Hier steht Aussage gegen Aussage, Gutach-ten gegen Gegengutachten. Es ist zu hoffen, dassals Folge dieses Prozesses das deutsche Promotions-wesen modernisiert werden kann.

10 www.mediawiki.org11 Finetti und Himmelrath geben zwei Fälle anonym

an – in der Regel wollen die Bestohlenen nicht öf-fentlich anklagen,weil sie Nachteile für die eigeneKarriere befürchten.

12 Zum Problem der Ehrenautorenschaften s. HolgerWormer:Mitgeschrieben,mitgefangen? Erfahrun-gen und Fortschritte im Umgang mit „Phantom-Autoren“ in Naturwissenschaft und Medizin inDeutschland. In: IWP 57(2006)2, S. X-X

13 1998 International Conference on CommunicationTechnology, Volume: 1, Page(s): S16-07-1 -S16-07-4