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Politische Bildung in sozialräumlicher Perspektive Zur theoretischen Grundlegung des Verhältnisses von Jugendarbeit zur politischer Jugendbildung in Wien Politische Jugendbildung orientiert sich heute mehr als bisher an sozialräumlichen Aneignungs- und Konfliktprozessen. Wir gehen da- her von zwei Grundhypothesen aus1: zum einen ist politische Bildung und ihr praktisches Konstrukt der politischen Beteiligung auch heute vorwiegend institutionell besetzt und läuft damit immer wieder Gefahr, Jugendlichen keine Zugänge zu bieten und sie ihnen gar zu verwehren. Zum zweiten erreichen solche Bildungsprozesse bestimmte Gruppen von Jugendlichen kaum oder schließen sie aus. Dies betrifft vor allem die von der politischen Bildung selbst so benannten „bildungsfernen Schichten“, zu denen in der Regel sozial benach- teiligte Jugendliche gehören. Gerade ihnen gegenüber – ist unsere These – kann sich die politische Jugendbildung im sozialräumli- chen Zugang öffnen. Dass Jugendliche eine eigene räumliche Öffent- lichkeit suchen, lässt sich jugendtheoretisch aus der sozialräumlichen Aneignungsdynamik des Jugendalters erklären (vgl. Böhnisch/Münch- meier 1990, Deinet 2009, Krisch 2009). Ju- gendliche brauchen Räume, um sich spüren, erproben, auf sich aufmerksam machen, sicht- bar werden zu können. Im Drang nach räum- licher Öffentlichkeit spiegelt sich die jugend- typische Spannung zwischen der Suche nach jugendkultureller Eigenständigkeit und der ver- deckten Sehnsucht nach dem Erwachsenwer- den wider. Aus ersterer entsteht Abwehr ge- genüber der Erwachsenenwelt, aus der zweiten das Verlangen nach Anerkennung. Subkultu- relle Raumaneignung und die Suche nach An- erkennungsräumen gehen bei Jugendlichen in- einander über. Für die Erwachsenenwelt pro- voziert das Konflikte. Damit – wenn wir den Konflikt und seine Austragung als Schlüsselthe- ma des Politischen ansehen – zeigt die jugend- kulturelle Suche nach räumlicher Öffentlich- keit ihre politische Seite. Die Jugendarbeit versucht, dem über Raum- und Projektangebote entgegenzuwirken, in denen sie pädagogi- sche Jugendöffentlichkeiten organisiert. Pädagogische Öffentlich- keiten sind institutionelle Öffentlichkeiten, die in räumliche Öf- fentlichkeiten vermittelnd und regulierend hineinwirken. Dabei gerät die Jugendarbeit immer wieder in die Spannung zwischen jugendkultureller Konfliktorientierung und ordnungspolitischen Befriedungszumutungen. Auch sie steht damit nicht außerhalb des jugendpolitischen Konflikts, sondern ist selbst darin verwickelt. Das stellt hohe Ansprüche an ihre politische Selbstreflexivität. Nur in dieser eigenen Auseinandersetzung kann sie zum Ort po- litischer Bildung werden. Politische Bildung und Raum Moderne politische Jugendbildung nimmt für sich in Anspruch, nicht nur kognitive Prozesse des Lernens und der Informations- vermittlung zu organisieren, sondern vor allem zum Aufbau ei- ner politisch reflexiven sozialen Identität beizutragen. Identitäts- entwicklung im Kindes- und Jugendalter findet aber weniger im kognitiven Lernen, sondern in räumlichen Aneignungsprozessen statt. Politische Gehalte wie Macht, soziale Inklusion und Exklu- sion, Erfahrung von Konflikten und Möglichkeit der Interessen- durchsetzung bilden sich nicht nur in Räumen ab, sondern drü- cken sich auch in Räumen aus. Soziale Räume als Konflikträume Lokale öffentliche Räume sind vielerorts für Jugendliche enger geworden. Die sozialräumlich inspirierte politische Jugendbildung richtet dabei eher weniger den sozialpädagogischen Blick auf die so- ziale Exklusion Jugendlicher, sondern auf die damit verbundenen Konflikt- und Ohnmachtserfahrungen und die Art und Weise, wie diese von den Jugendlichen bewältigt und in ihren Aneignungsver- suchen politisch transformiert werden (Formen der Durchsetzung von Interessen, wobei Auffälligkeit bis hin zur Gewalt auch durch- aus politisch interpretiert werden kann bzw. muss). Abstract / Das Wichtigste in Kürze Politische Jugendbildung schafft Zugang zu Öffentlichkeit für Jugendliche und anerkennt die Dynamik ihrer sozialräumlichen Aneignungsprozesse. Jugendpolitik strukturiert Konfliktaustragung und Verständigung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Keywords / Stichworte Politische Jugendbildung, Jugend und öffentlicher Raum, Entwicklung einer Konfliktkultur Lothar Böhnisch *1944 Dr., Professor an der Fa- kultät für Bildungswis- senschaften der Frei- en Universität Bo- zen, Standort Brixen. lothar.boehnisch@ unibz.it Richard Krisch *1959 Dr. phil.; Referent für Pä- dagogische Grundlagen- arbeit des Vereins Wie- ner Jugendzentren. r.krisch@ jugendzentren.at 38 Sozial Extra 7|8 2013: 38-40 DOI 10.1007/s12054-013-1041-y Praxis aktuell Jugendpolitik in Wien

Politische Bildung in sozialräumlicher Perspektive

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Page 1: Politische Bildung in sozialräumlicher Perspektive

Politische Bildung in sozialräumlicher Perspektive

Zur theoretischen Grundlegung des Verhältnisses von Jugendarbeit zur politischer Jugendbildung in Wien

Politische Jugendbildung orientiert sich heute mehr als bisher an sozialräumlichen Aneignungs- und Kon�iktprozessen. Wir gehen da-her von zwei Grundhypothesen aus1: zum einen ist politische Bildung und ihr praktisches Konstrukt der politischen Beteiligung auch heute vorwiegend institutionell besetzt und läuft damit immer wieder Gefahr, Jugendlichen keine Zugänge zu bieten und sie ihnen gar zu verwehren. Zum zweiten erreichen solche Bildungsprozesse bestimmte Gruppen von Jugendlichen kaum oder schließen sie aus. Dies betri�t vor allem die von der politischen Bildung selbst so benannten „bildungsfernen Schichten“, zu denen in der Regel sozial benach-teiligte Jugendliche gehören. Gerade ihnen gegenüber – ist unsere These – kann sich die politische Jugendbildung im sozialräumli-chen Zugang ö�nen.

Dass Jugendliche eine eigene räumliche Ö�ent-lichkeit suchen, lässt sich jugendtheoretisch aus der sozialräumlichen Aneignungsdynamik des Jugendalters erklären (vgl. Böhnisch/Münch-meier 1990, Deinet 2009, Krisch 2009). Ju-gendliche brauchen Räume, um sich spüren, erproben, auf sich aufmerksam machen, sicht-bar werden zu können. Im Drang nach räum-licher Ö�entlichkeit spiegelt sich die jugend-typische Spannung zwischen der Suche nach jugendkultureller Eigenständigkeit und der ver-deckten Sehnsucht nach dem Erwachsenwer-den wider. Aus ersterer entsteht Abwehr ge-genüber der Erwachsenenwelt, aus der zweiten das Verlangen nach Anerkennung. Subkultu-relle Raumaneignung und die Suche nach An-erkennungsräumen gehen bei Jugendlichen in-einander über. Für die Erwachsenenwelt pro-voziert das Kon�ikte. Damit – wenn wir den Kon�ikt und seine Austragung als Schlüsselthe-ma des Politischen ansehen – zeigt die jugend-kulturelle Suche nach räumlicher Ö�entlich-keit ihre politische Seite.Die Jugendarbeit versucht, dem über Raum-

und Projektangebote entgegenzuwirken, in denen sie pädagogi-sche Jugendö�entlichkeiten organisiert. Pädagogische Ö�entlich-keiten sind institutionelle Ö�entlichkeiten, die in räumliche Öf-fentlichkeiten vermittelnd und regulierend hineinwirken. Dabei gerät die Jugendarbeit immer wieder in die Spannung zwischen

jugendkultureller Kon�iktorientierung und ordnungspolitischen Befriedungszumutungen. Auch sie steht damit nicht außerhalb des jugendpolitischen Kon�ikts, sondern ist selbst darin verwickelt. Das stellt hohe Ansprüche an ihre politische Selbstre�exivität. Nur in dieser eigenen Auseinandersetzung kann sie zum Ort po-litischer Bildung werden.

Politische Bildung und RaumModerne politische Jugendbildung nimmt für sich in Anspruch,

nicht nur kognitive Prozesse des Lernens und der Informations-vermittlung zu organisieren, sondern vor allem zum Aufbau ei-ner politisch re�exiven sozialen Identität beizutragen. Identitäts-entwicklung im Kindes- und Jugendalter �ndet aber weniger im kognitiven Lernen, sondern in räumlichen Aneignungsprozessen statt. Politische Gehalte wie Macht, soziale Inklusion und Exklu-sion, Erfahrung von Kon�ikten und Möglichkeit der Interessen-durchsetzung bilden sich nicht nur in Räumen ab, sondern drü-cken sich auch in Räumen aus.

Soziale Räume als Konflikträume Lokale ö�entliche Räume sind vielerorts für Jugendliche enger

geworden. Die sozialräumlich inspirierte politische Jugendbildung richtet dabei eher weniger den sozialpädagogischen Blick auf die so-ziale Exklusion Jugendlicher, sondern auf die damit verbundenen Kon�ikt- und Ohnmachtserfahrungen und die Art und Weise, wie diese von den Jugendlichen bewältigt und in ihren Aneignungsver-suchen politisch transformiert werden (Formen der Durchsetzung von Interessen, wobei Au�älligkeit bis hin zur Gewalt auch durch-aus politisch interpretiert werden kann bzw. muss).

Abstract / Das Wichtigste in Kürze Politische Jugendbildung scha�t Zugang zu Ö�entlichkeit für Jugendliche und anerkennt die Dynamik ihrer sozialräumlichen Aneignungsprozesse. Jugendpolitik strukturiert Kon�iktaustragung und Verständigung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen.

Keywords / Stichworte Politische Jugendbildung, Jugend und ö�entlicher Raum, Entwicklung einer Kon�iktkultur

Lothar Böhnisch *1944

Dr., Professor an der Fa-kultät für Bildungswis-senschaften der Frei-en Universität Bo-zen, Standort Brixen.

[email protected]

Richard Krisch *1959

Dr. phil.; Referent für Pä-dagogische Grundlagen-arbeit des Vereins Wie-ner Jugendzentren.

[email protected]

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Praxis aktuell Jugendpolitik in Wien

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Sozialräumliche Konstellationen entstehen in der Wechselwir-kung von räumlichen Au�orderungscharakter und jugendkultu-reller Aneignung. Es ist vor allem der räumliche Au�orderungs-charakter, der Jugendliche anzieht und sie in Aneignungsdynami-ken versetzt. Dieser räumliche Au�orderungscharakter ist dann politisch, d.h. kon�iktreich, wenn Jugendliche Räume, von de-nen sie angezogen werden, schon besetzt, funktionalisiert �nden und sie in ihrem Sinne umwidmen wollen. Gerade an dieser Stel-le wird es über die sozialräumliche Perspektive möglich, einen theoretischen wie praktischen Bezug zum für die politische Bil-dung so wichtigen Paradigma der Verständigung, des kon�iktfä-higen Konsenses zu �nden.Da viele Jugendliche sich Mobilität kaum leisten können (we-

der Tickets noch beim Schwarzfahren erwischt zu werden ist für sie bezahlbar), sind sie auf ganz bestimmte Orte verwiesen, die sie dann – unter Aneignungsdruck – territorial voll in Anspruch nehmen. Indem ihre Aneignungsakte immer wieder als Akte der Au�älligkeit interpretiert werden, entstehen neue Kon�ikte, in die sie gedrängt werden, ohne sie als solche begreifen zu können. Solche Kon�iktdynamiken müssen erst einmal thematisiert wer-

den, bevor politische Bildung beginnt. Erst wenn man den Aneig-nungshintergrund solcher Au�älligkeiten kennt und sie nicht vor-schnell als potentielle Gewaltbereitschaft deutet, �ndet man Zu-gang zu diesen Jugendlichen. Stadtplaner denken meist nur an funktionelle Gestaltungen, sehen aber oft nicht dabei, wie Jugend-liche dabei entweder in die Unsichtbarkeit verdrängt werden oder wie sie auf verengte Räume zentriert werden, aus denen heraus zwangsläu�g Au�älligkeit entstehen muss.

Kampf um RäumeJe stärker Jugendliche sozial unter Druck sind, desto dringen-

der suchen sie nach Räumen als Bewältigungszonen. In dem Ma-ße aber, indem sie Räume über ihr jugendkulturelles Experimen-tieren hinaus als Bewältigungsräume gebrauchen – um sichtbar zu werden, auf sich aufmerksam zu machen und dadurch anerkannt und wirksam zu werden –, wird die Raumaneignung brisant, be-kommt sie den Charakter eines Kampfes um Räume.

Unterschiedliche RaumdeutungenErwachsene deuten Räume anders als Jugendliche. Mehr funk-

tional nutzerorientiert, weniger aneignungsorientiert. Wiesen in Parks zum Beispiel bedeuten für Erwachsene Funktionszonen der Ruhe, für Jugendliche haben sie einen dynamischen Au�or-derungscharakter des Experimentierens. Dabei fällt auf, dass die Raumaneignung Jugendlicher durchaus geschlechtsdi�erent ist. Wir können sehr gut beobachten, dass Jungen vor allem über die Clique territorial agieren und Räume für sich abgrenzen, während Mädchen mehr mobile und kommunikative Raumaneignung über territoriale Begrenzung hinweg bevorzugen. Sie besetzen die Räu-me nicht so wie die Jungen, sonder konstituieren Begegnungs- und Beziehungsorte. Sie „scannen“ Räume gleichsam nach Mobilität, Gefahr, Anerkennung.

Nach der Di�erenzierung des jugendlichen Aneignungs- und Kon-�iktverhaltens im Raum muss als nächstes das sozialräumliche Kon-�iktverhältnis von Jugendkultur und erwachsener Bevölkerung in den Vordergrund rücken. Wir sind schon ausführlich darauf ein-gegangen, dass bei Erwachsenen ein funktionales räumliches Nut-zungsverhalten im Gegensatz zum räumlichen Aneignungsverhal-ten von Jugendlichen zu beobachten ist. Hier ist also in der Grund-struktur der Aneignung und Nutzung schon ein Politikum im Sinne eines Grundkon�iktes angelegt. Für die politische Bildung ist es nun nicht nur wichtig zu untersuchen, wie sich dieser Kon�ikt entwi-ckelt, sondern vor allem auch, wie er ausgetragen wird bzw. ob er überhaupt zur Austragung kommen kann. Denn immer weniger Erwachsene sind nach unserer Beobachtung bereit, diesen Kon�ikt auszutragen. Sie wenden sich meist nicht an die Jugendlichen, son-dern an Jugendarbeiter oder Polizei und transformieren dabei die potentielle Kon�iktkonstellation in eine aktuelle Kontrollkonstella-tion. So ist es nicht abwegig zu behaupten, dass es so gut wie keine sozialräumliche Kon�iktkultur (mehr) gibt, dass es kaum Erwachse-ne gibt, die sich eine solche Kon�iktkultur mit Jugendlichen vorstel-len können. Sie nehmen meist die Äußerungen Jugendlicher nicht als Argumente, sondern nur als Störungen wahr.

Gemeinsame Raumsprache finden könnenDie Thematisierung dieses strukturellen sozialräumlichen Kon-

�iktes zwischen Jugendlichen und Erwachsenen zeigt uns aber auch, dass Jugendliche und Erwachsene keine gemeinsame Raum-sprache haben, sondern sie erst �nden müssen. Ohne gemeinsa-

ERWACHSENE DEUTEN RÄUME ANDERS

ALS JUGENDLICHE. MEHR FUNKTIONAL

NUTZERORIENTIERT, WENIGER

ANEIGNUNGSORIENTIERT. WIESEN

IN PARKS ZUM BEISPIEL BEDEUTEN

FÜR ERWACHSENE FUNKTIONSZONEN

DER RUHE, FÜR JUGENDLICHE

HABEN SIE EINEN DYNAMISCHEN

AUFFORDERUNGSCHARAKTER

DES EXPERIMENTIERENS.

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me Raumsprache kann es keine gemeinsame sozialräumliche Ver-ständigung geben. Deshalb gehört es zu einem der wichtigsten Ziele räumlich inspi-

rierter politischer Jugendbildung danach zu fragen und daran zu ar-beiten, wie Jugendliche und Erwachsene in bestimmten Situatio-nen und Konstellationen eine gemeinsame, d.h. aufeinander bezo-gene Raumsprache �nden können. Diese konzeptionelle Perspektive richtet sich vor allem darauf, dass die institutionen- und medien-ö�entlich etikettierten „Problemkonstellationen“ (Jugendliche ma-chen Probleme) als Kon�iktkonstellationen aufgezeigt und damit die Erwachsenen und die Institutionen zur thematischen (statt kontroll-zentrierten) Stellungnahme aufgefordert werden.Dies kann aber nur in einem tendenziell herrschaftsfreien Dis-

kurs gelingen. Dazu ist aber auch notwendig, dass Erwachsene ih-re Ängste gegenüber den Jugendlichen formulieren und sich nicht gleich an die Kontrollinstanzen wenden. Auf der anderen Seite müssen gerade auch für die Jugendlichen die Voraussetzungen ei-ner gleichberechtigten Kommunikation gescha�en werden. So muss zum Beispiel in solchen Projekten dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Raumverhalten von Jugendlichen vor allem Gruppenverhalten ist. Gruppe und Raum konstituieren sich in ei-ner dynamischen Wechselwirkung. Löst man einzelne Jugendli-che aus der Gruppe heraus, sind sie in der Kommunikation eher hil�os. Man muss aber nicht nur Jugendliche in solchen kon�igie-renden Situationen als Gruppe auftreten lassen. Auch die Erwach-senen sollten für die Jugendlichen als Gruppe erkennbar sein, die Verbindlichkeit symbolisiert und nicht die Jugendlichen durch un-terschiedliche Einzelstellungnahmen verwirrt.All diese Erfahrungen legen es nahe, Kon�iktaustragung und

Verständigung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen grup-penbezogen und in o�enen Räumen zu organisieren. Projekte al-lerdings, die an Institutionen gebundener Verfahren haben, die dann naturgemäß von Erwachsenen auch beherrscht werden, �n-den wenig Beteiligungsbereitschaft bei Jugendlichen.Dies kann an Beispielen gezeigt werden, bei denen Jugendliche

motiviert werden sollten, sich in Mieterbeiräten oder in Arbeits-kreisen zur Parkgestaltung zu engagieren (vgl. Wehsely 2008, Sander 2008). Denn solche institutionell-funktionellen Verfah-ren können schnell für Jugendliche insofern eine Bedrohung dar-stellen, als sie keinen Gruppenrückhalt mehr haben und die Bin-dung an den Raum verlorengegangen ist. Dies tri�t wiederum vor allem für Jungen zu, Mädchen sind angesichts ihrer höheren Fä-higkeit zur Flexibilität und Mobilität – gerade auch in der Bezie-hungsgestaltung – eher bereit und motiviert, solche individuellen Engagements einzugehen (vgl. Eckhardt/Haschka 2008).Es ist notwendig, erwachsene Ansprechpersonen zu �nden, die

nahe am Problem, aber möglichst unabhängig sind. Die Projek-te sollten mit Jugend zugewandten erwachsenen Akteuren ver-netzt werden, die neben den JugendarbeiterInnen eine Rolle spie-len. Sie können gleichsam intermediär zwischen jugendkultureller Raumgesellung und der Institutionenabhängigkeit Erwachsener interagieren.

In der Wiener Jugendarbeit sehen wir in word-up-Projekten den Versuch gelungen, tendenziell Gleichwertigkeit in der Kon�ik-taustragung und Verständigung zwischen Jugendlichen und Er-wachsenen herzustellen. Vom Projektverlauf (vgl. Holzhacker 2008) her tre�en sich die JugendarbeiterInnen erst mit den Ju-gendlichen, um ihre Themen, die sie nachher im SchülerInnen-parlament einbringen wollen, zu entfalten. Gleichzeitig sind Re-geln gescha�en, dass kein Erwachsener länger reden darf, dass alle auf gleicher Sitzhöhe sind, dass die Erwachsenen sich verp�ichten müssen, ihren aktuellen wie späteren Umgang mit den Argumen-ten der Jugendlichen darzulegen und zu begründen. Diese Projektbeispiele zeigen, dass über einen kon�iktre�exiven

Verständigungsprozess über unterschiedliche aber gegenseitig an-erkannte Rauminteressen Jugendliche zu konstruktiven Kon�ikt-partnern werden können. Dies ist ein anderer Zugang, als wenn wir – wie herkömmlich in der politischen Bildung – von Beteili-gung sprechen. Beteiligung erweist sich vor diesem Hintergrund als hierarchischer Begri� – also gleichsam als Erwachsenenbegri� –, mit dem Jugendlichen das Angebot gemacht wird, sich in eine vorgegebene Kommunikationsstruktur „einzubringen“ bzw. ein-zupassen. In der Dynamik der sozialräumlichen Kon�iktaustra-gung hingegen müssen beide Seiten – Jugendliche wie Erwachse-ne – ihre divergierenden räumlichen Ansprüche o�enlegen und aufeinander beziehen.

∑1. Überarbeitete Fassung des Beitrags „Politische Bildung in sozialräumlicher Perspektive“ (Böhnisch/Krisch), erschienen in Sozialraum.de, Ausgabe 2/2010; http://www.sozialraum.de/politische-bildung-in-sozialraeumlicher-perspektive.php

Literatur

BÖHNISCH, LOTHAR (2006). Politische Soziologie. Eine problemorientierte Einführung. Opladen

DEINET, ULRICH (HRSG.) (2009). Sozialräumliche Jugendarbeit. Grundlagen, Methoden und Praxiskonzepte. 3., überarbeitete Au�age. Wiesbaden

ECKHARDT, TANJA UND HASCHKA, ULLI (2008). Mädchenpavillon. IN: Verein Wiener Jugendzentren: Partizipation. Zur Theorie und Praxis politischer Bildung in der Jugendarbeit. Wissenschaftliche Reihe. Band 5 (S. 139-149). Wien

HOLZHACKER, CHRISTIAN (2008). Word Up! SchülerInnenparlament. IN: Verein Wiener Jugendzentren: Partizipation. Zur Theorie und Praxis politischer Bildung in der Jugendarbeit. Wissenschaftliche Reihe. Band 5 (S. 64-73). Wien

KRISCH, RICHARD (2009). Sozialräumliche Methodik der Jugendarbeit. Aktivierende Zugänge und praxisleitende Verfahren. Weinheim und München

SANDER, REINHARD (2008). ACTiN Park. IN: Verein Wiener Jugendzentren: Partizipation. Zur Theorie und Praxis politischer Bildung in der Jugendarbeit. Wissenschaftliche Reihe. Band 5 (S. 114-127). Wien

WEHSELY, TANJA (2008). Parti. im Bau. IN: Verein Wiener Jugendzentren: Partizipation. Zur Theorie und Praxis politischer Bildung in der Jugendarbeit. Wissenschaftliche Reihe. Band 5 (S. 104-114). Wien

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