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Polypharmakotherapie und rationale
Pharmakotherapie
Dr. med. Veit Wambach
© eyeami - Fotolia.com
Berlin, 20. März 2015
NON-ADHERENCE
50 Prozent der
Medikamente
werden nicht
eingenommen
POLYPHARMAKO-
THERAPIE
bedeutender
Risikofaktor für
unerwünschte
Arzneimittelereignisse
(UAW)
Therapieversagen
Krankenhausaufenthalte
ambulante Zusatzkosten
Spannungsfeld der Arzneimittelversorgung
2
© a
menic
181 –
Fo
tolia
.com
Multimorbidität Leitlinien in der Regel für
Einzelerkrankungen!
Etwa 6,8 Mio. GKV-Patienten ≥ 5 Wirkstoffe
SVR: 35 % der Männer, 40 % der Frauen >
65 J. nehmen > 8 Wirkstoffe in Dauertherapie
Selbstmedikation
Über 40 % der abgegebenen Arzneimittel OTC
22 % der OTC-AM für Patienten > 65 Jahre
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW)/Interaktionen
Unerwünschte Arzneimittelereignisse (UAE)
mind. 5 % der Krankenhausaufenthalte aufgrund von UAE
Polypharmakotherapie
Quelle: Thürmann 2007; ABDA 2009; ZI/DAPI 2010
Polypharmakotherapie ist bedeutender
Risikofaktor hinsichtlich AMTS
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• Nach den Ergebnissen von Übersichtsarbeiten und Studien sind
schätzungsweise zwischen 5 und 10 Prozent aller internistischen
Krankenhausaufenthalte auf UAW zurückzuführen
• 5 bis 10 Prozent aller Krankenhauspatienten erleiden schwere UAW, in der
westlichen Welt zählen UAW zu den häufigeren Todesursachen
(Schätzungen für Deutschland: 10.000 bis 60.000 Tote/Jahr)
• Ein erheblicher Teil dieser UAW – Experten gehen von 30 bis 50 Prozent
aus – wird als vermeidbar eingestuft
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW)
4
Quelle: Dtsch. Arztebl. Int. 2010; 107(3): 23-9
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW)
5
• Patienten werden durch mehrere (Fach-)Ärzte betreut
• Arzneimittel werden an- aber nicht, wenn möglich, wieder abgesetzt
• Auftretende UAW werden mit weiteren AM behandelt
• Häufig kein Ersatz von nicht wirkenden AM, sondern Addition mit einer
neuen (hoffentlich) wirksamen AM-Therapie
• Zusätzliche Selbstmedikation (OTC) durch die Patienten
Hauptproblem: Mangelnde Information an den Schnittstellen:
Patient – niedergelassener Arzt – Apotheker – Krankenhaus
Weitere Treiber für Polypharmakotherapie
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Ziele
• Identifikation und Reduktion von Polymedikation
• Reduktion unerwünschter Arzneimittelwechselwirkungen (UAW) und damit
eine Verringerung UAW-induzierter Krankenhauseinweisungen
• Frühzeitiges Einleiten von Interventionsmaßnahmen auf verschiedenen
Ebenen, v.a. eine verbesserte und abgestimmte Therapiekoordination und
damit Vermeidung von Versorgungslücken und -brüchen
• Senkung der Behandlungskosten (v.a. der Arzneimittelkosten)
• Diskussion der Ergebnisse und der eingeleiteten Maßnahmen mit den
Kostenträgern zur Überführung des Projektansatzes in die Regelversorgung
• Wissenstransfer, Knowledge Management und Qualitätssicherung
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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Beratungsangebote und Steuerungsinstrumente
• Durchführung eines umfassenden, mehrstufigen „Medikations-Check-Ups“
• Netzweite Implementierung eines personenbezogenen Medikationsplans (in
maschinenlesbarer Form)
• Angebot unabhängiger Patienteninformationen (ggf. auch in elektronischer
Form, z.B. „AMTS-App“)
• Etablierung eines fach- und sektorenübergreifenden Qualitätszirkels zum
Thema „AMTS und Polypharmakotherapie“
• Einführung netzinterner, abgestimmter bzw. sektorenübergreifender Muster-
Medikationspläne oder Verfahrensanweisungen
• Strukturierte und verbindliche Kleingruppenschulungen Pharmakotherapie
für alle beteiligten Netzärzte
• Fortbildungen für Medizinische Fachangestellte
• Einführung eines netzübergreifenden CIRS „Polypharmakotherapie“
einschließlich regelmäßiger Treffen zur Analyse und Bewertung der
Rückmeldungen
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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Medikations-Check-up/Medikationsanalyse
• Strukturierter Medikamentenabgleich bei mehr als 5 Wirkstoffen (vgl. SVR –
Gutachten 2014)
• Brown-Bag-Review mit Interaktions-Check mind. 2 Mal/Jahr unter
Berücksichtigung der Leitlinien zu Polypharmakotherapie
• Nach einem KH-Aufenthalt außerplanmäßiger Medikationscheck
• Besprechung mit Patient mit auf die Situation des Patienten angepassten
AMTS-Prüfungen (i.S. informed consent)
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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Personenbezogener Medikationsplan
• Zentrale Informationsquelle und Basis für die AMTS-Prüfung:
Personenbezogener Medikationsplan (idealerweise in elektronischer Form)
als zentrale Informationsquelle für alle am Medikationsprozess Beteiligten
• Eine Papierversion verbleibt beim Patient, der damit jederzeit „Herr seiner
Daten“ ist
• Ziel ist, Patienten und alle am Behandlungsprozess Beteiligten über
Medikation zu informieren
• Primat: Patientensouveränität
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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Unabhängige Patienteninformation
• Implementierung von begleitenden Informationen und Beratungsangeboten
unter Einbeziehung von Wissenschaft, Fachgesellschaften, Apothekern, etc.
• Entwicklung einer Patienten-App
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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Fach- und sektorenübergreifende QZ
• Umfassender strukturierter Informations- und Erfahrungsaustausch
zwischen Haus- und Fachärzten aus Praxis und Klinik, Apothekern und
externen Arzneimittelexperten
• Verpflichtender QZ mit gemeinsamer Dokumentation und
sektorenübergreifender Information
• Abstimmung eingesetzter Medikation, AM-Listen, Vermeidung von IA und
UAW
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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Netzübergreifend abgestimmte Verfahrensanweisungen
• Entwicklung netzübergreifend abgestimmter Verfahrensanweisungen,
Kitteltascheninfos
• Dokumentation von UAWs, Komplikationen … und Diskussion in
Fallbesprechungen, Kommunikation netzweit und ggf. Implementierung in
VA
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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Verbindliche Kleingruppenschulungen
• Verpflichtende Kleingruppenschulungen für HÄ und FÄ (4-8 Personen),
Moderation durch externe Experten (z.B. aus der KV)
• Aufzeigen von Verbesserungspotenzialen, netzinterne Benchmarks, Lernen
von Best practice-Beispielen, ggf. Einsatz von p4p-Elementen
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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MFA-Fortbildungen
• Fortbildung/Sensibilisierung der Praxisteams für Polypharmakotherapie
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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CIRS zum Thema rationale Pharmakotherapie und Treffen zur Analyse
von Rückmeldungen
• Implementierung eines netzinternen CIRS mit anonymer Meldung von
Problemen, i.B. AMTS
• Diskussion im jeweiligen QZ mit Entwicklung von Empfehlungen zur
Fehlervermeidung, die netzweit kommuniziert werden (PDCA-Zyklus)
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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Erfolgsnachweis durch definierte und konsentierte Qualitätsindikatoren
• Prozentualer Anteil aller Netzpraxen, die an einer Fortbildung zum Thema
Polypharmakotherapie teilgenommen haben
• Prozentualer Anteil aller Netzpraxen, die an einer Kleingruppenschulung
zum Thema Polypharmakotherapie teilgenommen haben
• Anzahl und Anteil von Patienten mit PRISCUS-Verordnungen
• Anzahl und Anteil von Patienten mit mehr als 5 Wirkstoffen
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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Erwartungen an kooperierende Krankenkassen und/oder Kassenärztliche
Vereinigungen
• Eine zeitnahe und regelmäßige Bereitstellung definierter Verordnungsdaten
(je nach Abstimmung und konkreter Zielsetzung), z.B. in Form eines
Netzberichts – und nach Freigabe der Praxis – auch auf Ebene der Praxis
• Beteiligung von z.B. pharmazeutische Experten, an ausgewählten
Netzqualitätszirkeln
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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Vorteile für kooperierende Krankenkassen und deren Versicherte
• Reduktion der unerwünschten Arzneimittelwirkungen
• Verbesserte und abgestimmte Therapiekoordination und damit Vermeidung
von Versorgungslücken und -brüchen
• Vermeidung von unnötigen Krankenhauseinweisungen
• Senkung der Arzneimittel- und Behandlungskosten
• Sammlung von Erfahrung im Umgang bzw. in der (Weiter-)Entwicklung
neuer Versorgungsformen – Basis für ein Ausrollen im Bereich der
„Regelversorgung“
• Verbesserung der Patientensicherheit
• Steigerung der Lebensqualität unserer Patienten
Konzeptpapier: Polypharmakotherapie und
rationale Pharmakotherapie
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Herzlichen Dank für
Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. med. Veit Wambach
Vorsitzender des Vorstandes
Agentur deutscher Arztnetze
Chausseestraße 119b
10115 Berlin
www.deutsche-aerztenetze.de
Back-up
Patienten > 65 Jahre
2014: über 2200→ 15 Studien (v.a. angloamerikanischer Sprachraum)
Validierte Parameter für
pharmazeutische Intervention
(„angemessene Polypharmazie“)
- Medical Appropriateness Index
(MAI)
Fazit: Pharmazeutische Interventionen verringern Verordnungsfehler
und unerwünschte Wirkungen,
der Einfluss auf klinische Endpunkte ist unklar.
HTA-Bericht - Cochrane 2012/2014
Prüfung des Medikamentes A Indikation
Ist die Indikation für das Medikament gegeben?
B Nutzen/Risiko individuell Überwiegt der Nutzen des verordneten Medikamentes für diesen Patienten in
dieser Indikation?
C Begleiterkrankungen Gibt es aufgrund der Begleiterkrankungen Kontraindikationen?
D Dosis Stimmt die Dosierung?
E Duplizität Wurde ein weiteres Arzneimittel der gleichen Wirkstoffgruppe verschrieben?
F Dauer der Behandlung Entspricht die weitere Verordnung der geplanten und sinnvollen Therapiedauer?
G Anordnungen praktisch? Einnahmevorschrift verstanden und praktikabel?
H Pharmakoökonomie Wurde die wirtschaftliche Alternative vergleichbarer Präparate ausgewählt?
I Interaktionen Gibt es schädliche Interaktionen?
Intersektoral konsentierte Form der Medikationsprüfung und Entscheidungs-Dokumentation
(Angelehnt an Medical Appropriateness Index nach Hanlon 1992)
Medical Appropriateness Index
-intersektoral konsentierte Form-
Österreichische Gesellschaft
für Geriatrie und Gerontologie
„Polypharmazie 2013“
Polypharmazie
auf der Suche nach einfachen Regeln im Alltag
Leitliniengruppe Hessen
Dt. Gesellschaft für Allgemeinmedizin
und Familienmedizin
Version 1.06 vom 04.09.2013
Einschätzung Nationale Empfehlungen sind geprägt von den historisch gewachsenen
Gesundheitssystemen:
- z.B. verschiedene Zulassungsverfahren für Medikamente,
- z.B. verschiedene Steuerungen der Ressourcen,
- z.B. inhaltlich verschieden, eher formal oder eher „Kochbuch“.
Dynamische und hochkomplexe Datenlage bezüglich Interaktionen –
pharmakodynamisch/pharmakokinetisch,
kein „Goldstandard der Bewertungen“ derzeit,
verschiedene Methoden: z.B. PRISCUS-Liste, MAI,
EDV – Datenbanken (Interaktionen).
Möglichst eine übersichtliche Anzahl von Substanzen einsetzen,
deren Interaktionen und Wirkungen man gut kennt.
Polypharmazie
auf der Suche nach einfachen Regeln im Alltag
• Bei über 60-Jährigen ist die Anzahl von UAW doppelt so hoch wie bei
Jüngeren
• Je mehr Wirksubstanzen, desto häufiger UAW:
< 6 Substanzen gleichzeitig: 3,4 Prozent UAW
mind. 6 Substanzen gleichzeitig: 25,0 Prozent UAW
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW)
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Substanz I Substanz II Interaktion
Diuretika, kaliuretische Antiphlogistika, nichtsteroidale
(NSAR)
NSAR mindern Wirkung der
Antihypertensiva
ACE-Hemmer Antiphlogistika, nichtsteroidale
(NSAR)
mindern Wirkung der Antihypertensiva,
erhöhtes Risiko von
Nierenfunktionsstörungen
Betablocker Antiphlogistika, nichtsteroidale
(NSAR)
mindern Wirkung der Antihypertensiva
ACE-Hemmer Allopurinol erhöhte Gefahr immunologischer NW
Antiphlogistika, nichtsteroidale
(NSAR)
Glucocorticoide Erhöhung der gastrointestinalen
Blutungsneigung
Schilddrüsenhormone Kationen, polyvalente Bildung von schwerlöslichen Salzen
oder Komplexen
AT1-Blocker Antiphlogistika, nichtsteroidale
(NSAR)
Bildung von schwerlöslichen Salzen
oder Komplexen
ACE-Hemmer Diuretika kaliumretinierende Gefahr der Hyperkaliämie
Bisphosphonate Kationen, polyvalente Bildung von schwerlöslichen Salzen
oder Komplexen
Diuretika Glucocorticoide Gefahr der Hypokaliämie
Die zehn häufigsten Interaktionen in der Apotheke
Quelle: Pharmazeutische Zeitung 29/2006