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Porquetor der Stählerne

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Nr. 309

Porquetor der Stählerne

Der gefahrvolle Weg zur FesteGrool

von H. G. Francis

Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einemÜberfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist.

Doch die Gefahr ist durch die energetische Schutzschirmglocke nur eingedämmtund nicht bereinigt worden. Der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötz-lich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents At-lantis.

Atlan, Lordadmiral der USO, und Razamon, der Berserker – er wurde beim letztenAuftauchen von Atlantis oder Pthor von den Herren der FESTUNG auf die Erde ver-bannt und durch einen »Zeitklumpen« relativ unsterblich gemacht – sind die einzi-gen, die den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die ge-heimnisvollen Leiter der Invasion ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Aller-dings verlieren die beiden Männer bei ihrem Durchbruch ihre gesamte Ausrüstung.

Und so landen Atlan und Razamon – der eine kommt als Späher, der andere alsRächer – nackt und bloß an der Küste von Pthor, einer Welt der Wunder und derSchrecken.

Ihre ersten Abenteuer bestehen sie am »Berg der Magier«. Ihr weiterer Weg führtsie über die »Straße der Mächtigen« zu den Seelenhändlern und der Stadt der Robo-ter.

Jetzt, als der Arkonide und der Pthorer auf dem Weg durch den Blutdschungelsind, begegnet ihnen PORQUETOR, DER STÄHLERNE …

Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Razamon - Die beiden Unsterblichen auf gefahrvollen Pfaden.Fenrir - Der Riesenwolf wird Atlans neuer Weggefährte.Porquetor - Der Stählerne wird zum Zerstörer.Troton und Dadan - Zwei Kämpfer gegen die Feste Grool.

1.

Atlan blieb stehen und hob warnend dierechte Hand.

Razamon schloß zu ihm auf und blickteihn fragend an.

»Hörst du nichts?« fragte der Arkonide.Seitlich von ihnen raschelte etwas im

Blutdschungel. Die beiden Männer verhiel-ten sich völlig still. Als gedämpfte Schrittge-räusche hörbar wurden, legte Razamon At-lan die Hand auf den Arm.

»Das hört sich an, als ob da ein Reiterkommt«, meinte der Arkonide.

Einige Äste brachen. Dann teilte sich dasGebüsch, und ein Reiter kam daraus hervor.Atlan hielt verblüfft den Atem an. Der Mannauf dem Pferd trug eine Ritterrüstung. Er sahaus, als sei er direkt aus einem Bild Dürersherausgestiegen. Das Visier war geschlos-sen, so daß nicht zu erkennen war, wer inder Rüstung steckte. An der Seite trug derReiter ein langes Schwert, das in einer ge-schmückten Scheide steckte. Riesige Sporenzierten die Füße. In der rechten Hand hielt erein zweites Schwert, das er locker über denHals des Rappen gelegt hatte. Neben seinemlinken Bein ragte ein Stahlspeer empor, deran der Spitze mit einer roten Fahne versehenwar.

Das Pferd war mit einer schimmerndenKettendecke gepanzert, die auch Hals undKopf umfaßte, die Augen, die Nüstern unddas Maul allerdings freiließ.

Atlan trat zwei Schritte auf den Unbe-kannten zu, als er seine erste Überraschungüberwunden hatte.

»Hallo, Rittersmann«, sagte er in deut-scher Sprache. Als der Reiter darauf nichtreagierte, wiederholte er seine Worte in eng-lisch und französisch, jedoch ohne Erfolg.

Der Ritter führte sein Pferd dicht an ihmvorbei, ohne ihn zu beachten. Erst etwa zehnMeter weiter hielt er es kurz an. Der rechteArm fuhr hoch. Das Schwert blitzte in derSonne. Er hieb es gegen einen armdickenAst und durchtrennte ihn mit einem Schlag.Geschickt fing er ihn danach auf und pflück-te eine apfelähnliche Frucht davon ab. Dannließ er den Ast fallen, schlug das Visier hochund biß von der Frucht ab. Danach ließ erdiese ins Gras fallen, schloß das Visier, triebsein Pferd mit den Sporen an und ritt wortlosdavon.

Razamon fluchte.Atlan drehte sich zu ihm um.»Kannst du mir sagen, wer dieser seltsa-

me Vogel war?« fragte er. Doch dann biß ersich auf die Lippen. Er trat auf Razamon zu.»Was ist los mit dir?«

Razamons Gesicht hatte sich verzerrt. Sei-ne Augen waren fast geschlossen. Plötzlichstürmte er an Atlan vorbei. Er eilte zu derStelle, an der die apfelähnliche Frucht imGras lag. Er nahm sie auf und drehte sie inseinen Händen.

»Was ist denn?« fragte Atlan. »Hast duHunger?«

Er ging zu ihm. Razamon hielt ihmschweigend die Frucht entgegen. Deutlichzeichneten sich die Spuren der Zähne desUnbekannten darin ab.

Plötzlich fuhr Razamon herum undschleuderte die Frucht mit voller Kraft ge-gen einen Baumstamm. Sie platzte auseinan-der.

»Du kennst den Knaben also«, stellte At-lan fest. »Nun gut. Wer ist es?«

Razamon antwortete nicht.»Porquetor war es nicht«, sagte der Arko-

nide. »Vielleicht sein Bruder?«Razamon ging nicht auf diese scherzhaft

gemeinten Worte ein. Er zog die Sehne sei-

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ner Skerzaal bis fast an die Spannbügel hochund ließ sie wieder frei, so daß sie singendzurücksprang. Dann drehte er sich um undging mit weitausgreifenden Schritten davon.

»Na schön«, sagte Atlan. »Du willst nichtantworten. Auch nicht weiter schlimm.«

Er grinste und folgte Razamon. Das Ge-heimnis des Ritters interessierte ihn zwar, ersah es jedoch nicht als so wichtig an, daß ersofort eine Antwort haben wollte. Anderer-seits nahm er es auch nicht auf die leichteSchulter. Die heftige Reaktion Razamonszeigte ihm, daß sein Begleiter mit dieser Be-gegnung nicht gerechnet hatte, und daß ersie psychisch erst bewältigen mußte.

Er behielt einen Abstand von etwa fünfMetern bei, um Razamon zu zeigen, daß erihn in Ruhe lassen wollte.

Die beiden Männer bewegten sich imnördlichen Randgebiet des Blutdschungelsin Richtung der Feste Grool voran. Atlanhoffte, einen Blick auf diese Feste werfen zukönnen, wenn sich hin und wieder dasDickicht lichtete, aber er wurde enttäuscht.Mehr als ein schemenhaftes Gebilde konnteer nicht erkennen, da die Luft diesig war,und sich die Abenddämmerung herabsenkte.So war auch die Entfernung bis zur Festenur schwer abzuschätzen.

Einige Male blickte Atlan in den Himmelhinauf, und er fragte sich, warum er keineLuftfahrzeuge sah. Wo blieben die Aufklä-rungsgleiter? Weshalb suchte man nichtnach ihm? Gelang es den Mutanten nicht,durch den Energieschirm zu kommen, derAtlantis gegen die Außenwelt abriegelte?Das war kaum denkbar, da dieser Schirmvon außen auf Atlantis projiziert wurde, sodaß jederzeit eine Strukturlücke geschaffenwerden konnte. Atlan hielt es jedoch fürmöglich, daß bestimmte Kräfte auf der Inseletwas von innen gegen den Energieschirmgestellt hatten. Nur in einem solchen Fallwar erklärbar, weshalb Hilfe von außen aus-blieb.

Längst mußten die Sicherheits- und Ab-wehrdienste auf seine Aktivitäten auf der In-sel aufmerksam geworden sein. Von den Sa-

telliten aus wurde die Erde ständig über-wacht. Objekte von einer Größe von zehncm an konnten einwandfrei ausgemacht undidentifiziert werden.

Das bedeutete, daß man außerhalb vonAtlantis wußte, was hier geschah. Mankonnte seine Spur exakt verfolgen. Man warüber seine enormen Schwierigkeiten infor-miert. Dennoch geschah nichts zu seinerEntlastung.

Atlan hatte keine Erklärung dafür.Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als

Razamon stehenblieb. Im gleichen Momentvernahm er ein drohendes Knurren aus demGebüsch zu ihrer Seite. Unmittelbar daraufbrachen einige Äste, und ein großes Tierflüchtete ins Dickicht.

Razamon zuckte mit den Schultern undging weiter. Doch schon nach wenigenSchritten blieb er erneut stehen. Dieses Malhörte Atlan ein eigenartiges Winseln. Irgendetwas scharrte über den Boden.

»Was ist das?« fragte er.»Ich habe keine Ahnung«, antwortete

Razamon. »Komm. Wir gehen weiter.«»Ich werde nachsehen.«Mit seinem Schwert schob Atlan einige

Äste zur Seite. Dann arbeitete er sich Schrittfür Schritt voran.

»Sei vorsichtig«, sagte Razamon hinterihm. »Es kann eine Falle sein.«

Atlan blieb stehen. Aus dem Dickicht her-aus blickten ihn zwei gelblich schimmerndeAugen an.

»Fenrir«, sagte er. »Da liegt der Wolf.«Er wollte weitergehen, doch Razamon riß

ihn zurück. Zentimeter von Atlans Gesichtentfernt schnellte ein weißes Band sirrend indie Höhe und verharrte federnd über seinemKopf. Einige Zweige, die von ihm zerschnit-ten worden waren, fielen auf den Boden her-ab.

»Das war knapp«, sagte Razamon. »DasDing hätte dir die Arme abtrennen können.«

Atlan hieb mit dem Messer nach dem Fa-den. Dieser gab einige Zentimeter weit nachund zerriß dann mit einem Knall. Die Endenschossen zu beiden Seiten hinweg und ver-

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schwanden im Dunkel.»Was war das?« fragte der Arkonide.»Das weiß ich auch nicht. Auf jeden Fall

war es gefährlich.«Atlan war gewarnt. Er wußte jetzt, daß

Fenrir in eine Falle geraten war, aus der ersich selbst nicht befreien konnte. Vorsichtigschob er das Messer vor sich her über denBoden, um so einen weiteren Faden aufzu-spüren und rechtzeitig zu zerschneiden.Doch unter dem Laub verbarg sich nichtsmehr.

Dafür brach plötzlich ein riesiger Käferaus dem Unterholz hervor und griff die bei-den Männer an. Er glich einem Hirschkäfer,war jedoch etwa zwei Meter lang und einenhalben Meter hoch. Wütend zischend ver-suchte er, Atlan mit seinen mächtigen Zan-gen zu packen.

Der Arkonide warf sich gedankenschnellzur Seite und entging so den messerscharfenMordwerkzeugen.

Razamon sprang dem Rieseninsekt aufden Rücken und bohrte ihm die Klinge sei-nes Messers dicht hinter dem Kopf unter denPanzer. Es knackte vernehmlich, als derStahl die Chitinschale durchbrach. Einestark riechende, farblose Flüssigkeit schoßaus der Wunde und ergoß sich über die Hän-de Razamons. Dieser stieß sich sofort ab undsprang vom Rücken des Käfers herab.

Das riesige Insekt verharrte auf der Stelle.Es streckte die beiden Zangen weit vor, be-wegte sich jedoch nicht. Endlos lange Se-kunden verstrichen, bis die Beine des Tieresendlich einknickten und der Körper den Bo-den berührte. Das Insekt gab eine Reihe vonklagenden Lauten von sich, dann erstarrte eserneut. Das Sirren der Mundwerkzeugeerstarb.

»Das Biest ist tot«, stellte Razamon fest.Er stieß den Käfer mit dem Fuß an, um sichdavon zu überzeugen, daß auch wirklichkein Leben mehr in ihm war.

Atlan trat näher an Fenrir heran. Der Rie-senwolf sah vollkommen erschöpft aus. Blutverschmierte seinen Kopf und seine Brust.Deutlich konnte Atlan sehen, daß der Stahl-

bolzen, den Balduur abgefeuert hatte, nochimmer im Rachen des Tieres steckte.

Doch diese Verletzung war nicht der ein-zige Grund dafür, daß der Wolf sich in aku-ter Lebensgefahr befand. Er steckte mit sei-nem Körper fast vollkommen in einer spinn-webartigen Hülle, die mit zahlreichen Bän-dern an den umstehenden Bäumen und Bü-schen befestigt war. Spuren bewiesen, daßder riesige Käfer ihn so eingesponnen unddabei auch noch in einer Mulde vergrabenhatte. Offensichtlich hatte er sich mit demFenriswolf einen Speisevorrat anlegen wol-len.

»In so einer Hülle könnten wir jetzt auchstecken«, bemerkte Razamon erschaudernd.»Wir haben viel Glück gehabt. Wenn unsder Springfaden erwischt hätte, wäre allesganz anders gekommen.«

Er legte Atlan die Hand auf die Schulter.»Komm jetzt«, sagte er.»Ich lasse den Wolf nicht so liegen«, ent-

gegnete der Arkonide entschlossen. »Wirmüssen ihm helfen.«

Razamon blickte den Wolf an. Auch ihmwar klar, daß dieses Tier über eine wesent-lich höhere Intelligenz verfügte, als sie zu-nächst angenommen hatten.

»Was hast du vor?« fragte Razamon.»Wir müssen den Bolzen aus dem Rachen

entfernen.«»Davon kann ich nur abraten. Der Wolf

wird nicht stillhalten.«»Ich versuche es jedenfalls«, erklärte der

Arkonide. Razamon sah ein, daß er ihn nichtumstimmen konnte.

»Also gut«, erwiderte er. »Du mußt denBolzen herausschneiden. Anders geht esnicht. Dazu mußt du dein Messer sterilisie-ren, sonst geht das Tier an der Infektion ein.Darüber hinaus müssen wir aber auch dieWunde mit einem antibiotisch wirkendenMittel behandeln, weil der Bolzen schließ-lich nicht keimfrei ist.«

»Am besten schlagen wir auf der nächstenLichtung, die wir finden, unser Lager auf.Wir müssen ein Feuer machen.«

Razamon trat mit dem Fuß gegen eine

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Baumwurzel und fluchte.»Du bist also wirklich entschlossen, das

Tier zu retten«, stellte er fest, »obwohl wirdadurch viel Zeit verlieren.«

»So ist es.«»Na schön. Schneide du ihn aus den

Spinnfäden heraus. Ich gehe ein Stück wei-ter und mache ein Feuer an. Dorthin mußtdu Fenrir schon bringen.«

Hinkend eilte er davon, ohne auf eineAntwort Atlans zu warten.

»Du hast es gehört, Fenrir«, sagte der Ar-konide zu dem Wolf. »An die Arbeit.«

Das Tier verhielt sich völlig ruhig, als At-lan vorsichtig den Kokon zerstörte, in demes gefangen war. Es blieb auch noch in derMulde liegen, als es frei war. Der Aktivator-träger beugte sich über den Wolf, legte ihmdie Hände unter die Brust und hob ihn be-hutsam an.

Winselnd stemmte Fenrir die Beine gegenden Boden und stand auf. Atlan schob ihnvoran. Doch der Wolf war so erschöpft, daßer wieder zu Boden stürzte, kaum daß er ausder Mulde heraus war.

Atlan erkannte, daß er ihn nicht dazu be-wegen konnte, genügend weit zu laufen. Erwar gezwungen, ihn an Ort und Stelle zuoperieren. Er sammelte ein paar trockeneÄste zusammen, schälte zwei davon ab, dieer für besonders geeignet hielt, kerbte einenvon ihnen ein und füllte die Kerbe mit pul-vertrockenem Moos. Dann stemmte er dasEnde des anderen Astes gegen das Moosund drehte das Holz zwischen den Händen.Das Moos begann schon bald zu glimmen.Atlan streute weiteres Moos darüber undblies behutsam in die Glut, bis eine ersteFlamme aufzüngelte. Danach legte er dünneZweige in das Feuer. Sie entzündeten sichrasch, so daß sich in wenigen Minuten einausreichend starkes Feuer entwickelte. Inden Flammen erhitzte er die Klinge seinesMessers, um sie keimfrei zu machen.

Er ließ es wieder abkühlen. Dann knieteer sich vor Fenrir auf den Boden und schobihm eine Hand zwischen die mächtigen Zäh-ne. Das Tier röchelte leise. Die Kiefer zuck-

ten, so daß der Arkonide die Hand unwill-kürlich zurückzog.

»Ganz ruhig«, sagte er besänftigend.Abermals drückte er die Kiefer auseinander,bis er sehen konnte, wo der Bolzen einge-drungen war. Der Stahl steckte in der hinte-ren Gaumenplatte und saß so fest, daß ersich nicht bewegen ließ.

Atlan spürte, wie ihm der Schweiß auf dieStirn trat.

Vorsicht, mahnte sein Logiksektor. DasBiest wird zuschnappen, wenn es Schmerzenspürt. Das ist eine instinktive Reaktion, diesich nicht verhindern läßt. Du mußt dich ab-sichern.

Der Arkonide blickte sich um, fand einenarmdicken Ast und schob diesen Fenrir zwi-schen die Zähne. Das Holz behinderte ihnzwar beträchtlich, bot ihm aber eine Min-destsicherung, auf die er nicht verzichtenkonnte.

Nun packte er den Bolzen mit der linkenHand, bog den Kopf des Wolfes zurück undöffnete ihm den Rachen noch ein wenigmehr. Dann stieß er die Spitze des Messersdicht neben dem Bolzen in den Gaumen undvergrößerte so die Wunde.

Fenrir knurrte laut, doch seine Kiefer be-wegten sich nicht. Es schien, als wisse er ge-nau, wie er sich zu verhalten hatte. Da derAst ihn allzu sehr störte, entfernte Atlan ihnund arbeitete ohne jede Sicherung weiter.Blut schoß aus der Wunde und verschmierteseine Hände. Er drehte den Bolzen vorsich-tig und stellte fest, daß er nun schon erheb-lich lockerer saß.

Nun führte er die Messerspitze tief in denGaumen hinein bis hin zur Bolzenspitze.Dann zog er das Geschoß mit samt der Klin-ge mit einem Ruck heraus.

Krachend schloß sich der Rachen des Tie-res. In den Augen loderte es auf. Für einenkurzen Moment schien es, als werde Fenrirsich von seinen Schmerzen überwältigenlassen, dann senkte sich der mächtige Kopfauf den Boden. Atlan sah, daß Blut über dieLippen quoll, aber er wußte, daß sich dieWunde bald beruhigen würde.

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»Wir können nicht hier bleiben«, sagte er.»Hier ist es zu unsicher.«

Er hatte kaum ausgesprochen, als ihm einintensiver Raubtiergeruch in die Nase stieg.Fenrir richtete sich halb auf. Er fletschte dieZähne. Doch diese Kraftanstrengung warschon zu groß für ihn gewesen. Die Beinerutschten ihm zur Seite weg, und er fiel insGras zurück.

Atlan sprang auf.Keinen Moment zu früh. Aus dem Dunkel

der Büsche schnellte sich ihm eine riesigeTiergestalt entgegen. Fingerlange Reißzähneschnappten nach ihm. Das Tier prallte gegenihn und schleuderte ihn zu Boden.

Eine Hyäne, signalisierte ihm sein Extra-sinn. Der Blutgeruch hat die Bestie ange-lockt.

Atlan schlug mit unbändiger Wildheit zu-rück. Er wußte, daß es um Bruchteile vonSekunden ging. Wenn sich die riesigen Zäh-ne erst einmal in seine Schulter oder seinenHals vergraben hatten, dann gab es keineRettung mehr. Er stemmte der Hyäne dielinke Hand gegen den Hals und trieb dasMesser mit der rechten in den Körper hinein.

Er hörte, daß Fenrir knurrte und winselte.Aus den Augenwinkeln beobachtete er, daßder Wolf vergeblich versuchte, auf die Beinezu kommen und in den Kampf einzugreifen.Die Hyäne schnellte sich zur Seite und grifferneut an.

Atlan entging diesem Angriff nur, weil ersich zur Seite rollte und dann aufsprang.

Geduckt stand er dem Tier gegenüber, dasgeifernd vor ihm kauerte. Er war sich dar-über klar, daß er den Kampf schnell beendenmußte, weil er der überlegenen Kraft der Be-stie auf längere Sicht nichts entgegenzustel-len hatte.

Eine zweite Hyäne trottete aus demDickicht heran. Das Tier schien es nicht be-sonders eilig zu haben, da die vermeintlicheBeute nicht mehr entkommen konnte.

Dann aber griffen beide Tiere plötzlichgemeinsam an, als hätten sie sich verstän-digt. Das erste konnte Atlan noch abwehren.Er riß den linken Arm hoch und lenkte so

die gierig zuschnappenden Zähne ab. Mitder rechten Hand führte er das Messer gegendie Kehle der Hyäne und tötete das Tier.

Dann aber war der zweite Angreifer heranund warf ihn einfach um. Wie ein Spielballflog er in die Büsche. Er warf die Arme halt-suchend hoch und verlor dabei das Messer.Die Bestie raste hinter ihm her und war überihm, bevor er die Arme heben konnte. DieReißzähne schnappten nach seinem Hals.

In diesem Moment vernahm Atlan einendumpfen Schlag. Die Hyäne stöhnte auf. DieBeine sackten unter dem Tier weg, und esstürzte schwer auf den Arkoniden.

»Mir scheint, ich bin gerade noch recht-zeitig gekommen«, sagte Razamon, packteden Kadaver und zog ihn von Atlan herun-ter. Geschickt schnitt er den Bolzen aus demSchädel des Tieres heraus und steckte ihn inden Köcher zurück, nachdem er ihn vomBlut gesäubert hatte.

Atlan erhob sich. Er nickte Razamon zu.»Das war knapp«, sagte er. »Danke.«»Schon gut. Das nächste Mal bist du dran,

mir zu helfen.« Er zeigte auf Fenrir, dernoch immer auf dem Boden lag. »Es istnicht weit. Wir können ihn tragen.«

Atlan schlug vor, eine einfache Trage zubauen, weil es wesentlich einfacher war, denWolf damit zu transportieren. Sie schnitteneinige kräftige Äste von den Bäumen undbanden sie mit Schlingpflanzen zusammen.Dann legten sie Fenrir darauf und hoben ihnhoch.

Das Tier wog fast vier Zentner, der Bodenwar uneben, und das Unterholz war dicht, sodaß sich der Transport als schweißtreibendeArbeit erwies. Sie kamen nur sehr langsamvoran. Für etwa zweihundert Meter bis zueinem Hügel auf einer Lichtung benötigtensie fast eine halbe Stunde. Sie legten Fenriram Fuß des Hügels ab, weil sie zu erschöpftwaren, ihn zur Kuppe hinaufzutragen.

»Ich gehe noch einmal zu den Hyänen zu-rück«, erklärte Razamon. »Er brauchtFleisch, wenn er wieder zu Kräften kommensoll.«

Atlan hielt ihn nicht zurück. Er stieg zum

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Feuer hinauf und warf noch einige Äste indie Flammen. Es dunkelte rasch. Der Blutd-schungel hallte von dem Geschrei der jagen-den Tiere wider.

Fenrir erhob sich mühsam und kroch zueinem nahen Bach hinüber. Atlan beobach-tete ihn, wie er gierig trank. Als er seinenDurst gelöscht hatte, kehrte der Wolf zumHügel zurück und kroch ein kleines Stück anseiner Flanke hoch, bis er eine Mulde fand,in der er liegen konnte.

Razamon kam mit dem Hinterteil einerausgeweideten und geschälten Hyäne ausdem Dschungel. Er warf Fenrir das Fleischhin und stieg dann zu Atlan hinauf.

»Da hinten hat sich bereits allerlei Getiereingefunden«, berichtete er. »Die Kadaverwerden in spätestens einer Stunde restlosverschwunden sein.« Er reichte Atlan zweifaustgroße Früchte, die er ebenfalls mitge-bracht hatte, ließ sich ins Gras sinken,schloß die Augen und schlief augenblicklichein.

Der Arkonide übernahm die Wache amFeuer. Voller Unbehagen spähte er ins Dun-kel hinaus. Er ahnte, daß ihnen eine unruhi-ge Nacht bevorstand.

2.

Atlan schreckte auf, als ein dumpfesBrummen ertönte. Er erhob sich und warf et-was Holz nach. Unruhig blickte er in dieDunkelheit hinaus. Er konnte sich diesesGeräusch nicht erklären. Es klang, als ob ir-gendwo ein Motor in Betrieb sei, doch imBlutdschungel konnte es nach seinen Infor-mationen nichts geben, was mit einem Mo-tor versehen war.

Das motorisierte Objekt näherte sich ihm,zog am Hügel vorbei und umkreiste ihn ein-mal.

»Was ist los?« fragte Razamon verschla-fen.

»Ich weiß nicht«, entgegnete der Arkoni-de. »Was ist das für ein Geräusch?«

Der Atlanter hob ratlos die Schultern. Erwußte keine Antwort. Fenrir wurde unruhig.

Er knurrte leise und hustete einige Male.»Da ist ein Licht«, sagte Razamon.Tatsächlich leuchtete zwischen den Bäu-

men eine helle Lampe auf. Sie näherte sichjetzt dem Hügel.

»Das Ding kommt zu uns her«, stellteRazamon fest. Er nahm seine Skerzaal auf,legte einen Bolzen ein und spannte die Seh-ne. Atlan bereitete seine Skerzaal in gleicherWeise vor.

Wenig später beschleunigte das unbe-kannte Objekt. Röhrend raste es auf die bei-den Männer zu, schoß die Hügel hinan undrollte dicht am Feuer vorbei.

Es war ein altertümliches Motorrad, dasknatternd und brummend seine Abgasedurch zwei verrostete Rohre entließ. Daraufsaß ein nach mittelalterlicher Mode geklei-deter Mann, dessen Gesicht durch eine roteMaske verhüllt war. Auf dem Kopf trug ereinen Schlapphut mit einer Krempe, die überseine Schultern hinausragte. Die Füße steck-ten in Lederstiefeln, die ihm bis über dieKnie reichten. Darüber trug er einen Wanst,der mehrfach ausgestellt und ausgepludertwar.

Ein breiter Gürtel schlang sich um seineHüften. Darin steckten zwei Trommelrevol-ver.

Razamon brüllte wütend auf. Er rannteauf den Motorradfahrer zu, blieb dann aberauf halbem Wege stehen, obwohl er ihn oh-ne weiteres hätte erreichen können, riß dieSkerzaal hoch und feuerte sie ab. Der Bol-zen fuhr dem Unbekannten durch einen Plu-derärmel und zerfetzte ihn. Razamon schleu-derte die Waffe wütend zur Seite, als er er-kannte, daß er den Motorradfahrer nicht ge-troffen hatte. Er riß sein Messer aus demGürtel und rannte hinter ihm her.

Der Maskierte drehte sich um, blickte denAtlanter an, zog einen Revolver aus demGürtel und legte auf ihn an. Razamon ließsich auf den Boden fallen. Der Maskierteschoß dreimal, verfehlte ihn jedoch. Dannhatte das Motorrad den Fuß des Hügels er-reicht. Es beschleunigte lärmend und rastedurch die Nacht davon.

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»Warum hast du nicht geschossen?«brüllte Razamon. Er lag im Gras und blicktezu Atlan auf. Dieser stellte bestürzt fest, daßer die Augen seines Begleiters nicht sehenkonnte. Wo sie sein sollten, befanden sichnur zwei dunkle Höhlen.

Doch der Eindruck änderte sich sogleich,als Razamon sich erhob, und sich die Flam-men in seinen Augen spiegelten.

»Ich habe dir eine Frage gestellt«, schrieer zornig.

Atlan grinste.»Und ich habe dir keine Antwort gege-

ben«, erwiderte er. »Ist dir das nicht aufge-fallen?«

Razamon beugte sich vor. Er streckte dieArme aus und krümmte die Finger zu Kral-len. Sein gelblich schimmerndes Gesichtverzerrte sich.

»Wie war das?« fragte er drohend.»Ich habe auch eine Frage«, erklärte At-

lan ruhig. »Glaubst du an die ausgleichendeGerechtigkeit der Natur?«

Razamon war verblüfft und verunsichert.Er richtete sich auf. Seine Haltung normali-sierte sich. Damit verringerte sich auch dieGefahr, daß er in einen Zustand der Rasereiverfiel, in dem er sich nicht mehr kontrollie-ren konnte.

»Was soll das?«»Nichts weiter, Freund«, sagte Atlan. »Ich

wollte nur wissen, ob du an die ausgleichen-de Gerechtigkeit der Natur glaubst.«

»Es gibt keine Gerechtigkeit in der Na-tur«, erwiderte Razamon heftig.

»Natürlich gibt es sie«, beteuerte der Ar-konide mit todernstem Gesicht. »Das solltestdu gerade wissen. Du hinkst.«

»Allerdings, weil ich den Zeitklumpen ha-be.«

»Du bist ein lebendes Beispiel für die aus-gleichende Gerechtigkeit der Natur.« Atlanlächelte. »Sieh mal, wenn einer hinkt, dannhat er ein kurzes Bein.«

»Richtig«, sagte Razamon unlustig. »Unddie Natur schafft den Ausgleich dadurch,daß sie ihm dafür das andere Bein länger ge-macht hat.« Razamons Kinnlade sackte nach

unten.»Das ist … das ist …«, sagte er stam-

melnd.»Die ausgleichende Gerechtigkeit der Na-

tur«, ergänzte Atlan vergnügt.Der Atlanter brüllte wütend auf. Er

schleuderte sein Messer auf den Boden, sodaß es fast darin verschwand. Dann griff erAtlan an. Seine Arme streckten sich vor. DieFinger krümmten sich, und die Lippen zo-gen sich weit über die Zähne zurück.

Bevor er den Arkoniden jedoch erreichte,schoß das Motorrad röhrend aus dem Blutd-schungel hervor und raste am Hügel vorbei.Razamon verzichtete darauf, mit Atlan zukämpfen. Er warf sich herum und rannte denHügel herunter.

Der Maskierte fuhr langsamer, ließ ihn bisauf zwei Schritte herankommen, beschleu-nigte dann scharf und fuhr ihm davon. Raza-mon sprang ihm nach, erreichte ihn jedochnicht, sondern landete auf dem Bauch imGras.

Trotz der Dunkelheit sah Atlan, wie sichseine Hände in den Boden gruben, und wiesie die Grassoden herausrissen. Razamonwühlte sich in den Boden hinein, als habe erden Verstand verloren.

Plötzlich aber erhob er sich, strich sichden Dreck von der Kleidung und kam zu At-lan. Sein Gesicht war ruhig und entspannt.Es verriet nicht, was in ihm vorging. Er setz-te sich ans Feuer.

»Ich habe Hunger«, sagte er. »Haben wirkein Fleisch, das wir am Feuer rösten kön-nen?«

»Nichts«, erwiderte der Arkonide. »Ichhabe noch eine Frucht. Du kannst sie ha-ben.«

Er hielt Razamon die Frucht hin. Diesernahm sie und aß sie schweigend auf.

»Wer ist der Maskierte?« fragte Atlan.Der Atlanter schüttelte den Kopf. »Lassen

wir das. Ich habe den Mann bereits verges-sen.«

Er blickte den Arkoniden kurz an. Atlanerkannte, daß er auch jetzt nichts erfahrenwürde. Er verzichtete auf weitere Fragen,

Porquetor der Stählerne 9

weil er wußte, daß er doch keine Antwortbekommen würde.

Fenrir kroch zu ihnen heran. Sie bemerk-ten ihn erst, als er unmittelbar neben ihnenwar. Seine Lefzen waren geschwollen, undWundflüssigkeit floß ihm aus dem Maul.

»Wir müssen etwas für ihn tun«, sagte At-lan, »sonst geht er ein.«

Razamon nickte.»Komm«, sagte er. »Hilf mir.«Er nahm einen brennenden Ast aus dem

Feuer und stieg den Hügel hinab. Atlan be-gleitete ihn, nachdem er sich ebenfalls miteiner Fackel versehen hatte.

Razamon ging, ohne zu zögern, in denDschungel hinein. Schon nach wenigenSchritten fand er einen Busch, an dem trau-benartige Früchte wuchsen. Er pflückte eini-ge von ihnen ab und gab sie Atlan.

»Nichts davon essen«, sagte er warnend.»Sie sind giftig.«

Wenig später nahm er von einem Baumeinige Steinfrüchte, riß einige Pilze aus demBoden und wählte einige Kräuter aus. Soausgerüstet, kehrte er mit Atlan zum Feuerzurück. Dabei löste er ein kürbisartiges Ge-wächs aus einem Busch und nahm es eben-falls mit. Er trennte am Feuer eine Scheibedavon ab und höhlte die Frucht danach aus.Dann gab er alle anderen Teile hinein undstellte alles ins Feuer. Atlan erwartete, daßder Kürbis dabei verbrennen würde, aber dieFruchtschale hielt.

»Die Schale wird durch die Hitze erstrichtig fest«, erklärte Razamon nach einigenMinuten.

Atlan konnte sehen, daß sich aus den an-deren Teilen eine Brühe gebildet hatte, dieheftig kochte. Razamon warf nun noch eini-ge Pilze, die er am Fuß des Hügels gefundenhatte, dazu und wartete, bis auch sie sich fastaufgelöst hatten. Dann nahm er alles ausdem Feuer und fischte die ausgekochten Tei-le heraus, so daß schließlich nur die Brüheübrigblieb.

»Ich glaube, daß alles darin ist, was darinsein muß«, sagte er. »Ich habe nichts verges-sen. Die Brühe wirkt antibiotisch. Du kannst

die Wunde damit versorgen.«»Gehen daran nur die Bakterien zugrunde

oder Fenrir auch?« fragte Atlan.Razamon lachte leise. Seine dunklen Au-

gen blitzten auf.»Wenn ich vorgehabt hätte, den Wolf um-

zubringen, hätte ich es leichter haben kön-nen«, erwiderte er.

Fenrir erkannte, worum es ging. Wider-standslos ließ er sich den Rachen öffnen unddie streng riechende Brühe auf die Wundestreichen.

Der Wolf kroch zu seiner Mulde zurück,rollte sich dort zusammen und schlief ein.

»Gute Wache«, sagte Atlan. »Jetzt werdeich mich aufs Ohr legen.«

»Das geht nicht«, entgegnete Razamon.»Tut mir leid.«

»Was spricht dagegen?« fragte Atlan.»Die Riesenlurche«, erwiderte Razamon

gelassen. Er deutete ins Dunkel hinaus,nahm einen brennenden Ast und warf ihnden Hügel hinunter. Trockenes Gras fingFeuer und loderte kurz auf. Im Licht derFlammen sah Atlan vier etwa zwei Meterlange Lurche, die lauernd zu ihm hinauf-blickten. In ihren geöffneten Rachen blitztennadelscharfe Zähne.

»Das ist Sache der Wache«, sagte der Ar-konide. »Oder solltest du nicht in der Lagesein, dich um solche Kleinigkeiten zu küm-mern?«

Der Fenriswolf hob den Kopf und knurrtedrohend.

»Es ist die Jagdtaktik dieser Tiere, die eseinem Mann allein fast unmöglich macht,sich gegen sie zu behaupten«, erklärte derAtlanter. »Du weißt nie, wer von ihnenwirklich angreift und wer nur fintiert. Siesind intelligenter als jede andere Tierart, dieich kennengelernt habe.«

Atlan nahm die Bedrohung durch die Lur-che keineswegs auf die leichte Schulter.

»Was tun wir?« fragte er.»Abwarten.«»Warum greifen wir nicht an?«»Das könnte genau das sein, was sie wol-

len. Während wir uns auf diese vier Tiere da

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unten konzentrieren, rücken vielleicht vonhinten vier andere auf uns zu und erledigenuns, wenn wir am wenigsten damit rech-nen.«

»Du könntest auf sie schießen, währendich dir den Rücken decke«, schlug Atlanvor. Aber auch damit war der Atlanter nichteinverstanden.

»Ich bin nicht davon überzeugt, daß sieuns wirklich angreifen wollen«, erklärte er.»Es könnte sein, daß sie sich ein ganz ande-res Opfer ausgesucht haben. Wir müssen ab-warten, was geschieht. Wenn mich meineErinnerung nicht trügt, verbreiten diese Lur-che einen ungewöhnlich intensiven Blutge-ruch, sobald sie verletzt sind. Damit lockensie weitere Raubtiere an, und genau dasmüssen wir vermeiden.«

»Also gut«, sagte Atlan seufzend. »Ichwerde um meinen wohlverdienten Schlafkommen.«

Razamon lächelte.»Du kommst mit wenig Schlaf aus. Das

weiß ich genau. Rege dich also nicht auf.«Schweigend saßen die beiden Männer im

Gras und beobachteten die Lurche. Stundeum Stunde verstrich, ohne daß etwas gesch-ah. Als der Morgen heraufdämmerte, brüll-ten die Lurche plötzlich auf. Im Blutdschun-gel wurde es laut. Ein großes Tier verteidig-te sich gegen einige Angreifer. Der Kampfdauerte mehrere Minuten, dann flüchtete dasOpfer. Die beiden Männer auf dem Hügelsahen es durch das Dickicht rennen. Es kamauf die Lichtung heraus. Es war ein Tier, daseinem Nilpferd ähnlich war. Auf dem plum-pen Kopf erhob sich jedoch ein vierarmiges,wuchtiges Geweih, und eine zottige Mähnebedeckte Nacken und Schultern des Tieres.Die Reste von einem Lurch hingen noch imGeweih. Tiefe Bißwunden an den Flankendes Kolosses zeigten an, wie schwer derKampf gegen die Raubtiere gewesen war.

Die Lurche sahen den Angriff als geschei-tert an und verzichteten auf weitere Aktio-nen. Fluchtartig zogen sie sich in denDschungel zurück, während ihr blutendesOpfer den Hügel halb umrundete und dann

schnaufend im Dickicht verschwand.»Siehst du«, sagte Razamon. »Sie haben

uns gar nicht gemeint. Hätten wir sie ange-griffen, dann hätten wir jetzt ein Menge Är-ger.«

Er deutete auf die Schweißspur, die amFluß des Hügels entlangführte.

»Das da wird andere Bestien anlocken.Wir sollten daran denken, möglichst baldvon hier zu verschwinden.«

»Wir warten noch, bis es ganz hell ist.Dann brechen wir auf. Solange schlafe ichnoch.« Atlan legte sich ins Gras und schliefsofort ein. Etwa eine Stunde später wachteer wieder auf. Razamon hatte einige Früchtezusammengetragen, die er ihm als Frühstückreichte.

Atlan blickte zuerst zum Wolf hinüber.Fenrir hatte sich erhoben. Auf wackeligenBeinen stand er in der Mulde und verzehrteeinige Fleischbrocken, die von den erlegtenHyänen stammten. Er hatte die Krise bereitsüberwunden.

»Hoffentlich kann er uns folgen«, sagteRazamon. »Wir können ihn nicht tragen.«

»Er kann gehen. Bestimmt.«Der Tag war diesig. Die Sicht reichte

nicht weit. Die Feste Grool war nur sche-menhaft von der Kuppe des Hügels aus zusehen. Doch das genügte den beiden Män-nern, da sie nur wissen wollten, in welcheRichtung sie gehen mußten. Mit den Einzel-heiten der Feste konnten sie sich später be-schäftigen. Nun kam es erst einmal daraufan, den Blutdschungel zu verlassen und dienächsten Stunden zu überleben.

Atlan schüttelte unwillkürlich den Kopf,als er daran dachte, wie leicht alles gewesenwäre, wenn er nur einen Kombistrahler beisich gehabt hätte. Mit einer solchen kombi-nierten Energiestrahl und Paralysewaffe hät-te er leicht alle Probleme lösen können. Keineinziges Tier im Blutdschungel wäre eineechte Bedrohung gewesen, und den geheim-nisvollen Unbekannten, der sich ihnen ein-mal als Ritter, einmal als mittelalterlicherLandsknecht auf einem Motorrad präsentierthatte, hätte er mühelos paralysieren können.

Porquetor der Stählerne 11

Die beiden Männer gingen den Hügel hin-unter. Atlan blickte zu Fenrir zurück, dersich ihnen zögernd anschloß. Das Tier hatteMühe, seine Bewegungen richtig zu koordi-nieren. Es bekam sich jedoch von Schritt zuSchritt mehr unter Kontrolle, und als sie denWaldrand erreicht hatten, machte es bereitseinen kräftigeren Eindruck.

Razamon hielt seine Skerzaal schußbereitin der Hand. Atlan verzichtete darauf, dieSehne gespannt zu halten. Er war davonüberzeugt, daß er die Waffe notfalls schnellgenug einsatzbereit machen konnte.

Als sie sich dem Waldrand näherten, bliebRazamon plötzlich stehen. Er zeigte nachvorn.

»Der Ritter«, sagte Atlan überrascht.Neben einigen steil aufsteigenden Felsna-

deln stand eine schimmernde Gestalt. Sieverhielt sich völlig still.

»Nicht der Ritter«, verbesserte der Atlan-ter. »Das ist Porquetor. Sieh doch, das Vi-sier. Außerdem ist Porquetor deutlich größerals dieser …«

»Sprich weiter«, forderte der Arkonideihn auf, doch Razamon preßte die Lippenzusammen und schwieg.

Langsam arbeiteten sie sich durch das Ge-büsch voran auf Porquetor zu, jene geheim-nisvolle Gestalt, die ihnen im Kampf gegendie gefährlichen Raubschweine geholfenhatte.

»Porquetor«, rief Razamon.Die schimmernde Gestalt drehte ihnen

den Rücken zu und schritt davon. Sie ver-schwand hinter den Felsnadeln. Verblüfftblickten ihr die beiden Männer nach.

»Das verstehe, wer will«, sagte Razamon.»Ich verstehe es nicht.«

Atlan eilte zu den Felsen hinüber. Deut-lich erkannte er die Spuren, die der Gepan-zerte auf dem Boden hinterlassen hatte. Sieführten zu einem Felsspalt, der etwa dreiMeter hoch und anderthalb Meter breit war.

Fenrir kam zu dem Arkoniden. Knurrendschob er die Schnauze an der Spur Porque-tors entlang. Dann setzte er sich hin und ließden Kopf hängen.

»Folgen wir ihm?« fragte Razamon.»Ich würde ganz gern wissen, was sich

hier in den Felsen verbirgt«, antwortete At-lan. »Oder kannst du es mir sagen?«

Razamon schüttelte den Kopf. »Ich binnie hier gewesen.«

Atlan ging einige Schritte weit in denGang hinein. Dann stießen seine vorge-streckten Hände gegen ein glattes Hindernis.Er tastete es ab, bis er einen Hebel fand.Diesen legte er um. Die Wand erwies sichals Türschott. Sie glitt knirschend zur Seiteund gab den Blick auf einen dunklen Gangfrei. An der Decke befanden sich matt leuch-tende Platten, die ein dämmeriges Lichtschufen. Die Wände waren mit teils gegen-ständlichen, teils abstrakten Zeichnungengeschmückt.

»Was haben wir denn da?« fragte Raza-mon überrascht.

»Sagtest du nicht, daß nach einer altenLegende irgendwo unter dem Blutwald eineunbekannte Zivilisation bestehen soll?«

»Davon spricht man«, erwiderte der At-lanter, »doch zu meiner Zeit hatte man kei-nerlei Beweise dafür gefunden. Das kannsich natürlich im Laufe von zehntausendJahren geändert haben.«

Atlan blickte sich um. Fenrir lag im Fels-spalt. Er hatte den Kopf auf die ausgestreck-ten Vorderpfoten gelegt und beobachtete sie.

»Komm«, rief der Arkonide, doch derWolf reagierte nicht. So entschloß Atlansich, ihn zu lassen, wo er war. Das Schottließ er offen, so daß Fenrir ihnen folgenkonnte, falls er sich dazu entschloß. Zusam-men mit Razamon ging er den Weg weiter,den Porquetor zuvor auch genommen habenmußte. Einige Male blieb er stehen und legteeine Hand gegen die Wand. Dabei spürte er,daß darin kleine Spalten waren, aus denenkühle Luft strömte.

Wenig später vernahm er eine fremdartigeMusik.

Sie drang ebenfalls aus den Spalten in derWand.

Der Gang endete nach etwa hundert Meteran einer schwarzen Wand. Auch hier fand

12 H. G. Francis

sich bald ein Hebel. Atlan legte ihn um, undknirschend glitt die Wand zur Seite. Eineheiße, von fremdartigen Gewürzen durch-setzte Luft schlug ihnen entgegen. Sie blick-ten auf einen schmalen Fluß, der sich durcheine Felsschlucht schlängelte. An den Felsenwaren zahlreiche Glasbehälter befestigt, dieals Öllampen dienten. Sie schufen ausrei-chendes Licht.

Im Fluß standen tiefgebeugte, blasse Ge-stalten, die große Handsiebe schwenkten, sodaß die Erde, die sich darin befand, vomWasser ausgewaschen wurde.

»Was sind das? Goldsucher?« fragte At-lan überrascht.

Razamon gab ihm mit einer Geste zu ver-stehen, daß er weitergehen sollte. Atlan tratzwei Schritte vor. Die Wand schloß sich hin-ter ihm und dem Atlanter. Kaum war sie ein-gerastet, als hinter den Felsen zehn unter-setzte Gestalten hervorkamen und sich dro-hend vor ihnen aufbauten. Sie waren nur miteinem Lendenschurz bekleidet. Sie warenhumanoid. Auf ihren Köpfen wuchsenSchaufelgeweihe, die zu beiden Seiten biszur Höhe ihrer Oberarme ausluden. Die Ge-sichter waren scharfgeschnitten. Sie hattenzwei Augen, die für Menschen normalgroßwaren und die an der gleichen Stelle wie beiAtlan oder Razamon saßen. Darüber befan-den sich jedoch noch zwei kleine Knopfau-gen, die weiter auseinanderstanden als diegroßen Augen. Auch sie waren nach vorngerichtet.

Aus der Zahl und der Anordnung der Au-gen schloß Atlan, daß sie hervorragendeNachtseher waren.

»Legt die Waffen ab«, befahl einer vonihnen in pthorischer Sprache.

»Soweit sind wir noch nicht«, entgegneteAtlan.

»Es ist Sitte und Brauch, daß man bei unsohne Waffen kämpft. Nur die Hände undFüße sind erlaubt«, erklärte Atlans Gegen-über.

Razamon trat vor. Er legte sein Messerund die Skerzaal auf den Boden und blickteAtlan kurz an. Der Arkonide nickte ihm zu.

Er würde aufpassen, daß niemand dieseWaffen an sich brachte.

Als Razamon sich den braunen Gestaltenzuwandte, griff ihr Sprecher an. Aus demStand heraus schnellte er sich hoch undschmetterte Razamon die nackten Füße indie Herzgegend. Der Atlanter überstand die-sen Angriff nur, weil er ihm die größteWucht dadurch nahm, daß er den Oberkör-per nach hinten neigte.

Beide Männer stürzten zu Boden. Sie um-schlangen sich und wälzten sich keuchendhin und her. Dann endlich gelang es Raza-mon, die Umklammerung zu sprengen. Erschleuderte seinen Gegner bis ans Wasserzurück.

Atlan stellte verwundert fest, daß dieMänner, die im Fluß arbeiteten, auch jetztnicht aufblickten. Sie unterbrachen ihre an-strengende Arbeit nicht, sondern holten sichimmer Siebe voller Sand vom Flußufer, umdiesen dann im Wasser auszuwaschen. DaAtlan zu sehr auf den Kampf achtete, sah erzunächst noch nicht, was aus dem Sand ge-wonnen wurde.

Razamon und sein Gegner hatten sichvoneinander gelöst. Sie waren aufgesprun-gen und versuchten nun, sich mit einer Rei-he von Griff und Schlagkombinationen ge-genseitig zu überwältigen. Dem Atlanter ge-lang es schließlich, den Kampf mit einemgewaltigen Faustschlag gegen das Kinn desanderen für sich zu entscheiden.

Keuchend blieb er neben dem Bewußtlo-sen stehen und blickte die anderen Geweih-männer an, doch keiner von ihnen schien ge-willt zu sein, den Kampf fortzusetzen.

Einer von ihnen, ein hochgewachsener,fast dünn wirkender Mann, trat auf Atlan zuund streckte ihm herausfordernd die Armeentgegen. Der Arkonide legte seine Waffenab und trat auf ihn zu. Er war auf der Hut.So konnte er dem ersten Angriff entgehen,der mit einer Beinschere gegen ihn vorgetra-gen wurde.

Er wartete gar nicht erst, bis der zweiteAngriff erfolgte, sondern übernahm die In-itiative. Er setzte eine Dagorkombination an,

Porquetor der Stählerne 13

mit der er seinen Gegner aushob und ihnaufs Kreuz warf, nachdem er den Blutstromim Gehirn mit zwei blitzschnellen Handkan-tenschlägen gegen den Hals unterbrochenhatte. Der Mann blieb bewußtlos auf denFelsen liegen.

Die anderen drehten sich enttäuscht abund trotteten davon. Auch Razamons Geg-ner verschwand in den Felsen.

Atlan wollte den Mann, mit dem er ge-kämpft hatte, nicht ohne weiteres ziehen las-sen. Er blieb bei ihm, bis er wieder bei sichwar und sich aus eigener Kraft aufrichtenkonnte.

»Du gehst nicht, bevor du mir gesagt hast,warum ihr unbedingt kämpfen wolltet«, be-fahl er.

»Wolltest du denn nicht kämpfen?« fragteder Geweihmann zurück.

»Nicht unbedingt«, erklärte Atlan.»Wozu?«

»Ihr habt beide gewonnen«, erhielt er zuAntwort. »Damit habt ihr euch das Recht aufArbeit erworben.«

»Ich bin nicht gerade scharf auf Arbeit«,sagte Razamon.

»Ihr habt gekämpft, also müßt ihr arbei-ten.«

3.

Sie nannten sich Paarlen. Das war alles,was sie über sich berichteten, während Atlanund Razamon mit ihnen zu verhandeln ver-suchten. Vergeblich bemühten sich die bei-den Männer, ihnen beizubringen, daß siekeineswegs gekämpft hatten, um dann arbei-ten zu dürfen.

Aus den Felsspalten und Grotten kamenimmer mehr Paarlen hervor. Sie nahmen ei-ne drohende Haltung ein, bis Atlan schließ-lich erklärte, daß sie arbeiten würden.

»Wir haben dann Zeit, uns besser zu in-formieren«, raunte er Razamon in englischerSprache zu.

Die Paarlen waren zufrieden. Sie lächel-ten den beiden Männern freundlich zu undzogen sich zurück.

Am Ufer des Flusses lagen zwei Siebe.Atlan und Razamon nahmen sie auf, fülltensie mit Schlamm und stiegen ins Wasser.Augenblicklich fühlten sie die schwere Last.Das Wasser machte den Schlamm nochschwerer, und da sie vornübergebeugt stehenmußten, spürten sie, wie hart der Rücken be-ansprucht wurde. Atlan konnte sich nichtvorstellen, daß er lange durchstehen würde.

Er schwenkte das Sieb kräftig, um mög-lichst schnell möglichst viel Schlamm aus-zuschwemmen. Dabei spähte er zu den Paar-len hinüber, um herauszufinden, was sieüberhaupt suchten. Erst als er das vierte Siebgefüllt und wieder ausgeschwemmt hatte,bemerkte er, daß sie kirschgroße, schwarzeKlumpen ausfilterten.

»Erdöl«, sagte Razamon und legte zurSeite, was er gefunden hatte. Die Paarlenversteckten ihre Beute in kleinen Spalten amUfer. »Was wollen die mit dem Zeug?«

»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte At-lan. »Vielleicht benutzen sie es als Brenn-stoff?«

Razamon war enttäuscht. Er hatte erwar-tet, daß sie nach besonderen Kostbarkeitensuchten. Er hatte gehofft, Edelsteine oder et-was Vergleichbares zu finden.

»Verfluchte Schinderei«, sagte er ärger-lich. »Haben wir denn den Verstand verlo-ren, daß wir deshalb diese Torturen auf unsnehmen?«

»Diese Torturen, wie du es nennst, sindein Privileg«, erwiderte Atlan ironisch. DerSchweiß lief ihm in Strömen über Gesichtund Hals herunter. »Außerdem habe ich denEindruck, daß du im Lauf deines langen Le-bens vergessen hast, was Muskelarbeit ist.Du solltest vielleicht öfters so etwas ma-chen, anstatt ein Stahlbad zu nehmen.«

Razamon grinste.»Wenn ich nicht bis zu den Hüften im

Wasser stehen würde, dann würde ich direinen kräftigen Tritt in deinen edelsten Kör-perteil versetzen«, antwortete er. »Dazureicht meine Kraft immer noch.«

Ein scharfer Pfiff ertönte.Augenblicklich warfen die Paarlen die

14 H. G. Francis

Siebe weg und stiegen aus dem Fluß. Sieholten die ausgesiebten Ölklumpen aus ihrenVerstecken hervor und winkten Atlan undRazamon zu, sich zu beeilen. Die beidenMänner hatten bei weitem noch nicht sovielÖl erbeutet wie sie. Dennoch waren sie mitdem Ergebnis ihrer Arbeit zufrieden.

Ein mit bunten Tüchern, farbigen Steinenund Federn geschmückter Paarle kam aus ei-nem Felsspalt hervor. Das Geweih war mitgrünen und gelben Farben bemalt.

Er hob die Arme und schüttelte mitGlocken besetzte Scheiben, so daß es einrasselndes Geräusch gab. Dann drehte ersich mit erhobenen Armen um und schrittwürdevoll vor ihnen her. Die Paarlen schlos-sen sich ihm sofort an. Diszipliniert blieb ei-ner hinter dem anderen. Atlan und Razamondiskutierten flüsternd miteinander. Atlanschlug vor, sich nach draußen abzusetzenund sich nicht weiter um das rätselhafte Ge-schehen in diesen Höhlen zu kümmern. Raz-amon jedoch war dafür, zu klären, was hiergeschah.

»Irgendeinen Sinn muß dies hier alles ha-ben«, sagte er. »Es dauert gewiß nicht lange,bis wir herausgefunden haben, was das allessoll. Soviel Zeit haben wir noch. Außerdembenötigt Fenrir eine Pause. Gönnen wir sieihm doch.«

Atlan war einverstanden. Sie fügten sichin die Reihe der Paarlen ein und folgten demPriester, der sie durch eine Reihe von Gän-gen und Grotten führte. Atlan stellte fest,daß die Felsen kaum bearbeitet worden wa-ren. Alles war so geblieben, wie die Natur esgeschaffen hatte. Das war ein eindeutigerBeweis dafür, daß sie es mit einer primitivenKultur zu tun hatten. Dazu paßten lediglichdie Einrichtungen am Eingang der Höhlenicht. Die Schotte und der Gang konntennicht von den Paarlen angelegt worden sein.Nachdem sie etwa eine halbe Stunde langmarschiert waren, erreichten sie ein Gewöl-be, das etwa dreißig Meter hoch, vierzigMeter breit und hundert Meter lang war. Anden Wänden steckten überall brennendeFackeln in hölzernen Halterungen. Kleine

Hütten waren als Unterkünfte für die Paarlenerrichtet worden. Große, getrocknete Blätterund Holzstangen dienten als Baumaterial.

Vor den Hütten kauerten in dicke Deckengehüllte Frauen. Sie hatten im Gegensatz zuden Männern kein Geweih.

Der Priester führte die Ölwäscher durchdas Gewölbe zu einer etwa fünf Meter brei-ten Tür. Zwei halbwüchsige Jungen schobendie Tür zur Seite. Dahinter wurde eine Holz-bahn sichtbar, die ungefähr anderthalb Meterbreit war und in der Mitte eine tiefe Kerbehatte. Direkt hinter der Tür am Anfang derHolzbahn befand sich ein großer Dorn.

Die Paarlen jubelten, als sie die Holzbahnsahen.

»Was soll das?« fragte Razamon. »Kannstdu dir darunter etwas vorstellen?«

»Wenn die Bahn nicht leicht anstiege,würde ich sagen, es ist eine schlecht gebauteKegelbahn«, antwortete Atlan. »Allerdingsweiß ich nicht, was die Kerbe soll.«

»Wir werden es erfahren.«Der Priester sammelte nun mit einem

Topf die Ölklumpen ein, die die Paarlen aus-gewaschen hatten. Er überreichte dafür je-dem Wäscher kleine Holzstäbchen, wobeideren Zahl sich nach der Zahl der Klumpenrichtete. Razamon und Atlan erhielten nurjeder zwei Stäbchen. Die Ausbeute der Ar-beit im Fluß wanderte nun zu einem offenenFeuer. Der Priester hängte den Topf darüberauf. Die Frauen eilten herbei, gossen ver-schiedene Flüssigkeiten dazu und warfen ei-nige Kräuter hinein, so daß sich bald einstark riechendes Gebräu entwickelte.

Während die Paarlen diesen Vorgang mitleisen Gesängen begleiteten, flüsterte Raza-mon Atlan zu: »Hoffentlich müssen wir dasGebräu nicht trinken.«

»Wieso? Magst du kein Erdöl?«»Ich habe sonst nichts gegen Cocktails,

aber dieser dürfte absolut ungenießbar sein.«Die Befürchtungen des Atlanters erwiesen

sich jedoch als unbegründet. Der Priesternahm den bis zum Rand gefüllten Topf vomFeuer und goß das Gebräu durch ein Sieb, sodaß Unreinheiten ausgefiltert wurden und ei-

Porquetor der Stählerne 15

ne klare Flüssigkeit übrig blieb.Diese verteilte er nun an die Wäscher,

wobei er sie in kleinere Gefäße umfüllte.Kaum hatte der erste Paarle das für ihn

bestimmte Gefäß entgegengenommen, als ersich auch schon umdrehte und in den Ganglief. Dumpf hallten seine Schritte von derHolzbahn wider. Da dieser Gang nur am An-fang durch zwei Fackeln erhellt wurde, ver-schwand der Mann rasch im Dunkel.

Atlan erwartete nun, daß die anderenPaarlen ihm folgen würden, sobald auch sieihre Portion erhalten hatten. Das war jedochnicht der Fall. Sie stimmten vielmehr einenkämpferischen Gesang an und bildeten einenHalbkreis, so daß jeder in den Gang sehenkonnte.

Nach etwa fünf Minuten kehrte der erstePaarle daraus zurück. Er kroch über den Bo-den und rieb die Kerbe in der Mitte derHolzbahn mit dem Schmiermittel ein, dasder Priester gebraut hatte. Die letzten Trop-fen vergoß er unmittelbar am Dorn.

Als er das Gefäß abstellte, blickte er sichprüfend um, dann winkte er drei anderePaarlen zu sich heran. Zusammen mit ihnenverschwand er wieder im Dunkel. DiesesMal kehrte er schon nach etwa einer Minutewieder zurück. Schritt für Schritt kämpfte ersich mit den anderen voran. Sie zerrten einstraff gespanntes, silbern schimmerndesBand hinter sich her. Je näher sie dem Dornkamen, desto langsamer kamen sie voran.

Nun eilten ihnen zwei weitere Paarlen zuHilfe, und mit ihnen zusammen gelang es ih-nen, das Band über den Dorn zu legen.

Razamon lachte leise.»Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist

das so eine Art Maxi-Skerzaal.«Die Paarlen schleppten einen mit Nägeln

versehenen Bolzen heran. Das Geschoß waretwa einen Meter lang und zehn Zentimeterdick. Sie legten es vor den Dorn.

Der Priester schrie schrill auf, wobei ersich mit der flachen Hand vor die Lippenschlug.

Einige Männer rissen Tücher von derWänden. Dahinter wurde ein großes Spei-

chenrad sichtbar. Sie drehten es einige Maleherum, und knirschend schob sich ein unge-fähr vier Meter breites Stück Fels zur Seite.Durch den entstehenden Spalt konnte Atlandirekt auf die Feste Grool sehen.

Die Paarlen, die das Öl ausgewaschenhatten, drängten sich vor diesem Spalt zu-sammen. Der Priester gab einem von ihnenein Zeichen, und der Mann schlug den Dornmit einem Hammer zur Seite. Ein scharferKnall ertönte, als die Sehne gegen den Bol-zen schlug und diesen vor sich her trieb. Errutschte quietschend und polternd in derKerbe entlang und verschwand im Dunkeldes Ganges. Sekunden später sah Atlan ihnwieder. Er flog mit hoher Geschwindigkeitauf die Feste Grool zu, wobei er sich immerwieder überschlug.

Der Nebel hatte sich gehoben, so daß erdie Feste recht gut sehen konnte. Sie glicheinem riesigen Zuckerhut. Aus ihrer Spitzeragten einige antennenartigen Gebilde her-vor. Aussichtsfenster führten spiralförmigum sie herum. Und zwei Kugeln flankiertensie wie zwei Beiboote. Sie schienen sich angroßen Dornen, die aus dem Zuckerhut her-vorragten, selbst aufgespießt zu haben.

Das Geschoß prallte gegen die untere derbeiden Kugeln und glitt wirkungslos daranab. Dennoch brüllten die Paarlen vor Begei-sterung über diesen Treffer, als hätten siedamit bereits die ganze Feste in Trümmergelegt.

Nun eilte der zweite Paarle in den Ganghinein, und alles wiederholte sich. Erschmierte die Kerbe jedoch offensichtlichnicht sorgfältig genug, denn der von ihm ab-gefeuerte Bolzen erreichte die Feste Groolnicht. Dennoch bejubelten die anderen denBeschuß kaum weniger begeistert als den er-sten.

Auch die darauf folgenden Bolzen richte-ten nicht den geringsten Schaden an. Einigetrafen die Feste Grool, einige wirbelten dar-an vorbei, und wiederum andere erreichtensie gar nicht erst. Atlan traf, erzielte jedochkeine Wirkung. Ebenso war es bei Razamon.Er war der letzte, der schießen durfte.

16 H. G. Francis

Danach ließ der Priester die Öffnung wie-der schließen. Die Paarlen tanzten wie imRausch. Sie umarmten sich und lachten, alshätten sie einen epochalen Sieg erzielt. Siebezogen auch Atlan und den Atlanter in ihreSiegesfeier mit ein, als seien diese beidenschon seit Jahren Mitglied ihrer Gemein-schaft.

Frauen schleppten schwere Gefäße mit ei-nem süßlich riechenden Getränk herbei. DieMänner tranken gierig, und schon nach Mi-nuten trat die berauschende Wirkung ein.Atlan und sein Begleiter taten nur so, als obauch sie sich eifrig bedienten. Beide fandenden Geschmack dieser Flüssigkeit jedoch sounangenehm, daß sie nur ein paar Tropfendavon über die Lippen brachten. Die Paarlenmerkten es nicht.

Schwärmerisch prahlten sie mit ihren Ta-ten. Jeder von ihnen wußte genau, wie dasvon ihm abgefeuerte Geschoß geflogen war,und wo es aufgeprallt war. Und sie alleschienen fest davon überzeugt zu sein, daßdie Bewohner der Feste Grool nun so einge-schüchtert und verängstigt waren, daß sieauf Wochen hinaus kampfunfähig waren.

»Warum kämpft ihr gegen die FesteGrool?« fragte Atlan, als er einmal für einpaar Minuten mit dem Priester allein war.

»Die Feste ist der Sitz der bösen Geister«,antwortete der Paarle, der kaum noch Herrseiner Zunge war. »Und wir, als die Vertre-ter der höchsten Kultur auf Pthor, haben dieheilige Pflicht, sie zu bekämpfen.«

»Es gibt keine höher entwickelte Kulturauf Pthor?« fragte der Arkonide amüsiert.

»Natürlich nicht«, erwiderte der Priesterbestimmt. »Hast du nie von der Legende ge-hört, daß unter dem Blutdschungel einehochentwickelte Kultur besteht? Daß hierdas mächtigste und intelligenteste Volk desUniversums lebt?«

»Ich hörte davon.«»Nun, wir sind dieses Volk«, erklärte der

Paarle stolz. Er legte beide Hände gegen dienackte Brust und lächelte verschmitzt.»Dabei war es gar nicht schwer, es zu wer-den.«

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte At-lan behutsam.

»Wir sind einfach hinuntergegangen undhaben diese Höhlen besetzt«, erläuterte derPriester. »Seitdem ist die Legende Wirklich-keit geworden.«

Er nickte Atlan zu, erhob sich und gingschwankend davon. Razamon lachte leise.

»Siehst du«, bemerkte er. »So einfach istes, das mächtigste und intelligenteste Volkdes Universums zu werden. Du brauchst nurin eine Höhle zu klettern und so tun, als seistdu derjenige, von dem die Legende erzählt,und schon hast du es geschafft.«

»Ich schlage vor, daß wir uns zurückzie-hen«, sagte Atlan. »Wer weiß, ob man unsnoch freiläßt, wenn alle ihren Rausch ausge-schlafen haben. Und einige Stunden im Flußals Ölwäscher reichen mir außerdem voll-kommen.«

»Einverstanden«, entgegnete Razamon.»Es führt zu nichts, wenn wir noch längerbleiben.«

Die beiden Männer erhoben sich undschlenderten durch die Höhle. Dabei ent-fernten sie sich immer mehr von den Paar-len, die sich das Recht erkämpft hatten, aufdie Feste Grool zu schießen. Niemand hieltsie auf.

»Hast du eigentlich verstanden, weshalbsie die Feste angreifen?« fragte der Atlanter.

»Sicher«, antwortete Atlan. »Weil sie daist. Das ist alles. Sie schießen auf die Feste,weil sie dieses Riesenkatapult hier in denHöhlen vorgefunden haben, und weil es ge-rade auf die Feste gerichtet war. Würde esauf etwas anderes zielen, würden sie auf et-was anderes schießen und sich einbilden,das sei wichtig.«

Die Menge der Paarlen blieb hinter ihnenzurück. Sie eilten schneller durch die Gängeund Grotten. Nur selten einmal blieben siestehen, um kurz darüber zu diskutieren, wel-chen Weg sie nehmen sollten, wenn sich ih-nen mehrere Möglichkeiten boten. Baldschon hörten sie den Fluß rauschen.

Atlan zog Razamon plötzlich in eine Ni-sche. Er legte den Finger vor die Lippen.

Porquetor der Stählerne 17

Und dann hörte der Atlanter es auch.Schritte näherten sich ihnen. Metall klirr-

te.»Das könnte Porquetor sein«, sagte Atlan.Sie zogen sich noch etwas weiter ins Dun-

kel zurück und warteten. Etwas eine Minuteverstrich, dann eilte Porquetor an ihnen vor-bei. Sie hielten sich versteckt, da sie keiner-lei Risiko eingehen wollten.

»Wir müssen wissen, was er hier treibt«,flüsterte Atlan, als die metallene Gestalt anihnen vorbeigelaufen war. »Folgen wirihm.«

Razamon nickte nur.Lautlos schritten sie hinter ihm her. Sie

schlossen immer nur so weit zu ihm auf, daßsie ihn hören konnten.

Porquetors Ziel war das große Gewölbe,in dem die Paarlen feierten. Als er es er-reichte, begannen die Paarlen zu schreien.Metall klirrte. Einige der Männer versuchtenoffensichtlich, sich gegen Porquetor zu be-haupten.

Kleine Gestalten huschten an Atlan undRazamon vorbei. Sie verschwanden flucht-artig in den Felsspalten.

»Wir wissen genug«, sagte der Arkonide.»Damit haben wir nichts zu tun. Ich schlagevor, daß wir verschwinden.«

Sie flüchteten durch die Gänge und Grot-ten bis zum Fluß zurück, so daß sie von demKampflärm bald nichts mehr hörten.

»Hoffentlich hat er Fenrir in Ruhe gelas-sen«, sagte Razamon, als Atlan das Aus-gangsschott öffnete. Sie eilten über den mitZeichnungen geschmückten Gang weiter.Auch das zweite Schott setzte ihnen keinenWiderstand entgegen. Es glitt zur Seite, alsAtlan den Hebel berührt hatte.

Winselnd kam ihnen der Wolf entgegen.Atlan streckte ihm die Hand hin, und Fenrirleckte sie dankbar.

*

Es war abzusehen, daß sie die Feste Groolvor Einbruch der Dämmerung nicht mehr er-reichen würden. Atlan und Razamon wan-

derten am Waldrand entlang. Das Geländewar hügelig, dennoch aber recht übersicht-lich. Fenrir trottete hinter ihnen her. Er hatteeinige kleinere Tiere erlegt und gefressen,und er hatte auch reichlich Wasser zu sichgenommen. Er erholte sich schnell.

»Wir sollten rechtzeitig ein Lager auf-schlagen und Feuer machen«, empfahl Raza-mon. »Wenn wir das Lager rechtzeitig vor-bereiten, gibt es auch keine Schwierigkei-ten.«

Atlan war einverstanden. Auf offenemGelände machten sie zwischen einigen Hü-geln ein Feuer und legten danach vier weite-re Feuerstellen an, die ihr Lager nach außenhin begrenzten. Darüber hinaus schichteteRazamon trockenes Holz auf, so daß sie inder Nacht nicht danach suchen mußten. Mitseiner Skerzaal erlegte er ein kleines Tier,das eine starke Ähnlichkeit mit einem Rehhatte. Er weidete es aus und hängte es aufein Gestell.

Atlan beobachtet, daß Fenrir einige ge-fährlich aussehende Tiere aus der Nähe desLagers vertrieb. Systematisch suchte derWolf die Umgebung ab. Erst nach einerStunde war er zufrieden. Er kehrte zu denbeiden Männern zurück und legte sich nebenAtlan auf den Boden.

»Gut gemacht«, lobte der Arkonide.Fenrir blickte ihn an, und ein Leuchten in

seinen Augen zeigte Atlan an, daß er ihnverstanden hatte.

Razamon sprang plötzlich auf und blicktein die Dunkelheit hinaus. Ein Scheinwerfernäherte sich ihnen. Das Licht tanzte in derFerne auf und ab, und allmählich wurde dasdumpfe Brummen eines Motors hörbar.

Razamon setzte sich wieder, nachdem ererkannt hatte, daß er noch etwas Zeit hatte.Er griff zu seiner Skerzaal und spannte sie.Atlan sah, wie seine Lippen zuckten. Erschwieg. Er war entschlossen, Razamon die-ses Mal keine Fragen zu stellen. Wenn derFreund nicht über den Unbekannten spre-chen wollte, dann wollte er auch keine Neu-gier zeigen.

Minuten später war der Fremde bereits

18 H. G. Francis

auf Schußweite heran. Er fuhr direkt auf dasLager zu. Razamon legte sich einige Meterseitlich von einem Feuer auf den Boden, woer schwer auszumachen war. Er wartete mitangeschlagener Schußwaffe.

Der Motorradfahrer begann mit seltsamenManövern. Er fuhr einige Male um einenHügel, raste über Bodenkuppen hinweg, sodaß er mehrere Meter weit durch die Luftflog, blieb mit heulendem Motor auf derStelle stehen oder arbeitete sich steile Hängehinauf, wobei er Mühe hatte, das Gleichge-wicht zu halten.

Dann aber fuhr er wieder auf das Lagerzu.

Atlan hörte Razamon atmen. Der Atlanterwurde ungeduldig.

Der Unbekannte beschleunigte plötzlich.Er schoß förmlich aus der Dunkelheit her-vor. Als er das erste Feuer passierte, sah At-lan, daß er einen feuerroten Sturzhelm trug.Das Gesicht verbarg er hinter einer dunklenScheibe. Ein enganliegender Lederanzugumspannte den Körper. Die Füße steckten inlangen Lederstiefeln.

Fenrir winselte. Er drückte den Kopf aufden Boden. Mit weit geöffneten Augen be-obachtete er die seltsame Erscheinung.

Razamon richtete sich ein wenig auf.Deutlich sah Atlan, wie er aus nächster Näheauf den Motorradfahrer schoß, und er glaub-te, den Bolzen sehen zu können, wie er aufden Mann zuflog.

Als der Fremde etwa zwei Meter nebenAtlan war, verschwand er plötzlich.

Der Bolzen fiel irgendwo weitab von denFeuerstellen wirkungslos ins Gras.

Razamon sprang auf. Sein Gesicht warvon Haß entstellt. Fassungslos blickte er aufdie Stelle, an der der Motorradfahrer ebennoch gewesen war. Er ging zögernd dorthin,wo der Fremde verschwunden war, knietesich auf den Boden und untersuchte dieSpur.

In diesem Moment heulte zwei Schritteneben ihm der Motor des Rades auf. DerFremde erschien aus dem Nichts heraus undsetzte seine Fahrt in der gleichen Richtung

fort, als sei nichts geschehen. Er verschwandin der Dunkelheit zwischen den Hügeln. At-lan sah das Rücklicht der Maschine noch ei-nige Male auftauchen. Dann wurde es still.

Atlan blickte Razamon an.Der Atlanter kniete noch immer auf dem

Boden. Er hielt die Augen geschlossen. Sei-ne Lippen zuckten. Er hatte sichtlich Mühe,diese Niederlage zu verwinden.

4.

Auf den Hügeln vor der Feste Grool stan-den zahllose windmühlenähnliche Gebilde.Die Flügel drehten sich im heißen Wind, deraus dem Wüstengebiet Fylln wehte.

Als sie bis auf etwa hundert Meter an dieerste Windmühle herangekommen waren,konnten sie kleine Kästen sehen, die sich imZentrum der Windräder befanden. Von ih-nen führten Kabelstränge nach unten, wo siesich mit anderen Kabeln vereinigten. EinHauptkabel führte aus dem Gebiet derWindmühlen zur Feste Grool hin.

»Elektrizität für die Feste«, sagte Raza-mon. »Einfach, aber wirksam.«

»Vorausgesetzt, es weht der Wind«, fügteAtlan hinzu. »Auf jeden Fall kommt nichtviel elektrische Energie dabei heraus.«

»Vielleicht genügt das für die Feste.«Auf Tieren, die Atlan an weiße, gepanzer-

te Stiere erinnerten, ritten hochgewachsene,dunkelhäutige Männer zwischen den Wind-mühlen umher. Sie bewachten die Anlagenund nahmen Reparaturen vor, wo sie not-wendig waren.

»Kennst du sie?« fragte Atlan.»Ich komme nicht auf ihren Namen«, er-

widerte Razamon und schnippte mit denFingern, als könne ihm das helfen, die Erin-nerung wieder aufzufrischen.

Sie standen hinter einigen Büschen, sodaß sie von den Wächtern nicht sogleichentdeckt wurden.

»Was tun wir?« fragte Atlan.»Marschieren wir mittendurch oder schlagenwir einen weiten Bogen?«

Razamon hob unentschlossen die Schul-

Porquetor der Stählerne 19

tern.»Ich weiß nicht, wie sie reagieren wer-

den.« Sein Gesicht hellte sich auf. »Jetztweiß ich, wer sie sind. Es sind Dalazaaren.Ich schätze, daß Porquetor sie dazu gebrachthat, hier Dienst zu tun.«

Die Dalazaaren waren überwiegendschlank. Sie trugen das Haar lang, so daß esbis auf den Rücken der Stiere herabfiel. Siekleideten sich mit grob zusammengenähtenLedersachen, die den Eindruck machten, alsseien sie aus der dicken Haut der Stiere ge-fertigt.

»Ich schlage vor, daß wir durch die WüsteFylln ausweichen und diese Gegend auf die-se Weise umgehen«, sagte Atlan.

»Einverstanden«, erwiderte Razamon undwandte sich um. Im gleichen Moment schrieer auf. Atlan fuhr herum. Er sah, daß einDalazaar sich mit erhobenem Messer aufRazamon warf. Dieser fing ihn mit einemeinzigen Schlag ab. Er traf ihn in der Herz-gegend. Es hallte dumpf, als die Faust auf-prallte, und der Dalazaar stürzte betäubt zuBoden.

Unmittelbar darauf jagten zwei weitereWächter auf ihren Stieren heran. Sie stießenbeide Arme drohend in die Luft und schriengellend. Dadurch machten sie die anderenDalazaaren aufmerksam, so daß eine Fluchtfür Atlan und Razamon aussichtslos wurde.

»Wir zeigen es ihnen«, sagte der Atlanterentschlossen. »Wir bringen ihnen Respektbei.«

Die Dalazaaren versuchten, sie mit ihrenStieren umzurennen. Mit vollem Tempo ra-sten sie auf sie zu. Die Stiere senkten ihreKöpfe, um sie mit den weit ausladendenHörnern umzureißen.

Unter diesen Umständen hatte es keinenSinn, sich dem Kampf sofort zu stellen. At-lan und Razamon trennten sich um einigeMeter, damit sie genügend Platz für ein Aus-weichmanöver hatten. Als die Stiere heranwaren, warfen die beiden Männer sich weitzur Seite. Atlan verspürte einen Schlag amFuß. Er überschlug sich zweimal, bevor er ineinem Blumenbusch landete. Eine Wolke

von betäubend riechenden Sporen hüllte ihnein. Er hielt den Atem an, bedeckte das Ge-sicht mit dem Unterarm und rollte sich ausdem Busch hervor. Seine Augen tränten, sodaß er für einige Sekunden nichts sehenkonnte. Nur schemenhaft erkannte er denStier, der sich ihm näherte.

Zur Seite! befahl ihm sein Logiksektor. Erhandelte, ohne nachzudenken, als er aber-mals zu Seite sprang.

Um Zentimeter nur verfehlten ihn dieHörnerspitzen. Ein Messer wirbelte durchdie Luft und bohrte sich ihm in die Schulter.

Atlan riß es heraus und schleuderte esweit von sich.

Endlich beruhigten sich seine Augen, sodaß er wieder besser sehen konnte. Razamonwar es gelungen, seinen Gegner vomRücken des Stieres zu zerren. Er kämpftemit ihm, wobei er Mühe hatte, dem immerwieder blitzschnell zustoßenden Messer aus-zuweichen.

Atlans Gegner riß seinen Stier herum undtrieb ihn erneut an. Das Tier stürmte schnau-bend auf den Arkoniden zu.

Dieser beobachtete den Dalazaaren, dernun waffenlos war. Aus seiner Haltungschloß er, daß er abermals versuchen wollte,ihn umzurennen. Atlan ging tief in die Knie.Er wartete ab. Seine Muskeln spannten sich.

Der Stier näherte sich ihm rasend schnell.Er hielt den Kopf so tief, daß das Gras gegendie Nüstern peitschte. Als er etwa zwei Me-ter von Atlan entfernt war, schnellte sichdieser in die Höhe. Der Stier rannte mit un-verminderter Geschwindigkeit weiter underreichte den Arkoniden, noch bevor eineSekunde verstrichen war.

Der wuchtige Kopf flog nach oben. Atlanbefand sich jedoch noch hoch über ihm. DieHörner erreichten ihn nicht.

Der Dalazaar saß hoch aufgerichtet aufdem Rücken des Stieres. Mit weit aufgeris-senen Augen blickte er Atlan an. Unwillkür-lich streckte er die Arme aus, doch den Zu-sammenprall konnte er nicht verhindern. At-lan saß plötzlich vor ihm auf dem Rückendes Stieres. Ihre Körper schlugen krachend

20 H. G. Francis

gegeneinander. Der Dalazaar flog in weitemBogen vom Rücken des Stieres. Atlan konn-te sich allerdings auch nicht mehr halten. Erblieb nicht, wie er gehofft hatte, auf demStier, sondern rutschte über dessen Hinter-hand herunter. Er stürzte ins Gras.

Das Tier stürmte brüllend weiter. Es rastein Richtung der Wüste davon und ver-schwand hinter den Hügeln.

Atlan sprang auf und stürzte sich auf denDalazaaren, der ihn entsetzt anblickte. Erwirbelte ihn herum, riß ihm die Hände nachhinten und hielt ihn wie einen Schild vorsich, um so die nun heranstürmenden Dala-zaaren davon abzuhalten, ihn in gleicherWeise anzugreifen wie die beiden ersten.

Doch schon Sekunden später mußte er er-kennen, daß die Dalazaaren gar nicht darandachten, auf das Leben des GefangenenRücksicht zu nehmen. Fünf Windmühlen-wächter rasten dicht nebeneinander auf ihrenStieren heran.

Der Dalazaar in Atlans Armen schrie ih-nen in panischer Angst Befehle zu. Er flehtesie an, doch sie ließen sich nicht von ihremPlan abbringen.

Atlan schleuderte den Gefangenen zurSeite. Er riß sich die Skerzaal von der Schul-ter, legte sie an, und schoß. Der Bolzendurchschlug die Stirn eines der Stiere undfällte ihn. Der Reiter flog im hohen Bogendurch die Luft und stürzte zu Boden.

Razamon feuerte seine Skerzaal ebenfallsab, und auch er traf so gut, daß der Stier zu-sammenbrach.

Auf diese Weise schufen sich die beidenMänner eine ausreichend große Lücke. Be-vor die Dalazaaren entsprechend reagierenkonnten, rannten Atlan und Razamon auf siezu und sprangen über die getöteten Tierehinweg. Links und rechts von ihnen jagtendie Stiere mit ihren Reitern vorbei.

Sie versuchten sofort, ihre Tiere herumzu-werfen. Doch die Stiere waren viel zuschwerfällig, um rasch genug auf die Befeh-le der Reiter eingehen zu können. Sie rann-ten etwa vierzig Meter weiter, wurden erstdann deutlich langsamer und drehten sich

zögernd um.»Verdammt noch mal«, schrie Razamon

triumphierend. »Ich hätte nicht gedacht, daßsie ausgerechnet an der Stirn so leicht ver-letzbar sind. Ihre Panzerung sieht aus, alskönne sie nur von Thermo-Raks oder einemEnergiestrahl durchbrochen werden.«

»Das ist bei den meisten so, die eine dickeHaut haben«, entgegnete Atlan lächelnd.»Es sieht nur so aus, als könne man sie nichtverletzen.«

Die Dalazaaren berieten miteinander.»Sie haben Angst um ihre Tiere«, stellte

Atlan fest.»Uns hilft das leider nicht viel«, entgeg-

nete Razamon. Er deutete auf eine Gruppevon zwanzig Dalazaaren, die sich ihnen aufStieren näherten.

»Wir sollten versuchen, einen Stier zu be-kommen«, schlug Atlan vor. »Vielleicht ge-horchen uns die Tiere.«

»Eine gute Idee«, stimmte der Atlanter zu.Die Dalazaaren sprangen von ihren Reit-

tieren und liefen auf Atlan und Razamon zu.Sie hielten Messer in den Händen. Mit ihrerHilfe gedachten sie, den Kampf schnell zubeenden.

Die beiden Freunde warteten ab, bis dieWächter bis auf wenige Schritte an sie her-angekommen waren, dann rannten sie aufein Zeichen des Arkoniden los. Die Dalazaa-ren blieben stehen, um sie zu empfangen.Atlan und Razamon wirbelten ihre Skerzaalsum den Kopf und griffen an. Die Wächterwichen aus, um von den Kolben der Waffennicht getroffen zu werden. Sie erwarteten,daß ihre beiden Gegner nun stehenbleibenund sich dem Kampf stellen würden. Atlanund Razamon aber liefen weiter. Bevor dieDalazaaren begriffen hatten, was sie beab-sichtigten, hatten sie die Stiere erreicht. DieTiere schnaubten nervös, griffen sie jedochnicht an. Atlan und seine Begleiter schwan-gen sich auf den Rücken von zwei Stierenund hieben ihnen die Fersen in die Flanken.

Die Stiere reagierten anders als erwartet.Sie schnellten sich hinten hoch und schleu-derten die beiden Männer nach vorn. Weder

Porquetor der Stählerne 21

Atlan noch Razamon konnten sich halten.Sie stürzten ins Gras. Sie flüchteten vor denHufen und den Hörnern der Tiere, wurdenjedoch wider Erwarten nicht verfolgt.

Die Dalazaaren aber nutzten die Chance.Sie warfen sich auf Atlan und Razamon, wo-bei sie tatkräftige Unterstützung von weite-ren Wächtern erhielten. Atlan versuchte,sich mit einigen Dagortricks zu befreien,doch es gelang ihm nicht. Drei Treffer amKinn schalteten ihn aus.

Razamon konnte sich einige Sekundenlänger behaupten, weil er bedeutend kräfti-ger war als der Arkonide. Doch dann warder Kampf auch für ihn zu Ende. Währender zu Boden stürzte, wurde ihm noch be-wußt, daß er bei allem Pech Glück gehabthatte. Die Dalazaaren hatten ihre Messernicht eingesetzt, als sie erkannt hatten, daßsie klar überlegen waren.

*

Als Atlan wieder zu sich kam, war Raza-mon schon auf den Beinen. Er stand an ei-nem vergitterten Fenster und blickte hinaus.Als der Arkonide sich erhob und sich dabeistöhnend an den Kopf griff, drehte er sichum.

»Ich dachte, ein Zellaktivator sorgt dafür,daß man keine Schmerzen hat«, sagte erspöttisch.

»Das ist auch richtig«, entgegnete Atlan.»Doch das richtet sich immer danach, wie-viel man abbekommen hat.«

Razamon pfiff schrill durch die Zähne.»So war das also«, sagte er. »Während ich

mich noch meiner Haut wehrte, hast du ein-fach die Augen zugemacht, um deine Ruhezu haben.«

»Genauso«, antwortete Atlan. »Und dabeimuß ich wohl eingeschlafen sein.«

Razamon lächelte flüchtig. Er deuteteüber die Schulter zurück zum Fenster hin.

»Soeben reitet einer der Burschen zur Fe-ste Grool. Ich vermute, um dort Bescheid zusagen.«

»Das hätten wir doch auch übernehmen

können«, sagte Atlan und blickte zum Fen-ster hinaus. Sie befanden sich in einem Ge-bäude, das mitten im Feld der Windmühlenlag. Er erinnerte sich daran, einen relativkleinen Bau gesehen zu haben, zu dem zahl-reiche Kabel hinliefen.

Am Rande des Feldes bewegte sich etwas.Fenrir tauchte aus einem Gebüsch auf undlief unschlüssig hin und her. Er hatte nicht inden Kampf eingegriffen, weil er zu schwachwar. Atlan war nicht enttäuscht darüber, daßder Fenriswolf geflüchtet war, als die Dala-zaaren angegriffen hatten. Er hatte nichts an-deres erwartet. Angesichts des jämmerlichenZustands, in dem er sich befand, hätte Fenrirkaum etwas Vernünftigeres tun können. Beiihm hätten die Windmühlenwächter sicher-lich nicht darauf verzichtet, den Kampf mitdem Messer zu entscheiden.

In unmittelbarer Nähe des Gebäudes hieltsich niemand auf. Atlan ging zur Holztürund rüttelte daran. Sie war von außen mit ei-nem Riegel versperrt. Die Wände bestandenaus dicken Holzbalken. Durch einen Spalt inder Wand konnte der Arkonide in einen Ne-benraum sehen. Dort standen einige Maschi-nen. Daneben war allerlei Gerümpel in demRaum enthalten. Auch in dem Raum, in demAtlan und Razamon sich befanden, lag altesGerät herum. Atlan prüfte alles, was aufdem Boden lag. Eine alte Schaufel setzte erals Hebel an die Tür. Er konnte sie damit je-doch nicht aufstemmen. Die Schaufel brachab.

Razamon verfolgte diese Aktionenschweigend. Erst als Atlan die zerbrocheneSchaufel zur Seite warf, sagte er: »Wasglaubst du eigentlich, was ich getan habe,während es bei dir noch dunkel war?«

»Du hast also aufgegeben«, stellte Atlanfest.

Razamon preßte ärgerlich die Lippen zu-sammen.

»Ich habe nicht aufgegeben«, erwiderte erscharf. »Ich weiß jedoch, daß es auf dieseWeise nicht geht.«

Vorsicht! warnte der Logiksektor. Wenner in diesem engen Raum zu toben beginnt,

22 H. G. Francis

bist du das Opfer.»Was schlägst du vor?« fragte Atlan ru-

hig.»Wir sollten warten, bis Porquetor

kommt.«Damit war Atlan nicht einverstanden. Er

war nicht bereit, einfach nur abzuwarten undanderen die Initiative zu überlassen. Er sahsich im Raum um. Dicht unter der Deckeliefen mehrere armdicke Stromkabel ent-lang.

Das ist der Ausweg, signalisierte der Ex-trasinn.

Bevor Atlan dazu kam, weiter darübernachzudenken, stöhnte Razamon laut auf. Erstand am Fenster und blickte hinaus. Der Ar-konide ging zu ihm und stellte sich hinterihn.

Fünfzig Meter von ihnen entfernt standein Mann in einem silbrig schimmerndenRaumanzug aus den Pionierjahren derRaumfahrt. Der Raumhelm umschloß seinenKopf. Die Sichtscheibe war mit einer spie-gelnden Goldfolie versehen, so daß Atlandas Gesicht dahinter nicht sehen konnte.

Mit schwerfälligen Bewegungen mar-schierte die Gestalt auf das Gebäude zu, indem die beiden Männer gefangengehaltenwurden. Razamons Hände fuhren vor. Sieumklammerten die Gitterstäbe vor dem Fen-ster.

Atlan trat einen Schritt zurück. Er beob-achtete den Atlanter, der sich zusehendsmehr erregte.

Wieder fragte er sich, was das alles zu be-deuten hatte. Welches Geheimnis verbandRazamon mit diesem Unbekannten, der ih-nen in ständig wechselndem Aufzug begeg-nete? Wer war dieser Unbekannte?

Das Geheimnis reichte über mehr alszehntausend Jahre hinweg. Es hatte seineWurzel in jener Zeit, als Razamon noch aufAtlantis gelebt hatte.

Razamon hatte in dieser Zeit zu den Ber-serkern gehört, die von Pthor aus Erobe-rungsfeldzüge unternommen hatten. Bei sei-nem letzten Besuch auf der Erde hatte ereinen Fehler gemacht, der zu seiner Verban-

nung geführt hatte. Der Fehler war gewesen,menschliches Gefühl zu zeigen, ein Gefühl,das nicht in das Charakterbild der Berserkerpaßte.

Hatte ihn nun seine Vergangenheit wiedereingeholt? Gehörte jener Fremde da draußenzu den Berserkern? Kam er immer wieder,um Razamon leiden zu lassen?

Und erinnerte sich Razamon wirklich vollan das, was ihn mit dem Unheimlichen ver-band? Zu seiner Verbannung hatte eine fastvöllige Amnesie gehört, so daß er zwarPthora sprechen konnte, aber nicht mehr vielüber die Verhältnisse auf Pthor wußte. Erkannte sein Schicksal und auch dessen Ver-ursacher. Reichte sein Wissen aber tatsäch-lich soweit, daß er diesen Maskierten ein-deutig identifizieren konnte? Genügte dazuder Abdruck eines Gebisses in einer apfel-ähnlichen Frucht oder die Art, wie er sichbewegte, und wie er sich verhielt?

Razamon zitterte am ganzen Körper. Errüttelte um so heftiger am Gitter, je näherder Fremde dem Fenster kam.

Zwei Meter von ihnen entfernt blieb derUnbekannte stehen. Seine Arme hingenschlaff an seinen Seiten herunter. Er standvöllig still und blickte sie durch dieSichtscheibe an. Atlan glaubte, diese Blickefühlen zu können, obwohl er die Augen hin-ter der Scheibe nicht sehen konnte.

Razamon stöhnte laut in seinem ohn-mächtigen Zorn.

»Verschwinde«, sagte er keuchend.»Verschwinde doch endlich.«

Als die Minuten verstrichen, ohne daß et-was geschah, fuhr er herum, packte ein Ei-senstück, das auf dem Boden lag, undschleuderte es gegen das Fenster. Es pralltegegen das Gitter und fiel auf den Boden zu-rück. Razamon bückte sich nach einem an-deren Gegenstand, mit dem er werfen konn-te. Als er sich wieder aufrichtete, war derFremde im Raumanzug verschwunden. At-lan hatte gesehen, daß er mit schneller Be-wegung zur Seite gegangen war.

»Wo ist er?« schrie der Atlanter.Er stürzte sich auf Atlan und packte ihn

Porquetor der Stählerne 23

an den Armen. Mit flammenden Augenblickte er ihn an.

Ruhe bewahren! befahl der Logiksektor.Razamon steht unmittelbar vor dem Zusam-menbruch.

Atlan blieb ruhig stehen. Er wich denBlicken nicht aus. Kein Muskel zuckte inseinem Gesicht.

Fast zwei Minuten lang standen sich diebeiden Männer so gegenüber, bis Razamonendlich die Arme fallen ließ.

»Verzeih«, sagte er. »Ich habe die Nervenverloren.«

»Den Eindruck hatte ich allerdings auch«,entgegnete der Arkonide. Razamon kauertesich in einer Ecke des Raumes auf den Bo-den, schlang die Arme um die Beine undstützte das Kinn auf einem Knie ab. Erschloß die Augen und brütete vor sich hin.Atlan ließ ihn in Ruhe und bemühte sich,einen Ausweg zu finden. Mit einem Drahtdurch einen Spalt versuchte er, den Riegelan der Tür zu bewegen. Er schob den Drahtdurch einen Spalt an der Tür und bog ihn umden Riegel herum. Mit einem zweiten Drahtholte er das gebogene Ende zurück, so daßeine Schlinge um den Riegel lag. Er arbeite-te zwei Stunden lang, bis es ihm endlich ge-lang, diese Schlinge zu vollenden. Danachmußte er feststellen, daß er den Riegel aufdiese Weise nicht bewegen konnte. Nun ver-suchte er, ihn nach oben zu heben, aber auchdas gelang ihm nicht.

Schließlich suchte er sich einen spitzesEisenstück aus dem Gerümpel heraus undbearbeitete die Tür damit. Er schnitt Holz-streifen auf Holzstreifen heraus und verbrei-terte auf diese Weise in stundenlanger Ar-beit einen Spalt über dem Riegel immer wei-ter.

Razamon blieb auf dem Boden sitzen undverhielt sich still. Erst als der Spalt in derTür breit genug war, erhob er sich.

»Ich will es versuchen«, sagte er. »MeineHand ist kleiner als deine.«

Er schob seine Hand durch den Spalt undpackte den Riegel. Er mußte ihn um seineLängsachse drehen, um die Sperre zu über-

winden. Danach erst konnte er ihn zur Seiteschieben.

Knarrend öffnete sich die Tür.Dahinter lag ein weiterer Raum, der mit

allerlei Werkzeugen und Gerümpel gefülltwar.

»Entscheidend weiter sind wir immernoch nicht«, stellte Razamon mürrisch festund rüttelte an der Eisentür, die diesenRaum verschloß.

Atlan ging zu dem einzigen Fenster. Eswar vergittert. Er versuchte, es aus seinerVerankerung zu reißen, doch das gelang ihmnicht. Auch Razamon hatte keinen Erfolg,als er es Atlan nachmachte. Selbst mit einerEisenstange, die sie als Hebel benutzten,schafften sie es nicht, das Gitter zu beseiti-gen.

»Es sieht so aus, als säßen wir endgültigfest«, sagte Atlan.

Razamon schleuderte die Eisenstange wü-tend gegen die Tür.

Atlan stand am Fenster und blickte hin-aus. Es wurde langsam dunkel. Fenrir streif-te noch immer in der Gegend herum. Erwartete darauf, daß sie endlich wieder her-auskamen.

Als der Arkonide sich umdrehte, fiel seinBlick auf die Stromkabel, die auch in diesemRaum unter der Decke entlangliefen. Plötz-lich hatte er eine Idee.

»Was werden die Dalazaaren tun, wenn eshier einen Kurzschluß gibt?« fragte er.

»Sie werden sich bestimmt nicht bei unsbedanken«, erwiderte Razamon.

»Sieh dir die Kabel an«, forderte Atlan.»Sie sind schlecht isoliert. Man könnte …«

»Die Bude würde in Brand geraten«, un-terbrach ihn Razamon. »Und wenn wir Pechhaben, holen die Dalazaaren uns nicht her-aus.«

Er trat an das Fenster und blickte hinaus.Etwa hundert Meter von ihnen entferntbrannte ein großes Feuer. Auf einem Gestelldarüber drehte sich einer der Stiere, die siegetötet hatten. Razamon zählte dreißig Dala-zaaren, die sich in der Nähe des Feuers auf-hielten und darauf warteten, daß das Fleisch

24 H. G. Francis

gar war. Der Magen krampfte sich ihm zu-sammen.

»Ich habe Hunger«, sagte er. »Hoffentlichdenken sie daran, uns etwas zu bringen.«

»Da kommen sie schon«, bemerkte Atlan.An der Tür scharrte etwas. Er ging zu ihr

hinüber und horchte. Er hörte, daß jemandangestrengt atmete. Dann bewegte sichquietschend der Riegel. Die Tür öffnete sich,und eine kleine Gestalt glitt lautlos in denRaum. Atlan packte zu, ließ aber sogleichwieder los, als er ein Geweih in den Händenverspürte.

»Ein Paarle«, sagte er verblüfft.»Komm«, flüsterte der Paarle. »Schnell,

bevor die Dalazaaren etwas merken.«Atlan und Razamon überlegten nicht lan-

ge. Sie flüchteten durch die Tür hinaus.»Eure Waffen«, sagte der Paarle. »Dort

im Gras liegen sie.«Die Windmühlenwächter hatten die bei-

den Skerzaals, die dazugehörigen Köcherund die Messer im Gras vor dem Bau abge-legt. Atlan und der Atlanter nahmen sie auf.Dann eilten sie zusammen mit dem Paarlenin die Dunkelheit hinaus.

Minuten später tauchte ein dunkler Schat-ten neben ihnen auf. »Fenrir«, rief Atlan.

Der Wolf winselte leise. Er blieb nebendem Arkoniden.

5.

Vor dem Felsspalt blieben sie stehen.»Danke«, sagte Atlan. »Ich glaube, ohne

dich hätten wir es nicht geschafft.«»Doch«, erwiderte der Paarle. »Bestimmt.

Es hätte nur etwas länger gedauert.«Hinter diesen Worten wurde soviel Zuver-

sicht und Vertrauen erkennbar, daß der Ar-konide überrascht aufhorchte.

»Wir hatten einige Vorbereitungen getrof-fen«, erklärte er.

»Ich wußte es«, antwortete der Paarle. Eröffnete das Schott. Das Licht der Decken-platten erhellte sein Gesicht. In seinen Au-gen blitzte es auf.

»Mein Name ist Troton«, sagte er und

blickte Atlan und Razamon fragend an. Sienannten ihm ihre Namen, und er fuhr fort:»Ich wußte von Anfang an, daß ihr andersseid als wir. Ihr gehört zu den Höchsten, unddoch habt ihr getan, was unsere Gesetze vor-schreiben. Niemand kann euch das Rechtauf Arbeit streitig machen. Euch hätte dererste Schuß auf die Feste Grool gehört. DerPriester hätte euch diesen ersten Platz ein-räumen müssen. Er hat für sein Versäumnisgezahlt.«

»Wir denken nicht daran, unser Recht aufArbeit wahrzunehmen«, antwortete Atlan,der keinerlei Verlangen hatte, erneut in denFluß zu steigen und körperlich schwersteArbeit darin zu verrichten.

»Niemand kann euch zwingen«, erwiderteTroton. »Und ich kann verstehen, daß ihr alsHöhere auch ohne Arbeit ein Recht zumSchießen habt.«

Atlan nickte nur. Er legte dem Paarlen dieHand auf die Schulter und schob ihn durchdas Schott, das sich wenig später hinter ih-nen schloß. Er wußte noch immer nicht,weshalb der Paarle ihn befreit hatte.

War es aus eigenem Antrieb heraus ge-schehen, oder hatte der Priester ihn ge-schickt?

Sie passierten auch das zweite Schott undschritten dann am Fluß entlang. Nur wenigeFackeln erhellten den Gang. Niemand arbei-tete im Wasser.

»Warum hast du uns geholt, Troton?«fragte Razamon.

»Du wirst es erfahren. Was du gleich se-hen wirst, wird alles viel besser erklären, alses viele Worte können.«

Nach diesen rätselhaften Worten be-schleunigte der Paarle seine Schritte. Fenrir,der dieses Mal mit in die Höhlen gegangenwar, knurrte leise. Atlan legte ihm beruhi-gend die Hand auf den Kopf, doch das Tierwurde zusehends nervöser. Als sie das großeGewölbe betraten, aus dem heraus sie aufdie Feste Grool geschossen hatten, bliebFenrir stehen und knurrte laut.

Atlan und Razamon achteten nicht darauf.Entsetzt blickten sie auf die toten Paarlen,

Porquetor der Stählerne 25

die zwischen den Hütten auf dem Boden la-gen. Atlan zählte zwanzig Männer, Frauenund Kinder. Sie alle wiesen schwerste Ver-letzungen auf. Der Priester befand sich unterihnen. Er war grausam verstümmelt worden.

»Porquetor«, erklärte Troton mit tränener-stickter Stimme. Er sagte nur dieses eineWort. Das genügte.

Weil die Paarlen die Feste Grool beschos-sen hatten, war der Stählerne in die Höhleneingedrungen und hatte sich grausam ge-rächt. Atlan machte sich bitterste Vorwürfe,weil er nicht hiergeblieben war und denPaarlen geholfen hatte.

»Ich konnte mir nicht vorstellen, daß soetwas geschehen würde«, sagte er mühsambeherrscht. »Ich dachte nicht, daß Porquetorirgend jemanden töten würde.«

Tatsächlich war er davon überzeugt gewe-sen, daß die Rache des Stählernen ebensoharmlos ausfallen würde wie der Beschußder Feste Grool. Keines der Geschosse hatteSchaden angerichtet. Die ganze Aktion waraus seiner Sicht kaum mehr als eine Spiele-rei von Wilden gewesen, die etwas nachäff-ten, was sie im Grunde genommen nicht be-griffen hatten. Wäre es anders gewesen, hät-ten sie ihren »Sieg« nicht so gefeiert.

Warum hatte Porquetor so grausam daraufreagiert?

»Ist so etwas schon einmal passiert?«fragte Razamon.

»Vor vielen Jahren«, antwortete Troton.»Damals tötete Porquetor neun Männer,sechs Frauen und zwei Kinder.«

»Und wie oft schießt ihr auf die Feste?«erkundigte sich Atlan.

»Zwölfmal im Jahr«, eröffnete ihm Tro-ton.

Die anderen Paarlen kamen aus ihren Hüt-ten und aus Felsspalten hervor. Sie nähertensich ihnen zögernd und ängstlich. In ihrenGesichtern zeichnete sich der Schock, densie erlitten hatten, überaus deutlich ab.

»Und sonst passiert nichts?« fragte Raza-mon.

»Nichts. Sonst ist die Angst der Leute vonder Feste zu groß vor uns«, erwiderte Troton

mechanisch. Erst danach schien er sich des-sen bewußt zu sein, was er gesagt hatte. Erstutzte und legte sich die Hand vor denMund. Fragend blickte er Atlan an. Der Ar-konide lächelte nicht. Er blieb ernst.

»Dieses Mal ist ihm der Kragen geplatzt«,stellte Razamon kühl fest. »Er wollte eucheinen Denkzettel verpassen. Nur ist er dabeierheblich zu weit gegangen.«

Troton hob die Hände.»Einige von uns wollen schießen«, sagte

er. »Ist das richtig?«»Absolut nicht«, entgegnete Atlan. »Es

wäre ein großer Fehler. Porquetor könntezurückkommen.«

»Fürchtest du dich vor ihm?« fragte einerder Paarlen, die nun um sie herum standen.

»Ich fürchte mich nicht vor ihm. Ichfürchte nur, daß noch mehr von euch sterbenmüssen, wenn ihr die Feste erneut angreift.Das ist es, was ich verhindern will.«

»Du kannst es nicht mehr verhindern«, er-widerte der Paarle triumphierend. »WährendTroton dich geholt hat, haben wir gehan-delt.«

»Ihr habt geschossen?« schrie Troton ent-setzt.

»Wir haben geschossen«, antwortetenmehrere Paarlen aus der Menge zugleich.

*

Troton stürzte sich wutentbrannt auf einender Männer und rammte ihm das Geweih ge-gen die Brust. Der Angegriffene stürzteschreiend zu Boden. Troton hieb mit beidenFäusten auf ihn ein, doch er behauptete sich,wehrte die meisten Schläge ab und schlugselbst zurück. Dabei traf er Troton einigeMale so schwer, daß Atlan befürchtete, erwerde ihn töten.

Der Arkonide packte Troton und riß ihnhoch.

»Hört auf zu kämpfen«, befahl er.»Dadurch wird nichts besser.«

Troton wollte sich losreißen, doch Atlanhielt ihn fest. Jetzt versuchte der andere,Troton anzugreifen. Razamon stellte sich

26 H. G. Francis

ihm in den Weg.Einige Sekunden lang schien es so, als

würden sich alle Paarlen auf Atlan und denAtlanter stürzen. Troton beruhigte sich je-doch überraschend.

»Laßt sie in Ruhe«, rief er. »Sie kennenunsere Gesetze nicht. Woher sollen sie wis-sen, daß es unwürdig ist, einen Kampf zuunterbrechen?«

Atlan ließ ihn los. Er wollte etwas sagen,als es plötzlich still wurde. Die Paarlenblickten an ihm vorbei zu den Felsspalt,durch den er mit Troton hereingekommenwar. Er drehte sich um. Ein Dalazaar standin dem Spalt. Er hielt Netze in beiden Hän-den, die prall mit gebratenem Fleisch gefülltwaren. Scheu lächelnd kam er näher undlegte die Netze vor Atlan ab.

»Ich bin ein Freund«, sagte er in pthori-scher Sprache. »Ich komme in Frieden.«

Die Paarlen drängten sich schwatzend umihn und nahmen das Fleisch auf. Freudig er-regt verteilten sie es und begannen sofort da-mit, es zu verzehren. Atlan gab dem Dala-zaaren einen Wink und bat ihn damit zurSeite. Dankbar nahm der Windmühlenhüteran.

»Wie heißt du?« fragte der Arkonide ihn.»Dadan. Ich muß euch warnen. Porquetor

ist auf dem Wege hierher.«»Wann kann er hier sein?« fragte Raza-

mon.»In jeder Sekunde.«Razamon pfiff schrill auf den Fingern.

Augenblicklich wurde es still in der Höhle.Die Paarlen blickten ihn fragend an.

»Porquetor kommt zurück«, rief er mithallender Stimme. »Das ist der Erfolg derSchießerei. Versteckt euch.«

Die Paarlen schrien verängstigt auf undrannten in allen Richtungen davon. Inner-halb weniger Sekunden war das Gewölbeleer. Nur noch Atlan, Razamon, der Dala-zaare, Fenrir und Troton blieben zurück.

»Ich lasse euch nicht allein«, erklärte derPaarle entschlossen.

Aus der Ferne klang metallisches Klirrenherbei. Schritte näherten sich ihnen.

»Er kommt«, wisperte Dadan furchtsam.»Wo können wir uns verstecken?« fragte

Atlan. »Schnell.«»Folgt mir«, rief der Paarle. Er lief zu der

Öffnung des Schußkanals, durch den diePaarlen die Riesenbolzen auf die FesteGrool abgeschossen hatten. Er stieg hinein.Atlan zögerte kurz. Das Versteck erschienihm zu unsicher. Doch dann gab ihm Raza-mon einen leichten Stoß mit der Hand undtrieb ihn hinein.

Der Arkonide kroch hinter Troton her.Dieser stemmte sich mit dem Rücken gegendie Wand, nachdem er etwa zehn Meter zu-rückgelegt hatte. Die Wand wich knirschendzur Seite. Atlan konnte in eine kleine Höhlesehen, in der eine Fackel brannte.

»Schnell«, mahnte der Paarle.Diese Aufforderung war kaum nötig, denn

die Schritte Porquetors waren bereits deut-lich zu hören. Selbst Fenrir schien zu spü-ren, daß sie keine Zeit verlieren durften. Erfolgte den Männern in die kleine Höhle, diebis auf die Fackel und ein paar Decken leerwar. Troton schloß den Eingang wieder, in-dem er sich erneut gegen den Stein stemmte.

Porquetor hatte das große Gewölbe er-reicht. Es wurde für einige Minuten still. DieMänner in der Höhle wagten kaum zu at-men. Sie waren sich darüber klar, daß sienicht die geringste Überlebenschance hatten,wenn der Stählerne sie hier auftreiben sollte.

Sie zuckten zusammen, als Porquetor zuwüten begann. Die Geräusche verrieten, daßer seine Wut an den ärmlichen Hütten undden Gebrauchsgegenständen der Paarlenausließ.

Eine halbe Stunde lang tobte der Stähler-ne in der Höhle. Dann wurde es still. Trotonwollte das Versteck bereits verlassen, dochAtlan hielt ihn mit einer mahnenden Bewe-gung zurück. Seine Vorsicht erwies sich alsberechtigt, denn nur Sekunden später ertönteein schriller Angstschrei. Dumpfe Schritteerschütterten den Boden. Offenbar gelang esdem allzu früh zurückgekehrten Paarlen je-doch, sich in Sicherheit zu bringen, denn einzweiter Schrei war nicht zu hören. Holz zer-

Porquetor der Stählerne 27

splitterte krachend. Dann wurde es erneutstill. Wenige Minuten später pfiff jemand.

»Er ist weg«, sagte Razamon und stemm-te sich gegen den Stein, der die Höhle ver-schloß. Knirschend glitt er zur Seite und gabden Weg frei. Razamon kroch als erster her-aus.

Von den Hütten der Paarlen war so gutwie nichts mehr übriggeblieben. Porquetorhatte alles in Stücke gehauen, was die Paar-len in jahrelanger Arbeit mühsam aufgebauthatten.

Ratlos standen die Höhlenbewohner nunvor den Trümmern ihrer Habe. »Wir habenbekommen, was wir verdient haben«, sagteTroton verbittert. »Porquetor hat sich ge-rächt. Und das wird er immer wieder tun, so-lange wir auf die Feste Grool schießen.«

»Feigling«, fuhr ihn ein anderer Mann anund versuchte, ihm die Spitzen seines Ge-weihs ins Gesicht zu stoßen. Troton trateinen Schritt zurück und entging so dem An-griff.

Um weitere Gewalttätigkeiten zu verhin-dern, trat Atlan zwischen die streitendenMänner.

»Er hat recht«, sagte er. »Erst wenn ihr ei-ne wirklich wirksame Waffe gegen Porque-tor habt, hat es Sinn, gegen ihn zu kämpfen.Vorläufig aber habt ihr nichts. Ihr müßt still-halten.«

»Warum hast du nicht gekämpft?« fragteeine Frau und zeigte auf die Skerzaal. »Duhast eine Waffe.«

»Sie ist nicht wirksam genug«, erklärteder Arkonide. Er wußte nicht, ob das auchzutraf, denn bis jetzt hatte er noch nicht aufPorquetor geschossen. Er hatte keinenGrund dafür gehabt. Im Gegenteil. Er ver-dankte dem Stählernen das Leben.

Freundschaftliche Gefühle für ihn emp-fand er jedoch nicht mehr, seitdem er gese-hen hatte, was Porquetor angerichtet hatte.Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich nichtvorstellen können, mit welcher Grausamkeitdieses Wesen zuschlagen konnte. Für Por-quetor mußte der Angriff der Paarlen auf dieFeste Grool ebenso belanglos und unbedroh-

lich sein wie für ihn. Porquetor mußte er-kannt haben, daß die Bolzen höchstens einbißchen Farbe von der Feste abkratzenkonnten, mehr aber nicht. Die Gegenreakti-on auf den Beschuß war in keiner Weise zurechtfertigen.

»Wir müssen den Toten helfen«, sagteTroton, und es wurde still im Gewölbe. DiePaarlen räumten die herumliegenden Trüm-mer zur Seite. Einige Frauen holten stabför-mige Musikinstrumente aus den Felsspaltenhervor und stimmten eine schwermütigeMelodie darauf an. Sie bestand aus nur we-nigen Tönen und wiederholte sich in ver-schiedenen Tonlagen und mit unterschiedli-chen Tempi immer wieder.

Währenddessen banden die Männer denToten bunte Tücher über die Augen und ver-sahen die Körper mit farbigen Symbolen,von denen die meisten fischförmig waren.Diese Vorbereitungen dauerten etwa eineStunde. Als sie abgeschlossen waren, hobendie Männer die Toten auf Tragbahren undschleppten sie zu dem unterirdischen Fluß,aus dem sie am Tage zuvor Erdölklumpenausgewaschen hatten.

Sie warfen die Leichen ins Wasser undstimmten einen schrillen Gesang an, der erstverstummte, als alle Toten von den Flutendurch ein Felstor fortgetragen worden wa-ren.

»Wo bleiben sie?« fragte Atlan Troton.»Das weiß niemand«, antwortete dieser.

»Der Fluß trägt sie fort. Er verschwindet imBoden, und niemand hat je gesehen, ob erwieder nach oben kommt. Wir glauben, daßdie Toten ins Reich der ewigen Ruhe einge-hen.«

Für die meisten Paarlen schien nun ver-gessen zu sein, was geschehen war. Sieschwatzten fröhlich miteinander, als bestün-de keinerlei Gefahr mehr für sie.

Atlan, Razamon, Fenrir, Troton und derDalazaar kehrten in die große Höhle zurück.Auch hier zeigte sich, daß die Paarlen denSchock bereits überwunden hatten. Sie ar-beiteten daran, die Hütten wieder aufzubau-en.

28 H. G. Francis

Atlan bemühte sich, aus Dadan ein paarInformationen herauszuholen.

»Warum hast du uns geholfen?« fragte erihn.

»Ich hasse Porquetor«, erklärte der Hüter.»Er hat viel Leid über unser Volk gebracht.Er hat meinen Bruder getötet.«

»Habt ihr nie versucht, gegen ihn zukämpfen?« fragte Razamon. Dadan schüttel-te den Kopf.

»Wir können nicht gegen ihn kämpfen«,erwiderte er. »Niemand kann Porquetor be-siegen.«

»Das wird sich zeigen«, sagte Razamon.»Du willst mit ihm kämpfen?« Dadans

Augen weiteten sich.»Ich will nicht«, entgegnete Razamon

nachdenklich, »aber es könnte sein, daß ichdazu gezwungen bin.«

»Porquetor hat ein ewiges Leben«, be-hauptete der Dalazaar. »Niemand kann esauslöschen.«

»Das stimmt«, bekräftigte Troton.»Porquetor lebt, solange es Pthor gibt. Seitunendlichen Zeiten. Es gibt viele Legendenüber ihn, die bis in die Anfänge der Zeit zu-rückreichen.« Mehr wußten weder Dadan,noch Troton. Atlan und Razamon stelltennoch eine Reihe von Fragen, aber etwasNeues ergab sich aus den Antworten nicht.

Atlan bat Troton, ihm die Höhle zu zei-gen. Bereitwillig kam der Paarle dieser Bittenach. Er führte Atlan durch die Gewölbe.Razamon interessierte sich nicht dafür. Erblieb mit Fenrir in der Haupthöhle zurück.Er wollte die Schußanlage näher untersu-chen. Atlan merkte bald, daß Razamon diebessere Entscheidung getroffen hatte. Es gabwirklich nicht viel zu sehen, abgesehen vonausgedehnten Pilzbeeten, die die Paarlen ineinigen Höhlen eingerichtet hatten, und dieihre Hauptnahrungsquelle darstellten.

Wichtig war allein, daß die Höhlen nochzwei weitere Ausgänge hatten. Sie waren al-lerdings so schmal, daß man sich nur mitMühe hindurchzwängen konnte.

»Porquetor könnte nicht durch sie hinein-kommen«, sagte Atlan, als Troton sie ihm

gezeigt hatte. »Man müßte den anderen Ein-gang zerstören.«

»Daran haben wir auch schon gedacht,aber wir wissen nicht, wie man das machenkann«, erwiderte der Paarle. Er blickte Atlanhoffnungsvoll an. »Weißt du einen Rat?«

»Ich will mich mal umsehen.«Sie kehrten zu Razamon und Fenrir zu-

rück, die im Hauptgewölbe auf sie warteten.Atlan erklärte dem Atlanter seinen Plan.

»Das äußere Schott ist ein Panzerschott«,sagte er. »Damit wird Porquetor nicht fertig,wenn wir es blockieren.«

»Abwarten«, bemerkte Razamon skep-tisch. Zusammen mit dem Arkoniden ging erzum Hauptausgang der Höhlen. Hier unter-suchten sie die beiden Schotte und den Gangmit den Leuchtplatten. Fenrir war bei ihnen.Dadan und Troton waren im Hauptgewölbezurückgeblieben, um bei den Aufbauarbei-ten zu helfen.

Das äußere Schott war, wie Atlan gesagthatte, sehr stark gepanzert. Bei ihm war an-zunehmen, daß es dem Ansturm Porquetorsstandhalten würde.

»In der Rüstung steckt ein menschlichesWesen«, sagte Atlan. »Davon müssen wirausgehen. Dieses Wesen lebt seit geraumerZeit auf Pthor. Hier herrschen etwa die glei-chen Gravitationsverhältnisse wie auf Terra.Das bedeutet, daß Porquetor zwar sehr starksein kann, sich aber nicht etwa mit einemÜberschweren oder einem Haluter verglei-chen läßt, deren Körper unter dem Einflußeiner wesentlich höheren Gravitation vielgrößere Kräfte und eine deutlich höhere Wi-derstandskraft entwickelt haben.«

»Klug gesprochen, Lordadmiral«, entgeg-nete Razamon ironisch. »Solange die Haupt-voraussetzung vom menschlichen Wesenstimmt, ist alles in Ordnung. Porquetor kannaber auch etwas ganz anderes sein.«

»Was zum Beispiel?«»Darauf kann ich dir noch keine Antwort

geben. Ich weiß es nicht. Und Spekulationenhelfen uns nicht weiter. Wichtig ist nur, daßwir jetzt noch keine Maßstäbe festlegen,sonst könnten wir eine böse Überraschung

Porquetor der Stählerne 29

erleben.«Atlan mußte ihm recht geben. Sie wußten

in der Tat noch zu wenig über Porquetor.Alles, was sie wußten, hatten sie von demDalazaaren und den Paarlen erfahren. Dieseaber waren selbst nicht besonders gut überden Stählernen informiert.

Troton hatte ihnen von einer Legende be-richtet, in der es hieß, daß Porquetor einst zuden Herren der Festung gehört, sich nach ei-nem blutigen Streit aber von ihnen getrennthatte. Seitdem, so hatte Troton gesagt, lebteer allein auf der Feste Grool, nachdem er diefrüheren Eigentümer der Feste daraus ver-trieben hatte.

Dadan, der Dalazaar, hatte erzählt, daßPorquetor als der erste Entdecker der Stahl-quelle galt, aus der er auch seine Rüstungund das Breitschwert bezogen haben sollte.

Atlan und Razamon hatten noch viele Fra-gen gehabt.

Was tat Porquetor auf der Feste? Hatteihn je jemand bei einer ungewöhnlichen undnicht kriegerischen Tätigkeit gesehen? Wieoft verließ er die Feste Grool? Lebte er al-lein dort, oder hatte er Gehilfen? Ging erstets zu Fuß, oder benutzte er hin und wiedereinen Reitstier? Hatte je jemand mit ihm ge-sprochen?

Auf all diese Fragen hatten sie nur unkla-re Antworten bekommen, die Porquetor nurnoch rätselhafter erscheinen ließen. Nie-mand wußte offenbar genau über ihn Be-scheid. Es gab auch keinen Priester oderStammeshäuptling, von dem man sagte, daßer mehr wußte. Sonst hatte Atlan bei seinenExpeditionen in die Weiten des Universumsimmer irgendwo irgend jemanden aufge-spürt, der mehr Informationen besaß als an-dere. Es gehörte geradezu zu den Kultur dermeisten kosmischen Völker, daß es immerjemanden gab, der Wissen besaß, und derdieses Wissen sorgfältig hütete, weil es ihmMacht verlieh. Das Wort Wissen ist Machthatte Atlan durchaus nicht nur bei den Men-schen der Erde angetroffen, sondern überallim Universum.

Hier aber schien es niemanden zu geben,

der durch sein Wissen eine Sonderstellungeinnahm.

»Ich werde keine Ruhe finden, bevor ichalles über Porquetor weiß«, erklärte Raza-mon.

»Ich auch nicht«, antwortete Atlan. »Undich werde auch nicht weiterziehen, bevor ichweiß, daß die Paarlen sicherer leben könnenals bisher.«

»Es ist nicht unsere Aufgabe, für Ordnungauf Pthor zu sorgen«, erklärte Razamon.»Soweit ich weiß, willst du das Geheimnisvon Pthor klären, und du willst verhindern,daß es immer wieder zu verhängnisvollenKatastrophen kommt, wenn Atlantis auf derErde auftaucht.«

»Vielleicht werden wir bald feststellenmüssen, daß Porquetor zu jenen gehört, diefür solche Katastrophen verantwortlichsind«, entgegnete Atlan. »Was wissen wirdenn schon? Bisher haben wir nur gesehen,was nach außen hin geschieht. Was aberpassiert da drinnen in der Feste Grool? Ichglaube nicht daran, daß sie einfach nur eineArt Burg ist, die lediglich dazu dient, An-griffe auf die Bewohner von vornherein sogut wie unmöglich zu machen. Ich glaube,daß die Feste Grool noch mehr in sich birgtals das Geheimnis Porquetors.«

»Ich wußte, daß du so etwas sagen wür-dest«, erwiderte Razamon. »Du kannst nichtan Grool vorbeimarschieren, bevor du dirselbst nicht ein paar Fragen beantwortethast.«

»So ist es. Ich glaube beispielsweise nichtdaran, daß Porquetor wirklich schon so altist, wie die Legende behauptet.«

»Warum nicht? Du und ich sind nicht we-niger alt. Warum sollte er es nicht sein?«

»Warum die Rüstung? Könnte sich dahin-ter nicht immer wieder ein anderer Mannverbergen? Diese Maske läßt nicht erken-nen, wer hinter ihr steckt, und deshalb hatsie für mich nur einen Sinn, wenn mehrereMänner und Frauen sie benutzen.«

Razamon antwortete darauf nicht. Er hattedie Verschalung der elektronischen Schal-tung für die Schotte geöffnet. Jetzt tippte er

30 H. G. Francis

gegen ein Modul.»Wir brauchen es nur herauszunehmen,

und das Schott ist blockiert«, sagte er.»Dann nimm es heraus.«Razamon blockierte das äußere Schott. Er

verzichtete darauf, auch das innere auf dieseWeise zu schließen, weil es schwächer ge-panzert war. Sollte es Porquetor gelingen,das erste Schott zu durchbrechen, würde daszweite kaum noch ein Hindernis für ihn sein.

»Wo lassen wir das Teil?« fragte der At-lanter. »Einer von den Paarlen sollte das ho-he Amt des Modulbewahrers übernehmen.Was meinst du?«

Bevor Atlan antworten konnte, stürzteTroton durch einen Spalt herein.

»Sie schießen wieder«, rief er verstört.»Ich konnte es nicht verhindern. Dieses Malwollen sie die Feste Grool zerstören. Sienehmen leichtere Bolzen, weil sie weiterfliegen. Der Dalazaar Dadan hat es ihnen ge-raten.«

»Diese verdammten Narren«, fluchte Raz-amon. »Kommt.«

Sie eilten durch die Gänge und Felsspal-ten zu der Grotte zurück, in der nun schonwieder einige notdürftig hergerichtete Hüt-ten standen. Alle Paarlen befanden sich hier.Sie drängten sich um die Sichtluke und be-gleiteten jeden Schuß mit wildem Geschrei.Atlan sah sofort, daß die Bolzen wirklichbesser flogen. Einige Fenster der Feste wa-ren zerschmettert worden, sonst aber warenüber diese Entfernung hinweg keine Schä-den festzustellen.

Ein paar Sekunden, nachdem sie die Höh-le erreicht hatten, raste wieder ein Bolzenaus dem Schußkanal. Er traf eines der anten-nenartigen Gebilde an der Feste Grool undfetzte es hinweg.

Grenzenloser Jubel brach unter den Paar-len aus. Selbst Troton warf nun alle Beden-ken über Bord. Mit glänzenden Augen stander vor Atlan und schrie ihm zu: »Noch nie-mals zuvor haben wir einen solchen Erfolggehabt. Die Feste Grool fällt! Sie ist besiegt.Porquetor ist erledigt. Wir sind die Großender Tiefe. Wir sind mächtiger als er.«

Atlan ließ die erhobenen Hände resignie-rend sinken. Er sah ein, daß es keinen Sinnhatte, mit den Paarlen zu diskutieren. In ih-rem Erfolgstaumel waren sie nicht mehr an-sprechbar.

Nun feuerten sie Schuß auf Schuß ab. Da-zu benutzten sie schließlich auch die Trüm-mer, die der Stählerne hinterlassen hatte.Und als sich darunter nicht mehr finden ließ,was als Geschoß zu gebrauchen war, legtensie faustgroße Steine in die Schlußkerbe.Die meisten von ihnen ließen sich tatsäch-lich hinausschleudern. Und wiederum fieleines der antennenartigen Gebilde. DiesesMal war es eines von den beiden an der obe-ren Seitenkugel.

Die Paarlen waren nicht mehr zu halten.Die meisten von ihnen rannten wie besessenin den Höhlen herum, um nach einem Ge-genstand zu suchen, der sich als Geschoßeignete. Dabei kam eine Frau auf den Ge-danken, einen mit einer öligen Flüssigkeitgefüllten Topf in die Abschußkerbe zu le-gen. Wenig später wirbelte das Gefäß zurFeste hinüber, zerschmetterte ein Fensterund verursachte ein kleines Feuer, das je-doch schon nach wenigen Sekunden erlosch.

Dieser Scheinerfolg war zuviel für diePaarlen. Sie umarmten sich, sangen undtranken, als hätten sie Porquetor vernichtetund damit für alle Zeiten den Frieden ge-wonnen.

Atlan legte Razamon die Hand auf dieSchulter.

»Komm«, schrie er, um den Lärm zuübertönen. »Wir gehen zum Schott. Ich willwissen, ob Porquetor es schafft, es zu durch-brechen.«

Der Atlanter nickte nur. Zusammen mitdem Arkoniden und Fenrir verließ er dasGewölbe.

Kopfschüttelnd ging Razamon neben At-lan her.

»Seltsam«, sagte er ratlos. »MilitärischeErfolge, und seien sie noch so klein, rufeneine Euphorie hervor. Niemand denkt daran,was später kommt.«

»Es gibt bald nichts mehr, womit sie

Porquetor der Stählerne 31

schießen können. Und dann ist Ruhe.«»Das glauben die Paarlen wahrscheinlich

auch. Aber sie irren sich. Wenn sie nichtsmehr haben, was sie als Geschoß benutzenkönnen, müssen sie nach draußen. Sie müs-sen sich das Material für neue Hütten undfür die Gebrauchsgegenstände besorgen.Porquetor hat es gar nicht nötig, zu ihnen indie Höhle zu kommen. Er macht sie draußenfertig.«

Razamon blieb abrupt stehen. Sein gelb-lich schimmerndes Gesicht verzerrte sich.Sie hatten den Anfang eines Ganges er-reicht, der etwa dreißig Meter lang war. Anden Felswänden brannten drei Fackeln. Inihrem Licht war der Fremde deutlich zu er-kennen, der am Ende des Ganges ihnen ge-genüberstand.

Er trug eine silbrig glänzende Kombinati-on, die seinen Körper hauteng umschloß. At-lan schätzte ihn auf etwa 1,80 Meter. DasGesicht verbarg sich unter einem Kampf-helm mit dunkler Sichtscheibe. Solche Hel-me hatten Antigravstreiter getragen. An sieerinnerte sich Atlan noch recht gut. Sie hat-ten in Großarenen wilde Kämpfe durchge-führt, die in den Jahren um 2340 eine großeRolle auf der Erde gespielt hatten. Atlan er-innerte sich besonders gut an sie, weil es soaußerordentlich schwer gewesen war, dieseKämpfe zu verbieten. Sie waren unmensch-lich und grausam gewesen, weil sie mit ih-ren Effekten an die niedersten Instinkte derMenschen appelliert hatten. Doch eineGruppe von skrupellosen Anwälten hatte esgeschafft, das Verbot immer wieder zu ver-hindern, so daß diese Kämpfe über einigeJahre hinweg zum großen Geschäft hattenwerden können.

Der rätselhafte Unbekannte trug die mitDornen besetzten Handschuhe, die zu dieserAusrüstung gehörte, und er stand auf winzi-gen Antigravplattformen, die wenige Zenti-meter über dem Boden schwebten.

Razamon blieb einige Sekunden lang wieerstarrt. In seinem markanten Gesicht arbei-tete es.

»Nicht«, sagte Atlan mahnend.

»Beherrsche dich.«Er beobachtete Fenrir, der sich winselnd

auf den Boden sinken ließ und keinerlei An-stalten machte, den Fremden anzugreifen.

Razamon stieß Atlan zur Seite und ranntelos. Dabei riß er sich die Skerzaal von derSchulter, ohne sie jedoch zu spannen. Erwollte sie als Schlagwaffe benutzen.

Als er bis auf fünf Meter an den geheim-nisvollen Unbekannten herangekommenwar, holte dieser leicht aus und hieb seinerechte Faust wuchtig gegen eine vorsprin-gende Felsnase. Die Arkonitstahldornenbohrten sich in den Fels, und dieser zersplit-terte zu staubfeinen Partikeln, die Razamonentgegenwirbelten. Es war, als sei ein Ge-schoß in den Fels gerast.

Razamon blieb bestürzt stehen.Er erkannte, daß es chancenlos gegen den

Maskierten war.»Verschwinde«, rief er stammelnd. »So

verschwinde doch endlich.«Seine sonst so tiefe Stimme klang schrill.Der Fremde schob einen Fuß nach vorn

und glitt lautlos auf Razamon zu. Spielerischleicht schwebte er über den Boden.

Razamon hob die Skerzaal über den Kopf.»Noch einen Schritt weiter«, sagte er.

»Und dein Ende ist gekommen.«Der Unbekannte ließ sich nicht ab-

schrecken. Atlan bemerkte, daß Razamonzögerte und einen halben Schritt zurückmachte.

»Sei vernünftig«, rief er dem Freund zu.»Komm hierher, Razamon. Es hat keinenSinn, mit ihm zu kämpfen.«

Abermals schlug der Maskierte die Faustgegen den Fels, und wiederum pulverisierteer ihn. Seine Faust schien aus härtestem Ar-konit zu sein, daß sie dieser Belastung stand-hielt.

»Zeig mir dein Gesicht«, schrie Razamonerregt. »Herunter mit der Maske.«

Atlan ging entschlossen zu Razamon.Dicht hinter ihm blieb er stehen. Er lud seineSkerzaal, spannte sie und zielte auf diedunkle Sichtscheibe des Helms.

»Wir wollen dein Gesicht sehen«, sagte er

32 H. G. Francis

drohend. »Ich werde dir die Sichtscheibezerschießen, wenn du dich nicht zeigst.«

Der Fremde wandte sich Atlan zu. Esschien, als bemerke er ihn zum erstenmal.Razamon schien für ihn nicht mehr vorhan-den zu sein. Er hob eine Hand, und es schi-en, als ob er etwas sagen wollte.

In diesem Moment erreichte Porquetordas Außenschott und versuchte, es zu öff-nen. Donnernd schlugen seine Fäuste gegendie Tür. Der Maskierte verschwand so plötz-lich, wie er gekommen war.

6.

Mächtige Glockenschläge schienen dasHöhlensystem bis in den letzten Winkel hin-ein zu erschüttern.

Das ferne Geschrei der Paarlen, die ihrenvermeintlichen Sieg feierten, verstummte.

Atlan und Razamon blickten sich an.»Jetzt wird es sich zeigen«, sagte der Ar-

konide. »Komm, wir ziehen uns zurück.«»Ich bleibe«, erklärte Razamon trotzig.Atlan lächelte.»Genügt es nicht, wenn die Paarlen sich

heldenhaftes Verhalten einbilden?«Razamons Kopf fuhr herum. Das Gesicht

spannte sich für einen kurzen Moment. Erentblößte seine Zähne.

»Du hast recht, Lordadmiral«, antworteteer.

Sie zogen sich weiter zurück, bis sie dasAußenschott gerade noch sehen konnten. Siebeobachteten, wie es bei jedem Schlag erzit-terte und erbebte. Um den Rahmen herumplatzte Felsgestein und Kunststoffverscha-lung weg. Darunter wurden Stahlverstrebun-gen sichtbar, die tief in den Fels hineinführ-ten.

»Er schafft es nicht«, stellte der Arkonidefest. »Auf diese Weise nicht.«

Troton und einige weitere Paarlen tauch-ten neben ihnen auf. Wortlos blickten sie aufdas Schott. Ihre Gesichter waren bleich undvon Furcht gezeichnet. Die Minuten verstri-chen. Immer wütender ging Porquetor gegendas Panzerschott vor, aber immer deutlicher

zeichnete sich auch ab, daß er es nicht bre-chen konnte.

Dann plötzlich wurde es still. Ein paarkleine Steine fielen von der Decke, und dannhörte Atlan nur noch den keuchenden Atemder Paarlen neben ihm.

»Es ist vorbei«, sagte er. »Porquetor hatbegriffen, daß er auf diesem Wege nichtmehr in die Höhlen kommt. Sorgt nun dafür,daß er keinen anderen Weg findet.«

Die Stimmung schlug um. Plötzlich klangJubel auf. Vergeblich versuchte Atlan, diePaarlen zur Ruhe zu bringen. Sie brüllten dieganze Anspannung der letzten Stunden aussich heraus, ohne daran zu denken, daß siePorquetor dadurch zu weiteren Angriffenprovozieren konnten.

Der Stählerne ließ sich jedoch nicht her-ausfordern. Er verhielt sich still.

Er wartet darauf, daß jemand töricht ge-nug ist, das Schott zu öffnen, stellte der Lo-giksektor fest.

Niemand wird so dumm sein, widersprachAtlan in Gedanken.

Warte nur ab!Einige Minuten verstrichen. Die meisten

Paarlen zogen sich zurück. Auch Razamonwar bereits gegangen. Plötzlich trat ein Paar-le, der ein auffallend wuchtiges Geweih hat-te, auf Atlan zu und streckte ihm fordernddie Hände entgegen.

Siehst du!»Gib es mir«, sagte der Mann.Atlan schüttelte den Kopf.»Eher würde ich es zerstören«, antwortete

er. »Porquetor steht da draußen vor der Tür.Glaubst du wirklich, daß ich zulassen werde,daß du die Tür jetzt öffnest? Ganz bestimmtnicht. Ihr werdet einen Priester aus eurerMitte wählen, den ich in das heilige Amt desTürverantwortlichen einweisen werde. Erwird die Macht über das Schott aus meinenHänden erhalten. Niemand sonst.«

Der Paarle ließ sich augenblicklich beein-drucken. In seinen Augen leuchtete es begie-rig auf. Das genannte Priesteramt war mitMacht verbunden, und das gefiel ihm.

»Bestimme mich dazu«, rief er.

Porquetor der Stählerne 33

»Das werde ich nicht tun«, entgegnete derArkonide entschlossen. »Ihr Paarlen werdetselbst entscheiden.«

Damit ließ er den Mann stehen und kehrtein die Haupthöhle zurück, in der sich mitt-lerweile fast alle Bewohner eingefunden hat-ten. Hier wiederholte er seinen Vorschlagund empfahl Troton für das Priesteramt. DerPaarle mit dem mächtigen Geweih, der dasAmt von ihm gefordert hatte, blickte ihndrohend an, aber Atlan ignorierte ihn.

Troton sprang auf einen kleinen Holzsta-pel und hielt eine kurze Rede, in der er be-wies, daß er die Problematik des neuen Am-tes voll und ganz begriffen hatte. Ihm ginges nicht um die Macht, sondern um die Ver-antwortung.

Der Paarle mit dem wuchtigen Geweihwandte sich anschließend an die Bewohnerdes Höhlensystems. Er war jedoch unge-schickt genug, durchblicken zu lassen, wieer das Amt sah. Bei der darauf folgendenWahl fiel er durch. Troton erhielt vier Stim-men mehr als er.

Atlan zog sich nun mit ihm zum Schottzurück, während Razamon und Fenrir dar-über wachten, daß sie niemand belauschenkonnte. Fenrir vertrieb knurrend und fau-chend einige neugierige Paarlen, die durchbisher verborgen gebliebene Felsspalten ver-suchten, in die Nähe des Schottes zu kom-men.

Geduldig unterwies Atlan den neuen Prie-ster in sein Amt. Er zeigte ihm immer wie-der, wie das Modul eingesetzt werden muß-te, wie die Elektronik geschlossen wurde,und wie man sie absicherte. Er hütete sichjedoch, das Schott zu öffnen.

Erst als er absolut sicher war, daß Trotonalles begriffen hatte, überreichte er ihm dasModul.

»Wir müssen einen Behälter dafür herstel-len«, sagte er, »damit es nicht feucht undschmutzig wird. Am besten trägst du es im-mer bei dir. Und bilde rechtzeitig einen Ver-treter und Nachfolger aus, der das Amt über-nehmen kann, wenn sich dein Leben demEnde zuneigt.«

Du mußt ihm eine einfache Zeichnung an-fertigen, signalisierte der Logiksektor. Por-quetor kann ihn täglich erwischen. EinNachfolger muß dann aus der Zeichnung er-sehen können, was zu tun ist.

Gegen diese Feststellung war nichts ein-zuwenden. Das Leben auf Pthor war so ge-fährlich, daß niemand langfristige Pläne auf-stellen konnte, der nicht so mächtig war wiebeispielsweise Porquetor.

Nun aber erhob sich das Problem, Papieroder etwas vergleichbares in ausreichenderQualität und eine entsprechende Tinte auf-zutreiben. Atlan diskutierte einige Stundenlang zusammen mit Fenrir, Troton und Da-dan über diese Fragen, obwohl der Dalazaarvon Anfang an eine Antwort parat hatte.

Es gab ein weißes, hauchdünnes Ledermitten im Windmühlenfeld in einem Wach-haus. Dort war auch der Extrakt aus Aalblutenthalten, der sich als Tinte gut eignete. Da-dan schwor, daß sich eine Schrift mit dieserTinte auf diesem Leder ewig hielt. Er be-hauptete, beim Volk der Dalazaaren seienBerichte vorhanden, die über dreitausendJahre alt seien, und die man dennoch mühe-los lesen könne, weil die Schrift nicht ver-blaßt und das Leder nicht zerfallen sei. Atlanmochte sich jedoch nicht mit dem Gedankenanfreunden, daß sie zu den Dalazaaren zu-rückkehren sollten, nachdem sie ihnen mitder Hilfe Dadans entkommen waren. Ersuchte nach einer anderen Möglichkeit, fandjedoch auch in stundenlanger Arbeit keine,die wirklich befriedigte.

»Also gut«, stimmte er endlich zu. »Wirgehen zurück.«

*

Die Nacht war dunkel und sternenlos.Atlan konnte zunächst überhaupt nichts

sehen, als sie das Höhlensystem durch einenschmalen Felsspalt verlassen hatten. Er hattedas Gefühl, unter einem lichtundurchlässi-gen, schwarzen Tuch zu stehen.

»Die Luft ist rein«, sagte Troton.»Ich sehe nichts«, bemerkte Razamon un-

34 H. G. Francis

ruhig. »Verdammt, was ist, wenn Porquetoruns hier irgendwo auflauert. Wir könntenuns doch nicht einmal wehren.«

»Er ist nicht da«, beteuerte der Paarle.»Niemand hält sich in unserer Nähe auf.«

»Bei dieser Dunkelheit kannst du dochgar nichts sehen«, entgegnete Dadan.

»Wir Paarlen können bei diesem Lichtfast so gut sehen wie am Tage«, erklärteTroton. Ihm war anzuhören, daß er sich überseine Überlegenheit freute. Seine Nachtsich-tigkeit war etwas, was ihn über die anderenerhob. »Ihr könnt euch auf mich verlassen.Es ist wirklich alles in Ordnung.«

Fenrir hielt sich dicht bei Atlan. Auch erkonnte sich in dieser Dunkelheit nicht gutorientieren.

Troton streckte seine Hände aus. »Folgtmir«, sagte er. »Ich führe euch.«

Atlan ergriff seine linke Hand und ginghinter ihm her. Allmählich gewöhnten sichseine Augen an die Dunkelheit. Konturenwurden sichtbar, die ihm vorher verborgengeblieben waren. Er entdeckte Hindernisseund wich ihnen aus, noch bevor Troton ihndarauf aufmerksam machte.

Auch die anderen fühlten sich nach undnach sicherer, so daß die Gruppe immerschneller vorankam. Nachdem sie etwa einehalbe Stunde marschiert waren, zogen dieWolken ab, und die Sterne kamen durch.Die Feste Grool schälte sich aus der Dunkel-heit. Sie war noch etwa fünfhundert Metervon ihnen entfernt. Und dann merkte Atlan,daß sie bereits mitten im Windmühlenfeldwaren. Er vernahm das Schnauben einesReitstiers, der nicht weit von ihm entferntsein konnte.

»Da drüben ist das Wachhaus«, sagte Tro-ton und zeigte in eine Richtung, in der dieanderen überhaupt nichts erkennen konnten.Vorsichtig gingen sie weiter.

Kurz darauf sah Atlan etwas im Gras auf-blitzen. Es war, als leuchte für einen Sekun-denbruchteil eine winzige Lampe auf.

Er blieb stehen.»Troton«, sagte er unruhig. »Ich habe et-

was aufblitzen gesehen.« Der Paarle blieb

stehen.»Nicht bewegen«, flüsterte Dadan.»Was ist los?« fragte Razamon.»Skorpionwürmer«, antwortete der Dala-

zaar. »Hin und wieder sichern wir dasWachhaus mit ihnen ab.«

Troton zog sich furchtsam einige Schritteweit zurück. Auch der Fenriswolf blieb nichtbei Atlan. Lautlos verschwand er in derDunkelheit.

»Wenn der Schamane das Zwiegesprächmit den Göttern aufnimmt, streut er Skor-pionwächter um das Lager, damit ihn undseine Gläubigen niemand stören kann. Wersich dem Lager in dieser Zeit nähert, stirbt,wenn er in die Skorpionfalle gerät. Und nie-mand entgeht dieser Falle, es sei denn, daßer Napham hat.«

»Zum Teufel, was ist das nun wieder?«fragte Razamon.

»Der Blütenstaub der Naphampflanze«,erwiderte der Dalazaar. »Er betäubt dieSkorpionwürmer, so daß man sie einsam-meln und für das Blasrohr verwendenkann.«

Atlan begriff. Die Dalazaaren hatten sichin den Besitz einer ungewöhnlich gefährli-chen Waffe gebracht, die eine bessere Siche-rung für sie darstellte als jede Wache. Abernicht nur das. Sie benutzten die Skorpion-würmer auch als Geschosse, indem sie sie inein Blasrohr steckten und mit dem Giftsta-chel voran abschossen.

Es überlief ihn kalt, als er sich vorstellte,daß irgendwo vor ihnen in der Dunkelheitvielleicht ein Dalazaar stand und mit einemauf diese Weise präparierten Blasrohr auf siezielte.

»Wie bekommen wir den Blütenstaub?«fragte Atlan. »Und wieso müssen wir unsvor den Skorpionwürmern in acht nehmen,während die Dalazaaren im Lager sich vorihnen nicht zu fürchten haben?«

»Napham müssen wir sammeln. Ich weißeine Stelle, an der viel davon vorhanden ist.Es ist nicht weit«, erwiderte Dadan. »MeineBrüder im Lager brauchen sich nicht vor denWürmern zu fürchten, weil niemand von ih-

Porquetor der Stählerne 35

nen auf den Gedanken kommen würde, sichihnen mitten in der Nacht zu nähern. DieWürmer bleiben bei den Honignestern, dieder Schamane angelegt hat. Wenn es hell ist,betäubt er sie und sammelt sie ein.«

»Wir wollen uns beeilen«, entschied At-lan. »Je früher wir diesen Blütenstaub ha-ben, desto besser.«

»Lohnt sich der ganze Aufwand?« fragteRazamon. »Läßt sich das alles nicht auchviel einfacher bewerkstelligen?«

»Wir bleiben bei unserem Plan«, ent-schied Atlan. »Führe uns, Dadan.«

Razamon war nicht mit der EntscheidungAtlans einverstanden. Er wäre viel lieber di-rekt zur Feste Grool gezogen, weil er hoffte,hier Hinweise zu finden, die Aufschluß überseine Vergangenheit gaben. Er beugte sichjedoch dem Willen des Arkoniden, als dieserDadan folgte. Leise fluchend schloß er sichihm an.

Dadan wußte in dieser Gegend gut Be-scheid. Er schien jeden Stein und jedenStrauch zu kennen. Sicher umging er jedesHindernis, obwohl der Paarle ihm kaumhalf. Als sie etwa zweihundert Meter vomWachhaus der Dalazaaren entfernt waren,gesellte sich Fenrir wieder zu ihnen. Atlanbegrüßte ihn mit einem Schnalzen der Zun-ge.

»Er hat einige Hyänen verjagt«, berichteteTroton. »Ich habe es deutlich gesehen. Siehätten uns gefährlich werden können.«

Wenig später erreichten sie ein mit duf-tenden Büschen bewachsenes Gebiet.

»Wir müssen ein paar Äste anstecken, da-mit wir etwas sehen können«, sagte Troton.Er kramte in seinen Taschen herum. Dannflammte ein Zündholz auf, und kurz daraufbrannte ein großer Ast in seinen Händen. Erreichte ihn Atlan und entzündete zwei weite-re Äste, von denen er einen Razamon gab,während er den anderen selbst behielt. Er batTroton, die Wache zu übernehmen, weil eram besten sehen konnte. Dann zeigte er At-lan die Naphamblüten. Sie erinnerten denArkoniden an terranische Orchideen. Inkirschgroßen Beuteln befand sich der Blü-

tenstaub. Die Behälter ließen sich leicht vonden Blüten ablesen.

»Laßt euch nicht von den Bienen ste-chen«, warnte der Dalazaar. »Das gibt unan-genehme Wunden.«

Es tauchten jedoch kaum Bienen auf, undAtlan ließ alle Blüten unberührt, an denendiese Insekten hingen.

Nach einer knappen Stunde hatten sie ge-nügend Blütenstaub gesammelt. Dadanschnitt nun von einer bambusähnlichenPflanze ein zwei Meter langes Stück ab underhitzte es über der Flamme. Weißes Markfloß heraus. Er ließ es achtlos auf den Bodenfallen.

Einige Minuten später hatte er alles Markentfernt, so daß er über ein Blasrohr verfüg-te. Er füllte es mit dem Blütenstaub, nach-dem er es auf einer Seite mit etwas Moo-skraut verstopft hatte. So ausgerüstet, mach-te er sich auf den Rückweg. Es war mittler-weile ein wenig heller geworden, so daß dieanderen nicht mehr darauf angewiesen wa-ren, daß der nachtsichtige Paarle sie führte.

Einige Raubvögel strichen dicht über dieKöpfe der Männer hinweg, verzogen sich je-doch wieder, als Fenrir knurrend in die Höhesprang und nach ihnen schnappte.

Vorsichtig näherten sie sich dem Wach-haus der Dalazaaren, bis Dadan die Armehob und ihnen hieß, zurückzubleiben. Ge-bückt pirschte er sich näher heran.

Es war nun bereits so hell, daß Atlan dieReitstiere sehen konnte, die neben demWachhaus auf dem Boden lagen und schlie-fen. Sie waren mit schweren Ketten gefes-selt.

Etwa fünfzig Meter vom Wachhaus ent-fernt richtete Dadan sich auf und hob dasBlasrohr an den Mund. Er blies kräftig hin-ein, und eine Wolke gelben Blütenstaubswehte auf die Wachstation zu. Sie senktesich allmählich ins Gras.

Dadan wartete einige Minuten, dann pu-stete er abermals in das Rohr, zielte aber ineine andere Richtung. Nach wiederum eini-gen Minuten entleerte er das Rohr völlig.Dann winkte er Atlan und seinen Begleitern

36 H. G. Francis

zu.»Ihr könnt kommen«, rief er mit ge-

dämpfter Stimme.Sie schlossen zu ihm auf. Er ging vor ih-

nen her, und sie blieben in seiner Spur, wo-bei sie versuchten, einige Skorpionwürmerzu finden. Das gelang ihnen jedoch nicht.Dazu war es noch zu dunkel.

Ungehindert erreichten sie das Wachhaus.Laute Schnarchtöne verkündeten davon, daßdie Dalazaaren schliefen.

»Ich gehe allein hinein«, sagte Dadan.»Wir gehen alle«, entgegnete Atlan.

»Einer sichert den anderen ab, damit es kei-ne Katastrophe gibt, wenn einer von deinenFreunden zu früh aufwacht.«

Er selbst blieb direkt hinter dem Dalazaa-ren, als dieser die Tür öffnete. Ein strengerGeruch schlug ihnen entgegen. Razamonhielt sich die Nase zu.

»Muß ich wirklich hineingehen?« fragteer.

»Du kannst hier an der Tür stehenblei-ben«, antwortete der Arkonide. »Schließlichwill ich dich nicht in akute Lebensgefahrbringen.«

»Mich wundert nur, daß da drinnen etwasüberleben kann«, entgegnete Razamon grin-send.

»Ich verstehe nicht«, sagte Dadan.»Wovon sprecht ihr?«

Atlan schob ihn wortlos in die Hütte hin-ein. Der Innenraum, in dem die Dalazaarenschliefen, war etwa hundert Quadratmetergroß. Atlan schätzte, daß darin wenigstensneunzig Männer lagen und schliefen. Unterdiesen Umständen war es nicht verwunder-lich, daß die Luft nicht gut war.

Dadan eilte lautlos durch das Halbdunkel.Er wußte genau, wie er gehen mußte, damiter niemanden aufweckte.

Doch dann geschah etwas, womit nie-mand hatte rechnen können. Einer der Reit-stiere brüllte schmerzerfüllt auf, sprang hochund zerrte mit aller Gewalt an seinen Ketten.Seine Reaktion veranlaßte wiederum Fenrirzu wütendem Knurren. Die anderen Stiereerwachten und stimmten in das Gebrüll ein.

Der Lärm schreckte die Dalazaaren hoch.Atlan und Dadan rannten zum Ausgang

zurück. Sie wollten an Razamon vorbei,doch dieser riß sie zurück. Im gleichen Au-genblick erkannten sie auch, warum. DiePanzerstiere drängten sich vor dem Eingangzusammen. Sie hatten Troton und den Fen-riswolf eingekesselt. Beide reagierten blitz-schnell und richtig. Der Paarle schnellte sichhoch auf den Rücken eines Stieres. Von dortaus sprang er dem nächsten Tier auf denRücken und erreichte dann Atlan. Der Wolfraste geduckt unter den Leibern der Stierehindurch, bevor sie ihn mit ihren Hörnernaufspießen konnten.

Nun warfen sich die Dalazaaren auf dieEindringlinge. Sie überwältigten sie inner-halb weniger Sekunden. Fenrir erhielt einenSchlag mit einer Eisenstange über den Kopf.Er brach zusammen und blieb regungslosliegen.

Dadan tat so, als sei er soeben erst von ei-nem erfolglosen Jagdausflug zurückgekom-men. Wütend wies er die Behauptung zu-rück, er habe etwas mit Atlan und seinenBegleitern zu tun.

Die Dalazaaren verließen den Raum undsperrten Atlan, Razamon und Troton darinein. Fenrir ließen sie draußen liegen.

»Verdammt, ich habe es gewußt«, riefRazamon ärgerlich. »Es war ein Fehler, hier-her zurückzukehren.«

Der Arkonide blieb gelassen.»Sei nicht so pessimistisch«, sagte er und

rieb sich die Schulter. Die Wunde war nochnicht völlig verheilt und juckte leicht.»Dadan ist frei. Er wird uns noch einmal be-freien. Davon bin ich fest überzeugt. Inzwi-schen werden wir nach dem Leder und derTinte suchen.«

Razamon weigerte sich, sich daran zu be-teiligen.

»Glaubst du denn wirklich, daß sie unsausgerechnet bei diesem Zeug einsperren?«fragte er.

»Warum denn nicht?« Atlan lachte leise.»Sei nicht unlogisch, Freund. Die Dalazaa-ren haben keine Ahnung, was wir hier wol-

Porquetor der Stählerne 37

len. Sie können nicht wissen, daß wir es aufTinte und ein Stück Leder abgesehen ha-ben.«

Razamon biß sich auf die Lippen. Offen-sichtlich belastete ihn die Situation, in dersie sich befanden, außerordentlich stark.Nach zehntausend Jahren war er nach Pthorzurückgekehrt. Jetzt zog es ihn mit allerMacht in das Gebiet, das er für seine Heimathielt. Zögernd zunächst, dann aber immereifriger beteiligte er sich an der Suche, under war es auch, der sowohl das Leder alsauch die aus Pthor-Aalen gewonnene Tintefand. Triumphierend hielt er sie hoch.

Atlan nahm sie entgegen, setzte sich mitTroton zusammen und fertigte geduldig dieZeichnungen an, wobei er erneut erklärte,wie das Modul zu behandeln war.

Einige Stunden gingen darüber hin, bisAtlan endlich zufrieden war. Troton stecktedas Leder ein.

Kurz darauf wurde es vor dem Gebäudelaut. Die Tür flog auf, und mehrere Dalazaa-ren warfen den übel zugerichteten Dadan inden Raum. Er stürzte zu Boden und bliebstöhnend liegen. Die Tür schloß sich wieder.

Atlan beugte sich über den Dalazaarenund drehte ihn auf den Rücken herum. Da-dan blutete aus zahlreichen Wunden. SeinGesicht war durch Schwellungen so starkentstellt, daß er kaum noch zu erkennen war.

»Man hat ihn nach Strich und Faden ver-prügelt«, stellte Razamon fest.»Wahrscheinlich ist man ihm auf die Schli-che gekommen.«

»Es sieht so aus«, stimmte Atlan zu. Erhielt den Kopf Dadans. »Was ist passiert?«

»Sie haben die Spuren gefunden«, ant-wortete der Gefolterte mühsam. »Sie wissenalles.«

Er richtete sich auf. Troton reichte ihm et-was Wasser, das er aus einem Gefäß in derEcke des Raumes entnahm.

»Zwei Boten sind zu Porquetor unter-wegs«, fuhr der Dalazaar fort. »Wir müssenvon hier verschwinden.«

Razamon lachte grimmig.»Das ist leicht gesagt, Freund. Ich sehe

vorläufig nicht, wie wir hier herauskommensollen.«

»Wir müssen es durch das Dach versu-chen«, erklärte Dadan. »Es ist viel schwä-cher gebaut als das von der Hütte, in der ihrvorher eingesperrt wart.«

»Was war mit dem Stier los?« fragte At-lan. »Wieso hat er plötzlich so einen Lärmgemacht?«

»Er ist von einem Skorpionwurm gesto-chen worden«, antwortete Dadan. »Er ist tot.Wir haben seinen Todesschrei gehört.«

Atlan fuhr ein Schauer über den Rücken,als ihm bewußt wurde, wie stark das Gift derSkorpionwürmer sein mußte, wenn es aus-reichte, diese riesigen Panzerstiere zu töten.

»Also los, fangen wir an«, sagte er.»Wenn ihr es schafft, werde ich einen

Stier besorgen, mit dem wir fliehen kön-nen«, versprach der Dalazaar. »Seht aus demFenster. Dort steht ein Tier. Es hat nur halbeHörner. Es gehört mir, und es gehorcht mei-nen Befehlen.«

Atlan stieg auf den Rücken Razamons, sodaß er die Decke mit den Händen erreichenkonnte. Sie bestand aus einfachen Brettern,die nebeneinander gelegt, aber nicht mitein-ander verbunden waren. Durch die Spaltenkonnte er die Dachkonstruktion sehen, dieebenfalls nur aus stufenförmig übereinandergelegten Brettern bestand. Direkt über denBrettern der Decke verliefen mehrere arm-dicke Kabel.

Atlan schob ein Brett zur Seite und prüftedie Isolation des Kabels. Sie war schlecht,und in seinen Augen war es ein kleinesWunder, daß diese Hütte noch nicht abge-brannt war.

Er ließ sich auf den Boden herunter undberichtete den anderen, was er herausgefun-den hatte.

»Ich werde das Isoliermaterial abbrennenund dann ein Eisenstück auf die blankenStellen fallen lassen«, schloß er. »Das gibteinen herrlichen Kurzschluß, bei dem dashalbe Dach wegfliegt. Der Rest ist ein Kin-derspiel.«

»Vorausgesetzt, wir leben dann noch«,

38 H. G. Francis

sagte Razamon. Er blickte auf die Holztürund hieb die rechte Faust klatschend in dielinke Hand. »Ich könnte die Tür zertrüm-mern. In der richtigen Stimmung befinde ichmich.«

»Die Dalazaaren wären schnell hinter unsher«, wehrte Atlan ab.

»Wenn aber die Hütte brennt und ein Teildes Energieversorgungssystems zusammen-bricht, haben die Dalazaaren andere Sorgen,als sich um uns zu kümmern.«

»Das ist richtig«, sagte Dadan. »Das istder beste Weg.«

Er reichte Atlan einen Zündstein und eingelbliches Pulver. Er verstreute etwas vondem Pulver auf die Kabel, nachdem Raza-mon ihn erneut hochgehoben hatte, undschlug mit einem stählernen Zündstift Fun-ken aus dem Stein. Das Pulver entflammteaugenblicklich, und das Isoliermaterial fingFeuer, so wie Atlan es erwartet hatte. Esbrannte auf einer Strecke von etwa einemhalben Meter ab, dann erlosch es wieder.Der Arkonide blies die Asche hinweg. Dar-unter zeigte sich blankes Metall.

Atlan nahm nun einen Holzbalken und ei-ne kurze Eisenstange, legte diese quer überdas Ende des Balkens und hob damit das Ei-sen vorsichtig hoch. Er führte es zwischenden beiden Kabeln hindurch und ließ esdann fallen.

Ein grellweißer Blitz schoß krachend ausden Kabeln. Das Eisen glühte auf. Das Holzfing Feuer, und ein Teil des Daches wurdevon der Wucht des Kurzschlusses hinwegge-schleudert.

Troton warf sich stöhnend auf den Boden.Er preßte zunächst das Gesicht auf die Erde,dann aber blickte er Atlan mit geweitetenAugen an. Der Arkonide packte ihn am Armund riß ihn hoch.

»Das hat nichts mit göttlicher Kraft zutun, Troton«, sagte er. »So etwas wirst duvielleicht auch bald lernen.«

»Du bist einer von den Großen«, sagte derPaarle stammelnd.

Atlan antwortete nicht. Es eilte zu einemFenster und blickte hinaus. Der Kurzschluß

hatte die umliegenden Windmühlen lahmge-legt. Zwei von ihnen brannten. Von allenSeiten eilten die Dalazaaren herbei und ver-suchten, die Generatoren zu retten.

»Es wird Zeit, daß wir verschwinden«,bemerkte Razamon. »Oder wollt ihr hiernoch lange herumstehen und bewundern,was ihr angerichtet habt?«

»Eigentlich nicht«, entgegnete Atlan. »Ichbin mehr dafür, daß wir uns auf die Sockenmachen.«

Geradezu spielerisch leicht schnellte Raz-amon sich zum Dach hinauf, das nur auf ei-ner Seite der Hütte brannte. Danach hielt erAtlan eine Latte herunter. Dieser ergriff sie,und Razamon zog ihn mit einer schwungvol-len Bewegung nach oben.

Anschließend hob er Dadan und Trotonauf die gleiche Weise hoch. Sie sprangen aufden Boden herab und nahmen ihre Waffenauf, die auf einem Ablagegestell in der Näheder vierfach verriegelten Tür lagen. Bei denDalazaaren hatte niemand damit gerechnet,daß die Gefangenen ausbrechen könnten,obwohl das schon einmal geschehen war.Bis auf ein Messer Dadans waren alle Waf-fen da. Sogar das Blasrohr lehnte an derWand.

Dadan nahm es an sich und stürmte dannvoran zu einem mächtigen Panzerstier. Aufdem Weg dorthin schrie er dem Tier Befehlezu. Als er es erreicht hatte, löste er die Ket-ten und rief Atlan und den anderen zu:»Steigt auf. Schnell.«

Er selbst schwang sich dicht hinter demKopf auf den Rücken des Stieres und packteihn bei den gestutzten Hörnern. Atlan setztesich hinter ihn. Ihm folgte Razamon, undden Abschluß bildete Troton. Dadan stießeinen gellenden Schrei aus. Der Stier stürm-te los.

Atlan blickte zurück.Die Flammen hatten mittlerweile die ge-

samte Hütte erfaßt, doch die Dalazaarenkümmerten sich nicht um sie oder um dieflüchtenden Gefangenen. Ihre einzige Sorgegalt den Windmühlen.

Atlan tippte Dadan an, nachdem der Stier

Porquetor der Stählerne 39

sie etwa zwei Kilometer weit getragen hatte.»Vergiß nicht, daß wir zur Feste Grool

wollen«, rief er.»Wir werden es durch die Schneise versu-

chen«, antwortete der Dalazaar. »Dort wer-den wir bestimmt nicht behindert.«

Wenig später fiel das Land ab. Dadantrieb den Stier in einen Hohlweg hinein, derauf beiden Seiten von hochwachsenden Na-delbäumen begrenzt wurde. Die Äste ragtenso weit über die Kanten des Weges hinweg,daß sie sich hoch über den Köpfen der vierMänner berührten.

»Und ich?« schrie Troton protestierend.»Was wird aus mir? Ist euch klar, daß ich zuden Höhlen zurück muß? Was soll ich aufder Feste Grool?«

Dadan riß den Kopf des Stieres mit einemRuck nach hinten. Das Tier gehorchte aufeinen knappen Zuruf und hielt schnaubendan.

»Wir haben einige Umwege gemacht heu-te nacht«, erklärte Dadan gelassen. Erstreckte einen Arm aus und zeigte auf einigerot blühende Büsche.

»Geh dort entlang«, riet er dem Paarlen.»Nach ungefähr einer Stunde kommst du zudem großen Blutbaum, der bei den vier Fel-sen steht.«

»Von dort an finde ich den Weg allein«,antwortete Troton, sprang ab, verneigte sichvor Atlan und sagte: »Ich danke dir, Großer.Du hast mein Volk gerettet. Hoffentlich se-hen wir uns nicht wieder.«

»Du willst mich nicht wiedersehen?«fragte Atlan ebenso verblüfft wie belustigt.

Troton schüttelte den Kopf und griff sichmit einer Hand an das Geweih.

»Nein, Großer«, erklärte er. »Denn an dirklebt die Gefahr. Wenn wir uns wiederse-hen, dann würde das abermals eine großeGefahr für mein Volk bedeuten, das abermöchte ich vermeiden.«

»Du meinst also, daß ich eine Gefahr fürdein Volk bedeute?«

»Du selbst nicht«, antwortete der Paarle.»Aber es ist nun einmal dein Schicksal, daßdir die Gefahr stets nahe ist, ob du willst

oder nicht.«»Da ist etwas Wahres dran«, sagte der Ar-

konide nachdenklich. Er strich sich das sil-berweiße Haar aus der Stirn. »Mach's gut,Troton.«

»Mach's besser, Atlan.«Der Paarle neigte den Kopf, fuhr dann

herum und eilte davon, ohne die anderen zubeachten. Als er den blühenden Busch er-reichte, tauchte dort plötzlich Fenrir auf.Troton stutzte kurz, lief dann aber weiter,ohne den Wolf zu beachten.

Fenrir knurrte und zog die Lefzen hoch.Er ließ den Paarlen jedoch vorbei und trotte-te langsam zu Atlan hinüber. Dieser begrüß-te ihn mit einem Schnalzen der Zunge.

»Ich hatte kaum noch gehofft, dich wie-derzusehen«, sagte er.

Dadan trieb den Stier an.

7.

Als sie aus dem Hohlweg herauskamen,waren sie nur noch etwa zweihundert Metervon der Feste Grool entfernt. Das Gebietwar hügelig und unübersichtlich. Hohe Bäu-me und dichte Büsche bildeten Barrieren,die teils undurchdringlich waren, und dieselbst der Stier nicht durchbrechen konnte.Dadan kannte sich hier jedoch gut aus. Erlenkte das Reittier über einige Hügel hinwegzu einer Bodenrinne, die direkt zur FesteGrool führte. Am Boden der Rinne lagenvier armdicke Kabel, die vom Windmühlen-feld hinauf zur Feste führten.

Atlan blickte zum Windmühlenfeld hin-über. Das Feuer hatte mittlerweile etwa dieHälfte aller Windmühlen erfaßt.

»Das ist nicht gerade das, was wir unsvorgestellt hatten«, sagte Razamon.

»Nein. Wirklich nicht«, stimmte Atlan zu.»Ich hatte nicht vor, die Windmühlen zuvernichten.«

»Moralische Bedenken?« fragte Razamonspöttisch.

»Ein wenig«, gab der Arkonide zu. »Ichfinde es nicht gut, wenn wir eine Spur derZerstörung hinter uns lassen.«

40 H. G. Francis

»Die Dalazaaren hätten uns nicht einsper-ren sollen«, erwiderte Razamon. »Wir habenihnen keinen Grund gegeben, uns anzugrei-fen. Wir haben sie nicht provoziert.«

»Das ist richtig«, sagte Dadan. Er schürz-te verächtlich die dunklen Lippen und zeigteüber die Schulter hinweg zur Feste Groolhinauf. »Porquetor ist schuld. Er ist dergroße Zerstörer. Nun hat es ihn selbst einmalgetroffen.«

»Weiter«, befahl Atlan. »Wir wollen unsnicht länger aufhalten, als unbedingt nötig.«

Fenrir wurde plötzlich unruhig. Er ranntevor dem Stier hin und her, als wolle er ihmden Weg versperren. Seine Nackenhaaresträubten sich, und er senkte den Kopf lau-ernd bis auf den Boden herab.

»Was ist los, Fenrir?« fragte Atlan.»Irgend jemand kommt«, sagte der Dala-zaar.

Im Gehölz krachte es, und zwischen denBlättern blitzte es metallen auf.

»Nein«, sagte Razamon stöhnend. »Nichtschon wieder!«

Atlan ließ sich vom Rücken des Stieresgleiten. Er entfernte sich einige Schritte vonden anderen und ging zu Fenrir. Beruhigendsprach er auf ihn ein, doch der Fenriswolfstürmte plötzlich voran. Die hundert Schrit-te, die sie noch von dem Unbekannten tren-nen, überwand er in wenigen Sekunden. Erverschwand im Gebüsch und stürzte sichheulend auf die metallene Gestalt.

Äste zersplitterten krachend. Fenrir jaulte.Atlan und seine Begleiter hörten, daß er sichimmer wieder auf das Wesen im Gehölzstürzte, und sie vernahmen ein eigenartigesPfeifen, wie es entsteht, wenn jemand einendünnen Gegenstand durch die Luft schlägt.Hin und wieder folgten dumpfe Schläge die-sem Pfeifen. Und einige Male heulte Fenrirkläglich auf.

Dann wurde es still.Einige Minuten verstrichen. Atlan wollte

schon losgehen, um nachzusehen, was mitdem Fenriswolf passiert war, als sich dieBlätter teilten und die metallene Gestalt ausdem Dickicht hervortrat.

Es war Porquetor!Atlan blickte Razamon an. Auf dessen

schmalem Gesicht zeichnete sich maßloseÜberraschung ab. Er hatte einen anderen er-wartet.

Porquetor hob das Breitschwert. Als ersich Atlan näherte, bemerkte dieser, daß esfür einige Sekunden aufglühte, als sei es mitEnergie geladen.

»Ich hoffe, wir können friedlich miteinan-der verhandeln«, sagte Atlan. Er wich zweiSchritte zurück, um den Abstand zwischenihm und dem Stählernen beizubehalten. »Duhast uns vor den Raubschweinen gerettet,Porquetor. Das muß einen Grund gehabt ha-ben.«

Er hoffte, daß diese Worte eine Wirkungauf Porquetor erzielen würden, aber er irrtesich.

Er wirkt schwerfällig, stellte der Logik-sektor fest und diagnostizierte: Extrapyrami-dale Störungen.

Tatsächlich sah es so aus, als könne derStählerne die Bewegungsabläufe seines Kör-pers nicht mehr so perfekt steuern wie sonst.Hatte Fenrir ihn verletzt?

Atlan konnte keine Blutspuren erkennen.Der Stahlpanzer schien überall voll intakt zusein.

Razamon sprang vom Rücken des Stieresherab.

Dadan stieß einen gellenden Schrei aus.Er packte die Hörner seines Panzerstiers unddrückte sie nach vorn. Schnaubend und brül-lend griff das gewaltige Tier Porquetor an.

Dieser blieb stehen. Atlan glaubte zu se-hen, wie es hinter den Sehschlitzen aufblitz-te. Dann fuhr die Rechte mit dem Breit-schwert hoch.

»Vorsicht, Dadan«, schrie Atlan.Der Dalazaar schnellte vom Rücken sei-

nes Stieres zur Seite. Porquetor wich den zu-stoßenden Hörnern mit einer geschicktenBewegung aus. Im nächsten Moment wirbel-te das Breitschwert pfeifend durch die Luft,verfehlte Dadan jedoch.

Der Dalazaar stürzte zu Boden und pralltemit dem Kopf gegen einen Stein. Bewußtlos

Porquetor der Stählerne 41

blieb er liegen.Mit unglaublich schneller Bewegung

schlug Porquetor erneut zu, während derPanzerstier noch an ihm vorbeistürmte. Undmit dem zweiten Schlag traf er ihn am hinte-ren Schenkel. Das Tier bäumte sichschmerzgepeinigt auf und raste davon.

Nun standen Atlan und Razamon demvielfach überlegenen Gegner allein gegen-über.

»Schieß auf den Teufel«, schrie der At-lanter in höchster Erregung. Er riß seineSkerzaal an die Schulter und feuerte sie ab.Er traf den Stählernen an der Brust, doch derBolzen glitt wirkungslos von ihm ab.

Atlan hob seine Skerzaal. Porquetor mar-schierte mit aufglühendem Breitschwert aufihn zu. Ruhig zielte der Arkonide auf dieAugenschlitze. Diese erschienen ihm als dieschwächsten Stellen der Panzerung. Als Por-quetor noch etwa fünf Meter von ihm ent-fernt war, gab Atlan die Sehne frei. Sieschoß nach vorn und schob den Stahlbolzenmit wachsender Beschleunigung vor sichher. Das Geschoß traf das angepeilte Zielauf den Millimeter genau, doch der Erfolgwar ebenso gering wie zuvor bei Razamon.

Der Bolzen prallte von dem transparentenMaterial der Sehschlitze ab und wirbelte da-von.

Nun stürzte sich Razamon zwischen ihnund den Stählernen. Aus einer Entfernungvon knapp zwei Metern schoß er mit derSkerzaal auf Porquetor. Bei dieser geringenEntfernung traf der Bolzen mit der höchst-möglichen Wucht auf, doch auch er erzieltekeinerlei Wirkung.

Porquetor schlug blitzschnell zu. Er trafRazamon mit der Breitseite des Schwertes.Der Atlanter stürzte zu Boden, wobei esschien, als würden ihm die Beine zur Seitegeschleudert. Er rollte einige Meter weit ei-ne Schräge hinunter und blieb wie tot liegen.

Atlan wich vorsichtig zurück. Er suchteverzweifelt nach einer Möglichkeit, Porque-tor aufzuhalten. Noch einmal mit der Sker-zaal zu schießen, erschien ihm völlig sinn-los. Dennoch versuchte er es. Wie befürch-

tet, ohne Erfolg.Er drehte sich um und rannte einige Meter

weit, um zu prüfen, wie schnell ihm derStählerne folgen konnte. Dieser machteeinen Satz nach vorn. Die Distanz zwischenihnen änderte sich nicht.

Atlan bückte sich und nahm einen arm-dicken Ast auf, der quer über die Stromka-beln lag. Er stemmte ihn gegen die BrustPorquetors. Dieser blieb stehen, ohne spür-baren Druck auf den Ast auszuüben. Fast ei-ne Minute lang standen sich die beiden un-gleichen Kämpfer gegenüber.

»Ich wüßte gern, was das alles soll«, sagteAtlan so ruhig wie möglich. »Was soll die-ser Kampf? Warum rettetest du uns vor denRaubschweinen, um uns jetzt zu töten?«

Porquetor antwortete nicht.Er bewegte das Breitschwert langsam zur

Seite. Dann fuhr der Arm hoch. Porquetorhieb das Schwert gegen den Ast und durch-trennte ihn mit einem Schlag.

Atlan hielt den Rest abwehrend vor sichund wich langsam zurück. Als der Stählerneversuchte, den Ast abermals zu verkürzen,zog Atlan ihn rasch zur Seite. Das Schwertflog pfeifend an dem Holz vorbei.

Atlan erwartete, daß der Stählerne nunaus dem Gleichgewicht kommen würde. Ersetzte seine ganze Hoffnung darauf, ihmdann den Ast seitlich gegen den Kopf schla-gen zu können. Aber es schien, als sei Por-quetor unlösbar mit dem Boden verbunden.Mühelos fing er den Schlag ab, ohne Atlaneine schwache Stelle zu bieten.

Dann hob er das Schwert erneut undschritt auf den Arkoniden zu. Als dieser ihmden Ast erneut entgegenstreckte, packte erihn mit gedankenschneller Bewegung undriß ihn zu sich hin. Atlan reagierte instinktivrichtig. Er ließ den Ast los, so daß Porquetorihn nicht mitziehen konnte.

Polternd fiel der Ast auf den Boden.Porquetor hob das Schwert erneut und

drang auf Atlan ein.Du hast keine Chance mehr, stellte der

Logiksektor kühl fest. Tränen der Erregungschossen dem Arkoniden in die Augen. Er

42 H. G. Francis

wollte einfach nicht glauben, daß dies dasEnde war. Irgendeinen Ausweg mußte esdoch geben. Porquetor konnte nicht unbe-siegbar sein. Er mußte eine Schwäche ha-ben.

Doch da war keine Schwäche, die Atlannutzen konnte.

Pfeifend fuhr das Breitschwert durch dieLuft. Atlan konnte sich nur noch mit blitz-schnellen Ausweichmanövern retten. Por-quetor rückte auf ihn zu. Unerbittlich trieb erihn vor sich her, und er versuchte nicht, ihnmit der Breitseite des Schwertes zu treffen,so wie er es bei Razamon getan hatte.

Er wollte ihm den Kopf von den Schul-tern trennen.

Bei einem verzweifelten Schritt nach hin-ten prallte Atlan mit der Ferse gegen einenStein und stürzte. Er stieß mit dem Hinter-kopf gegen einen anderen Stein, blieb beiklarem Bewußtsein, war jedoch wie ge-lähmt. Es gelang ihm nicht, wieder auf dieBeine zu kommen.

Porquetor holte zum letzten, tödlichenHieb aus.

In diesem Moment explodierte etwa hun-dert Meter von ihnen entfernt einer der Ak-kumulatoren bei den Windmühlen. Atlanspürte das Kabel, das von dort kam, unterseinem Rücken. In seiner Todesfurcht ge-lang es ihm, sich ein paar Zentimeter weitzur Seite zu drehen. Sein Rücken berührtedas Kabel nicht mehr.

Das war die Entscheidung in diesemKampf.

Das Kabel verwandelte sich plötzlich ineine weißglühende Schlange. Atlan spürtedie Hitze. Sie veranlaßte ihn zu einer weite-ren Fluchtbewegung.

Das Breitschwert verfehlte ihn um einigeMillimeter, dann umloderten weiße Flam-men den Stählernen, der mit einem Fuß aufdem Kabel stand.

Porquetor schwankte. Die Flammen erlo-schen, doch der ganze Stahlpanzer schiennoch zu glühen. Dann stürzte Porquetorlangsam zur Seite und blieb bewegungslosauf dem Boden liegen.

Atlan rückte unwillkürlich noch weitervom Kabel weg, obwohl von diesem kaummehr als schwärzliche Asche übriggebliebenwar. Fühlbare Hitze ging davon nicht mehraus.

Atlan erhob sich. Die Schwäche wichschnell von ihm. Der Zellaktivator pulsiertekräftig in seiner Brust.

Razamon stöhnte leise. Atlan blickte zuihm hinüber und sah, daß er sich aufrichtete,wobei er sich den Kopf hielt.

»Was ist mit dir?« fragte der Arkonide.»Bist du in Ordnung?«

»Mir brummt der Schädel«, erwiderteRazamon.

Auch Dadan kam allmählich wieder zusich. Sein Panzerstier weidete direkt unterder Feste Grool zwischen den Bäumen.Fenrir kroch winselnd aus den Büschen her-vor. Er hatte zwei blutende Wunden an derSchulter, wo ihn das Schwert getroffen hat-te, aber sonst schien er nicht verletzt zu sein.

»Komm her. Faß an«, forderte Atlan.»Wir wollen Porquetor vom Kabel wegzie-hen. Besser ist besser.«

»Mir genügt es, daß er tot ist«, antworteteRazamon gleichgültig.

»Ich hoffe, daß er noch lebt«, entgegneteder Arkonide scharf. »Eine kleine Chancebesteht immerhin.«

Widerwillig half Razamon, Porquetor ei-nige Meter weit zu schleppen. Dann drehteAtlan den Stählernen um und suchte nachdem Verschluß der Rüstung. Verblüfft stell-te er fest, daß es keinen zu geben schien.

»Der Kerl kann doch nicht ständig in die-ser Rüstung stecken«, sagte Razamon. »DasDing dürfte auf die Dauer selbst ihm zuschwer sein.«

So sehr Atlan und er sich jedoch bemüh-ten, sie fanden nicht heraus, wie die Rüstunggeöffnet werden konnte.

Dadan legte Atlan die Hand auf dieSchulter.

»Sieh doch«, sagte er und deutete zur Fe-ste Grool hinüber. Von dort her näherte sichein Dalazaar, der den Panzerstier Dadansführte. »Es ist Hervool. Ein Freund von

Porquetor der Stählerne 43

mir.«»Gut«, entgegnete Atlan, »das bringt

mich auf eine Idee. Wir werden Porquetorauf den Rücken des Stieres legen und ihn sozur Feste hinauftragen lassen. Glaubst du,daß du den Stier dazu bringen kannst?«

»Das ist kein Problem«, behauptete Da-dan. Er eilte seinem Freund entgegen undumarmte ihn, um ihm für seine Hilfe zu dan-ken. Aus seinen Gesten schloß Atlan, daß erHervool dazu bewegen wollte, zu ihnen zukommen. Hervool lehnte jedoch ab. Er über-reichte Dadan einen Lederbeutel und schlugsich dann seitlich in die Büsche.

»Er will damit nichts zu tun haben«, sagteDadan, als er wieder bei Atlan war. »Er sagt,daß Porquetor unsterblich ist, und daß er alletöten wird, sobald er wieder aus seinemSchlaf erwacht ist.«

Razamon stieß den Stählernen verächtlichmit dem Fuß an.

»Er wird nie wieder erwachen«, behaupte-te er. »Porquetor ist tot.«

Er zeigte zur Feste Grool hinauf.»Uns kommt es jetzt nur noch darauf an,

denen da oben den Toten zu präsentieren.«»Denen da oben?« fragte Dadan.

»Porquetor lebte allein in der Feste.«»Das glaube ich nicht«, entgegnete Atlan.

»Hast du nicht erwähnt, daß ihr Dalazaarengehalten seid, stets reichlich Nahrungsmittelan die Feste zu liefern. Fleisch, Gemüse,Obst, Brot und Teigwaren sowie Getränke?«

Dadan wurde nachdenklich.»Das ist richtig. Wir haben aber immer

geglaubt, daß diese Dinge nur für Porquetorsind oder vielleicht für seine Gäste, fallswelche kommen.«

»Ihr habt nie darüber nachgedacht«, korri-gierte Atlan. »Ihr habt getan, was Porquetoreuch befohlen hat, und sonst habt ihr euchum nichts gekümmert.«

»Das ist richtig«, gab der Dalazaar nacheiniger Zeit zu. »Ja, das stimmt.«

»Vielleicht seid ihr noch nicht einmal dieeinzigen, die die Feste versorgen«, fuhr derArkonide fort. »Grool liegt am nördlichenRand des Blutdschungels. Ich halte es für

möglich, daß es von der Feste aus zumDschungel noch weitere Verbindungen gibt,von denen sonst niemand etwas ahnt. DerDschungel birgt noch viele Geheimnisse.Vielleicht gibt es dort ein Volk, das ebensowie ihr für die Bewohner der Feste Groolsorgt. Wer wollte das ohne weitere Informa-tion sagen?«

Er gab Razamon und Dadan einen befeh-lenden Wink. Gemeinsam packten sie Por-quetor und hoben ihn hoch. Das Gebilde ausblau glänzendem Stahl war über drei Zent-ner schwer. Der ganze Körper war schlaffund ohne innere Spannung, so daß er nichtleicht zu tragen war, sondern Atlan und sei-nen Helfern ständig aus den Händen zu rut-schen drohte. So verging einige Zeit, bis esihnen gelang, den Stählernen bäuchlingsüber den Rücken des Panzerstiers zu heben,zumal der Stier sich unruhig verhielt undständig nervös auswich. Schließlich aber lagPorquetor auf seinem Rücken. Dadan setztesich hinter ihn.

»Ich habe noch eine Frage«, sagte Atlanund deutete auf den Lederbeutel, den derDalazaar von Hervool erhalten hatte. »Wasist eigentlich darin?«

»Skorpionwürmer«, antwortete Dadan miteinem strahlenden Lächeln. Er hob das Blas-rohr triumphierend über den Kopf. »Sollteuns jemand in die Quere kommen, werde ichihm Skorpionwürmer ins Gesicht blasen undihn töten.«

Atlan krauste die Stirn. Er war nicht damiteinverstanden, daß Dadan plötzlich derartigePläne entwickelte. Auch erschien es ihm ge-fährlich, daß der Dalazaar diese Tiere beisich hatte. Er fragte sich, wo die Skorpion-würmer blieben, wenn Dadan seinen Gegnerverfehlte. Bestand dann nicht die Gefahr,daß sie selbst auf einen derartigen Wurmtraten und sich dabei vergifteten? Atlan sah,wie die Augen des Dalazaaren funkelten. Erbemerkte, mit welchem Stolz Dadan seineHände auf den Rücken Porquetors stützte,und er schwieg.

»Also los«, sagte Razamon, als Atlan be-reits zehn Schritte von ihnen entfernt war.

44 H. G. Francis

»Komm, Dadan.«Der Dalazaar trieb seinen Stier an. Das

Tier gehorchte und folgte Atlan. Nun ging essteil nach oben. Atlan blieb in der Rinne, dadiese ihm als der bequemste Weg zur FesteGrool erschien. Fenrir schloß zu ihm auf undblieb von nun an ständig an seiner Seite.Seine Wunden bluteten nicht mehr.

Als sie etwa die Hälfte des Weges zurück-gelegt hatten, erschien plötzlich ein grauhaa-riger Dalazaar zwischen den Büschen amRand der Rinne. Atlan hätte ihn nicht be-merkt, wenn Fenrir nicht so heftig reagierthätte. Der Wolf wollte den Alten angreifen,doch der Arkonide rief ihn zurück.

Zwei Meter von dem Dalazaaren entferntkauerte Fenrir sich auf den Boden.

Der Alte beachtete ihn nicht. Er hatte nurAugen für Dadan, den Stier und Porquetor.

»Willst du das Volk der Dalazaaren insUnglück stürzen?« fragte er mit hoher Fal-settstimme.

Dadan erbleichte. Seine Hände kralltensich um das Blasrohr.

»Wir bringen den Stählernen zur FesteGrool hinauf, Erster«, rief er stammelnd undvoller Ehrfurcht.

Der Alte machte eine verächtliche Geste.Er steckte zwei Finger zwischen die Lippenund pfiff schrill. Der Panzerstier Dadansbäumte sich auf und schüttelte sich. Dadankonnte sich halten, der Stählerne jedochrutschte vom Rücken des Stieres, polterte zuBoden und stürzte die Bodenrinne wiederhinunter, wobei er sich mehrfach über-schlug.

Dort, wo er vom Stromschlag gefällt wor-den war, blieb er wieder liegen.

»Ich verfluche dich«, rief der Erste. »Duwirst noch heute sterben.«

»Verschwinde, Alter«, brüllte Razamonund schleuderte einige Steine nach dem Er-sten. »Oder sollen wir den Wolf auf dichhetzen?«

Der Alte drehte sich wortlos um und ver-schwand in den Büschen. Dadan blickte ihmmit angstvoll geweiteten Augen nach.

»Laß dich nicht einschüchtern«, bat Atlan

und legte ihm beruhigend den Arm um dieSchulter. »Du wirst mit uns ziehen. Der Er-ste kann dir nichts anhaben.«

»Er hat mich verflucht«, antwortete Da-dan ängstlich. »Seine Flüche haben sichstets erfüllt.«

»Sie erfüllen sich nur bei jenen, die dar-über sich selbst vergessen«, erklärte Atlan.»Du brauchst keine Angst zu haben. Nichtswird geschehen, wenn du es nicht selbstwillst.«

»Ich will versuchen, mich zu wehren.«»Gib dich nicht selbst auf, dann ist dein

Wille viel stärker als der des Ersten.« Atlanlöste sich von ihm und stieg zu Porquetorhinunter, nachdem er Dadan gebeten hatte,den Stier ebenfalls nach unten zu bringen.

Razamon folgte dem Arkoniden. Fenrirblieb, wo er war. Er beobachtete das Ge-schehen.

Plötzlich griff Razamon nach Atlans Arm.»Sieh doch, Lordadmiral«, rief er keu-

chend. »Sieh dir Porquetor an!«Atlan schüttelte Razamons Hand ab. Er

sprang die Schräge hinunter und kniete ne-ben dem Stählernen nieder, als er ihn er-reicht hatte. Sekunden später war Razamonbei ihm.

»Die Rüstung ist aufgebrochen«, sagte derAtlanter erregt.

»Und darunter ist nichts«, ergänzte Atlanmit tonloser Stimme. »Porquetor ist hohl!«

8.

Ratlos standen sie vor der Hülle, nachdemsie sie untersucht hatten. Die Rüstung wartatsächlich hohl, doch befand sich darin einGewirr von Drähten, Kabeln, Relais undServos. Sie alle dienten dazu, die Rüstungzu bewegen.

»Porquetor ist gar kein lebendes Wesen?«fragte Dadan ehrfürchtig. »Wie konnte ersich dann bewegen?«

Atlan wies zur Feste Grool hinauf.»Ich bin überzeugt davon, daß er von dort

oben ferngesteuert wurde«, antwortet Atlan.»Porquetor ist tatsächlich nur eine Maschi-

Porquetor der Stählerne 45

ne, die von jemandem gelenkt wurde, der inder Feste lebt.«

»Dabei wäre durchaus Platz für einenMann darin«, stellte Razamon fest. »Mit ei-niger Mühe könnte man sich hineinzwän-gen.«

»Es war aber niemand darin«, entgegneteder Arkonide. »Das halte ich für ausge-schlossen.«

»Warum? Wäre es nicht möglich, daß einMutant darin versteckt war? Er könnte sichper Teleportation gerettet haben, als die Rü-stung mit dem Stromkabel in Verbindungkam.«

»Daran glaube ich nicht«, widersprachAtlan. »Kein Mutant hätte sich zu diesemZeitpunkt noch retten können. Alles gingblitzschnell. Die gesamte Rüstung stand un-ter Strom. Wenn ein Teleporter in dem Dingversteckt gewesen wäre, dann wäre er jetzttot.«

»Du mußt es wissen«, sagte Razamon.»Du hast eine ganze Menge Erfahrung mitMutanten.«

»Eben.«»Also gut. Kein Mutant«, bemerkte Raza-

mon einlenkend. »Und was geschieht jetzt?«»Wir haben jetzt noch viel mehr Veran-

lassung, diesen ferngesteuerten Roboter aufdie Feste zu bringen«, erwiderte Atlan.»Und genau das werden wir tun. Damit neh-men wir denen da oben viel Arbeit ab, diesie sonst selbst erledigen müßten, wenn siebei den Dalazaaren nicht beträchtlich an An-sehen verlieren wollen.«

Dadan verstand so gut wie nichts. Ermachte einige beschwörende Gesten, umsich vor bösen Geistern zu schützen. In sei-nem Gesicht zeichnete sich Furcht ab. Atlankonnte ihm ansehen, daß er unter einer er-heblichen psychischen Belastung stand. DerFluch des Alten hatte ihn bereits bis ins In-nerste getroffen. Die neuen Entdeckungenüber Porquetor waren daher zuviel für ihn.

»Porquetor ist eine Maschine«, sagte At-lan eindringlich. »Verstehst du denn nicht,Dadan? Er ist eine Maschine, so wie dieWindmühlen auch Maschinen sind. Oder

diese Skerzaal hier ist ebenfalls eine. Sie isteine Schußmaschine. Weiter nichts. ImGrund genommen ist auch dein Blasrohr ei-ne Maschine, wenn auch eine sehr einfache.Daran ist nichts, was geheimnisvoll oder un-erklärlich wäre. Nichts, wovor man sichfürchten müßte.«

Dadan nickte mehrmals, aber der Aus-druck seiner Augen änderte sich nicht. Atlanmachte sich Sorgen um ihn. Er wußte, wasein Fluch bewirken konnte. Für Angehörigeprimitiver Stämme wie Dadan konnte er ver-hängnisvoll sein.

Wie tief die Furcht in Dadan steckte,merkte Atlan, als er ihm befahl, mit anzu-packen und Porquetor auf den Rücken desStieres zu legen. Er brauchte lange Minuten,bis er Dadan endlich soweit hatte, daß er ge-horchte. Der Dalazaar schwang sich auchwieder auf den Rücken seines Stieres, dochsaß er längst nicht mehr mit der stolzen Hal-tung wie zuvor darauf. Die Angst krümmteihm den Rücken und ließ sein Gesicht fahlerscheinen.

Atlan trieb den Panzerstier voran. DiesesMal blieb er bei ihm. Wenn das Tier nichtrasch genug ging, berührte er es mit demBreitschwert Porquetors.

Das wirkte.Ein geheimnisvoller Energiestrom schien

durch das Breitschwert in den Körper desTieres zu fließen. Es kämpfte sich nach jederBerührung energisch voran, bis sie die An-höhe überwunden hatten. Nun trennten sienur noch wenige Schritte von dem glattenWeg, der zwischen einigen verkrüppeltenBäumen hindurch zur Feste Grool hinauf-führte. Links von diesem Weg fiel das Landsanft ab, rechts davon stieg es recht steil an.

Von der Anhöhe zur rechten Seite desWeges stieg der Erste herab. Er trug nuneinen weiten Umhang, der um seinen dürrenKörper flatterte. Sein langes, graues Haarwehte wie eine Fahne hinter seinem Kopf,aufgewirbelt von einer kräftigen Brise, dievon Süden heraufkam.

Dadan hielt den Stier an. Sein Gesichtverzerrte sich vor Angst. Auch Razamon

46 H. G. Francis

blieb stehen. Nur Atlan und Fenrir gingenweiter.

Als der Alte den Weg erreicht hatte, derzur Feste führte, blieb er stehen und strecktebeide Arme hoch, um ihnen Halt zu gebie-ten. Atlan ging weiter. Fenrir knurrte dro-hend und fletschte die Zähne.

»Aus dem Weg, Alter«, befahl der Arko-nide. »Wer auch immer du bist, wenn dunicht sofort verschwindest, wirst du von mirPrügel beziehen, wie du sie wahrscheinlichseit Jahren nicht mehr bekommen hast.«

Der Erste blickte den Arkoniden mit ge-weiteten Augen an. Seine Augen warenweißlich grau. Pupillen waren kaum zu er-kennen.

»Du wagst es, mit zu drohen?« fragte erschrill.

»Dabei ist nichts zu wagen«, erklärte At-lan. Knapp einen Meter von dem Alten blieber stehen. Der Dalazaar war ebenso groß wieer auch. »Aus dem Weg.«

»Die Befehle erteile ich«, schrie der Erste.»Das gilt vielleicht für die Dalazaaren,

Freund, nicht aber für uns. Klar?«Der Alte griff zu seinem Gürtel, doch At-

lan hielt seine Hand fest. Mit der anderenHand riß er einen Lederbeutel vom Gürteldes Alten ab und schleuderte ihn weit denAbhang hinunter. Er wußte, was darin war.Skorpionwürmer.

Der Erste verfärbte sich.»Du hast es gewagt, mich zu berühren.

Das ist dein Tod.« Seine Augen weitetensich noch mehr als zuvor. Er streckte einenArm aus und berührte Atlans Brust mit sei-nen Fingern. »Höre, was ich dir befehle.«

»Na schön«, sagte Atlan kaltblütig. »Dashöre ich mir noch an, und dann verschwin-dest du von hier. Einverstanden.«

»Hör mich an«, rief der Alte mit hoherFalsettstimme. »Ich gebe dir den letzten Be-fehl.«

»Und wie lautet der?«Der Alte hielt Atlan die Hände mit ge-

spreizten Fingern schalenförmig über dieHerzgegend.

»Stirb!« flüsterte er. »Stirb hier und jetzt!

Stirb!«Atlan verspürte einen stechenden

Schmerz in der Brust. Plötzlich gab der Zel-laktivator intensiver Impulse ab. Sie zeigteneindeutig an, daß eine akute Gefahr für denAktivatorträger bestand.

Er hat parapsychische Kräfte, stellte derLogiksektor eiskalt fest, so als ob er selbstvon jeglicher Gefahr ausgeschlossen sei.

Atlan packte den Ersten mit beiden Hän-den bei den Hüften, hob ihn hoch undschleuderte ihn den Berg hinunter. Der Alteschrie entsetzt auf. Er stürzte ins Gras undrollte den Abhang hinunter. Immer wiederversuchte er, sich irgendwo festzuhalten,doch es gelang ihm nicht. Er verschwandschließlich etwa dreihundert Meter von At-lan entfernt tief unter ihnen im Gebüsch.

Der Arkonide drehte sich um.»Wir können weitergehen«, wollte er sa-

gen, doch diese Worte kamen nicht über sei-ne Lippen.

Dadan saß verkrümmt auf dem Rückendes Stieres. Seine Augen waren unnatürlichgeweitet.

»Wer bist du?« fragte der Dalazaar keu-chend. »Wie kommt es, daß du dem Fluchdes Ersten widerstehen kannst?«

Atlan war zutiefst erschüttert. In seinemmehr als zehntausend Jahre währenden Le-ben hatte er nur sehr selten Menschen gese-hen, die sich innerhalb kürzester Zeit so ra-dikal verändert hatten wie Dadan. Es schien,als sei der Dalazaar um Jahrzehnte gealtert.Er sah aus wie ein Greis.

Atlan lächelte gezwungen. Er zuckte kurzmit den Schultern.

»Dadan«, sagte er in gewollt lockeremTon. »Das liegt nicht an mir. Das liegt ein-zig und allein an dem saft- und kraftlosenFluch des Ersten. Es steckt nichts dahinter.Wirklich nicht, denn sonst wäre ich wohl totumgefallen. Oder?«

»Du hättest tot sein müssen«, bestätigteder Dalazaar.

»Ich habe mich gegen diesen Unfug ge-wehrt. Warum tust du es nicht auch?«

Atlan wußte, daß Dadan sich nicht weh-

Porquetor der Stählerne 47

ren konnte. Der Glaube an die Macht des Er-sten war tief in ihm verwurzelt. Seine Reak-tion auf den Fluch des Alten wurde von sei-nem Unterbewußtsein gesteuert, und aufsein Unterbewußtsein hatte er nicht den ge-ringsten Einfluß. Atlan wußte, daß nur nochdann eine geringe Chance bestand, wennDadan für mehrere Tage in ein künstlichenTiefschlaf versetzt und dabei mit mechano-hypnotischen Mitteln behandelt wurde. Nurso konnte die verheerende Selbstvernich-tung, die von seinem Unterbewußtsein aus-ging, aufgehalten werden.

Das wäre in TerraniaCity ohne weiteresmöglich gewesen. Dort gab es Spezialklini-ken, die über alle notwendigen Einrichtun-gen verfügten. Sie aber befanden sich aufAtlantis, der geheimnisvollen Insel, dieplötzlich mitten im Atlantik aufgetauchtwar, und die nun unter einem Energieschirmlag, den niemand von ihnen durchbrechenkonnte.

Atlan konnte nicht helfen.Fenrir begann plötzlich zu toben. Er rann-

te auf einen Busch zu, warf sich hinein undzerrte einen Dalazaaren daraus hervor, indessen Oberarm er sich verbissen hatte. Se-kunden später stürmten etwa fünfzig Dala-zaaren auf ihren Panzerstieren durch die Bo-denrinne nach oben.

Atlan riß die Skerzaal an die Schulter. DerStahlbolzen flog ihm fast wie von selbst indie Finger. Er legte ihn ein, spannte die Seh-ne und jagte den Bolzen hinein. Im gleichenAugenblick schoß auch Razamon.

Atlan traf einen der Stiere in der vorder-sten Linie an der Stirn. Wie erhofft, durch-bohrte der Bolzen die Schädeldecke undfällte das Tier. Der Reiter stürzte schreiendüber den Kopf des Stieres auf den Boden.Die anderen Stiere drängten wütend nach,doch vor ihnen lagen zwei um sich schla-gende, sterbende Tiere, die sie behinderten.Dadurch wurden sie aufgehalten, wenn auchnur für Sekunden.

Diese kurze Zeitspanne genügte Atlanund Razamon jedoch, die Skerzaals erneutzu laden, zu spannen und abzuschießen. Und

wiederum gelang es Atlan, einen Stier zu tö-ten. Der von Razamon abgefeuerte Stahlbol-zen prallte dicht unter den Hörnern gegenden Schädel des Tieres, auf das er gezielthatte, und prallte wirkungslos davon ab.

»Tiefer halten«, brüllte der Arkonide. Erstand deckungslos auf dem Weg, der zur Fe-ste Grool führte. Razamon fand einen gewis-sen Schutz dadurch, daß der Stier Dadansihn abschirmte.

»Dadan«, schrie Atlan. »Willst du nichtstun? Wehre dich!«

Der Dalazaar saß noch immer regungslosauf dem Rücken seines Reitstiers, ohne aufden Angriff aus der Ebene zu reagieren. Erwar wie gelähmt, und er schien noch garnicht richtig erfaßt zu haben, was geschah.Die Worte des Arkoniden jedoch schrecktenihn auf. Er zuckte zusammen und griff dannhastig nach seinem Blasrohr.

Unter den angreifenden Dalazaaren wareine chaotische Unruhe entstanden, weil esden Reitern der ersten Reihe nicht gelang,die Stiere über die drei Kadaver hinwegzu-treiben. Die anderen Reiter drängten nachund machten die Situation für die vorderendadurch noch schwieriger. So gewannen At-lan und seine Begleiter kostbare Sekunden,in denen sie die Waffen neu laden konnten.

Als Atlan seine Skerzaal anlegte, sah er,daß etwas Zuckendes auf ihn zuflog. In-stinktiv warf er sich zur Seite, und dann er-kannte er, daß ein fingerdicker Wurm, dermit einem nadelfeinen Stachel versehen war,an ihm vorbeiwirbelte.

Die Dalazaaren schossen mit Skorpion-würmern.

Von maßlosem Ekel erfüllt, hieb er denKolben der Skerzaal auf den Boden und zer-schmetterten den Giftwurm. Dann riß er dieWaffe hoch und feuerte sie ab.

Er traf wiederum. Dieses Mal erwischte ergerade den Stier, der als erster Aussicht hat-te, über den Wall der erlegten Tiere hinweg-zukommen. Er traf ihn tödlich.

Razamon fluchte voller Wut und Enttäu-schung, weil es ihm nicht gelungen war,einen so wirksamen Treffer zu setzen. Der

48 H. G. Francis

Bolzen aus seiner Waffe war einem anderenStier in die Nüstern gefahren. Das Tierbäumte sich brüllend auf und behinderte dieanderen Reiter.

Jetzt endlich griff Dadan ein.Er lud sein Blasrohr mit einem Skorpion-

wurm, setzte das Mundstück an die Lippenund schoß den Wurm ab. Das Tier klatschtegegen die Brust eines Stieres und stach zu.

Atlan hörte das getroffene Tier schreienund toben, während ihm Skorpionwürmerum den Kopf flogen. Er wehrte die gefährli-chen Tiere mit dem Kolben seiner Waffe abund verhinderte so, daß sie ihn erreichten.Dabei kam er jedoch selbst nicht mehr zumSchuß.

Entsetzt beobachtete er, daß die Würmer,die ihn verfehlt hatten, mit unglaublichschneller Bewegung auf ihn zukrochen undseine Füße zu erreichen suchten.

Ihm wurde bewußt, daß er dabei war, dieÜbersicht zu verlieren. Er konnte sich nurauf die Abwehr konzentrieren und mußteden Angriff vernachlässigen.

Der Anfang vom Ende, diagnostizierte derLogiksektor.

Atlan hämmerte den Kolben der Skerzaalauf den Boden und tötete sechs Würmer, dieihn fast erreicht hatten. Dann rannte er eini-ge Schritte weit zur Seite, lud die Skerzaalund feuerte sie dreimal hintereinander ab.Glücklicherweise war es Razamon ebenfallsgelungen, sich in eine sichere Schußpositionzu bringen. Auch er schoß.

Dadan saß hochaufgerichtet auf seinemStier, der wie zu Stein erstarrt auf der Stellestand. Der Dalazaar setzte sein Blasrohrenergisch ein, aber auch er zielte nur auf dieStiere.

Der Angriff der Dalazaaren brach endgül-tig zusammen.

Die Windmühlenhüter standen hinter demWall der Kadaver und luden ihre Blasrohre.

»Ihr verdammten Narren«, schrie Dadan.»Porquetor hat unser Volk schon immer ge-quält. Er hat uns gefoltert. Er hat getötet,wenn es ihm gefiel. Er hat uns unsere Frei-heit genommen. Wir haben ihn besiegt. Und

was tut ihr? Anstatt uns zu helfen, den Siegvollkommen zu machen, versucht ihr, uns zutöten.«

Ein Skorpionwurm flog auf ihn zu.Dadan blickte ihm entgegen und wischte

ihn dann mit lässig anmutender Bewegungmit seinem Blasrohr zur Seite. Er bot dasBild eines Mannes, der sich vollkommen ge-fangen hatte. Das Greisenhafte war ver-schwunden. Seine Augen waren wieder vonjenem Feuer erfüllt, das Atlan von Anfangan fasziniert hatte.

Doch der Arkonide spürte, daß dieses äu-ßere Bild täuschte.

Er ist nicht stärker als sein Unterbewußt-sein, stellte der Logiksektor kühl fest.

Ein weiterer Skorpionwurm flog auf Da-dan zu. Lachend wehrte er ihn ab.

»Ihr Narren«, schrie er, fischte geschickteinen Wurm aus dem Lederbeutel und schobihn in das Blasrohr.

Falsch herum, warnte der Extrasinn.Atlan schrie auf. Ein kalter Schauer lief

ihm über den Rücken.»Dadan, nicht«, rief er. »Du hast den

Wurm falsch herum in das Rohr gesteckt!«Dadan blickte ihn verächtlich an.»Falsch herum«, sagte er verständnislos.

»Was denkst du von mir?«Er setzte das Blasrohr an die Lippen.»Nein«, schrie Atlan.Der Dalazaar erstarrte. Er ließ das Blas-

rohr fallen. Sein Gesicht verzerrte sich. Sei-ne Hände fuhren zu den Lippen und kralltensich in sie hinein, während sich seine Augenvor Entsetzen weiteten.

»Falsch herum«, sagte er keuchend undblickte Atlan an.

»Es war der Fluch. Er war stärker.«Sein Kopf sackte schlagartig nach vorn.

Dadan kippte vom Stier und fiel auf den Bo-den.

Atlan ging zu ihm, als seien die anderenDalazaaren nicht mehr vorhanden. Er knieteneben ihm nieder.

Auf der Oberlippe Dadans war deutlichder Einstich des Giftstachels zu erkennen.Dadan war tot.

Porquetor der Stählerne 49

Atlan drückte ihm die Augen zu und er-hob sich. Erst jetzt merkte er, daß Razamonihn mit seinem Körper abgeschirmt hatte.Doch das war nicht mehr notwendig. DieDalazaaren zogen sich zurück. Fenrir lag aufden toten Stieren und beobachtete sie.

»Wir wollen ihn begraben«, sagte Atlantonlos. »Wir werden ihn mit Steinen be-decken.«

Er tötete einen Skorpionwurm, der seineFüße zu erreichen suchte. Dann hob er Da-dan hoch und trug ihn zum Wegrand. Er leg-te ihn neben einem großen Stein nieder,sammelte zusammen mit Razamon Steineund schichtete sie über den Leichnam, bis ersich dessen sicher war, daß Dadan nicht vonHyänen oder Raubvögeln ausgegraben wer-den konnte.

Danach barg er die Stahlbolzen, die erund Razamon verschossen hatten. Die mei-sten von ihnen konnte er nur mit Hilfe seinesMessers aus den Tierkadavern herausholen.Diese Arbeit war unumgänglich, da der Vor-rat an Stahlbolzen bereits kritisch gewordenwar. Sie konnten es sich nicht leisten, auchnur ein einziges Geschoß liegenzulassen.

»Komm«, sagte er anschließend zu Raza-mon, der den Weg von allen noch lebendenSkorpionwürmern gereinigt hatte. »Wirbringen Porquetor zur Feste.«

Atlan versuchte, Dadans Stier anzutrei-ben, doch das Tier reagierte nicht auf seineBefehle.

Fenrir merkte, welche Schwierigkeitender Arkonide hatte. Er sprang den Stier vonhinten an, knurrte und biß endlich sogar,aber auch das blieb ohne Erfolg.

»Wir ziehen die Rüstung hinter uns her«,entschied Atlan.

»Das schwere Ding?« wandte Razamonein.

»Wir sind trotz unseres hohen Alters wohlnoch rüstig genug, das zu schaffen«, sagteAtlan lächelnd. »Oder nicht, du Greis?«

Razamon lachte.»Okay, Lord der USO. Wir werden es

schon schaffen.«Sie stießen Porquetor vom Rücken des

Stieres herunter und ließen ihn auf den Bo-den poltern. Dann packten sie ihn an denStulpenhandschuhen, die fest mit dem Stahlder Armverkleidung verbunden waren, undzerrten ihn hinter sich her.

»Es geht leichter, als ich gedacht habe«,gestand Razamon ein.

Fenrir blieb zurück. Atlan beobachtete,daß er große Fleischstücke aus den Flankenund den Schenkeln der toten Stiere riß undsie gierig verschlang. Er ließ ihn gewähren.Der Fenriswolf brauchte diese Stärkungdringend.

»Jetzt werden wir hoffentlich bald erfah-ren, wer dieses Ding ferngesteuert hat«, sag-te Razamon, während sie sich der Feste nä-herten. »Ich bin gespannt, wer der echte Por-quetor ist.«

»Oder dessen Bezwinger.«»Wie meinst du das?« fragte Razamon

verblüfft.»Vielleicht ist Porquetor, also derjenige,

der die Rüstung fernsteuert, schon vor Jah-ren von einem anderen ausgeschaltet wor-den? Vielleicht haben Generationen vonständig wechselnden Persönlichkeiten daoben in der Feste Grool gesessen und diesenHalbroboter ins Land hinausgeschickt.«

»Es ist eine eigenartige Vorstellung, daßwir im Blutdschungel von einem Halbrobo-ter vor den Raubschweinen gerettet wur-den«, bemerkte Razamon. »Da oben in derFeste sitzt also jemand, der genau beobach-tet hat, was geschehen ist. Warum hat er unserst geholfen, um sich dann gegen uns zustellen? Wodurch sind wir für ihn zu einerGefahr geworden?«

»Ich weiß es nicht«, sagte der Aktivator-träger. »Ich habe keine Ahnung. Vielleichthätte er uns in den Höhlen der Paarlen unge-schoren gelassen, vielleicht aber hätte er unsauch umgebracht, weil wir Zeugen seinerUntaten geworden sind.«

Sie hatten die Brücke erreicht, die über ei-ne Schlucht zu einer der Stützsäulen der Fe-ste Grool hinüberführte. Atlan blickte andem riesigen Gebäude hoch. Die Spitze mitden antennenartigen Auswüchsen ver-

50 H. G. Francis

schwand im Nebel. Überrascht stellte er fest,daß alle Schäden, die durch den Beschuß derPaarlen entstanden waren, bereits behobenworden waren.

Am Ende der Brücke befand sich das Tor,das aus zwei Flügeln bestand. Diese wurdenoffenbar mit Hilfe einer Kette bewegt, dieeinige Meter höher aus dem Stützpfeiler her-auskam und wiederum einige Meter höher ineiner runden Öffnung verschwand. Sie stell-te einen unbegreiflichen Anachronismus zuden sonst so modern wirkenden Einrichtun-gen der Feste dar.

Nirgendwo über ihnen ließ sich jemandsehen.

»Und jetzt?« fragte Razamon ratlos. »Wasmachen wir jetzt? Wo ist die große Glocke,mit der wir die Bewohner aus dem Schlafholen können?«

Atlan ließ den Arm Porquetors los undging allein über die Brücke. Das Doppeltorbestand aus einem glatten, fugenlosen Mate-rial. Dort, wo die beiden Torflügel zusam-menstießen, befand sich eine tiefe Kerbe, dieeine deutliche Teilung anzeigte.

Nirgendwo befand sich etwas, was als Si-gnalgeber anzusehen war. Suchend blickteAtlan an den Wänden der Feste hoch. Überihm blitzte es auf. Aus den antennenartigenAuswüchsen zuckten lautlos Energieblitze inden Himmel hinauf. Atlan konnte nicht er-kennen, ob sie ein Ziel anstrebten, da derNebel über ihm alles verdeckte.

Fenrir schloß knurrend zu ihm auf, ranntean ihm vorbei und warf sich gegen das Tor.Es dröhnte dumpf, als der schwere Körperaufprallte, sonst geschah nichts weiter.

»Ich werde die da oben mal ein bißchenmunter machen«, erklärte Razamon. Sorg-fältig präparierte er seine Skerzaal, indem ersie erst spannte und danach erst den Bolzeneinlegte. Während des Kampfes hatte er ausZeitgründen ebenso wie Atlan den Bolzenschon vorher eingelegt. Er hob die Waffeund bewegte sie suchend hin und her.

»Nimm eines der Fenster«, riet Atlan ihm.»Wenn es klirrt, wird man schon auf unsaufmerksam werden.«

Razamon grinste breit.»Es wird mir ein besonderes Vergnügen

sein, die Feste anzugreifen«, antwortete er.»Wir brauchen ja nicht mehr zu befürchten,daß Porquetor wie ein Racheengel daher-kommt und uns in Stücke reißt.«

Er trat mit dem Fuß gegen den Halbrobo-ter, der neben ihm auf dem Boden lag. Por-quetor bewegte sich nicht. Die Kurzschlüssehatten seine Systeme funktionsunfähig ge-macht.

Razamon feuerte einen Bolzen ab. DasGeschoß stieg pfeifend auf und prallte hochüber ihnen gegen eines der Fenster der unte-ren Halbkugel. Das Glas zersplitterte klir-rend.

»Ein guter Schuß«, lobte Atlan.Er kehrte zu dem geheimnisvollen Atlan-

ter zurück. Da die Paarlen mit ihrem Be-schuß eine so prompte Reaktion bewirkt hat-ten, erwartete er unwillkürlich, daß nun auchetwas geschehen würde. Aber er irrte sich.Niemand reagierte.

»Und was nun?« fragte Razamon ratlos.»Wir müssen etwas anderes versuchen«,

erwiderte Atlan. Er kniete neben der aufge-brochenen Rüstung Porquetors nieder unduntersuchte sie sorgfältig.

»Was soll das?« fragte Razamon. »Hastdu vor, wissenschaftliche Studien zu trei-ben? Es fängt bald an zu regnen. Dannmöchte ich in der Feste im Trockenen sit-zen.«

»Das wirst du auch«, behauptete der Ar-konide. Er hatte eine winzige Batterie ent-deckt, die nicht von den Kurzschlüssen zer-stört worden war. Er löste sie aus der Halte-rung und hob sie hoch. »Sie gehört zumKommunikationssystem. Mal sehen, ob mandamit nicht ein Funksignal abgeben kann.Das wird die da oben vielleicht munter ma-chen.«

Atlan klemmte die Batterie in ein anderesSystem und führte dann rhythmisch zweiDrähte zusammen. Jedesmal wenn sie sichberührten, sprang ein kleiner Funke über.

Während Atlan sich noch über den Halb-roboter beugte, schrie Razamon plötzlich

Porquetor der Stählerne 51

auf.Der Arkonide hob den Kopf und blickte

zum Tor der Feste hinüber. Fenrir kam ihmwinselnd entgegen.

Das Tor war nicht mehr da. An seinerStelle gähnte ein schwarzes Loch. Aus die-sem kam eine hochgewachsene Gestalt her-vor.

Atlan erhob sich.Der Mann im Tor trug eine schwarze Ro-

be, die ihm fast zu den Knien reichte. Er ließsie achtlos fallen, als er die Brücke erreichthatte. Darunter wurde ein ebenfalls schwar-zer Anzug sichtbar, der aus einem hemdarti-gen Oberteil und enganliegenden Hosen be-stand. Der Kopf verbarg sich unter einerflammend roten Kapuze, in die Schlitze fürdie Augen und den Mund eingelassen wor-den waren.

In den Händen trug der Mann ein Hen-kersschwert, wie es in den Jahren um 1590

in Frankreich verwendet wurde. Atlan erin-nerte sich an Hinrichtungen, bei denen erZeuge gewesen war. Damals war er in derMaske eines Staatsdieners aufgetreten. Erselbst hatte Glück gehabt, dem Henkers-schwert zu entgehen.

Breitbeinig blieb der Henker vor dem Toram Beginn der Brücke stehen. Er stieß dieSpitze des Schwertes auf den Boden undstützte beide Hände darauf.

Atlan hörte Razamon stöhnen. Er blickteseinen Begleiter an.

Razamon hatte die Hände vor das Gesichtgeschlagen. Seine Schultern zuckten.

Ein schrecklicher Verdacht stieg in Atlanauf.

ENDE

E N D E

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