9
DOI: 10.1007/s00350-014-3639-x Prädiktive Gendiagnostik, Familienverband und Haftungsrecht* Reinhard Damm I. Fallkonstellation und Entscheidungsrelevanz Die Entscheidung ist nach dem in demselben Verfahren ergangenen Prozesskostenhilfebeschluss 1 mit einigem In- teresse erwartet worden. Bereits dieser Beschluss ist inten- siv und kontrovers diskutiert worden 2 . Und es ist davon auszugehen, dass sich die Diskussion dieses Rechtskonflikts auch nach der zu erwartenden Revisionsentscheidung des BGH intensiv und sicher nicht ohne Meinungsunterschiede fortsetzen wird. Das OLG hat es in erheblichem Umfang mit bislang nicht entschiedenen Fragen zu tun, denen es sich sichtlich engagiert zuwendet, die es aber letztlich noch nicht alle abschließend beantworten kann. Die Fallkons- tellation weist Besonderheiten auf, die sie aus der Vielzahl von Arzthaftungsfällen heraushebt. Die Klägerin war nicht Patientin des beklagten Arztes, sondern die ehemalige Ehe- frau eines Patienten des Beklagten und Mutter von zwei aus der Ehe stammenden gemeinsamen Kindern, darunter ein damals 16-jähriger Sohn. Die Kinder stehen aus medizini- scher Sicht im eigentlichen Mittelpunkt des Geschehens, weil sie möglicherweise ebenfalls Träger einer genetischen Anlage zu der bei ihrem Vater festgestellten Erbkrankheit Chorea Huntington sind. Diese ist nicht definitiv verhin- derbar und bislang auch nicht kausal behandelbar. Der beklagte Arzt informierte die klagende Mutter über die Erkrankung seines Patienten und den damit begründeten Risikostatus ihrer Kinder und empfahl ihr, die Kinder genetisch untersuchen zu lassen. Die Klägerin ist seitdem an einer Depression erkrankt und nicht erwerbsfähig. Ob der Beklagte hinsichtlich seines Informationsverhaltens auf Veranlassung oder mit Zustimmung seines Patienten han- delte, ist zwischen den Parteien streitig. Es geht vor diesem Hintergrund zwar um die Haftung eines Arztes, dies aber nicht im Rahmen eines Behand- lungsverhältnisses. Dieser letztgenannte Aspekt steht aller- dings unter dem Vorbehalt der vom Gericht angedeuteten, aber offen gelassenen Frage, ob nicht doch ein konkludent geschlossener Beratungsvertrag oder ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustande gekommen sein könnte. Diese vertragliche Problematik soll auch hier außer Betracht blei- ben. Im Übrigen ist hervorzuheben, dass es in dem Ver- fahren zwar unmittelbar nur um das Verhältnis zwischen der Mutter der Kinder und ehemaligen Ehefrau des Pati- enten einerseits und dem beklagten Arzt dieses Patienten andererseits geht. Es sind aber mittelbare wechselbezügliche Einwirkungen zwischen diesem Verhältnis und den Lebens- situationen und Rechtsbeziehungen der anderen betroffe- nen Personen in Betracht zu ziehen. Damit ist zunächst das Verhältnis zwischen Patient/Vater/Ex-Ehemann und Arzt angesprochen, weiterhin das zwischen Vater und Mutter, dasjenige zwischen Vater und Kindern und schließlich und insbesondere das zwischen der Mutter und ihren Kindern als möglichen Risikopersonen hinsichtlich der bedrohlichen Huntingtonschen Krankheit. Dies wird nicht zuletzt da- durch unterstrichen, dass das Gericht in mehreren Passagen ausführlich auf die rechtliche Stellung der Kinder im Rah- men des Gendiagnostikrechts eingeht, wobei dies angesichts der Fall- und Parteienkonstellation von vornherein nur mit Blick auf das Verhältnis der Prozessparteien, Mutter als Klä- gerin und Arzt als Beklagter, von Bedeutung sein kann. In dem Verfahren ging es danach nicht um den geläufigen Vorwurf eines Aufklärungsfehlers im Rahmen eines Arzt/ Patient-Verhältnisses. Dennoch ist eine informationelle Pro- blematik ärztlichen Handelns betroffen. Allerdings ging es nicht um den Vorwurf fehlender oder unzulänglicher Auf- klärung eines Patienten, sondern um einen gewissermaßen umgekehrten Aufklärungsfehler: Dem Arzt wird von einer Nichtpatientin nicht eine unterlassene Aufklärung, sondern eine gewissermaßen aufgedrängte Information über die mögliche erbliche Belastung der Kinder zum Vorwurf ge- macht, nämlich die Mitteilung eines hohen Erkrankungsri- sikos der zu diesem Zeitpunkt 12 und 16 Jahre alten Kinder. Mit diesem Aspekt ist das eigentliche Problemzentrum des Falles berührt. Dabei geht es in medizinischer Perspektive um die Gendiagnostik im Familienverband und in rechtli- cher Hinsicht um wechselbezügliche Rechtspositionen und Pflichtengefüge im Rahmen einer expandierenden „Fami- liengenetik“. Aus diesem Zusammentreffen von Recht und Genmedizin resultieren die hier aufgeworfenen schwierigen Rechtsfragen zwischen allgemeinem Privatrecht und beson- derem Gendiagnostikrecht. Die betroffene Huntingtonsche Krankheit gilt seit langem als paradigmatisch für einen besonders dramatischen Ausschnitt der genetischen Diag- nostik. Diese vererbliche und zugleich weder verhinderba- re noch kausal behandelbare Erkrankung tritt meist in der zweiten Lebenshälfte auf. Allerdings kann die Disposition für diese Krankheit schon vor ihrem Ausbruch und auch schon im Kindesalter durch prädiktive Gendiagnostik fest- gestellt werden. Es sind in normativer Hinsicht allgemeine zivilrechtliche Rechtsfragen einschlägig, aber auch das Son- derrecht der Gendiagnostik und insbesondere des seit 2010 geltenden Gendiagnostikgesetzes. II. Deliktsrechtliche Anknüpfung und Rechtsgüterbezug Als Anspruchsgrundlage stellt das Gericht ausschließlich auf § 823 Abs. 1 BGB ab. Dessen Tatbestand sieht es als rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht an. Der beklagte Arzt habe die Gesundheit der Klägerin durch die Mittei- lung verletzt, dass sein Patient, ihr geschiedener Ehemann, an der Krankheit Chorea Huntington leide und eine fünf- zigprozentige Wahrscheinlichkeit bestehe, dass auch die Prof. Dr. iur. Reinhard Damm, Universität Bremen, Fachbereich Rechtswissenschaft, Institut für Informations-, Gesundheits- und Medizinrecht, Postfach 33 04 40, 28334 Bremen, Deutschland MedR (2014) 32: 139–147 139 *) Zugleich Besprechung der Entscheidung des OLG Koblenz v. 31. 7. 2013 – 5 U 1427/12 –, MedR 2014, 168 (in diesem Heft). 1) OLG Koblenz, MedR 2012, 742. 2) Es wird insofern auf die ausführliche Stellungnahme des Autors zu dem Beschluss des OLG hingewiesen: Damm, MedR 2012, 705; das OLG bezieht sich nun in seinem Urteil wiederholt auf diese Stellungnahme. Zu dem PKH-Beschluss auch die Anmerkungen von Jaeger, VersR 2012, 862; Kern, GesR 2012, 352.

Prädiktive Gendiagnostik, Familienverband und Haftungsrecht

Embed Size (px)

Citation preview

DOI: 10.1007/s00350-014-3639-x

Prädiktive Gendiagnostik, Familienverband und Haftungsrecht*Reinhard Damm

I. Fallkonstellation und Entscheidungsrelevanz

Die Entscheidung ist nach dem in demselben Verfahren ergangenen Prozesskostenhilfebeschluss 1 mit einigem In-teresse erwartet worden. Bereits dieser Beschluss ist inten-siv und kontrovers diskutiert worden 2. Und es ist davon auszugehen, dass sich die Diskussion dieses Rechtskonflikts auch nach der zu erwartenden Revisionsentscheidung des BGH intensiv und sicher nicht ohne Meinungsunterschiede fortsetzen wird. Das OLG hat es in erheblichem Umfang mit bislang nicht entschiedenen Fragen zu tun, denen es sich sichtlich engagiert zuwendet, die es aber letztlich noch nicht alle abschließend beantworten kann. Die Fallkons-tellation weist Besonderheiten auf, die sie aus der Vielzahl von Arzthaftungsfällen heraushebt. Die Klägerin war nicht Patientin des beklagten Arztes, sondern die ehemalige Ehe-frau eines Patienten des Beklagten und Mutter von zwei aus der Ehe stammenden gemeinsamen Kindern, darunter ein damals 16-jähriger Sohn. Die Kinder stehen aus medizini-scher Sicht im eigentlichen Mittelpunkt des Geschehens, weil sie möglicherweise ebenfalls Träger einer genetischen Anlage zu der bei ihrem Vater festgestellten Erbkrankheit Chorea Huntington sind. Diese ist nicht definitiv verhin-derbar und bislang auch nicht kausal behandelbar. Der beklagte Arzt informierte die klagende Mutter über die Erkrankung seines Patienten und den damit begründeten Risikostatus ihrer Kinder und empfahl ihr, die Kinder genetisch untersuchen zu lassen. Die Klägerin ist seitdem an einer Depression erkrankt und nicht erwerbsfähig. Ob der Beklagte hinsichtlich seines Informationsverhaltens auf Veranlassung oder mit Zustimmung seines Patienten han-delte, ist zwischen den Parteien streitig.

Es geht vor diesem Hintergrund zwar um die Haftung eines Arztes, dies aber nicht im Rahmen eines Behand-lungsverhältnisses. Dieser letztgenannte Aspekt steht aller-dings unter dem Vorbehalt der vom Gericht angedeuteten, aber offen gelassenen Frage, ob nicht doch ein konkludent geschlossener Beratungsvertrag oder ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustande gekommen sein könnte. Diese vertragliche Problematik soll auch hier außer Betracht blei-ben. Im Übrigen ist hervorzuheben, dass es in dem Ver-fahren zwar unmittelbar nur um das Verhältnis zwischen der Mutter der Kinder und ehemaligen Ehefrau des Pati-enten einerseits und dem beklagten Arzt dieses Patienten andererseits geht. Es sind aber mittelbare wechselbezügliche Einwirkungen zwischen diesem Verhältnis und den Lebens-situationen und Rechtsbeziehungen der anderen betroffe-nen Personen in Betracht zu ziehen. Damit ist zunächst das Verhältnis zwischen Patient/Vater/Ex-Ehemann und Arzt angesprochen, weiterhin das zwischen Vater und Mutter, dasjenige zwischen Vater und Kindern und schließlich und insbesondere das zwischen der Mutter und ihren Kindern als möglichen Risikopersonen hinsichtlich der bedrohlichen

Huntingtonschen Krankheit. Dies wird nicht zuletzt da-durch unterstrichen, dass das Gericht in mehreren Passagen ausführlich auf die rechtliche Stellung der Kinder im Rah-men des Gendiagnostikrechts eingeht, wobei dies angesichts der Fall- und Parteienkonstellation von vornherein nur mit Blick auf das Verhältnis der Prozessparteien, Mutter als Klä-gerin und Arzt als Beklagter, von Bedeutung sein kann.

In dem Verfahren ging es danach nicht um den geläufigen Vorwurf eines Aufklärungsfehlers im Rahmen eines Arzt/Patient-Verhältnisses. Dennoch ist eine informationelle Pro-blematik ärztlichen Handelns betroffen. Allerdings ging es nicht um den Vorwurf fehlender oder unzulänglicher Auf-klärung eines Patienten, sondern um einen gewissermaßen umgekehrten Aufklärungsfehler: Dem Arzt wird von einer Nichtpatientin nicht eine unterlassene Aufklärung, sondern eine gewissermaßen aufgedrängte Information über die mögliche erbliche Belastung der Kinder zum Vorwurf ge-macht, nämlich die Mitteilung eines hohen Erkrankungsri-sikos der zu diesem Zeitpunkt 12 und 16 Jahre alten Kinder. Mit diesem Aspekt ist das eigentliche Problemzentrum des Falles berührt. Dabei geht es in medizinischer Perspektive um die Gendiagnostik im Familienverband und in rechtli-cher Hinsicht um wechselbezügliche Rechtspositionen und Pflichtengefüge im Rahmen einer expandierenden „Fami-liengenetik“. Aus diesem Zusammentreffen von Recht und Genmedizin resultieren die hier aufgeworfenen schwierigen Rechtsfragen zwischen allgemeinem Privatrecht und beson-derem Gendiagnostikrecht. Die betroffene Huntingtonsche Krankheit gilt seit langem als paradigmatisch für einen besonders dramatischen Ausschnitt der genetischen Diag-nostik. Diese vererbliche und zugleich weder verhinderba-re noch kausal behandelbare Erkrankung tritt meist in der zweiten Lebenshälfte auf. Allerdings kann die Disposition für diese Krankheit schon vor ihrem Ausbruch und auch schon im Kindesalter durch prädiktive Gendiagnostik fest-gestellt werden. Es sind in normativer Hinsicht allgemeine zivilrechtliche Rechtsfragen einschlägig, aber auch das Son-derrecht der Gendiagnostik und insbesondere des seit 2010 geltenden Gendiagnostikgesetzes.

II. Deliktsrechtliche Anknüpfung und Rechtsgüterbezug

Als Anspruchsgrundlage stellt das Gericht ausschließlich auf § 823 Abs.  1 BGB ab. Dessen Tatbestand sieht es als rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht an. Der beklagte Arzt habe die Gesundheit der Klägerin durch die Mittei-lung verletzt, dass sein Patient, ihr geschiedener Ehemann, an der Krankheit Chorea Huntington leide und eine fünf-zigprozentige Wahrscheinlichkeit bestehe, dass auch die

Prof. Dr. iur. Reinhard Damm, Universität Bremen, Fachbereich Rechtswissenschaft, Institut für Informations-, Gesundheits- und Medizinrecht, Postfach 33 04 40, 28334 Bremen, Deutschland

MedR (2014) 32: 139–147 139

*) Zugleich Besprechung der Entscheidung des OLG Koblenz v. 31. 7. 2013 – 5 U 1427/12 –, MedR 2014, 168 (in diesem Heft).

1) OLG Koblenz, MedR 2012, 742.2) Es wird insofern auf die ausführliche Stellungnahme des Autors zu

dem Beschluss des OLG hingewiesen: Damm, MedR 2012, 705; das OLG bezieht sich nun in seinem Urteil wiederholt auf diese Stellungnahme. Zu dem PKH-Beschluss auch die Anmerkungen von Jaeger, VersR 2012, 862; Kern, GesR 2012, 352.

gemeinsamen Kinder an der Erbkrankheit litten. In dem vorangegangenen PKH-Verfahren hatte sich das Gericht auf den Hinweis beschränken können, dass sich die „be-hauptete Körperverletzung“ bzw. die „schlüssig behauptete Erkrankung nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand als rechtswidrige Körperverletzung i. S. des § 823 Abs.  1 BGB darstellt“ 3. Nunmehr sieht es der Senat als erwiesen an, dass die Äußerung des Beklagten zu einer Gesundheits-beeinträchtigung der Klägerin und damit zur Verletzung eines absoluten Rechts i. S. des Deliktsrechts geführt habe. Er verweist insofern auf ärztliche Bescheinigungen, die das Leiden der Klägerin als reaktive Depression belegten. Auf die insoweit möglicherweise berührte Problematik sog. Schockschäden sei hier nur hingewiesen 4.

Die Ausführungen sind an dieser Stelle recht knapp und teilweise kürzer gefasst als im PKH-Beschluss. Es wird auf eine Körperverletzung durch Information oder, wie im PKH-Verfahren ausdrücklich formuliert worden war, auf „eine rechtswidrige Handlung allein durch die Infor-mation der Anspruchstellerin“ abgestellt (mit dem Zusatz „jedenfalls zur Unzeit“) 5. Auch nach dem nun vorliegen-den Urteil ist es die „unerwünschte Information“, die ei-ner Rechtfertigung bedarf 6. Ungeachtet dieses vom OLG zugrunde gelegten informationellen Bezugs einer Kör-perverletzung geht es auf insofern auch denkbare weitere Rechtspositionen nicht näher ein. Es weist aber doch auf das in der den PKH-Beschluss kommentierenden Literatur 7 zur Sprache gebrachte Recht auf informationelle Selbstbe-stimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeits-rechts hin. Eine weitere Untersuchung dazu, ob das Ver-halten des Beklagten zugleich auch eine Verletzung dieses Rechts darstellt, hält das Gericht mit Blick auf die bejahte Körperverletzung nicht mehr für erforderlich 8. Es sei hier aber noch einmal 9 und gerade mit Blick auf die informa-tionelle Dimension der Gendiagnostik auf die besondere Bedeutung des informationellen Selbstbestimmungsrechts in diesem Medizinbereich und letztlich auch für die zu entscheidende Fallkonstellation hingewiesen. Das Gen-diagnostikgesetz erhebt den Schutz des Rechts auf infor-mationelle Selbstbestimmung sogar zu einem Zweck des Gesetzes (§ 1 GenDG) und auch das Recht auf Nichtwissen ist ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen worden (§ 9 Abs. 2 Nr. 5 GenDG). Dies entspricht der seit vielen Jahren hierzu geführten wissenschaftlichen und rechtspoli-tischen Diskussion 10.

Vor diesem Hintergrund hätte eine Prüfung dieser infor-mationellen Rechtspositionen neben der Körperverletzung durchaus nahe gelegen. Dies gilt umso mehr, als das Ge-richt das Recht auf Nichtwissen sogar in einem der Leit-sätze explizit hervorhebt: „Die unerwünschte Information der Kindesmutter ist auch nicht durch das Gendiagnostik-gesetz, die Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission oder eine hypothetische Einwilligung gerechtfertigt, weil ein Arzt auch das ‚Recht auf Nichtwissen‘ zu respektieren hat“. Und in den Entscheidungsgründen geht der Senat nicht nur ausführlich auf das Recht auf informationelle Selbstbestim-mung und das Recht auf Nichtwissen der Kinder ein, son-dern spricht auch ausdrücklich das „Recht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung“ an 11. Und es wäre einer Erörterung dieser Rechte als entscheidungserheblich voll-ends nicht auszuweichen gewesen, wenn es bei im Übrigen gleichbleibendem Sachverhalt an einer Gesundheitsverlet-zung bei der Klägerin gefehlt hätte.

Allerdings wäre das Gericht dann auf einige recht kom-plexe Probleme gestoßen, die bislang weder in der Lite-ratur noch in der Rechtsprechung geklärt worden sind. Ja, einige der damit angesprochenen Fragen sind, soweit ersichtlich, bisher nicht einmal gestellt worden. Insofern ist auf folgende Gesichtspunkte hinzuweisen: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gilt nach überwie-gender Auffassung als bereichsspezifische Ausprägung des

allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Und das Recht auf Nichtwissen wie auch das Recht auf Kenntnis hinsichtlich der eigenen genetischen Disposition gelten als spezifische Normvarianten des Rechts auf informationelle Selbstbe-stimmung. Gerade im Recht der Gendiagnostik werden damit die unterschiedlichen Stoßrichtungen des informati-onellen Selbstbestimmungsrechts deutlich. Es kann sowohl gegen die Vorenthaltung von Informationen als auch gegen aufgedrängte Informationen gewendet werden und so als Informationsrecht wie auch als Informationsabwehrrecht zur Geltung kommen.

Nach der wiederholten Bezugnahme des OLG auf die einschlägigen, hier negativ abwehrenden Informations-rechte einerseits und dem Verzicht auf eine Erörterung dieser Rechte als möglicherweise auch Ansprüche der Klä-gerin begründender absoluter Rechte i. S. von § 823 Abs. 1 BGB andererseits könnte man die Begründungslinie des Gerichts so kennzeichnen: Es betont das informationelle Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf Nichtwissen zwar nachdrücklich, aber in einem gewissermaßen unei-gentlichen Sinne. Diese Rechte werden nach der Anlage der Entscheidung nicht als selbständige, ggf. entscheidungs-erhebliche persönlichkeitsrechtliche Rechtspositionen he-rangezogen, sondern in Verbindung mit einer Pflicht zur Nichtinformation, deren Verletzung lediglich im Zusam-menhang mit der durch die Information verursachten Ge-sundheitsverletzung thematisiert wird.

Ein besonders Problem resultiert aus dem Umstand, dass das OLG schon in seinem bereits zitierten Leitsatz das der Klägerin danach zustehende „Recht auf Nichtwissen“ ausdrücklich in einen Zusammenhang mit dem Gendi-agnostikgesetz bringt. Es könnte dadurch der Eindruck entstehen, dass das Recht auf Nichtwissen der Klägerin als Mutter der Kinder als Risikopersonen seine Grundlage in diesem Gesetz finden könnte. Dies ist aber nicht der Fall, zumindest aber höchst zweifelhaft: Im Rahmen des Gen-diagnostikgesetzes geht es bei dem Recht auf Nichtwissen um das Recht von „Betroffenen“ hinsichtlich ihrer eige-nen genetischen Disposition. Dementsprechend ist davon auszugehen dass der in § 1 GenDG normierte Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts auf den Schutz genetisch Betroffener zielt. Und nach § 9 Abs.  2 Nr.  5 GenDG betrifft das „Recht der betroffenen Person auf Nichtwissen“ offensichtlich Personen, deren Aufklärung bezüglich einer beabsichtigten genetischen Untersuchung zu sichern ist. Es geht insofern also um genetisch un-mittelbar Betroffene als Erkrankte oder Risikopersonen. Als solche kommen im hier gegebenen Fall neben dem Vater nur die beiden Kinder als genetisch Verwandte in Betracht, nicht aber die Mutter. Ob auch ein Recht auf Nichtwissen der zwar als Mutter, nicht aber selbst als ge-netische Risikoträgerin Betroffenen in Betracht gezogen werden kann, soll hier als Rechtsproblem nur angedeutet werden. Jedenfalls verfehlt die in einem Leitsatz nahe-

Damm, Prädiktive Gendiagnostik, Familienverband und Haftungsrecht140 MedR (2014) 32: 139–147

3) OLG Koblenz, MedR 2012, 744.4) Dazu etwa Katzenmeier, in: NK/BGB, Bd. 2/2, 2. Aufl. 2012,

§ 823, Rdnrn. 19 ff.; Grüneberg, in: Palandt, Bürgerliches Gesetz-buch, 73. Aufl. 2014, Vorb. vor § 249, Rdnr. 40.

5) OLG Koblenz, MedR 2012, 743.6) Leitsatz 4.7) Damm, MedR 2012, 7098) Sub II. 1. (diese Hinweise beziehen sich auch im Folgenden auf

den jeweiligen Gliederungsabschnitt der Entscheidung).9) Vgl. bereits Damm, MedR 2012, 709.10) Zu „informationellen Persönlichkeitsrechten in der Gendiagnos-

tik“ bereits Damm, MedR 1999, 437 ff.; außerdem Damm, MedR 2004, 859 ff.; Damm, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsfor-schung – Gesundheitsschutz 2007, 145, 148 ff.; Damm, Medizini-sches Informationsrecht – Grundlagen und aktuelle Entwicklun-gen, in: FS f. Helmut Rüßmann, 2013, S. 409 ff.

11) Sub II. 2.b), 3.c) (Hervorhebung hinzugefügt).

gelegte Grundlegung eines Rechts auf Nichtwissen der Klägerin im Gendiagnostikgesetz dessen Terminologie und insbesondere seine Schutzzweckorientierung an ge-netisch „Betroffenen“. Eine insofern weitere Unklarheit verursachende Formulierung in dem früheren PKH-Be-schluss taucht hingegen in dieser Form nun nicht mehr auf. Dort hatte das OLG den Begriff des/der „Betroffe-nen“ ausdrücklich auf die klagende Mutter bezogen und formuliert: „Angesichts der fehlenden Handlungsoptio-nen liegt offen zutage, dass es den Betroffenen in einen Gewissenskonflikt stürzt, ob er tatsächlich von einer nicht therapierbaren und derzeit nicht weiter diagnostizierbaren Krankheit Kenntnis erlangen will“. Wenn damit der Be-griff der Betroffenheit der Prozesskonstellation entspre-chend auf die Klägerin bezogen werden soll, handelt es sich jedenfalls um eine andere Begriffsverwendung als im Recht der Gendiagnostik 12.

Kann danach ein Recht der Mutter auf Nichtwissen je-denfalls nicht unmittelbar aus dem Gendiagnostikgesetz bezogen werden, so müssten die normativen und systema-tischen Strukturen eines solchen Rechts sehr viel grund-sätzlicher geprüft werden. Das kann hier nur angedeutet, aber nicht weiter ausgeführt werden. Es geht dabei letztlich um die Frage, ob und ggf. in welcher Weise informationelle Selbstbestimmung in Form eines Rechts auf Nichtwissen auch außerhalb von Humangenetik und Gendiagnostikge-setz in Betracht gezogen werden kann. Dieses Problem des Anwendungsbereichs ist in der Literatur bereits angespro-chen, aber bislang kaum abschließend geklärt worden. In der Sache geht es dabei vorwiegend um weitere Beispiele aus dem medizinischen Bereich. Gunnar Duttge hat in ei-nem Beitrag zum „Recht auf Nichtwissen in der Medizin“ auf eine wichtige Unterscheidung verwiesen 13. Danach seien einerseits spezielle „Anwendungsfelder“ des Rechts auf Nichtwissen zu berücksichtigen, wobei in erster Linie wiederum die Betroffenheit gendiagnostischer Varianten im Vordergrund steht 14. Insofern wird die Rechtsposition der Klägerin, wie angesprochen, nicht vom informatio-nellen Schutzbereich des Gendiagnostikgesetzes umfasst. Andererseits ist von einem „allgemeinen Grundrecht auf ‚informationelle Abgeschiedenheit‘“ die Rede 15. Auf die Reichweite und Normbereiche eines solchen Rechts kann hier nicht näher eingegangen werden. Es geht aber jeden-falls mit Blick auf die Fallkonstellation des Urteils um die kaum geklärte Frage, ob sich die Klägerin auf ein Recht auf Nichtwissen auch unabhängig von einer bei ihr fehlenden genetischen Betroffenheit berufen kann. Insofern gilt auch hier die Frage: „Ist die Anerkennung eines (Grund-)Rechts auf Unkenntnis, das nur höherwertigen Gegeninteressen weichen muss, ein Spezifikum genetischer Daten oder für sämtliche (auf die eigene Gesundheit bezogene) Informati-onen relevant?“ 16. Und außerhalb der Genetik geht es bei der Klägerin nach dem Begründungszusammenhang des Gerichts um die Frage, ob das Recht auf Nichtwissen seine Schutzrichtung auch mit Blick auf die Vermeidung einer Gesundheitsverletzung entfalten kann. Hier soll der Hin-weis genügen, dass das OLG auf derartige Grundsatzfragen gestoßen wäre, wenn es sich auf eine genauere Prüfung in-formationeller Rechtspositionen der Klägerin eingelassen hätte. Dass es dies nicht getan hat, erscheint jedenfalls unter dem Aspekt der Entscheidungsökonomie gerichtlicher Pra-xis nachvollziehbar.

Ob weitere Anspruchsgrundlagen neben dem in der Entscheidung einzig berücksichtigten § 823 Abs. 1 BGB je-denfalls in Betracht gezogen werden könnten, soll hier nur angedeutet, aber nicht weiter verfolgt werden. Dazu gehö-ren der § 823 Abs. 2 BGB 17 und vom Gericht knapp ange-deutete, aber dahingestellte vertragliche und vorvertrag-liche Haftungsgrundlagen 18. Die Klägerin hatte derartige Ansprüche in Betracht gezogen, das LG Bad Kreuznach als Vorinstanz hatte sie definitiv abgelehnt.

III. Rechtswidrigkeit und Rechtfertigungsgründe

1. Schwerpunkt der Entscheidung

Den weitaus breitesten Raum nehmen die Ausführungen des Gerichts zur Rechtswidrigkeit und insbesondere zu mögli-chen Rechtfertigungsgründen ein 19. Dabei spielt in diesem Zusammenhang nunmehr das Gendiagnostikgesetz eine zen-trale Rolle, auf das in dem PKH-Beschluss jedenfalls nicht ausdrücklich Bezug genommen worden war. Es war darin, etwas erstaunlich, nur sehr allgemein von der „Gesetzesla-ge in Deutschland“ die Rede, auf deren Grundlage „es der Mutter nicht gestattet (ist), durch Untersuchungen der Kin-der Gewissheit dahin zu erlangen, ob die Krankheit latent im Erbgut der Kinder angelegt ist“ 20. In diesem Zusammen-hang betonte das Gericht seinerzeit mehrfach, auch schon im Leitsatz der PKH-Entscheidung, dass sich für die Mutter aus der belastenden Information „keinerlei Handlungsopti-on“ ergebe 21. Mit Blick auf den Aspekt der Rechtswidrigkeit hatte sich das Gericht mit einem Hinweis auf das dogmati-sche Haftungskonzept bzw. den „rechtlichen Ausgangspunkt des § 823 Abs. 1 BGB“ begnügt: „Die Überlegung des LG, es fehle an einer gesetzlichen oder ethischen Verpflichtung, die Anspruchstellerin erst bei Volljährigkeit der Kinder zu informieren, ist vom rechtlichen Ausgangspunkt des § 823 Abs. 1 BGB untauglich, eine Pflichtverletzung des Beklagten zu verneinen. Es ist der Beklagte, der einer Rechtfertigung für sein Handeln, nämlich die Aufklärung über den Gen-defekt, bedarf, wenn dies eine potentielle Gesundheitsschä-digung eines Dritten in sich trägt. Daran fehlt es“ 22. Ebenso lapidar fiel die Feststellung aus: „Dass der Wunsch und die entsprechende Entbindung von der Schweigepflicht durch den Kindesvater keine Rechtfertigung für die behauptete Körperverletzung sein kann, bedarf keiner näheren Ausfüh-rung. Weder ist eine Einwilligung der Anspruchstellerin in die Information noch eine mutmaßliche Einwilligung dar-getan. Angesichts der fehlenden Handlungsoptionen liegt offen zutage, dass es den Betroffenen in einen Gewissens-konflikt stürzt, ob er tatsächlich von einer nicht therapierba-ren … Krankheit Kenntnis erlangen will“ 23.

Nunmehr sieht der Senat in der Sachentscheidung offen-sichtlich und mit gutem Grund das Erfordernis, die Pro-blematik der Rechtswidrigkeit ausführlich zu behandeln, ja, diese zum Schwerpunkt der Entscheidung zu machen. Auf diese umfangreichen richterlichen Erörterungen kann hier nicht vollständig, sondern nur teilweise und Schwer-punkte setzend eingegangen werden. Am Anfang dieses

Damm, Prädiktive Gendiagnostik, Familienverband und Haftungsrecht MedR (2014) 32: 139–147 141

12) Insofern geht es selbstverständlich erstens nicht um eine „Krank-heit“ der Mutter selbst und zweitens ist die Formulierung einer „derzeit nicht weiter diagnostizierbaren Krankheit“ zweifach verfehlt: Es geht derzeit nicht um eine Krankheit, sondern al-lenfalls um eine Disposition zu einer Krankheit, und es ist diese Disposition sehr wohl humangenetisch diagnostizierbar.

13) Duttge, Datenschutz und Datensicherheit (DuD) 2010, 34 ff.14) Duttge, DuD 2010, 35 ff. Der Autor geht an dieser Stelle auf ande-

re „Anwendungsfelder“ des Rechts auf Nichtwissen ein, die hier nicht weiter thematisiert werden.

15) Duttge, DuD 2010, 38.16) Duttge, DuD 2010, 37. Der Autor kommt an dieser Stelle mit Blick

auf den Aspekt des „Spezifikums“ zu Recht auf das umstritte-ne Problem eines genetischen „Exzeptionalismus“ zu sprechen; dazu ausführlich Damm/König, MedR 2008, 344 ff.

17) Dazu Damm, MedR 2012, 709.18) Sub II. 3.19) Sub II. 2.20) OLG Koblenz, MedR 2012, 743. 21) OLG Koblenz, MedR 2012, 742 f.22) OLG Koblenz, MedR 2012, 743.23) OLG Koblenz, MedR 2012, 744. Zu Problemen der ärztlichen

Schweigepflicht in Familien mit Erbkrankheiten bereits Henn, Zs. f. med. Ethik 2002, 343.

zentralen Entscheidungsabschnitts stellt das Gericht alle folgenden Überlegungen unter das doppelte Votum, dass „der Beklagte die Klägerin … weder als geschiedene Ehe-frau und Kindesmutter (Erklärungsadressat) noch als Ver-treterin ihrer Kinder in Wahrnehmung der Gesundheits-fürsorge (Erklärungsempfängerin) über die Erkrankung des Patienten und die Konsequenzen informieren (durfte)“. Insofern befasst sich der Senat in sehr unterschiedlicher Ausführlichkeit mit vier Problembereichen. Zunächst geht es um die Prüfung einer Stellung des beklagten Arztes als Vertreter oder Bote seines Patienten, wobei die Erwägung im Hintergrund steht, ob der Patient seinerseits zu der in Rede stehenden Mitteilung berechtigt gewesen wäre. So-dann bildet das Gendiagnostikgesetz den Gegenstand des ausführlichsten Abschnitts zur Rechtswidrigkeitsprüfung. In zwei knappen Passagen geht das Gericht noch auf den Umstand ein, dass die Klägerin der Bitte des Beklagten um ein Gespräch gefolgt sei, und berührt den Gesichtspunkt eines rechtfertigenden Notstands 24.

2. Vertretung, Botenschaft oder „sonstige Beauftragung“

Hinsichtlich des ersten Aspekts einer möglichen Beauftra-gung des Beklagten seitens seines Patienten sind sich LG und OLG zunächst darin einig, dass der Beklagte weder Vertreter noch Bote des Patienten war 25. Dies muss schon deshalb gelten, weil diese Rechtspositionen nur bei der Ab-gabe von Willenserklärungen, also nur im rechtsgeschäft-lichen Bereich in Betracht kommen. Ungeachtet dessen befasst sich das Gericht dann doch noch ausführlicher mit einer möglichen, vom Gericht selbst in Anführungszei-chen gesetzten „sonstigen Beauftragung“ des Beklagten zur Kontaktaufnahme und Gesprächsführung mit der Klä-gerin. Auch eine Position des Beklagten als „Sprechhilfe“ des Patienten kommt als Rechtsinstitut nicht in Betracht: „Eine ‚Sprechhilfe‘ ist dem deutschen Recht fremd“. Dabei werden die tatsächlichen Gegebenheiten der Situation, in der sich die Beteiligten zur Zeit der Information der Klä-gerin durch den Beklagten befanden, im Einzelnen und einschließlich beweisrechtlicher Fragen nachgezeichnet.

Im Kern geht es dabei darum, ob sich der beklagte Arzt auf ein Einverständnis seines Patienten zur Kontaktaufnah-me und Gesprächsführung mit dessen ehemaliger Ehefrau berufen konnte. Das Gericht verneint mit gutem Grund eine hierauf gestützte einschlägige Berechtigung des Beklagten. In diesem Zusammenhang wird im Übrigen an mehreren Stellen der Urteilsbegründung darauf hingewiesen, dass selbst ein Einverständnis des Patienten nicht auch eine Infor-mationshoheit des Arztes über die Aufklärung der Klägerin und Mutter über das Risiko ihrer Kinder gerechtfertigt hät-te. Dies gilt auch unabhängig davon, dass im konkreten Fall der Patient und Vater auch nach dem Beklagtenvorbringen die Kinder informieren wollte und erst die Intervention des Beklagten zu einem „Einverständnis“ mit der Information der Klägerin führte. Der Beklagte hat danach das zu füh-rende Gespräch „an sich gezogen“. Im Übrigen beträfe ein einschlägiges Einverständnis des Vaters, wie das OLG unter Hinweis auf die Literatur zu seiner früheren PKH-Entschei-dung betont, „nur den Wegfall seines eigenen Schutzes vor einer unerwünschten Information Dritter. Dagegen kann es die schützenswerten Positionen sowohl der Kl. wie der von ihr vertretenen Kinder nicht außer Kraft setzen“ 26.

Zu Recht wird in diesem Zusammenhang darauf hinge-wiesen, dass diese Ausführungen zugleich die Begründung dafür bieten, dass auch § 11 Abs. 3 GenDG das Handeln des Beklagten nicht rechtfertigen kann 27. Danach besteht ein grundsätzliches Verbot einer Mitteilung von Ergebnissen einer genetischen Untersuchung an Drittpersonen vorbe-haltlich einer ausdrücklichen und schriftlichen Einwilli-gung der „betroffenen Person“, hier also des Patienten. Die Vorschrift stellt eine Verschärfung der eigentlich selbstver-

ständlichen ärztlichen Schweigepflicht dar 28. Die Bestim-mung zielt ausweislich der Begründung des Gesetzgebers auf die „Wahrung der informationellen Selbstbestimmung der betroffenen Person“ 29, eröffnet aber nicht einen rechtli-chen Weg zu einer Intervention in den Rechtsbereich Drit-ter. Selbst eine entsprechende Einwilligung des untersuch-ten Patienten unterstellt, gilt die Feststellung des Gerichts: „§ 11 Abs. 3 GenDG betrifft im Übrigen die Rechtssphäre des Patienten und nicht die eines Dritten (Kl.)“.

3. Gendiagnostikgesetz

Über diese knappe Bezugnahme auf § 11 Abs. 3 GenDG hinaus befasst sich das Urteil dann in besonders ausführli-cher Weise mit Problemen des Gendiagnostikgesetzes. Eine hierzu ergangene Richtlinie wird einbezogen und die Fra-ge nach der Einwilligungsfähigkeit der betroffenen Kinder vertieft 30. Dabei geht es, wie das Gericht betont, „nament-lich“ um die §§ 10, 8, 14 GenDG.

a) Doppelempfehlung gemäß § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG

aa) AdressatenverfehlungAm Anfang steht § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG mit seinem schon oft (zustimmend und kritisch) erörterten Normkonzept ei-ner sogenannten Doppelempfehlung 31. Nach dieser Vor-schrift trifft den Arzt in einer bestimmten Fallkonstellation eine gesetzliche Pflicht, der „betroffenen Person“ (hier dem erkrankten Patienten und Vater) zu empfehlen, genetisch Verwandten als möglichen Risikoträgern eine genetische Beratung zu empfehlen. Das LG war von einer Rechtferti-gung des Beklagten durch diese Norm ausgegangen. Dem-gegenüber verweist das OLG grundsätzlich zutreffend auf die beiden Voraussetzungen, wonach eine direkte Infor-mation der Verwandten durch den Arzt nicht in Betracht kommt und die Doppelempfehlung im Übrigen auch nur für Fälle einer „vermeidbaren oder behandelbaren Erkran-kung“ vorgesehen ist. Es war danach die Klägerin schon nicht die richtige Adressatin der in Rede stehenden Emp-fehlung. „Das war allein der Patient, dem es oblag, gegen-über seinen Verwandten eine entsprechende Empfehlung auszusprechen“ 32. Es war aber die Klägerin auch nicht eine möglicherweise betroffene „genetische Verwandte“ des Pa-tienten und damit von vornherein nicht eine der Risiko-personen, auf die sich das Gendiagnostikgesetz an dieser Stelle bezieht.

Das Gericht musste sich insofern nur mit der Gesetz ge-wordenen Regelung befassen, nicht mit deren rechtspoli-tischer Bewertung oder gar Kritik. Allerdings geht es un-ter dem Aspekt einer analogen Anwendung der Vorschrift auch auf Wertungsgesichtspunkte ein, die aber nicht zu

Damm, Prädiktive Gendiagnostik, Familienverband und Haftungsrecht142 MedR (2014) 32: 139–147

24) All dies sub II. 2.a)–d).25) Sub II. 2.a) (1).26) Sub II. 2.a) (1), m. Hinweis auf Damm, MedR 2012, 707.27) Sub II. 2.a) (4).28) Kern, in: Kern (Hrsg.), Gendiagnostikgesetz. Kommentar, 2012,

§ 11, Rdnr. 5.29) Begründung zu § 11 Abs.  3 GenDG, BT-Dr.  16/10532 v.

13. 10. 2008, S. 29.30) Sub II. 2.b). Das Gericht bezieht sich hier auf zwei „Richtlini-

en“ mit sehr unterschiedlicher rechtlicher Bedeutung. Einmal geht es um die von der Gendiagnostik-Kommission beschlossene „Richtlinie zu genetischen Untersuchungen bei nicht-einwilli-gungsfähigen Personen nach § 14 in Verbindung mit § 23 Abs. 2 Nr.  1c GenDG“ (Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsfor-schung – Gesundheitsschutz 2011, 1257). Zum Anderen weist das Gericht auf eine „Richtlinie“ der Deutschen Huntington-Hilfe e. V. hin, einer privaten Selbsthilfeorganisation. Zur rechtlichen Relevanz beider Regelwerke äußert sich das OLG nicht.

31) Hierzu Damm, MedR 2004, 1, 8 f.; Damm, Datenschutz und Da-tensicherheit (DuD) 2011, 859, 864 f.

32) Sub II. 2.b) (1).

einer Abweichung von dem gesetzlichen Regelungsmodell führen. Kritik an § 10 Abs.  3 S.  4 GenDG ist allerdings bereits wiederholt geäußert worden. Dabei geht es nicht zuletzt um die Frage, ob dem untersuchenden Arzt in be-stimmten Situationen nicht ein eigenes Entscheidungs- und Informationsrecht gegenüber Verwandten seines Patienten zugestanden werden sollte. Darauf wird noch einmal zu-rückgekommen. Es ist jedenfalls zunächst das Normkon-zept de lege lata als bewusste Entscheidung des Gesetz-gebers zur Kenntnis zu nehmen. Es handelt sich um eine „gesetzgeberische Abwägungsentscheidung zwischen dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Untersuch-ten und einem möglichen Informationsinteresse genetisch verwandter Personen“ 33. Die Vorschrift stellt klar: Auch für Familienangehörige relevante Untersuchungsergebnis-se führen nicht zu einem gesetzlich angeordneten „Bera-tungsautomatismus in der Familie“. Nach dem gesetzlichen Konzept gilt vielmehr „Wissen als Option, nicht als Ob-liegenheit“ 34. Eine unmittelbare Unterrichtung von Ver-wandten durch den Arzt ist danach ohne Einwilligung des Betroffenen unzulässig 35.

Nun hat der Beklagte im vorliegenden Fall geltend ge-macht, der Patient sei nicht nur mit der Information der Klägerin einverstanden gewesen, sondern habe ihn sogar zu einer solchen Aufklärung beauftragt. Davon ist das OLG jedoch, wie betont, nicht überzeugt. Der Senat geht nach einer beweisrechtlichen Würdigung davon aus, „dass der Patient einer Unterrichtung der Klägerin über seine Er-krankung zwar nicht widersprach, nicht aber, dass er dem Beklagten einen Auftrag erteilte, als sein Vertreter oder sein ‚Bote‘ die Klägerin zu informieren“ 36. Aber es bliebe, wie in der Literatur zu Recht betont worden ist, „die direkte Information auch mit der Einwilligung des Patienten pro-blematisch, weil das Recht auf Nichtwissen des bisher un-beteiligten Dritten dagegen spricht“ 37.

In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf bereits an-gedeutete kritische rechtspolitische Vorstöße hingewiesen, die die den §§ 10 Abs. 3 S. 4, 11 Abs. 3 GenDG zugrun-de liegenden Wertungskriterien und damit das gesetzliche Regelungsmodell in Frage stellen und auf eine Gesetzes-änderung dringen 38. Dies gilt nicht zuletzt für eine Stel-lungnahme, die die deutschen Wissenschaftsakademien im November 2010 unter dem Titel „Prädiktive genetische Diagnostik als Instrument der Krankheitsprävention“ ver-öffentlicht haben 39. Damit wird mit Blick auf die genann-ten Gesetzesbestimmungen ausdrücklich Reformbedarf geltend gemacht:

„Das Gendiagnostikgesetz stuft die Schweigepflicht gegenüber dem Patienten ohne Ausnahme höher ein als die ärztliche Für-sorgepflicht gegenüber den Verwandten, die unter Umständen ein hohes Risiko für eine behandelbare monogen bedingte Krankheit besitzen. Der Arzt hat keine Möglichkeit zu überprüfen, ob die von einer genetischen Krankheit betroffene Person die Informati-on und die ärztliche Empfehlung zu einer Beratung an ihre Ver-wandten weitergegeben hat. Der Arzt sollte im Einzelfall abwägen, welches der beiden Rechtsgüter höher einzustufen ist: die Schwei-gepflicht oder die Fürsorgepflicht … In sehr konkreten Fällen und bei klarem medizinischen Nutzen sollte der Arzt erwägen, selber die Risikopersonen unter den Verwandten eines Patienten mit einer behandelbaren erblichen Krankheit in angemessener Weise auf ihr Risiko hinzuweisen und ihnen eine genetische Beratung anzura-ten. Die Akademiengruppe empfiehlt, § 11 Abs.  3 GenDG in diesem Sinne zu modifizieren“. 40

Diese Stellungnahme ist mit Blick auf ihre potenti-ell weitreichenden Folgen mit gutem Grund auch in der Fach- und Tagespresse zitiert und kommentiert worden 41. Aus medizinrechtlicher Sicht war kritisch von einer „Fehl-gewichtung des Autonomierechts“ die Rede 42. Mit Blick auf die kritische Wendung gegen das noch junge Gesetz wird der Humangenetiker Propping, Leiter der Akademien-gruppe, zitiert: „Der Arzt könne einen Ratsuchenden zwar

bitten und manchmal sanft drängen, seiner Familie Infor-mationen über erbliche Risiken weiterzugeben … ‚Mauert aber der Klient, dann ist die Suche nach weiteren fami-liären Verdachtsfällen zu Ende‘“. Indes „wird seit einiger Zeit der Wunsch nach einer aktiveren Rolle der geneti-schen Berater stärker“. Vor ein paar Jahren sei die Mehrzahl der genetischen Berater noch gegen eine solche „aktive“ Beratung gewesen. „Da aber nicht nur die Gendiagnostik voranschreitet, sondern sich auch die Möglichkeiten der Prävention verbessern und weil der Bedarf in den Fami-lien wächst, suchen Experten nun Lücken in der strikten Gesetzeslage“. Allerdings sei es umstritten, „ab wann eine ungefragte Kontaktaufnahme zu Verwandten deren Recht auf Nichtwissen verletzt“ 43.

Derartige Aussagen belegen, dass damit eine deutlich vom bisherigen Stand medizinethischer und rechtlicher Grund-prämissen abweichende Akzentuierung erfolgt. In der jün-geren Vergangenheit bildeten Patienten- und Klientenau-tonomie, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung,

Damm, Prädiktive Gendiagnostik, Familienverband und Haftungsrecht MedR (2014) 32: 139–147 143

33) Hahn, in: Kern (Hrsg.), Gendiagnostikgesetz. Kommentar, 2012, § 1, Rdnr. 14.

34) Stockter, Wissen als Option, nicht als Obliegenheit – Aufklärung, Einwilligung und Datenschutz in der Gendiagnostik, in: Duttge/Engel/Zoll (Hrsg.), Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, 2011, S. 27, 50. In diesem Zu-sammenhang interessant ist auch die jüngste medizinethische Diskussion zu der Frage „Gibt es eine elterliche Pflicht zum genetischen Wissen“ bei Henn, EthikMed 2013, 345; Schmitz, EthikMed 2013, 347.

35) So auch Kern, in: Kern (Hrsg.), Gendiagnostikgesetz. Kommen-tar, 2012, § 10, Rdnr. 17, mit der allerdings kaum zum Konzept des Gesetzes passenden Einschränkung „es sei denn, der Fami-lienangehörige des Patienten ist seinerseits Patient des untersu-chenden oder behandelnden Arztes“. Diese Einschränkung ist dem Gendiagnostikgesetz nicht zu entnehmen. Und wenn sich der Autor hierfür auf den oft kommentierten HIV-Fall des OLG Frankfurt a. M. (abgedruckt in MedR 2000, 196) beruft, so liegt dieser Fall zeitlich nicht nur lange vor dem Gendiagnostikgesetz, sondern weist gegenüber dem hier zu entscheidenden Konflikt gravierende Unterschiede auf; dazu Damm, MedR 2012, 706.

36) Sub II. 2.a).37) Kern, in: Kern (Hrsg.), Gendiagnostikgesetz. Kommentar, 2012,

§ 10, Rdnr. 17 (Hervorhebung hinzugefügt), bezeichnenderwei-se mit Hinweis auf den hier zu beurteilenden Fall: „So wohl auch OLG Koblenz, GesR 2012, 164“.

38) Wie hier bereits Damm, Medizinisches Informationsrecht – Grundlagen und aktuelle Entwicklungen, in: FS f. Helmut Rüß-mann, 2013, S. 409, 427 ff.

39) Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina/acatech-Deutsche Akademie der Technikwissenschaften/Berlin-Brandenburgische Akade-mie der Wissenschaften, Prädiktive genetische Diagnostik als In-strument der Krankheitsprävention, 2010.

40) Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina/acatech-Deutsche Akademie der Technikwissenschaften/Berlin-Brandenburgische Akade-mie der Wissenschaften, Prädiktive genetische Diagnostik als In-strument der Krankheitsprävention, 2010, Abschnitt „Zusam-menfassung und Empfehlungen“, Ziffer 14.

41) Vgl. etwa Brüning, Kritik am Gendiagnostikgesetz, Frankfur-ter Rundschau-online v. 10. 11. 2010 (www.fr-online.de//wis-senschaft/erbguttests-kritik-am-gendiagnostikgesetz); DÄBl. v. 11. 11. 2010: „Deutliche Kritik am Gendiagnostikgesetz“: „Weiter plädieren die Akademien dafür, die Fürsorgepflicht des Arztes in bestimmten Fällen künftig höher zu gewichten als seine Schwei-gepflicht. So sollte der Arzt im Einzelfall abwägen können, ob er Familienangehörige bei klarem medizinischem Nutzen in ange-messener Form auf das Risiko einer Erkrankung hinweisen solle, selbst wenn der Patient seine Verwandten nicht informiere. Das gelte etwa für erbliche Formen von Brust- oder Darmkrebs.“ (www.aerzteblatt.de/nachrichten/ 43461/Deutliche-Kritik-am-Gendiagnostikgesetz).

42) Heyers, MedR 2009, 507, 509.43) Alle Zitate bei Stollorz, Frankfurter Allgemeine Zeitung v.

2. 7. 2010 (www.faz.net/artikel/C30783/erbkrankheiten- mehr als nur ein familiengeheimnis).

die ärztliche Schweigepflicht und die Ablehnung einer „aktiven Beratung“ in der Humangenetik wichtige Grund-pfeiler der einschlägigen Normbildung. Nunmehr wird in der Stellungnahme der Akademien nicht nur eine deutliche Aufwertung der ärztlichen Fürsorgepflicht gegenüber der Schweigepflicht vorgenommen, es soll darüber hinaus auch die Gewichtung zwischen diesen beiden Rechtsgütern of-fenbar der ärztlichen Abwägung im Einzelfall überlassen bleiben. Gewiss ist die darin zum Ausdruck kommende Orientierung am Wohl möglicherweise risikobetroffener Verwandter grundsätzlich nachvollziehbar. Dies ändert aber nichts daran, dass es sich hierbei um Postulate han-delt, die i. S. eines „Neopaternalismus“ 44 im Einzelfall nicht nur gegen den Willen des Beratenen gerichtet sein kön-nen, sondern überdies dem Arzt möglicherweise bislang völlig unbekannte Verwandte dieser Beratenen betreffen, die überdies nicht einmal zum Kreis der Patienten/Klien-ten dieses Arztes gehören (müssen). Es bildet vor diesem Hintergrund die gegen die gesetzliche Regelung vorgetra-gene Neuorientierung daher sicher keinen Selbstläufer der Normentwicklung. Vielmehr besteht insofern zumindest weiterer Diskussionsbedarf und dies hinsichtlich sowohl der materiellen als auch der verfahrensbezogenen Pro blem-aus schnitte. Materiell geht es um die Überprüfung der inhaltlichen Tragweite der neuen Prinzipienbildung, pro-zedural um die kompetenz- und zuständigkeitsspezifische Bestimmung der konkreten Entscheidungssituationen, in denen die „neopaternalistische“ fürsorgeorientierte Neu-ausrichtung Geltung beanspruchen könnte. Insofern dürfte jedenfalls die Begründung einer Kompetenz des jeweiligen einzelnen Arztes zu einer „Abwägung im konkreten Ein-zelfall“ beim Wort genommen kaum tragfähig sein. Der Frage, ob nach dem neuen Votum der Akademien statt ei-ner Zuständigkeit des Arztes eine solche der Ärzteschaft ins Spiel gebracht werden sollte und welche Konsequen-zen dies ggf. für eine dann erforderliche professionsinterne Normbildung (Leitlinien, Richtlinien) haben könnte, ist hier nicht weiter nachzugehen 45.

bb) Vermeidbarkeit und Behandelbarkeit der Erkrankung als RechtsproblemDer zweite § 10 Abs.  3 S.  4 GenDG ausschließende Ge-sichtspunkt betrifft die Voraussetzung einer „vermeidbaren oder behandelbaren Erkrankung“. Insofern fasst sich das Gericht kurz: „Die Erkrankung des Patienten ist nach allen derzeitigen Erkenntnissen … nicht heil-, behandel- oder gar vermeidbar. Damit scheidet die Anwendung von § 10 Abs.  3 GenDG von vorneherein aus“ 46. Mit dieser Ein-schätzung schließt sich das OLG vielfach geäußerten Be-urteilungen der Huntington-Krankheit an, in denen auf die Unmöglichkeit einer kausalen Behandelbarkeit abge-stellt wird. So wird aus fachwissenschaftlicher Perspektive diese Krankheit als „paradigmatisch“ für „unbehandelbare Krankheiten“ angeführt 47 und auch in der Literatur zum Gendiagnostikrecht wird bei der Frage nach der gesetz-lichen Voraussetzung einer „therapierbaren Erkrankung“ davon ausgegangen, dass dies „bei Chorea Huntington nicht der Fall“ ist 48.

Es ist insofern auch die Aussage der Gendiagnostik-Kom-mission in ihrer bereits angesprochenen Richtlinie zur Gen-diagnostik bei Nichteinwilligungsfähigen bedeutsam: „Für Erkrankungen, die erst im Erwachsenenalter auftreten und für die keine Präventionsmaßnahmen möglich sind, liegen die Voraussetzungen für eine genetische Untersuchung von Kindern und Jugendlichen vor Einwilligungsfähig-keit nicht vor“. Die Kommission weist dazu nicht zufällig auf „spätmanifeste neurologische Erkrankungen“ hin 49, für die die hier einschlägige Chorea Huntington einen im-mer wieder herangezogenen Beispielsfall bildet 50. Auf das Problem der in dem konkreten Fall umstrittenen Einwilli-gungsfähigkeit wird noch zurückgekommen.

Es stellen sich aber die Probleme hinsichtlich der Merk-male der Vermeidbarkeit und Behandelbarkeit sowohl medizinisch als auch rechtlich wohl komplexer dar. Dem Aspekt fehlender oder verfügbarer Präventions- oder Therapieoptionen wird gerade im hier gegebenen Zu-sammenhang der Gendiagnostik wohl in Zukunft eine wachsende Bedeutung zukommen. Dieser Gesichtspunkt hat in der rechtlichen Diskussion bislang noch nicht die angemessene Beachtung gefunden. Er ist aber nicht nur in dem konkreten Konflikt, sondern an mehreren Stellen des Gendiagnostikrechts 51 und auch darüber hinaus 52 von erheblicher Bedeutung. Dabei geht es insbesondere um die Unterscheidung von definitiver Prävention und kau-saler Heilung einerseits und bloßen Verzögerungen des Krankheitseintritts und nur symptomatischen Therapien andererseits. Insofern sei auf die medizinische Beurteilung in einer „Leitlinie Chorea“ verwiesen. Darin wird für Chorea Huntington deutlich zwischen „wirksamer neu-roprotektiver Therapie“ und „symptomatischer Therapie“ unterschieden: „Eine wirksame neuroprotektive Therapie für die Huntington-Krankheit ist weiterhin nicht verfüg-bar. Zur symptomatischen Therapie der kognitiven und psychiatrischen Symptome der Huntington-Erkrankung ist die Datenlage weiterhin sehr unbefriedigend“ 53. Auch aus rechtlicher Sicht ist gerade mit Blick auf die Gendia-gnostik und speziell § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG geltend ge-macht worden, dass der Begriff der Behandelbarkeit „auch nur symptomatische Behandelbarkeit“ einschließe 54. In-sofern wird auf eine Abschwächung der „Intensität des Krankheitsausbruchs“ und eine „Abschwächung der Fol-gen“ verwiesen 55. Das OLG streift dieses Problem, wenn es formuliert, dass die „Erkrankung Chorea Huntington weder vermieden werden kann noch ein mehr als lediglich symptomatisch intervenierendes therapeutisches Konzept für eine Behandlung existiert“ 56. Damit lässt es das Gericht, wie auch andere Stellungnahmen zu dieser Erkrankung 57, bewenden und setzt damit den Begriff des „Behandelns“

Damm, Prädiktive Gendiagnostik, Familienverband und Haftungsrecht144 MedR (2014) 32: 139–147

44) Hierzu Damm, MedR 2002, 375 ff.45) Vgl. noch einmal Damm, Medizinisches Informationsrecht –

Grundlagen und aktuelle Entwicklungen, in: FS f. Helmut Rüß-mann, 2013, S. 409, 427 ff.

46) Sub II. 2.b) (1).47) Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina/acatech-Deutsche

Akademie der Technikwissenschaften/Berlin-Brandenburgische Akade-mie der Wissenschaften, Prädiktive genetische Diagnostik als In-strument der Krankheitsprävention, 2010, S. 18.

48) Kern, GesR 2012, 353.49) Gendiagnostik-Kommission, Bundesgesundheitsblatt 2011, 1258 f.;

es sei in diesem Zusammenhang auf medizinethische Empfeh-lungen zu einer „generellen Zurückhaltung beim Einsatz prä-diktiver Gentests bei Kindern auf spät ausbrechende Erkrankun-gen“ hingewiesen, Hildt, Prädiktive genetische Diagnostik bei Kindern im Konflikt zwischen Autonomie und Fürsorge, in: Wiesemann/Dörries/Wolfslast/Simon (Hrsg.), Das Kind als Pati-ent. Ethische Konflikte zwischen Kindeswohl und Kindeswille, 2003, S. 234 ff., 48.

50) Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina/acatech-Deutsche Akademie der Technikwissenschaften/Berlin-Brandenburgische Akade-mie der Wissenschaften, Prädiktive genetische Diagnostik als In-strument der Krankheitsprävention, 2010, S. 17, 18, 23, 49.

51) Vgl. außer § 10 Abs.  3 S.  4 die §§ 14 Abs.  1 Nr.  1, 15 Abs.  1 GenDG.

52) Zu diesem Problem im Kontext von prädiktiver Diagnostik und Demenz Damm, GesR 2013, 385, 394.

53) Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Ner-venheilkunde (DGPPN), Leitlinie „Chorea“, S. 1 (aufrufbar über AWMF online. Das Portal der wissenschaftlichen Medizin).

54) Kern, in: Kern (Hrsg.), Gendiagnostikgesetz. Kommentar, 2012, § 1, Rdnr. 14, m. Verweis auf Heyers, MedR 2009, 509 f.

55) Heyers, MedR 2009, 509.56) Sub II. 2.b) (3) (Hervorhebung hinzugefügt).57) Kern, GesR 2012, 353.

i. S. des Gesetzes ohne weiteres mit einer kausal wirksamen Therapie der Erkrankung gleich. Dies ist allerdings nicht selbstverständlich.

Es sei in diesem Zusammenhang hinsichtlich der Ein-beziehung sowohl kausaler als auch symptombezogener medizinischer Optionen auch auf die privat- und sozial-rechtliche Bestimmung der Kriterien einer medizinischen „Heilbehandlung“ verwiesen. Nach der privatversiche-rungsrechtlichen Judikatur des BGH umfasst Heilbehand-lung die „Heilung, Besserung oder auch Linderung der Krankheit“. Dem ist eine ärztliche Tätigkeit gleichgestellt, die auf eine „Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit“ gerichtet ist 58. Und dem entsprechend ist für den sozialrechtlichen Anspruch auf Krankenbehandlung die Notwendigkeit bestimmt, „eine Krankheit zu erken-nen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder die Krankheitsbeschwerden zu lindern“ (§ 27 Abs. 1 S. 1 SGB V).

Schließlich ist es mit Blick auf den hier betroffenen Krankheitstyp hervorhebenswert, dass auch in anderen Be-reichen neurologischer, nicht kausal behandelbarer Erkran-kungen, wie insbesondere mit Blick auf Demenzen, die hier angesprochene Problematik erörtert wird. So wird in einer Leitlinie „Demenzen“ für die genetisch bedingte De-menzvariante formuliert: „Im Rahmen der Beratung muss darauf hingewiesen werden, dass sich aus der molekularge-netischen Diagnostik keine kausale Therapie oder Präven-tion der klinischen Manifestation ergibt, und das Wissen um eine genetisch determinierte Demenz Konsequenzen für die Angehörigen bedeuten kann“ 59.

Es ist danach mit Blick auf symptombezogene Behand-lungen sicher die eindeutig prädiktive, also „präsympto-matische“ Phase von der Phase einsetzender Symptome zu unterscheiden. Und es werden in diesem Zusammenhang potentielle präventive Möglichkeiten einer Verzögerung des Krankheitseintritts noch wichtiger erscheinen als Be-handlungsoptionen der bereits einsetzenden Erkrankung. Es geht also um die doppelte Unterscheidung zwischen ei-nerseits präventiven und therapeutischen Optionen und ande-rerseits zwischen symptomatischen und kausalen Therapien. Dabei mag es auf beiden Ebenen statt um definitive Ab-grenzungen häufiger um graduelle Abstufungen gehen. Es liegt auf der Hand, dass mit einer solchen Graduali-sierung der Wirksamkeit medizinischer Maßnahmen die rechtliche, auch richterliche Befassung mit den Begriffen von Vermeidbarkeit und Behandelbarkeit komplexer wird. Dies ist in der juristischen Literatur zu Gendiagnostik, wie betont, ansatzweise erkannt, aber weiter klärungsbedürf-tig. Und insbesondere steht all dies letztlich unter einem fachwissenschaftlichen Vorbehalt 60. Nicht von ungefähr stellt der Gesetzgeber die Entscheidung darüber, ob eine Ver-meidung, Behandlung oder Vorbeugung einer genetisch bedingten Erkrankung in Betracht kommt, unter den Vor-behalt des allgemein anerkannten Standes der Wissenschaft und Technik (§§ 10 Abs. 1 S. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 S. 1 GenDG) und damit unter eine „dynamische Verwei-sung“ 61. Insgesamt kommt dieser Problematik offensichtlich eine auch positivrechtliche Sprengkraft zu, die bislang noch kaum in ihrer ganzen Tragweite erkannt worden ist. Dies gilt umso mehr, als der Aspekt der Verhinderbarkeit und Behandelbarkeit einer Erkrankung im Gesetz an mehreren Stellen angesprochen wird (§§ 10 Abs. 1 S. 2, 10 Abs. 3 S. 4, 14 Abs. 1 Nr. 1 GenDG). Mit diesen Überlegungen ist auch die Frage betroffen, ob bereits die Möglichkeit geringfü-giger Symptomlinderungen zur Anwendung der für die Situation einer Behandelbarkeit vorgesehenen Regelungen ausreichen soll.

Es ist nach alledem eher verständlich, dass das OLG in diesem Zusammenhang keine weiteren diffizilen Überle-gungen angestellt hat. Es geht entsprechend dem typischen, wenn auch nicht einheitlichen Krankheitseintritt und -ver-

lauf der Huntington-Krankheit offensichtlich davon aus, dass es sich bei den betroffenen Kindern selbst bei einer Betroffenheit durch die einschlägige Erbanlage noch ein-deutig um die präsymptomatische Phase ohne akute medi-zinische Interventionsperspektive handelte.

b) Einwilligungs(un)fähigkeit der Kinder

Sehr ausführlich beschäftigt sich das OLG mit dem Problem der fehlenden oder vorhandenen Einwilligungsfähigkeit der betroffenen Kinder als möglichen Risikopersonen 62. Dies geschieht unter dem Aspekt, dass „die Gesundheitsbe-einträchtigung der Klägerin ihre Rechtfertigung nicht da-rin finden (kann), dass die betroffenen Kinder im Hinblick auf eine gendiagnostische Untersuchung einwilligungsfä-hig i. S. des § 8 Abs. 1 GenDG gewesen seien und die An-lage der Erbkrankheit durch eine genetische Untersuchung hätte geklärt und die Ungewissheit dadurch hätte beseitigt werden können“ 63. Allerdings weist das Gericht zunächst darauf hin, dass eine Rechtfertigung selbst bei unterstell-ter Einwilligungsfähigkeit nicht in Betracht komme, weil der Beklagte schon nicht das „vermeintlich einwilligungs-fähige Kind (Sohn) oder beide Kinder“ informierte, son-dern die Klägerin. Überdies habe der Beklagte keinerlei Anstrengungen unternommen, die Einwilligungsfähigkeit der Kinder zu prüfen 64.

Die eigentliche Prüfung der Einwilligungsfähigkeit der Kinder konnte nicht erfolgen, ohne das insofern im PKH-Beschluss verfehlte Abstellen auf Voll- bzw. Minderjährig-keit zu korrigieren. In diesem Beschluss hatte das Gericht schon im Leitsatz und dann wiederholt auf Minderjährig-keit und Volljährigkeit abgestellt und sich daher mit dem Problem der Einwilligungsfähigkeit gar nicht beschäftigt. Dem LG insofern Recht gebend, räumt das OLG nun ein, dass dies zu „Irritationen“ hatte führen können. Danach hat das LG zwar grundsätzlich zutreffend auf die Einwilli-gungsfähigkeit der Kinder als maßgebliches Kriterium ab-gestellt. Es behauptet aber nach Auffassung des OLG deren Vorliegen für den damals 16-jährigen Sohn, „ohne dies al-lerdings zu begründen und erkennen zu lassen, auf welche Tatsachen diese Annahme gestützt wird“. Die materielle Prüfung der Einwilligungsfähigkeit muss sich an drei Kri-terien orientieren: an der Individualität der Person, der situ-ativen Kontextabhängigkeit der Einwilligungsfähigkeit und insofern insbesondere an der Komplexität des betroffenen medizinischen Handlungsfeldes. Insofern legen die beiden Gerichte sehr unterschiedliche Maßstäbe an. Das LG war mit Blick auf den damals 16-jährigen Sohn in Anlehnung an eine Literaturmeinung davon ausgegangen, dass „die Einwilligungsfähigkeit zumindest bei einem älteren Kind problemlos gegeben“ sei 65. Demgegenüber schlägt das OLG eine diametral entgegengesetzte Begründungslinie ein. Es

Damm, Prädiktive Gendiagnostik, Familienverband und Haftungsrecht MedR (2014) 32: 139–147 145

58) Etwa BGHZ 133, 208, 211.59) Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheil-

kunde (DGPPN)/Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), S3-Leitlinie „Demenzen“; vgl. als weitere einschlägige Leitlinie Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), Demenz, Leitlinie Nr.  12 (abrufbar unter leitlini-en.degam.de/upload/media/LL Nr.  12_Langfassung_TJ_03_korr_01.pdf ).

60) Dazu näher Damm, GesR 2013, 385, 394.61) Schillhorn/Heidemann, Gendiagnostikgesetz. Kommentar für die

Praxis, 2011, § 14, Rdnr. 16.62) Sub II. 2.b) (3).63) Sub II. 2.b) (3).64) Vgl. in diesem Zusammenhang Vollmann, Konzeptionelle und

methodische Fragen bei der Feststellung der Einwilligungsfähig-keit bei Kindern, in: Wiesemann/Dörries/Wolfslast/Simon (Hrsg.), Das Kind als Patient. Ethische Konflikte zwischen Kindeswohl und Kindeswille, 2003, S. 48 ff.

65) So das vom OLG zitierte LG m. Hinweis auf Kern, GesR 2012, 352.

müssen nach seiner Auffassung die allgemeinen zivilrecht-lichen Kategorien zur Bestimmung der Einwilligungsfä-higkeit mit Blick auf die mit der „Komplexität“ genetischer Untersuchungsergebnisse und die für einen Verwandten als nicht selbst untersuchtem Dritten verbundenen Folgen „re-striktiv“ angewandt werden. Unter Bezugnahme auf die bereits angesprochene Richtlinie der Gendiagnostik-Kom-mission zu genetischen Untersuchungen bei nicht einwil-ligungsfähigen Personen will das Gericht davon ausgehen, dass die Einwilligungsfähigkeit zwar auch vor dem Eintritt der Volljährigkeit für „möglich“ gehalten werde, aber an „strenge Voraussetzungen“ gebunden sei 66.

In diesem Zusammenhang weist das OLG einerseits noch einmal auf den Aspekt der informationellen Selbst-bestimmung hin und weist andererseits die in der Literatur geäußerte Auffassung als „kaum nachvollziehbar“ zurück, wonach „es sich sicherlich besser (lebt), wenn man weiß, dass man zu den 50 % gehört, die nicht zu den Krank-heitsträgern zählen als über diesen Umstand im Ungewis-sen zu sein“ 67. „Diese Sicht der Dinge blendet aus, was es bedeutet, wenn man erfährt, dass man zu den Krankheits-trägern der unheilbaren und zwingend tödlichen Krank-heit gehört und welche Belastungen damit gerade auch für einen jungen Menschen verbunden sind. Ein 16-Jäh-riger vermag wohl kaum abzuschätzen, mit welchen Re-aktionen einer künftigen Partnerin er rechnen muss, der er seine Erkrankung offenbart und der er verdeutlicht, welche Risiken im Hinblick auf einen Kinderwunsch be-stehen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst eben auch das Recht, überhaupt nicht wissen zu wollen, dass die Gefahr besteht, Träger der Erbkrankheit zu sein. Dieses Recht muss umso mehr für einen Dritten gelten, der sich aus eigenem Entschluss bisher nicht gehal-ten gesehen hat, seine Erbanlagen genetisch untersuchen zu lassen“ 68.

Die Zurückhaltung des Gerichts gegenüber der Annah-me der Einwilligungsfähigkeit erscheint auf den ersten Blick zwar in der Tat „streng“. Denn die allgemeine ein-schlägige Entwicklung der rechtlichen Beurteilung einer (Mit-)Entscheidungskompetenz minderjähriger Patienten weist wohl eher eine diese Kompetenz ausweitende Ten-denz auf 69. Aber angesichts der auch von der Gendiagnos-tik-Kommission unterstrichenen Tatsache, „dass die Inhal-te genetischer Untersuchungen u. U. schwieriger als andere medizinische Maßnahmen zu vermitteln sind und erheb-liche Tragweite haben können“ 70, erscheint die Zurück-haltung des Gerichts gegenüber einer zu bereitwilligen Bejahung der Einwilligungsfähigkeit jedenfalls vertretbar. Im Übrigen ist die Bezugnahme auf das Recht der Ein-willigungsfähigkeit von Minderjährigen mit Patientenstatus kaum ohne weiteres auf Personen zu übertragen, die einen genetischen Risikostatus aufweisen, bei dem es einstwei-len um Prädiktion im präsymptomatischen Bereich geht. Das Gendiagnostikrecht stellt mit seinen Regelungen zu Einwilligungs(un)fähigkeit und genetischer Prädiktion auch insofern bereichsspezifisches Sonderrecht dar. Hier-mit erscheint das Fazit des Gerichts vereinbar: „Anders als das LG meint, ist die Einwilligungsfähigkeit der Kinder aber weder festgestellt noch überhaupt und generell bei ei-nem 16-jährigen zu unterstellen“.

c) Gendiagnostik bei Nichteinwilligungsfähigen, § 14 GenDG

Mit der Verneinung sowohl einer Vermeidbarkeit oder Behandelbarkeit der Erkrankung als auch der Einwil-ligungsfähigkeit der Kinder sind für das Gericht auch die Weichen hinsichtlich der Vorschrift des § 14 Abs.  1 GenDG gestellt. Auch dies wird unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Rechtfertigung der Gesundheitsbeein-trächtigung der Klägerin geprüft 71. Dabei bildet der As-pekt des Fehlens einer „Option, die Erbanlagen untersu-

chen zu lassen“, den Anknüpfungspunkt. Es wird damit wieder angeknüpft an die Leitsatz-Formulierung des PKH-Beschlusses, „dass sich für die Mutter aus der belas-tenden Information keinerlei Handlungsoption ergibt“ 72. In der Sache geht es mit Blick auf das Regelungskonzept des § 14 GenDG für das Gericht, (etwas missverständlich formulierend) „die mangelnde Einwilligungsfähigkeit unterstellend“, konsequent erneut um die für diese Be-stimmung wieder zentrale Frage nach Vermeidbarkeit und Behandelbarkeit einer Erkrankung. Die hinsichtlich nicht einwilligungsfähiger Personen restriktive gesetzliche Re-gelung wird durch die bereits angesprochene Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission unterstrichen. Danach vermag auch ein „entgegenstehender, dringlicher Wunsch der Eltern“ die der Diagnostik gezogene Grenze nicht zu überwinden 73. Diese rechtliche Situation hat der Beklagte entweder verkannt oder ignoriert.

IV. Verschulden und Nichteinschaltung von Drittinstitutionen

In einer knappen Passage befasst sich das OLG mit der Frage nach dem Verschulden des Beklagten 74. Es sollen an dieser Stelle keine Überlegungen dazu angestellt werden, ob die hier angesprochenen Gesichtspunkte nicht auch schon in den umfangreichen Ausführungen zur Rechts-widrigkeit ihren Platz hätten haben können. Erst recht ist hier nicht der Platz für die grundsätzliche Diskussion zu Trennung und Trennbarkeit von objektiver Pflichtwid-rigkeit und Verschulden 75. Es soll nur kurz auf die in die-sem Zusammenhang in der Entscheidung angesprochenen Sachgesichtspunkte hingewiesen werden. Nach Auffassung des Gerichts hätte der Beklagte aufgrund seiner fachlichen Kompetenz erkennen müssen, dass bei seiner Information der Mutter über den Risikostatus ihrer Kinder die Gefahr bestand, dass es bei dieser zu psychischen und physischen Verletzungen ihrer Gesundheit kommen könne. Es hätte sich ihm geradezu aufdrängen müssen, dass die Information geeignet war, erhebliche Ängste auszulösen, ohne dass eine Chance bestand, diese Ängste zu entkräften. Ebenso wird dem Beklagten vorgeworfen, nicht erkannt zu haben, dass er als der behandelnde Arzt des Vaters und geschiedenen Ehemannes nur dessen Interessen, nicht aber gleichzeitig das Recht der Klägerin und ihrer Kinder auf informatio-nelle Selbstbestimmung wahrnehmen konnte.

Eine besondere Akzentuierung nimmt das Gericht hin-sichtlich der von ihm ins Spiel gebrachten, aber vom Be-klagten unterlassenen Einschaltung von beratenden Dritt-insti tu tio nen vor. Insofern weist das OLG mit Blick auf die

Damm, Prädiktive Gendiagnostik, Familienverband und Haftungsrecht146 MedR (2014) 32: 139–147

66) Sub II. 2.b) (3).67) Kern, GesR 2012, 353.68) Sub II. 2.b) (3).69) Überblick bei Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen

Rechts, 10. Aufl. 2012, § 12, Rdnrn. 9 ff.; aus der Sicht des Me-dizinrechts etwa Damm, MedR 2013, 201, 206 ff.; Duttge, Pa-tientenautonomie und Einwilligungsfähigkeit, in: Duttge/Lipp (Hrsg.), Patientenautonomie und Recht, 2013, S.  77 ff. (Teil  2 in Wiesemann/Simon [Hrsg.], Patientenautonomie. Theoretische Grundlagen. Praktische Anwendungen, 2013); Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Aufl. 2009, S. 118 ff.; Wölk, MedR 2001, 80.

70) Gendiagnostik-Kommission, Bundesgesundheitsblatt 2011, 1257; zum Aspekt der Komplexität der zu treffenden Entscheidung noch einmal Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 10. Aufl. 2012, § 12, Rdnr. 11.

71) Sub II. 2.b) (3).72) OLG Koblenz, MedR 2012, 742 f.73) Gendiagnostik-Kommission, Bundesgesundheitsblatt 2011, 1259.74) Sub II. 3.75) Dazu aus medizinrechtlicher Sicht etwa Katzenmeier, Arzthaf-

tung, 2002, S. 186 ff.

Kinder mehrfach auf Kinderpsychologen, Beratungsstellen und Jugendamt, mit Blick auf den erkrankten Vater und Patienten auf die Betreuungsbehörde hin 76. Sprachlich sind diese Hinweise zurückhaltend gefasst. Der Beklagte hätte einen solchen Kontakt „erwägen“ oder „in Betracht ziehen“ müssen, die Situation habe die Einschaltung ei-ner „neutralen Institution“ „nahegelegt“. Es fragt sich, aus welcher Pflichtenstellung des Beklagten ein solches Erwä-genmüssen hätte resultieren können. Das OLG macht dem Beklagten letztlich zum Vorwurf, dass sich dieser gewisser-maßen zum Herrn des Geschehens gemacht und sich damit in einen „Interessenkonflikt“ begeben habe. Die Auffas-sung des Gerichts erscheint jedenfalls vertretbar. Der Be-klagte hat sich danach in ein selbst verursachtes komplexes Handlungsfeld mit schwerwiegenden Interessenkonflikten hinein begeben und dabei „weder die Gesamtsituation ge-klärt, noch sich mit den Folgen des Wissens für die Kinder und die Klägerin auseinandergesetzt“. Dies galt, auch mit Blick auf den Aspekt des rechtfertigenden Notstands, umso mehr, als in dieser Situation „keinerlei zeitlicher Hand-lungsdruck“ für den Beklagten bestand.

Dem Beklagten mussten als Arzt nicht nur die Dramatik des Geschehens und das genmedizinische Konfliktpoten-tial im Familienverband bewusst sein. Er hätte auch die besondere gesetzliche und berufsrechtliche Normenlage zu prädiktiven Gentests bei Kindern und Jugendlichen be-rücksichtigen müssen. Insofern ist nicht nur auf das zur Zeit des Geschehens bereits seit dem 1. 2. 2010 in Kraft befind-liche Gendiagnostikgesetz zu verweisen. Vielmehr waren einschlägige Grundsätze auch vorher schon durch profes-sionsinterne Normen ausformuliert. So heißt es in den im Jahr 2003 von der Bundesärztekammer veröffentlichten „Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik“: „Besondere Probleme ergeben sich bei minderjährigen Pa-tienten. Um diesen das Recht auf Selbstbestimmung (auch auf Nichtwissen) nicht vorzeitig zu nehmen, dürfen gene-tische Tests – mit Zustimmung der Personenberechtigten – nur dann … vorgenommen werden, wenn präventive oder therapeutische Maßnahmen möglich sind“ 77.

V. Fazit: Überzeugungskraft und offene Flanken der Begründungslinien

In einer bislang die Gerichte nicht beschäftigenden Fall-variante ist es das Verdienst des OLG, differenziert auf die komplexen Fragen des zu beurteilenden Problemverbunds von allgemeinem Zivilrecht und speziellem Gendiagnos-tikrecht eingegangen zu sein. Dem Gericht ist insofern zuzustimmen, als es das Handeln des beklagten Arztes in dieser Form nicht als vom geltenden Recht, insbesondere Gendiagnostikrecht, gedeckt ansieht. Es wird aber das Er-gebnis einer Verurteilung des Beklagten zu Schadensersatz und Schmerzensgeld wohl nicht durchgängig auf Zustim-mung stoßen. Die Begründungslinien des Gerichts sind nach der hier vertretenen Auffassung zwar überwiegend zustimmungswürdig oder jedenfalls vertretbar. Sie weisen aber deutlich offene Flanken auf, an denen sich mit Blick auf Grundprobleme und Einzelfragen mit einiger Sicher-heit noch Kontroversen entzünden werden. Dabei sollte zwischen Beurteilungen des Konflikts nach der geltenden Rechtslage und kontroversen rechtspolitischen Optionen sorgfältig unterschieden werden. Die durch die Revision ermöglichte Entscheidung des BGH in dieser Sache wird schon jetzt mit einiger Spannung erwartet.

Die angesprochenen offenen Flanken seien hier zusam-menfassend noch einmal knapp angedeutet. Am Anfang steht die Frage nach den betroffenen Rechtspositionen der Klägerin. Insofern stellt das Urteil zwar im Kern auf eine nach § 823 Abs. 1 BGB zu sanktionierende Gesundheitsver-letzung ab, es geht dann aber auch um das Recht auf infor-mationelle Selbstbestimmung einschließlich eines Rechts

auf Nichtwissen der Klägerin. Dabei bleibt letztlich unge-klärt, welcher Stellenwert diesen Rechten im Verhältnis zur Gesundheitsverletzung und in Abstimmung mit wiederholt angesprochenen eigenen informationellen Selbstbestim-mungsrechten der betroffenen Kinder zukommt. Die Be-urteilung der rechtlichen Beziehungen zwischen den Pro-zessparteien wird über weite Strecken zu einer Würdigung der rechtlichen Verhältnisse der minderjährigen Kinder der Klägerin. Die hieraus resultierende rechtliche Situation der klagenden Mutter stellt sich so wiederholt gewissermaßen als „Reflexrecht“ aus der Rechtsstellung ihrer Kinder dar. Dies erscheint zwar letztlich nachvollziehbar, hätte aber in den Entscheidungsgründen ausdrücklich thematisiert wer-den sollen. Es bleibt schließlich in der Entscheidung der Umstand außer Betracht, dass es sich bei aller Einschlä-gigkeit des Gendiagnostikgesetzes bei der Klägerin doch nicht um eine genetisch „Betroffene“ i. S. dieses Gesetzes handelt. Dies ist unter genetischen Gesichtspunkten allein bei den Kindern als Risikopersonen der Fall.

Weiterhin werfen die Aspekte der Vermeidbarkeit und Be-handelbarkeit der hier betroffenen Huntingtonschen Krank-heit komplexere Fragen auf, als es nach der Entscheidung den Anschein hat. Das Gericht befindet sich insofern aller-dings in guter Gesellschaft, da sich auch fachwissenschaftli-che und rechtliche Stellungnahmen mit dem vielfach knap-pen Hinweis auf die nur vermeintlich selbstverständliche Nichtvermeidbarkeit und Nichtbehandelbarkeit dieser Er-krankung begnügen. Insofern sei auf die hierzu in diesem Beitrag aufgeworfenen Fragen verwiesen.

Schließlich ist die Frage nach der fehlenden oder gege-benen Einwilligungsfähigkeit jedenfalls des ältesten Kindes auch für den hier zu entscheidenden Konflikt bereits un-terschiedlich beantwortet worden. Dies gilt sowohl für die unterschiedlichen Bewertungen durch LG und OLG als auch für einschlägige Literaturmeinungen. Es bedarf das für die gesetzliche Regelung der Gendiagnostik wichtige Problem der Einwilligungsfähigkeit ungeachtet einer hier-zu vorliegenden Richtlinie der Gendiagnostik-Kommissi-on weiterer Klärungen. Dies gilt sowohl für das Verhältnis der zivilrechtlichen Konturierung dieses Begriffs einerseits und dessen spezieller medizinrechtlicher Bedeutung ande-rerseits als auch für dessen möglicherweise noch einmal be-sonders zu bestimmenden Gehalt im Kontext des Genme-dizinrechts. Insofern spielen sicher nicht nur Differenzen zwischen den vom Gesetz nachdrücklich unterschiedenen „diagnostischen“ und „prädiktiven“ Gentests eine Rolle, sondern im Bereich prädiktiver genetischer Untersuchun-gen zudem Unterschiede zwischen unterschiedlich belas-tenden Krankheitsrisiken.

Mit Blick auf die damit angedeuteten Probleme erscheint es nachgerade selbstverständlich, dass die Revision zugelas-sen worden ist. Die vom OLG hierfür gegebene Begrün-dung trifft ins Schwarze: „Eine vergleichbare Fallkons-tellation ist – soweit ersichtlich – in der Rechtsprechung bisher nicht entschieden. Wegen der zunehmenden Zahl gendiagnostischer Untersuchungen und der möglichen Einbeziehung Dritter als Betroffene in die gewonnenen Informationen werden die hieraus resultierenden Rechts-fragen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Für die be-teiligten Patienten, aber auch für die behandelnden Ärzte ist es wichtig, sich rechtssicher entscheiden zu können. Ziel muss eine [für die] Wahrung des informationellen Selbst-bestimmungsrechts einheitliche Verfahrensweise der Ärz-teschaft und der beteiligten Kreise sein“ 78. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Damm, Prädiktive Gendiagnostik, Familienverband und Haftungsrecht MedR (2014) 32: 139–147 147

76) Sub II. 2.d) (3); II. 3.; II. 4.77) Bundesärztekammer, Richtlinien zur prädiktiven genetischen Di-

agnostik v. 14. 2. 2003, DÄBl. 2003, 277, 282.78) Sub II. 6.