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W ochen nachdem die letzten IS- Terroristen in den Ruinen getötet wurden, kehrt das Leben nur zö- gerlich in die philippinische Stadt Marawi zurück. Soldaten stehen an Checkpoints, kontrollieren Genehmigungen und Aus- weispapiere. Auf einem Schild steht: „Kriegsgebiet, kein Zutritt. Eindringlinge werden erschossen.“ Norodin Lucman sitzt am Steuer seines Geländewagens. Er trägt Bomberjacke und Sonnenbrille, kein Grau im Haar, er wirkt jünger als seine 61 Jahre. Im Schritttempo fährt er an geplünderten, verlassenen und verriegelten Geschäften und Häusern vor- bei. An manchen Gebäuden prangen noch Graffitis, die IS-Kämpfer hinterließen: ISIS Forever, I love ISIS, ISIS City steht da in Pink und Himmelblau. 154 Tage lang wehte die schwarze Flagge der Islamisten über Lucmans Heimatstadt. In jenen fünf Monaten bombte die philip- pinische Luftwaffe das Stadtzentrum in Schutt und Asche. Im Häuserkampf star- ben 165 Soldaten und Polizisten sowie 47 Zivilisten – ebenso über 900 Islamisten, unter ihnen auch ausländische Kämpfer und der lokale IS-Emir. „Wer aber glaubt, dass mit dem Tod der Anführer der IS in den Philippinen besiegt ist, der irrt“, sagt Norodin Lucman leise und zündet sich eine Zigarette an. „Die Befreiung durch die Armee ist nur das Ende vom Anfang. Der eigentliche Kampf steht uns noch bevor.“ Trotz der militärischen Niederlage war die Besetzung Marawis ein Propagandaer- folg für den „Islamischen Staat“: Während das „Kalifat“ in Syrien und im Irak zuneh- mend in Bedrängnis geriet, fand der IS hier einen neuen Rückzugsort. Es ist kein Zufall, dass der Aufstieg des IS auf den Philippinen mit dessen militärischem Nie- dergang im Nahen Osten korreliert. Hunderte asiatische Extremisten befan- den sich auf dem Rückweg von den Schlachtfeldern des Irak und Syriens in ihre Heimatländer, bereit, den Kampf dort weiterzuführen. In Videobotschaften rief der IS Anhänger in Thailand, Indonesien, Brunei, Singapur und Malaysia dazu auf, sich den Brüdern auf den Philippinen an- zuschließen. Mindanao, die südlichste Inselgruppe der Philippinen, ist die Dunkelkammer des Archipels. Hier tobt seit mehr als 400 Jah- ren eine Fehde zwischen den muslimischen Einwohnern und den christlichen Siedlern und Kolonisten. Zuerst kamen die Spanier ins Land, dann die Amerikaner und später, nach der Unabhängigkeit, die Philippiner. Ihre Schiffe brachten christliche Priester, Missionare und Siedler nach Mindanao. Bis heute fühlen sich die Muslime als Fremdkörper in einem von christlichen Siedlern besetzten Land. Seit den Siebzigerjahren des vergange- nen Jahrhunderts kämpfte die Moro Isla- mische Befreiungsfront (MILF) in einem Guerillakrieg um mehr Autonomie und eine gerechtere Verteilung von Wohlstand. Mindanao ist reich an Rohstoffen. Aber die Gewinne fließen oft ab in andere Teile der Philippinen. Gescheiterte Verhandlun- gen der MILF mit der philippinischen Re- gierung hatten Kämpfer desillusioniert und in die Arme radikalerer Gruppen getrie- ben. Und so fand der IS hier ideale Bedin- gungen vor. „Willkommen in der islamischen Stadt Marawi“ grüßt ein Schriftzug in Englisch und Arabisch an einem Torbogen am Orts- eingang. Die Stadt ist zu gut 90 Prozent muslimisch und das islamische Herz Min- danaos. Hier steht die erste islamische Uni- versität der Philippinen. Norodin Lucman, ehemaliger Vize-Gou- verneur der Autonomen Region Muslimi- sches Mindanao, studierte einst mit Osama Bin Laden Rechtswissenschaften in Saudi- Arabien. Danach ging er zurück in die Hei- mat, wurde Anführer einer Rebellengrup- pe und zog in den muslimischen Befrei- ungskampf. Er ist Autor von Büchern wie „Islam War on Terror“ und Oberhaupt des mächtigsten Clans von Marawi. Die Leute hier rufen ihn „Datu Nur“, Prinz Nur. Oder einfach nur Norway, eine Abkürzung für Sair al-Nur, Arabisch für: der Weg des Lichts. Kurz: Der „Prinz des Lichts“ ist ei- ner der einflussreichsten Männer der Stadt. Eigentlich will er an diesem Mittwoch- morgen sein Haus inspizieren, das von ei- ner Bombe getroffen wurde. Doch er kommt nicht hin, Soldaten halten ihn auf: Sein Haus liegt im Sperrgebiet der ehema- ligen Kampfzone, in der Soldaten noch im- mer Sprengfallen entschärfen und Leichen aus den Trümmern ziehen. „Kein Zutritt. Sorry“, sagt ein Oberst. Stattdessen fährt Lucman mit dem Wa- gen durch die Stadt. Überall winken ihm die Leute zu, ständig muss er anhalten und Hände schütteln. Ein alter Mann mit schlohweißem Bart umarmt ihn und drückt lange seine Hand. Vor einer Verteilungs- stelle für Hilfsgüter steht eine Gruppe auf- gebrachter Frauen, die ihn mit Wangen- küssen begrüßen und um Hilfe bitten, weil sie seit Tagen weder Bargeld noch Nah- rungsmittel bekommen. Am Stadtrand biegt er rechts ab, lenkt seinen Wagen hoch zum Universitätsge- lände, das von den schlimmsten Kämpfen verschont geblieben ist. Von hier oben hat man einen wunderschönen Ausblick auf die Stadt. Lucman zeigt auf einen kleinen roten Fleck auf der gegenüberliegenden Seite. „Das war mein Haus“, sagt er. Als der IS den Terror in seine Heimat- stadt bringt, steht Norodin Lucman im Gar- ten seines Hauses und rupft Unkraut. Es ist der 23. Mai 2017, gegen 14 Uhr fallen die ersten Schüsse. Lucman denkt in die- sem Augenblick, dass sich wieder einmal Mitglieder verfeindeter Clans bekämpfen. Als Stunden später immer noch geschos- sen wird, Kampfhubschrauber des Militärs im Tiefflug auf das Stadtzentrum zufliegen und sich in die Schüsse das dumpfe Kra- chen explodierender Granaten mischt, weiß er, dass er sich geirrt hat. Innerhalb weniger Stunden kontrollie- ren die IS-Anhänger fast das gesamte Stadtzentrum, überrennen Polizeistatio- nen, besetzen Brücken und das Kranken- haus, verschanzen sich in der großen Mo- schee, versperren Fluchtwege und exeku- tieren Menschen auf offener Straße. No- rodin Lucman ist, wie Zehntausende an- dere Bewohner, ein Gefangener in seiner eigenen Stadt. Nur wenige Stunden nach Beginn der Belagerung verbreiten sich Gerüchte, die IS-Leute würden Christen suchen und hin- richten. Es ist der Moment, in dem sich Prinz des Lichts Philippinen Fünf Monate lang hielt der IS die Stadt Marawi, dann wurde sie befreit. Doch die Gefahr ist groß, dass hier ein neuer Rückzugsraum der Islamisten entsteht. Von Carsten Stormer

Prinz des Lichts · mit einer Kelle Wasser aus dem Kanu, das langsam vollläuft. Der Kommandeur gibt ein Zeichen, der Bootsführer wirft den Mo - tor an und das Kanu gleitet durch

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Page 1: Prinz des Lichts · mit einer Kelle Wasser aus dem Kanu, das langsam vollläuft. Der Kommandeur gibt ein Zeichen, der Bootsführer wirft den Mo - tor an und das Kanu gleitet durch

Wochen nachdem die letzten IS-Terroristen in den Ruinen getötetwurden, kehrt das Leben nur zö-

gerlich in die philippinische Stadt Marawizurück. Soldaten stehen an Checkpoints,kontrollieren Genehmigungen und Aus-weispapiere. Auf einem Schild steht:„Kriegsgebiet, kein Zutritt. Eindringlingewerden erschossen.“

Norodin Lucman sitzt am Steuer seinesGeländewagens. Er trägt Bomberjacke undSonnenbrille, kein Grau im Haar, er wirktjünger als seine 61 Jahre. Im Schritttempofährt er an geplünderten, verlassenen undverriegelten Geschäften und Häusern vor-bei. An manchen Gebäuden prangen nochGraffitis, die IS-Kämpfer hinterließen: ISISForever, I love ISIS, ISIS City steht da inPink und Himmelblau.

154 Tage lang wehte die schwarze Flaggeder Islamisten über Lucmans Heimatstadt.In jenen fünf Monaten bombte die philip-pinische Luftwaffe das Stadtzentrum inSchutt und Asche. Im Häuserkampf star-ben 165 Soldaten und Polizisten sowie 47Zivilisten – ebenso über 900 Islamisten,unter ihnen auch ausländische Kämpferund der lokale IS-Emir. „Wer aber glaubt, dass mit dem Tod der

Anführer der IS in den Philippinen besiegtist, der irrt“, sagt Norodin Lucman leiseund zündet sich eine Zigarette an. „DieBefreiung durch die Armee ist nur dasEnde vom Anfang. Der eigentliche Kampfsteht uns noch bevor.“

Trotz der militärischen Niederlage wardie Besetzung Marawis ein Propagandaer-folg für den „Islamischen Staat“: Währenddas „Kalifat“ in Syrien und im Irak zuneh-mend in Bedrängnis geriet, fand der IShier einen neuen Rückzugsort. Es ist keinZufall, dass der Aufstieg des IS auf denPhilippinen mit dessen militärischem Nie-dergang im Nahen Osten korreliert.

Hunderte asiatische Extremisten befan-den sich auf dem Rückweg von denSchlachtfeldern des Irak und Syriens inihre Heimatländer, bereit, den Kampf dortweiterzuführen. In Videobotschaften riefder IS Anhänger in Thailand, Indonesien,Brunei, Singapur und Malaysia dazu auf,sich den Brüdern auf den Philippinen an-zuschließen.

Mindanao, die südlichste Inselgruppeder Philippinen, ist die Dunkelkammer desArchipels. Hier tobt seit mehr als 400 Jah-ren eine Fehde zwischen den muslimischenEinwohnern und den christlichen Siedlernund Kolonisten. Zuerst kamen die Spanier

ins Land, dann die Amerikaner und später,nach der Unabhängigkeit, die Philippiner.Ihre Schiffe brachten christliche Priester,Missionare und Siedler nach Mindanao.Bis heute fühlen sich die Muslime alsFremdkörper in einem von christlichenSiedlern besetzten Land.

Seit den Siebzigerjahren des vergange-nen Jahrhunderts kämpfte die Moro Isla-mische Befreiungsfront (MILF) in einemGuerillakrieg um mehr Autonomie undeine gerechtere Verteilung von Wohlstand.Mindanao ist reich an Rohstoffen. Aberdie Gewinne fließen oft ab in andere Teileder Philippinen. Gescheiterte Verhandlun-gen der MILF mit der philippinischen Re-gierung hatten Kämpfer desillusioniert undin die Arme radikalerer Gruppen getrie-ben. Und so fand der IS hier ideale Bedin-gungen vor. „Willkommen in der islamischen Stadt

Marawi“ grüßt ein Schriftzug in Englischund Arabisch an einem Torbogen am Orts-eingang. Die Stadt ist zu gut 90 Prozentmuslimisch und das islamische Herz Min-danaos. Hier steht die erste islamische Uni-versität der Philippinen.

Norodin Lucman, ehemaliger Vize-Gou-verneur der Autonomen Region Muslimi-sches Mindanao, studierte einst mit OsamaBin Laden Rechtswissenschaften in Saudi-Arabien. Danach ging er zurück in die Hei-mat, wurde Anführer einer Rebellengrup-pe und zog in den muslimischen Befrei-ungskampf. Er ist Autor von Büchern wie„Islam War on Terror“ und Oberhaupt desmächtigsten Clans von Marawi. Die Leutehier rufen ihn „Datu Nur“, Prinz Nur.

Oder einfach nur Norway, eine Abkürzungfür Sair al-Nur, Arabisch für: der Weg desLichts. Kurz: Der „Prinz des Lichts“ ist ei-ner der einflussreichsten Männer der Stadt.

Eigentlich will er an diesem Mittwoch-morgen sein Haus inspizieren, das von ei-ner Bombe getroffen wurde. Doch erkommt nicht hin, Soldaten halten ihn auf:Sein Haus liegt im Sperrgebiet der ehema-ligen Kampfzone, in der Soldaten noch im-mer Sprengfallen entschärfen und Leichenaus den Trümmern ziehen. „Kein Zutritt.Sorry“, sagt ein Oberst.

Stattdessen fährt Lucman mit dem Wa-gen durch die Stadt. Überall winken ihmdie Leute zu, ständig muss er anhalten undHände schütteln. Ein alter Mann mitschlohweißem Bart umarmt ihn und drücktlange seine Hand. Vor einer Verteilungs-stelle für Hilfsgüter steht eine Gruppe auf-gebrachter Frauen, die ihn mit Wangen-küssen begrüßen und um Hilfe bitten, weilsie seit Tagen weder Bargeld noch Nah-rungsmittel bekommen.

Am Stadtrand biegt er rechts ab, lenktseinen Wagen hoch zum Universitätsge-lände, das von den schlimmsten Kämpfenverschont geblieben ist. Von hier oben hatman einen wunderschönen Ausblick aufdie Stadt. Lucman zeigt auf einen kleinenroten Fleck auf der gegenüberliegendenSeite. „Das war mein Haus“, sagt er.

Als der IS den Terror in seine Heimat-stadt bringt, steht Norodin Lucman im Gar-ten seines Hauses und rupft Unkraut. Esist der 23. Mai 2017, gegen 14 Uhr fallendie ersten Schüsse. Lucman denkt in die-sem Augenblick, dass sich wieder einmalMitglieder verfeindeter Clans bekämpfen.Als Stunden später immer noch geschos-sen wird, Kampfhubschrauber des Militärsim Tiefflug auf das Stadtzentrum zufliegenund sich in die Schüsse das dumpfe Kra-chen explodierender Granaten mischt,weiß er, dass er sich geirrt hat.

Innerhalb weniger Stunden kontrollie-ren die IS-Anhänger fast das gesamteStadtzentrum, überrennen Polizeistatio-nen, besetzen Brücken und das Kranken-haus, verschanzen sich in der großen Mo-schee, versperren Fluchtwege und exeku-tieren Menschen auf offener Straße. No-rodin Lucman ist, wie Zehntausende an-dere Bewohner, ein Gefangener in seinereigenen Stadt.

Nur wenige Stunden nach Beginn derBelagerung verbreiten sich Gerüchte, dieIS-Leute würden Christen suchen und hin-richten. Es ist der Moment, in dem sich

Prinz des LichtsPhilippinen Fünf Monate lang hielt der IS die Stadt Marawi, dann wurde sie befreit. Doch die Gefahrist groß, dass hier ein neuer Rückzugsraum der Islamisten entsteht. Von Carsten Stormer

Page 2: Prinz des Lichts · mit einer Kelle Wasser aus dem Kanu, das langsam vollläuft. Der Kommandeur gibt ein Zeichen, der Bootsführer wirft den Mo - tor an und das Kanu gleitet durch

Norodin Lucman vornimmt, so erzählt eres, den Terroristen die Deutungshoheitüber seinen Glauben streitig zu machen.Am Abend klopfen die ersten zu Tode ver-ängstigten Christen an das Tor vonLucmans Anwesen. Nachbarn, Familienmit Kindern, Angestellte, Hilfsarbeiter.Muslime und Christen. Lucman nimmt sieauf. Bald drängeln sich 74 Schutzsuchendein seinem Haus.

Wenige Tage nach Beginn der IS-Offen-sive, so Lucman, habe es wieder geklopft.Schwarzgekleidete, bewaffnete Gestaltenauf der Suche nach Christen standen davor der Tür. Lucman kennt einige von ih-nen. „Das waren Jungs aus der Nachbar-schaft, entfernte Verwandte.“ Die Terro-risten wollen das Haus durchsuchen.Lucman stellt sich ihnen in den Weg undwirft den Männern vor, dass ihr Verhaltenunislamisch sei. Zu seinem Erstaunen zie-hen die Extremisten wieder ab.

Im Schatten seines Hauses tobt fortander Krieg. Vor seinem Fenster sterben Ter-roristen und philippinische Soldaten. Inden Straßen verwesen ihre Leichen in derTropensonne. Bomben detonieren ständig

und überall. Am elften Tag sind die Was-ser- und Nahrungsvorräte aufgebraucht.

Was nun? Am frühen Morgen des 3. Juni be-

schließt Lucman während seines Morgen-gebets, dass es besser sei, auf der Fluchtzu sterben, als in seinen eigenen vier Wän-den zu verhungern. Den christlichen Frau-en bindet er Kopftücher um, den Männernbringt er die korrekte Aussprache von „Al-lahu akbar“ bei, falls sie in eine Kontrollegeraten. Im Morgengrauen huschen 74Menschen aus Lucmans Haus, schwenkenweiße Fahnen, murmeln Allahu akbar undgehen mit gesenkten Köpfen aus derKampfzone heraus. „Überall lagen tote Menschen, Hunde,

Katzen, Ratten. Der Gestank war grauen-haft“, so Lucman. Unterwegs schließensich weitere Zivilisten dem seltsamenTross an, bald sind es 144 Menschen , unterihnen 44 Christen. An einer Brücke, diedas Ende der Frontlinie markiert, baut sichein IS-Mann vor Lucman auf. „Ich dachte,das ist unser Ende. Ich war bereit zu ster-ben“, erzählt Lucman mit einem Lächeln.

Der IS-Mann habe ihn lange angeschaut

und dann gefragt: „Norway, was machstDu denn hier?“

Da weiß er, alles wird gut. Ein Hand-schlag und ein gemeinsames Gebet, dannwinkt der Mann den Tross durch.

Norodin Lucman ist nun ein Binnen-flüchtling wie Hunderttausende andere,die vor den Kämpfen fliehen mussten.Noch immer lebt er vier Autostunden vonMarawi entfernt. Als Held fühle er sichnicht, sagt er, und zitiert aus dem Koran:„Wenn aber jemand einem Menschen dasLeben bewahrt, so ist es, als würde er dasLeben aller Menschen bewahren.“

Er sei nicht der einzige gewesen, derChristen gerettet habe. „Viele Muslime ha-ben ihre christlichen Angestellten, Freun-de, Arbeiter beschützt. Einige von ihnenwurden dafür hingerichtet.“ Wofür, fragter, solle er sich also feiern lassen? Marawiist größtenteils zerstört. Noch immer lebenZehntausende in Flüchtlingslagern.

Die Erleichterung über das Ende der Be-lagerung ist der Wut auf die philippinischeRegierung gewichen. Wut darüber, dassdie Heimatstadt von 200000 Menschen erstzerstört werden musste, um sie angeblich

Zerstörtes Stadtzentrum von Marawi: „Überall lagen tote Menschen, Hunde, Katzen“

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zu retten. „Viele Menschen stellen sich dieFrage, ob eine christliche Stadt ebenso be-handelt worden wäre“, sagt Lucman. Auchdeshalb habe der IS gewonnen. „DerenIdeologie lebt weiter, dies ist erst der An-fang. Wir haben gehört, dass 300 britischeIS-Kämpfer auf dem Weg in die Philippi-nen sind, um den IS neu zu strukturieren“,sagt er.

Mehr als 20 mit dem IS verbündete Ter-rorzellen sollen bereits in der Region ope-rieren. In den sozialen Netzwerken wer-ben sie mit Propagandavideos und Geld-versprechen um neue Rekruten. Wer ver-stehen will, wie weit sich die Ideologie desIS schon verbreitet hat, muss mit demAuto von Marawi sechs Stunden lang genSüden fahren, in die Sümpfe rund um denOrt Datu Salibo. Auf dem Weg dorthinpassiert man die Provinzstadt Cotabato.Im November rief das Militär hier diehöchste Terrorwarnstufe aus. Die Stadtkönnte das nächste Marawi werden, sorgtsich ein hochrangiger Offizier der Streit-kräfte. Angriffe stünden unmittelbar bevor.

An den Zufahrtsstraßen der Stadt stautsich kilometerlang der Verkehr. Soldatenkontrollieren Ausweispapiere, durchsu-chen Kofferräume und verteilen Flyer, aufdenen die Einwohner aufgerufen werden,verdächtige Gegenstände oder Personender Polizei zu melden. Der Vorsteher dergroßen Moschee von Cotabato warnt inPredigten und im Radio davor, sich nichtvon der Ideologie des IS verführen zu las-sen.

Die letzten Kilometer nach Datu Saliboführen durch das Gebiet des IS-AblegersJamaah Mohajirin Wal Ansar des Terror-fürsten Abu Turaipe. Am Rande des 15000-Einwohner-Ortes sitzen mit Sturmgeweh-ren bewaffnete Männer in lecken Kanus,um das Sumpfgebiet zu inspizieren, dassie erst im Oktober dem IS entrissen ha-ben.

Ein Mann mit Pilotenbrille stellt sich alsCommander Supremo vor, 34 Jahre altund Anführer einer Spezialeinheit derMoro Islamischen Befreiungsfront (MILF).Jahrzehntelang hatte die Rebellengruppegegen die Regierung gekämpft und mehrAutonomierechte für die Muslime gefor-dert. Aber aus den Feinden von einst sindinzwischen Verbündete im Kampf gegenden IS geworden.

Es ist drückend heiß, die Luft klebt wieein nasses Laken am Körper. Aus denSümpfen erklingt Gefechtslärm. Die phi-lippinische Armee beschießt seit dem Mor-gen Stellungen des IS mit Artilleriegrana-ten und fliegt Luftangriffe. CommanderSupremo schiebt ein Magazin in seinSturmgewehr und sagt, man müsse sichkeine Sorgen machen.

Währenddessen schöpft ein Mitkämpfermit einer Kelle Wasser aus dem Kanu, daslangsam vollläuft. Der Kommandeur gibt

ein Zeichen, der Bootsführer wirft den Mo-tor an und das Kanu gleitet durch die seich-ten Liguasan-Sümpfe, bis es Minuten spä-ter an einer Bambushütte anlegt.„Dies waren die Stellungen des IS, das

ganze Gebiet hier war vermint“, sagt Com-mander Supremo und zeigt über den Ho-rizont. „Hier haben sie ihre Waffen gela-gert und trainiert. Wenn wir sie nicht be-kämpft hätten, dann wäre uns das Schick-sal von Marawi gewiss gewesen. Hier ha-ben wir einen von denen begraben“, sagtSupremo und zeigt auf eine Mulde im san-digen Boden. Leichter Verwesungsgeruchsteigt aus dem Grab hoch.

Wie viele getötet wurden oder fliehenkonnten, weiß der Kommandeur nicht. Siesind weg, nur das zählt. „Diese Leute be-schmutzen den Islam. Wenn wir sie nichtaufhalten, wird es immer schlimmer wer-den. Ich trage eine Waffe, seitdem ich elfbin. Ich will nicht, dass meine Kinder die-ses Leben weiterführen müssen.“

80 Kilometer südlich der Liguasan-Sümpfe sitzt eine schmale, zierliche Frauauf einem Holzschemel in der Polizeistati-on von Palimbang, einem Ort in der Pro-vinz Sultan Kudarat. Die 41-jährige Mari

Fe Spadilla hat ihre Haare unter einem ro-ten Kopftuch versteckt, nervös kratzt siesich den Lack von den Fingernägeln. MariFe Spadilla hat Angst. Ein paar Meter ent-fernt stehen ihre Leibwächter. „Ich weiß zu viel“, flüstert sie.Ihre Geschichte erzählt sie so: Am 5. Ja-

nuar 2017 wurde ihr Ehemann bei einerPolizeioperation erschossen: MohammadJaafar Maguid, genannt „Tokboy“, war derAnführer der Terrororganisation Ansar al-Khilafah Philippines (AKP) und einer dermeistgesuchten Verbrecher des Landes,mitverantwortlich für den Bombenan-schlag in der Hafenstadt Davao, bei demim September 2016 14 Menschen sterben.Tokboys Leute schwören dem IS die Treue,sie erpressen Schutzgelder und kämpfenauch in Marawi.

Ihr Ziel: Ein islamisches Kalifat.Mari Fe Spadilla ist die zweite von Tok-

boys vier Ehefrauen, sie habe von all demnicht viel mitbekommen, behauptet siehabe sich vor allem um den Haushalt unddie neugeborene Tochter gekümmert undihren Mann nur selten gesehen.

Einer der Leibwächter zeigt auf seinemSmartphone Fotos getöteter Terroristen;Philippiner, zwei Indonesier, ein Schwar-zer unbekannter Herkunft – und Tokboy.

Als die Witwe ihren toten Ehemann sieht,beginnt sie zu weinen. Sie habe Angst umdas Leben ihrer Tochter, sagt sie. EndeSeptember hat sie sich den Behörden ge-stellt, um gegen das Netzwerk ihres Man-nes als Zeugin auszusagen. Seither erhältsie Morddrohungen per SMS.

Einer der größten Unterstützer der Ter-rororganisation ihres Mannes, so sagt sie,sei der Bürgermeister von Palimbang ge-wesen: „Er gab Tokboy alles, was erbrauchte: Geld, Nahrungsmittel, Waffen,Sprengstoff, Munition, Schutz. Ich habe esselbst gesehen.“ Der Mann befände sichzwar auf der Flucht, doch sie fürchte ihntrotzdem und fühle sich auch unter Poli-zeischutz nicht sicher, sagt die Witwe.

Sie solle sich keine Sorgen machen, be-ruhigt sie ihr Gastgeber Raul Supiter, deroberste Polizist der Provinz. „Bei uns bistdu sicher“, sagt er und zeigt wie zum Be-weis stolz die Ausbeute einer Razzia gegeneine Bande von Waffenschmugglern. Dut-zende Sturmgewehre, Pistolen, hunderteSchuss Munition. Für wen die Lieferungbestimmt gewesen sei, könne er nicht sa-gen. Aber es läge nahe, dass die Waffenfür lokale Terrorgruppen gedacht seien.

Auch Supiter glaubt, dass es keine Frageist, ob der IS sich auf Mindanao weiter aus-breiten werde oder nicht, sondern nur „wieschnell und wann der nächste Anschlagstattfinden wird.“ Als sich die Nacht überPalimbang legt, der Polizeichef gegrilltesHühnchen und kaltes Bier servieren lässt,verschwindet Mari Fe Spadilla mit ihrenLeibwächtern in der Dunkelheit. Das Ein-zige, was sie sich wünsche, sei ein norma-les Leben für ihre Tochter, hatte sie zumAbschied gesagt.

Etwas ganz ähnliches wünscht sich auchein Junge in Marawi. Der Campus der Uni-versität von Mindanao ist ein malerischer,friedlicher Ort, im Schatten von Akazienund Mangobäumen sitzen junge Männerund Frauen über ihren Büchern und essenEis am Stiel. In einem verlassenen Seiten-flügel der Universität löst sich währendder Mittagspause eine kleine Gestalt auseinem Mauerschatten.

Ein Junge in einem schwarzen Kapuzen-pulli setzt sich auf eine Treppenstufe undwickelt sich eine Kufija um den Kopf, dasrot-weiße Tuch der Araber, bis seine Au-gen nur noch durch einen schmalen Seh-schlitz blitzen. Er will nicht erkannt wer-den, die Klassenkameraden kennen seinGeheimnis nicht.

Abdul ist 13 Jahre alt, stammt aus einersehr religiösen Familie und geht in die 8.Klasse der High-School, die an das Uni-versitätsgelände grenzt. Wie viele seinerAltersgenossen wurde auch er vom IS fürden Kampf gegen „Ungläubige” rekrutiert.Kinder sind leicht zu verführen.

Abdul möchte seinen wahren Namennicht nennen. Er spricht mit leiser Stimme,

Einer der größten Unter-stützer der Terrororgani-sation war der Bürger-meister

Page 4: Prinz des Lichts · mit einer Kelle Wasser aus dem Kanu, das langsam vollläuft. Der Kommandeur gibt ein Zeichen, der Bootsführer wirft den Mo - tor an und das Kanu gleitet durch

erzählt, wie der Lehrer seiner Koranschuleihn vor zwei Jahren für den Krieg gegendie Kuffar, die Ungläubigen, gewinnenwollte. Ein warmer Wind trägt das ausge-lassene Lachen seiner Schulkameradenherbei. Abduls Vater, ein Arzt, starb voracht Jahren an Lungenkrebs. Die Mutter,eine Lehrerin, ist mit der Erziehung deseinzigen Sohnes überfordert. Ihr Einkom-men reicht gerade aus, um die Familie zuernähren.

Abu Maryam, der Lehrer, Vaterfigurund religiöse Autorität zugleich, versprichtAbdul Geld und Geschenke - Telefone undVideospiele. Und er sagt, wenn Abdul imKampf sterbe, komme er direkt ins Para-dies. Das überzeugt den Jungen. Der Leh-rer nimmt Abdul und ein Dutzend anderermit in ein Ausbildungslager südlich vonMarawi. Vier Monate lang trainiert Abduldort an den Wochenenden mit 50 gleich-altrigen Jungs. Er lernt Selbstverteidigung,Verse des Koran und Hadithe, überlieferteAussagen des Propheten Mohammed. „Die Ausbilder erklärten uns, wen wir

töten dürfen und wer eine zweite Chanceerhalten sollte“, erzählt der Junge. Chris-ten, die zum Islam konvertieren, dürfeman am Leben lassen. Andere hingegenmüssten sterben. Noch heute findet Abdulnichts Falsches daran, dies sei eben AllahsWille. Später werden die Kinder an Waffenausgebildet, trainieren mit Sturmgewehren,Pistolen, Granaten, Panzerfäusten.

Abduls Mutter ahnt von alldem nichts,sie glaubt, ihr Sohn sei auf Ausflügen oderbeim Studium des Korans. Zwei Jahre langdurchläuft Abdul die Ausbildung zum Krie-ger, doch die große Schlacht findet ohneihn statt. „Ich war daheim bei meiner Mutter, als

es losging. Ich bin das einzige Kind.“ Esärgerte ihn zwar, das er nicht mitkämpfenkonnte, das Wissen und das Training dervergangenen zwei Jahre nicht hat anwen-den können. Doch als seine Glaubensbrü-der über die Heimatstadt herfallen, flößenihm die schwarzvermummten Kameraden,die in seiner Nachbarschaft herumballern,morden und Allahu akbar rufen, plötzlichAngst ein.

Zum ersten Mal fragt sich der Junge, obdieses Inferno tatsächlich Allahs Wunschsein kann. Die Anführer des IS, seine Aus-bilder und Kameraden sind nun alle tot.Abdul lebt. „Vorerst habe ich das Interesse am Dschi-

had verloren“, sagt er.Er blickt auf seine Armbanduhr, die Mit-

tagspause ist längst vorbei. Der Physikun-terricht hat begonnen, den darf er nichtverpassen. Denn später will er Pilot wer-den. „Ich möchte die Welt sehen“, sagt er,zieht sich das Tuch vom Kopf und renntzurück ins Klassenzimmer, wo niemandsein Geheimnis kennt und er wieder einganz normaler Teenager ist.

Ex-Gouverneur Lucman: „Das waren Jungs aus der Nachbarschaft“

IS-Graffiti in Marawi: Das Leben kehrt nur zögerlich in die Ruinen zurück

Muslimischer Kämpfer in Maguindanao: Fremdkörper in einem von Christen besetzten Land