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Privatrechtsgeschichte der Neuzeit SS 2009 Prof. Dr. Franz Dorn v.d. H.U.Richter-Hopprich Entwicklung des Privatrechts im 19. und 20. Jahrhundert

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Privatrechtsgeschichte der NeuzeitSS 2009

Prof. Dr. Franz Dornv.d. H.U.Richter-Hopprich

Entwicklung des Privatrechts im 19. und 20. Jahrhundert

Überblick 19. Jhd

● Historische Rechtsschule● Ausgangslage; Kodifikationsstreit; F.C.v.Savigny;

Wirkgeschichte; „Begriffsjurisprudenz“● Allg. Fortschritte des Zivilrechts

● Personenrecht; Bodenbefreiung; Familienrecht; Arbeitsrecht

● Kodifikationsbewegung und BGB● Rechtsvereinheitlichung; BGB

19. Jhd./hist. Rechtsschule

Hist. Ausgangslage● 1803 Reichsdeputationshauptschluss● 1806 Ende des hl. röm. Reiches● 1815 Waterloo und Wiener Kongress● 1819 Karlsbader Beschlüsse● 1832 Hambacher Fest● 1848/49 Revolution● 1864-1871 Reichseinigungskriege● 1871 Reichsgründung

19. Jhd./hist. Rechtsschule

geistige Strömungen● Klassizismus● Idealismus● Romantik● Historismus● Liberalismus● Sozialismus

19. Jhd./hist. Rechtsschule/Kodifikationsstreit

Rechtsprechung

● 1806 Auflösung von RKG und RHR● Oberappellationsgerichte● 1870-1879 Bundes- u. Reichsoberhandelsgericht● 1879 Reichsgericht

19. Jhd./hist. Rechtsschule/Kodifikationsstreit

Gesetzgebung● Allg. Deut. Wechselordnung 1848● Allg. Deut. HGB 1861● Dresdener Entwurf zum Obligationenrecht 1866

● Reichsjustizgesetze: GVG, ZPO● HGB

● Sächsisches BGB 1865

19. Jhd./hist. Rechtsschule

Kodifikationsstreit

Friedrich Justus Thibaut (1772-1840)„Über die Nothwendigkeit eines allgemeinen Bürgerlichen

Rechts für Deutschland“ (1814)

Friedrich Carl von Savigny (1779-1861)„Vom Berufe unserer Zeit für Gesetzgebung und

Rechtswissenschaft“ (1814)

19. Jhd./hist. Rechtsschule/Kodifikationsstreit

F.C. v. Savigny Lebensdaten:• 1795-1800 Studium in Marburg • 1803 außerordentlicher Professor in Marburg• 1804 heiratet Gunde v. Brentano• 1808 Professor in Landshut• 1810 Professor in Berlin• 1842-1848 Preußischer Minister für

Gesetzgebung

19. Jhd./hist. Rechtsschule/Kodifikationsstreit

F.C. v. Savigny Wichtige Schriften:• 1804 „Das Recht des Besitzes“

• 1814 „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“

• 1815 „Vom Zweck dieser Zeitschrift“

• 1815-1831 „Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter“

• 1815-1850 „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaften“ (Hrsg.)

• 1840-1849 „System des heutigen Römischen Rechts“

• 1851-1852 „Obligationenrecht“

19. Jhd./hist. Rechtsschule/

Thesen I „Die Geschichtliche Schule nimmt an, der Stoff des Rechtes sei durch die gesamte Vergangenheit der Nation gegeben, der nicht durch Willkür, so daß er zufällig dieser oder ein anderer sein könnte, sondern aus dem innersten Wesen der Nation selbst und ihrer Geschichte hervorgegangen. Die besondere Tätigkeit jedes Zeitalters aber müsse darauf gerichtet sein, diesen mit innerer Notwendigkeit gegebenen Stoff zu durchschauen, zu verjüngen und frisch zu halten“

19. Jhd./hist. Rechtsschule/

Thesen II

● Alles Recht entspringt dem Volksgeist

● Das Seiende ist immer das Gewordene („organisch Gewachsene“)

● Juristen sind legitime Vertreter des Volkes

19. Jhd./hist. Rechtsschule/

Methode I„Ich will noch das höhere Ziel hinzufügen, dessen Möglichkeit auf demselben Wege, nämlich in dem wissenschaftlichen Charakter des deutschen Juristenstandes, liegt. Ist einmal Rechtswissenschaft auf die hier beschriebene Weise Gemeingut der Juristen geworden, so haben wir in dem Stand der Juristen wiederum ein Subjekt für lebendiges Gewohnheitsrecht, also für wahren Fortschritt gewonnen. Von diesem Gewohnheitsrecht war unser Gerichtsgebrauch ein kümmerliches Surrogat, am kümmerlichsten der Gerichtsgebrauch der Juristenfakultäten.

Der historische Stoff des Rechts, der uns jetzt überall hemmt, wird dann von uns durchdrungen sein und uns bereichern. Wir werden dann ein eigenes nationales Recht haben, und eine wirksame Sprache wird ihm nicht fehlen. Das römische Recht können wir dann der Geschichte übergeben, und wir werden nicht bloß eine schwache Nachahmung römischer Bildung, sondern ein eigene und neue Bildung haben. Wir werden etwas höheres erreicht haben als die bloß sichere und schnelle Rechtspflege Der Zustand klarer anschaulicher Besonnenheit, welcher dem Recht jugendlicher Völker eigen zu sein pflegt, wird sich mit der hohen wissenschaftlichen Ausbildung verzweigen.“

Savigny, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben

19. Jhd./hist. Rechtsschule/

Methode II● strenge Historische Methode

● Aufdecken des hist. Prinzips der Regelung

● Abweichung nur, wenn durch wesentliche gesellschaftliche Veränderungen gerechtfertigt

● Systematisierung

19. Jhd./hist. Rechtsschule/

Folgen

● Vorrang des Gewohnheitsrechts● Ablehnung von Kodifikationen als „unorganisch“● Besondere Beachtung des römischen Frührechts und des justinianischen Rechts●Ablehnung des Naturrechts

19. Jhd./hist. Rechtsschule/Wirkgeschichte

“Begriffsjurisprudenz“Georg Friedrich Puchta (1798-1846)

Thesen● nicht das Recht, sondern nur das Gesetz ist lückenhaft● Rechtsfindung durch Systematisierung (Pandektenharmonistik)

19. Jhd./Fortschritte des Zivilrechts

Personenrecht● „Gleichheit all dessen, was

Menschenanlitz trägt“

● Rechtsfähige jur. Personen des Privatrechts?● Tendenzen der Entwicklung eines alg.

Persönlichkeitsrechts● Namensrecht● Schmerzensgeld

19. Jhd./Fortschritte des Zivilrechts

Bodenbefreiung I● Steinsche Edikt zum freien Gebrauch des Grundeigentums (9.10.1807):

„Nach dem Martini-Tag 1810 gibt es nur freie Leute“ (§ 12)

● Schränkende Dekrete 1816● Durchsetzung mit Gesetz v. 2.3. 1850

19. Jhd./Fortschritte des Zivilrechts

Bodenbefreiung IIDrei Folgeprobleme:

●Bodenverschuldung●Bodenzersplitterung●Bodenegoismus

19. Jhd./Fortschritte des Zivilrechts

Familienrecht● Eheschluss

● Ehescheidung

● Eheliches Güterrecht

● Vormundschaftsrecht

19. Jhd./Fortschritte des Zivilrechts

Arbeitsrecht I● Arbeitsrecht im mod. Sinn mit Gewerbefreiheit:

GewO 1869: „Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden

und den gewerblichen Arbeitern ist [...] Gegenstand freier Übereinkunft“

● 15.6.1883 Gesetz über die Krankenversicherung● 6.7.1884 Unfallversicherungsgesetz● 1896: erster Tarifvertrag (Buchbinder)

19. Jhd./Fortschritte des Zivilrechts

Arbeitsrecht II Gesinderecht

§ 76: Die Befehle der Herrschaft ... muß das Gesinde mit Ehrerbietung und Bescheidenheit annehmen.

§ 77: Reizt das Gesinde die Herrschaft durch ungebührliches Betragen zum Zorn und wird im selbigen von ihr mit Scheltworten oder geringen Tätlichkeiten behandelt, so kann es dafür keine gerichtliche Genugtuung fordern.

PrGS 1810

19. Jhd./

BGB● Verfassungsrechtliche Voraussetzungen

● Entwürfe und Materialien

● Kritik

● Wirkung

19. Jhd./BGB

Entstehung und Materialien● 20.12.1873: Kompetenzerweiternde

Verfassungsänderung● 15.4.1874: Gutachten der Vorkommission● 1874-1887: erste Kommission● 1891-1895: zweite Kommission● 14.7.1896: Verabschiedung des BGB● 1.1.1900: Inkrafttreten des BGB

19. Jhd./BGB/Entstehung und Materialien

Kritik am E1● Forderung nach „Tropfen sozialistischen Öls“

● Schutz des Schwächeren

● Soziale Freiheit

● Gesellschaftliche Stabilität

19. Jhd./BGB/

Kritik

Das BGB als „spätgeborenes Kind des Liberalismus“ (Franz Wieacker) ?

19. Jhd./BGB/

WirkungAnnahme von Kodifikationen, die auf dem BGB beruhten, und

grundlegende Veränderungen bestehender Kodifikationen in Anlehnung an das BGB:

● Japan: 1898● Schweiz: ZGB und revidiertes OR treten 1912 in Kraft● Österreich: Drei Teilnovellen zum ABGB in den Jahren 1914-1916● Thailand 1925● Türkei: Kodifikationen nach Schweizer Vorbild 1926● China: Zivilgesetzbuch von 1930 (in Taiwan noch in Kraft)● Griechenland: ZGB von 1946● Südkorea 1958● Auswirkungen auch auf den italienischen Codice civilevon 1942, das

niederländische Nieuw BurgerlijkWetboek (seit 1954) und den portugiesischen Codigo civil von 1967.

● Einflüsse auf den Гражданский кодекс der russischen Föderation

20. Jhd./

Überblick● Kaiserreich● Weimarer Republik● Nationalsozialismus● Privatrecht der DDR● Tendenzen in der BRD● Tendenzen der Europäisierung

20. Jhd./Kaiserreich

SchulenstreitFreirechtsbewegung● Hermann Kantorowicz (1877-1940):„Der Kampf um die

Rechtswissenschaft“, 1906 unter dem Pseudonym Gnaeus Flavius erschienen

Interessenjurisprudenz● Philipp Heck (1858-1943): „Gesetzesauslegung und

Interessenjurisprudenz“, 1914

20. Jhd./Weimarer Republik

WRV IArtikel 153

Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen.Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfalle der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offen zu halten, soweit Reichsgesetze nichts anderes bestimmen. Enteignung durch das Reich gegenüber Ländern, Gemeinden und gemeinnützigen Verbänden kann nur gegen Entschädigung erfolgen.Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.

20. Jhd./Weimarer Republik

WRV IIArtikel 119 Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens

und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Diese beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter. Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe der Staats und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge.Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staats.

Artikel 121 Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

20. Jhd./Weimarer Republik

Rechtsanwendung und FortbildungRichterrechtliche Überformung der Strukturen des

BGB

● Treu und Glauben

● Wegfall der Geschäftsgrundlage

● unzulässige Rechtsausübung

20. Jhd./Weimarer Republik

GesetzgebungBoden- und Siedlungsrecht● Reichssiedlungsgesetz vom 11. August 1919● Reichsheimstättengesetz vom 10 Mai 1920

Entstehung des Arbeitsrechts● Tarifvertragsverordnung (1918)● Arbeitsgerichtsgesetz mit Errichtung eines

Reichsarbeitsgerichts (1926)

20. Jhd./Nationalsozialismus

Allgemein„Wir fordern Ersatz für das der materialistischen

Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemeinrecht.“ Punkt 19 des Parteiprogramms der NSDAP von 1920

„Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist.“ Vorschlag von Karl Larenz (1903-1993) für die Neufassung von § 1 BGB aus dem Jahr 1935 (angelehnt an Punkt 4 des Parteiprogramms der NSDAP)

20. Jhd./Nationalsozialismus

Überblick

● Gesetzl. Maßnahmen zur Umsetzung des NS-Ideologie

● Umsetzung durch Justiz u. Rechtswissenschaft

● Versuch zur Beseitigung des BGB

20. Jhd./DDR

Allgemein

● Neuordnung der Justiz u. der Juristenausbildung

● Ablösung des BGB 1975

20. Jhd./BRD

Überblick

● Familienrecht

● Schuldrecht

● Europäisierende Tendenzen