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Prof. Dr. Ludwig Siep
Praktische Philosophie IIEinführung in die politische Philosophie
Globalisierung als Thema der Staatsphilosophie
Prof. Dr. Ludwig Siep - Einführung in die politische Philosophie 2
Globalisierung als Thema der Staatsphilosophie
1. Aspekte der Globalisierung a) Technische Globalisierung b) Ökonomische Globalisierung c) Normative Globalisierung d) Globale Aufgaben
2. Probleme der Globalisierung a) Globale Zivilisation und partikulare Kulturen b) Globale Verflechtung und einzelstaatliche Souveränität c) Globalisierung als Überforderung der traditionellen Staatlichkeit
3. Lösungsmöglichkeiten a) Interkulturelle Konsense b) Internationale Organisationen c) Subsidiarität
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1. Aspekte der Globalisierung
A. Technische Globalisierung a) Verkürzung der Zeiten und Räume durch Verkehrs- und
Kommunikationstechniken b) Uniformierung der Lebenswelt durch weltweit standardisierte, seriell und in
Massenproduktion hergestellte Apparate c) Aufhebung von Grenzen und Kontrollen durch miniaturisierte Apparate (Handy, Laptop, Minikamera, Chip) d) Möglichkeit der „Allpräsenz“ durch technische Beweglichkeit und
Lokalisierung außerhalb der Erde (Satellitenbeobachtung, Satellitensender etc)
B. Ökonomische Globalisierung a) Schwinden von Transport- und Kommunikationskosten b) Weltweit operierende Großunternehmen c) Abbau staatlicher Handels-, und Niederlassungsschranken, Rechtsangleichung d) Massenproduktion und Transportkapazitäten e) Weltweiter Markt für Arbeit, Produkte, Geldanlagen
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C. Normative Globalisierung
a) Angleichung von Normen (Gesetzen, Rechten, Freiheiten, Werten)b) Bemühung um weltweite Normkonsense: UNO-Deklarationen, Internationale
Konventionen, Globale Zielvereinbarungen (Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Artenmannigfaltigkeit)
c) Dialog der Kulturen, Religionen, Normwissenschaften
D. Globale Aufgaben
a) Umweltaufgaben durch globale Emissionen und Ressourcenverbrauch (Klimakatastrophe, Artensterben, Energiekrise)b) Soziale Aufgaben durch weltweite Ungleichverteilungen (Armut, Gesundheit,
Niveau wirtschaftlicher Entwicklung, Bildung, Verwaltungsstrukturen, Kapitalbildung)
c) Regelung des globalen Wettbewerbs (bzw. seiner Verzerrungen) und globaler Wirtschaftskrisen (Interdependenz von Märkten und Konjunkturzyklen)
d) Überwindung von Kriegen und Gewaltanwendungen (Terrorismus, Waffenhandel, Verbreitung von Nuklearwaffen, Biowaffen etc.)
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2. Probleme der Globalisierung
A. Globale Zivilisation und partikulare Kulturen
a) „Zusammenstoß“ einer weltweiten liberalen Zivilisation („westliche“, wissenschaftliche technische, „aufgeklärte“, uniforme) mit traditionalen und partikularen Kulturen (lokale und regionale Gebräuche, traditionelle Formen von Familie, Sexualität, Moral, Religion).
b) Kontakt und Mischung ehemals separierter und durch Gegensätze (Ausschließung) definierter Kulturen (Religionen, Konfessionen, Weltanschauungen, Traditionen) durch
b1) Welthandel b2) Migration und multikulturelle Gemeinwesen b3) Tourismus b4) Politischen und ökonomischen „Neo-Kolonialismus“
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2. Probleme der Globalisierung
B. Globale Verflechtung und einzelstaatliche Souveränität
a) Unterlaufen staatlicher Regelungsfähigkeit durch internationale Unternehmen (Verlagerung von Produktionsstätten, Einfluss auf Konjunktur etc.) und durch „Abwanderung“ von Eliten (Wissenschaftler, Manager, Steuerzahler)
b) Folge: Globaler Standortwettbewerb durch Liberalisierung, Senkung von Steuern und Zulassungsregeln (z. B. Umweltauflagen) und andere Unternehmenskosten (soziale Leistungen, Löhne etc.), Subventionierung und „Anlockung“ von Investoren.
c) Einschränkung staatlicher Souveränität durch internationale Regelungen, Verträge, Organisationen (GATT, Weltbank, auch NGOs)
d) Einschränkung staatlicher Souveränität durch Staatenbünde (EU, NATO etc.).e) Schwächung des staatlichen Gewaltmonopols durch international operierende
kriminelle Vereinigungen, Terrorismus, private Sicherheitsunternehmenf) Beeinträchtigung staatlicher Handlungsfähigkeit durch globale Umwelt- und
Marktfolgen, Migrationen.
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2. Probleme der Globalisierung
C. Globalisierung und Überforderung traditioneller Staatlichkeit
a) Traditionelle Staatlichkeit beruht auf Souveränität im Sinne von a1) Monopol legitimer physischer Gewalt a2) Oberste Regelungskompetenz und Letztentscheidung in der Auslegung (nationale Legislative und Judikative) a3) Wirksamer staatlicher Wirtschaftspolitik (Gesetzliche und politische Rahmenbedingungen für den Markt)
b) Traditionelle Staatlichkeit beruht auf einem kulturellen Wertekonsens (Verfassungsprinzipien, Grundrechte, „gute Sitten“, politisches Klima,
konsensorientierte Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte, Trennung von Staat. Religion und Wissenschaft, ausreichendes Vertrauen in Institutionen und Führungspersonal).
c) Die Handlungsfähigkeit, Regelungsfähigkeit und das Gewaltmonopol werden durch die verschiedenen Aspekte der Globalisierung möglicherweise überfordert
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3. Lösungsmöglichkeiten
A. Internationale Konsense a) Internationale Konventionen, Verträge, Zielvereinbarung zur Bewältigung der
globalen Aufgaben und zur Angleichung der Rechts- und Wertvorstellungen („überlappender Konsens“: Menschenrechte, Nachhaltigkeit, Artenvielfalt, Fairness
des wirtschaftlichen Wettbewerbs, religiöse Toleranz, soziale Mindeststandards, Lohnuntergrenzen, Gesundheits- und Bildungsstandards – „Weltinnenpolitik“ )
B. Internationale Organisationen a) Staatenbünde (EU, ASEAN, Andenpakt, OAS, AU) b) Weltweite überstaatliche Organisationen (UNO, UNESCO, WHO etc.) und nicht-
staatliche Verbände (NGOs) c) Internationales Konfliktmanagement und internationale Rechtsprechung
(Handelsrecht, Völkerrecht, Strafrecht) d) Probleme: Ohne Weltstaat gibt es keine demokratischen Strukturen (vgl. UNO)
bzw. eine Instrumentalisierung durch die Mächtigen. NGOs leiden unter Demokratie- und Legitimationsdefiziten, sind durch Minoritäten manipulierbar.
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3. Lösungsmöglichkeiten
C. Subsidiaritätsprinzip Anstelle eines ebenso überforderten Weltstaates und seiner problematischen
Mittel (Nivellierung der kulturellen Mannigfaltigkeit, Zentralisierung von Macht und Kontrolle) treten die Prinzipien Föderalismus und Subsidiarität.
a) Föderalismus: Wahrung von Teil-Souveräntität und Mitbestimmung an den
Entscheidungen der Gesamtföderation
b) Subsidiarität: Belassung von Autonomie und Regelungskompetenz auf der jeweils „unteren“ Stufe, solange die Lösungskapazität ausreicht, die Rechte der Minderheiten und Individuen nicht beeinträchtigt sind (Konformitätsdruck) und gesellschaftliche Organisationen (Kirchen, Verbände, Armee) keine mit Demokratie und Rechtsstaat unvereinbare Macht erlangen.
(Vgl. auch Ch. Horn, Einführung in die politische Philosophie, Darmstadt, WBG, 2003)