12
Seniorenakademie Berlingen Zyklus „Wer regiert die Schweiz“ 20. Februar 2013 Wirtschaftsmacht und Demokratie Prof. em. Dr. Wolf Linder, Universität Bern [email protected] www.wolf-linder.ch

Prof. em. Dr. Wolf Linder, Universität Bern [email protected] wolf-linder.ch

  • Upload
    marnin

  • View
    57

  • Download
    0

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Seniorenakademie Berlingen Zyklus „Wer regiert die Schweiz“ 20. Februar 2013 Wirtschaftsmacht und Demokratie. Prof. em. Dr. Wolf Linder, Universität Bern [email protected] www.wolf-linder.ch. Übersicht Zur Aktualität der Fragestellung - PowerPoint PPT Presentation

Citation preview

Seniorenakademie BerlingenZyklus „Wer regiert die Schweiz“20. Februar 2013

Wirtschaftsmacht und Demokratie

Prof. em. Dr. Wolf Linder, Universität Bern

[email protected]

Wolf Linder Wirtschaftsmacht und Demokratie 2

Übersicht

- Zur Aktualität der Fragestellung- Der Wirtschaftseinfluss auf Wahlen und Abstimmungen- Der Einfluss der Verbände-Wie bilden Verbände politische Macht- Traditionelle Kritik am Verbandsstaat, neuere

Entwicklungen- Strukturelle Wirtschaftsmacht- Kritische Folgerungen

Wolf Linder Wirtschaftsmacht und Demokratie 3

Einführung

- Entscheidungsgewalten aufgrund der demokratischen Verfassung: - Volk (wichtigste Entscheide, Verfassung)- Parlament (wichtige Entscheide, Gesetz)- Regierung (übrige Entscheide)

- Aber: Einfluss der Wirtschaft alltäglich: von Abstimmungspropaganda, Lobby in Verwaltung und Parlament, Standortentscheide von Unternehmen bis zu persönlichen Verflechtungen (Filz)- Besondere Aktualität: Internationalisierung von Wirtschaft

und Wirtschaftsmacht

Wolf Linder Wirtschaftsmacht und Demokratie 4

Wirtschaftseinfluss bei Wahlen und Abstimmungen

-Wahlen- Dichtung: „man gebe mir eine Million und ich mache aus

einem Kartoffelsack einen Nationalrat“- Wahrheit: intransparente und völlig einseitige

Parteienfinanzierung-Abstimmungen:

- Häufig einseitige und intransparente Propaganda- Wirkung: Geld kann nicht jede Abstimmung gewinnen, ist

aber unter bestimmten Bedingungen entscheidend (grosse Umstrittenheit, nicht prädisponiert) Beispiele Abzocker, Raumplanung, Familienartikel

Wolf Linder Wirtschaftsmacht und Demokratie 5

Der Einfluss der Verbände

- Traditionell stark- Institutionalisiert im vorparlamentarischen Verfahren

der Gesetzgebung. In praktisch allen wichtigen Vorlagen wirken Verbände mit und haben zum Teil erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung wie auf den Vollzug der Gesetze.- hervorragend dokumentiert im Film: Mais im Bundeshaus

-Organisation: föderalistisch, doppelstöckig- Verbände einzelner Branchen (Bau, Banken etc.)- Dachverbände (Arbeitgeber, Gewerkschaften, Bauern und

Gewerbeverband)

Wolf Linder Wirtschaftsmacht und Demokratie 6

Wie bilden Verbände politische Macht? I

-Mobilisierung in Volksabstimmungen (gelingt auch nicht-wirtschaftlichen Organisationen wie Kirchen oder andern sozialen Institutionen)- Fachwissen in der Gesetzesvorbereitung (z.B. Landwirtschaft,

Arbeits- oder Umweltgesetz)-Mithilfe beim Vollzug von Gesetzen (Landwirtschaft,

Berufsschulen)- Um Macht in Verhandlungen zu haben, braucht es zwei Dinge:

- Organisationsfähigkeit: ich muss überhaupt über eine Organisation samt Mitgliedern verfügen

- Konfliktfähigkeit: ich muss etwas verweigern können, was die andern brauchen

Wolf Linder Wirtschaftsmacht und Demokratie 7

Wie bilden Verbände politische Macht? II- Organisations- und Konfliktfähigkeit sind ungleich verteilt!- Organisationsfähigkeit: ich muss eine Leistung vermitteln

können, die exklusiv den Mitgliedern zukommt (Beispiele TCS und VSL)- Konfliktfähigkeit: nur wer eine Leistung verweigern kann,

wird sich in der Verhandlung durchsetzen (Beispiel Fluglotsen und Putzfrauen auf dem Airport)- Konsequenzen:

- Bevorteilt sind: spezielle, kurzfristige Interessen, „haves“- Benachteiligt sind: allgemeine, langfristige Interessen, „have-

nots“- Wer hat dem wird gegeben (Matthäus 25,29)

Wolf Linder Wirtschaftsmacht und Demokratie 8

Traditionelle Kritik am Verbandsstaat, neuere Entwicklungen- 1960er: Staatsrechtler Hans Huber „vermachteter Staat“ zulasten

der „Nicht-Repräsentierten“. Politologe Erich Gruner: Parlament ist dominiert von Verbänden- 1970er: Soziologe Karl Deutsch: „Verbandsstaat = To offer less to

get more“. Politologe Fritz Scharpf: demokratischer Pluralismus hinkend, Arrangement der „Interessen der Gesättigten“- Neuere Entwicklung Schweiz: Europäisierung bringt

Veränderungen: - Verbände Binnenwirtschaft verlieren Einfluss (Gewerbe und Bauern),

Exportwirtschaft gewinnt Macht- Gewerkschaften: zumeist, aber nicht immer, Verlierer- Statt Verbände: Interessendominanz einzelner internationaler

Grossunternehmen

Wolf Linder Wirtschaftsmacht und Demokratie 9

Strukturelle Wirtschaftsmacht- (Neo-)liberale Kritiker der Kritik am Verbandsstaat:

- Ja, es ist richtig, Wirtschaftsmacht im Staat ist nicht immer demokratisch. Aber sie ist zum Vorteil für alle.

- Beispiel: Pauschalbesteuerung reicher Ausländer- Wirtschaftsmacht ist häufig auch von der

demokratischen Mehrheit als „vernünftig“ akzeptiert.- Beispiele: Banken-, Mitbestimmungs- oder Ferieninitiative,

Steuervorteile für neue Unternehmen, Bauzonen für Reiche.- Dass solche demokratische Mehrheiten zustande

kommen, gründet auf struktureller Macht

Wolf Linder Wirtschaftsmacht und Demokratie 10

Strukturelle Wirtschaftsmacht: ein Erklärungsschema.Austausch zwischen Wirtschaft, Staat und Gesellschaft

Staatliche Organi-sationen

Geregelt durch Gesetze (legaler Zwang)

Private Wirtschaft

Geregelt durch den Markt

Wirtschafts-und Markt-garantien

Infrastruktur

Fiskalische Abschöpfung

Private Wirtschaft

Geregelt durch den Markt

Wirtschafts-und Markt-garantien

Infrastruktur

Fiskalische Abschöpfung

Sozial-bereich (Bürger, Familien)

Geregelt durch soziale Normen

Legale Garantien

Sozial-staatliche Leistungen

Legitimation

Sozial-bereich (Bürger, Familien)

Geregelt durch soziale Normen

Legale Garantien

Sozial-staatliche Leistungen

Legitimation

Sozial-bereich (Bürger, Familien)

Geregelt durch soziale Normen

Legale Garantien

Sozial-staatliche Leistungen

Legitimation

Wolf Linder Wirtschaftsmacht und Demokratie 11

Einige kritische Folgerungen- Staat und seine demokratische Politik können nur verteilen, was vorher

auf dem privaten Markt verdient worden ist. (Ich nenne das die strukturelle Abhängigkeit des Staats und der Demokratie von der kapitalistischen Produktion)- Führt dazu, dass Mehrheit von BürgerInnen oder Parlaments-

mitgliedern auch Entscheide treffen, die ihnen keine direkten, sondern allenfalls indirekte Vorteile bringen.- Ein solches Verhalten setzt gesellschaftliche Solidarität (oder

Gegenseitigkeit oder Fairness) voraus. Diese Grundlage sehe ich von drei Seiten bedroht:

- Zunahme wirtschaftlich-gesellschaftlicher Ungleichheit lokal + global- Wirtschaftliche Machtkonzentration (keine gleichen Regeln mehr für alle)- Internationalisierung, Globalisierung als neo-liberales Programm(keine

Solidaritätsregeln mehr in „offenen“ Räumen wo jeder geht und kommt wann er will)

Wolf Linder Wirtschaftsmacht und Demokratie 12

Lektüre zum Vertiefen und Nachdenken

- Rudolf Strahm: Kritik aus Liebe zur Schweiz. Zytglogge Verlag, 2012. Die Kolumnen und Analysen zu Politik und Wirtschaft des ehemaligen NR und Preisüberwachers gehören für mich zum Erhellendsten.- Viktor Parma: Wer die Schweiz wirklich regiert. München, Nagel und

Kimche, 2007. Ein engagierter Journalist ohne Scheuklappen.- Crouch, Colin: Postdemokratie, Frankfurt, 2008. Ein lesenswerter Essay über

den Niedergang der Demokratie.- Hans Magnus Enzensberger: Sanftes Monster Brüssel, Frankfurt (Suhrkamp)

2011. Eine Kritik an der Europäisierung, für einmal nicht von der SVP-Seite.- Volksinitiative „Für eine Wirtschaft zum Nutzen aller“, z.B. www. economie-

utile-a-tous.ch, http://www.zeitpunkt.ch/news/artikel-einzelansicht/artikel/eidgenoessische-volksinitiative-fuer-eine-wirtschaft-zum-nutzen-aller.html