71
Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut in Rom Bd. 89 2009 Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online- Publikationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden.

Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und … · 2019. 6. 21. · Rizzardo da Camino, und dessen friulanischen Gefolgsleuten. 4. Zwi-schen 1309 und 1338 verstummt die

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken

    Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut in Rom

    Bd. 89

    2009

    Copyright

    Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publikationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden.

  • ZWISCHEN ÖSTERREICH, VENEDIG UND UNGARN

    Die „Chronik von Valvasone“ als Zeugnis der Geschichte Friaulsim späten Mittelalter

    von

    UWE LUDWIG

    Vor einigen Jahren hat Mario D’Angelo eine neue Edition desChronicon Spilimbergense vorgelegt,1 die an die Stelle der von Giu-seppe Bianchi im Jahre 1856 besorgten Ausgabe2 tritt und aufgrundder überlieferungskritischen Bemerkungen und der historischen Er-läuterungen, die der Herausgeber der Wiedergabe des Textes beifügt,eine der wichtigsten erzählenden Quellen zur spätmittelalterlichenGeschichte Friauls der Forschung eigentlich erst zugänglich macht.Der Berichtszeitraum dieser Chronik annalistischen Typs umspanntdie Jahre von 1241 bis 1489, wobei freilich die Nachrichten in man-chem Zeitabschnitt äußerst spärlich fließen, um in anderen Phasen anAusführlichkeit und Lebendigkeit zu gewinnen. Dem 13. Jahrhundertgehören nicht mehr als acht Notizen an: Sie beginnen mit der Meldungvom Einfall der Tataren in Ungarn (1241) und enden mit der Nach-richt von der Wahl Herzog Konrads von Schlesien zum Patriarchenvon Aquileja und der daraufhin von Papst Bonifaz VIII. ausgespro-chenen Berufung des Erzbischofs von Capua, Petrus Gerra (PietroGera), auf den Aquilejeser Patriarchenstuhl (1299).3 Wesentlich detail-

    1 Chronicon Spilimbergense. Note storiche su Spilimbergo e sul Friuli dal 1241 al1489, ed. M. D ’A nge l o , Sequals 1998. Dem lateinischen Text der Chronik ist imParalleldruck eine italienische Übersetzung beigegeben.

    2 G. B ianchi , Chronicon Spilimbergense nunc primum in lucem editum, Udine1856.

    3 Chronicon Spilimbergense, ed. D ’An ge lo (wie Anm. 1) S. 24. Zum Inhalt derhier erwähnten Meldungen siehe unten S.163 ff.

    QFIAB 89 (2009)

  • 114 UWE LUDWIG

    freudiger ist die Berichterstattung für die nun folgenden zehn Jahre.Das Interesse der Chronik gilt vor allem den militärischen Konfliktendes Patriarchen Ottobono (1302–1315) mit dem Herrn von Treviso,Rizzardo da Camino, und dessen friulanischen Gefolgsleuten.4 Zwi-schen 1309 und 1338 verstummt die Chronik völlig, um dann für diefolgenden Jahre mit einigen wenigen Meldungen aufzuwarten.5 Mitdem Jahr 1349 wird der Bericht erneut mitteilsamer und farbiger. Bis1362 sind Jahr für Jahr – eine Ausnahme bildet lediglich das Jahr1360 – recht umfangreiche Aufzeichnungen vorgenommen worden,6

    so dass man ohne Weiteres sagen kann, dass die Amtszeiten der Pa-triarchen Nikolaus (1350–1358) und Lodovico Della Torre (1359–1365) den Schwerpunkt der chronikalischen Darstellung bilden. DerZeitraum von 1362 bis 1409 ist mit lediglich sieben Eintragungen ver-treten,7 ehe der Informationsgehalt der Quelle für die Jahre 1409 bis1418 wieder erheblich ansteigt.8 In der Folgezeit sind nur noch verein-zelt Nachrichten niedergeschrieben worden, wobei sich das Interessevon den politischen und militärischen Ereignissen zusehends auf dasFeld der Unglücksfälle und der Naturkatastrophen verlagert.9

    Das Chronicon Spilimbergense ist nicht im Original überliefert,sondern nur in einer Abschrift von der Hand Domenico Ongaros ausdem späten 18. Jahrhundert, die in der Biblioteca Guarneriana in SanDaniele del Friuli aufbewahrt wird.10 Über mehrere Zwischenstu-

    4 Ebd., S.26–30. Zu diesen Zusammenhängen vgl. P. Pa sch in i , Storia del Friuli,Udine 41990, S. 424 ff.; G. B ru net t in , L’evoluzione impossibile. Il principatoecclesiastico di Aquileia tra retaggio feudale e tentazioni signorili (1251–1350),in: P. Ca mmar osano (Hg.), Il Patriarcato di Aquileia. Uno Stato nell’Europamedievale, Ronchi dei Legionari 2000, S.65–226, S. 121 ff.

    5 Chronicon Spilimbergense, ed. D ’ An ge lo (wie Anm. 1) S.30: Es sind Einträgezu den Jahren 1338, 1343, 1346 und 1348 überliefert.

    6 Ebd. S.32–58.7 Ebd. S.58–60.8 Ebd. S.60–68.9 Ebd. S.68–74.

    10 San Daniele del Friuli, Biblioteca Civica Guarneriana, Ms. 274: „Necrologia Ec-clesiarum aliquot Forojuliensium ex Archetypis vel descripta vel decerpta“. Aufeine Abschrift des Nekrologs von Rosazzo folgen darin auf fol. 55r–81v (pag. 1–52der separaten, zeitgenössischen Zählung) Excerpta ex Necrologio Veteri Eccle-siae Spilimbergensis per Com. Danielem Concinam, Ad cujus ApographumDiligenter hoc nostrum conformavimus. Zu dieser Handschrift siehe ChroniconSpilimbergense, ed. D ’An ge lo (wie Anm. 1) S.8 ff.

    QFIAB 89 (2009)

  • 115CHRONIK VON VALVASONE

    fen11 geht diese Abschrift auf einen codex vetustissimus membrana-ceus, vulgo catapan, ecclesiae Sanctae Mariae de Spilimbergo 12 zu-rück. Der Katapan, wie er in der Marienkirche von Spilimbergo, demheutigen Dom, geführt wurde, ist ein an vielen friulanischen Kirchengebräuchlicher Sammelcodex, in dem Rechte und Privilegien, Ein-künfte, Vermächtnisse und mit Anniversarfeiern verbundene Stiftun-gen festgehalten wurden. Den Kern einer solchen Handschrift bildeteim Regelfall ein Heiligenkalendar, in dem nekrologische Eintragungenvorgenommen wurden, das mitunter jedoch auch zur Aufzeichnungwichtiger Geschehnisse und Vorkommnisse diente.13 An der Marien-kirche zu Spilimbergo sind derartige chronikalische Notizen über ei-nen Zeitraum von beinahe 250 Jahren niedergeschrieben worden,wenn auch mit beträchtlichen Intensitätsschwankungen, die das mehroder minder große Interesse der einzelnen Generationen spiegeln,Mitteilenswertes für die Nachwelt schriftlich zu fixieren.

    Leider hat sich weder der „ältere“ noch der „jüngere“ Katapan,über welche die Marienkirche von Spilimbergo einem Inventar von1501 zufolge verfügte, erhalten.14 Es stellt sich daher die Frage, ob diechronologische Unordnung, in der Ongaros Abschrift die einzelnenNachrichten darbietet, den „originalen“ Befund wiedergibt oder ob dieVermutung Mario D’Angelos zutrifft, Ongaros Vorlage sei durch nach-

    11 Ebd.12 Die Überschrift auf fol. 56r (pag. 1) von Ms. 274 lautet: Excerpta Ex Codice

    vetustissimo Membranaceo vulgo Catapan Ecclesiae Sanctae Mariae de Spi-limbergo.

    13 Der Terminus catapan ist von griechisch katapan herzuleiten, vgl. J. P i r ona ,Vocabolario friulano, hg. von G. A. P ir ona , Venezia 1871 (Ndr. 1983) S.55 f.;G.A. P ir ona , Il Nuovo Pirona. Vocabolario friulano, hg. von E. Car le t t i /G. B.Corgn a l i , Udine 1935 (Ndr. Udine 1983) S.109, und wird in der Bedeutung„(Buch) für alles“ verwendet. – Zu den friulanischen Katapanhandschriftensiehe Chronicon Spilimbergense, ed. D ’ Ange lo (wie Anm. 1) S.10 f.; F. Met z ,Pietà e liturgia, in: La Chiesa di San Martino al Tagliamento. Storia, arte, reli-giosità, Pordenone 1996, S.31–99, S.93 Anm. 20. Unter den jüngeren Editionenfriulanischer Katapane seien genannt: G. Ri b is , Il Catapan di Rizzolo in Friuli(1307–1610), Fonti per la storia della Chiesa in Friuli 6, Udine 2002; A. T i la t t i ,Il catapan di Trevignano udinese (secoli XIV-XVI), Fonti per la storia della Chiesain Friuli. Serie medievale 3, Roma 2006; M. B e l t ram ini , Il Catapan di Codroi-po (1551), Fonti per la storia della Chiesa in Friuli 10, Udine 2008.

    14 Chronicon Spilimbergense, ed. D ’A nge l o (wie Anm. 1) S. 10.

    QFIAB 89 (2009)

  • 116 UWE LUDWIG

    trägliche Veränderung der Seitenabfolge und durch den Verlust vonzahlreichen Blättern in Mitleidenschaft gezogen worden.15 Zu berück-sichtigen ist in diesem Zusammenhang die der Kopie angefügte An-merkung (Monitum), in der Ongaro Überlegungen zur Eintragstätig-keit der verschiedenen im Codex tätigen Schreiber anstellt: Diesen„wackeren Männern“ ( boni … viri), so sagt er, sei es vor allem darumzu tun gewesen, die historischen Ereignisse für die Nachwelt aufzu-zeichnen. Um die Reihenfolge der Notizen hätten sie sich nicht geküm-mert oder sie hätten es nicht vermocht, eine Ordnung herzustellen.Die frühesten Schreiber hätten noch genügend Platz für ihre Aufzeich-nungen gehabt, während spätere Schreiber freigebliebene Stellen derHandschrift für ihre Notizen ausgewählt und dabei Zwischenräumeoffengelassen hätten, die von noch späteren Händen gefüllt wordenseien. Ongaro zieht daraus die Schlussfolgerung: … ex quo factum est,ut rerum ac temporum ordo consistere nullatenus potuerit. 16 Dem-nach ist davon auszugehen, dass die fehlende chronologische Ord-nung in der Abschrift Ongaros der Aufzeichnungspraxis im alten Ka-tapan zuzuschreiben ist. Ungewiss bleibt, ob man tatsächlich anneh-men muss, ganze Seiten des Katapans und mit ihnen zahlreicheNotate seien verlorengegangen, um zu erklären, weshalb der Berichtdes Chronicon Spilimbergense bisweilen für längere Zeit verstummt.

    Auf die vielfachen wörtlichen Überschneidungen zwischen derChronik von Spilimbergo und der sogenannten Chronik der Patriar-chen von Aquileja hat bereits der erste Rezensent der Ausgabe Bian-chis hingewiesen.17 Mario D’Angelo18 möchte zudem eine wechselsei-

    15 Ebd. S.9. – Vgl. auch die Besprechung der von Bianchi im Jahre 1856 besorgtenEdition der Chronik von Spilimbergo im Archivio Storico Italiano, n. s. 3, 2(1856) S.213–216, S.214, wo die Vermutung geäußert wird, in dem von Ongarobenutzten Codex dürften bereits viele Seiten gefehlt haben.

    16 San Daniele del Friuli, Biblioteca Civica Guarneriana, Ms. 274 „Necrologia Ec-clesiarum...“ (wie Anm. 10) fol. 82r (pag. 53).

    17 Archivio Storico Italiano, n. s. 3, 2 (1856) S.215. – Zu vergleichen ist etwa Chro-nicon Spilimbergense, ed. D ’A nge l o (wie Anm. 1) S.32–34 (Nr. 28–32) zu denJahren 1349 und 1350 mit dem weitgehend übereinstimmenden Bericht derChronik der Patriarchen von Aquileja bei B.M. De Ru bei s , Monumenta Ec-clesiae Aquilejensis Commentario Historico-Chronologico-Critico Illustrata cumAppendice, Argentinae (eigentlich Venedig) 1740, Appendix S.11–15 (Chronicontertium Patriarcharum Aquilejensium) S.13.

    18 Chronicon Spilimbergense, ed. D ’A nge l o (wie Anm. 1) S. 11.

    QFIAB 89 (2009)

  • 117CHRONIK VON VALVASONE

    tige Abhängigkeit zwischen dem Chronicon Spilimbergense und dervom Kanoniker Julianus verfassten Chronik von Cividale19 erkennen.Ein Vergleich der beiden Texte führt jedoch zu einem in jeder Hinsichtnegativen Ergebnis.20

    Allerdings gibt es eine bislang wenig beachtete friulanischeQuelle, die mit dem Chronicon Spilimbergense äußerst eng verwandtist: Es ist die nur wenige Kilometer südlich von Spilimbergo, im Herr-schaftsbereich der Herren von Valvasone entstandene Chronik, die ichals „Chronik von Valvasone“ bezeichnen möchte.21 Obgleich Auszügeaus diesem Zeugnis bereits veröffentlicht worden sind, so von GianGiuseppe Liruti in seinen „Notizie“22 und von Josef von Zahn in seinerQuellensammlung,23 ist die Chronik in ihrer Gesamtheit noch nichtins Blickfeld der Forschung geraten, und so liegt bisher auch keineEdition vor. Zwar handelt es sich um einen Text, der sich weder hin-sichtlich des Umfangs noch bezüglich des historischen Informations-gehalts mit dem Chronicon Spilimbergense messen kann. Doch hältdie Quelle nicht nur einige wichtige Nachrichten zur spätmittelalter-lichen Geschichte Friauls, sondern auch zu den Beziehungen des Pa-triarchenstaates zu Österreich, zu Venedig, zu Ungarn und nicht zu-letzt zu Kaiser Karl IV. bereit, weshalb sie nicht allein aus lokal- undregionalgeschichtlicher Sicht Interesse beanspruchen darf.

    Die Chronik von Valvasone ist im Cod. Lat. XIV, 101 (2804) derMarkusbibliothek in Venedig überliefert, einer Handschrift, die aus

    19 Annales Foroiulienses, ed. W. A rn dt , in: MGH SS 19, Hannover 1866 (Ndr.Stuttgart – New York 1963) S.196–222.

    20 Zur spätmittelalterlichen Chronistik in Friaul allgemein vgl. die Bemerkungenbei E. Cur z e l /L. P amat o/ G.M. Vara nin i , Giovanni da Parma, canonico dellaCattedrale di Trento, e la sua cronaca (1348–1377), Studi Trentini di ScienzeStoriche 80 (2001) S.211–239, S. 212 f.

    21 Spilimbergo und Valvasone liegen, etwa 15 Kilometer voneinander entfernt, amwestlichen Ufer des Tagliamento.

    22 G.G. L ir ut i , Notizie delle cose del Friuli, 5 Bände, Udine 1776/77 (Ndr. Bologna1976). Auf die entsprechenden Stellen wird in den Anmerkungen im Anhangverwiesen.

    23 J. von Zahn , Austro-Friulana. Sammlung von Actenstücken zur Geschichte desConflictes Herzog Rudolfs IV. von Österreich mit dem Patriarchate von Aquileja,1358–1365 (Mit Einschluss der vorbereitenden Documente von 1250 an.), FontesRerum Austriacarum II, 40, Wien 1877, Nr. 115 S. 130 f., Nr.161 S.203.

    QFIAB 89 (2009)

  • 118 UWE LUDWIG

    der Sammlung Giusto Fontaninis (1666–1736) stammt. Es handeltsich um den ersten von zwei Bänden „Autographa membrana Mss.Aquilejensia“ aus öffentlichen und privaten Archiven, die der be-rühmte friulanische Gelehrte im Jahre 1713 zusammengestellt hatte.24

    Die Chronik findet sich auf einem in die Papierhandschrift eingefüg-ten Pergamentblatt, das die Seitenzählung 25/26 trägt.25 Beim Ein-kleben des Blattes in einen dafür geschaffenen Fensterausschnitt wur-den Vorder- und Rückseite vertauscht: Die Verso-Seite wird als Seite25, die Recto-Seite als Seite 26 gezählt. Es scheint, dass das Pergamentaus praktischen Gründen seitenverkehrt eingebunden wurde: Derlinke Blattrand ist stark und unregelmäßig beschnitten, und zwar un-mittelbar entlang des Schriftspiegels, am oberen und unteren Blatt-rand auch unter Verletzung des Textes. Offenbar aus diesem Grundewurde das Pergament gewendet und am rechten Blattrand eingeklebt,wo mehr freier Raum zur Verfügung stand. Die Beschneidung des Per-gaments hat allerdings nur zu geringfügigen Textverlusten geführt.Weitaus stärker ist die Lesbarkeit durch Stockflecken am linken Blatt-rand beeinträchtigt.

    24 Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, Cod. Lat. XIV, 101 (2804): „Autographamembrana Mss. Aquilejensia ubi Varia de rebus privatis et publicis, Foro-Juli-ensibus praecipue, continentur, collegit Justus Abbas Fontaninus, SanctissimoDomino Nostro Clementi XI a Cubiculo honorario, Anno Sal. MDCCXIII“. Reges-ten zu dieser Dokumentensammlung von G. Va l ent ine l l i , Bibliothekar derMarciana, finden sich in: Notizenblatt. Beilage zum Archiv für Kunde österrei-chischer Geschichtsquellen, Bd. 4 (1854) Heft 3 S.55–60, Heft 4S.73–79, Heft22 S.515–524; Bd. 5 (1855) Heft 8S.169–176, Heft 10 S.217–222, Heft 12 S.268–269. Vgl. auch G. Va len t ine l l i , Catalogus Codicum manuscriptorum de rebusForoiuliensibus ex Bibliotheca Palatina ad D. Marci Venetiarum, Archiv fürKunde österreichischer Geschichtsquellen 18 (1857) S.331–473, S.345 ff.; der s .,Degli studi sul Friuli, Abh. der königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissen-schaften in Prag, 5. Folge, Bd. 9, Nr.7, Prag 1856, S.8 ff. Zu den nach Venediggelangten Teilen der Dokumentensammlungen Fontaninis siehe auch die ma-schinenschriftlichen Anmerkungen von Maria Francesca Tiepolo über das „Ar-chivio proprio di Giusto Fontanini“ in: AS Venezia, Indice 311bis „Secreta –Archivi propri diversi“, S. 12 f. – Zur Person Fontaninis siehe D. B u so l in i , Fon-tanini, Giusto, Dizionario Biografico degli Italiani 48, Roma 1997, S.747–752.

    25 Innerhalb der Autographensammlung wird es als Nr. XII gezählt. Das Perga-mentblatt misst in der Höhe 30,4 cm, in der Breite ungefähr 21 cm. Vgl. auchunten S.140 f.

    QFIAB 89 (2009)

  • 119CHRONIK VON VALVASONE

    Das Pergament ist beidseitig beschrieben. Es lassen sich dreiSchreiberhände feststellen: Der erste, dem späten 14. oder dem frü-hen 15. Jahrhundert zuzuordnende Schreiber hat die gesamte Vorder-seite (die heutige Seite 26) und etwas mehr als die Hälfte der Rück-seite (die heutige Seite 25) mit Aufzeichnungen gefüllt, die allem An-schein nach in einem Zuge vorgenommen wurden. Ein zweiterSchreiber hat darunter am 29. März 1464 eine Eintragung hinzuge-fügt. Den frei gebliebenen Raum auf Seite 25 hat schließlich einedritte und letzte Hand in den 1470er Jahren genutzt, um einige wei-tere Nachrichten zu vermerken.

    Die von der ersten Hand niedergeschriebenen annalistischenNotizen erstrecken sich über einen Zeitraum, der vom Jahre 1241 biszum Jahre 1379/80 reicht. Das früheste Notat bezieht sich auf denEinfall der Tataren in Ungarn (1241), das späteste auf die EroberungChioggias durch Paduaner und Genuesen sowie auf die Rückgewin-nung der Stadt durch die Venezianer (1379/80). Vorangestellt sind derMeldung über die Invasion der Mongolen in Ungarn zwei Mitteilungenüber verheerende Heuschreckeneinfälle in Friaul und in der Mark Tre-viso.26

    Im Jahre 1877 veröffentlichte Josef von Zahn in seiner Quellen-sammlung zu den Auseinandersetzungen zwischen Herzog Rudolf IV.von Österreich und dem Patriarchat von Aquileja Auszüge aus dieserChronik. Seine Feststellungen zur handschriftlichen Überlieferungsind jedoch nicht frei von Irrtümern. Zahn unterscheidet eine „ältesteHandschrift (XIV. Jahrh.)“ im Staatsarchiv zu Venedig und eine „etwasspätere“ in der Biblioteca Marciana.27 Die Suche nach einem weiterenTextzeugen im Staatsarchiv bleibt freilich erfolglos. Wie die von Zahnbenutzten Handschriftenbezeichnungen und -signaturen zeigen, han-delt es sich bei den von ihm erwähnten zwei Handschriften um eineneinzigen Codex, nämlich um den in der Marciana liegenden erstenBand der Autographensammlung Fontaninis.

    Eine Abschrift der Chronik findet sich in der Sammlung Lirutider Civica Biblioteca Vincenzo Joppi in Udine.28 Sie ist im 18. Jahr-

    26 Siehe dazu unten S.120 und 133.27 Wie Anm. 23.28 Udine, Civica Biblioteca Vincenzo Joppi, Fondo principale, Ms. 873a „Apographa

    de Rerum forojuliensium historica“, Nr. 670.

    QFIAB 89 (2009)

  • 120 UWE LUDWIG

    hundert angefertigt worden und weist die Überschrift Breve chroni-con forojuliense ex Membrana veteri auf. Der Kopist hat einen Hin-weis auf die Herkunft der Chronik aus dem Gebiet westlich des Ta-gliamento gegeben, indem er am Rande vermerkte: Chronicon Foro-julien. de ultra Tulmentum etc. Dieser Abschrift bediente sichGian-Giuseppe Liruti in seinen „Notizie delle cose del Friuli“.29

    Eine weitere Abschrift konnte Mazzatinti in den Beständen derBibliothek des Grafen Daniele Concina in San Daniele del Friuli nach-weisen. Das hier aufgeführte „Breve chronicon Foroiuliense ex mem-brana veteri (dal 1250 al 1470)“ war in einem Miszellancodex aus derSammlung Fontanini enthalten, der heute nicht mehr auffindbar ist.30

    Es könnte sein, dass die Abschrift Lirutis nicht direkt auf das in Ve-nedig liegende Original zurückgeht, sondern auf die verlorengegan-gene Abschrift aus dem Nachlass Fontaninis. Indiz dafür wäre, dassbeide Apographen dieselbe Überschrift tragen, nämlich „Breve chro-nicon Foroiuliense ex membrana veteri“.

    Obwohl sie einige kleinere Unrichtigkeiten enthält, leistet dieAbschrift Lirutis wertvolle Hilfe bei der Entzifferung der in der Mar-ciana liegenden Pergamenthandschrift und erlaubt es mitunter sogar,Ergänzungen des durch Beschneidung in Mitleidenschaft gezogenenChroniktextes vorzunehmen. Daraus ist zu folgern, dass die in Udineaufbewahrte Kopie (bzw. ihre Vorlage) angefertigt worden ist, ehe derspätmittelalterliche Textzeuge beschnitten und in die Dokumenten-sammlung Fontaninis eingeklebt wurde.

    Am Beginn der Chronik stehen zwei Nachrichten über Heu-schreckeneinfälle in Friaul und im Gebiet von Treviso. Die vorange-stellten Jahreszahlen lassen sich infolge der Beschädigung des Per-gaments nur mit erheblichen Schwierigkeiten bestimmen. Von der ers-ten Jahresangabe sind die Zahlzeichen MCC sicher zu erkennen,worauf ein L zu folgen scheint. Demnach wäre in Übereinstimmungmit der Abschrift Lirutis MCCL zu lesen. Unrichtig ist die von derAbschrift gebotene Lesung MCCXL für die Jahresangabe des zweitenNotats: Hier ist mit großer Wahrscheinlichkeit MCCC anzusetzen.

    29 Wie Anm. 22.30 G. M azz at int i , Inventari dei manoscritti delle biblioteche d’Italia 3, Forlı̀ 1893,

    S. 157, wo unter Nr. 8 „Miscellanea del Fontanini“ aufgeführt sind, die das er-wähnte „Breve chronicon Foroiuliense“ enthalten.

    QFIAB 89 (2009)

  • 121CHRONIK VON VALVASONE

    Dem Zeitraum zwischen 1241 und 1302 entstammen die folgen-den 12 Nachrichten. Die erste meldet den Einfall der Tataren in Un-garn, die letzte die Wahl und die Ankunft des Patriarchen Ottobonusin Friaul. Die Chronik wartet in diesem Teil mit äußerst spröden No-tizen über Vorgänge auf, die sich fast ausschließlich auf die Ge-schichte des Patriarchats von Aquileja beziehen: Es sind Angaben zurWahl, zum Amtsantritt und zum Tode der Patriarchen Gregor vonMontelongo, Raimondo della Torre, Pietro Gera und Ottobono, dazueinige Mitteilungen über wichtige politische Ereignisse aus den Amts-zeiten der genannten Kirchenfürsten. Nur wenige Male richtet sichder Blick auf Geschehnisse außerhalb Friauls: Neben dem Mongolen-einfall meldet die Chronik den Tod des Ezzelino da Romano (1259),die Vertreibung der Visconti aus Mailand und die Einnahme von Flo-renz durch Karl von Valois (1302).

    Mit dem Notat zum Jahre 1302 endet der erste Abschnitt derChronik. Für beinahe ein halbes Jahrhundert setzt die Berichterstat-tung aus, um im Jahre 1350 mit der Meldung von der Ermordung desPatriarchen Bertrand wieder aufgenommen zu werden. Die Nachrich-ten bis zum Jahre 1302 fügen sich jedoch nicht allein durch die an-schließende Zäsur zu einer Einheit zusammen, sondern auch auf-grund der Tatsache, dass sie nicht nur inhaltlich, sondern nahezuWort für Wort den Notaten entsprechen, die den Anfang des Chroni-con Spilimbergense bilden.31 Zweimal wird in diesem beiden Chroni-ken gemeinsamen Teil Spilimbergo erwähnt. Zum Jahre 1266 heißt es,Spilimbergo sei am Tage des hl. Laurentius eingeäschert worden, undzum Jahre 1299, der von Papst Bonifaz VIII. erhobene Patriarch PietroGera habe am 27. September in Spilimbergo Aufenthalt genommen.Neben Spilimbergo wird lediglich eine weitere friulanische Stadt ge-nannt, nämlich der westliche Grenzort Sacile, von dem berichtet wird,Gherardo da Camino habe ihn im Jahre 1300 besetzt.

    Die zweimalige Berücksichtigung Spilimbergos legt die Vermu-tung nahe, dass der Anfangsteil der Chronik von Valvasone aus demChronicon Spilimbergense geschöpft ist. Für eine solche Abhängigkeitliefert der Textvergleich weitere Indizien. So hat die Chronik von Val-vasone die Mitteilung der Chronik von Spilimbergo zum Jahre 1299,

    31 Siehe dazu die Gegenüberstellung beider Chroniken unten S.123 ff.

    QFIAB 89 (2009)

  • 122 UWE LUDWIG

    Patriarch Raimondo della Torre sei am Montag, dem 23. Februar, ge-storben,32 zu der Meldung verkürzt: Anno domini MCCLXXXXVIIIImortuus est dominus Raymundus patriarcha die lune. Auf ein Miss-verständnis des „Chronisten“ von Valvasone scheint auch der Eintragzum Jahre 1300 hinzudeuten. Die Chronik von Spilimbergo berichtet,dass Patriarch Pietro Gera in diesem Jahre in eine kriegerische Aus-einandersetzung mit dem Grafen von Görz und Gherardo da Caminoverwickelt worden sei, da Gherardo Sacile eingenommen habe.33 ImWortlaut fast deckungsgleich ist das Notat der Chronik von Valvasone,nur dass hier die Konjunktion et zwischen comite Goricie und Ge-rardo de Camino ausgefallen ist, da der Schreiber den Grafen undGherardo möglicherweise für eine Person gehalten hat.

    Es spricht folglich einiges dafür, dass das Chronicon Spilimber-gense als Vorlage des ersten Abschnitts der Chronik von Valvasone zubetrachten ist. Da die Chronik von Spilimbergo nur in der Abschriftdes Domenico Ongaro aus dem endenden 18. Jahrhundert erhaltenist, die eine ganze Reihe von nicht gelesenen Wörtern, insbesonderePersonen- und Ortsnamen, durch Spatien kenntlich macht, kann dieChronik von Valvasone entscheidend zur Ergänzung der Textlückenim Chronicon Spilimbergense beitragen. Die Chronik von Valvasoneerlaubt es zudem, einige auf die Kopisten zurückgehende Irrtümer beiden Datumsangaben richtigzustellen. Umgekehrt ermöglicht es dasChronicon Spilimbergense, den Text der Chronik von Valvasone zuvervollständigen, so im Falle der erwähnten Auslassung des Todesta-ges des Patriarchen Raimondo della Torre. Hilfreich ist das ChroniconSpilimbergense vor allem bei der Auffüllung einer weiteren Lücke inder Chronik von Valvasone. Zum Jahre 1299 berichten beide Quellenübereinstimmend, Papst Bonifaz VIII. habe die Wahl Herzog KonradsII. von Schlesien (Glogau) zum Patriarchen von Aquileja verworfen.34

    Der Schreiber des in Venedig aufbewahrten Textzeugen der Chronik

    32 Chronicon Spilimbergense, ed. D ’An ge lo (wie Anm. 1) S. 24: Anno DominiMCCLXXXXVIIII mortuus est dominus patriarcha Raymundus die lune VII ex-eunte februario.

    33 Ebd. S.26: Anno MCCC habuit idem dominus patriarcha vuerram cum domi-nis comite Goriciae et Gerardo de Camino quia ipse dominus Gerardus acce-perat terram de Sacilo.

    34 Siehe dazu die Gegenüberstellung der beiden Chroniken S.12.

    QFIAB 89 (2009)

  • 123CHRONIK VON VALVASONE

    von Valvasone hat seine Vorlage offenbar nicht vollständig entziffernkönnen und daher in der Notiz ein Spatium freigelassen: ... electiofacta in dominum ducem ... in patriarcham. Die Chronik von Spilim-bergo zeigt, dass an der betreffenden Stelle Poloniae zu ergänzen ist.35

    Chronicon Valvasonense Chronicon Spilimbergense

    MCC[L] [... , ...] fuerunt locuste inmaxima multitudine, que come-derunt segetes minutas in ma-iori parte Foroiulii.

    MCCC [..] sim[iliter] fuit tam ma-gna multitudo locustarum, quodcomederunt bladum per totumForoiulium et per totam Tervi-sanam et taliter de v[...] [... , ...]homines potuerunt aliquid colli-gere.

    A[nno domini] [...] Tartari in-traverunt Ungarie VIII o kalendasaprilis. Eodem anno sol obscu-ratus est circha meridiem et te-nebre f[uerunt] super univer-sam terram in festo sancti Mi-chaelis.

    Anno Domini MCCXLI. Tartariintraverunt Hungariam VIII ka-lendas aprilis et eodem anno solobscuratus est circa meridiem ettenebrae factae sunt super uni-versam terram in festo sanctiMichaelis.

    M oCCLXVI in sancto Laurentiocombustum fuit Spelimbergum.

    Anno Domini MCCLXVI insancto Laurentio combustum estSpignimbergum.

    35 Chronicon Spilimbergense, ed. D ’A nge lo (wie Anm. 1) S. 24: ... electio facta indominum ducem Poloniae in patriarcham ...

    QFIAB 89 (2009)

  • 124 UWE LUDWIG

    Anno domini M oCC oLVIIII o mi-gravit ad dominum magnificuset potens dominus Eçellinus deRomano.

    Anno Domini MCCLVIIII, migra-vit ad Dominum magnificus etpotens dominus Ezelinus de Ro-mano.

    Anno domini M oCC oLXVII Grego-rius patriarcha captus fuit a co-mite Alberto. Eodem anno et mil-lesimo mortuus est idem patri-archa.

    Anno Domini MCCLXVII,Gregorius patriarcha captus acomite Alberto et MCCL〈X〉VIIIImortuus est idem dominus pa-triarcha.

    Anno domini M oCC oLXXXVIIII ve-nit dominus Raymundus patri-archa in Foroiulii.

    Anno Domini MCCLXXIIII, venitdominus Raymundus patriar-cha in Foroiulio.

    Anno domini M oCC oLXXXVIIII de-structa est civitas Romula perdominum patriarchamRa(ymundum) et Veneti fugie-runt.

    Anno Domini MCCLXXXVIIII, de-structa es〈t〉 Civitas * per domi-num patriarcham Raymundumet Veneti fugierunt.

    Anno domini M oCCLXXXXVIIIImortuus est dominus Raymun-dus patriarcha die lune 〈VII ex-eunte februario〉.

    Anno Domini MCCLXXXXVIIIImortuus est dominus patriarchaRaymundus die lune VII exeuntefebruario.

    Anno dominiM oCC oLXXXXVIIII o die octavo ex-eunte iunii fuit privata electiofacta in dominum ducem 〈Polo-niae〉 in patriarcham per domi-num Bonifacium papam. Et ipsadie dedit patriarchatum dominoPetro Gero archiepiscopo Capue.Et venit in Foroiulii VIII die ex-eunte septembris et hospitavit inSpenibergo IIII die exeunte sep-tembris.

    Anno Domini MCCLXXXXVIIII,die octavo exeunte iunio, fuitelectio facta in dominum ducemPoloniae in patriarcham per do-minum Bonifacium papam etipsa die dedit patriarchatum do-mino Petro Gerae archiepiscopoCapuae et venit in Foroiulio VIIIexeunte septembrio et ospitatusest in Spegnimbergo VIII exeunteseptembrio.

    QFIAB 89 (2009)

  • 125CHRONIK VON VALVASONE

    Anno domini M oCCC o habuitidem dominus patriarcha guer-ram cum dominis comite Goricie〈et〉 Gerardo de Camino, quia do-minus G(erardus) acceperat ter-ram de Saccilo.

    Anno MCCC habuit idem domi-nus patriarcha vuerram cum do-minis comite Goriciae etGerardo de Camino quia ipse do-minus Gerardus acceperat ter-ram de Sacilo.

    Anno domini M oCCC oI die de-cimo intrante februario mortuusest idem dominus Petrus patri-archa.

    MCCCI die * exeunte februariomortuus est idem dominusPetrus patriarca.

    Anno domini M oCCC oII o factusest dominus Ottobonus patriar-cha et dominus Paganus factusest episcopus Padue et expulsusest dominus Mainfredus capita-nius de Med[iola]no et intro-ducti illi de la Turre. Et Karlusrex sine terra introivit Floren-tiam et expulsi sunt illi de Cir-culis et destructa est quasi fina-liter Florentia. Et idem dominusOctobonus patriarcha venit inForoiulii die martis XIIII in-trante augusti. Et eodem annodata fuit ei collecta XX sollido-rum.

    Anno Domini MCCCII, factus estdominus Ottobonus patriarchaet dominus Paganus factus estepiscopus Paduae et expulsus estdominus * capitaneus de Medio-lano et introducti illi de la Turreet Carolus rex sine causa intra-vit Florentiam et expulsi suntilli de * et destructa est quasi fi-naliter Florentia. Et idem domi-nus Ottobonus venit in Foroiuliodie martis XIIII augusti et eodemanno data ei fuit collecta XX so-lidorum pro quolibet manso sen-tato et pro qualibe〈t〉 rota molen-dini de gratia speciali, non deiure.

    Mit der Eintragung zum Jahre 1302 brechen die Mitteilungen derChronik von Valvasone für fast ein halbes Jahrhundert ab. Wenn sieab 1350 erneut mit Nachrichten aufwartet, so wird ihr Bericht farbi-ger und detaillierter. Die Notizen nehmen in ihrer Dichte zu, obgleichauch in dem bis 1379/80 reichenden Abschnitt nicht zu jedem JahrNachrichten aufgezeichnet worden sind. Die Meldungen gewinnen je-doch nicht nur deutlich an Umfang und Ausführlichkeit, sie habenjetzt – wie aus dem Vergleich mit dem Chronicon Spilimbergense her-

    QFIAB 89 (2009)

  • 126 UWE LUDWIG

    vorgeht – eigenständigen Zeugniswert. Zwar ist die Chronik von Spi-limbergo wesentlich auskunftsfreudiger und im Allgemeinen besserunterrichtet, doch bietet die Chronik von Valvasone eine ganze Reihevon wertvollen Informationen, die über das im Chronicon Spilimber-gense Mitgeteilte hinausgehen.

    Die Chronik von Valvasone erwähnt die Ermordung des Patri-archen Bertrand und den Einmarsch Herzog Albrechts II. von Öster-reich in Friaul (1350);36 sie meldet die Ankunft des neuen PatriarchenNikolaus, des Bruders Karls IV., in seinem Sprengel (1351); sie berich-tet vom Aufenthalt Karls IV. in Friaul im Jahre 1354 und nennt ausanderen Quellen nicht bekannte Details. Dem Krieg zwischen KönigLudwig I. von Ungarn und Venedig, dem Feldzug des Anjou durchFriaul in die Trevisanische Mark im Jahre 1356 sowie dem Friedens-schluss von 1358 widmet sie eine ausführliche Schilderung. ZumJahre 1359 wird das Eintreffen des Patriarchen Lodovico Della Torrein Friaul mitgeteilt. Über den Einfall Herzog Rudolfs IV. im Patriar-chenstaat (1361) und den Konflikt zwischen dem Habsburger unddem Kirchenfürsten von Aquileja weiß die Chronik zahlreiche Einzel-heiten zu berichten. Zum Jahre 1363 wird die neuerliche Invasionösterreichischer Truppen gemeldet, zum Jahre 1365 die Ankunft desPatriarchen Markwart von Randeck in Friaul. Die Nachricht von derEinnahme Chioggias durch Paduaner und Genuesen sowie von derRückeroberung der Stadt durch die Venezianer (1379/80) schließt denvon der ersten Hand aufgezeichneten Teil der Chronik ab. Zwischendiesen Notaten, die für die Geschichte Friauls und seiner Außenbe-ziehungen von nicht unerheblicher Bedeutung sind, finden sich Mit-teilungen über lokalhistorische Vorgänge eingestreut. Sie erlauben es,den Entstehungsort der Chronik näher einzugrenzen.

    Die Chronik zeigt sich über Ereignisse im Gebiet von Valvasoneam westlichen Ufer des Tagliamento besonders gut orientiert undwendet ihr Augenmerk immer wieder den Aktivitäten der Herren vonValvasone, Lehnsleuten des Patriarchen von Aquileja,37 zu. So berich-tet sie, dass König Karl IV. am 19. Oktober 1354, zur Zeit von Simone,Giovanni und Ulvino, den Söhnen des verstorbenen Rizzardo di Val-

    36 Zu diesen Notaten siehe den Kommentar zur Edition.37 Zu den Herren von Valvasone siehe unten S.131 f. und 142 ff.

    QFIAB 89 (2009)

  • 127CHRONIK VON VALVASONE

    vasone, mit seinem Gefolge auf der Burg Valvasone Station gemachtund das Mittagsmahl eingenommen habe. Noch im selben Jahre, sofährt der Bericht fort, sei Simone di Valvasone von Karl in der Lom-bardei zum Ritter geschlagen worden.

    Auf Simone di Valvasone kommt die Chronik dann wieder imZusammenhang mit der Darstellung der kriegerischen Auseinander-setzungen zwischen Herzog Rudolf IV. von Österreich und dem Patri-archen Lodovico Della Torre im Jahre 1361 zu sprechen. Die militä-rischen Erfolge der Österreicher zwangen Lodovico, mit Rudolf eineVereinbarung zu schließen, wonach die zwischen beiden Parteienstrittigen Fragen dem Kaiser zur Entscheidung vorgelegt werden soll-ten: Der Patriarch und seine Gefolgsleute Simone di Valvasone undFrancesco di Savorgnano, so heißt es in der Chronik, sollten zu die-sem Zweck gemeinsam mit dem Herzog zu Karl IV. reisen. Währendder Oberhirte von Aquileja in der Obhut des österreichischen Heeresvorausgezogen sei, habe Herzog Rudolf in Begleitung von Simone diValvasone und Francesco di Savorgnano zunächst Venedig einen Be-such abgestattet, um schließlich zusammen mit den beiden friulani-schen Edelleuten nach Österreich heimzukehren.

    Da auf dem Verhandlungswege keine Lösung erreicht werdenkonnte, brachen die Feindseligkeiten im Herbst 1363 von neuem aus.Am 7. September 1363, so berichtet die Chronik, seien Truppen desHerzogs von Österreich und der Herren von Spilimbergo vor Valva-sone aufmarschiert und gegen San Vito al Tagliamento vorgestoßen,wohin sich der Patriarch mit seinem Heer zurückgezogen hatte. Nie-mand habe jedoch San Vito verlassen, um sich zum Kampf zu stellen,und so seien die Feinde der Kirche von Aquileja vor Valvasone zurück-gekehrt. Hier steckten sie die Dächer der Häuser von Simone undUlvino di Valvasone in Brand. Vom Wind angefacht, sprang das Feuerauf den Ort über und äscherte ihn völlig ein. Am selben Tage, so fährtdie Chronik fort, seien auch die benachbarten, zum Territorium derHerren von Valvasone gehörenden Orte Arzene und Arzenutto nieder-gebrannt worden.

    Zum Jahre 1364 meldet die Chronik, Simone di Valvasone habeam 4. Juli einen Kanal (rugia) vom Tagliamento nach Valvasone an-legen lassen. Nachdem die Chronik von einem gewaltigen Heuschre-ckeneinfall am 8. August berichtet hat, wiederholt sie in leicht abge-

    QFIAB 89 (2009)

  • 128 UWE LUDWIG

    wandelter Form die Mitteilung von der Errichtung einer Wasserlei-tung vom Tagliamento nach Valvasone durch Simone: Am 4. Juli habedas Wasser in Valvasone zu fließen begonnen. Zu der verheerendenHeuschreckeninvasion vom 8. August heißt es, riesige Schwärme hät-ten die Sonne für zweieinhalb Stunden fast ganz verdunkelt und seienüber die Felder von Valvasone, Arzene, San Lorenzo, San Martino,Arzenutto, Postoncicco, San Giorgio di Richinvelda und Aurava her-gefallen. Die erwähnten Orte liegen im Umkreis von Valvasone: Dieersten sechs unterstanden der Herrschaft der Herren von Valvasone,die beiden letztgenannten gehörten zum nördlich angrenzenden Ter-ritorium der Herren von Spilimbergo.38

    Die Dörfer Postoncicco und Arzenutto werden auch im Zusam-menhang mit dem Blutregen erwähnt, zu dem es laut Chronik am 18.April 1354 gekommen ist. Der Priester habe gemeinsam mit einigenboni homines große Mengen des vom Himmel gefallenen Blutes aufge-sammelt und sie dem Patriarchen und dem Bischof von Concordiapräsentiert, woraufhin die beiden Oberhirten den Kirchen San Mar-tino und Santi Filippo e Giacomo einen 40tägigen Ablass gewährt hät-ten.

    Die prominente Rolle, die die Herren von Valvasone und vorallem Simone di Valvasone in der Berichterstattung spielen, lässtebenso wie die Berücksichtigung verschiedener Begebenheiten ausder Umgebung Valvasones keinen Zweifel daran, dass der zweite Teilder Chronik, der den Zeitraum von 1350 bis 1379/80 umfasst, im Ge-biet von Valvasone entstanden ist. Und es ist davon auszugehen, dassalle drei Schreiber, die Aufzeichnungen auf dem in der Marciana über-lieferten Pergamentblatt vorgenommen haben, in diesem Raum tätigwaren. Denn die Eintragungen der beiden späteren Hände zeigen,dass die Chronik im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts immer nochin der Umgebung von Valvasone aufbewahrt wurde.

    Der erste Nachtrag ist ein protokollartiger Vermerk in der Volks-sprache, der das Datum des 29. März 1464 trägt. Drei Männer – Tofolde Pieri Lof, Jac(op)o de Chulotta und Zuan de Drea – die als cama-rarii der Kirche von San Martino bezeichnet werden, erklären, dass

    38 Zur Abgrenzung der Jurisdiktionsbezirke von Spilimbergo und Valvasone sieheunten S.143.

    QFIAB 89 (2009)

  • 129CHRONIK VON VALVASONE

    sie mit Geld und Silber aus dem Besitz San Martinos ein neues Kreuz(una crose nova) für das genannte Gotteshaus haben anfertigen las-sen. Das Kreuz, so heißt es weiter, sei für den Preis von 21 Golddu-katen und 50 Schillingen von Meister Thadeus in Spilimbergo ge-schaffen worden. Abschließend nennt der nicht leicht zu entzifferndeText Personen, die in Valvasone wohnhaft sind.

    Der dritte und letzte Schreiber hat im Anschluss an diese Notizmehrere Ereignisse festgehalten, und zwar, wie er einleitend bemerkt,aus der Zeit zwischen 1470 und 1477: Millesimo quadrincessimo sep-tuagessimo usque ad millesimum quadrincessimum 〈septuagessi-mum〉 septimum hec omnia infrascripta fue[runt]. An erster Stellewird ein Einfall der Türken in Friaul gemeldet: Die Türken hättenviele Dörfer niedergebrannt, zahlreiche Christen in die Gefangen-schaft geführt, getötet oder gepfählt. Es folgt ein Notat über die Er-mordung des Herzogs von Mailand. Dann berichtet der Autor übereinen Heuschreckeneinfall in Friaul und teilt mit, dass es in diesemJahr im Gebiet von Valvasone (in potestate Valvasoni) wie übrigens inganz Friaul keinen Wein gegeben habe, da die Reben erfroren seien.Schließlich erzählt er, ein Wolf habe viele Menschen getötet oder ver-wundet, wobei auch ein gewisser Antonius, Sohn des Johannes An-dreas aus Postoncicco, zu Tode gekommen sei. Zuletzt nennt sich derSchreiber der Zeilen selbst: Ego presbiter Petrus de Parma guber-nator ecclesie sancti Martini hec omnia in tempore ... Das letzte,durch Zerstörung des Pergaments verlorengegangene Wort in dieserZeile dürfte scripsi, conscripsi oder ähnlich gelautet haben.

    Der Priester Pietro da Parma ist nach den Forschungen AntonioNicolettis ab 1473 als Pfarrer von San Martino nachweisbar. Sein Todfällt in das Jahr 1512.39 Es ist anzunehmen, dass er die chronikali-schen Notizen – die in einem Zuge aufgezeichnet wurden – im Jahre

    39 Der Notar Antonio Nicoletti aus Valvasone stellte im Jahre 1765 die „Ecclesia-stica monumenta castri et terrae Valvasoni ex antiquis et recentioribus authen-ticis regestis excerpta“ in einem Band zusammen, der in der Kirche von Valva-sone aufbewahrt wird. Vgl. dazu E. Degan i , La diocesi di Concordia. Notizie edocumenti, San Vito al Tagliamento 1880, S.115. Die auf Nicoletti beruhendenAngaben zu Pietro da Parma finden sich bei L. Lu ch in i , San Martino al Taglia-mento. Storia, Arte, Lavoro. Cronaca, San Vito al Tagliamento 1969, S. 18. ZuPietro da Parma siehe auch unten S.140.

    QFIAB 89 (2009)

  • 130 UWE LUDWIG

    1477 oder jedenfalls bald danach niedergeschrieben hat. Leider hat erüber die allgemeine Zeitangabe 1470–1477 hinaus keines der Ereig-nisse genauer datiert. Das von Giovanni Andrea Lampugnani verübteAttentat auf den Herzog von Mailand, Galeazzo Maria Sforza, fand am26. Dezember 1476 statt.40 Geht man davon aus, dass der Autor dievon ihm aufgeführten Begebenheiten chronologisch gereiht hat, somüssten die Nachrichten über den Heuschreckeneinfall, über denWeinmangel und über den mörderischen Wolf dem Jahre 1477 zuzu-ordnen sein. Der Eintragung über die Ermordung des Herzogs vonMailand geht lediglich das Notat über die Invasion der Türken in Fri-aul voraus. Die Frage, in welchem Jahr die Türken erstmals in Friauleingedrungen sind – ein in der friulanischen Landesgeschichte langeZeit strittiges Problem – soll hier nicht von neuem aufgegriffen wer-den. Pio Paschini hat sich im Anschluss an Francesco Musoni für dasJahr 1472 ausgesprochen und damit gegen eine ältere Tradition Stel-lung bezogen, die den frühesten Türkeneinfall auf 1470 datierte.41 DieAufzeichnungen geben in diesem Punkt keine präzise Auskunft, aberes verdient doch Beachtung, dass der Zeitzeuge Pietro da Parma, derals Pfarrer von San Martino das Geschehen aus der Nähe beobachtenkonnte, seine Nachrichtensammlung, die mit der Mitteilung von demAngriff der Türken beginnt, durch die Jahre 1470 und 1477 eingrenzt.Freilich ist auch mit dieser Notiz kein Beweis für einen Türkeneinfallim Jahre 1470 zu erbringen, denn Pietro da Parma könnte sich in derZuordnung der Ereignisse zu einem bestimmten Jahr getäuscht haben.Da nicht einmal die Annahme zwingend ist, die Nachrichten seien inchronologischer Reihenfolge notiert, wäre es sogar denkbar, dass sichdie Meldung vom Türkeneinfall auf die für Friaul äußerst desaströse,mit zahlreichen Opfern verbundene Invasion des Jahres 1477 be-zieht.42

    40 Siehe F.M. Vag l i ent i , Lampugnani, Giovanni Andrea, Dizionario Biograficodegli Italiani 63, Roma 2004, S.272–275.

    41 P aschin i (wie Anm. 4) S. 759, unter Berufung auf F. Mu so ni , Sulle incursionidei Turchi in Friuli, Udine 1890. Vgl. auch P.S. Le i cht , Breve storia del Friuli,Udine 51976, S.211; G. C. Me nis , Storia del Friuli dalle origini alla caduta delloStato Patriarcale, Udine 1984, S. 258.

    42 P aschin i (wie Anm. 4) S.760 f.

    QFIAB 89 (2009)

  • 131CHRONIK VON VALVASONE

    Aus den Aufzeichnungen des Pfarrers Pietro da Parma wie auchaus dem Vermerk über die Anfertigung des neuen Kreuzes für dieMartinskirche im Jahre 1464 ergibt sich, dass die Chronik in der zwei-ten Hälfte des 15. Jahrhunderts in San Martino al Tagliamento nörd-lich von Valvasone aufbewahrt wurde. Der Bericht über den Blutregenvom 18. April 1354 und über die den Kirchen des hl. Martin und derhll. Philipp und Jakob gewährte Indulgenz legt die Vermutung nahe,dass diese Feststellung auch für die zweite Hälfte des 14. Jahrhun-derts und für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts gilt.43

    Die Kirche von San Martino gehörte wie der gesamte Herr-schaftsbereich der Herren von Valvasone bis weit ins 14. Jahrhundertzum Pfarrsprengel (pieve) von San Giorgio di Richinvelda (Cosa).44

    Die Ursprünge von San Martino reichen möglicherweise bis ins früheMittelalter zurück,45 doch ist auf jeden Fall anzunehmen, dass dieKirche zu Beginn des 13. Jahrhunderts schon existierte.46 SicherenBoden gewinnt man allerdings erst durch Dokumente aus den Jahren1319 und 1339, die zeigen, dass es an der Kirche des hl. Martin einenPriester und für die Verwaltung zuständige camerari gab.47 Das Got-teshaus besaß einen Friedhof und verfügte über Besitz und Einkünftein San Martino und Postoncicco, die ihm Odorico, Sohn des Francescodi Valvasone, im Jahre 1344 übertragen hatte.48 Die Herren von Val-vasone banden die Kirche von San Martino immer enger an sich, undbald übten sie auch das Juspatronat mit dem Recht der Priesterwahlaus.49 Das Streben der Valvasone, ihre politisch-jurisdiktionelle Eigen-

    43 Siehe dazu oben S.128.44 P.C. Be got t i , Vicende medievali, in: La Chiesa di San Martino al Tagliamento

    (wie Anm. 13) S.7–29, S.18 ff. – Zur Geschichte der pieve di San Giorgio sieheauch F.C. Car rer i , Della funzione d’una pieve friulana come distretto giudizia-le laico, in: Atti della Accademia di Udine, serie III, 4 (1896/97) S. 261–304.

    45 Ebd. S. 18.46 F. M etz , Le chiese e i preti in Valvasone fra XIV e XVI secolo, in: F. Co lu ss i

    (Hg.), Erasmo di Valvasone, 1528–1593, e il suo tempo. Atti della giornata distudio (Valvasone, 6 novembre 1993), Pordenone o.J., S.392–428, S. 404.

    47 F. M etz , L’archivio parrocchiale, in: La Chiesa di San Martino al Tagliamento(wie Anm. 13) S.251–316, S.253. Vgl. dazu der s . (wie Anm. 46) S.404 f.

    48 Luchi n i (wie Anm. 39) S.15. Vgl. auch Met z , L’archivio parrocchiale (wieAnm. 47) S.253 zum Jahre 1344.

    49 Bego t t i (wie Anm. 44) S.23.

    QFIAB 89 (2009)

  • 132 UWE LUDWIG

    ständigkeit50 auch auf dem Gebiet der Kirchenorganisation zur Gel-tung zu bringen, führte zur stufenweisen Emanzipation der Kirchevon Valvasone von der im Hoheitsbereich der Herren von Spilimbergogelegenen Mutterkirche San Giorgio di Richinvelda.51 Der Ablösungs-prozess vollzog sich in den 30 Jahren zwischen 1330 und 1360, injener Zeit also, in der die Grenzen zwischen den Herrschaftsbereichender Spilimbergo und Valvasone ihre endgültige Fixierung fanden.52 ImJahre 135553 erkannte Bischof Petrus von Concordia das Juspatronatder Herren von Valvasone über die von ihnen 1330 bei ihrem Kastellerrichtete, der hl. Jungfrau Maria und dem Evangelisten Johannesgeweihte Kirche an und entließ diese damit aus der Abhängigkeit vonSan Giorgio di Richinvelda. Vier Jahre später, 1359, gewährte derOberhirte von Concordia der Kirche von Valvasone das Taufrecht undlöste die bislang sehr engen Bindungen der Kirchen von Arzene undSan Martino an die alte Mutterkirche San Giorgio. Es entstand so einneuer, eigenständiger Pfarrsprengel, der sein Zentrum in der Kirchevon Valvasone besaß und dem die beiden Kirchen von Arzene und SanMartino zugeordnet wurden.54

    Alle drei Teile der aus dem Gebiet der Kastellane von Valvasonestammenden Aufzeichnungen gehen sehr ausführlich auf Ereignisseein, die San Martino al Tagliamento betreffen, oder stammen von ei-nem Autor, der an dieser Kirche tätig war. Es spricht somit vielesdafür, dass die chronikalischen Notizen in ihrer Gesamtheit an die-sem Gotteshaus entstanden sind.

    Wie bereits ausgeführt, gliedert sich der erste Teil der Chronikin zwei Abschnitte: Der vom Chronicon Spilimbergense abhängigenPartie mit Notaten zu den Jahren 1241 bis 130255 folgt ein zweiter,

    50 Siehe dazu unten S. 143.51 M etz , Le chiese e i preti (wie Anm. 46) S.415 f.52 Siehe dazu unten S. 143.53 Vgl. zum Folgenden: V. Jop pi , Cronaca sacra della terra di Valvasone, compilata

    su vecchie memorie, Portogruaro 1883, S.7 f.; F. Ca rr er i , Breve storia di Val-vasone e de’suoi signori dagli inizi al 1806, Nuovo Archivio Veneto, n. s. 11/I(1906) S.107–158 und 11/II (1906) S.135–161, hier: 11/I, S.140 ff.; Dega ni (wieAnm. 39) S. 115; L. Lu chin i , Valvasone. Storia, arte, vita, Pordenone 1972, S.31;B egot t i (wie Anm. 44) S.22 f.; Metz (wie Anm. 46) passim, mit Abdruck derdrei Dokumente von 1330, 1355 und 1359 auf S. 393–397.

    54 B egot t i (wie Anm. 44) S.20.55 Siehe oben S. 121 ff.

    QFIAB 89 (2009)

  • 133CHRONIK VON VALVASONE

    umfangreicherer und inhaltlich eigenständiger Abschnitt, der Nach-richten aus dem Zeitraum zwischen 1350 und 1379/80 enthält.56 Vor-angestellt sind dem ersten Teil der Chronik zwei Meldungen über Heu-schreckeneinfälle, die in der Chronik von Spilimbergo keine Paralle-len besitzen und wohl den Jahren 1250 und 1300 zuzuordnen sind.57

    Der Schreiber des in einem Zuge aufgezeichneten ersten Teilsder Chronik hat ganz offensichtlich mehrere Vorlagen benutzt und zueiner Einheit zusammengefügt. En bloc hat er die Passage zu den Jah-ren 1241 bis 1302 übernommen, die mit dem entsprechenden Zeitab-schnitt des Chronicon Spilimbergense bis in den Wortlaut hinein weit-gehend deckungsgleich ist. Zwar ist die Chronik von Spilimbergo le-diglich in der Abschrift des Domenico Ongaro überliefert, doch ist esbemerkenswert, dass in diesem beiden Chroniken gemeinsamen Ab-schnitt die chronologische Reihung der Nachrichten nur von einerNotiz durchbrochen wird: Die Meldung über eine Brandkatastrophe inSpilimbergo im Jahre 1266 ist in der Chronik von Valvasone zwischenden Jahresberichten 1241 und 1259, in der Kopie Ongaros zwischen1269 und 1274 eingeschoben.58 Einem anderen Zusammenhang hatder Schreiber die beiden Nachrichten über Heuschreckeninvasionenin den Jahren 1250 und 1300 entnommen. Er hat die Notizen nicht anden entsprechenden Stellen der Chronik eingefügt, sondern an ihrenAnfang gestellt.

    Der Hauptteil der Chronik, der über den Zeitraum von 1350 bis1379/80 berichtet, bringt die Nachrichten in chronologischer Abfolge.Lediglich die Eintragung über die Ankunft des Patriarchen Markwartvon Randeck in Friaul im Jahre 1365 ist falsch eingeordnet: Sie istzwischen Notizen zu den Jahren 1358 und 1361 eingeschaltet. DieseBeobachtung stützt die Annahme, dass ein Kompilator verstreute Ein-zelaufzeichnungen bei der Übertragung chronologisch geordnet hat,wobei ihm in einem Falle ein Irrtum unterlief.

    56 Siehe oben S.125 ff.57 Siehe oben S.120.58 Anno Domini MCCLXVI in sancto Laurentio combustum est Spignimbergum:

    San Daniele del Friuli, Biblioteca Civica Guarneriana, Ms. 274 „Necrologia Ec-clesiarum …“ (wie Anm. 10) fol.60r (pag. 9); Chronicon Spilimbergense, ed.D ’A nge l o (wie Anm. 1) S.24.

    QFIAB 89 (2009)

  • 134 UWE LUDWIG

    An einigen Stellen konnte der Kopist die ihm als Vorlage dienen-den Texte nicht entziffern und hat dies in der Abschrift durch Spatienkenntlich gemacht. Neben den bereits erwähnten Leerstellen in demauf das Chronicon Spilimbergense zurückgehenden Abschnitt59 isteine Lücke in der Darstellung des Krieges Herzog Rudolfs IV. vonÖsterreich gegen den Patriarchen Lodovico Della Torre im Jahre 1361zu nennen. Der Schreiber las hier lediglich: Dominus patriarcha ivitcum exercitu domini ducis et in itinere fuit ... Der Vergleich mitParallelquellen ergibt, dass an dieser Stelle derobatus zu ergänzenist.60

    Zwischen dem Bericht über den österreichisch-friulanischenKonflikt von 1361 und der Notiz über den neuerlichen Einfall öster-reichischer Truppen im Jahre 1363 hat der Schreiber – entgegen sei-nen sonstigen Gepflogenheiten – mehrere Zeilen freigelassen. Offen-bar war dieser Raum für eine nachträgliche Ergänzung der Eintra-gung zum Jahre 1361 oder für ein Notat zum Jahre 1362 vorgesehen.Es ist möglich, dass der Kompilator einen umfangreicheren Passusseiner Vorlage nicht entziffern konnte. Denkbar ist allerdings auch,dass er den in seiner Vorlage enthaltenen Bericht vollständig über-tragen hat, jedoch weitere Informationen hinzufügen wollte. Die Notizzum Jahre 1361 endet mit der Nachricht,61 Herzog Rudolf sei mit Si-mone di Valvasone und Francesco di Savorgnano nach Österreich ge-reist, Kaiser Karl IV. habe aber während des Aufenthalts der friula-nischen Edelleute in Österreich gegen den Habsburger Krieg zu führenbegonnen. Der Herzog, so fährt die Chronik fort, habe vom Patriar-chen, der zu diesem Zeitpunkt in Wien festgehalten wurde, die Ab-tretung zahlreicher friulanischer Burgen gefordert und die Ausstel-lung eines Privilegs erreicht, in dem er seinen Willen durchsetzte. Esmag sein, dass diese – im Übrigen den wirklichen Tatbestand erheb-

    59 Siehe oben S. 122 f.60 Vgl. die Schreiben des Patriarchen Lodovico della Torre vom 27. September 1361

    (Laibach) und vom 8. Oktober 1361 (Kindberg im Mürztal) sowie die Instruktionder Gesandten des Patriarchen an König Ludwig von Ungarn von Ende 1361:Za hn , Austro-Friulana (wie Anm. 23) Nr.125 S.141; Nr.128 S. 143; Nr.130S. 160 f. – Die Ergänzung bereits in dem Auszug aus der Chronik ebd. Nr.115S. 131.

    61 Siehe dazu im Einzelnen den Kommentar zur Edition.

    QFIAB 89 (2009)

  • 135CHRONIK VON VALVASONE

    lich verkürzenden – Angaben vom Schreiber für ergänzungsbedürftiggehalten wurden: Die Chronik von Valvasone weiß nichts davon mit-zuteilen, dass Simone di Valvasone und Francesco di SavorgnanoWien ohne Genehmigung Herzog Rudolfs verlassen und sich zu KaiserKarl IV. begeben haben, und sie hat auch keine Kenntnis von Rudolfsangeblicher Absicht, die beiden Friulaner töten zu lassen.62 Ebensowenig geht sie auf die Rückeroberung und Zerstörung der von HerzogRudolf im Vorjahr besetzten friulanischen Burgen Manzano und But-trio ein, die von den Kommunen Udine, Cividale und Gemona am 2.März 1362 mit Erfolg in Angriff genommen wurde.63 Sie meldet auchanders als das Chronicon Spilimbergense und die Chronik der Patri-archen von Aquileja nicht, dass die beiden friulanischen Adligen –wohl im März 1362 und im Einverständnis mit Karl IV. – in ihre Hei-mat zurückkehrten, um sich dem Kampf gegen die österreichischenBesatzer anzuschließen.64 Möglicherweise ist dem Kopisten das

    62 Chronicon Spilimbergense, ed. D ’ Ange lo (wie Anm. 1) S.56 berichtet von derheimlichen Flucht Simones und Francescos aus Wien: … qui clam recesseruntde Vienna sine voluntate Ducis. Die Chronik der Patriarchen von Aquileja (wieAnm. 17) Appendix S. 14 stimmt in der Schilderung dieser Vorgänge fast wört-lich mit der Chronik von Spilimbergo überein, fügt jedoch hinzu: … qui clamrecesserunt de Vienna, quos Dominus Dux volebat mori facere: ideo absquelicentia recesserunt. Beiden Chroniken ist allerdings unbekannt, dass Simonedi Valvasone und Francesco di Savorgnano aus Wien zum Kaiser flohen. Sielassen die beiden friulanischen Adligen aus Österreich direkt nach Friaul zu-rückkehren. – Siehe hierzu auch unten S.150.

    63 Chronicon Spilimbergense, ed. D ’ Ange lo (wie Anm. 1) S.56; J. von Zahn ,Über das Additamentum I. Chronici Cortusiorum (als Hauptquelle österrei-chisch-furlanischer Geschichte für die Jahre 1361–1365), Archiv für österrei-chische Geschichte 54 (1876) S.403–441, S.419 f. Vgl. A. H ube r , Geschichte desHerzogs Rudolf IV. von Österreich, Innsbruck 1865, S.81 f.; Paschi n i (wie Anm.4) S.532.

    64 Die Chronik von Spilimbergo und die Chronik der Patriarchen von Aquilejasetzen die Rückkehr Simones und Francescos nach Friaul „wenige Tage“ nachder Wiedergewinnung der Burgen Manzano und Buttrio an. Vgl. Chronicon Spi-limbergense, ed. D ’ Ange lo (wie Anm. 1) S.56: Post dies paucos reversi suntdominus Franciscus de Savorgnano et dominus Symon de Cucanea de Valva-sono in Forum Iulii qui clam recesserunt de Vienna sine voluntate Ducis.Siehe dazu auch die bei Zahn (wie Anm. 63) S.419 wiedergegebenen Quellen-auszüge. Am 14. Februar 1362 sind Simone und Francesco offenbar noch amkaiserlichen Hof in Nürnberg anwesend, als Karl IV. für Francesco di Savor-gnano ein Privileg ausstellt, vgl. unten S.150 mit Anm. 113.

    QFIAB 89 (2009)

  • 136 UWE LUDWIG

    Schweigen der chronikalischen Notizen über diese und andere Vor-gänge aufgefallen, so dass er es für sinnvoll hielt, Platz für Nachträgefreizuhalten, die das Jahr 1362 betrafen.

    Die „Chronik von Valvasone“ ist demnach als Kompilation zubetrachten, die der Schreiber aus den ihm vorliegenden Nachrichtenzusammengestellt hat. In welchem Umfang er bei der Übertragungredaktionell eingegriffen hat, ist schwer zu beurteilen. Da der ersteTeil der Chronik in seinem Wortlaut kaum vom Chronicon Spilimber-gense abweicht,65 liegt die Vermutung nahe, der Kopist habe sich auchim zweiten Teil der Abschrift getreu an seine Vorlage gehalten. EinIndiz dafür wäre auch, dass mitunter in ein- und demselben Notatverschiedene Varianten eines Namens begegnen. So finden sich in derEintragung zum Jahre 1379 für Chioggia nebeneinander die Namen-formen Glogia und Clogia, während die Genuesen einmal alsGen[u]anses und dann wieder als Januenses bezeichnet werden. Andieser Stelle gibt sich der Kompilationscharakter der Chronik ganzbesonders deutlich zu erkennen, hat der Schreiber doch zwei Notizen,die sich auf verschiedene Ereignisse beziehen – die Eroberung Chiog-gias durch Paduaner und Genuesen 1379 und die Rückeroberung derStadt durch die Venezianer 1380 –, zusammengezogen und zum Jahre1379 gestellt, ohne dabei jedoch die Namen zu vereinheitlichen.

    Recht sicher ist, dass der erste Abschnitt der Chronik mit denNotaten zu den Jahren 1241 bis 1302 bei der nach 1379/80 erfolgtenÜbertragung auf das Pergamentblatt nicht direkt aus dem ChroniconSpilimbergense übernommen wurde, wäre doch in einem solchenFalle unerklärlich, warum nur Eintragungen bis zum Jahre 1302,nicht aber spätere Nachrichten berücksichtigt worden sind. Die vonder Chronik von Spilimbergo abhängigen Notate müssen vielmehr be-reits im Jahre 1302 oder kurz danach in eine Handschrift der KircheSan Martino al Tagliamento aufgenommen worden sein. Es bleibt eineoffene Frage, weshalb in San Martino in den folgenden Jahren keinehistorischen Begebenheiten schriftlich festgehalten worden sind undeine eigenständige Berichterstattung erst mit dem Jahre 1350 ein-setzt.

    65 Siehe oben S. 123 ff.

    QFIAB 89 (2009)

  • 137CHRONIK VON VALVASONE

    Von 1350 (Ermordung des Patriarchen Bertrand de Saint-Ge-niès) bis 1365 (Ankunft Markwarts von Randeck in Friaul) sind dannmit mehr oder minder großer Regelmäßigkeit Eintragungen erfolgt,die sich mitunter, in den Jahren 1356 und 1361, zu umfangreicherenDarstellungen auswachsen.66 Die Aufzeichnungen sind wohl zeitgleichmit den Ereignissen von Jahr zu Jahr entstanden. Ungewiss ist, obsämtliche Notizen dieser Zeit aus der Feder eines einzigen Autorsstammen oder ob mehrere Personen am Werk waren. Für letztereskönnte sprechen, dass die Mitteilung von der Anlage eines Kanalsvom Tagliamento nach Valvasone durch Simone di Valvasone im Jahre1364 in der Chronik in zwei leicht voneinander abweichenden Fas-sungen begegnet. Aus der fehlerhaften Einreihung des Notats überMarkwarts Ankunft im Patriarchat lässt sich die Schlussfolgerung ab-leiten, dass die Nachrichten in der dem Kopisten zur Verfügung ste-henden Vorlage nicht in chronologischer Ordnung aufeinander folg-ten, jedenfalls nicht durchgehend.67

    Es ist anzunehmen, dass der nach 1379/80 tätige Schreiber dasNachrichtenmaterial, das er in seiner Kompilation verarbeitete, auseiner älteren Nekrologhandschrift der Martinskirche geschöpft hat, inder – wie auch an anderen friulanischen Kirchen üblich68 – wichtigeGeschehnisse und Vorkommnisse vermerkt worden waren. Die in derVorlage enthaltenen Nachrichten hat der Kompilator gesammelt und –chronologisch geordnet – in eine andere Handschrift übertragen. Es

    66 Siehe oben S.126 und Kommentar zur Edition.67 Zu den Parallelen in der Überlieferung des Chronicon Spilimbergense siehe oben

    S.115 f.68 Zum Nekrolog der Marienkirche von Spilimbergo, in dem das „Chronicon Spilim-

    bergense“ überliefert worden ist, siehe oben S.114 f. Historiographische Notizenenthält auch das Nekrolog des Domkapitels von Concordia: D egani (wie Anm.39) S. 198–204. Zu verweisen ist außerdem auf Marginalnotizen aus dem 14.Jahrhundert, die zwei Kalendare in liturgischen Handschriften aus dem Bene-diktinerkloster Moggio im Kanaltal enthalten. Es handelt sich zum einen um einPsalterium-Hymnarium (13. Jahrhundert) in der Erzbischöflichen Bibliothek inUdine: C. Sca l on , La Biblioteca Arcivescovile di Udine, Medioevo e Umanesimo37, Padova 1979, Nr. 33 S. 102 f. Zum anderen finden sich Eintragungen histori-schen Inhalts in einem Missale, das in der Bodleian Library in Oxford aufbe-wahrt wird: C. Fo l igno , Di alcuni codici liturgici di provenienza friulana nellaBiblioteca Bodleiana di Oxford, Memorie Storiche Forogiuliesi 9 (1913) S.292–300, S. 298 ff.

    QFIAB 89 (2009)

  • 138 UWE LUDWIG

    scheint, dass an eine Fortführung der so entstandenen „Chronik vonValvasone“ gedacht war, doch ist es dazu nicht in dem erwartetenUmfang gekommen. Erst in den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts hatPietro da Parma, Pfarrer an San Martino, wieder einige wenige Nach-richten niedergeschrieben.

    Aus dieser Handschrift ist wohl im Zusammenhang mit der ge-lehrten Sammeltätigkeit des Giusto Fontanini das heute in der Biblio-teca Marciana verwahrte Pergamentblatt herausgelöst worden. DieSuche nach dem Codex, dem die „Chronik von Valvasone“ entnommenwurde, kann sich auf eine ganze Reihe von aussagekräftigen Hinwei-sen stützen: Der Blick fällt auf den „Catapan vecchio“, den alten Kata-pan der Kirche San Martino al Tagliamento, der seit einigen Jahren imDiözesanarchiv von Pordenone aufbewahrt wird.69

    Der alte Katapan ist, wie es ein Eintrag auf fol.49v formuliert,70

    der liber anniversariorum ecclesie sancti Martini de super Valve-sonum, das Buch also, in das jene Personen zu ihrem Todestag aufge-nommen wurden, für die am Jahrestag ihres Ablebens liturgischeLeistungen zu erbringen waren. Der Codex besteht aus einem Heili-genkalendar,71 in dem über einen längeren Zeitraum hinweg von vie-len verschiedenen Händen nekrologische Eintragungen und Aufzeich-nungen über Messstiftungen vorgenommen wurden. Die Anlage-schicht des Totenbuchs ist in einer Kanzleiminuskel geschrieben, diein Größe, Tintenfarbe und Duktus der Schrift auf dem venezianischenPergamentblatt sehr nahe steht. Die nähere Betrachtung einzelnerBuchstaben – so etwa der Majuskelformen von A, G und M – lässt esnicht einmal als ausgeschlossen erscheinen, dass in beiden Fällen der-

    69 Archivio della Curia vescovile di Pordenone, Catapan vecchio di San Martino alTagliamento: Pergamenthandschrift; 50 Blatt, 24–24,5 × 30 cm; Foliierung von1–49 mit Tinte (wohl Anlagezeit), 50 mit Bleistift (rezent); Holzeinband, zurHälfte mit Leder überzogen. Bei der vor wenigen Jahren durchgeführten Restau-rierung wurde vorne und hinten jeweils ein Vorsatzblatt eingefügt. Vorne einge-legt sind ein Zettel mit der Angabe „S Martino al Tagl Necrologio 1400–1500“sowie ein Umschlag mit Fotos, die den Zustand der Handschrift vor der Restau-rierung dokumentieren. – Zwei Seiten der Handschrift sind abgebildet bei FabioM etz , L’archivio parrocchiale (wie Anm. 47) S.299 und 310.

    70 Siehe Anm. 73.71 Zum Heiligenkalendar des alten Katapan siehe die Übersicht bei Met z (wie

    Anm. 13) S.53–58.

    QFIAB 89 (2009)

  • 139CHRONIK VON VALVASONE

    selbe Schreiber am Werk war. Eine eingehendere paläographischeAnalyse ist an dieser Stelle nicht möglich. Sollte sich jedoch bei einergenaueren Untersuchung bestätigen, dass der Grundbestand des Ne-krologs und die chronikalischen Aufzeichnungen von ein und dersel-ben Hand herrühren, so könnte eine detaillierte Bestimmung der To-teneinträge zur engeren Eingrenzung des Zeitpunkts führen, zu demdie Chronik niedergeschrieben wurde.72 Und wenn sich erweisensollte, dass das nach Venedig gelangte Einzelblatt aus dem alten Kata-pan stammt, so wäre zu vermuten, dass der gesamte Codex erst nachdem Jahre 1379/80, dem Datum des letzten in der Chronik erfasstenEreignisses, angelegt worden ist.73

    Der „catapan vecchio“ setzt sich aus insgesamt 50 Pergament-blättern zusammen. Er besteht aus sechs Quaternionen, wobei derletzten Lage am Ende zwei Einzelblätter beigebunden sind. Jeder Qua-ternio umfasst jeweils zwei Monate des Kalendar-Nekrologs und istfür die Aufnahme der Tagesdaten, der Heiligennamen und der Me-morialeinträge liniiert. Die anschließenden beiden Einzelblätter(fol.49 und fol.50, von dem nur ein Fragment des linken Blattrandesüberliefert ist) weisen keine Liniierung auf und enthalten Aufzeich-nungen aller Art, unter anderem auch historiographische Notizen. Aufbeiden Blättern wurden Eintragungen zu Messstiftungen und Anni-versarfeiern vorgenommen, auf fol.49r steht überdies eine Notiz zurWeihe der Martinskirche durch den Bischof von Concordia am 21.

    72 So ist beispielsweise im catapan vecchio, fol. 4r, zum 25. Januar (VIII kl. febr.)eingetragen: Anno domini M oCCCC oVI o Obiit Nobilis et Egregius Miles DominusDominus Ricardus de Valvasono. Die Schrift scheint jener der anlegenden Handauf dem venezianischen Pergamentblatt sehr ähnlich und ist möglicherweisesogar mit ihr identisch.

    73 Die Annahme von M etz (wie Anm. 13) S.52, der catapan vecchio sei im Jahre1326 angefertigt worden, beruht auf der Lesung des erwähnten Eintrags auffol.49v. Doch sind gerade die Inkarnationsjahre in dieser Notiz nicht mehr voll-ständig zu entziffern: In Christi nomine amen, anno domini millesimo ... cen-tesimo vigesimo sexto, indictione IIII ... emtus fuit iste liber anniversariorumecclesie sancti Martini de super Valvesonum. Nicht genau bestimmbar ist dieJahrhundertzahl. Zu beachten ist, dass die 4. Indiktion nicht ins Jahr 1326,sondern ins Jahr 1426 fällt, vgl. H. G rot e fend , Zeitrechnung des deutschenMittelalters und der Neuzeit 1: Glossar und Tafeln, Hannover 1891 (Ndr. Aalen1970), Tafel XIV.

    QFIAB 89 (2009)

  • 140 UWE LUDWIG

    Oktober 151274 und eine Nachricht über den Türkeneinfall in Friaulim Jahre 1499.75 Zudem ist auf fol.49r ein Eintrag zu finden, der denTod des Priesters Petrus de Parma zum 3. Februar 1512 verzeichnetund Bestimmungen zu seinem Jahrtagsgedächtnis enthält.76 Da esaber gerade dieser Geistliche ist, der auf der Rückseite des venezia-nischen Pergamentblatts einige Nachrichten festgehalten hat, möchteman annehmen, dass zwischen der „Chronik von Valvasone“ und demalten Katapan von San Martino ein Zusammenhang besteht. In der Tatist auf fol.1r des Katapans ein Eintrag aus dem Jahre 1481 zu finden,der einen Pestausbruch in Valvasone meldet und in paläographischerHinsicht sehr große Ähnlichkeit mit den erwähnten Aufzeichnungendes Pietro da Parma aufweist. Die Entzifferung der Notiz gelingt al-lerdings nur teilweise: 1481 multi perierunt a peste in Valvason, in-ter quos obiit venerabilis vir presbiter ... plebanus Valvasoni ac fra-ter Maichus de Asuno etiam obiit presbiter ... Antonius ... benefici-atus in Valvasono, postquam venit presbiter ... obiit a peste. Eodemanno obiit etiam presbiter Gualterius beneficiatus in ... in terraValvasoni.

    Der Verdacht, dass das venezianische Blatt dem alten Katapanvon San Martino entnommen ist, erhärtet sich weiter, wenn manGröße, Beschaffenheit und Überlieferungszustand beider Handschrif-ten in die Betrachtung einbezieht. Die Blätter des Katapan haben eineHöhe von 30 cm, während ihre Breite zwischen 24 und 24,5 cmschwankt. Das venezianische Einzelblatt ist 30,4 cm hoch; an den Sei-tenrändern ist es jedoch sehr stark beschnitten und misst daher ander breitesten Stelle nur noch 21,2 cm.77 Das venezianische Blatt ist

    74 Regest bei Met z (wie Anm. 47) S.256.75 Da die Tinte stark verblasst ist, lässt sich die Notiz nur noch zum Teil entziffern:

    1499 de setenbris corse i turchi in la patria de Frioli et pasono la ... et corsenofino a San Cassan apreso Concordia et preseno asai cristiani sia picoli etgrandi ... piu de quindese millia anime sia morti o menadi via ... quali apresoValvason ... (es folgt noch eine weitere unleserliche Zeile). – Zur Türkeninvasiondes Jahres 1499 siehe P aschin i (wie Anm. 4) S.762 f. Vgl. auch die Quellen-zusammenstellung bei G. Mar ches in i , Annali per la storia di Sacile anche neisuoi rapporti con le Venezie, Sacile 1957, S.1028 ff.

    76 1512 in die sancti Blasii dominus presbiter Petrus de Parma rector ecclesiesancti Martini qui donavit dicte ecclesie sancti Martini decem ducatos ... Vgl.zum Tod des Pietro da Parma auch den Eintrag auf fol.5r des Nekrologs.

    77 Siehe oben S. 118.

    QFIAB 89 (2009)

  • 141CHRONIK VON VALVASONE

    ebenso wie fol.49 des Katapans nicht liniiert. Der linke Seitenranddes venezianischen Pergamentblatts weist in der oberen Hälfte, vorallem aber im unteren Drittel größere Ausbruchstellen auf, die teil-weise durch „Begradigungen“ verkleinert oder beseitigt worden sind.Bemerkenswert ist nun, dass auch fol.48 und fol.49 des Katapans amunteren linken Blattrand stark beschädigt sind und größere Fehlstel-len aufweisen. Es kommt hinzu, dass auf fol.48, auf fol.49 und aufdem venezianischen Blatt Stockflecken festzustellen sind, die sich inallen drei Fällen auf den linken Blattrand konzentrieren. Die auffäl-ligen Parallelen geben zu der Vermutung Anlass, dass sich die „Chro-nik von Valvasone“ ursprünglich am Ende des Katapans befunden ha-ben könnte: Zu erwägen wäre, ob das venezianische Blatt ursprüng-lich auf fol.49 folgte, ehe es aus dem Codex herausgelöst wurde.78

    Wenngleich die codicologisch-paläographischen Untersuchungendamit noch keinen sicheren Beweis für die Herkunft des „ChroniconValvasonense“ aus dem „catapan vecchio“ von San Martino gelieferthaben, so kann aufgrund der bisherigen Beobachtungen kein Zweifeldaran bestehen, dass das venezianische Pergamentblatt mit der dar-auf verzeichneten „Chronik“ demselben handschriftlichen Kontext an-gehört wie das Nekrolog von San Martino. Dafür sprechen, wie gezeigtwerden konnte, nicht nur paläographische Indizien, sondern auch un-übersehbare inhaltliche Bezüge.

    Man wird den historischen Quellenwert des hier erstmals in sei-ner Gesamtheit und in seinem überlieferungsgeschichtlichen Zusam-menhang vorgestellten „Chronicon Valvasonense“ – auch im Vergleichzu anderen friulanischen Chroniken der Zeit79 – nicht überschätzenwollen. Und dennoch verdienen die historiographischen Aufzeichnun-gen aus der Kirche San Martino al Tagliamento als Zeugnisse der Ge-schichtsschreibung im Umkreis eines friulanischen Herrensitzes desspäten Mittelalters die ihnen gebührende Beachtung. In der Zweitei-lung des Chroniktextes, der in eine vom Chronicon Spilimbergense

    78 Die Foliierung würde einer solchen Annahme nicht im Wege stehen. Wahrschein-lich ist nur die mit Tinte vorgenommene Foliierung von „1“ bis „49“ der Anla-gezeit der Handschrift zuzuordnen, während die Folioangabe „50“ auf dem heuteden Codex abschließenden Fragment von einer rezenten Hand mit Bleistift hin-zugefügt wurde.

    79 Siehe oben S.113 ff. und 116 f.

    QFIAB 89 (2009)

  • 142 UWE LUDWIG

    abhängige Partie (von 1241 bis 1302) und einen eigenständigen Ab-schnitt (von 1350 bis 1379/80) zerfällt,80 spiegelt sich der Wandel inden Herrschaftsverhältnissen am rechten Ufer des Tagliamento im 13.und 14. Jahrhundert.

    Zunächst im Besitz eines ghibellinischen Geschlechts, das mitder Familie der Sbroiavacca verwandt war, gelangte das Kastell Val-vasone nach der Mitte des 13. Jahrhunderts unter die Hoheit der Her-ren von Spilimbergo.81 Zum Lohn für seine Treue erhielt Walterper-toldo II. von Spilimbergo im Jahre 1268 vom Patriarchen Gregor vonMontelongo die Hälfte der Burg Valvasone zu Lehen.82 Im Mai 1281trug Walterpertoldo dem Patriarchen Raimondo della Torre alle Lehender Kirche von Aquileja mit der Bitte auf, sie seinem Neffen Giovannidi Zuccola zu übertragen. Nachdem dies geschehen war, investierteGiovanni di Zuccola im Dezember 1281 seinen Onkel mit den ihmübergebenen Lehen, darunter auch mit dem Kastell Valvasone samtZubehör (ad feudum habitantie de sua gaudente tenuta de castroValvasoni secundum ut habebat ipsum castrum a domino Patriar-cha aquileiensi et de patriarchali Ecclesia cum omnibus finibus etbonis sibi pertinentibus pro dicto castro). 83

    In den Auseinandersetzungen um das Erbe der Spilimbergo ge-lang es 1293 den Brüdern Simone, Warnerio und Odorico di Cucagna,die Burg Valvasone unter ihre Kontrolle zu bringen.84 Damit beginntdie Geschichte der zweiten Dynastie von Valvasone, denn Simone I.und seine Nachfolger konnten sich im Besitz der Burg auf Dauer be-haupten. Vom Patriarchen Raimondo della Torre mit Valvasone be-lehnt, kaufte Simone seinen beiden Brüdern ihre Anteile an Burg undzugehörigen Besitzungen und Rechten ab.85 Er wurde zum Stammva-ter des neuen Geschlechts,86 das seinen Herrschaftsbereich rund um

    80 Siehe oben S. 121 ff.81 C. G. Mor , Note critiche sul feudo di Valvasone, in: Valvason – Volesòn, 56n con-

    gres der Societat Filologjche Furlane, 16 setembar 1979, Udine 1979, S. 45–49.82 C. G. Mor , La successione di Giovanni di Zuccola a Spilimbergo, in: N. Cant a -

    r u t t i /G. B erg amini (Hg.), Spilimbèrc, 61m congres der Societat FilologjcheFurlane, 23 di setembar 1984, Udine 1984, S. 25–42, S.27 und Doc. III S. 35 f.

    83 Ebd. Doc. V S.36–38 und S. 28ff. zu den Hintergründen.84 Ebd. S.31 ff.; ders . (wie Anm. 81) S.47 f.85 Ca rr er i (wie Anm. 53) 11/I, S.112 f.86 Siehe dazu die Genealogie ebd. 11/II, S.135 ff.

    QFIAB 89 (2009)

  • 143CHRONIK VON VALVASONE

    Valvasone in einem spannungsreichen Konkurrenzverhältnis zu denHerren von Spilimbergo ausbaute und abgrenzte. 1332 und wieder1358 wurden durch Schiedssprüche die Jurisdiktionsbezirke der bei-den Familien voneinander geschieden. Am 3. Februar 1332 wurde Ri-zardus und Odorlicus de Valvasono die Blutgerichtsbarkeit in einemBezirk übertragen, der folgendermaßen umschrieben wird: in plebeCose a confinibus S. Georgii inferius, in S. Martino, in Pustuncico,in Arzino, et in Arzinutto, in Valvasono et in eorum confinibus. DieAusübung dieser Rechte sollte ihnen sine contradictione ... Domino-rum de Spegnimbergo zustehen.26 Jahre später, am 25. Juni 1358,wurde diese Grenzziehung durch einen neuerlichen Schiedsspruchbestätigt.87 Im selben Zeitraum erlangte auch die Kirche von Valva-sone ihre Autonomie von der pieve San Giorgio di Richinvelda, diezum Hoheitsbereich der Herren von Spilimbergo gehörte.88

    Zweifelsohne standen die Herren von Valvasone in den Jahr-zehnten nach der Mitte des 14. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt ih-res politischen Einflusses und ihres Ansehens. Das Prestige, das siesich erworben hatten, wurde nicht zuletzt darin sichtbar, dass KönigKarl IV. die Enkel von Simone I., Simone II., Ulvino und Giovanni, am19. Oktober 1354 auf dem Zug zur Kaiserkrönung in Rom mit seinemBesuch auf der Burg Valvasone beehrte. Dies berichtet die Chronik

    87 Zur Abgrenzung der Jurisdiktionsbezirke von Spilimbergo und Valvasone sieheG. B ian ch i , Documenti per la storia del Friuli dal 1326 al 1332, Udine 1845,Nr.720 S.559 f.; F. d i Ma nz ano , Annali del Friuli ossia raccolta delle cosestoriche appartenenti a questa regione, IV, anno 1311 dell’età volgare al 1341,Udine 1862, S.335 (Schiedsspruch vom 3. Februar 1332); F.C. Ca rr er i , Spilim-bergensia Documenta Praecipua ab anno 1200 ad annum 1420 ... summatimregesta, Reale Deputazione Veneta di Storia Patria. Miscellanea di Storia Veneta,serie 2, 3, Venezia 1895, S.17 f. (Schiedsspruch vom 25. Juni 1358).

    88 Siehe oben S. 131 f. – Zum Besitz der Herren von Spilimbergo siehe C. G. M or , Ilfeudo di Spilimbergo, in: C. Fu r l an/I. Zanni er (Hg.), Il Duomo di Spilimbergo1284–1984, Maniago 1985, S.9–22. – Zum Verhältnis zwischen den Spilimbergound den Valvasone siehe auch S. B or to l ami , Spilimbergo a metà Trecento: unasocietà in formazione, in: der s . (Hg.), Spilimbergo medioevale. Dal libro diimbreviature del notaio Supertino di Tommaso (1341–1346), Spilimbergo 1997,S.59–111, S.69.

    QFIAB 89 (2009)

  • 144 UWE LUDWIG

    von Valvasone und beeilt sich hinzuzufügen, dass Simone auf demRomzug vom Herrscher zum Ritter geschlagen worden sei.89

    Die Kastellane von Valvasone hatten wie jene von SpilimbergoSitz und Stimme im friulanischen Parlament,90 konnten sich aller-dings in ihrer politischen Bedeutung und militärischen Stärke mitdiesen nicht messen. Dies zeigen in aller Klarheit die Aufgebotslistendes friulanischen Heeres von 1327, aus der Amtszeit des PatriarchenPagano Della Torre also, und von 1360, als Lodovico Della Torre aufdem Patriarchenstuhl saß.91 Die sogenannte talea militiae, die denUmfang der militärischen Dienstverpflichtungen der einzelnen Mit-glieder des Parlaments anzeigt, verzeichnet für die Herren von Spilim-bergo (Spigambergum/Spegnemberch) 12 elmi (Kontingent von dreiBerittenen) und 2 Bogenschützen (baliste).92 Die Herren von Valva-sone dagegen wurden im Rahmen der Familiengemeinschaft der Cu-cagna zur Truppenstellung herangezogen: Die Kastellane von Cucanea(Cucagna), Pertinstain/Pertinstayn (Partistagno) und Valvaso-num/Valvesonum hatten insgesamt nur 16 elmi und 4 baliste aufzu-bieten. Der Anteil der Valvasone am friulanischen Heer war folglichum einiges geringer als jener der Spilimbergo.

    Wie aus der talea militiae von 1327 und 1360 hervorgeht, zähl-ten die Kastellane von Valvasone weiterhin zum Familienverband derCucagna. Zwar hatten sie sich 1293 die alleinige Herrschaft über dienamengebende Burg Valvasone gesichert,93 doch teilten sie sich mitden anderen Zweigen des Hauses die Besitz- und Jurisdiktionsrechtein Faedis und den zugehörigen Orten, mit denen die Cucagna im Jahre

    89 Siehe dazu den Kommentar zur Edition. – Zu Simone II. di Valvasone siehe auchdie biographischen Notizen bei Car rer i (wie Anm. 53) 11/II, S.137 ff.

    90 Zum friulanischen Parlament siehe: P. S. Le icht (Hg.), Parlamento Friulano I(1228–1420), Teil 1, Atti delle Assemblee costituzionali italiane dal medio evo al1831, serie 1, sezione 6, Bologna 1917 (Ndr. Bologna 1968).

    91 Ebd. Nr.79 S.67 f. und Nr. 187 S.180 f.92 Zur talea siehe ebd. S.LXXVII ff. und S.CXVI ff.; E. Tr aver sa , Das Friaulische

    Parlament bis zur Unterdrückung des Patriarchates von Aquileja durch Venedig(1420) (Erster Teil), Wien – Leipzig 1911, S.105 ff.; C. von Cz oer nig , Das LandGörz und Gradisca. Geographisch-statistisch-historisch dargestellt, Wien 1873,S. 418 ff.

    93 Siehe oben S. 142.

    QFIAB 89 (2009)

  • 145CHRONIK VON VALVASONE

    1275 vom Patriarchen belehnt worden waren.94 Im Chronicon Spilim-bergense tritt Simone II. di Valvasone unter dem Namen Symon deCucanea de Valvasono auf.95

    Auch der Familienzweig der Kastellane von Cucagna war in nä-here Beziehungen zu Karl IV. getreten. Odorico (Ulrich) soll mit Zu-stimmung seines Vaters Gerardo di Cucagna im Solde Karls IV. inDeutschland gekämpft haben.96 Im Jahre 1355 wies ihm der Kaiser fürdie geleisteten Dienste eine jährliche Pension von 250 Florenen ausder Florentiner Reichssteuer an, ein Gunsterweis, der 1357 erneuertwurde.97 Wie Simone II. di Valvasone scheint auch Gerardo di Cuca-gna zu den Begleitern Karls IV. auf dessen Romzug gehört zu haben.Das Chronicon Spilimbergense berichtet, der Luxemburger habe nachseiner Kaiserkrönung neben Walterpertoldo di Spilimbergo, Paganound Francesco di Savorgnano auch einen Angehörigen der Cucagnaauf der Tiberbrücke zum Ritter geschlagen.98

    94 Carr er i (wie Anm. 53) 11/I, S.119 f.; E. Dega ni , Dei signori di Cucagna e dellefamiglie nobili da essi derivate. Note storiche, Pagine friulane 8 (1895) S. 105–109, 122–125, 137–142, 154–158, S.122 f.

    95 Chronicon Spilimbergense, ed. D ’A nge l o (wie Anm. 1) S.56. – Siehe auch dieErfassung der Angehörigen der verschiedenen Zweige des Familienverbandesunter dem Namen Cucanea im Protokoll der Parlamentssitzung vom 29. Septem-ber 1327: Le icht , Parlamento Friulano (wie Anm. 90) Nr.77 S.63.

    96 Degan i (wie Anm. 94) S. 156.97 J.F. B öhme r , Regesta Imperii VIII. Die Regesten des Kaiserreichs unter Kaiser

    Karl IV. 1346–1378, hg. und ergänzt von A. H ube r , Innsbruck 1877 (Ndr. Hil-desheim 1968) Nr.2165 und Nr. 2595. Nach dem Tode Odoricos entbranntezwischen Schinella di Cucagna (zu ihm weiter unten) und dem Neffen des Pa-triarchen Markwart von Randeck ein lang anhaltender Rechtsstreit um dieseJahrespension: Siehe dazu Th. E. Mommse n , Italienische Analekten zurReichsgeschichte des 14. Jahrhunderts (1310–1378), Schriften der MGH 11,Stuttgart 1952, Nr.335 S.136 f., Nr.336 S.137, Nr.346 S.140 f., Nr.347 S.141,Nr.352 S.142 f. , Nr.353 S. 143. Karl IV. erteilte Florenz im Mai 1373 schließlichdie Anweisung, Schinella aus der Reichssteuer jährlich 250 Florenen auszuzah-len: A. H ube r , Additamentum primum ad J.F. Böhmer, Regesta Imperii VIII.Erstes Ergänzungsheft zu den Regesten des Kaiserreichs unter Kaiser Karl IV.1346–1378, Innsbruck 1889, Nr.7378 und Nr. 7380. Siehe auch R. B oui l l on , DieBeziehungen zwischen Aquileia und Karl IV. während der Amtszeit der Patri-archen Nikolaus von Luxemburg und Lodovico della Torre (1350–1365), Phil.Diss. Münster 1989 (veröffentlicht 1991) S.153 f.

    98 Die Abschrift Ongaros in der Biblioteca Civica Guarneriana in San Daniele del

    QFIAB 89 (2009)

  • 146 UWE LUDWIG

    Im Konflikt zwischen dem Patriarchen Lodovico Della Torre undHerzog Rudolf von Österreich bezogen die einzelnen Angehörigen derFamiliengemeinschaft der Cucagna allerdings entsprechend ihrer In-teressenlage ganz unterschiedliche Positionen. Simone II. di Valva-sone hielt seinem Lehnsherrn unverbrüchlich die Treue und wurdedeshalb von Rudolf gemeinsam mit Francesco di Savorgnano in einerArt ehrenvoller Gefangenschaft zuerst nach Venedig mitgeführt unddann nach Wien verbracht.99 Schinella di Cucagna, der jüngste Sohndes Gerardo und Bruder des Odorico di Cucagna, der als Generalka-pitän die Truppen des Patriarchenstaats im Kampf gegen den habs-burgischen Eindringling anführte, trat hingegen bereits kurz nachAusbruch der Feindseligkeiten, am 9. September 1361, ins Lager Ru-dolfs über, den er als seinen wahren Herrn anerkannte und dem erebenso wie seinen Brüdern, Erben und Nachfolgern eidlich Gehorsamund Unterstützung zusagte. Ein weiterer Angehöriger des Familien-verbandes der Cucagna, Facina de Perchtenstain (Partistagno),schloss sich diesem Unterwerfungsakt an.100

    Der Bruder Schinellas, Odorico di Cucagna, stritt im Gegensatzdazu weiterhin für die Sache des besiegten und gedemütigten Patri-archen. Gemeinsam mit dem Kanzler Lodovicos, Paulinus, unternahmer im Auftrage des Patriarchen eine Reise an den kaiserlichen Hof, umauf Karl IV. im Sinne des in Wien gefangen gehaltenen Kirchenfürsteneinzuwirken.101 Zeugnis und Frucht der Anwesenheit Odoricos am

    Friuli (wie Anm. 10), fol.62r (pag. 13), weist an dieser Stelle eine Lücke auf: …fuerunt ab eodem domino imperatore creati nobiles viri domini Franciscuttusde Savorgnano… de Cuchanea … Die Ergänzung Gerardo im Chronicon Spilim-bergense, ed. D ’ An ge lo (wie Anm. 1) S. 46. Die Darstellung in der Chronik derPatriarchen von Aquileja (wie Anm. 17) Appendix S.14 weicht hiervon aller-dings ab: Ihr zufolge gehörten zum Gefolge Karls IV. Valterpertoldus de Spilim-bergo, D. Franciscus de Savorgnano, D. Paganus de Savorgano, et D. Gerardusde Carnea … Bei dem zuletzt aufgeführten Namen dürfte es sich um eine Ver-schreibung von Gerardus de Cucanea handeln. Im Zusammenhang mit der Rit-terweihe auf der Tiberbrücke nennt die Chronik der Patriarchen von Aquilejafreilich außer Valterpertoldus de Spilimbergo die nobiles Viri Ludovicus deCucanea, Franciscus et Paganus de Savorgnano.

    99 Siehe dazu die Anm. 45 und 46 Anhang. Siehe auch oben S.135 unten S.150.100 Siehe dazu die Anm. 42 Anhang.101 Za hn (wie Anm. 23) Nr. 138 S. 171 (Schreiben des Patriarchen Lodovico Della

    QFIAB 89 (2009)

  • 147CHRONIK VON VALVASONE

    Hof ist offenbar die Urkunde, mit dem Karl IV. am 15. Januar 1362Odorico (Ulrich) selbst und seinen Bruder Schinella zu lateranensi-schen Pfalzgrafen erhebt.102 Odorico di Cucagna empfing das Privilegzu einem für sein Anliegen äußerst günstigen Zeitpunkt, hatte sichdoch Rudolf IV. an der Jahreswende 1361/62 von seinem bisherigenBündnis mit Karl IV. gelöst und am 7. Januar 1362 eine Allianz mitKönig Ludwig von Ungarn geschlossen, die sich ausdrücklich auchgegen den Kaiser und seinen Bruder, Markgraf Johann von Mähren,richtete.103 Karl, der seinem Schwiegersohn im Sommer und Herbst1361 noch Beistand im Kampf gegen den Patriarchen von Aquilejageleistet hatte, sah sich zu einer politischen Wende genötigt. Auf seineVeranlassung hin verpflichteten sich die Kurfürsten auf einem Hoftagim März 1362, Herzog Rudolf und seine Brüder niemals zu römischenKönigen zu wählen. Zugleich wurde der Habsburger aufgefordert, denPatriarchen von Aquileja umgehend freizulassen.104

    Vor diesem Hintergrund ist das Dokument vom 15. Januar 1362zu betrachten, mit dem Odorico und Schinella di Cucagna zu latera-nensischen Pfalzgrafen ernannt werden. Bemerkenswert daran ist,dass nicht nur der dem Patriarchen Lodovico treu ergebene Odorico,sondern auch sein zum Herzog von Österreich abgefallener Bruder

    Torre an Karl IV. aus dem Jahre 1362). Aus diesem Dokument geht hervor, dassOdorico und Paulinus von Lodovico entweder zu Beginn seiner erzwungenenReise nach Wien oder in der Anfangsphase seines Aufenthalts in Wien (in exor-dio quasi transmigracionis mee), also offenbar im Herbst 1361, zum Kaisergesandt worden waren.

    102 J.F. B öhme r/A. Hu ber , Regesta Imperii VIII (wie Anm. 97) Nr. 3812; J. Va -l en t ine l l i , Regesta documentorum Germaniae historiam illustrantium. Reges-ten zur deutschen Geschichte aus den Handschriften der Marcusbibliothek inVenedig 1, Nendeln/Liechtenstein 1976 (separater Ndr. aus den Abh. der bay-erischen Akademie der Wissenschaften, Historische = III. Classe, Bd. 9 = Denk-schriften 35, München 1866, S.357–923) Nr.293 S.112. Die Urkunde ist in einerAbschrift des 18. Jahrhunderts in der Handschrift Venedig Marc. Lat. XIV, 48(4237), fol. 197v–198r, überliefert.

    103 Siehe dazu die Anm. 47 und 48 Anhang.104 Siehe jüngst U. Ho hensee , Herrschertreffen und Heiratspolitik. Karl IV., Un-

    garn und Polen, in: U. Ho hensee /M. La wo/M. Lindn er/M. Me nz e l /O. B.Rader (Hg.), Die Goldene Bulle. Politik – Wahrnehmung – Rezeption, Bd. 2,Berichte und Abhandlungen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wis-senschaften, Sonderband 12, Berlin 2009, S.639–664, S.652 f.

    QFIAB 89 (2009)

  • 148 UWE LUDWIG

    mit dieser Würde ausgezeichnet wurde. Offenbar zielte der Gunster-weis darauf ab, Schinella wieder in das Lager des Patriarchen hin-überzuziehen, zu dessen Unterstützung der Kaiser sich jetzt ent-schloss. Allerdings hatten die Bemühungen um Schinella nicht dengewünschten Erfolg, denn dieser hielt bis zum Ende des Konfliktsunbeirrbar zur Partei des Habsburgers.105 Öffentlich zum Rebellen er-klärt, nahm er 1363 in führender Position an den österreichischenKriegsoperationen in Friaul teil. So war er an dem – in der Chronikvon Valvasone geschilderten106 – fehlgeschlagenen Angriff auf dasHeer des Patriarchen bei San Vito al Tagliamento und an dem Vorstoßgegen Valvasone beteiligt, bei dem der Ort eingeäschert wurde. Am 23.September 1363 erschien Schinella di Cucagna vor Rudolf IV. in Me-ran, um gegenüber den Herzögen von Österreich das Versprechen zubeeiden, dass er mit seinen Nachkommen und Erben sub ipsis eteorum dicione tamquam fideles et devoti servitores et vasalli im-perpetuum remanere wollte.107 Am 23. Dezember 1363 unterstellteRudolf IV. Schinella di Cucagna durch eine ebenfalls in Meran ausge-stellte Urkunde seinem besonderen Schutz.108

    Odorico di Cucagna und der Kanzler Paulinus waren jedochnicht die einzigen Friulaner, die sich im Januar 1362 am Hofe KarlsIV. in Nürnberg aufhielten. Auch Francesco di Savorgnano und Si-mone di Valvasone stellten sich damals beim Kaiser ein, wie einemBrief des Patriarchen Lodovico Della Torre vom 1. Februar 1362 zuentnehmen ist.109 Sie hatten Wien ohne Erlaubnis Herzog Rudolfs IV.verlassen, um das Reichsoberhaupt im Auftrage des Patriarchen zueiner Intervention zugunsten ihres Herrn zu bewegen. Odorico di Cu-cagna und sein Verwandter Simone di Valvasone müssen sich gleich-zeitig in der Umgebung Karls IV. aufgehalten haben, denn dieser ließam 14. oder 15. Januar 1362 ein Diplom ausstellen, durch das den

    105 Vgl. hierzu und zum Folgenden Degan i (wie Anm. 94) S. 157.106 Siehe dazu die Edition mit Anm. 49 Anhang.107 Za hn (wie Anm. 23) Nr.169 S.213 f.108 Ebd. Nr.177 S.220.109 Ebd. Nr.131 S. 161 ff. (Brief des Patriarch