Rechte Lebenswelten - #09

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    RechRechte Lebenswte Lebensweltenelten(A(Ausgabe Nusgabe Nr. 9r. 9, 6. September 2011), 6. September 2011)

    boeseraltermann

    Zur ersten Ausgabe nach unserer Sommerpause warten wir mit

    einigen Vernderungen auf. Erstens verabschieden wir Dirk Brauner

    aus der Redaktion, der uns aus persnlichen Grnden verlsst. Wir

    danken an dieser Stelle herzlich fr die unzhligen investierten

    Stunden und die tolle Zusammenarbeit. Wir freuen uns schon jetzt auf

    die kommenden Anmerkungen von Dirk als kritischen Leser. Zweitens

    erscheinen wir ab jetzt nur noch einmal im Monat (jeden ersten

    Dienstag), dafr aber in ungefhr doppeltem Umfang, drittens habenwir demnchst eine Veranstaltungs- und eine Linkliste. Zuknftig

    werden wir viertens zur Konzeption der jeweiligen Schwerpunkte

    externe Expert_innen aus unserem Autor_innen- und

    Sympathisant_innen-Kreis enger einbinden. Dieses Mal wurden wir

    fr den Schwerpunkt Rechte Lebenswelten von Ulrich Peters

    untersttzt; er ist Redakteur des Antifaschistischen Infoblattes.

    Und nun zum Schwerpunktthema dieser Ausgabe: rechte

    Lebenswelten. In der Neonazi-Szene erobern individualisierteErscheinungsformen immer mehr Nischen und verndern auch die

    Auenwirkung. Neue rechte Lebenswelten festigen die Anbindung der

    Mitglieder nach Innen. Ist der Einstieg ber die vielfltigen neuen

    Zugangsmglichkeiten vollzogen, lsst sich feststellen, dass die

    Szene der neue Lebensmittelpunkt fr die Akteur_innen wird und es

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    http://aib.nadir.org/http://aib.nadir.org/
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    mehr als genug Mglichkeiten gibt, diese wie selbstverstndlich in

    den Alltag zu integrieren. Seien es eigene und subkulturell wirkende

    Modemarken, die neonazistische Ideologie hug deutlicher und

    hipper nach auen tragen als die Bomberjacke, oder die gemeinsame

    Freizeitgestaltung in Form von Ausgen, Sportveranstaltungen,Demonstrationen oder Musikveranstaltungen. Kein Oberkrper-Frei-

    Tanz von Kahlrasierten, sondern vegane Kche und sauber

    produzierter Hatecore. Neonazi zu sein wird immer mehr zum

    Allround-Lebensentwurf. Einige dieser Mglichkeiten rechter

    Lebenswelten sollen anhand ausgewhlter Beispiele in dieser Ausgabe

    von kritisch-lesen.de genauer dargestellt werden.

    Um angesichts des Auftretens sogenannter Autonomer Nationalisten

    (AN) nicht in hug zu kurz greifende und vorschnell formulierte Aussagen ber eine neue Gefahr der neonazistischen Szene zu

    spekulieren, ist gut recherchiertes Hintergrundwissen notwendig. Die

    wissenschaftlich und journalistisch gut herausgearbeitete Mglichkeit

    hierfr sieht Gabriel Kuhn im Sammelband Autonome Nationalisten.

    Tompa Lska beschreibt in ihrem Beitrag Es geht um Symbole und

    Begrie am Beispiel Sachsen-Anhalts und der dort vielfltig aktiven

    neonazistischen Hardcore-Szene, die in der Broschre Sirens of hate

    aufgezeigt wird, wie gerade die Musik eine groe Anziehungskraftauf jugendliche AN ausbt. Die Verbindung von Mnnlichkeit, Alkohol

    und Hochschulwesen beschreibt Andrea Strbe in Enge Bande. Dort

    arbeitet sie den Appell der Autoren des Bandes

    Studentenverbindungen in Deutschland heraus, die elitren und

    rassistischen Sichtweisen mit klarem Blick zu betrachten, um Kritik an

    studentischen Verbindungen fundiert uern zu knnen. Der Prmisse

    extrem Rechter, "national befreite Zonen" zu schaen und der

    Thematik der "Angstrume" widmet sich Klaus Maria in Jede Tat hat

    ihren Tatort. Eine weitere neonazistische Lebenswelt ndet sich seitmehreren Jahrzehnten im Fuball. Gabriel Kuhn beschreibt in dem

    Beitrag zu dem Buch "Angri von Rechtsauen" nicht nur

    Etablierungsmglichkeiten der extremen Rechten in den mehrheitlich

    unteren Ligen sowie das verbindende Element von Mnnlichkeit und

    Gewalt, sondern zeigt zugleich linke Perspektiven auf. Weitere ltere

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    und aktuelle Bcher zum Thema ndet ihr in unserem Archiv in der

    Kategorie Faschismus Neonazismus.

    Fern von unserem Schwerpunkt ndet ihr dieses Mal folgende aktuelle

    Rezensionen: Fritz Gde widmet sich aus aktuellem Anlass inHistorikerstreit: Splwasser im Cocktailglas! Bitte selber saufen dem

    25. Jubilum des Historikerstreits. Er nutzt die Gelegenheit, das

    aktuell vom Extremismusexperten Brodkorb herausgegebene Buch

    Singulres Auschwitz? kritisch zu betrachten und einige

    grundstzliche Gedanken zum Thema Singularitt anzubringen. Mehr

    vom rechtsliberalen Rand berichtet Michael Lausberg in seiner

    Rezension Rechtsruck der nordrhein-westflischen FDP 1945-1953

    und blickt mit dem Buch Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr

    von Kristian Buchner zurck zur Nachkriegsgeschichte der FDP, derenSpitze sich sehr engagiert um die Einbindung ehemaliger

    Nationalsozialisten bemhte. Bei dem neu gegrndeten Laika-Verlag

    erschien auerdem jngst in der Bibliothek des Widerstands das

    Buch Mumia Abu-Jamal. Der Kampf gegen die Todesstrafe und fr die

    Freiheit der politischen Gefangenen. Diesem hat sich Thomas Trueten

    angenommen und betont in seiner Rezension Der Kampf um das Leben

    von Mumia Abu Jamal die Wichtigkeit der Solidaritt im Kampf gegen

    die Todesstrafe. Im bertragenen Sinn um Repression geht es auchin unserer letzten Rezension. In dem Buch PKK. Perspektiven des

    kurdischen Freiheitskampfes: Zwischen Selbstbestimmung, EU und

    Islam wird die Geschichte und aktuelle Politik der PKK behandelt.

    Ismail Kpeli widmet sich diesem Buch in Ferner Krieg in den Bergen

    Anatoliens? und bezeichnet es, auch wenn es Mngel aufweise, als

    Pichtlektre fr alle, die sich mit dem Thema auseinandersetzen.

    Und erneut sei an dieser Stelle auf unseren Newsletter hingewiesen.

    Wer immer rechtzeitig ber die neuste Ausgabe informiert werdenmchte, die_der trage seine_ihre mail-Adresse in der echten Spalte ein.

    Viel Spa beim kritischen Lesen!

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    http://www.kritisch-lesen.de/kategorie/rezensionen/faschismus-neonazismus/http://www.kritisch-lesen.de/2011/09/historikerstreit-spulwasser-im-cocktailglas-bitte-selber-saufen/http://www.kritisch-lesen.de/2011/09/rechtsruck-der-nordrhein-westfalischen-fdp-1945-1953/http://www.kritisch-lesen.de/2011/09/der-kampf-um-das-leben-von-mumia-abu-jamal/http://www.kritisch-lesen.de/2011/09/der-kampf-um-das-leben-von-mumia-abu-jamal/http://www.kritisch-lesen.de/2011/09/ferner-krieg-in-den-bergen-anatoliens/http://www.kritisch-lesen.de/2011/09/ferner-krieg-in-den-bergen-anatoliens/http://www.kritisch-lesen.de/2011/09/ferner-krieg-in-den-bergen-anatoliens/http://www.kritisch-lesen.de/2011/09/ferner-krieg-in-den-bergen-anatoliens/http://www.kritisch-lesen.de/2011/09/der-kampf-um-das-leben-von-mumia-abu-jamal/http://www.kritisch-lesen.de/2011/09/der-kampf-um-das-leben-von-mumia-abu-jamal/http://www.kritisch-lesen.de/2011/09/rechtsruck-der-nordrhein-westfalischen-fdp-1945-1953/http://www.kritisch-lesen.de/2011/09/historikerstreit-spulwasser-im-cocktailglas-bitte-selber-saufen/http://www.kritisch-lesen.de/kategorie/rezensionen/faschismus-neonazismus/
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    Alte PAlte Poliolitik in neuen Kleiderntik in neuen Kleidern

    Jan Schedler / Alexander Husler (Hg.)

    Autonome NationalistenNeonazismus in Bewegung

    Von Gabriel Kuhn

    Das Auftauchen der Autonomen Nationalisten hat Linke wie Rechte

    verwirrt. Revolution in Nazi-Kreisen? Querfront? Aprilscherz? Einneuer Band zum Thema hilft, diese und hnliche Fragen zu

    beantworten.

    Rechte, die wie Linke aussehen, ihre Symbole und Taktiken verwenden

    und gelegentlich auch noch von Tierrechten oder Konsumkritik

    sprechen? Sptestens seit anlsslich einer 1.-Mai-Demonstration in

    Hamburg 2008 ein Schwarzer Block selbstidentizierter Autonomer

    Nationalisten (AN) starkes mediales Interesse auf sich zog, bemhen

    sich AktivistInnen des gesamten politischen Spektrums,

    AkademikerInnen und FeuilletonistInnen das Phnomen zu erklren

    und politisch einzuordnen. Dies hat neben zahlreichen Spekulationen

    auf Blogs, Diskussionen in Internetforen und mehr oder weniger gut

    recherchierten Artikeln zu einem empfehlenswerten Einfhrungsband

    mit dem Titel Autonome Nationalisten. Die Modernisierung

    neofaschistischer Jugendkultur gefhrt, der 2009 von Jrgen Peters

    und Christoph Schulze herausgegeben und in der transparent-Reihe

    des Unrast-Verlags verentlicht wurde. Eine "umfassendewissenschaftliche Auseinandersetzung" (S. 11) mit dieser "sthetisch-

    stilistischen und strategisch-aktionistischen Neuerung im deutschen

    Neonazismus" (S. 320) war jedoch in den Augen von Jan Schedler und

    Alexander Husler noch ausstndig. Die Herausgeber des nun im VS-

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/gabriel-kuhn/http://www.kritisch-lesen.de/author/gabriel-kuhn/
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    Verlag erschienenen Bandes Autonome Nationalisten. Neonazismus in

    Bewegung formulieren daher in ihrer Einleitung den Anspruch,

    "dieses Forschungsdesiderat zu fllen mittels einer

    dezidierten Beschreibung und Analyse der AN sowie einerbreit angelegten sozialwissenschaftlichen und

    sozialhistorischen Kontextualisierung der

    Entwicklungsprozesse im neonazistischen Lager" (S. 12).

    Um es vorwegzunehmen: Der Anspruch wird eingelst. Den ber

    zwanzig im Band versammelten SozialwissenschaftlerInnen und

    JournalistInnen gelingt es auf 320 Seiten, die Erforschung des AN-

    Phnomens wesentlich voranzutreiben. Erfreulich dabei ist, dass die

    Beitrge allesamt engagiert und anregend sind und sich nie auftrockene Wissenschaftlichkeit beschrnken. Erfreulich auch, dass die

    Herausgeber nicht in die Extremismusfalle tappen, der zufolge die

    AN in einem Kontinuum mit "Linksautonomen" und "islamischen

    Fundamentalisten" zu untersuchen wren, whrend die vermeintliche

    moralische und politische Redlichkeit des brgerlichen Rechtsstaats

    verteidigt wird. Die bereits in der Einleitung explizierte Distanz zum

    neuen intellektuellen Liebkind des demokratischen Schutzwalls, der

    "Extremismusforschung", wird in Alexander Huslers Beitrag "'Nhe

    zum Gegner' und 'Brder im Geiste'? Die 'Autonomen Nationalisten' im

    Spiegel der Extremismusforschung" noch vertieft.

    "Rcklufig"? H"Rcklufig"? Hooffffenentlichtlich

    Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert. In Genese wird die

    Entwicklung der Autonomen Nationalisten von dem Auftauchen erster

    AN-Gruppen im Jahr 2000 bis zu den heute etablierten AN-Strukturen

    nachgezeichnet. In Analyse werden die Charakteristika der AN, vor

    allem die Modernisierung rechtsextremer Jugendkultur und die

    deutlichen sthetischen und zum Teil auch inhaltlichen Anleihen an

    die linke Szene, untersucht. Die Beitrge von Jan Schedler, "Style

    matters: Inszenierungspraxen 'Autonomer Nationalisten'", bzw. Fabian

    Virchow, "'Deutschland wird funkeln wie der junge Tau am Morgen'.

    Selbstbilder und Weltanschauungen der 'Autonomen Nationalisten'"

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    dienen dabei als ausgezeichnete Einfhrungstexte. Sehr interessant

    auch der Beitrag von Eike Sanders und Ulli Jentsch zum Thema "AN

    und gender", der sich mit dem Spannungsfeld zwischen

    jugendkultureller Aufweichung und ideologischer Zementierung

    befasst, in dem Gender in der AN-Szene verhandelt wird.

    In Regionale Entwicklungen wird die Prsenz und Aktivitt von AN-

    Gruppen quer durch Deutschland ausgelotet. Jan Schedler schtzt in

    "Brennpunkt Nordrhein-Westfalen: 'Autonome Nationalisten' in

    Ruhrgebiet und Rheinland" die dortige AN-Szene als "im bundesweiten

    Kontext tonangebend" ein (S. 195), whrend Christoph Schulze in

    "'Autonome Nationalisten' in Ostdeutschland" die verhltnismig

    schwachen AN-Strukturen in den neuen Bundeslndern skizziert.

    Letzteres mag angesichts der allgemein starken rechten Jugendkulturen in der Region berraschen, doch ist es womglich

    gerade die Etabliertheit der "sich 'Freie Krfte' nennenden

    'Kameradschaften'", die nur einen "eingeschrnkten Bedarf nach dem

    distinktionsstarken Label 'Autonome Nationalisten' schat" (S. 228).

    Abschlieend befasst sich das Kapitel auch mit der Adaption des AN-

    Modells in anderen europischen Lndern, vor allem in den

    Niederlanden und in der Tschechischen Republik.

    In Historische Bezge werden die AN-Analysen schlielich durch

    Texte zur breiteren Faschismusforschung ergnzt. Daniel Schmidt

    schreibt ber "Gewaltpraxis und Gewaltkult in der SA", Karin Priester

    ber "sthetik und Propaganda im italienischen Faschismus" und

    Regina Wamper, Michael Sturm und Alexander Husler ber die

    "Aneignungspraktiken der 'Autonomen Nationalisten' in historischer

    und diskursanalytischer Perspektive".

    Autonome Nationalisten. Neonazismus in Bewegung ist gutkonzipiert, mit ausgezeichneten Beitrgen versehen und, wie

    versprochen, umfassend. Ob sich die AN als bleibendes Phnomen

    im Spektrum rechtsextremer Politik etablieren knnen, muss sich erst

    zeigen. Die Herausgeber meinen in ihrem "Fazit" am Ende des Buches,

    dass "das Label AN [] mittlerweile rcklug" sei (S. 318).

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    Nichtsdestotrotz indizieren die Autonomen Nationalisten

    Vernderungen in der neonazistischen Szene und verdeutlichen die

    oft ungeahnten identitren Mglichkeiten, die postmoderne

    Gesellschaftsverhltnisse an der Schnittstelle politischer und

    subkultureller Verortung mit sich bringen. Insofern ist die vorgelegteStudie in jedem Fall von bleibendem Wert.

    Jan Schedler / Alexander Husler (Hg.) 2011: Autonome Nationalisten.

    Neonazismus in Bewegung. VS Verlag, Wiesbaden.

    ISBN: 978-3-531-17049-7. 328 Seiten. 34.95 Euro.

    [Link zum Artikel]

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    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2853http://www.kritisch-lesen.de/?p=2853
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    Es gehEs geht um St um Symbole und Begriffymbole und Begriffee

    Miteinander e.V. / Arbeitsstelle Rechtsextremismus

    (Hg.)Sirenen des HassesNS-Hardcore aus Sachsen-Anhalt

    Von Tompa Lska

    Diese Broschre zeigt, wie die Nazi-Musikszene Symboliken aus dem

    Bereich des Hardcore bernimmt und diesen inkognito mehr und mehr

    fr sich einnimmt.

    In der Broschre Sirenen des Hasses wird ber die

    N(ational)S(ocialist)H(ard)C(ore)-Szene in Sachsen-Anhalt informiert.

    Gerade Magdeburg und Umgebung gilt neben Altenburg in Sachsen,

    aus der die neonazistischen Hardcore-Bands Moshpit und Brainwash

    stammen, als eine Hochburg dieser NS-Subkultur. Neben vielen

    bekannten Bands wie Daily Broken Dream (Ex-Race Riot) und Fear

    Rains Down beherbergt die Landeshauptstadt auch das umtriebige

    NSHC-Label Until The End Records. Verlegt wurde auf diesem Label

    unter anderen der vielbeachtete Hardcore Until The End-Sampler,

    der szeneintern fr sehr viel Aufsehen sorgte und durch sein

    unaulliges Erscheinungsbild sicher auch den Weg in das CD-Regal

    von so manchem unpolitischen Hardcore-Fan gefunden hat. Neben

    Erluterungen zu den einzelnen Bands bereitet die Broschre auch die

    Geschichte der klassischen Hardcore-Szene auf und zeigt bereits bei

    frhen Hardcore-Punk-Bands ideologische Anknpfungspunkte fr erz-

    konservative und antikommunistische Attitden.

    Ich bin der Meinung, dass gerade Musik wie unsere,

    die ihre Vorbilder doch allesamt auerhalb der rechten

    Szene ndet, nicht zwangslug extreme Polit-Texte

    braucht, um Wirkung zu zeigen: Schon oft habe ich

    begeisterten Zuspruch von Leuten aus der Hardcore-

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/tompa-laska/http://www.kritisch-lesen.de/author/tompa-laska/
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    Szene bekommen, wenn ich ihnen CDs wie die von

    Teardown oder Path Of Resistance gab. Dadurch kam man

    auch ins Gesprch ber Politik. Inzwischen sind einiger

    dieser Leute selbst in der nationalen Bewegung aktiv.

    Maik (Ex-Race Riot, jetzt Daily Broken Dream)

    Dieses Zitat des Bassisten der Magdeburger NSHC-Band Daily Broken

    Dream legt die Strategie oen, die seit einigen Jahren in der

    neonazistischen Szene betrieben wird. Nicht nur stilistische, sondern

    teilweise auch inhaltliche Schnittmengen zur klassischen Hardcore-

    Szene werden bewusst herbeigefhrt, um nicht auf den ersten Blick

    schon als Neo-Nazi zu gelten, obwohl man natrlich genau das ist. Es

    geht um Symbol- und Begrisaneignung. Es geht darum die sthetik

    der ehemals als links geltenden Subkultur zu deuten. Auch wenn dasThema des sogenannten Hatecore, bzw. des NSHC an anderer Stelle

    oft schon erschpfend behandelt wurde, bemerkt man doch in der

    Debatte oft Lcken, die manchmal mit Ignoranz, aber meist mit der

    schnellen Entwicklung dieser Szene zu tun haben. Immer mehr Bands

    mit immer schwerer zu durchschauenden Symboliken scheinen die

    Szenerie geradezu zu berschwemmen. Oft fallen die T-Shirts

    einschlgiger rechter Bands gar nicht mehr auf, da auch die Designs

    von Hardcore-Bands kopiert werden. Man ist verloren. Wenn man sichnicht gerade tglich mit dieser Thematik beschftigt, wei man bald

    nicht mehr ob der Bandname auf dem T-Shirt des Gegenbers jetzt

    vielleicht nicht doch irgendwie rechts ist.

    Zu dieser Unbersichtlichkeit kommt noch die Ambivalenz in den

    rechten Lebenswelten hinzu. Man bedient sich linker Symboliken und

    Begriichkeiten und ist von auen nicht mehr einzuordnen. Durch

    einfaches Wechseln des Band-Shirts kann man sich z.B. auf einem

    Hatebreed-Konzert im berliner SO36 genauso wohl fhlen, wie beimNS-Konzert in einer eigens dafr angemieteten Gaststtte in der

    brandenburgischen Provinz. Aus dem Mangel an technisch guten

    Bands musste man viele Jahre auf die verhassten Zeckenbands

    ausweichen, wenn auch mal gut gespielte Musik gehrt werden wollte.

    Diese Aspekte lassen sich in diversen Konzertberichten und anderen

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    Beitrgen in den einschlgigen Neo-Nazi-Foren nachlesen. Da gibt es

    auch keine Berhrungsngste, fr die besonderen Gelegenheiten, mal

    ein T-Shirt einer antifaschistischen Band wie Heaven Shall Burn zu

    tragen. Dies vernderte sich nicht schlagartig, aber vergleicht man

    Bands der vergangenen 3-4 Jahre mit den Rechts-Rock-Bands der1990er, so ist ein stetiger Professionalisierungsprozess zu verzeichnen,

    der wiederum zu einer strkeren Bindung der Zielgruppe fhrte.

    Gerade NSHC-Bands wie Moshpit (Altenburg), oder Path Of Resistance

    (Rostock) muss man, bei aller Abneigung gegen ihre Geisteshaltung,

    schon ein gewisses spielerisches Knnen zugestehen. Auch das

    Artwork und die Texte sind fast nicht mehr von denen linker

    Hardcore-Bands zu unterscheiden. Textliche Entschrfungen und die

    bernahme des rebellischen Gestus und Styles der Hardcore-Szene

    tragen ihr briges zum relativen Erfolg dieser Bands bei. Es heit

    nicht mehr nur, wie noch vor 20 Jahren, Trken raus oder Barbecue

    in Rostock, vielmehr wurden subtilere Wege gefunden um

    Antisemitismus und Rassismus zu propagieren.

    Die Herausgeberin der Broschre, der Bildungsverein Miteinander

    e.V., leistet mit der Broschre eine sehr gute Arbeit im Sinne der

    entlichmachung von Strukturen und der Informationen ber die

    vielen jugendkulturellen Codes und Symboliken, die Erwachsene nichtmehr verstehen wollen oder knnen. Hier werden dierenzierte

    Informationen ber die Zusammenhnge der Strukturen der NSHC-

    Szene gegeben, die fr viele Neonazis identittsstiftend sind und die

    Mglichkeit verschat, ihre Ideen in die entlichkeit zu tragen, ohne

    mit dem Stigma der Neo-Nazi-Skins der 1990er Jahre behaftet zu

    sein. Gerade fr Leute, die nicht aus einem subkulturellen Umfeld

    kommen, hat diese Broschre einen besonderen Wert. So kann schon

    frhzeitig - im sogenannten vorpolitischen Raum erkannt werden,

    wo man mit pdagogischer Arbeit ansetzen kann. Denn auch fr dieseMultiplikatoren ist die Broschre, als Teil der pdagogischen

    Auseinandersetzung mit der Einussnahme neonazistischer

    Jugendlicher auf unterschiedlichste Subkulturen und somit einem

    wichtigen Bereich jugendlicher Lebenswelten, gedacht. Auch wenn

    eine Broschre allein kein Allheilmittel darstellen kann, enthlt sie

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    dennoch wichtige Informationen, die in der antifaschistischen Arbeit

    von groem Wert sein knnen.

    Miteinander e.V. / Arbeitsstelle Rechtsextremismus (Hg.) 2010:

    Sirenen des Hasses. NS-Hardcore aus Sachsen-Anhalt. Miteinandere.V..

    25 Seiten.

    [Link zum Artikel]

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    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2855http://www.kritisch-lesen.de/?p=2855
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    Enge BandeEnge Bande

    Felix Krebs / Jrg Kronauer

    Studentenverbindungen in DeutschlandEin kritischer berblick aus antifaschistischer Sicht

    Von Andrea Strbe

    Die Autoren ermglichen Einblicke in das Innenleben und Denken vonStudentenverbindungen.

    Dieses Jahr zu Pngsten feierte in Eisenach die Deutsche

    Burschenschaft (DB), Dachverband vieler Verbindungen, den

    Burschentag. Auf diesem sollte der Antrag einer Burschenschaft

    eingebracht werden, der forderte, dass die in der Verbandsverfassung

    festgehaltene Bedingung zur Mitgliedschaft - das Teilen eines

    gemeinsamen Schicksals - die deutsche Abstammung beinhalte.

    Desweitern war die Forderung, eine andere Verbindung aus dem Verband auszuschlieen, da diese einen chinesischstmmigen

    Studenten aufgenommen habe (Nebst vielen anderen geleakten

    Burschentag-Dokumenten nachzulesen in den Tagungsunterlagen

    Burschentag 2011 auf linksunten.indymedia.org - ab S. 51). Der DB

    distanzierte sich nicht von der entlichen Kritik, sondern spielte sich

    in die Opferrolle; ein Antrag sei ja noch kein Beschluss und man knne

    nicht die Meinung mancher als die Meinung eines ganzen Verbandes

    werten. Die Meinung mancher? Sind rassistische und vlkisch-nationalistische Haltungen in Studentenverbindungen wirklich die

    Ausnahme und nicht reprsentativ fr ein Gros der Verbnde? Um

    dieser Frage nachzugehen, lohnt es sich, einen Blick in das Bndchen

    Studentenverbindungen in Deutschland von Felix Krebs und Jrg

    Kronauer zu werfen, das krzlich in der Unrast transparent-Reihe

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/andrea-struebe/http://linksunten.indymedia.org/de/node/41598http://linksunten.indymedia.org/de/node/41598http://www.kritisch-lesen.de/author/andrea-struebe/
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    erschien. Auf knapp 60 Seiten stellen die Autoren bereit, was sie

    im Untertitel versprechen: Einen kritischen berblick aus

    antifaschistischer Sicht, der Fakten liefern soll aus den schwer

    zugnglichen Studentenverbindungsszenen.

    SStrukturtrukturenen

    Einfhrend erlutern Krebs und Kronauer die wichtigsten Begrie

    und Strukturen, mit und in denen sich Studentenverbindungen, auch

    Korporationen genannt, bewegen. Die Tradition des

    Verbindungswesens in Deutschland und sterreich ist gut 200 Jahre

    alt und wird umfassend gepegt. Derzeit sind in 900 Verbnden in

    Deutschland und sterreich rund 19.000 Studierende und 137.000

    Alte Herren und Damen gezhlt. Zu dem Regelwerk, dem Comment,gehren das Lebensbundprinzip (lebenslange Mitgliedschaft), das

    Conventsprinzip (Basisdemokratie) und in vielen Verbindungen das

    Schlagen von Mensuren, einem Fechtkampf, der die Tapferkeit der

    fast ausschlielich mnnlichen Verbndeten unter Beweis stellen soll.

    Unterschiede bei den Verbindungen (katholische und christliche

    Verbindungen, Corps, Burschenschaften, Turnerschaften etc.) und

    ihren Dachverbnden (DB, Coburger Convent etc.) gibt es hinsichtlich

    der religisen und politischen Orientierung, der Bruche und

    Prinzipien und der sportlichen und musischen Aktivitten. Das Tragen

    oder Fhren von Farben (Band und Mtze) und das Schlagen von

    Mensuren sind ebenfalls verbindungsabhngig.

    Ein wichtiger Brauch der Korporationen ist die Kneipe - ein schlichtes

    Besufnis, jedoch von groer Gemeinsamkeit stiftender und

    erzieherischer Bedeutung, weil zahlreiche Trinkregeln im

    Biercomment festgelegt sind. Oder der Kommers - Veranstaltungen,

    bei denen ein Festredner geladen ist (nicht selten aus Reihen derextrem Rechten) und bei denen der Alkoholkonsum genauso wichtig

    ist, Hierarchien und Autoritten mssen trotz Volltrunkenheit

    anerkannt und beibehalten werden, eine gewnschte bung in

    Selbstdisziplin.

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    SchlagseiSchlagseite nach rte nach rechechtsts

    Die DB erklrte schon vor vier Jahrzehnten die Zugehrigkeit in einer

    Burschenschaft nicht fr unvereinbar mit einer NPD-

    Parteimitgliedschaft. Demnach und der ideologischen Ausrichtung des

    Verbands entsprechend gibt es einige Burschenschaftler, die in der

    NPD oder anderen extrem rechten Organisationen aktiv sind. Die

    jngsten Auseinandersetzungen um die DB erstaunen also nicht.

    Kronauer und Krebs stellen fest, dass das Spektrum an politischen

    Haltungen in den verschiedenen Korporationen von liberal ber

    konservativ hin zu vlkisch reicht, berschneidungen personeller und

    ideologischer Art mit neofaschistischen Gruppierungen jedoch in

    geringer Anzahl verbleiben. Deshalb unterstreichen die Autoren die

    Notwendigkeit eines dierenzierten Blicks, um Kritik auch fundiertuern zu knnen. (S. 19) Denn dem Vorwurf der Pauschalisierung

    seitens der Verbindungen sollte nicht recht gegeben werden.

    Der Verband, der immer wieder durch Beziehungen zur extrem

    Rechten aullt, ist der DB. In diesem grndete sich 1961 die

    Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG) aus dem rechten Flgel als

    Fraktion. Dieser gehren mittlerweile 45 Burschenschaften aus

    Deutschland und sterreich an. Die BG pegt enge Kontakte zur NPD

    und zur sterreichischen FP. In ihrem Grndungsprotokoll bekenntsie sich zum volkstumsbezogenen Vaterlandsbegri (S. 50) und geht

    davon aus, dass durch die an Polen bertragenen Gebiete eine

    einseitige Verletzung des Vlkerrechts vorliegt (S. 51), da dies aus

    deutscher Perspektive nicht freiwillig geschah. Auch auerhalb

    dieses Verbands feiern zahlreiche Burschenschaften zum Jubilum der

    Reichsgrndung 1871 sogenannte Reichsgrndungskommerse und

    auf den Internetseiten einiger Verbindungen ndet sich das Lied der

    Deutschen. Diese Beispiele werden von Kronauer und Krebs um vieleweitere erweitert und liefern Indizien dafr, dass es in vielen

    Burschenschaften nicht bei konservativem Dnkel verbleibt. Doch ist

    dies nicht bei allen so, und so erstaunt die Autoren vor allem,

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    dass sich die konservativen und liberalen Verbnde zu

    wenig entlich von ihren vlkischen und extrem rechten

    Verwandten abgrenzen, stattdessen zu deren politischer

    Einstellung schweigen oder sogar mit ihnen in vielfltiger

    Weise kooperieren. (S. 19)

    Ein einziges Beispiel fr eine konsequente Distanzierung wird an

    dieser Stelle angebracht: Als es Teilen der DB durch die Aktivitten

    der BG zu rechtslastig wurde, traten einige Verbindungen aus und

    grndeten die Neue Deutsche Burschenschaft (NBD). Die SPD

    hingegen scheiterte klglich an einem Beschluss zur Unvereinbarkeit

    von Parteimitgliedschaft und Mitgliedschaft in einer Burschenschaft,

    woran mitunter hohe Funktionre, die beidem angehren, beteiligt

    waren. Die Distanzierung von vlkischen oder extrem rechtenVerbindungen scheint oftmals tatschlich nicht gewollt. Was schon

    sehr fr sich spricht. Grund dafr mag neben personeller

    Verstrickung auch die hochgehaltene Solidaritt sein, mit der die

    Verbindungen sich gegen Kritik von auen und Selbstreexion wehren.

    Da erscheint es doch fast merkwrdig, dass sich Verbnde wie der

    Coburger Convent und andere seit den neusten Ereignissen um den

    DB entlich von diesem distanzieren. Vielleicht fanden sie in diesem

    rassistischen Verband ein gefundenes Fressen, um sich selbst zurehabilitieren. Dieser Verdacht der Instrumentalisierung liee sich

    vielleicht noch durch die Information aus dem Buch erhrten, dass

    schon lngst einige Dachverbnde nur Mitglieder aufnehmen, die

    deutscher Abstammung sind. (S. 44)

    GeschichGeschichtsrtsrevisioevisionismnismus und Deuus und Deutschtschtmeleitmelei

    Die im 19. Jahrhundert entstandenen studentischen Korporationen

    dienen den heutigen Verbindungen als Vorbild. Die Burschenschaften,die sich aus den Kriegen Anfang des 19. Jahrhunderts

    zusammenschlossen, waren von dem Wunsch beseelt, einen deutschen

    Nationalstaat zu schaen. Die vlkische Orientierung war von Beginn

    an stark prsent und mndete sehr bald in einen ausgeprgten Hass

    gegen den franzsischen Gegner und im Antisemitismus. 1920 fasste

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    der DB den Beschluss, dass nur deutsche Studenten arischer

    Abstammung, die sich oen zum Deutschtum bekennen, in die

    Burschenschaft aufgenommen werden. (S. 27)

    Der Verband der Vereine Deutscher Studenten (VVDSt), vertrat, wieviele andere Korporationen, eine aggressive Deutschtums-Politik (S.

    28) und stellte die Erhaltung des Deutschthums (S. 29) und die

    enge Bindung der deutschsprachigen Gebiete im Ausland an oberste

    Stelle der Agenda. Eine Politik, die bis heute eine groe Rolle in

    Verbindungen spielt: Burschenschaftler sorgen sich nicht nur um

    Deutschtum, Volk und Vaterland heute, sondern auch um den Ruf

    des verblichenen Deutschen Reichs (S. 52), konstatieren Krebs und

    Kronauer. So spielt die Deutschtums-Politik nach wie vor in vielen

    Verbindungen eine groe Rolle. Dabei geht es tatschlich um eineblutliche Abstammungsgemeinschaft und die Ansicht, diejenigen

    Gebiete in Europa, in denen Deutsch als Muttersprache gesprochen

    wird, bildeten einen besonderen Kulturraum und mssten sich durch

    besonders enge Beziehungen verbinden. (S. 44) Deshalb pegen nicht

    nur der VVDSt und der DB enge Beziehungen zu Verbindungen in

    sterreich und zu einigen Vertriebenenverbnden, um Einuss auf

    die ehemaligen Ostgebiete zu nehmen und die deutschsprachigen

    Minderheiten zu schtzen.

    EliElitekult und Atekult und Auutotoriritarismtarismusus

    Die Studentenverbindungen sind durch klare, autoritre Hierarchien

    organisiert und das Lebensbundprinzip festigt

    generationsbergreifende Zusammenhnge. Der verbindungstypische

    Habitus wird durch zahlreiche Prinzipien, Wertesysteme und Regeln

    anerzogen. Dabei stehen die Persnlichkeitsentwicklung und die

    Verinnerlichung des Corpsgeistes im Vordergrund. Allein dieWeisung der ritterlichen Verhaltensweisen stellt eine elitre Haltung

    dar, die die Mitglieder einer Verbindung von den nicht-korporierten

    abheben soll. Und auch wenn Studentenverbindungen nicht mehr den

    Einuss an den Universitten haben wie einst, haben sie sich

    betrchtlichen Einuss bewahrt (S. 36). Noch vor zehn Jahren waren

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    20 Prozent aller deutschen Vorstandsmitglieder in einer Verbindung.

    Die Mitgliedschaft in einer Verbindung kann also per Seilschaften

    immer noch eine Einstiegshilfe in elitre Berufssegmente bedeuten.

    Auch ranghohe Politiker wie Jrgen Rttgers und Peter Ramsauer

    sowie zahlreiche mediale Persnlichkeiten gehren Verbindungen an.Allein der zahlreichen Namensnennungen wegen lohnt sich ein Blick in

    das Buch.

    Die Autorittsxierung, die von einem natrlichen Oben und Unten

    ausgeht, ist allen Mnnerbnden gemein und soll mglichst

    unhinterfragt bleiben. Zum idealen Mnnerbild der vlkisch

    orientierten Ideologie gehrt der wehrhafte Mann, der Autoritten

    gehorcht. Der Mnnlichkeitskult wird vor allem in schlagenden

    Verbindungen gefeiert, in denen whrend der Zeit der Aktivitas(whrend des Studiums) Mensuren gefochten werden mssen. Bei dem

    Kampf mit scharfen Waen geht es um berwindung von Angst und

    um das Einstehen fr die eigene Korporation (S. 11). Deshalb sei

    er ein Mittel () der Persnlichkeitsbildung und dient () dem

    Schutz vor angeblicher Verweichlichung und Verweiblichung(S.

    11).

    Das Frauenbild in den mnnlichen Verbindungen ist geschlossen

    sexistisch. In diesem Sinne haben Damenverbindungen kaum

    Bedeutung bei ihren mnnlichen Pendants, sind in keinem

    Dachverband organisiert und auch Seilschaften funktionieren

    aufgrund der kurzen Lebensdauer der meisten Verbindungen nicht.

    Frauen spielen in den Burschenschaften meist die Rolle der

    schmckenden Couleurdame (S. 18) des Sexualobjekts und der

    Ehefrau.

    Das Buch liefert viele Hintergrnde und Fakten zu denStudentenverbindungen in Deutschland, die wohl meistens hinter

    verschlossenen Vereinstren verbleiben. Aufgrund der Dichte und der

    sprachlichen Einfachheit sind viele Informationen entnehmbar und so

    eignet sich das Bndchen tatschlich sehr als Einstiegshilfe und zum

    Immer-wieder-nachschlagen. Und so liefert das Buch, obwohl es

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    keinen Ausblick oder Handlungsperspektiven nennt, doch genau das:

    Aufdecken und Aufklren fr eine antifaschistische Position, die die

    Verbindungen in Erklrungsnot zwingt und aus ihrer elitren

    Abgeschlossenheit herausholt.

    Felix Krebs / Jrg Kronauer 2010: Studentenverbindungen in

    Deutschland. Ein kritischer berblick aus antifaschistischer Sicht.

    Unrast Verlag, Mnster.

    ISBN: 978-3-89771-107-5. 80 Seiten. 7.80 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 18 von 49

    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2857http://www.kritisch-lesen.de/?p=2857
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    JJede Tede Tat hat ihrat hat ihren Ten Tatoatortrt

    Christoph Schulze / Ella Weber (Hg.)

    Kmpfe um RaumhoheitRechte Gewalt, "No Go Areas" und "National befreite Zonen"

    Von Klaus Maria

    Ein kleines Bchlein, das zeigt, wie erfolgreich extrem Rechte Rumeauch in den Kpfen besetzen und wie wichtig es ist, diese

    zurckzuerobern.

    Die Begrie national befreite Zone (NBZ) oder No Go Area sind

    fast jedem in unserem Sprach- und Bildungsraum bekannt. Beiden

    ist gemein, dass sie als Angstrume behandelt werden. Der Begri

    NBZ nimmt die Sicht der nazistischen Tter_innen, die No Go Area

    die Auenstehender und der Angstraum geht von der

    Betroenenperspektive aus. Es ist eine Frage der Perspektive, werwelchen Begri fr eine Verortung von gefhlsbesetzten Rumen

    verwendet. Den Gemeinsamkeiten und Problematiken dieser Begrie

    und ihrer Verwendung in den Medien widmet sich das in der Unrast

    transparent-Reihe "rechter Rand" erschienene Buch Kmpfe um

    Raumhoheit. Rechte Gewalt, No Go Areas und National befreite

    Zonen.

    Es erscheint wie der Versuch eines Brckenschlags, bei dem Christoph

    Schulze und Ella Weber die theoretische und die praktische Seite des

    Konzeptes der national befreiten Zone innerhalb und auerhalb der

    Rechten greifen und beleuchten.

    Hierfr ziehen sie drei Ausarbeitungen von Thomas Brk und Uta

    Dring heran.

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/klaus-maria-2/http://www.kritisch-lesen.de/author/klaus-maria-2/
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    Brk ist eher dem raumtheoretischen Ansatz zugewandt, wobei sich

    Dring mit den Aspekten in Praxis und Alltag beschftigt.

    Einfhrend sind kurze Schilderungen anonymer Personen aus der

    Betroenenperspektive angefhrt. Sie verdeutlichen die eindringlicheund hug nachhaltige Wirkung der zumeist spontan ausgefhrten

    Taten (S. 15). So beschreibt ein Insasse eines Flchtlingsheims, wie

    die regelmigen bergrie seinen Bewegungsspielraum noch mehr

    einengten: Wenn ich einkaufen will, warte ich bis sich jemand anders

    auf den Weg macht. (S. 8) Auerdem wird klar, dass nicht nur

    der nonverbale Angri ein Gefhl der Unsicherheit schat, sondern

    die stndige Vermittlung der Ablehnung einen groen Anteil haben.

    Die Angst vor krperlicher Gewalt wurde schnell berlagert von

    Alltagsrassismus, der berall herrscht. Das belastet mehr, als einmalauf die Fresse zu kriegen. (S. 9)

    Die BegriffDie Begriffe NBZ, Ne NBZ, No Go Aro Go Area und Angstraumea und Angstraum

    Der Begri National befreite Zone (NBZ) entstammt der nationalen

    Rhetorik und etablierte sich in den frhen 1990ern durch verschiedene

    Szenemagazine. Nach Uta Dring ist er, wie so vieles, aus einer

    linken Terminologie entlehnt. Zum Beispiel rief das trotzkistische

    Revolutionre Volksheer (ERP) in Argentinien der 1970er () einebefreite Zone aus (S. 40). Die Konzeption seien schwerpunktmig

    Entlehnungen Mao Tse Tungs Revolutionstheorie und Ideen einer

    franzsischen Organisation namens Nouvelle Rsistance (S. 40).

    Eine konkrete Ausarbeitung aus deutscher Perspektive geschah um

    die Jahrtausendwende in der NPD-Zeitschrift Deutsche Stimme (S.

    41). Letztendlich wrde ein wirtschaftlich und politisch unabhngiges

    Territorium mit einer stetigen und umfassenden Einussnahme auf

    die Gesamtbevlkerung (S. 16) angestrebt. Es geht also nicht nur umein einschchterndes Element, extreme Rechte wollen in die Mitte

    der Gesellschaft und gehen in die freiwillige Feuerwehr, veranstalten

    Kinderfeste, Konzerte, Modenschauen oder ernen Bibliotheken wie

    in Anklam. berall dort, wo sie sich sicher genug fhlen knnen,

    nehmen sie (halb-)entlichen Raum ein und fangen an, das

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    Territorium zu beanspruchen. Ihre verstrkte Prsenz im entlichen

    Raum hat natrlich Wirkung auf Menschen, die in das gngige

    Feindbild passen. 2000 wurde der Begri NBZ zum Unwort des

    Jahres und erreichte, auch auerhalb der braunen Kpfe, eine breite

    entlichkeit.

    Nachdem in den 1990ern medial aufgearbeitet wurde, dass es Gebiete

    in der BRD gibt, in denen Rechte eine gewisse Dominanz im

    entlichen Raum fr sich beanspruchen, gelangte diese Information

    1998 auch in die englische Presse (S. 46). Hier sprach man aber nicht

    von der NBZ sondern von No Go Areas. (Massen-) Medien haben

    einen enormen Einuss auf unsere Wahrnehmung und den politischen

    Diskurs selbst. Ein besonderes Beispiel hierfr sind die 2006 erklrten

    No Go Areas in der BRD. Das bezeichnende hierbei ist, dass Medienden extrem Rechten diesmal zuvor kamen und die Naziterritorien

    kartographisch fr sie bestimmten, aufbereiteten und in die

    Wohnzimmer trugen.

    Der Ursprung der Begriswolke Angstraum lsst sich in den

    feministischen Debatten der 1980er Jahre verorten (S. 27, 37). Er

    befasst sich dem Sicherheitsempnden von Personen. Hierbei spielt

    die Beziehung zwischen Rumen und den individuellen

    Angsterlebnissen sowie den sozialen Interaktionen eine tragende

    Rolle. So sind Menschen, die Gewalterfahrungen durchleben mussten,

    hug traumatisiert und knnen an den betreenden Rumen eine

    Retraumatisierung erleben. Hier besteht die Gefahr, dass sich ein

    mentaler Stadtplan (S. 61) in den Kpfen etabliert. Dieser wird durch

    Interaktion und Kommunikation ber die einzelne(n) betroene(n)

    Person(en) hinaus gefestigt und kann durch die mediale Aufbereitung

    berregionale Beachtung erlangen.

    Die drei im Buch dargelegten Sichtweisen ermglichen es den

    Herausgeber_innen ihr Anliegen, nmlich Rume

    zurckzugewinnen, deutlich aufzuzeigen. So schat Brk erst das

    Verstndnis fr die Konstitution des (sozialen) Raums, aber auch ein

    Bewusstsein fr den Umgang mit bestimmten Begriichkeiten in der

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    entlichen Debatte, zum Beispiel bezglich der Angstkartographien

    (S. 31). Oder den Umstand, dass inationr verwendete (S. 33)

    Begrie nicht nur die Analyse erschweren, sondern auch die Rume

    der Rechten erweitern. Die Lesenden sollten deshalb einen Raum erst

    dekonstruieren, denn aus sozialkonstruktivistischer Perspektive gbees den Raum an sich nicht (S. 23), um sich seiner Wirkung mit

    den verschiedenen Teilaspekten gewahr zu werden. Dies gelingt Brk

    recht eingngig, wenn auch mit einem fr Fachfremde

    gewhnungsbedrftigen Vokabular und ohne direkte

    Quellennachweise.

    Nachdem der Raum an sich also als konstituierbar deklariert wird,

    erklrt Uta Dring seine Unbestndigkeit (S. 54). Es gibt keinen (halb-

    )entlichen Raum, den die extrem Rechten jemals eektivlngerfristig geduldet fr sich beanspruchen konnten. Natrlich gibt

    es die, durch die Kommunikation bestimmter Vorflle (oder durch die

    Vorflle selbst), begnstigten Angstrume. Die Autorin schreibt sehr

    praxisnah und nimmt sich umfangreich der medialen Aufbereitung der

    Begriichkeiten an. Hinzu kommt, dass sie sich dem Alltag zuwendet

    und darlegt, wie die Betroenen bestimmte Rume wahrnehmen, wie

    Dritte diese erleben und in welcher Form gewaltgeprgte Situationen

    auch im greren Rahmen kommuniziert werden.

    Raum (Raum (zurckzurck-)gewinnen-)gewinnen

    Ella Weber rundet die Abhandlungen in Kmpfe um Raumhoheit mit

    ein paar kleinen praktischen Anstzen ab. Sie verweist darauf, dass

    es hug schon hilft, das Gefhl der Sicherheit zu vermitteln, um

    sich und andere ein Stck weit von der vermeintlichen Bedrohung in

    bestimmten Gebieten zu befreien. Auerdem sei ein breit angelegter

    Widerstand gegen die Verbreitung von Nazirumen, ob es sich hierbeinun um nationale Zentren, bestimmte Regionen oder den

    entlichen Diskurs handelt, der beste Weg um denen den Raum

    zu nehmen(S. 69). Hierbei erlutert sie, dass es wichtig sei oen

    und bndnisfhig zu sein, () um politische Gegenkrfte

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    zusammenzubringen (S. 67) und sich nicht zu isolieren und damit

    angreifbarer zu machen.

    Fassen wir also zusammen: Rume sind nicht gleichzusetzen mit

    Territorien und ein aktiver Antifaschismus kann diese ebenso wieder von vermeintlichen Bedrohungsszenarien befreien. Ein bedachter

    Umgang mit bestimmten Termini, gerade im entlichen Diskurs, ist

    notwendig, um der extremen Rechten nicht in die Hnde zu spielen. Es

    ist immer schwierig, bestimmte Wrter zu verbrennen oder denen

    zu berlassen. Jedoch sollte klar sein, dass der unbedachte Umgang

    mit einigen Worten Angstrume net und dadurch eine Exklusion des

    Senders oder einer bestimmten Empfngergruppe impliziert. Das Buch

    zeigt uns ebenfalls, dass kein Raum so bestndig ist, wie er scheinen

    mag. Wodurch sich immer die Mglichkeit ernet, diese Rume durchWort und Tat aufzubrechen und ihn einer konstruktiveren

    Nutzungsmglichkeit, als die von rechten Akteuren kolportierten, zur

    Verfgung zu stellen. Der freie Raum ist der eigene

    Handlungshorizont und es liegt an den Menschen, die ihn bewohnen

    wollen, wie er wahrgenommen wird.

    Christoph Schulze / Ella Weber (Hg.) 2011: Kmpfe um Raumhoheit.

    Rechte Gewalt, "No Go Areas" und "National befreite Zonen". Unrast

    Verlag, Mnster.

    ISBN: 978-3-89771-109-9. 72 Seiten. 7.80 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 23 von 49

    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2898http://www.kritisch-lesen.de/?p=2898
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    RechRechte ins Abseite ins Abseits stellen: Zts stellen: Zur Vur Verteidigung deserteidigung desFFuballsuballs

    Ronny BlaschkeAngriff von RechtsauenWie Neonazis den Fuball missbrauchen

    Von Gabriel Kuhn

    Der Fuballsport wird seit langem fr extrem rechte Propaganda

    genutzt. Ronny Blaschke prsentiert in einem neuen Buch

    gegenwrtige nazistische Umtriebe und Gabriel Kuhn schreitet zur

    linken Verteidigung.

    Im Sommer 1983 sa ich auf einer Schaukel im Garten meines Onkels

    und meiner Tante in Gablitz, einer kleinen niedersterreichischen

    Marktgemeinde in der Nhe Wiens. Ich war elf Jahre alt. Neben mir lag

    eine aufgeschlagene Zeitschrift mit einem Artikel zur Borussenfront,die Anfang der 1980er Jahre mit extrem rechten Parolen und oener

    Gewaltzelebrierung dem Fuballfandasein in Deutschland ein neues

    Gesicht verlieh. Mein Onkel gesellte sich zu mir und schielte auf die

    kahl rasierten BVB-Anhnger: Machen die dir Angst? Mutig genug,

    die Wahrheit zu sagen, meinte ich Ja. Mein Onkel, 1.96 gro und

    hundert Kilo schwer, meinte: Mir auch. Ich war beruhigt.

    Die Borussenfront wird auch in Ronny Blaschkes Angri von

    Rechtsauen. Wie Neonazis den Fuball missbrauchen erwhnt.

    Allerdings als historische Funote. Blaschke, einer der engagiertesten

    Fuballjournalisten Deutschlands, konzentriert sich in dieser

    Sammlung von Artikeln und Interviews auf die gegenwrtigen extrem

    rechten Unterwanderungsversuche im Fuballbereich: Wir lesen ber

    Fangruppen wie die Blue Caps beim 1. FC Lokomotive Leipzig, den

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/gabriel-kuhn/http://www.kritisch-lesen.de/author/gabriel-kuhn/
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    NPD-Schiedsrichter Stephan Haase aus Ldenscheid und den

    thringischen Amateurverein SG Germania.

    RechRechte Vte Voorstrste im Amateurbere im Amateurbereicheich

    Blaschkes Texte verdeutlichen, wie sehr sich extrem rechte Aktivittenin die unteren Ligen verlagert haben. Die weitgehende wenn auch

    keineswegs vollstndige Zurckdrngung extrem rechter Akteure

    im Profuball hat mehrere Grnde. Zunchst die vorbildhafte

    antifaschistische Arbeit im Fanbereich, die seit ber fnfzehn Jahren

    wesentlich von BAFF koordiniert wird - einst Bndnis

    antifaschistischer Fuballfans, heute Bndnis aktiver Fuballfans,

    wobei mit der Namensnderung keineswegs die klare Positionierung

    gegen Rechts aufgegeben wurde. Dann das nicht zuletzt von derFanarbeit angeregte antirassistische Engagement des DFB, das sich

    vor allem auf die medienprsenten Proligen konzentriert. Und

    schlielich der Einsatz der Vereine, denen ein extrem rechtes Umfeld

    bei Sponsorenverhandlungen nicht unbedingt dienlich ist. Im

    Gegensatz dazu fehlen im Amateurbereich oft linke Fangruppen, der

    DFB schickt keine achtsamen Vertreter_innen und die Vereine haben

    nicht die Ressourcen, und manchmal auch nicht den Willen,

    antifaschistische Mindeststandards auf den Sportpltzen

    durchzusetzen. Blaschke schildert die Konsequenzen, die sich daraus

    fr Vereine wie den Roten Stern Leipzig, Trkiyemspor Berlin oder

    TuS Makkabi Frankfurt ergeben, deren Spieler sich immer wieder

    Beleidigungen, Drohungen und selbst ttlichen Angrien ausgesetzt

    sehen.

    Eine besondere Herausforderung fr linke Fuballfans ergibt sich aus

    der Tatsache, dass viele der Argumente, mit der die im Fuballbereich

    engagierten Rechten ihre Arbeit legitimieren, linken Argumentendurchaus nahe kommen. So etwa, wenn Klaus Beier, Geschftsfhrer

    der NPD, meint: Mit den Jahren schritt die Kommerzialisierung im

    Profuball immer weiter voran. Durch Millionentransfers der Spieler

    ist mir die Lust vergangen, dieses Geschacher habe ich nicht mehr

    ertragen. Inzwischen konzentriere ich mich auf die unteren Ligen,

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    dort ist der regionale Bezug noch vorhanden. (S. 51) Oder wenn

    der NPD-Chef Nordrhein-Westfalens, Claus Gremer, die Bedeutung

    von Amateurfuballturnieren wie folgt unterstreicht: Solche

    Veranstaltungen () sind wunderbar geeignet, den Zusammenhalt

    untereinander zu frdern. (S. 46)

    KKoommerzialisierungskrimmerzialisierungskritik und Gemeinschaftstmeleitik und Gemeinschaftstmelei

    Die Kritik an der Kommerzialisierung des Fuballs ist ein altes rechtes

    Thema. Bereits die Nazis sprachen von der Zerstrung des Fuballs

    durch das jdische Kapital, nachdem 1925 die erste Proliga auf

    dem europischen Kontinent vom SC Hakoah Wien dominiert wurde.

    Gleiches gilt fr den Wert des Zusammenhalts, den der NPD-Mann

    Gremer auch unmittelbar mit der Kameradschaftspege inZusammenhang bringt. Letztlich unterscheiden sich die Probleme, die

    sich daraus fr linke Positionen ergeben, jedoch nicht von den

    Herausforderungen, die rechte Kapitalismuskritik oder rechte

    Sozialismushuldigungen fr die Linke allgemein stellen: Die eigenen

    Positionen mssen dierenzierter reektiert und deutlicher dargestellt

    werden.

    In Bezug auf die Kommerzialisierung des Fuballs sind nicht alle

    Aspekte verwerich. Die Professionalisierung des Sports hat Arbeiter_innen neue gesellschaftliche Rume ernet und das

    Spektakel Fuball hat wesentlich zur Pluralisierung eines einst

    beinahe ausschlielich mnnlichen und weien Publikums

    beigetragen. Die politisch relevanten Fragen, die sich fr Linke hier

    stellen, sind: Kommt es zu neuen Ausschlussformen, vor allem

    konomischen? Geht mit diesen Entwicklungen eine Demokratisierung

    in Verbnden und Vereinen einher? Hlt die gewerkschaftliche

    Organisierung mit der zunehmenden Prekarisierung von FuballprosSchritt, die den groen Sprung nicht schaen? Kommt es zu einer

    Zweiklassengesellschaft innerhalb des Profuballs? Welche

    Auswirkungen hat die Kommerzialisierung auf den Fuball als

    Breitensport? Dies sind Themen, die linke Fans besetzen mssen, um

    sich von einem dumpfen Kommerzialisierung ist Scheie und von

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    einer reaktionren Deutung des populren Slogans Gegen den

    modernen Fuball abzugrenzen.

    Auch gegen reaktionre Besetzungen der so viel bemhten

    Gemeinschaft muss oensiv vorgegangen werden. KollektiveErfahrungen und kollektives Handeln bleiben fr linke Politik zentral

    und der Fuballsport kann hier wichtige Beitrge leisten. Der

    Unterschied zwischen dem linken und dem rechten Kollektiverlebnis

    Fuball hngt sich freilich am Verstndnis des Kollektivs auf.

    Volksgemeinschaft hier, Multitude (oder Meute oder der

    Lieblingsbegri des Lesers_der Leserin) dort. Wie immer ist es

    notwendig, sich die rechte Rhetorik genau anzusehen. Aus einem

    relativ harmlosen Pldoyer fr die Verankerung eines Sportvereins

    in seinem sozialen Umfeld kann beispielsweise im Handumdrehenrassistische Propaganda werden. So erinnert sich der NPD-

    Geschftsfhrer Beier wehmtig an Zeiten, zu denen Spieler fr Fans

    greifbar waren, was heute jedoch nicht mehr mglich sei, da Spieler

    aus aller Welt fr Millionen zusammengewrfelt werden (S. 51). Was

    hat die Tatsache, dass Menschen aus aller Welt in einem Verein spielen,

    damit zu tun, die Spieler des Vereins fr die Fans nicht greifbar sind?

    Ein Schweinsteiger beim FC Bayern ist nicht zugnglicher als ein

    Ribry.

    Hier wird, wie gewohnt, Migration fr strukturelle Probleme

    verantwortlich gemacht. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass

    viele der Spieler, die ein Klaus Beier nicht in einer greifbaren

    Mannschaft sehen will, nicht aus aller Welt zusammengewrfelt,

    sondern in Deutschland geboren wurden und dort aufgewachsen sind

    auch wenn ihre Namen, ihre Hautfarbe oder ihre Religion nicht in

    kleinkarierte Lokalmythologien passen mgen. Dasselbe gilt fr viele

    Fans.

    LinkLinke Abwe Abwehrehr

    Der Kontakt zwischen Vorstand, Spielern und Anhngern bzw. die

    lokale Verankerung eines Vereins kann linker Politik durchaus

    zutrglich sein. Doch muss dies antirassistisch und multikulturell

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    gedacht werden (zur linken Renaissance des verschmhten Multikulti-

    Begris trage ich angesichts der immer noch dmmeren konservativen

    Angrie auf ihn gerne bei). Dann lassen sich auf dieser Basis starke

    solidarische und integrative Kollektivformen entwickeln, die sich

    positiv auf eine breite antifaschistische Bewegung auswirken knnen.hnliche Potentiale liegen in selbstorganisierten Fuballvereinen und

    Fuballturnieren, in denen das Spiel dem sozialen Austausch dienen

    und zum Halt orientierungsloser Jugendlicher werden kann. Diese

    Potentiale werden nicht fragwrdig, weil auch Rechte versuchen,

    selbstorganisierte Fuballprojekte fr ihre Zwecken zu nutzen

    Rechte versuchen dasselbe mit Punk, Grati und HipHop-Klamotten.

    Die Linke darf diese Felder nicht einfach kampos abgeben. Die

    Aufgabe ist vielmehr, sie zu behaupten: mehr Fuballturniere zu

    veranstalten, mehr Spa zu haben und, natrlich, schner zu spielen

    (was angesichts bulldogsthetikkonformen rechten Haudrauuballs

    nicht schwierig ist).

    Manchmal geht in Angri von Rechtsauen. Wie Neonazis den

    Fuball missbrauchen der Bezug zum Titel etwas verloren. In

    Interviews wie jenen mit Halil Altintop oder Yves Eigenrauch oder

    in den Beitrgen zur Geschichte des jdischen Fuballs oder zum

    Antiziganismus in Ungarn kommen Neonazis im Fuball gar nichtoder nur am Rande vor. Gleichzeitig fokussieren einige Artikel, etwa

    zu extrem rechten Symbolen oder zur Rockband Kategorie C, vor

    allem auf rechte (Jugend)kultur und der Fuball wird eher zur Kulisse.

    Wer darauf besteht, auf jeder einzelnen Seite des Buches ber nichts

    Anderes als neonazistische Aktivitten im Fuballbereich zu lesen,

    mag sich daran stren. Wer jedoch bei dem Thema auch gerne weiter

    ausholt, den gesamtgesellschaftlichen Kontext miteinbezieht und

    allgemeine Fragen zu Diskriminierung im Fuball diskutiert, wird eher

    zur Freude Anlass nden. In jedem Fall trgt Blaschkes Ansatz dazubei, dass Fuballleidenschaft fr die Wertschtzung des Buches keine

    unbedingte Voraussetzung darstellt. Das Buch ist fr all jene von

    Belang, die an extrem rechter Politik, ihren Strategien und ihrer

    Inltrierung gesellschaftlicher Rume interessiert sind. Fr die grte

    Verunsicherung bei der Lektre sorgt Theo Zwanziger, dessen

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    Interview einmal mehr die Frage aufwirft, wie ein DFB-Prsident und

    ehemaliger CDU-Landtagsabgeordneter zu derart vernnftigen

    Aussagen imstande sein kann.

    Ronny Blaschke 2011: Angri von Rechtsauen. Wie Neonazis denFuball missbrauchen. Verlag Die Werkstatt, Gttingen.

    ISBN: 978-3-89533-771-0. 224 Seiten. 16.90 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 29 von 49

    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2880http://www.kritisch-lesen.de/?p=2880
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    HistoHistorikrikerstrerstreieit: St: Splplwasser im Cocktailglas! Bwasser im Cocktailglas! Biittetteselber saufselber saufenen

    Matthias Brodkorb (Hg.)Singulres Auschwitz?Ernst Nolte, Jrgen Habermas und 25 Jahre "Historikerstreit"

    Von Fritz Gde

    Um es gleich zu sagen: berssiges Aufwrmen ltesten

    Waschwassers. Neues ist nicht zu erfahren: weder ber Noltes

    angebliches Recht noch ber Habermasens Unrecht.

    Interessant dabei nur eins: die Frankfurter Allgemeine hatte seit

    Jahren dem einstigen Favoriten Nolte die kalte Schulter gezeigt. Nun

    erbrigt sie ziemlich viel Raum, um dem grten Schreihals unter

    den Beitrgern des Sammelbands Egon Flaig Platz fr lrmende

    Breitseiten gegen Habermas einzurumen.

    WWoher der Moher der Meineinungswungswechsel?echsel?

    Worauf sie bei der FAZaus sind, muss dahingestellt bleiben. Worauf es

    Brodkorb ankam, dem verdienstvollen Bekmpfer aller Extremismen,

    vor allem des eingebildeten von links, war wohl Ansehensgewinn.

    Vorboxen in die erste wissenschaftliche Reihe. Deshalb sein unendlich

    umstndlicher Andeutungsstil, dem alten Nolte peinlich abgeschaut.

    In der Hauptsache geht es ihm darum, dass Habermas eines drberbekommt. Brodkorb greift nicht etwa den allerlahmsten Begri

    Habermas' an: Verfassungspatriotismus. Htte es den wirklich mal

    gegeben, also Anhnglichkeit an die rechtlich gefasste Freiheit, htten

    alle 1989 aufjaulen mssen, als die wichtigsten Bestimmungen des

    Grundgesetzes ber Bord geworfen wurden - durch Trick und

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/
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    Erpressung einer Volkskammer. So ohnmchtig Habermasens

    Zielvorstellungen vom Verfassungspatriotismus heute wirken, in einem

    Punkt hatte er auf jeden Fall recht. Dass nmlich Nolte und die

    anderen angegrienen Historiker Hilfsbataillons darstellten im Kampf

    fr Kohls "andere Republik". Fr den Rckweg zum neuenNationalismus, wie er sich inzwischen als quasi selbstverstndlich

    durchgesetzt hat.

    Was dem Aufwrmer kalt gewordener Streitigkeiten uerst missfllt,

    ist die Weigerung des Philosophen Habermas, am Brodkorb

    mitzunaschen. Das wird als Charakterfehler erkannt und gem der

    Nikomachischen Ethik des Aristoteles verurteilt (Brodkorb ist wie Flaig

    Grzist und zitiert anfallsweise auf griechisch). Dafr kann Brodkorb

    mit Nolte zusammen in wohligem Dunkel den Grundgedanken vonHitlers sekundrer Antwort auf Stalins (eigentlich Lenins) Erstschlag

    ausbreiten. Kein klarer Standpunkt - alles Meinung, Fragen. Wie

    Hannah Arendt beim ersten Besuch in Berlin nach dem Krieg

    feststellte: Alle Tatsachen waren verschwunden. Es gab nur noch

    Meinung. Auch Nolte - in die Defensive getrieben - kennt in einem

    seiner letzten Bcher ("Streitpunkte") nur noch Fragen. Ausgelegt

    auf dem Whltisch fr Nackte. Und andere Bedrftige. Im traulichen

    Gesprch mit Brodkorb wird alles aufgetragen. Der moniert manchmalzart, mit einem Zitatenzettel in der Hand. Und immer noch geht es um

    die "Singularitt".

    SSingulariingularitt der deutt der deutschen Vtschen Verberbrrechenechen

    Singularitt - Einmaligkeit. Warum soll es so wichtig sein, was

    anderswo - in anderen Lndern und Zeiten - an Schlimmem passiert

    ist? Und fr wen? Einmaligkeit interessiert den einzelnen Menschen,

    weil er nur einmal lebt. Wurde ich von Mongolen im zwlftenJahrhundert gepfhlt? Traf mich der Schwertschlag als Gegner der

    englischen Revolution? Verreckte ich im Schlamm eines

    Schtzengrabens? - Was kann mich da kmmern, was anderen

    passiert? Mich trit der Schlag auf jeden Fall unwiderruich. Mein

    Bewusstsein erlischt. Fr mich ist der Film aus.

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    Wenn alles, was geschieht, in einem einzigen, unwiederholbaren Leben

    geschieht, dann ist nichts verrechenbar. Auf dieser Ebene luft die

    Theorie Noltes (Hitler schlimmer oder nicht so schlimm wie Stalin)

    und anderer von vornherein ins Leere. Eine andere Bedeutung knnte

    "einmalig" gewinnen, wenn wir den Ausdruck in die geschichtlicheEntwicklung stellen. Den Athenern Flaigs - im selben Band - kann

    Mnnerherrschaft und Frauenunterdrckung kaum vorgeworfen

    werden: In der geschichtlichen Umwelt gab es nichts anderes. Wenn

    aber nach Jahrhunderten der Aufklrung und angeblich christlicher

    Gesinnung ganz oziell die Ungleichheit der Menschen - vor aller

    Ohren - verkndet wird, dann wird eine Entwicklung nicht nur

    zurckgenommen, sondern ein Versprechen gebrochen. Und nicht nur

    in Meinungen, sondern in Handlungen, die - lange vor Auschwitz -

    weithin gebilligt wurden. Den einmaligen Bruch in diesem Sinn nicht

    mehr geschehen zu lassen, ist dann freilich etwas, das jede und jeden

    angehen sollte, denen die Einheit der Menschheit - die gemeinsame

    Menschwerdung - am Herzen liegt.

    NNoltes Foltes Fallall

    Das in gewissem Sinn Erschtternde am Weg Noltes ist der Bruch in

    seiner eigenen Lehre. 1963, als sein Buch Der Faschismus in seiner

    Epoche herauskam, war das wirklich ein groer Wurf. Ich, damals

    Assessor, hatte mhsam mit Bracher vom Machtvakuum geredet - und

    damit allerhchstens erklrt, dass die Lehre von "checks and balances"

    nicht funktioniert. Nolte mit seinem Buch verschate allererst das gute

    Gewissen, von einer einheitlichen europaweiten Bewegung namens

    "Faschismus" sprechen zu drfen. Zugleich damit die Anerkennung,

    dass Antifa-Kampf gegen Faschismus international immer noch seine

    Berechtigung hatte. Das Unglck Noltes: Whrend er

    geistesgeschichtlich richtig die Verwandtschaft aller europischenFaschismen herausarbeitete, und damit eine mehr oder weniger aktive

    Ttergruppe benannte, knnen Noltes sptere Beschuldigungen nicht

    einmal alle deutschen Nazis, sondern am Ende nur die einsame Person

    Hitlers betreen. Dass Hitler die Rattenphobie aus irgendwelchen

    Gruselkrimis ber Russland aufgeschnappt hatte, mag ja so gewesen

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    sein - oder auch nicht. Nur: Wer hatte solche Phobien noch?

    Umgekehrt gedacht: Was trieb die vielen Vernichtungsbetreiber an,

    die keine Rattenphobie hatten und doch enthemmt mordeten? Und

    was ist mit den italienischen Faschisten, die zwar die Rassengesetze

    von Deutschland bernahmen, aber selbst nach deutschen Mit-Nazi-Urteilen es an Verfolgungseifer auerordentlich fehlen lieen?

    Mit seiner Hitler-Fixierung zerstrt Nolte die ehemalige Einsicht: Ja,

    es hatte Millionen gegeben, die Faschisten sein wollten. Auch ohne

    die Zentralgur Hitler. Und die Antisemitismus-Erklrungen, die Nolte

    einelen - und die Brodkorb teilweise zu teilen scheint! Gab es denn

    ausschlielich den stlichen Juden - den phantasierten Bolschewiken

    - als Feind? Man muss nur einmal die volkstmlichen Karikaturen

    anschauen aus der Nazizeit. In fast allen zeigt sich ein Wesen mitDoppelgesicht: Eine Hand schwenkt die Sowjet-Fahne, eine andere

    aber hlt den Dollarbeutel hoch. Dass der Kapitalist mit dem

    Kommunisten - und dem Gewerkschafter - heimlich

    zusammenarbeiten, so sehr sie sich oen bekmpfen, gehrte zu den

    Grundphantasien der oziellen Propaganda. Sogar Freund Furet in

    Frankreich weist Nolte auf diese Verkrzung hin. (Furet 1998, S. 56).

    Und passte viel besser zum berreden einer Weltkriegsnation -

    "dazwischen" - als alle einseitige Beschuldigung nur der Sowjet-Union.

    Das alles spielte fr Nolte nie eine Rolle. Verblenderweise fr

    Brodkorb auch nicht. In keinem Satz wird Noltes Rolle im ehemaligen

    "Bund Freiheit der Wissenschaft" erwhnt. Wer damals seine Tiraden

    mitbekommen hat, wird sich erinnern an Angstwut voller Ekstasen

    gegenber der Studentenbewegung, nicht wie sie wirklich war,

    sondern wie auch sie damals vor allem als eiskalte Zerstrerin

    phantasiert wurde. In einem fast rhrenden oenen Brief an ehemalige

    Schler (Nolte war einmal Studienrat gewesen) im Merkur- aus denfrhen siebziger Jahren, wie ich mich erinnere - erklrt er, dass er

    einer der letzten war, die die Universitt noch aufgenommen htte.

    Sinngem entsprechend in einer seiner Schriften zur

    Universittsreform: Jetzt fordere Dankbarkeit von ihm, das wankende

    Schi zu retten. Nolte ber sich selbst:

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    1960 war ich ein Studienrat fr Alte Sprachen, der noch

    nie eine Zeile verentlicht hatte: Vier Jahre spter berief

    mich die Universitt Marburg auf einen Lehrstuhl fr

    Neuere Geschichte. (...) Und so fhle ich mich in der Tat

    verpichtet, eine Universitt zu verteidigen, die man zuUnrecht generell der Inaktivitt und des Immobilismus

    bezichtigt, um so mehr, als ich der berzeugung bin, dass

    die deutsche Universitt durch Berufungen wie die meine

    in jenen Zustand der Elefantiasis und der Inhomogenitt

    der Fakultten gelangt ist, welcher heute der wichtigste

    Grund fr die eigenartige Schwche ihrer Reaktionen und

    fr den auallenden Mangel an Selbstgewissheit ist.

    (Nolte 1968, S.43)

    Erst damals nahm er die Rettergebrde an, die dessen, der als letzter

    eine Welt der Werte zu retten hat. Erst seit der Zeit bekamen seine

    Schriften den angstvoll-verhetzten Zug und die partielle Sympathie

    nicht gerade fr den Faschismus selbst, aber fr die Angst um die

    Kultur, die in dieser ganzen Bewegung angeblich wirksam geworden

    sein soll. Deren Angst war seine eigene. Zum Ausma der Verhetzt-

    Seins und des Weiterhetzens des angeblich krisenfreien Denkers Nolte

    ein zweites Zitat, in welchem er indirekt schon damals die Polizei zuHilfe ruft gegen eine ihm unbegreifbar gebliebene Bewegung:

    Diesen Studenten jedoch muss gesagt werden, dass ihre

    Methode, die Gesellschaft von der Universitt aus zu

    revolutionieren, zwar ein neuartiges und in gewisser

    Weise geniales, dennoch aber ein feiges und letzten Ende

    kein erfolgversprechendes Rezept ist. Sobald physische

    oder quasi-physische Gewalt ins Spiel kommt, sind 100

    Studenten 100 Professoren weit berlegen, abergegenber einigen gutbewaneten Polizisten sieht die

    Bilanz anders aus. Keine Gesellschaft lsst sich durch noch

    so ingenis und verkleidete Gewalt umstrzen, ohne dass

    sie es merkte und mit Gewalt reagierte. Erst der Mut,

    vor Gewehrlufe zu treten, macht die Revolutionen der

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    extremen Linken respektabel, wenn ihre Ergebnisse auch

    letzten Endes alles andere als links zu sein pegen.

    (Nolte 1968, S. 26)

    Der Aufruf ist von 1968, 1971 wurde Petra Schelm erschossen. Werwarf den ersten Stein?

    Geisteswissenschaft rGeisteswissenschaft reicheicht nicht nicht aust aus

    Der Ausgangspunkt der Verirrungen Noltes liegt wahrscheinlich in

    seinem ausschlielich geisteswissenschaftlichen Zugang zum Problem

    des Faschismus. So einleuchtend der Nachweis der geistigen

    bereinstimmungen - nach Bchern, Lehrern und Lehren, Manifesten

    - so unzulnglich die Ursachenforschung.

    Ein Begri, den Nolte hchstens als Zitat einmal verwendet:

    "Imperialismus". Geht man nmlich gar nicht von den angeblich neuen

    Ideen aus, sondern von den durchgehaltenen Einuss- und

    Eroberungstendenzen der herrschenden Klassen, stt man sofort in

    Deutschland auf die "Alldeutschen" - auf Ludendor mit seinen

    Anschlusswnschen gegenber dem Baltikum und die Ukraine, auf den

    deutschen Wirtschaftstag 1930. Da mochten Essenzen mancher Art

    in den Seelenbru geschttet werden. Herauskommen musste immereins: Wir brauchen das Land im Osten! In diesem grausigen Chor sang

    Hitler schlielich die erste Stimme. Aber es wre beim berhitzten

    Kreischen eines Blhhalses geblieben, htte die Begleitung in Bass und

    Sopran gefehlt.

    Soll das heien, dass Eindringen in die Psyche einzelner Tter

    historisch auf jeden Fall verfehlt wre? Das kann es nicht. Es muss nur

    von der materiellen Lage einer ganzen Schicht ausgegangen werden.

    Nicht: Wie ist ein unnennbares Wesen Hitler wirklich? Sondern: Wiegeht der vereinzelte und verlorene mit einer Lage um, die ihn wie

    alle betrit? Wie kann er - gerade er - sie so interpretieren, dass

    Tausende sich mitinterpretiert, miterkannt fhlen? Um nur ein Beispiel

    zu geben: Der Lebensweg Hitlers konnte vielen hingestellt werden als

    der eines besonderen Tellerwschers zum Millionr, allerdings nicht

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    amerikanisch gesehen als Lohn der Leistung. Sondern als Kampf,

    Hochstrampeln gegen nsterste Mchte, die ihn wie alle bedrohen.

    Ist ein Wesen einmal zu solcher Hhe hochgeprgelt worden, wird es

    dann seine geheimen Vorstellungen "auch noch" durchsetzen wollen,

    sich den Mut dazu zusprechen, sich selbst vormachen, er stelle denInbegri des "Volksgeistes" dar?

    Das nur als Anregung zu einer ganz anderen Behandlung des

    Problems. Brodkorb und seine Mitarbeiter tragen nichts dazu bei.

    ZZustzlich vustzlich verwerwendete Liendete Literaturteratur

    Furet, Francois / Ernst Nolte 1998: Feindliche Nhe. Kommunismus

    und Faschismus im 20.Jahrhundert. Ein Briefwechsel. Herbig,

    Mnchen.

    Nolte, Ernst 1968: Sinn und Widersinn der Demokratisierung in der

    Universitt. Rombach, Freiburg.

    Nolte. Ernst 1993: Streitpunkte. Heutige und knftige Kontroversen

    um den Nationalsozialismus. Propylen, Berlin

    *

    Die Rezension erschien in krzerer Fassung zuerst bei trueten.de.

    Matthias Brodkorb (Hg.) 2011: Singulres Auschwitz? Ernst Nolte,

    Jrgen Habermas und 25 Jahre "Historikerstreit". Adebor Verlag,

    Banzkow.

    ISBN: 978-39809375-9-7. 180 Seiten. 14.90 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 36 von 49

    http://www.trueten.de/permalink/Historikerstreit-Spuelwasser-im-Cocktailglas!-Bitte-Selbersaufen.htmlhttp://www.kritisch-lesen.de/?p=2884http://www.kritisch-lesen.de/?p=2884http://www.trueten.de/permalink/Historikerstreit-Spuelwasser-im-Cocktailglas!-Bitte-Selbersaufen.html
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    RechRechtsruck der notsruck der norrdrhein-wdrhein-westflischen FDestflischen FDPP1945-19531945-1953

    Kristian BuchnaNationale Sammlung an Rhein und RuhrFriedrich Middelhauve und die nordrhein-westflische FDP 1945-1953

    Von Michael Lausberg

    Eine Forschungsarbeit arbeitet das Konzept der Nationalen

    Sammlung des nordrhein-westflischen FDP-Landesvorsitzenden

    Friedrich Middelhauve heraus, der aus der Partei eine dritte Kraft

    rechts von CDU/CSU und SPD etablieren wollte.

    Sptestens nach der Grndung der BRD wurden wieder extrem rechte

    Parteien und Organisationen wie die Sozialistische Reichspartei (SRP)

    gegrndet, die sich als Nachfolgeorganisationen der NSDAP

    verstanden und die neu entstandene Bonner Republik berwindenwollten. Extrem rechte Bestrebungen gab es jedoch nicht nur am

    uersten rechten Rand des politischen Spektrums sondern auch in

    der als liberal und demokratisch bezeichneten FDP.

    In seinem Werk beschftigt sich Kristian Buchna mit der vom

    damaligen nordrhein-westflischen Vorsitzenden der FDP, Friedrich

    Middelhauve, ins Leben gerufenen Nationalen Sammlung, die aus

    der FDP eine dritte politische Kraft rechts neben CDU/CSU und SPD

    machen sollte. Dieses Konzept der Nationalen Sammlung sah dieEinbindung ehemaliger deutschnationaler und nationalsozialistischer

    Personen im FDP-Landesverband vor. Buchna vertritt die Ansicht, dass

    Middelhauve ehemalige Nationalsozialisten in das demokratische

    Staatswesen integrieren wollte und er selbst nicht als

    unverbesserlicher Antidemokrat zu beurteilen ist. Middelhauves naive

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/michael-lausberg/http://www.kritisch-lesen.de/author/michael-lausberg/
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    Duldung ehemaliger Nationalsozialisten in seinem Landesverband

    fhrte schlielich dazu, dass immer mehr ehemalige Nazis

    Schlsselpositionen besetzten und die Unterwanderungsversuche von

    Werner Naumann und seinen Anhngern begnstigte, wovon spter

    noch die Rede sein wird.

    Der rechte Flgel innerhalb der FDP konkurrierte mit dem

    linksliberalen Flgel aus dem spteren Baden-Wrttemberg und den

    Hansestdten Hamburg und Bremen. Die Radikalitt des nordrhein-

    westflischen Landesverbandes trug dazu bei, dass die lange Zeit

    schwelenden Konikte ans Tageslicht kamen, so dass die gerade

    gegrndete FDP mehrfach am Rande der Spaltung stand.

    Seit Anfang 1948 setzten sich im Landesverband der FDP in

    Nordrhein-Westfalen immer mehr rechte Positionen durch, was zuParteieintritten von antidemokratischen Nationalisten und auch

    ehemaligen Nationalsozialisten fhrte, die in der FDP ein neues

    Bettigungsfeld suchten. Die sofortige Beendigung der

    Entnazizierung sowie die Begnadigung aller NS-Kriegsverbrecher

    waren wesentliche Punkte der Parteipolitik. Im Frhjahr 1950 ging der

    Landesverband NRW mit den antidemokratischen Nationalen Rechten

    ein Wahlbndnis ein. Diese Gruppierung bestand zum grten Teil

    aus ehemaligen Nationalsozialisten und anderen vlkisch eingestelltenPersonen. Es handelte sich dabei um den frheren NRW-

    Landesverband der Deutschen Konservativen Partei/Deutsche

    Rechtspartei (DKP/DRP), deren Mitglieder in der Weimarer Republik

    berwiegend der von Alfred Hugenberg gefhrten Deutschnationalen

    Volkspartei (DNVP) angehrt hatten. Bei der nordrhein-westflischen

    Landtagswahl 1950 zogen drei Abgeordnete der Nationalen Rechten

    ber die Landesreserveliste der FDP in den Landtag ein.

    Der Landesverband verabschiedete auf seinem Landesparteitag inBielefeld am 26.07.1952 das Deutsche Programm, das ein

    plebiszitres Prsidialsystem auf vlkischer Grundlage anstrebte. Das

    Deutsche Programm hatte nichts mehr mit dem historischen

    Liberalismus im 19. Jahrhundert zu tun. Die Begrie liberal und

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    demokratisch tauchten im gesamten Text nicht ein einziges Mal auf.

    Fr die FDP wurde die Forderung zur Picht nach rechts erhoben.

    Die Naumann-Are Anfang 1953 und deren Auswirkungen auf

    Nordrhein-Westfalen sowie auf Bundesebene werden von Buchnaeingehend analysiert. Werner Naumann, der letzte Staatssekretr des

    Reichspropagandaministers Joseph Goebbels, startete mit

    nationalsozialistisch orientierten Gesinnungsgenossen den Versuch,

    die FDP und andere rechte Parteien und Organisationen zu

    unterwandern und eine vlkisch-autoritre Regierung zu installieren.

    Dieser so genannte Naumann-Kreis soll etwa 100 Mitglieder gehabt

    und mit ca. 3.000 Personen aus Wirtschaft, Verwaltung, Justiz und

    Politik in Kontakt gestanden haben. Durch die Installierung seiner

    Anhnger in Schlsselpositionen der FDP-Parteifhrung nahmNaumann lngere Zeit Einuss auf die Politik des Landesverbandes

    Nordrhein-Westfalen. Anfang 1953 war der nordrhein-westflische

    Landesverband an entscheidenden Stellen durchsetzt mit ehemaligen

    Nationalsozialisten wie Wolfgang Diewerge, Siegfried Zoglmann und

    Horst Huisgen. Die Bezirks- und Kreisverbnde wurden ebenfalls von

    ehemaligen Nazis dominiert. Am 14.01.1953 wurden auf Veranlassung

    der britischen Behrden wegen des Vorwurfs der Verschwrung

    ehemaliger Nationalsozialisten Naumann und weitere fnf Mitgliederdes Naumann-Kreises verhaftet. Als die britischen Behrden das

    Untersuchungs- und Gerichtsverfahren an die deutsche Justiz

    abgegeben hatten, wurden die Beschuldigten kurzerhand wieder

    freigelassen und spter auch von allen Anklagepunkten

    freigesprochen.

    Ein Vergleich des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen mit den

    ebenfalls national ausgerichteten Landesverbnden Hessen und

    Niedersachsen wird zwar an manchen Stellen des Werkes angedeutet,aber nicht ausreichend beleuchtet. In Hessen bestanden Beziehungen

    zur extrem rechten Nationaldemokratischen Partei (NDP) unter

    Heinrich Leuchtgens. Im Juli 1949 schlossen die hessischen Liberalen

    ein Wahlabkommen mit der NDP, das bei der Bundestagswahl im

    selben Jahr 28,1% der Stimmen einbrachte. Im September 1957 ging

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    die niederschsische FDP ohne Billigung aus Bonn eine

    Fraktionsgemeinschaft mit der BHE ein und nahm sechs Abgeordnete

    der DRP in einem Hospitantenverhltnis auf. CDU und DP kndigten

    die Koalition in Hannover auf und bildeten mit der SPD eine Regierung.

    Dies ist die einzige Schwche in einem sonst sehr lesenswerten Buch,das die Rechtstendenzen innerhalb der FDP Anfang der 1950er Jahre

    erstmals in systematischer und analytischer Form untersucht.

    Kristian Buchna 2010: Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr.

    Friedrich Middelhauve und die nordrhein-westflische FDP 1945-1953.

    Oldenbourg Verlag, Mnchen.

    ISBN: 978-3-486-59802-5. 248 Seiten. 24.80 Euro.

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    Der Kampf um das Leben vDer Kampf um das Leben voon Mn Mumia Abu Jumia Abu Jamalamal

    Bibliothek des Widerstands (Hg.)

    Mumia Abu-JamalDer Kampf gegen die Todesstrafe und fr die Freiheit der politischenGefangenen

    Von Thomas Trueten

    Neues Buch zu Geschichte, Hintergrund und Perspektiven desKampfes fr die Freiheit Mumia Abu Jamal's und aller politischen

    Gefangenen.

    In der Bibliothek des Widerstandes - einer Buchreihe, die in

    Kooperation zwischen dem Laika Verlag und der Tageszeitung junge

    Welt herausgegeben wird, erschien vor kurzem der Band 14 mit dem

    Titel Mumia Abu-Jamal. Der Kampf gegen die Todesstrafe und fr die

    Freiheit der politischen Gefangenen.

    WWer ist Mer ist Mumia Abu-Jumia Abu-Jamal?amal?

    Anhand seiner beeindruckenden Persnlichkeit wird das System der

    Todesstrafe in den USA deutlich. Mumia Abu-Jamal wurde am 24.

    April 1954 unter dem Namen Wesley Cook in Philadelphia geboren. Er

    wuchs in den Projects, stdtischen Wohnbausiedlungen fr Schwarze,

    Arme und sozial Benachteiligte auf und wurde bereits frh mit dem

    Rassismus der US-amerikanischen Gesellschaft konfrontiert. Anfang

    1969 gehrte er mit gerade 15 Jahren zu den Mitgrndern der BlackPanther Party in Philadelphia und war deren Informationsminister.

    Dadurch geriet er schon in frher Jugend in den Fokus des FBI, die ihn

    auch nach seiner Schul- und Collegezeit observierte.

    Mumia Abu-Jamal arbeitete bis zu seiner Verhaftung und Mordanklage

    im Dezember 1981 als progressiver Radiojournalist bei verschiedenen

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    Radiosendern der Schwarzen Communities und berichtete dort ber

    Themen wie Wohnungsnot, Polizeibrutalitt und den fortgesetzten

    Krieg der Stadt Philadelphia gegen die radikalkologische

    Organisation M.O.V.E.

    1982 wurde er wegen angeblichen Mordes an dem weien Polizisten

    Daniel Faulkner zum Tode verurteilt. Er ist seit Mai 1983 in den

    Todestrakten des Bundesstaates Pennsylvania inhaftiert und kmpft

    bis heute fr die Aufhebung seines Urteils, einen neuen Prozess und

    seine Freilassung. Seine journalistische Ttigkeit setzt er auch im

    Gefngnis zum Missfallen der Behrden - bis heute fort. Im Gefngnis

    verfasste er mehrere Bcher und hunderte Kolumnen zu historischen

    und aktuellen Fragen, die in Deutschland unter anderem in der

    Tageszeitung junge Welt erscheinen.

    SSystematische Zerschlagung der Schystematische Zerschlagung der Schwarzen rwarzen revevoluolutiotionrnren unden undBBrgerrrgerrechechtsbewtsbewegungegung

    In dem 270 seitigen Buch wird sein Fall aus dutzenden von

    Perspektiven beleuchtet: Kurze Stellungnahmen zahlreicher Menschen

    aus der Solidarittsbewegung wechseln sich ab mit umfassenden

    Beitrgen ehemaliger WeggefhrtInnen wie Linn Washington, dem

    American Indian Movement-Aktivisten und Todeskandidaten LeonardPeltier, von FilmemacherInnen, die seinen Fall dokumentierten und

    weiteren mehr.

    Die Beitrge arbeiten heraus, wie in den USA seit Ende der 60er Jahre

    systematisch die Schwarze revolutionre und Brgerrechtsbewegung

    zersetzt und zerschlagen wurde, wie die herrschenden Gesetze

    missachtet und umgangen werden, um nicht nur Mumia Abu-Jamal,

    sondern mit ihm weit ber einhundert andere AktivistInnen und

    Revolutionre als politische Gefangene bis an ihr Lebensendefestzuhalten oder sie dort umzubringen. Er hatte nie die Chance auf

    einen fairen Prozess, weil es den rassistischen Kreisen in

    Philadelphia von Anfang an darum ging, ihn zum Schweigen zu

    bringen.

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    MMumia ist ein Sumia ist ein Symbol fr Kampf und Hymbol fr Kampf und Hooffnffnung...ung...

    Die Strke des Buches spiegelt Mumia Abu-Jamals eigene Haltung

    zu seinem Fall wider, was Angela Davis, die nach ihrer Verhaftung

    wegen Terrorismus 1970 im Jahr 1972 aufgrund einer weltweiten

    Solidarittskampagne freigesprochen wurde, auf den Punkt bringt:

    Mumia ist ein Symbol fr Kampf und Honung geworden.

    Was uns an ihm am meisten berhrt, ist sein tiefer Sinn

    fr Menschlichkeit, die Tatsache, dass er sich bewusst

    ist, dass sein eigenes Schicksal mit dem von Tausenden

    von Mnnern und Frauen, die in den Todestrakten in den

    USA und anderen Teilen der Welt sitzen, verknpft ist.(...)

    Mumia hat verstanden, dass sein Schicksal mit dem derOpfer des gefngnis-industriellen Komplexes und dessen

    symbiotischer Beziehung mit dem militrisch-industriellen

    Komplex verknpft ist. (S. 13)

    Im Falle Jamal's interessieren auch neue Beweise wie jahrzehntelang

    unbeachtete Tatortfotos, die rassistische Auswahl von ZeugInnen beim

    ersten Prozess und der oen rassistische Richter bei diesem Prozess

    sowie neue Zeugenaussagen usw. nicht. Judith Ritter, Juristin und

    Mitglied des Verteidigungsteams schreibt in ihrem Beitrag Den Mutnicht verlieren, darber, dass die Erfahrung lehrt, dass die

    Gewissheit, Recht zu haben nicht bedeutet, auch Recht zu bekommen.

    (S. 247)

    InspiratioInspiration fr Solidarin fr Solidaritttt

    Die wichtigste Chance fr die Freiheit Mumia Abu-Jamal's und der

    anderen politischen Gefangenen besteht in der praktischen Solidaritt,

    darin, den politischen Preis fr seine staatliche Ermordungunbezahlbar zu machen. Im Kampf gegen die Todesstrafe als Ausdruck

    von Barbarei soll das Buch helfen. Nicht zur Anschauung, sondern als

    Anleitung. Diese Aufgabe erfllt es.

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    Die Beitrge ergnzen drei Filme, die auf einer DVD dem Buch

    beiliegen. In Prison My Whole Life des in der Nacht von Mumia's

    Verhaftung geborenen William Francome setzt sich damit auseinander,

    was es bedeutet, dass jemand solange im Knast sitzt, wie man selber

    lebt.

    Ergnzt wird der Film durch die Dokumentationen Hinter diesen

    Mauern und Justice on Trial.

    Bibliothek des Widerstands (Hg.) 2011: Mumia Abu-Jamal. Der Kampf

    gegen die Todesstrafe und fr die Freiheit der politischen Gefangenen.

    Laika-Verlag, Hamburg.

    ISBN: 3942281848. 270 Seiten. 24.90 Euro.

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    FFerner Krieg in den Bergen Anatoliens?erner Krieg in den Bergen Anatoliens?

    Nikolaus Brauns / Brigitte Kiechle

    PKKPerspektiven des kurdischen Freiheitskampfes: Zwischen Selbstbestimmung,EU und Islam

    Von Ismail Kpeli

    Das Buch beleuchtet Geschichte und gegenwrtige Politik der PKK.

    Die gegenwrtigen Debatten um die Aufnahme der Trkei in die

    Europische Union haben zu einem wachsenden Interesse an der

    trkischen Innenpolitik gefhrt. In der Auseinandersetzung zwischen

    BefrworterInnen und GegnerInnen des EU-Beitrittes der Trkei spielt

    der Umgang des trkischen Staates mit ethnischen und religisen

    Minderheiten eine zentrale Rolle.

    Die KDie Kururdenfragedenfrage als Schlsselk als Schlsselkoonflikt in der Tnflikt in der Trkrkeiei

    Der zentrale Konikt dabei ist die Kurdenfrage, durch die die

    Trkische Republik seit ihrer Grndung geprgt ist. Der Versuch des

    trkischen Staates, die kurdischen Regionen unter direkte Kontrolle zu

    bekommen, fhrte zu einer Reihe von Aufstnden zwischen 1925 und

    1938. Der Staat zerschlug die Aufstnde durch massive militrische

    Gewalt und schreckte nicht davor zurck, auf Massaker und

    Vertreibungen von greren Bevlkerungsgruppen zurckzugreifen.

    In den darauolgenden Jahren haben kurdische AkteurInnen in der

    Trkei auf den bewaneten Kampf weitgehend verzichtet und ihre

    Interessen durch zivile politische Mittel zu erreichen versucht.

    Allerdings waren die Antworten des trkischen Staates auf diese

    zivilen Anstze Verbot von Organisationen und Verhaftung der

    AktivistInnen. Der Staat bestritt die Existenz einer kurdischen

    Bevlkerung in der Trkei, was dazu fhrte, dass trkische

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    HistorikerInnen, SozialwissenschaftlerInnen und LinguistInnen die

    KurdInnen zu einem trkischen Stamm erklrten und die Existenz

    einer eigenstndigen kurdischen Sprache leugneten. Diese

    Friedhofsruhe wurde dann Ende der 1970er Jahre mit der

    Entstehung von politischen Organisationen, die sich explizit alskurdische Akteure verstanden haben, durchbrochen. In den Kmpfen

    zwischen rivalisierenden kurdischen Gruppen bis zum Militrputsch

    1980 setzte sich die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) unter Abdullah

    calan durch. Whrend die meisten kurdischen Gruppen, ebenso wie

    viele trkische linke Gruppen, whrend der Militrdiktatur schnell

    zerschlagen wurden, berlebte die PKK diese Phase und begann 1984

    mit einer Reihe von Angrien auf die trkische Armee den oenen

    bewaneten Konikt. Seit dieser Zeit lsst sich die Kurdenfrage in

    der Trkei nicht mehr von der PKK trennen.

    Dieser Zusammenhang prgte auch die in den 1990er Jahren

    beginnende Beschftigung mit dem Thema in Deutschland, wobei die

    Kurdenfrage