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Rechtsvergleichender Überblick über das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz Roger Müller-Silva und Nilva Del Bon-Martins Inhaltsübersicht I. Einleitung 280 II. Übersicht über die Konsumentenschutz-Gesetzgebung in Brasilien und in der Schweiz 282 A. Verfassungsrechtliche Grundlagen 282 B. Bundesgesetzgebung 283 1. System von Einzelerlassen in der Schweiz 284 2. Gesamtkodifikation in Brasilien 286 III. Grundlagen des Konsumentenrechts in Brasilien und der Schweiz 289 A. Konsument (Consumidor) 289 1. Die Schutzbedürftigkeit des Konsumenten 290 2. Einbezug juristischer Personen in den Schutzbereich des CDC 291 3. Weitere Kategorien von Konsumenten 295 B. Anbieter (Fornecedor) 296 1. Öffentlichrechtlicher Anbieter 296 2. Ausländischer Anbieter 297 3. Gemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit und Konkursmassen 299 4. Voraussetzungen der Verantwortlichkeit des Anbieters 299 C. Konsumbeziehung (Relação de Consumo) 300 D. Produkt und Dienstleistung 301 IV. Schutz des Konsumenten anhand ausgewählter zivilrechtlicher Instrumente 302 A. Grundsätzliche Rechte der Konsumenten (Direitos Básicos) 302 B. Vorvertragliche Phase 303 C. Missbräuchliche Vertragsklauseln (Cláusulas Abusivas) 303 D. Rücktrittsrecht (Direito de Arrependimento) 304 E. Verwirkung und Verjährung 305 V. Prozessrechtliches Instrumentarium des CDC zum Schutz des Konsumenten (proteção em juízo) 306 A. Zugang zum Rechtsweg und Klagelegitimation 306 B. Durchgriff (Desconsideração da Personalidade Jurídica) 307 C. Beweislastumkehr (Inversão do ônus da prova) 307 VI. Schlussbetrachtung 307

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Rechtsvergleichender Überblick über das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz

Roger Müller-Silva und Nilva Del Bon-Martins

Inhaltsübersicht I. Einleitung 280 II. Übersicht über die Konsumentenschutz-Gesetzgebung in Brasilien und in der Schweiz 282

A. Verfassungsrechtliche Grundlagen 282 B. Bundesgesetzgebung 283

1. System von Einzelerlassen in der Schweiz 284 2. Gesamtkodifikation in Brasilien 286

III. Grundlagen des Konsumentenrechts in Brasilien und der Schweiz 289 A. Konsument (Consumidor) 289

1. Die Schutzbedürftigkeit des Konsumenten 290 2. Einbezug juristischer Personen in den Schutzbereich des CDC 291 3. Weitere Kategorien von Konsumenten 295

B. Anbieter (Fornecedor) 296 1. Öffentlichrechtlicher Anbieter 296 2. Ausländischer Anbieter 297 3. Gemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit und Konkursmassen 299 4. Voraussetzungen der Verantwortlichkeit des Anbieters 299

C. Konsumbeziehung (Relação de Consumo) 300 D. Produkt und Dienstleistung 301

IV. Schutz des Konsumenten anhand ausgewählter zivilrechtlicher Instrumente 302 A. Grundsätzliche Rechte der Konsumenten (Direitos Básicos) 302 B. Vorvertragliche Phase 303 C. Missbräuchliche Vertragsklauseln (Cláusulas Abusivas) 303 D. Rücktrittsrecht (Direito de Arrependimento) 304 E. Verwirkung und Verjährung 305

V. Prozessrechtliches Instrumentarium des CDC zum Schutz des Konsumenten (proteção em

juízo) 306 A. Zugang zum Rechtsweg und Klagelegitimation 306 B. Durchgriff (Desconsideração da Personalidade Jurídica) 307 C. Beweislastumkehr (Inversão do ônus da prova) 307

VI. Schlussbetrachtung 307

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Roger Müller-Silva / Nilva Del Bon-Martins

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I. Einleitung

Diese rechtsvergleichende Arbeit setzt sich mit den Grundlagen des Konsumen-tenrechts in der Schweiz und in Brasilien auseinander und gibt einen Überblick über die Konsumentenschutz-Gesetzgebung beider Länder. Schwergewicht bildet die Frage, welchem Rechtssubjekt mit welchen gesetzgeberischen Mitteln als Konsument Schutz gewährt werden soll. Denn hat eine Gesellschaft erkannt, dass die Maxime der Vertragsfreiheit auf dem Papier in der Rechtswirklichkeit nur dem wirtschaftlich Stärkeren eine Chance gibt, seine Vertragsbedingungen frei auszuhandeln, während diese dem wirtschaftlich Schwächeren diktiert werden, hat deren Rechtsordnung möglichst für Startchancengleichheit zu sorgen. Dies hat die formale Gleichheit des liberalen Rechtsstaates des 19. Jahrhunderts in Eu-ropa nicht geschafft. Mit dem Ausbau des sozialen Rechtsstaates seit dem begin-nenden 20. Jahrhundert knüpfte dann der Gesetzgeber rechtspolitisch erwünschte Rechtsfolgen immer mehr an die Voraussetzung der Erfüllung einer bestimmten sozialen Rolle: Arbeitsloser, Arbeitsunfähiger, finanziell Bedürftiger, Mieter, Ar-beitnehmer, Konsument.1 Ein griffiges Konsumentenrecht sichert die Privatauto-nomie der Konsumenten faktisch, nicht nur rechtstheoretisch.2

Die Anfänge des Konsumentenschutzes in Brasilien gehen auf die Schaffung des noch heute geltenden Handelsgesetzbuches (Gesetz Nr. 556 des brasilianischen Kaiserreichs3 vom 25.6.1850) des ausgehenden 19. Jahrhunderts zurück. Dessen Art. 210 statuiert die Haftung des Verkäufers für versteckte Mängel der Sache gegenüber dem Käufer. Auch das brasilianische Zivilgesetzbuch von 1916 und das Strafgesetzbuch von 1940 sahen bereits Bestimmungen zum Schutze des Konsumenten vor. Schon das Volkswirtschaftsgesetz von 1952 kannte den staatli-chen Eingriff in private Rechtsgeschäfte zum Zwecke der Preiskontrolle. In den nächsten Jahren folgten eine Reihe neuer Erlasse zum Schutze der Konsumenten-schaft. Diese Entwicklung gipfelte 1976 in der Schaffung des ersten Procon (Pro

consumidor), einer Konsumentenschutzbehörde des Staates São Paulo, dessen Beispiel weitere Staaten folgten. Die Arbeit der Procon in den verschiedenen Gliedstaaten fand grosse Publizität und breite Unterstützung in der Bevölkerung, welche alle angeprangerten missbräuchlichen Geschäftspraktiken genau ver-

1 REHBINDER MANFRED, Rechtssoziologie, 4. Aufl., München 2000, § 5 N 86; SCHMELZER MI-

KAEL, Der Konsumentenvertrag, Diss. St. Gallen 1995, S. 54 ff. 2 BRUNNER ALEXANDER, Was ist Konsumentenrecht?, in: Alexander Brunner/Manfred Rehbin-

der/Bernd Stauder (Hrsg.), Jahrbuch des Schweizerischen Konsumentenrechts, Bern 1995, S. 43.

3 HUF PETER MICHAEL, Die Entwicklung des Bundesstaatlichen Systems in Brasilien, in: Fried-rich Kübler/Jürgen Samtleben/Fábio Konder Comparato (Hrsg.), Schriften der Deutsch-Brasilianischen Juristenvereinigung, Band 11, Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris, 1991, S. 27 ff.

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folgte. 1986 mobilisierte sich die Konsumentenschaft in verschiedenen Staaten in den sog. Movimentos ou Associações de Donas de Casa (Hausfrauenvereinigun-gen), welche sich zum Ziel setzten, Verstösse gegen die unter Präsident José Sar-ney mit dem Plano Cruzado

4 eingeführte Einfrierung der Preise aufzudecken und beim Procon anzuzeigen. Diese Bewegung führte zur Gründung des brasiliani-schen Konsumentenschutzinstituts (Instituto Brasileiro de Defesa do Consumidor,

Idec) im Jahr 1987, einer privatrechtlichen Organisation ohne wirtschaftlichen Zweck.5 Ein Jahr danach, mit der Schaffung der neuen brasilianischen Bundes-verfassung, wurde der Konsumentenschutz als Prinzip der Wirtschaftsverfassung festgeschrieben und in Art. 48 der Übergangsbestimmungen zur Verfassung die Schaffung einer Konsumentenschutz-Kodifikation vorgesehen. Dieser Verfas-sungsauftrag wurde dann unter der Präsidentschaft von Fernando Collor am 11. September 1990 mit dem Erlass des Bundesgesetzes Nr. 8.078/90 (Código Brasi-

leiro de Defesa do Consumidor, CDC) realisiert. Auch dieses vermag aber bis heute nicht zu verhindern, dass sich in Brasilien die Spirale der Armut immer weiter dreht; anderseits macht die scheinbar schrankenlose Zinspolitik6 Brasilien zu einem für ausländische Investoren interessanten Wirtschaftsplatz. Ein Parade-beispiel für das Versagen des Gesetzgebers, der zwar in diesem Bereich exzessiv tätig geworden, aber am Ziel deutlich vorbeigeschossen ist. Die Arbeitslo-senzahlen stagnierten in den letzten Jahren auf hohem Niveau, gleichzeitig ist das durchschnittliche Einkommen der Arbeitsbevölkerung in den letzten Jahren – im Vergleich zu den ständig steigenden Konsumentenpreisen – eher gesunken. Die laufende Verschuldung der Privathaushalte in Brasilien ist damit offensichtlich.7 Das Ziel der Vollbeschäftigung und die Sicherung eines langfristigen Vermögens-

4 José Sarney war der erste zwar freie aber noch indirekt durch den Nationalkongress gewählte

Präsident nach der für die Wirtschaft verheerenden Militärdiktatur (1964-1984) in Brasilien. In der sowohl politisch wie auch wirtschaftlich chaotischen Amtszeit Sarneys, galt es die Inflation zu bekämpfen, die Staatsverschuldung zu senken, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern und die Armut zu bekämpfen. Erreicht werden sollte dies u.a. mit dem Plano Cruzado, welcher die Ersetzung des Cruzeiros durch eine neue Währung, den Cruzado, die Einfrierung von Preisen und Löhnen und die Schaffung einer Arbeitslosenversicherung vorsah, vgl. HUF, PETER MICHA-

EL, S. 182 ff. 5 SILVA SANTANA MARIZA, SAC: Canal de Comunicação entre a Empresa e o Consumidor, S. 4,

abrufbar unter www.procon.goias.gov.br/artigodoutrinario/artigo_dout:108.htm, Zugriff am 5.3.2005.

6 Siehe dazu Fn. 37. 7 Indicadores IBGE: Pesquisa Mensal de Emprego Fevereiro 2005 des Instituto Brasileiro de

Geografia e Estatística-IBGE, dem Statistischen Institut des Brasilianischen Ministeriums für Planung, Staatshaushalt und Verwaltung; Pesquisa Mensal de Emprego, Tabelle 177, Monatli-cher Index der Arbeitslosigkeit in den sechs wichtigsten Wirtschaftsregionen Brasiliens, abruf-bar unter: pme_nova/ tab09022005.htm, Zugriff am 7.4.2005; Nicht berücksichtigt sind dabei die grossen Unterschiede zwischen den urbanen Wirtschaftsmetropolen und den ruralen Gebie-ten, in welchen die Arbeitslosigkeit ungleich höher ist, was einerseits die Schattenwirtschaft be-günstigt und andererseits zu einer Landflucht in die Wirtschaftsmetropolen führt, welche ihrer-seits mit der zunehmenden Ausbreitung der Favelas (Elendsviertel) zu kämpfen haben.

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zuwachses der Privathaushalte hängt von einem griffigen Arbeits- und Konsu-mentenrecht und deren konsequenten und effektiven Durchsetzung in der Praxis ab.8 Auch in der Schweiz bietet das Konsumkreditgesetz keinen wirksamen Schutz gegen eine übermässige Konsumentenverschuldung, so ist sich denn auch hierzulande die Problematik anhand einer wachsenden Population von Working

Poor immer wieder vor Augen zu führen.9

II. Übersicht über die Konsumentenschutz-Gesetzgebung in Brasilien und in der Schweiz

A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Sowohl die schweizerische als auch die brasilianische Bundesverfassung10 garan-tieren die Wirtschaftsfreiheit und den freien Wettbewerb (Art. 27 und 95 ff. BV und Art. 1; Abschnitt IV CF und Art. 170, Abschnitt IV und Einziger Absatz, CF). Beide Bundesverfassungen anerkennen gleichzeitig die Schutzbedürftigkeit des Konsumenten. Die schweizerische Bundesverfassung beauftragt in Art. 97 Abs. 1 BV den Bund, Massnahmen zum Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten zu treffen. Die Konsumentenpolitik – zwar Einschränkung der freien Marktwirt-schaft, aber grundsatzkonformes Mittel der schweizerischen Wirtschaftspolitik (Ordnungspolitik) – ist ein massgebender Teil des Wirtschaftsrechts. Dessen Trä-ger und Adressaten sind einerseits Unternehmen und andererseits die Privathaus-halte.11

Die brasilianische Bundesverfassung listet in Art. 170, Abschnitt V, die Grund-prinzipien der Wirtschaftsverfassung auf und nennt als eines dieser Prinzipien den Konsumentenschutz.12 Bereits im Titel II über die Grundrechte und Garantien

8 BRUNNER ALEXANDER, Was ist Konsumentenrecht?, S. 43. 9 REHBINDER MANFRED, Wen schützt das Konsumentenrecht?, in: Isaak Meier/Kurt Siehr

(Hrsg.), Rechtskollisionen, FS für Anton Heini zum 65. Geburtstag, S. 308; Siehe zur ganzen Problematik überschuldeter Privathaushalte: BRUNNER ALEXANDER / REHBINDER MANFRED / STAUDER BERND, Privatautonomie zwischen Konsumkredit und Insolvenz, in: Jahrbuch des Schweizerischen Konsumentenrechts, Bern 1997.

10 Constituição da República Federativa do Brasil, publicada no Diário Oficial da União no 191-A, de 5 de Outubro de 1988 (Verfassung der Föderativen Republik Brasilien, publiziert im Bun-desblatt Nr. 191-A vom 5. Oktober 1988).

11 BRUNNER ALEXANDER, Was ist Konsumentenrecht?, S. 33 und 42. 12 Gemäss Art. 170 CF, hat die brasilianische Wirtschaftsordnung folgende Prinzipien zu beobach-

ten: die Souveränität, das Privateigentum, die soziale Funktion des Eigentums, den freien Wett-bewerb, den Konsumentenschutz, den Umweltschutz, die Reduktion sozialer und regionaler Ungleichheiten, das Ziel der Vollbeschäftigung und die Bevorzugung kleinerer Unternehmen, welche unter brasilianischem Recht gegründet, ihren Sitz und ihre Verwaltung im Land haben.

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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sieht die brasilianische Verfassung die Schaffung eines Gesetzes über den Kon-sumentenschutz vor (Art. 5, Abschnitt XXXII, CF). Die Autoren des Vorent-wurfes zum CDC verweisen überdies auf Art. 150 § 5 CF, der den Gesetzgeber zur Information über die anfallenden Steuern auf einem Produkt oder einer Dienstleistung verpflichtet, sowie auf Art. 175, Abschnitt II, CF, der den Gesetz-geber verpflichtet, über die Rechte der Benützer öffentlicher Dienste in der ent-sprechenden Spezialgesetzgebung zu legiferieren.13

B. Bundesgesetzgebung14

Denselben Verfassungsauftrag15 haben die Schweiz und Brasilien auf unter-schiedliche Weise realisiert. Während es in der Schweiz keine kohärente und um-fassende Konsumentenschutz-Gesetzgebung gibt16, hat der brasilianische Ge-setzgeber die Materie im Bundesgesetz Nr. 8.078 vom 11. September 1990 (Código de Defesa do Consumidor, CDC) zusammengefasst. Die Kompetenz zum Erlass eines Bundesgesetzes über den Konsumentenschutz ergibt sich implizit aus Art. 22, Abschnitt I, CF, der ausschliesslichen Bundeskompetenz zur Legife-rierung über Zivil-, Wirtschafts- und Strafrecht – umfasst doch der CDC als sog. juristisches Mikrosystem alle diese Rechtsgebiete.

Art. 170, Einziger Paragraph, CF garantiert allen die freie und unabhängig von behördlicher Bewilligung auszuübende, wirtschaftliche Erwerbstätigkeit.

13 BRITO FILOMENO JOSÉ GERALDO, S. 22. 14 Brasilien ist als Bundesstaat konzipiert (Art. 1 CF): HUF PETER MICHAEL, S. 24 f.; Der Kompe-

tenzverteilung zwischen Bund und den Gliedstaaten liegt das System der Einzelenumeration der Bundeskompetenzen in der Bundesverfassung (Art. 21 und 22 CF) zu Grunde, welche die Gliedstaaten zu beachten haben (Art. 25 § 1 CF). Ausserdem haben sie die Bundesgesetzge-bung, die Bundesordnung und die bundesgerichtliche Rechtssprechung zu beachten (Art. 24, Abschnitt XVI, § 4, Art. 25 § 1, Art. 34, Abschnitte III und VI und Art. 102, Abschnitt I, lit. a CF); Vgl. für die derogatorische Kraft des Bundesrechts in der Schweiz Art. 42 Abs. 1 i.V.m. Art. 49 Abs. 1 BV; Zur allgemeinen Kompetenzverteilung im brasilianischen Bundesstaat: HUF

PETER MICHAEL, S. 224 ff. 15 Der Verfassungsauftrag ergibt sich in Brasilien explizit aus Art. 48 der Übergangsbestimmungen

zur Verfassung („Ato das Disposições Constitucionais Transitórias“); PELLEGRINI GRINOVER

ADA / HERMAN DE VASCONCELLOS E BENJAMIN ANTÔNIO, Código Brasileiro de Defesa do Consumidor, comentado pelos autores do anteprojeto, 8.ed., Rio de Janeiro, 2004, S. 8; Für die historische Entwicklung des neueren Konsumentenrechts im schweizerischen Alleingang siehe SCHMELZER MIKAEL, S. 45, mit Verweis auf BBl 1993 I, S. 805 ff. über das Swiss-Lex-Paket; BRUNNER ALEXANDER / REHBINDER MANFRED / STAUDER BERND, Privatautonomie zwischen Konsumkredit und Insolvenz, in: Alexander Brunner/Manfred Rehbinder/Bernd Stauder (Hrsg.) Jahrbuch des Schweizerischen Konsumentenrechts, Bern 1997, Chronologie der Konsumenten-schutz-Gesetzgebung im Anhang.

16 WEBER-STECHER URS M., Internationales Konsumvertragsrecht, Zürich 1997, in: Studien zum Verbraucherrecht, Band 5, S. 9; BRITO FILOMENO, JOSÉ GERALDO, S. 29.

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1. System von Einzelerlassen in der Schweiz

Im Gegensatz zur multidisziplinären Gesamtkodifikation Brasiliens hat die Schweiz ein – oft allzu undurchsichtiges und wenig kohärentes – System von Einzelerlassen gewählt.17 Ordnungspolitisches Mittel zur Sicherung des freien Wettbewerbs ist das Kartellgesetz18 (Art. 96 Abs. 1 BV i.V.m. Art. 1 KG). Seit dem 1. April 2004 ist die Verordnung über die Sanktionen bei unzulässigen Wett-bewerbsbeschränkungen (KG-Sanktionsverordnung, SVKG)19 in Kraft. Zur Ver-hinderung von Missbräuchen in der Preisbildung bei Waren, Dienstleistungen sowie Krediten durch marktmächtige Unternehmen und Organisationen hat der Gesetzgeber das Preisüberwachungsgesetz20 und die dazugehörige Verordnung über die Bekanntgabe von Preisen (Preisbekanntgabeverordnung)21 erlassen (Art. 96 Abs. 2 lit. a BV i.V.m. Art. 1 und 2 PüG). Der Schutz des lauteren und unver-fälschten Wettbewerbs ist sodann der Zweck des Bundesgesetzes gegen den un-lauteren Wettbewerb22 (Art. 96 Abs. 1 lit. b BV i.V.m. Art. 1 UWG). Kartellrecht, Preisüberwachung und Schutz der Lauterkeit des Wettbewerbs sind die ord-nungspolitischen Säulen, welche die schweizerische Wirtschaftsfreiheit als Insti-tution (Art. 94 BV) tragen. Dabei decken das Kartellgesetz und das Preisüber-wachungsgesetz den vorvertraglichen und das UWG den vertraglichen Bereich ab.23

Unter die Konsumentenschutzgesetzgebung im engeren Sinne fallen das Konsu-menteninformationsgesetz (KIG)24, welches durch Vorschriften über die wesentli-chen Eigenschaften der zum Kauf oder Gebrauch angebotenen Waren- und über den wesentlichen Inhalt der vom Bundesrat bezeichneten Dienstleistungen sowie mittels Finanzhilfen an Konsumentenorganisationen (Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 lit. a und b KIG) die objektive Information der Konsumenten bezweckt. Den Konsumkredit regeln das Bundesgesetz über den Konsumkredit (KKG)25 und die Verordnung betreffend die Eintragung der Eigentumsvorbehalte (EigVV)26. Das Konsumkreditgesetz definiert den Konsumkreditvertrag als Vertrag, durch den

17 In der brasilianischen Literatur spricht man von «leis esparsas», verstreuten Einzelerlassen, vgl.

PELLEGRINI GRINOVER ADA UND HERMAN DE VASCONCELLOS E BENJAMIN ANTÔNIO, S. 8. 18 SR 251. 19 SR 251.5. 20 SR 942.20. 21 SR 942.211. 22 SR 942. 23 BRUNNER ALEXANDER, Was ist Konsumentenrecht, S. 48. Allerdings sanktioniert Art 7 KG

auch den Missbrauch der Stellung eines marktbeherrschenden Unternehmens auf der vertragli-chen Ebene.

24 SR 944.0. 25 221.214.1. 26 211.413.1.

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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eine Kreditgeberin einem Konsumenten einen Kredit in Form eines Zahlungsauf-schubs, eines Darlehens oder einer ähnlichen Finanzierungshilfe gewährt oder zu gewähren verspricht, wobei auch Leasingverträge und Kredit- oder Kundenkarten sowie Überziehungskredite als Konsumkreditverträge gelten, wenn sie mit einer Kreditoption verbunden sind (Art. 1 Abs. 1 und 2 KKG). Der Konsumkreditver-trag ist sehr strengen Formerfordernissen unterworfen, deren Nichtbeachtung in aller Regel die Nichtigkeit des Vertrages zur Folge hat (Art. 15 Abs. 1 KKG). Ausserdem beinhaltet das Konsumkreditgesetz eine klare Definition des Kredit-gebers (Anbieter, Art. 2 KKG) und des Konsumenten (Art. 3 KKG), worauf an anderer Stelle zurückzukommen ist27.

Ebenfalls der Konsumentenschutzgesetzgebung im engeren Sinne wird das Bun-desgesetz über Pauschalreisen28 zugerechnet, welches den Pauschalreisevertrag als im voraus festgelegte Verbindung von mindestens zwei der Dienstleistungen Beförderung, Unterbringung oder andere touristische Dienstleistung regelt, wenn diese Verbindung zu einem Gesamtpreis angeboten wird und länger als 24 Stun-den dauert oder eine Übernachtung einschliesst (Art. 1 Abs. 1 Pauschalreisege-setz). Im Obligationenrecht29 geregelt ist schliesslich das Widerrufsrecht innert sieben Tagen bei Haustürgeschäften wie Angeboten am Arbeitsplatz, in Wohn-räumen oder in deren unmittelbaren Umgebung, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf öffentlichen Strassen und Plätzen oder an einer Werbeveranstaltung, die mit einer Ausflugsfahrt oder einem ähnlichen Anlass verbunden war (Art. 40a ff. OR). Ausserdem erliess der Gesetzgeber Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen: Art. 269-270e OR über den Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen und andern missbräuchlichen Forderungen des Vermieters bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen und Art. 271-273c über den Kündigungsschutz (An-fechtbarkeit und Erstreckung) bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen. Vorschriften zum Schutz des Konsumenten finden sich im übrigen im Bundesge-setz über den Versicherungsvertrag.30 Selbstverständlich enthält auch das Strafge-setzbuch31 konsumentenschutzrelevante Bestimmungen, vorab Betrug (Art. 146 StGB), Warenfälschung (Art. 155 StGB), Wucher (Art. 157 StGB) und ungetreue Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB), aber auch Widerhandlungen gegen die Be-stimmungen zum Schutz der Mieter von Wohn- und Geschäftsräumen welche nach Art. 325bis StGB unter Strafe stehen. Endlich beinhalten auch die vorge-nannten Handels- und Privatrechtserlasse je eigene Strafbestimmungen.32

27 Siehe III.A. (Konsument) und III.B. (Anbieter). 28 SR 944.3. 29 SR 220. 30 SR 221.229.1. 31 SR 311.0. 32 Empfehlung der Eidgenössischen Kommission für Konsumentenfragen betreffend den Schutz

der Konsumenten durch strafrechtliche Sanktionen vom 5. November 2002, S. 3 f., siehe

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Roger Müller-Silva / Nilva Del Bon-Martins

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2. Gesamtkodifikation in Brasilien

Im Zusammenhang mit der brasilianischen Konsumentenschutz-Kodifikation spricht die dortige Literatur von dessen multidisziplinären Charakter33 oder von einem eigentlichen juristischen Mikrosystem (microsistema jurídico), welches sowohl zivilrechtliche, strafrechtliche, verwaltungsrechtliche und umweltrechtli-che Anordnungen sowie zivil- und strafprozessrechtliche Bestimmungen in einer einzigen Kodifikation vereint.34 Mit dem Erlass des CDC entschied sich der bra-silianische Gesetzgeber einerseits bewusst für eine Gesamtkodifikation anstelle von Einzelerlassen und es war andererseits die Intention des Gesetzgebers, dem Konsumenten damit einen umfassenden Schutz zu gewähren. Trotzdem ist der CDC natürlich in die brasilianische Rechtsordnung eingebettet und sind immer auch weitere Rechtsgebiete (Verfassungsrecht, Zivilrecht, Strafrecht, das Ver-waltungsrecht oder die entsprechenden Prozessordnungen)35 zu beachten. Vorbe-halten bleiben explizit die Bestimmungen des Strafgesetzbuches (Código Penal) und der übrigen Spezialgesetzgebung (leis especiais

36), Art. 61 CDC. Dazu ge-hört insbesondere – nach dessen Wiederinkraftsetzung 1991 – das Dekret Nr. 22.626 vom 7. April 1933 (Lei da Usura, Wuchergesetz).37

www.konsum.admin.ch/imperia/md/content/empfehlungenderkommission/5.11.2002_d, Zugriff am 28.2.2005.

33 BRITO FILOMENO JOSÉ GERALDO, S. 20. 34 BRÍGIDO NUNES MEMÓRIA ANTONIO RICARDO, O CDC e os crimes contra as relações de con-

sumo, S. 4, Jus Navigandi, Teresina, a.7, n. 89,30 set. 2003, abrufbar unter: www1.jus.com.br /doutrina/texto.asp?id=4249, Zugriff am 12.11.2004.

35 PELLEGRINI GRINOVER ADA / HERMAN DE VASCONCELLOS E BENJAMIN ANTÔNIO, S. 7f.; Ziel war es, alle Aspekte der Konsumbeziehung zu regeln, sowohl aus dem Produkt oder der Dienst-leistung als solcher fliessende, als auch auch solche der Produktion und der Verteilung, bzw. Zirkulation, wie den Kredit und das Marketing. BRÍGIDO NUNES MEMÓRIA, ANTONIO RICARDO, S. 4.

36 Dies sind insbesondere das die Bundesgesetze Nr. 8.884 vom 11. Juni 1994 («Lei Antitruste», Kartellgesetz), Nr. 1.521 vom 26.12.1952 über Vergehen gegen die Volkswirtschaft, Nr. 4.591 vom 16.12.1964 über das Stockwerkeigentum und Immobiliengesellschaften, Nr. 8.245 vom 18.10.1991 über die Miete von städtischem Wohnraum, Nr. 6.766 vom 19.12.1979 über die Par-zellierung (und Schätzung) von städtischem Grund, Nrn. 7.492/86 und 4.595/64 über Vergehen gegen die Finanzordnung, Nr. 8.176/91 über die Treibstoffe und Nr. 9.279 vom 14. Mai 1996 über die Rechte und Pflichten betreffend das industrielle Eigentum; BRÍGIDO NUNES MEMÓRIA

ANTONIO RICARDO, S. 6. 37 Das Dekret Nr. 22.626 vom 7. April 1933 beinhaltet Bestimmungen über Vertragszinsen und hat

Verhinderung und Bekämpfung des Wuchers zum Ziel, dies u.a. durch Zinsbeschränkungen. Im Bereich der Höchstzinsbeschränkung und der Bekämpfung des Zinswuchers greift der CDC selbst zu wenig; er kennt keinen konkreten prozentualen oder absoluten Höchstsatz für Ver-tragszinsen, sondern sieht einzig die Anfechtbarkeit von Vertragsbestimmungen vor, die ein Un-gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung bewirken (Art. 6, Abschnitt V, CDC). Vgl. auch Art. 157 CC. Gemäss Art. 1, Ingress, des vorgenannten Wuchergesetzes von 1933 war die Vereinbarung von Vertragszinsen bis auf das Doppelte des gesetzlichen Zinssatzes zulässig, wobei dieser bisher in Art. 1062 aCC bei 6% fixiert war. Durch die Inkraftsetzung des neuen Zivilgesetzbuches von 2002, welches selber keinen gesetzlichen Vertragszins mehr kennt, wur-

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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Neben dessen zivilrechtlichen Bestimmungen,38 enthält der CDC aber auch ver-waltungsrechtliche Anordnungen und unterhält ein eigenes System verwaltungs-rechtlicher Sanktionen.39 Das Bundesgesetz räumt dem Bund, den Staaten und dem Bundesdistrikt je konkurrierende Kompetenzen zum Erlass von Verwal-tungsanordnungen im Bereich der Produktion, Industrie, der Verteilung und des Konsums ein, Art. 55 CDC. Die Überwachung dieser Geschäftszweige im Hin-blick auf den Schutz der Gesundheit und des Lebens der Konsumenten wird e-benfalls dem Bund, den Staaten, dem Bundesdistrikt und den Gemeinden ge-meinsam überlassen, Art. 55 § 1 CDC. Daneben enthält der CDC auch strafrecht-liche Bestimmungen. Aufgrund des beschränkten Umfanges der vorliegenden Arbeit wird im Folgenden nurmehr auf das zivilrechtliche Instrumentarium des CDC näher eingegangen und es sei an dieser Stelle für die verwaltungs- und strafrechtlichen Bestimmungen des CDC auf die Literatur verwiesen.40

3. Würdigung

Aufgrund der zahlreichen Berührungspunkte des Konsumentenrechts mit anderen Rechtsgebieten, welche für sich alleine schon einer fortlaufenden Spezialisierung unterliegen und stetig anwachsen,41 wird auch für die Schweiz von einigen Auto-ren mit guten Gründen eine umfassende und abschliessende Regelung des Konsu-

de Art. 1062 aCC aber aufgehoben. Ebenfalls dadurch aufgehoben wurde Art. 1 des Wucherge-setzes. Gleichzeitig bestimmte das brasilianische Verfassungsgericht («Supremo Tribunal Fede-ral»), dass Art. 192 § 3 der Verfassung, welcher die Vertragszinsen eigentlich auf 12% limitieren würde, aber nicht unmittelbar anwendbar («auto-aplicável», «self-executing») sei. Dies führt zur absurden Situation, dass die Vertragszinsen heute faktisch nicht gesetzlich begrenzt sind. Der Missstand ist einzig de lege ferenda durch Erlass eines Ergänzungsgesetzes «Lei complemen-tar» zu 192 § 3 CF zu beheben. Vgl. zum Ganzen: FERNANDO MACHADO DA SILVA LIMA, A li-mitação dos juros, in: Jus Navigandi, Teresina, a.4, n.46, out. 2000, abrufbar unter: www1.jus.com.br/doutrina/texto.asp?id=729, Zugriff am 19.10.2004.

38 Kapitel III: von den grundlegenden Rechten des Konsumenten (Art. 6 f. CDC), Kapitel IV: Von der Qualität der Produkte und Dienstleistungen, der Prävention und vom Schadenersatz (Art. 8-28 CDC), Kapitel V: Von den Geschäftspraktiken (Art. 29-45 CDC), Kapitel VI: Vom vertragli-chen Schutz (Art. 46-54 CDC).

39 Unabhängig anderer im CDC angeordneter zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, droht Art. 56 CDC folgende Verwaltungsstrafen an: I-Busse, II-Einziehung des Produktes, III-Unschädlichmachen des Produktes, IV-Widerruf der Registrierung des Produktes, V-Fabrikationsverbot, VI-Einstellung der Lieferung von Produkten und Dienstleistungen, VII-Befristete Einstellung in der wirtschaftlichen Tätigkeit, VIII-Widerruf der Konzession oder Gebrauchsbewilligung, IX-Annullierung der Lizenz des Unternehmens oder für die wirtschaftli-che Tätigkeit, X-Partielles oder vollumfängliches Verbot des Unternehmens, des Werkes oder der wirtschaftlichen Tätigkeit, XI-Verwaltungsanordnungen, XII-Anordnung einer Gegendar-stellung. Art. 57 CDC verweist in diesem Zusammenhang auf das Verwaltungsverfahren gemäss Bundesgesetz Nr. 7.347 vom 24. Juli 1985 über die verwaltungsrechtliche Klage aus Verant-wortlichkeit für Umweltschäden, aus Schädigung des Konsumenten und aus Schädigung artisti-scher, ästhetischer, historischer oder touristischer Rechtsgüter.

40 BRÍGIDO NUNES MEMÓRIA ANTONIO RICARDO, S. 2. 41 REHBINDER MANFRED, Rechtssoziologie, § 5 N 83, 89 und 91.

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mentenrechts postuliert. Damit könnte man Überschneidungen vermeiden und der ständig wachsenden Normenflut entgegentreten. Ausserdem würde man mit einer einheitlichen Begriffsbildung und mit einem kohärenten System den ständig wachsenden Ansprüchen der Konsumentenschaft wirksamer Rechnung tragen.42 Anderseits birgt der Anspruch einer umfassenden Gesamtkodifikation die Gefahr von Lücken sowie von Normenkonflikten und Abgrenzungsschwierigkeiten in sich (vgl. z.B. die in FN 37 aufgezeigte Höchstzinsproblematik). Die Lösung für solche – scheinbare – Normenkonflikte lässt sich entweder dem Gesetz selber entnehmen43 oder den Grundsätzen des intertemporalen Rechts. 44 Im Falle einer Gesetzeslücke kommt Richterrecht zur Anwendung.45 In der Schweiz wird die Frage einer Gesamtkodifikation wohl deshalb nicht prioritär behandelt, weil in der Praxis gegenüber dem Konsumenten gewöhnlich ein Versicherer für entstan-dene Schäden aufkommt, welcher sich hernach über die versicherungsvertragli-che Subrogation (Art. 72 Abs. 1 VVG) am Anbieter schadlos hält. Das Schwerge-wicht verlagert sich also von der Konsumbeziehung hin zur Versicherungsvertragsbeziehung. Hingegen existiert in Brasilien kein Obligato-rium für den Beitritt zu einer Sozialversicherung und keines für den Abschluss einer Grundversicherung im Kranken- und Unfallbereich. Solche Versicherungen können aber fakultativ privat abgeschlossen werden, wie eine Haftpflicht- bzw. Betriebshaftpflichtversicherung auch. Nur sind die Privathaushalte und die klei-nen Betriebe in Brasilien in aller Regel nicht versichert. Der Schaden kann damit nicht einfach einer Privathaftpflichtversicherung gemeldet und Haftungsfälle können nicht einfach auf eine Betriebshaftpflichtversicherung abgewälzt werden, es fängt auch keine staatliche Sozialversicherungsanstalt die Spätfolgen einer allfälligen Invalidität auf. Deshalb spielt das Konsumentenrecht hier für den Aus-

42 WEBER-STECHER URS M., S. 9; KOLLER-TUMMLER MARLIES, Der Konsumvertrag im Schwei-

zerischen Recht, ASR Heft 567, Bern 1995, S. 117f. 43 Für Normenkonflikte zwischen dem CDC und dem Strafgesetzbuch bestimmt Art. 61 CDC den

Vorrang des Strafgesetzbuches und Art. 90 CDC statuiert den Vorrang des CDC vor dem Zivil-prozessgesetzbuch.

44 Für Brasilien bestimmt Art. 2 LICC: Ein späteres Gesetz hebt ein früheres auf (resp. geht die-sem vor), wenn dies darin explizit vorgesehen ist, wenn das spätere mit dem früheren nicht kompatibel ist oder wenn das spätere Gesetz die vom früheren Gesetz behandelte Materie voll-ständig abdeckt. Ein neues Gesetz das neben den bereits existierenden allgemeine oder spezielle Bestimmungen einführt, hebt die früheren Gesetze weder auf noch ändert es diese ab. Verliert ein späteres Gesetz, welches ein früheres aufgehoben hatte, seine Rechtskraft, tritt das frühere Gesetz, vorbehältlich anderer Anordnung, nicht mehr in Kraft. Für die Grundsätze intertempora-len schweizerischen Rechts, vgl. HÄFELIN ULRICH / MÜLLER GEORG, Grundriss des Allgemei-nen Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Zürich 1998, § 6.

45 Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB für die Schweiz. Art. 4 LICC für Brasilien: Wenn das Gesetz schweigt hat der Richter nach Analogie, Gewohnheit oder allgemeinen Rechtsprinzipien zu entscheiden.

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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gleich der wirtschaftlichen Schutzbedürftigkeit des Konsumenten eine ungleich grössere Rolle.46

III. Grundlagen des Konsumentenrechts in Brasilien und der Schweiz

A. Konsument (Consumidor)

Mit der Definition, wer «Konsument» und wer «Anbieter» ist, bestimmt ein Ge-setzgeber die grundsätzliche Schutzrichtung seines Konsumentenrechts. Für das schweizerische Konsumentenrecht geht BRUNNER einerseits von einem funktio-nalen Begriff des Privathaushaltes als Konsument (nichtbetrieblicher Gebrauch und Verbrauch), von Waren und Dienstleistungen aus. Andererseits definiert er das Unternehmen als «betrieblicher Anbieter von Waren und Dienstleistungen».47 Art. 3 KKG definiert den Konsumenten als natürliche Person, die einen Konsum-kreditvertrag zu einem Zweck abschliesst, der nicht ihrer beruflichen oder ge-werblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Art. 40a OR über den Widerruf bei Haustürgeschäften definiert den Konsumenten – verwendet allerdings das Synonym «Kunde» – implizit als eine natürliche Person, entscheidend ist dabei der persönliche oder familiäre Gebrauch des Vertragsobjekts.48 Art. 120 IPRG vereint in pleonastischer Weise beide oben erwähnten Definitionsformen.49 Das brasilianische Konsumentenrecht unterscheidet den Konsumenten strictu sensu und den dem Konsumenten Gleichgestellten. Den Konsumenten strictu sensu definiert Art 2. Abs. 1 CDC als jede natürliche oder auch juristische Person, die als Endverbraucher, ein Produkt erwirbt oder gebraucht oder eine Dienstleistung in Anspruch nimmt. Dem Konsumenten gleichgestellt ist die Allgemeinheit als

46 Versicherungsrecht als Verbraucherschutzrecht, vgl. SCHNYDER ANTON K., Versicherungsrecht

als Konsumentenrecht, in: Alexander Brunner/Manfred Rehbinder/Bernd Stauder (Hrsg.), Jahr-buch des Schweizerischen Konsumentenrechts, Bern 1996, S. 145 f.; Die Betriebs-Haftpflichtversicherung deckt in ihrer Grundversicherung Ansprüche aus Personen- und Sach-schäden aufgrund von Produkterisiken, Entwicklungs-, Konstruktions-, Produktions- und In-struktionsfehlern oder ungenügender Sicherheitsvorkehren, wobei aber etwa bezüglich Umwelt-schäden, reinen Vermögensschäden oder Ansprüche aus nicht gehöriger Erfüllung Ausschlussklauseln bestehen können, SCHNYDER ANTON K., Produktehaftpflichtversicherung, in: Alexander Brunner/Manfred Rehbinder/Bernd Stauder (Hrsg.), Jahrbuch des Schweizeri-schen Konsumentenrechts, Bern 2000, S. 103 f. und 106 f.

47 BRUNNER ALEXANDER, Was ist Konsumentenrecht?, S. 40. 48 Kritisch diskutiert von WEBER-STECHER URS, § 3, S. 21 f. 49 Vgl. auch REHBINDER MANFRED, Wen schützt das Konsumentenrecht?, S. 306.

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«Kollektiv von Personen unbestimmter Anzahl», welche in eine bestimmte Kon-sumbeziehung verwickelt ist (Art. 2, einziger Paragraph, Art. 17 und 29 CDC).50

1. Die Schutzbedürftigkeit des Konsumenten

Konsumentenrecht ist typischerweise Konsumentenschutzrecht. Der Gesetzgeber hat dem die Konsumbeziehung prägenden Ungleichgewicht Rechnung zu tragen, in dem er den Konsumenten vor der klar stärkeren Partei der Konsumbeziehung51 – dem Anbieter, der deren Regeln diktiert – schützt. FABIO KONDER COMPARATO sieht diese Stärke insbesondere darin begründet, dass die Anbieter, worunter er die empresários, also die Unternehmer versteht, über die entsprechenden Produk-tionsgüter zur Herstellung der von den Konsumenten gewünschten Produkten verfügen52. Damit geht ein Kenntnis- und Informationsvorsprung53 einher und verstärkt so das Gefälle in der Konsumbeziehung.54 Ein solches Gefälle kann a-ber durchaus auch zwischen zwei juristischen Personen bestehen.55 Dieser öko-nomischen56 Übermacht des Anbieters sah der brasilianische Gesetzgeber nicht anders beizukommen, als die beiden Parteien der Konsumbeziehung eben un-gleich zu behandeln.57 Der schweizerische Gesetzgeber hingegen versucht vorab im Konsumkreditgesetz (Art. 9-12) und im Konsumenteninformationsgesetz (Art. 2) aber auch im UWG (Art. 16-19) und im Mietrecht (z.B. Art. 269d OR), anhand formeller Vorschriften (Informationsrechten und Aufklärungspflichten58), Unglei-

50 Siehe dazu ausführlicher unter II.A.3. 51 Kritik an diesem Stereotyp übend SCHMELZER MIKAEL, S. 48 f. 52 Was in der idealtypischen Konsumbeziehung der Fall ist, trifft aber z.B. auf Situationen eines

Nachfragemonopols nicht zwingend zu, siehe DUBS ROLF, Volkswirtschaftslehre, Bern 1994, S. 144; SCHMELZER MIKAEL, S. 48; BRITO FILOMENO JOSÉ GERALDO, S. 32.

53 BRUNNER ALEXANDER, S. 45 ff.; SCHMELZER MIKAEL, S. 47 ff. u. 65 ff.; Mit der Inhaberschaft an Produktionsgütern, der damit einhergehenden ökonomischen Macht, der bürokratisierten und arbeitsteilig aufgebauten Organisation und dem Informationsvorsprung hängen auch die grösse-ren Erfolgschancen im Zivilprozess zusammen, vgl. zum Ganzen: REHBINDER, MANFRED, Rechtssoziologie, § 5 N 8 und 166.

54 Der Konsument ist in faktischer, rechtlicher oder technischer Hinsicht die schwächere Partei der Konsumbeziehung: BRÍGIDO NUNES MEMÓRIA ANTONIO RICARDO, S. 2; BRITO FILOMENO JOSÉ

GERALDO, S. 34. 55 SCHMELZER MIKAEL, S. 48. 56 Gemeint ist damit nicht eine Übermacht im rein finanziellen Sinne, sondern es geht um die Ver-

fügbarkeit einer entsprechenden Infrastruktur, um Know how und die Möglichkeit arbeitsteili-ger Dienstleistungserbringung und der mit einhergehenden Spezialisierung. Die Schutzwürdig-keit ist ein Wesensmerkmal des Konsumenten im allgemeinen, ob reich oder arm, gebildet oder nicht, leichtgläubig oder wachsam, die finanzielle Bedürftigkeit ist lediglich ein Merkmal eini-ger, aber keinesfalls aller Konsumenten, vgl. zum Ganzen: ALVES PINTO HENRIQUE, Princípios nucleares do Código Brasileiro de Defesa do consumidor e sua extensão como princípio consti-tucional, S. 1 f., abrufbar unter: www1.jus.com.br/doutrina/texto.asp?id=4792&p=2, Zugriff am 24.3.2005.

57 Vgl. zur Rechtsgleichheit in der brasilianischen Verfassung den facettenreichen Art. 5 CDC. 58 BRUNNER ALEXANDER, Was ist Konsumentenrecht?, S. 46.

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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ches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln59. Damit gelten in der Schweiz strengere Gültigkeitsvoraussetzungen für die genannten Verträge, inhaltlich bleibt aber der Gesetzgeber noch stärker den obligationenrechtlichen Grundprinzipien (Privatautonomie, Vertrags- und Inhaltsfreiheit) verhaftet. An-ders der brasilianische Gesetzgeber, der den beiden zu Recht als unterschiedlich stark befundenen Parteien der Konsumbeziehung viel weiter gehend auch mate-riell unterschiedliche Rechte und Pflichten auferlegt (vgl. insbesondere Art. 6, 30-33, 36f. und 42 CDC). Damit betreibt der brasilianische Gesetzgeber akzentuier-ter staatliche Intervention.60

2. Einbezug juristischer Personen in den Schutzbereich des CDC

Im Gegensatz zum schweizerischen Rechtsverständnis, ist eine juristische Person nach brasilianischem Recht durchaus grundsätzlich als Konsumentin schutzwür-dig. In der Schweiz fällt sogar der Kleinunternehmer – auch bei unter Umständen stärkerer Gefährdung aufgrund der berufsmässig eingegangenen Risiken – aus dem Schutzbereich des Konsumentenrechts heraus.61 Nach schweizerischem Rechtsverständnis ist das Austauschverhältnis zwischen betrieblichem Anbieter und betrieblichem Abnehmer (soweit nicht die Arbeitskraft Objekt der Rechtsbe-ziehung ist) durch das Handelsrecht geregelt und nicht durch das Konsu-mentenrecht,62 fallweise sind die Schranken des Kartellrechts zu beachten.

Die herrschende brasilianische Lehre geht von der bereits zitierten63 Definition aus, wonach Konsument ist, wer nicht über die entsprechenden Produktionsgüter zur Herstellung des vom ihm gewünschten Produkts verfügt und sich deshalb der Macht des Eigentümers dieser Güter unterwerfen muss. Danach kann auch eine juristische Person durchaus Konsumentin sein, wenn sie selber eben nicht über die notwendigen Produktionsgüter verfügt. Es ist eben auch unter juristischen Personen in aller Regel nicht der Fall, dass beide Parteien die Vertragsbedingun-gen frei aushandeln können. In der Rechtswirklichkeit hat nur die wirtschaftlich stärkere Partei eine Chance, die Vertragsbedingungen etwa in Form von vorfor-mulierten Vertragsinhalten (allgemeine Vertrags-, oder Geschäftsbedingungen) vorgeben zu können. Die wirtschaftlich schwächere Partei kann diese akzeptieren oder nicht.64

59 Vgl. zu Art. 8 BV HÄFELIN ULRICH / MÜLLER GEORG, N 401. 60 Vgl. weiterführend unter Ziffer V.A. auf S. 27. 61 REHBINDER MANFRED, Wen schützt das Konsumentenrecht?, S. 310 f.; Kritik dazu auch von

SCHMELZER MIKAEL, S. 48 f. 62 BRUNNER ALEXANDER, Was ist Konsumentenrecht?, S. 42; BUCHER EUGEN, Der Gegensatz von

Zivil- und Handelsrecht, in: FS Meier-Hayoz, Zürich 1972, S. 1 ff. 63 Siehe Kapitel III A.1. zuvor. 64 REHBINDER MANFRED, Rechtssoziologie, § 5 N 86.

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Eine juristische Person ist Konsumentin im Sinne des Gesetzes, wenn sie ein Pro-dukt oder eine Dienstleistung als destinatário final, als Endverbraucherin in An-spruch nimmt (Art. 2 Abs. 1 CDC). Dies bedeutet, dass das Produkt, welches die betreffende juristische Person erwirbt, für diese selbst ein Konsumgut sein muss und nicht ein Produktionsgut und keine Handelsware sein darf. Als weitere Vor-aussetzung wird postuliert, dass zwischen der Anbieterin und der juristischen Per-son als «Konsumentin» ein Ungleichgewicht bestehe, welche die erstere bevor-zugt. Der Einbezug juristischer Personen in den staatlichen Schutzbereich des CDC gab auch in der brasilianischen Literatur Anlass zu einiger kontroverser Kri-tik. Die Definition des Konsumenten strictu sensu in Art. 2 CDC wirft für natür-liche Personen keine besonderen Probleme auf. Auch scheint es unumstritten, dass Unternehmen ohne wirtschaftliche Zweckbestimmung, wie Quartiervereine, Stockwerkeigentümergemeinschaften, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Gebietsköperschaften und dgl. selbstredend Konsumenten und mithin implizite schutzwürdig sind. Die Anwendung des CDC auf juristische Personen brachte in der Literatur zwei Theorien hervor: Die finale (Teoria Finalista) und die maxima-listische Theorie (Teoria Maximalista).65 Die Anhänger der finalen Theorie knüp-fen die Schützwürdigkeit an das unbedingte Erfordernis des Endverbrauches. Die Anhänger der maximalistischen Theorie, welche die Schutzwürdigkeit grundsätz-lich auf alle Marktteilnehmer ausweiten, erkennen auch in einer Rechtsbeziehung zwischen dem Zulieferer von Produktionsgütern für einen Produktionsbetrieb oder Dienstleistungserbringer und diesem Letzteren ein Ungleichgewicht, wel-ches den Zulieferer bevorzugt, weil dieser über die Rohstoffe, andere Produkti-onsgüter zu dessen Verarbeitung und über einen Kenntnis- und Informationsvor-sprung verfügt. Die Konzeption des CDC beruht auf der finalen Theorie, welche eine juristische Person nur unter gewissen Voraussetzungen als schützenswerten Konsumenten betrachten will. Diejenigen Güter oder Dienstleistungen, welche eine juristische Person erwirbt, werden dabei grundsätzlich (mit Ausnahmen) als Produktions- oder Investitionsgüter betrachtet. Das trifft umgekehrt dann nicht zu, wenn die juristische Person Güter oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt, die nichts mit deren Betrieb, Produktion oder von ihr angebotenen Dienstleistun-gen zu tun haben.

Beispielsweise erwirbt die Total Transport GmbH, ein Reisecarunternehmen, von der Reifen AG Reifen zum Betrieb ihrer Reisecars, deren Kaufpreis sie indirekt über den Ticketpreis auf ihre Kunden abwälzt. Gemäss der finalen Theorie ist die Total Transport GmbH nicht Konsumentin im Verhältnis zur Reifen AG, weil die Reifen als Produktionsgut zum Betrieb ihrer Reisecars letztlich dem Passagier als Endverbraucher zu Gute kommen und der entsprechende Aufwand abgewälzt

65 Vergleiche zum Ganzen: BRITO FILOMENO JOSÉ GERALDO, S. 32 ff.

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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werden kann. Kauft aber die Total Transport GmbH von der Kaffee Handels AG Kaffeebohnen ein, damit ihre Arbeitnehmer in der Cafeteria Kaffee trinken kön-nen, besteht zwischen der Kaffee Handels AG und der Total Transport AG eben-falls eine Konsumbeziehung, weil die Total Transport AG in Bezug auf den Kaffe Endverbraucherin ist und den Kaffee nicht für ihren Betrieb bzw. für ihre angebo-tenen Transportdienstleistungen benötigt. Vgl. die nachstehende Grafik:

Einordnung einer juristischen Person als Konsumentin nach der finalen Theorie:

Die Konsequenzen dieser Unterscheidung zwischen Konsum- und Handels-bezie-hung sind zweierlei: a) Die Konsumbeziehung wird durch den CDC geregelt. Deshalb sind im vorgenannten Beispiel die Bestimmungen des CDC sowohl auf das Verhältnis zwischen den Passagieren der Dienstleistungserbringerin einerseits aber auch zwischen Letzterer und einer Verkäuferunternehmung für deren Verbrauchsgüter anzuwenden. Währenddessen wird das Verhältnis zwischen der Zulieferfirma von Produktionsgütern, der Dienstleistungserbringerin und ihr sel-ber durch das Handelsrecht und mithin durch den Código Comercial Brasileiro (Bundesgesetz Nr. 556 vom 25.6.1850) geregelt. b) Entsprechend sind auch die anwendbaren Regeln für die Rechte und Beweislast betreffend Vorliegen eines Schadens und des Verschuldens des Verkäufers unterschiedlich, je nach dem, ob die Dienstleistungserbringerin Kundin der Verkäuferin für ihre Verbrauchsgüter (Konsumentin i.S.d. CDC) oder Kundin ihrer Zulieferfirma ihrer Produktionsgü-ter (Käuferin i.S.d. CC) ist.

Reifen AG

Total Trans-port GmbH

Reisegäste (Kunden der Total Transport GmbH)

Konsumbeziehung zwischen Dienstleistungserbringerin

und deren Kunden

Handelsbeziehung zwi-schen Produzent und

Dienstleistungsererbringer

Kaffe Handels AG

Konsumbeziehung zwischen Handelsbetrieb und Dienst-

leistungserbringerin

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Die maximalistische Theorie hingegen geht vom Grundsatz aus, dass zwischen allen Marktteilnehmern66 eine Konsumbeziehung besteht, mithin der CDC an-wendbar ist, solange es nicht um den Erwerb und Verkauf von Handelsware (Kauf zum Wiederverkauf) geht. Auch der Erwerb von Produktionsgütern durch eine juristische Person steht für die Anhänger dieser Theorie also unter dem Schutz des CDC. Im Gegensatz zum vorgenannten Beispiel besteht nach der ma-ximalistischen Theorie auch zwischen der Total Transport GmbH und ihrer Zulie-ferunternehmung für Reifen eine Konsumbeziehung; nach dieser Theorie ist sie Endverbraucherin. Die Total Transport GmbH kann sich mithin auf ihre Schutz-rechte als Konsumentin aus dem CDC berufen. Verkauft sie hingegen ihren Rei-segästen während der Fahrt Sandwichs, welche Sie selber von der Natural Sand-wichs AG bezieht, liegt selbst nach der maximalistischen Theorie ein gewöhnlicher zivil- oder handelsrechtlicher Kauf vor. Dazu die untenstehende Grafik:

Einordnung einer juristischen Person als Konsumentin nach der maximalen Theo-rie:

Obwohl sich der brasilianische Gesetzgeber für die finale Theorie mit Erfordernis des Endverbrauchs (siehe Art. 2 CDC) entschieden hat67, fehlt es der maximalisti-

66 BRITO FILOMENO JOSÉ GERALDO, S. 35; MARINHO CHRISTINI RODRIGO, O conceito de consu-

midor e a limitação do seu alcance para as pessoas jurídicas, S. 2, abrufbar unter www.cristianemarinhoconsumidor.vilabol.uol.com.br/f20.htm, Zugriff am 7.3.2005.

67 BRITO FILOMENO JOSÉ GERALDO, S. 27.

Reifen AG

Total Trans-port GmbH

Reisegäste (Kunden der Total Transport GmbH)

Konsumbeziehung zwischen Dienstleistungserbringerin

und deren Kunden

Natural Sandwichs AG

Handelsbeziehung zwischen Handelsbetrieb und Dienst-

leistungserbringerin

Konsumbeziehung zwi-schen Produzent und

Dienstleistungsererbringer

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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schen Theorie nicht an Aktualität. In der brasilianischen Literatur anerkennt man die Notwendigkeit der Ausdehnung des Konsumentenschutzes auch auf kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere wenn sie ein Produkt ausserhalb ihrer üblichen Geschäftstätigkeit erwerben – wenn auch nicht ausnahmslos.68 Für die Ausdehnung des Schutzes des CDC auf alle Marktteilnehmer würde auch ein sys-tematisches Element sprechen, dieses liegt im umfassenden Anwendungsbereich (Gesamtkodifikation, juristisches Mikrosystem) des CDC begründet. Um nicht von Vornherein den Schutz des CDC illusorisch werden zu lassen, wäre es durch-aus angemessen, dessen persönlichen Anwendungsbereich möglichst weit auszu-legen.

3. Weitere Kategorien von Konsumenten

Der CDC dehnt seinen Schutzbereich auf den sog. consumidor equiparado oder bystander, einen dem Konsumenten gleichgestellten Dritten, aus. Dabei geht es vorderhand um den Schutz der Rechtsgüter der Gesundheit und der Sicherheit (Art. 8-10 CDC). Dem Konsumenten gleichgestellt sind erstens die Konsumenten als «Kollektiv von Personen auch unbestimmter Anzahl», welche in eine be-stimmte Konsumbeziehung verwickelt ist (Art. 2, einziger Paragraph, CDC). Da-mit spricht das Gesetz die Allgemeinheit (universalidade) an. Damit eine be-stimmte Gruppe, Klasse oder Kategorie von Konsumenten vom Schutz des CDC profitiert, genügt es, dass ein Anbieter sein Produkt auf den Markt bringt und so-mit eine potentielle Konsumbeziehung zu dieser Konsumentenschaft entsteht.69 Rechtsträger der Haftungsbestimmungen im CDC sind zweitens alle Opfer eines schädigenden Ereignisses (Art. 17 i.V.m. Art. 12 CDC). Adressaten der Bestim-mungen des CDC über vertragliche Institutionen wie die Offerte, Werbung, un-lautere Geschäftspraktiken, «Inkasso-Praktiken», Datenbanken und Informatio-nen über Konsumenten sind drittens alle Personen, die solchen Geschäftspraktiken und der Vertragdisziplin eines Dritten ausgesetzt sind (Art. 29 CDC).70

Die Ausdehnung des Schutzbereichs auf die Allgemeinheit ist auch dem schwei-zerischen Konsumentenrecht nicht unbekannt. Das UWG schützt den unver-fälschten Wettbewerb im Interesse aller Marktbeteiligten, also auch der Kon-

68 MARINHO CHRISTINI RODRIGO, O conceito de consumidor e a limitação do seu alcance para as

pessoas jurídicas, S. 2, abrufbar unter www.cristianemarinhoconsumidor.vilabol. uol.com.br/f20.htm, Zugriff am 7.3.2005 mit Verweis auf LIMA MARQUES CLÁUDIA, Contratos no Código de Defesa do Consumidor, 2. Aufl., Revista dos Tribunais, 1955, S. 101.

69 BRITO FILOMENO JOSÉ GERALDO, S. 38. 70 SILVA FONTURA DE BARCELLOS DANIELA, Proteção contratual do consumidor brasileiro, S. 3,

abrufbar unter www.ufrgs.br/ppgd/doutrina/barcell1.htm, Zugriff am 19.3.2005.

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Roger Müller-Silva / Nilva Del Bon-Martins

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sumenten71 (Art. 1 UWG), deren Rechte durch die Berufs- und Wirtschafts-verbände und die Konsumentenschutzorganisationen wahrgenommen werden (Art. 10 Abs. 2 lit. a und b UWG). Und nach Art. 12 Abs. 2 PüG liegt ein Preis-missbrauch insbesondere dann vor, wenn die Abnehmer nicht die Möglichkeit haben, ohne erheblichen Aufwand auf vergleichbare Angebote auszuweichen.

B. Anbieter (Fornecedor)

Für das schweizerische Konsumentenrecht geht BRUNNER von einem funktiona-len Unternehmensbegriff als «betrieblicher Anbieter von Waren und Dienstleis-tungen» aus.72 Nach Art. 2 KKG gilt als Anbieterin eines Konsumkredites jede natürliche oder juristische Person, die gewerbsmässig Konsumkredite gewährt. Im brasilianischen Konsumentenrecht ist nach Art. 3 CDC Anbieter jede natürli-che oder juristische Person, öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Natur, einheimisch oder ausländisch, sowie Gemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit, Konkurs- und Nachlassmassen welche eine Produktions-, Montage, Zucht-, Kon-struktions-, Transformations-, Import-, Export-, Distributions- oder Handelsakti-vität entwickeln oder Dienstleistungen erbringen. Der Anbieter ist also verant-wortlich für das Zur-Verfügung-Stellen eines Produktes oder einer Dienstleistung für den Konsumenten, und zwar - so wird weiter vorausgesetzt, de forma habitu-

al73, also berufs- oder gewerbsmässig.74

1. Öffentlichrechtlicher Anbieter

Unter Anbieter öffentlichrechtlicher Natur versteht der CDC einerseits o próprio

Poder Público, por si, mithin die Staatsgewalt als solche. Gemeint sind damit die öffentlichrechtlichen Körperschaften Bund, Staaten, Bezirke und Gemeinden, sofern sie als Anbieter im Sinne des Gesetzes auftreten. Andererseits versteht das Gesetz darunter öffentlichrechtliche Unternehmungen und Konzessionäre des öffentlichen Dienstes.75 Damit findet das brasilianische Konsumentenrecht auch auf das Verhältnis von öffentlichen Anstalten und ihren Benutzern Anwendung.

71 MÜLLER JÜRG, Einleitung und Generalklausel (Art. 1-2 UWG), in: Roland von Büren/Lucas

David (Hrsg.), Schweizerisches immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Bd. 5. Wettbewerbs-recht, Teilbd. 1. Lauterkeitsrecht, Basel 1998, S. 20.

72 BRUNNER ALEXANDER, Was ist Konsumentenrecht?, S. 35. 73 Womit in diesem Zusammenhang nicht «gewöhnlich» gemeint ist. 74 Siehe zu den Unterschieden zum schweizerischen Anbieterbegriff im Einzelnen III. B.1.und 3.

und V.B. 75 Die Staatshaftung regelt in der Schweiz auf Bundesebene das Verantwortlichkeitsgesetz (SR

170.32) und die verschiedenen kantonalen Haftungsgesetze, z.B. das zürcherische Gesetz über die Haftung des Staates und der Gemeinden sowie ihrer Behörden und Beamten (Haftungsge-setz, OS 170.1).

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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Die brasilianische Verfassung verpflichtet dabei in Art. 175, Einziger Paragraph, Absatz II, den Gesetzgeber, die Rechte der Benützer öffentlicher Dienstleistungen zu regeln. Diesem Verfassungsauftrag wurde durch Art. 6 CDC über die grundle-genden Rechte der Konsumenten, insbesondere gegenüber dem öffentlichrechtli-chen Anbieter, in dessen Abschnitt X, Rechnung getragen. Der öffentlichrechtli-che Anbieter wird darin verpflichtet, seine Dienstleistungen in verhältnismässiger und wirkungsvoller Weise zu erbringen.

2. Ausländischer Anbieter

Bei internationalen Konsumbeziehungen ergibt sich aus den unterschiedlichen Definitionen des Konsumenten und mithin des Konsumvertrages im brasiliani-schen und im schweizerischen Recht eine Komplikation bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts. Nach Art. 120 IPRG ist auf Verträge mit Konsumenten (bei gegebenen weiteren Voraussetzungen76) das Recht des Staates anwendbar, in dem der Konsument seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Weil ein Konsumvertrag nach schweizerischem Internationalen Privatrecht aber nur besteht, wenn das er-worbene Konsumgut dem persönlichen oder familiären Gebrauch des Konsumen-ten dient und nicht mit dessen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit im Zu-sammenhang steht, ist Art. 120 IPRG dann nicht anwendbar, wenn die Käuferin eines brasilianischen Produktes dieses zu wirtschaftlichen Zwecken erwirbt oder es sich bei ihr um eine juristische Person handelt. Es gilt in diesem Fall als übli-ches Vertragsstatut das von den Parteien gewählte Recht (Art. 116 Abs. 1 IPRG) oder, bei Fehlen einer Rechtswahl, das Recht am Aufenthalts- oder Niederlas-sungsort des Anbieters (Art. 117 Abs. 3 lit. a IPRG). Damit greift der Schutzge-danke von Art. 120 Abs. 2 IPRG, welcher für Konsumentenverträge explizit eine Rechtswahl ausschliesst nicht.77

Die brasilianischen Regeln zur Bestimmung des anwendbaren Rechts im interna-tionalen Rechtsverkehr unterscheiden hingegen nicht zwischen einem allgemei-nen Vertrags- und einem speziellen Konsumvertragsstatut. Nach dem brasiliani-schen Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch78, bestimmt sich das Vertragsstatut in erster Linie nach dem Recht am Abschlussort des Vertrages (Art. 9, Ingress, LICC). Beim Vertragsschluss unter Abwesenden bestimmt sich das anwendbare Recht nach dem Recht am Wohnort des Anbieters (§ 2 derselben Bestimmung).

76 Das für den Konsumenten i.d.R. vorteilhaftere Recht seines Wohnsitzstaates kommt nur dann

zur Anwendung, wenn der Anbieter ihn dort aufsucht, WEBER-STECHER URS M., S. 264. 77 Und damit jeder Einzelfallgerechtigkeit die Tür verschliesst, so URS M. WEBER-STECHER,

S. 259; FISCHER FRANK / HUBER LUCIUS / OSER DAVID, Internationales Vertragsrecht, Bern 2000, Kapitel 5 § 1 N 757f.

78 Lei No. 4657 do 4.9.1942 (Lei de Introdução ao Código Civil Brasileiro).

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Das brasilianische internationale Vertragsrecht kennt mithin in Bezug auf das an-wendbare Recht keine Privatautonomie.79

Zur unterschiedlichen Definition des Konsumvertrages im IPRG und im LICC kommt also unglücklicherweise noch eine unterschiedliche Anknüpfung des in-ternationalen Konsumvertrages hinzu. Während das IPRG je nachdem an den Aufenthaltsort des Konsumenten (Art. 120 Abs. 1 IPRG) oder an den Aufent-halts- oder Niederlassungsort des Anbieters (Art. 117 Abs. 3 lit. a IPRG)80 an-knüpft, ist nach LICC der Abschlussort des Vertrages (Art. 9, Ingress, LICC) massgebend. Je nach konkreter Situation – Abschlussort, Wohnort und Niederlas-sung der Vertragsparteien und Rollenverteilung zwischen der schweizerischen und brasilianischen Partei – entsteht nun eine unterschiedlich befriedigende Si-tuation. Art. 120 IPRG lässt einerseits unberücksichtigt, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen im internationalen Rechtsverkehr oft dem Diktat grösserer und damit spezialisierter arbeitenden Unternehmen ausgesetzt und damit ebenso schützwürdig wären, wie herkömmliche Konsumenten.81 Solche Unternehmen haben i.d.R. nicht die Verhandlungsstärke oder eine Rechtsabteilung, um die Wahl ihres heimatstaatlichen Rechts in den Vertrag einzubringen. Damit beugen sie sich entweder einer Vereinbarung des Rechts des Heimatstaates des Anbieters oder es ist dieses aufgrund von Art. 117 Abs. 3 lit. a IPRG anwendbar; das ist für solche Konstellationen keine adäquate Lösung.82 Andererseits ist die brasiliani-sche Lösung der Anwendbarkeit des Rechts am Abschlussort dann auch nicht die adäquate Lösung, wenn der Konsumvertrag nicht am Wohn- oder Niederlassung-sort des Konsumenten oder des kleinen oder mittleren Unternehmens abgeschlos-sen wird.

Führen die kollisionsrechtlichen Normen zur Anwendbarkeit des materiellen bra-silianischen Rechts, ist der CDC auch auf internationale Konsumverträge mit aus-ländischen Anbietern anwendbar (Art. 9 LICC i.V.m. Art. 3 CDC). Für schwei-zerische Einzelkaufleute, freiberuflich Tätige oder kleine und mittlere Unternehmen, die in Brasilien als «Konsumenten» i.S. des CDC auftreten, mag dies vorteilhaft sein. Schweizerische Anbieter können aber vor allem die Pflich-ten, welche bei der Werbung oder bei der Offertstellung zu beachten sind (Art.36

79 FISCHER FRANK / HUBER LUCIUS / OSER DAVID, Kap.2 § 1 N 61; YURI YONEKURA SANDRA, Lei

aplicavel ao contrato de consumação internacional, abrufbar unter: www.nobel.br/?action= di-reito&subAction=revista/agosto/artigo_lei_aplicavel, Zugriff am 10.4.2005; DIES., Contrato de consumo internacional, abrufbar unter: www1.jus.com.br/doutrina/ texto.asp?id=5020, Zugriff vom 12.11.2004.

80 Vorausgesetzt, es liegt keine Rechtswahl vor (Art. 117 Abs. 1 IPRG). 81 BRUNNER ALEXANDER, BSK IPRG, Basel 1996, Art. 120 N 21 f.; WEBER-STECHER URS M.,

S. 46 f.; Auch auf Verträge mit freiberuflich tätigen Personen ist Art. 120 IPRG nicht anwend-bar, FISCHER FRANK / HUBER LUCIUS / OSER DAVID, Kapitel 5 § 1 N 719.

82 WEBER-STECHER URS M., S. 263.

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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ff. und 30 ff. CDC), die verschuldensunabhängige Produktehaftung (Art. 12 CDC) oder etwa gewisse verwaltungsrechtliche Sanktionen (Art. 56 CDC) über-raschend und hart treffen.

3. Gemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit und Konkursmassen

Auch verschiedene Gemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit (entes desperso-

nalizados) sind Anbieter im Sinne des Gesetzes (Art. 3 CDC), wenn sie eine Herstellungs- oder Handelsaktivität entwickeln und das Produkt effektiv auf den Markt bringen (Art. 12 § 3 Abschnitt I CDC e contrario) oder Dienstleistungen erbringen, was die Produktehaftpflicht dieser Anbieter begründet. Auch als An-bieter i.S. des CDC gilt die Konkursmasse, welche von der Konkursverwaltung zur Fortführung ihrer Geschäftstätigkeit ermächtigt wurde oder auch bei-spielsweise der Nachlass eines verstorbenen Einzelunternehmers, welcher vom Inventarverwalter während des Erbgangs weiter bewirtschaftet wird.83 In der Schweiz werden die Geschäftsräumlichkeiten des Schuldners mit der Konkurser-öffnung vom Konkursamt grundsätzlich sofort geschlossen. Zwar besteht von Gesetzes wegen die Möglichkeit, noch nicht erfüllte Konsumverträge zu erfüllen oder Aufträge fertig auszuführen; es sind jedoch keine praktischen Anwendungs-fälle davon bekannt.84

4. Voraussetzungen der Verantwortlichkeit des Anbieters

Die Schlechterfüllung durch den Anbieter führt zu dessen Verantwortlichkeit, wobei der CDC zwischen der Produktehaftpflicht (Art. 12-17 CDC) und der Mängelhaftung (Art. 18-25 CDC) unterscheidet. Ganz allgemein wird für eine Verantwortlichkeit eines Anbieters vorausgesetzt, dass zwischen ihm und der zu seiner Verantwortung führenden Handlung (Projektierung, Herstellung, Rezeptur, Präsentation, Verpackung- und Lagerung sowie Information) ein Konnex besteht. Das ist z.B. dann nicht der Fall, wenn ein Produkt, welches einem konkreten An-bieter zugeordnet wird, gar nicht oder nicht von ihm auf den Markt gebracht wurde, sowie bei ausschliesslichem Selbstverschulden des Konsumenten oder Drittverschulden (Art. 12 CDC).85 Gleich wie das schweizerische PrHG unter-scheidet denn auch der CDC drei Arten von Produktefehlern: Fabrikationsfehler,

83 BRITO FILOMENO JOSÉ GERALDO, S. 44. 84 HUNKELER DANIEL, Wirkungen der Konkurseröffnung auf zweiseitige Verträge, insbesondere

auf Werkverträge, in: Institut für Schweizerisches und Internationales Baurecht, Universität Freiburg (Hrsg.), Baurecht, Nr. 2/2002, S. 55.

85 BRITO FILOMENO JOSÉ GERALDO, S. 43 f.; Vergleiche die Entlastungsmöglichkeiten für den Hersteller nach Art. 5 des schweizerischen PrHG; vgl. Adrian Plüss/Rolf P. Jetzer, Die Produk-tehaftpflicht, Zürich 1999, N 151ff. und N 115 ff.

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Konstruktionsfehler und Instruktionsfehler (vgl. Art. 12 ff. und 18 ff.. CDC). Die Verantwortlichkeit geht auf Bezahlung von Schadenersatz.

Es fällt auf, dass Art. 12 CDC – im Gegensatz zu den vorstehenden Artikeln – nicht mehr generell vom «Anbieter» spricht. Wie das schweizerische Produkte-haftpflichtgesetz unterscheidet auch der CDC drei Typen von Anbietern bzw. Herstellern - i.S.v. Art. 12 CDC, nämlich: a) den tatsächlichen Hersteller (forne-

cedor real), Fabrikant, Produzent und Konstrukteur; b) den vermuteten Hersteller (fornecedor presumido), Importeur; c) den Scheinhändler (fornecedor aparente), derjenige welcher dem Endprodukt seinen Namen oder sein Warenzeichen ver-leiht, wie z.B. ein Franchisinggeber.86 Der Anbieter, bzw. Hersteller i.S.v. Art. 12 CDC haftet kausal, d.h. unabhängig des Vorliegens eines Verschuldens, (respon-

sabilidade objetiva). Der Händler seinerseits (Anbieter i.S.v. Art. 13 CDC) ist von dieser Kausalhaftung ausgeschlossen; er haftet verschuldensabhängig (responsa-

bilidade subjetiva), und zwar nur in zweiter Linie, nämlich, wenn der Fabrikant, Konstrukteur, Produzent oder Importeur nicht identifiziert werden kann oder wenn das Produkt ohne klaren Hinweis auf den Fabrikanten in Verkehr gebracht wurde oder wenn der Händler selbst verderbliche Ware nicht entsprechend gela-gert hat (Art. 13, Abschnitte I-III, CDC). Alle vier «Anbieter» (Fabrikant oder Produzent, Konstrukteur, Importeur und Händler) haften gegenüber dem Konsu-menten solidarisch.87 Handelt es sich beim Anbieter um eine juristische Person, haften weitere Mitglieder desselben Unternehmensgruppe, desselben Konzerns oder Konsortiums solidarisch (Art. 28 § 2 und 3 CDC). Alliierte Gesellschaften i.S.v. Art. 245 § 1 des Gesetzes über die Aktiengesellschaften haften nur bei Ver-schulden (Art. 28 § 4 CDC).88

C. Konsumbeziehung (Relação de Consumo)

In der schweizerischen Literatur wird die Konsumbeziehung zunächst in den wei-teren Zusammenhang der verschiedenen Austauschverhältnisse zwischen den Wirtschaftseinheiten Unternehmen und Privathaushalte gestellt. Die Problematik des Unternehmens als betrieblicher Abnehmer von Konsumgütern, mithin die Frage, ob ein Unternehmen allenfalls auch Konsument sein könnte, findet aber

86 DENARI ZELMO, Código Brasileiro de Defesa do Consumidor, comentado pelos autores do an-

teprojeto, 8. ed., Rio de Janeiro, 2004, S. 181; Die schweizerische Literatur zum Produkte-haftpflichtgesetz unterscheidet zwischen dem tatsächlichem Hersteller, dem Quasi-Hersteller, dem Importeur und dem Lieferanten, vgl. PLÜSS ADRIAN / JETZER ROLF P., N 10 ff.

87 DENARI ZELMO, S. 182 f.; Ministério da Justiça, Guia do Consumidor Estrangeiro, www.mj.gov.br/dpdc/guia/guia.pdf, Zugriff am 21.3.2005. Auch nach schweizerischem Produk-tehaftpflichtgesetz haften mehrere Verursacher eines Schadens durch ein fehlerhaftes Produkt solidarisch, vgl. PLÜSS ADRIAN / JETZER ROLF P., N 194.

88 DENARI ZELMO , S. 238.

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leider allzu oft keinen Platz.89 Zunächst ist die Konsumbeziehung ein privatrecht-liches Rechtsgeschäft, das zwischen denjenigen Parteien zustande kommt, welche das jeweils anwendbare Recht als «Konsument» einerseits und «Anbieter» ande-rerseits definiert.90 Beispielsweise definiert Art. 1 Abs. 1 KKG den Konsumkre-ditvertrag als ein Vertrag, durch den eine Person gemäss Art. 2 KKG gewerbs-mässig Konsumkredite anbietet, einem Konsumenten nach Art. 3 einen Zahlungsaufschub oder ein Darlehen oder eine ähnliche Finanzierungshilfe ge-währt oder zu gewähren verspricht.

Unter dem Regime des brasilianischen CDC wird der Konsumvertrag aus der simplen Einordnung im Zivil- oder Wirtschaftsrecht herausgelöst und in den komplexeren interdisziplinären Zusammenhang von materiellem Verfassungs-, Zivil-, Handels- und Wirtschafts-, Verwaltungs- und Strafrecht sowie Zivil-, Ver-waltungs- und Strafprozessrecht eingebunden.91 Schliesslich bleibt aber der Kon-sumvertrag ein Rechtsgeschäft zwischen Anbieter und Konsument, welche unter dem CDC in einem weiten Sinne ausgelegt werden, womit juristische Personen als Konsumenten grundsätzlich anerkannt werden.

D. Produkt und Dienstleistung

Objekt der Konsumbeziehung sind Produkte, bzw. Waren und Dienstleistungen. Während die Konsumbeziehung selbst herkömmlicherweise als Rechtsgeschäft zwischen den Rechtssubjekten Anbieter und Konsument beschrieben wird, bietet das Objekt dieses Rechtsgeschäfts in aller Regel keine grösseren Probleme. Ei-nerseits bringt ein Unternehmen im Rahmen seines Unternehmenszwecks Pro-dukte hervor, wandelt diese um, verkauft sie oder handelt mit ihnen oder es er-bringt Dienstleistungen. Dabei werden sämtliche Tätigkeiten der verschiedenen Branchen der primären, sekundären und tertiären Wirtschaftssektoren erfasst. Andererseits zielt der Zweck eines jeden Privathaushalts auf die Befriedigung von Lebensbedürfnissen durch Gebrauch und Verbrauch von Waren und Inan-spruchnahme von Dienstleistungen – sprich: Konsum – ab.92

89 BRUNNER ALEXANDER, Was ist Konsumentenrecht?, S. 33 ff. 90 DINIZ MANUCCI DANIEL, Como identificar uma relação de consumo, S. 2, abrufbar unter:

www.christianemarinhoconsumidor.vilabol.uol.com.br/f5.htm, Zugriff am 10.4.2005. 91 NERY JÚNIOR NELSON, Código Brasileiro de Defesa do Consumidor, comentado pelos autores

do anteprojeto, 8.ed., Rio de Janeiro, 2004, S. 497. 92 BRUNNER ALEXANDER, S. 35 und 37.

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IV. Schutz des Konsumenten anhand ausgewählter zivil-rechtlicher Instrumente

A. Grundsätzliche Rechte der Konsumenten (Direitos Básicos)

Art. 1, Abschnitt IV, CF, garantiert die Wirtschaftsfreiheit und Art. 421 CC die Vertragsfreiheit, welche in den Schranken der öffentlichen Ordnung gewährleistet ist.93 Durch seinen privatrechtlichen und gleichzeitig öffentlichrechtlichen Cha-rakter bildet der CDC sowohl Teil, als auch Schranke des Privatrechts, schränkt die Vertragsfreiheit ein und relativiert die vertragliche Bindungswirkung, wenn der Vertrag die Prinzipien der «guten Treuen» oder der Billigkeit verletzt.94 Mit seinem Art. 6 setzt der CDC der Privatautonomie Schranken und legt gleichzeitig die Leitplanken für die inhaltliche Ausgestaltung des Konsumvertrages und der Rechtsfolgen bei Verletzung der vertraglichen Pflichten fest. Dieser Artikel ge-währt dem Konsumenten insbesondere das Recht auf Schutz des Lebens, der Ge-sundheit und der Sicherheit, sowie das Recht auf Aufklärung über den korrekten Umgang und Gebrauch mit dem Produkt (Gebrauchsanweisungen), Recht auf ordnungsgemässe Waren- und Dienstleistungsdeklaration, Recht auf Schutz ge-gen unlautere Vertragsklauseln und Geschäftspraktiken, Recht auf wirksame Schadensprävention und Anspruch auf Schadenersatz und Genugtuung. Zudem garantieren die Abschnitte VII und VIII einen einfachen Zugang zum Rechtsweg und zu Behörden und erleichtern dem Konsumenten die Beweisführung durch eine Beweislastumkehr. Die oben erwähnte vertragliche Bindungswirkung relati-vierend, sieht Abschnitt V desselben Artikels vor, dass Vertragsklauseln, welche ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bewirken, abgeändert oder nach den Regeln der clausula rebus sic stantibus an veränderte Verhältnisse angepasst werden können.95

93 Das brasilianische Vertragsrecht basiert auf den Prinzipien der Willensfreiheit, des Vorrangs der

öffentlichen Ordnung und der Bindungswirkung des Vertrages (pacta sunt servanda). 94 SIEBENEICHLER DE ANDRADE FÁBIO, Vertraglicher Verbraucherschutz: brasilianische und deut-

sche Regelungen im Vergleich, Diss. 2000 Universität Regensburg, S. 30; Vgl. zum Ganzen: FERRAZ DONNINI ROGÉRIO, Temas Atuais de Direito Civil na Constituição Federal, Revista dos Tribunais, 2000, S. 69 ff.; NETTO LÔBO PAULO LUIZ, Pricípios sociais dos contratos no CDC e no novo Código Civil, S. 2 f., abrufbar unter: www.mundojuridico.adv.br/html/artigos /documentos/ texto444.htm, Zugriff vom 29.3.2005.

95 Siehe für die Schweiz: Art. 21 Abs. 1 OR, allerdings entgegen dem brasilianischen Konsumen-tenrecht mit dem Erfordernis der Ausbeutung eines subjektiven Elementes der Schwäche (Not-lage, Unerfahrenheit oder Leichtsinn); Vgl. aber Art. 156 und 157 CC; HUGUENIN CLAIRE, BSK OR 1, Art. 21 N 10-14 und WIEGAN, WOLFGANG, BSK OR 1, Art. 18 N 95 ff. für die Vertrags-anpassung; Der CDC nennt in explizit weitere Regeln zur Vertragsauslegung, wobei der Ge-setzgeber bewusst die Regelungen des Código Civil (Art. 421-423 CC) und des Código Comer-cial (Art. 129-131 i.V.m. Art. 85 CC) übernommen hat; Konsumverträge sind nach dem Prinzip

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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B. Vorvertragliche Phase

Die in Art. 6 CDC genannten Deklarations- und Informationspflichten des Anbie-ters hat dieser vorab in der Offertstellung zu beobachten (Art. 30-35 CDC). Bei genügend präziser Information oder Werbung ist der Anbieter verpflichtet, sein Produkt oder seine Dienstleistung entsprechend zu erbringen. Dabei muss die Information korrekt und präzise und auf portugiesisch angegeben sein. Der CDC macht keinen Unterschied zwischen einheimischen und ausländischen Produkten; die Herkunft des Produktes ist irrelevant, weil sich diese Bestimmung an den bra-silianischen Konsumenten richtet. Vorbehalten bleiben Originalbezeichnungen ausländischer Firmen und Handelsmarken, wobei wiederum Warnhinweise und Gebrauchsanweisungen – zum Schutz der Gesundheit der Konsumentenschaft – auf portugiesisch übersetzt sein müssen. 96

Tritt der Anbieter von seiner Offerte, Präsentation oder Werbung zurück, hat der Konsument alternativ nach freier Wahl die Möglichkeit die der Offerte, Präsenta-tion oder Werbung entsprechende Vertragserfüllung zu fordern, ein anderes gleichwertiges Produkt oder gleichartige Dienstleistung zu akzeptieren oder den Vertrag zu kündigen und das Geleistete (an die Währungsinflation angepasst) zu-rückfordern, nebst Schadenersatz (Art. 35 CDC). Vergleich mit CH?

C. Missbräuchliche Vertragsklauseln (Cláusulas Abusivas)

Die Vertragsfreiheit wird in den Schranken dreier Prinzipien, desjenigen der sozi-alen Funktion des Vertrages, des guten Glaubens und des materiellen Gleich-gewichts des Vertrages ausgeübt. Die brasilianische Literatur versteht unter der sozialen Funktion des Vertrages (Art. 421 CC) den Vorbehalt der öffentlichen Ordnung97 und leitet daraus insbesondere ab: die Kündbarkeit eines schädigenden Vertrages (Art. 157 CC)98, die Nichtigkeit des Vertragsschlusses unter dem Ein-

von Treu und Glauben auszulegen (Art. 51, Abschnitt IV, CDC i.V.m. Art. 422 CC); Gemäss Art. 47 CDC i.V.m. Art. 423 CC sind zweideutige oder widersprüchliche Konsumvertragsbe-stimmungen zu Gunsten des Konsumenten auszulegen.

96 HERMAN DE VASCONCELLOS E BENJAMIN ANTÔNIO, Código Brasileiro de Defesa do Consumi-dor, comentado pelos autores do anteprojeto, 8.ed., Rio de Janeiro, 2004, S. 275.

97 Die schweizerische Rechtsordnung garantiert die Inhaltsfreiheit der vertragsschliessenden Par-teien in den Schranken des zwingenden Rechts, der öffentlichen Ordnung, der Sittlichkeit und des Rechts der Persönlichkeit (Art. 19 OR).

98 Schädigend in dem Sinne, als ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung entsteht; vgl. Art. 6, Abschnitt V, CDC, welcher das subjektive Element der Schwäche nicht voraussetzt. Für die Übervorteilung im schweizerischen Recht siehe Art. 21 Abs. 1 OR.

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druck einer Gefahr (Art. 156 CC)99, das Bereicherungsverbot, das Wucherverbot sowie die Herabsetzbarkeit übermässiger Konventionalstrafen.100 Nebst der so-zialen Funktion beschränkt auch das in Art. 422 CC statuierte Prinzip des guten Glaubens101 (boa-fé) die Vertragsfreiheit. Das Prinzip der equivalência material

zielt auf die Herstellung eines materiellen Gleichgewichts zwischen den Vertrags-parteien ab, aufgrund der Schutzwürdigkeit einer Partei, welche der CDC hervor-hebt.102 Art. 51 CDC listet konkrete missbräuchliche Vertragsklauseln auf, welche gegen diese drei genannten Generalklauseln verstossen und erklärt solche Be-stimmungen für nichtig. Es sind solche z.B. Freizeichnungsklauseln zu Gunsten des Anbieters (Abschnitt I), Klauseln, welche die Haftung auf Dritte abwälzen (Abschnitt III), die Festlegung der Beweislast zu Ungunsten des Konsumenten (Abschnitt VI), die Stipulierung zwingender Schiedsgerichtsklauseln (Abschnitt VII), der Vorbehalt einer einseitigen Mentalreservation des Anbieters (Abschnitt IX), der Vorbehalt einseitiger Abänderung – insbesondere Preiserhöhung – oder einseitiger Auflösung des Vertrages durch den Anbieter (Abschnitte X-XIII) und weitere ähnliche Vorschriften. Die Aufzählung von Art. 51 CDC ist nicht ab-schliessend.

D. Rücktrittsrecht (Direito de Arrependimento)

Nach Art. 49 CDC hat der Konsument – unabhängig vom Vorliegen eines Man-gels – ein Rücktrittsrecht vom Vertrag innerhalb von 7 Tagen, von der Vertrags-unterzeichnung oder der Entgegennahme des Produktes oder Beanspruchung der Dienstleistung an gerechnet, wenn der Vertragsschluss ausserhalb des Geschäfts-lokals oder per Telefon oder in den Wohnräumen des Konsumenten stattgefunden hat.103 Dies gilt unabhängig vom Vorliegen eines Produktefehlers.

99 Im schweizerischen Recht: Vertragsschluss unter Erregung gegründeter Furcht (Art. 29 und 30

OR). 100 DA SILVA PEREIRA CAIO MÁRIO, Instituições de Direito Civil, Vol. III Contratos, Rio de Janeiro

2004, S. 13; MORENO TALAVERA GLAUBER, A Função Social do Contrato no Novo Código Ci-vil, in: Revista do Centro de Estudos Jurídicos (CEJ), Brasília 2002, Nr. 19, S. 94-96.

101 In dessen negativem Sinne ist in unlauteres Verhalten verpönt, während umgekehrt dessen posi-tiver Sinn den Parteien die vertragsgemässe Erfüllung auferlegt, so CARDOSO DE MELO LUCI-

NETE, O princípio da boa-fé objetiva no Código Civil, S. 3, Abrufbar unter www1.jus.com.br/ doutrina/texto.asp?id=6027&p=2, Zugriff am 29.3.2005; SIEBENEICHLER DE ANDRADE FÁBIO, S. 30f.; Entspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben im schweizerischen Zivilrecht (Art. 2 ZGB), dessen zwei Absätze ebenfalls einerseits als Gebot loyalen Verhaltens und andererseits das Verbot illoyalen Verhaltens statuiert, HONSELL HEINRICH, BSK ZGB 1, Basel 2002, Art. 2 N 1 f.; RIEMER HANS MICHEL, Die Einleitungsartikel des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, Zü-rich 1987, § 5 N 7.

102 NETTO LÔBO PAULO LUIZ, S. 5. 103 Vgl. für das schweizerische Recht das Widerrufsrecht innerhalb sieben Tagen bei Haustürge-

schäften, wie Angeboten am Arbeitsplatz, in Wohnräumen oder in deren unmittelbaren Umge-bung, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf öffentlichen Strassen und Plätzen oder an einer

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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Nach Ablauf dieser Frist, hat der Konsument bei Vorliegen eines Mangels oder bei anderweitiger ungehöriger Erfüllung, welche das Produkt oder die Dienstleis-tung für den vorgesehenen Gebrauch unbrauchbar oder unzweckmässig macht oder dessen Wert vermindert sowie bei Abweichung von der Gebrauchsanwei-sung, Verpackung, Etikette oder Werbung noch die Möglichkeit, Ersatz der man-gelhaften Teile zu verlangen (Art. 18, Ingress, CDC). Wird der Mangel nicht in-nerhalb einer Frist von 30 Tagen behoben, so kann der Konsument nach freier Wahl unter folgenden Alternativen wählen (§ 1 desselben Artikels): Austausch des Produktes gegen ein anderes mängelfreies der gleichen Gattung (Abschnitt I), Vertragsauflösung durch sofortige Rückgabe des bezahlten Betrages (unter Be-rücksichtigung der durch die Inflation verursachten Geldentwertung) gegen Her-ausgabe des mangelhaften Produktes, vorbehältlich des Ersatzes eventuellen wei-teren Schadens (Abschnitt II) oder proportionale Preisminderung (Abschnitt III).

Die dreissigtägige Frist zur Mängelbehebung nach § 1 kann vertraglich verkürzt oder verlängert werden, jedoch weder auf unter sieben noch auf über 180 Tage (Art. 18 § 2 CDC). Ist der Mangel dergestalt, dass der Ersatz der fehlerhaften Tei-le nicht möglich ist, ohne die Qualität oder den Charakter des Produktes zu beein-trächtigen oder dessen Wert zu beeinträchtigen oder wenn es sich um unver-tretbare Sachen handelt, kann der Konsument direkt sein Wahlrecht nach § 1 aus-üben, ohne die dreissigtätige Frist zur Mängelbehebung abwarten zu müssen (Art. 18 § 3 CDC).

E. Verwirkung und Verjährung

Für offensichtliche oder leicht erkennbare Mängel beträgt die Frist zur Erhebung der Mängelrüge 30 Tage bei nicht dauerhaften Dienstleistungen oder verderbli-chen Waren und 90 Tage für dauerhafte Dienstleistungen und unverderblichen Waren (Art. 26, Abschnitte I und II, CDC). Für den Beginn des Fristenlaufes wird auf den Zeitpunkt der Ablieferung des Werkes oder der Beendigung der Dienst-leistung abgestellt (Art. 26 § 1 CDC). Bei versteckten Mängeln beginnen die Verwirkungsfristen bei Entdeckung des Mangels (§ 3 desselben Art.). Die Verjäh-rungsfrist beträgt fünf Jahre ab dem Zeitpunkt der Kenntnis des Schadens und dessen Urheber (Art. 27 CDC).

Werbeveranstaltung, die mit einer Ausflugsfahrt oder einem ähnlichen Anlass verbunden war (Art. 40a ff. OR).

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V. Prozessrechtliches Instrumentarium des CDC zum Schutz des Konsumenten (proteção em juízo)

A. Zugang zum Rechtsweg und Klagelegitimation

Hat der Bürger eine konsumentenrechtliche Frage oder möchte er als Konsument einen Anspruch gegen einen Anbieter durchsetzen, so führt in Brasilien der erste Gang in aller Regel zum Procon. Das sind diejenigen öffentlichrechtlichen Kon-sumentenschutzbehörden, welche sich im Interesse der Konsumenten der Einhal-tung und Durchsetzung des CDC widmen. Sie sind integrierte Organe des natio-nalen Konsumentenschutzsystems. Die Beamten und Rechtsanwälte der Procons beraten die Bürger in Konsumentenfragen, nehmen Reklamationen entgegen, überprüfen auf Anfrage, (direkt am Schalter, via Telefon oder Internet104) die Ein-haltung konsumentenrechtlicher Bestimmungen durch einen konkreten Anbieter oder zeigen konkrete Gesetzesverstösse an. Der konkrete Fall wird einer Triage unterzogen. In Bagatellangelegenheiten versuchen die Procons auf informellem Weg zwischen dem Anbieter und dem Konsumenten zu vermitteln. In anderen Fällen hat der Konsument die Möglichkeit, den Procon zur Klageerhebung zu bevollmächtigen. Der CDC garantiert diesen einfachen Zugang zum Rechtsweg und zu diesen Behörden im Art. 6, Abschnitte VII und VIII. Die Kon-sumentenschaft hat die Möglichkeit ihre Interessen individuell oder im Kollektiv durchzusetzen (Art. 81 CDC). Zur Wahrung und Durchsetzung kollektiver Kon-sumenteninteressen erteilt das Gesetz der Staatsanwaltschaft, den Gebietskör-perschaften als solchen (Bund, Staaten, Gemeinden, Bundesdistrikt), den öffent-lichrechtlichen Körperschaften und Anstalten, welche sich spezifisch dem Konsumentenschutz widmen und den gesetzmässig gegründeten, privaten Konsu-mentenschutzorganisationen, die seit mindestens einem Jahr bestehen und sich statutarisch dem Konsumentenschutz widmen, das Klagerecht (Art. 82 i.V.m. Art. 91 CDC).105 Grundsätzlich ist die Klage am Ort des Schadeneintritts zu erheben (bei nur lokal bedeutsamen Schäden), bei national oder regional bedeutsamen

104 Siehe u.a.:

www.portaldoconsumidor.gov.br, www.consumidorbrasil.com.br/consumidorbrasil/, www.procon.rs.gov.br/procon_nova/atendimento_email.htm, www.dhnet.org.br/direitos/brasil/apoio/procons.htm, www.pbh.gov.br/procon/procon01.htm, www.jusvi.com/home/.

105 Die nach Art. 82 CDC zur Klage legitimierten Instanzen haben die Möglichkeit die Kollektivin-teressen (Art. 81, einziger Paragraph, CDC) in eigenem Namen oder im Interesse der Opfer oder deren Nachkommen geltend zu machen (Art. 91 CDC).

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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Schäden beim zuständigen Gericht in der Hauptstadt des entsprechenden Staates oder des Bundesdistriktes (Art. 93 CDC).

B. Durchgriff (Desconsideração da Personalidade Jurídica)

Der Richter hat die Möglichkeit, Anbietern, die als juristische Personen auftreten deren Rechtspersönlichkeit abzuerkennen, wenn deren Inanspruchnahme als missbräuchlich erscheint, aber auch bei Zahlungsunfähigkeit und im Konkurs der juristischen Person oder wenn diese infolge von Misswirtschaft ihre Aktivität eingestellt hat (Art. 28 CDC). § 5 desselben Artikels geht aber noch viel weiter: Ein solcher Durchgriff kann immer dann Platz greifen, wenn die Rechtsform ein Hindernis für die Durchsetzung der Ansprüche des Konsumenten darstellt.

C. Beweislastumkehr (Inversão do ônus da prova)

Art. 6, Abschnitt VIII, CDC sieht eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Konsu-menten vor. Diese Beweislastumkehr kann in zwei konkreten Fällen Platz grei-fen: wenn – nach Ermessen des Richters – der Anspruch des Konsumenten sehr wahrscheinlich begründet erscheint oder wenn der Konsument in sozialer, finan-zieller oder in anderweitiger Hinsicht, also etwa wegen einer mangelhaften oder gar fehlenden Schulbildung, bedürftig ist. Der Richter entscheidet über die Ertei-lung der Beweislastumkehr von Amtes wegen.106 Der Gesetzgeber ging davon aus, dass der Anbieter bessere Möglichkeiten habe, die notwendigen Beweise über technische Fragen eines Produktes oder einer Dienstleistung in seiner Bran-che zu erbringen.

VI. Schlussbetrachtung

Wer das Konsumentenrecht in der Schweiz und in Brasilien vergleicht, kommt zum Schluss, dass dieses in materieller Hinsicht nicht so sehr unterschiedlich ist, wie dies vielleicht zu erwarten wäre. Sehr unterschiedlich sind hingegen die sozi-alen Strukturen beider Länder. Dies führte zur Setzung unterschiedlicher Schwer-punkte in der Gesetzgebung: Während in der Schweiz ein grundsätzlich funktio-nierendes System von privaten Versicherungen existiert – das mindestens bis anhin noch zu finanzieren ist – kann sich die überwiegende Mehrheit der brasili-anischen Bevölkerung keine private Versicherung leisten. Damit trägt der brasili-

106 Vgl. zum Ganzen: BANDEIRA ALEXANDRE, O instituto da inversâo do ônus da prova no CDC,

Revista Autor, Jahrgang III, Nr. 22, 2003.

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anische Konsument das volle wirtschaftliche Risiko seiner schwächeren Stellung in der Konsumbeziehung. Der brasilianische «Sozialstaat» war somit praktisch gezwungen, seine Rechtsordnung der Realität anzupassen und das Schwerge-wicht in Richtung staatlich verordneten Konsumentenschutzes zu verlagern. Der Staat ist auf dem Markt durch ein dichtes Netz von Konsumentenschutzbehörden («Procons») in jeder Gemeinde und jedem Bezirk präsent. Das erleichtert der Konsumentenschaft die Rechtsdurchsetzung. Diese wurde aber auch durch die bewusste Schaffung einer kohärenten und übersichtlichen Gesamtkodifikation vereinfacht, die einheitliche Begriffe verwendet.107 Der Konsumentenbegriff wird weit ausgelegt, umfasst auch juristische Personen – wird sogar auf die Allge-meinheit ausgedehnt – und es soll dem Konsumenten umfassenden Schutz ge-währt werden. Der Schwachpunkt von Brasiliens Konsumentenpolitik liegt aber gerade bei der Achillesferse einer Gesellschaft, deren knappe finanziellen Reser-ven Abzahlungsgeschäfte zur alltäglichen Rechtsform ihres Wirtschaftens werden lässt. Die scheinbar schrankenlosen Zinspraktiken in der Privatwirtschaft lässt zwar das Land für ausländische Investoren attraktiv erscheinen, ist aber eine un-verzeihliche Lücke im CDC, welche auch durch die Gesamtrevision des Zivilge-setzbuches im Jahr 2002 nicht geschlossen wurde.

Durch das Auffangnetz der Versicherungen ist die Problematik in der Schweiz bislang noch nicht akut. Die Frage ist nur: Wie lange noch? Immer mehr werden auch hierzulande private Bedürfnisse über Abzahlungsgeschäfte und Kleinkredite finanziert, und dies gerade auch bei der Konsumgesellschaft der jüngeren Gene-ration. Ein guter Versicherungsschutz wird dabei zum Luxus und neue Kredite werden aufgenommen um bereits bestehende tilgen zu können. Der Lohn wird Ende Monat zur Schuldentilgung investiert und das Äufnen von Reserven ist kaum mehr möglich (Stichwort: Working Poor). Steuern und gar Krankenkassen-prämien werden häufig nicht mehr, respektive zuletzt bezahlt, was eine hohe Zahl von Schuldbetreibungen zur Folge hat. Diese schleichende Konsumentenver-schuldung vermag aber offenbar auch das revidierte Konsumkreditgesetz nicht zu bremsen.

Während in Brasilien viele Privathaushalte selbst ihre Grundbedürfnisse nur über Abzahlungsgeschäfte zu finanzieren vermögen, steht es bei uns die Befriedigung der Konsumlust im Vordergrund. An Brasiliens Beispiel wird deutlich, dass auch eine Konsumwirtschaft, der vom Staat engere Leitplanken gesetzt sind, nicht un-bedingt mit einer Bevormundung des Bürgers gleichzusetzen ist. Im dialektischen

107 Bereits die Verfassung anerkennt die Würde des Konsumenten und Art. 4 CDC setzt Brasiliens

nationaler Konsumentenpolitik Leitplanken. Diese hat sich auf die Anerkennung der Bedürfnis-se der Konsumentenschaft auszurichten und die Verbesserung der Lebensqualität des Konsu-menten zum Ziel.

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Das Konsumentenrecht Brasiliens und der Schweiz im Vergleich

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Verhältnis zwischen Rechtswirklichkeit und Rechtsordnung kann ein Gesetzgeber vor einer fortlaufenden Konsumentenverschuldung nicht die Augen verschlies-sen. Einer solchen verschafft ein kohärentes und damit griffiges Konsu-mentenrecht besser Abhilfe als ein Versicherungssystem, das keine obligatorische Grundversicherung und keine staatliche Invalidenversicherung kennt oder auch in dem sich die Bevölkerung aus Angst vor einer allfälligen künftigen Unbezahlbar-keit der Sozialversicherungen immer mehr in die private Vorsorge flüchtet.

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