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® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Mittwoch, 19. Juli 2017 – Nr. 138 21 KULTUR > Redaktion Kultur: Heinrich Schwazer – [email protected] Metallspäne um einen himmlischen Magneten Gibt es etwas Herrlicheres, als eine einmal gefundene Zauberformel zu immer größerer Meisterschaft zu führen? Das britische Vokalensemble Voces8 eröffnet im Brixner Dom das Sommerprogramm von Musik und Kirche. von Heinrich Schwazer U nter Chormenschen gilt es als unelegant, sich um Ele- ganz zu bemühen. Schließlich geht es um das Edle, Wahre und Gute und nicht um schnöde Verpa- ckung. Puristisch wie ein Kasten voll schwarzer Anzüge stehen die Sänger und Sängerinnen meist auf der Bühne und signalisieren: Wir kleiden uns schwarz, weil wir unsere Köpfe für Wichtigeres als für Kleidung brauchen. Verglichen mit alle diesen Schwarzträgern wirkt das acht- köpfige britische Vokalensemble Voces8 wie eine Schar Manager aus der IT-Abteilung einer Bank. Elegante blaue Anzüge, rote oder blaue Krawatte, teures Schuh- werk, die Damen in engen, knie- freien Kleidern. Ganz klar: Die acht SängerInnen aus dem Bre- xit-Land wollen nicht Teil des weltweiten A-Capella-Schwarms sein, sondern aus der Menge her- vorstechen. Mit einem einfachen Hymnus an die Jungfrau Maria des englischen Komponisten Sir John Tavener startet das für seine glasklaren Stimmen berühmte Ensemble in das Eröffnungskonzert von Musik und Kirche im Brixner Dom – und schon laufen alle Herzen über. Nicht frontal zum Publikum, son- dern im Rücken beginnend und schließlich zum Kreis geformt, bringt das aus zwei Sopranstim- men, zwei Countertenören, zwei Bässen und zwei Tenören beste- hende Ensemble Leuchtkraft und Seele in eine affektreich ver- schachtelte Komposition aus Poly- und Homophonie. Mehrmals teilt sich der Chor an diesem Abend in unterschiedlich große Bestandteile – etwa in Benjamin Brittens Ju- gendwerk „A Hymn to the Virgin“, bei dem der Hauptchor dem Publi- kum zugewandt den Hymnustext singt, während der zweite Chor im Altarraum als lateinisches Echo fungiert. Auch in Palestrinas Mag- nificat für acht Stimmen teilt sich der Chor, um die Phrasen hin- und herzureichen. Bei der Urauffüh- rung in der Markus Basilika in Ve- nedig mit ihren zahllosen Emporen und Kapellen wurde es nicht an- ders gehandhabt – der Brixner Dom mit seinen Seitenkapellen eignet sich hervorragend dafür. Im Schlussstück, Gregorio Allegris Psalmvertonung mit dem berühm- ten viermaligen hohen C des So- prans (ein Werk, das nur erhalten geblieben ist, weil Mozart es ge- hört und aus dem Gedächtnis auf- geschrieben hat), verschwinden sie gar hinter dem Altar. Klassische Chormusik, darunter viel Marien- lob, Psalmvertonungen und Passi- onsstücke bilden den Kern des Abends, aber das Repertoire um- fasst auch das Spiritual „Steal Away“ in einem Arrangement von David Blackwell, sowie einen Folk- Song der Singer-Songwriterin Kate Rusby „Underneath the Stars“. Nicht weniger als 700 Jah- re Chorgesang, wie man ihn sich klangfeiner nicht vorstellen kann, haben die Briten an diesem wun- derbaren Abend aufgeboten: von Chorälen aus dem 13. Jahr- hundert, über einen Satz aus Mendelsohns Oratorium „Elias“, einer wunderbar lautmalerischen Psalmvertonung von Heinrich Schütz, Rachmaninovs Ave Maria bis hin zu dem Chorsatz aus Ga- briel Faurès „Pie Jesu“ aus dessen Requiem, der von dem Counterte- nor Barnaby Smith für Stimmen umgeschrieben wurde. Wenn man einen Inbegriff für stimmliche Leuchtkraft und Seele suchte – Voces8 wäre der erste Kandidat. Sinnliche Stimmen gab und gibt es etliche, aber so wie die Briten ihre auf eine märchenhaft dichte Weise verweben, ist einzig- artig. Einerseits hört man jede Stimme klar heraus, andererseits formieren sie sich wie Metallspäne um einen himmlischen Magneten, als wäre alles eins – ein endlos tie- fer Raum von rätselhafter Schön- heit. Die Balance zwischen musika- lischem Glanz und verinnerlichtem Ausdruck ist in jedem Moment ru- hig und präzise herausgearbeitet. Sie können nichts weniger, als ihre Stimmen fliegen lassen – und dem Publikum eine Erfahrung von Zeitlosigkeit und Transzendenz bescheren. Die zwanghafte, ständige Neuer- findung, das erste Gebot der Mo- derne, ist nicht die Sache dieses großartigen Ensembles. Gibt es et- was Herrlicheres, als eine einmal gefundene Zauberformel zu immer größerer Meisterschaft zu führen? Was Voces8 bei ihrer exquisiten Tour durch die geistliche Musik an wundersamen Weiten und inneren Dramen herausholt, kann man sich nicht gelungener und seligmachen- der vorstellen. Weniger ist nicht mehr, sondern mehr ist mehr. Voces8 im Brixner Dom: Weniger ist nicht mehr, sondern mehr ist mehr. Die Balance zwischen musikalischem Glanz und verinnerlichtem Ausdruck ist in jedem Moment ruhig und präzise herausgearbeitet.

Redaktion Kultur: Heinrich Schwazer – schwazer ... · Kate Rusby „Underneath the Stars“. Nicht weniger als 700 Jah-re Chorgesang, wie man ihn sich klangfeiner nicht vorstellen

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Page 1: Redaktion Kultur: Heinrich Schwazer – schwazer ... · Kate Rusby „Underneath the Stars“. Nicht weniger als 700 Jah-re Chorgesang, wie man ihn sich klangfeiner nicht vorstellen

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Mittwoch, 19. Juli 2017 – Nr. 138 21KULTUR> Redaktion Kultur: Heinrich Schwazer – [email protected]

Metallspäne um einen himmlischen Magneten

Gibt es etwas Herrlicheres, als eine einmal gefundene Zauberformel zu immer größerer Meisterschaft zu führen? Das britische Vokalensemble Voces8 eröffnet im Brixner

Dom das Sommerprogramm von Musik und Kirche.

von Heinrich Schwazer

Unter Chormenschen gilt esals unelegant, sich um Ele-

ganz zu bemühen. Schließlich gehtes um das Edle, Wahre und Guteund nicht um schnöde Verpa-ckung. Puristisch wie ein Kastenvoll schwarzer Anzüge stehen dieSänger und Sängerinnen meistauf der Bühne und signalisieren:Wir kleiden uns schwarz, weil wir

unsere Köpfe für Wichtigeres alsfür Kleidung brauchen. Verglichen mit alle diesenSchwarzträgern wirkt das acht-köpfige britische VokalensembleVoces8 wie eine Schar Manageraus der IT-Abteilung einer Bank.Elegante blaue Anzüge, rote oderblaue Krawatte, teures Schuh-werk, die Damen in engen, knie-freien Kleidern. Ganz klar: Dieacht SängerInnen aus dem Bre-xit-Land wollen nicht Teil desweltweiten A-Capella-Schwarmssein, sondern aus der Menge her-vorstechen. Mit einem einfachen Hymnus andie Jungfrau Maria des englischenKomponisten Sir John Tavenerstartet das für seine glasklarenStimmen berühmte Ensemble indas Eröffnungskonzert von Musik

und Kirche im Brixner Dom – undschon laufen alle Herzen über.Nicht frontal zum Publikum, son-dern im Rücken beginnend undschließlich zum Kreis geformt,bringt das aus zwei Sopranstim-men, zwei Countertenören, zweiBässen und zwei Tenören beste-hende Ensemble Leuchtkraft undSeele in eine affektreich ver-schachtelte Komposition aus Poly-und Homophonie. Mehrmals teilt

sich der Chor an diesem Abend inunterschiedlich große Bestandteile– etwa in Benjamin Brittens Ju-gendwerk „A Hymn to the Virgin“,bei dem der Hauptchor dem Publi-kum zugewandt den Hymnustextsingt, während der zweite Chor imAltarraum als lateinisches Echofungiert. Auch in Palestrinas Mag-nificat für acht Stimmen teilt sichder Chor, um die Phrasen hin- undherzureichen. Bei der Urauffüh-rung in der Markus Basilika in Ve-nedig mit ihren zahllosen Emporenund Kapellen wurde es nicht an-ders gehandhabt – der BrixnerDom mit seinen Seitenkapelleneignet sich hervorragend dafür. ImSchlussstück, Gregorio AllegrisPsalmvertonung mit dem berühm-ten viermaligen hohen C des So-prans (ein Werk, das nur erhaltengeblieben ist, weil Mozart es ge-hört und aus dem Gedächtnis auf-geschrieben hat), verschwinden sie

gar hinter dem Altar. KlassischeChormusik, darunter viel Marien-lob, Psalmvertonungen und Passi-onsstücke bilden den Kern desAbends, aber das Repertoire um-fasst auch das Spiritual „StealAway“ in einem Arrangement vonDavid Blackwell, sowie einen Folk-Song der Singer-SongwriterinKate Rusby „Underneath theStars“. Nicht weniger als 700 Jah-re Chorgesang, wie man ihn sich

klangfeiner nicht vorstellen kann,haben die Briten an diesem wun-derbaren Abend aufgeboten: von Chorälen aus dem 13. Jahr-hundert, über einen Satz aus Mendelsohns Oratorium „Elias“,einer wunderbar lautmalerischenPsalmvertonung von HeinrichSchütz, Rachmaninovs Ave Mariabis hin zu dem Chorsatz aus Ga-briel Faurès „Pie Jesu“ aus dessenRequiem, der von dem Counterte-nor Barnaby Smith für Stimmenumgeschrieben wurde. Wenn man einen Inbegriff fürstimmliche Leuchtkraft und Seelesuchte – Voces8 wäre der ersteKandidat. Sinnliche Stimmen gabund gibt es etliche, aber so wie die

Briten ihre auf eine märchenhaftdichte Weise verweben, ist einzig-artig. Einerseits hört man jedeStimme klar heraus, andererseitsformieren sie sich wie Metallspäneum einen himmlischen Magneten,als wäre alles eins – ein endlos tie-fer Raum von rätselhafter Schön-heit. Die Balance zwischen musika-lischem Glanz und verinnerlichtemAusdruck ist in jedem Moment ru-hig und präzise herausgearbeitet.

Sie können nichts weniger, als ihreStimmen fliegen lassen – und demPublikum eine Erfahrung vonZeitlosigkeit und Transzendenzbescheren. Die zwanghafte, ständige Neuer-findung, das erste Gebot der Mo-derne, ist nicht die Sache diesesgroßartigen Ensembles. Gibt es et-was Herrlicheres, als eine einmalgefundene Zauberformel zu immergrößerer Meisterschaft zu führen?Was Voces8 bei ihrer exquisitenTour durch die geistliche Musik anwundersamen Weiten und innerenDramen herausholt, kann man sichnicht gelungener und seligmachen-der vorstellen. Weniger ist nichtmehr, sondern mehr ist mehr.

Voces8 im Brixner Dom: Weniger ist nicht mehr, sondern mehr ist mehr. Die Balance zwischen musikalischem Glanz und

verinnerlichtem Ausdruck ist in jedem Moment ruhig und präzise herausgearbeitet.