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Reto Francioni, Vorstandsvorsitzender Deutsche Börse AG, Frankfurt am Main, 1. Februar 2012 1 Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielen Dank, dass Sie sich so kurzfristig hier in Frankfurt eingefunden haben. Wir möchten Ihnen eine aktuelle Information zum Zusammenschlussvorhaben von Deutscher Börse und der NYSE Euronext geben. Vor knapp einem Jahr haben an dieser Stelle mein Amtskollege Duncan Niederauer aus New York und ich zu Ihnen gesprochen und Ihnen einen großartigen Plan präsentiert, dessen industrielle Logik und mannigfache Vorteile für die Kapitalmärkte unverändert gegeben sind. Heute muss ich Ihnen leider mitteilen, dass die EU-Kommission den angestrebten Zusammenschluss von Deutsche Börse AG und NYSE Euronext untersagt hat. Dies ist ein schwarzer Tag für Europa und seine zukünftige Wettbewerbsfähigkeit auf den weltweiten Finanzmärkten. Mit der Untersagung des Fusionsvorhabens wird die Schaffung einer in Europa beheimateten und global führenden Börsengruppe verhindert. Der fusionierte Börsenkonzern wäre der ideale Partner der europäischen Regulierungsbehörden gewesen, um diese bei der Verwirklichung standardisierter, transparenter und stabiler Märkte in Europa und weltweit zu unterstützen. Dies ist auch eine verpasste Chance für den Finanzplatz Frankfurt. Frankfurt auf Augenhöhe mit dem Finanzplatz New York als eine von zwei Hauptverwaltungen der größten Börsenorganisation der Welt – so hätte die künftige Bedeutung von Frankfurt in der Welt aussehen sollen. Was jetzt folgt, ist ein zäher Wettlauf aller Börsenplätze, die asiatischen eingeschlossen, um die beste Positionierung an den Kapitalmärkten mit ihren global agierenden Investmentbanken und anderen internationalen Marktteilnehmern. Dass hier regulatorische Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle spielen werden, brauche ich vermutlich nicht zu betonen. Und natürlich ist es auch ein enttäuschender Tag für uns und unsere Aktionäre, die Vorstand und Aufsichtsrat mit der überwältigenden Quote von 97 Prozent Zustimmung ein eindeutiges und verbindliches Mandat für den Zusammenschluss mit NYSE Euronext erteilt hatten. Die Entscheidung der EU basiert auf einer realitätsfremd verengten Marktdefinition, die in keiner Weise der globalen Natur des Wettbewerbs im Derivatemarkt gerecht wird. Außerdem wird der riesige, außerbörsliche (OTC) Derivatemarkt als der größte Teil des Marktes komplett ausgegrenzt. Wir halten die Entscheidung daher für falsch. Auch fragen wir uns, wie das gleichzeitig von der Kommission verfolgte Ziel zur Ausweitung der Regulierung auf den OTC Derivatemarkt zu dieser isolierten Marktbetrachtung passt. Bemerkenswert erscheint mir auch, dass die Entscheidung der EU-Kommission im Widerspruch zu der in den USA im Jahr 2007 bereits vorgenommenen Beurteilung des Derivatemarkts steht. Dort durften sich die

Rede Francioni Entscheidung EU Merger

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Reto Francioni, Vorstandsvorsitzender Deutsche Börse AG, Frankfurt am Main, 1. Februar 2012

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Meine sehr geehrten Damen und Herren,

vielen Dank, dass Sie sich so kurzfristig hier in Frankfurt eingefunden haben. Wir möchten

Ihnen eine aktuelle Information zum Zusammenschlussvorhaben von Deutscher Börse und

der NYSE Euronext geben.

Vor knapp einem Jahr haben an dieser Stelle mein Amtskollege Duncan Niederauer aus New

York und ich zu Ihnen gesprochen und Ihnen einen großartigen Plan präsentiert, dessen

industrielle Logik und mannigfache Vorteile für die Kapitalmärkte unverändert gegeben sind.

Heute muss ich Ihnen leider mitteilen, dass die EU-Kommission den angestrebten

Zusammenschluss von Deutsche Börse AG und NYSE Euronext untersagt hat.

Dies ist ein schwarzer Tag für Europa und seine zukünftige Wettbewerbsfähigkeit auf den

weltweiten Finanzmärkten. Mit der Untersagung des Fusionsvorhabens wird die Schaffung

einer in Europa beheimateten und global führenden Börsengruppe verhindert. Der fusionierte

Börsenkonzern wäre der ideale Partner der europäischen Regulierungsbehörden gewesen, um

diese bei der Verwirklichung standardisierter, transparenter und stabiler Märkte in Europa und

weltweit zu unterstützen.

Dies ist auch eine verpasste Chance für den Finanzplatz Frankfurt. Frankfurt auf Augenhöhe

mit dem Finanzplatz New York als eine von zwei Hauptverwaltungen der größten

Börsenorganisation der Welt – so hätte die künftige Bedeutung von Frankfurt in der Welt

aussehen sollen. Was jetzt folgt, ist ein zäher Wettlauf aller Börsenplätze, die asiatischen

eingeschlossen, um die beste Positionierung an den Kapitalmärkten mit ihren global

agierenden Investmentbanken und anderen internationalen Marktteilnehmern. Dass hier

regulatorische Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle spielen werden, brauche ich

vermutlich nicht zu betonen.

Und natürlich ist es auch ein enttäuschender Tag für uns und unsere Aktionäre, die

Vorstand und Aufsichtsrat mit der überwältigenden Quote von 97 Prozent Zustimmung ein

eindeutiges und verbindliches Mandat für den Zusammenschluss mit NYSE Euronext erteilt

hatten.

Die Entscheidung der EU basiert auf einer realitätsfremd verengten Marktdefinition, die in

keiner Weise der globalen Natur des Wettbewerbs im Derivatemarkt gerecht wird. Außerdem

wird der riesige, außerbörsliche (OTC) Derivatemarkt als der größte Teil des Marktes komplett

ausgegrenzt. Wir halten die Entscheidung daher für falsch. Auch fragen wir uns, wie das

gleichzeitig von der Kommission verfolgte Ziel zur Ausweitung der Regulierung auf den OTC

Derivatemarkt zu dieser isolierten Marktbetrachtung passt. Bemerkenswert erscheint mir

auch, dass die Entscheidung der EU-Kommission im Widerspruch zu der in den USA im Jahr

2007 bereits vorgenommenen Beurteilung des Derivatemarkts steht. Dort durften sich die

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beiden Chicagoer Unternehmen CME und CBOT zu der größten global agierenden

Derivatebörse zusammenschließen.

Die Entscheidung der EU-Kommission steht auch im Gegensatz zu der bereits erfolgten

Zustimmung vieler anderer wichtiger Regulatoren: In Deutschland hatte bereits die

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zugestimmt, in Luxemburg die

Commission de Surveillance du Secteur Financier (CSSF), in den USA das Committee on

Foreign Investment in the United States (CFIUS) sowie das US-Justizministerium (DOJ) und

die US Börsenaufsicht SEC.

Meine Damen und Herren, ich möchte auch noch deutlich machen, dass wir alles in unserer

Macht stehende getan haben, um die Genehmigung der EU-Kommission – trotz der aus Sicht

beider Unternehmen fehlerhaften Marktdefinition – zu erhalten: Die Deutsche Börse AG und

die NYSE Euronext haben der EU-Kommission umfangreiche Zugeständnisse angeboten. Über

die Grenzen des wirtschaftlich Vertretbaren konnten wir dabei aber schon im Interesse der

Aktionäre beider Gesellschaften, die das Fusionsvorhaben mit größten Mehrheiten unterstützt

haben, nicht hinausgehen.

Doch richten wir den Blick nach vorn. Wir können das EU-Verbot verkraften. Die Deutsche

Börse konzentriert sich nun auf ihre Wachstumsstrategie aus eigener Kraft. Für unser

Wachstum haben wir mit dem im Juni 2011 unterzeichneten Kaufvertrag über den Erwerb

von 100 Prozent der Anteile an der EUREX bereits erste wichtige Weichen gestellt. Dieser

wird – darauf haben wir bei der Verhandlung des Vertrags Wert gelegt – auch unabhängig von

der Fusion mit der NYSE Euronext vollzogen.

Wir führen unsere Wachstumsstrategie geographisch und auf Produktebene ohne

Fusionspartner in einem geänderten regulatorischen Umfeld fort Als eine der weltweit

führenden Börsengruppen mit einem integrierten Geschäftsmodell, das uns von vielen unserer

Wettbewerber unterscheidet, sind wir hervorragend positioniert, dies zu erreichen. Wir haben

ein erstklassiges Produktportfolio über die gesamte Prozesskette des Wertpapierhandels. Es

beginnt mit dem Aktien- und Terminhandel (XETRA und Eurex), geht über die Verrechnung

(Eurex-Clearing) und Abwicklung der Aufträge bis zur Verwahrung und Verwaltung von

Wertpapieren (Clearstream). Dazu kommen die Produkte zur Bereitstellung der

Marktinformationen (STOXX, DAX) und zur Entwicklung und zum Betrieb der elektronischen

Systeme (Handelsinfrastruktur). All diese Produkte und Dienstleistungen sind global schon

heute auf höchstem Niveau, und wir werden sie kontinuierlich weiterentwickeln. Wir blicken

daher sehr positiv in die Zukunft.

Wir haben gesagt, dass die Partnerschaft mit der NYSE Euronext die beste Option gewesen

wäre, um unsere Wachstumspläne zu forcieren. Wir haben auch immer gesagt, dass wir in

dieses Fusionsvorhaben aus einer Position der Stärke gegangen sind; dass wir den Merger

wollten, ihn aber nicht betreiben mussten. Natürlich wird die Gruppe Deutsche Börse ihren

Wachstumskurs fortsetzen. Mit dem Geschäftsjahr 2012 verbinden wir positive

Wachstumserwartungen für die Deutsche Börse AG. Diese Einschätzung basiert auf der

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Annahme, dass die Euro-Zone den bereits eingeschlagenen Weg zur Stabilisierung

konsequent fortführt. Dazu wird auch der Vollzug des Erwerbs des 15-prozentigen Anteils der

SIX Group an der Eurex in 2012, der auch ohne den Zusammenschluss mit der NYSE

Euronext vollzogen wird, mit rund EUR 100 Millionen Umsatz beitragen.

Am 13. Februar werden wir den vorläufigen Jahresabschluss des Geschäftsjahres 2011

veröffentlichen. Auf Basis der Geschäftsergebnisse werden Sie sich Ihr eigenes Bild machen

können. Wir sind überzeugt, dass wir als Deutsche Börse auch eigenständig weiterhin sehr

gute Ergebnisse erzielen werden.

Die Verbindung von unseren Stärken im Bereich Derivatehandel und –clearing, sowie Risiko-

und Sicherheitenmanagement über die globalen Marken Eurex und Clearstream sind ein

Alleinstellungsmerkmal in unserer Industrie. Seit Ausbruch der Finanzkrise ist der Bedarf

nach Dienstleistungen in diesem Bereich kontinuierlich gestiegen. Neue Regulierung im

Bereich der OTC Derivatemärkte, deutlich erhöhte Anforderungen der Regulatoren an die

Eigenkapitalausstattung der Banken, sowie das an der wachsenden Rolle der Zentralbanken

weltweit ablesbare Misstrauen in unregulierte und unbesicherte Märkte sind allesamt

Entwicklungen, die unserem Unternehmen mittelfristig erhebliches Wachstumspotential

versprechen. Wir können und werden mit unserem einzigartigen Knowhow, unseren starken

Produkten und Dienstleistungen und unserer hervorragenden Technologie hier als

hochkompetenter und zuverlässiger Partner gemeinsam mit unseren Kunden neue

Wachstumspotentiale erschließen. Bereits heute machen die beiden Geschäftsbereiche Eurex

und Clearstream zusammen rund 75 Prozent unseres operativen Ergebnisses aus, gegenüber

30% im Jahr 2000.

Unsere Strategie wird neben profitablem Wachstum im Geschäft mit unseren Kunden auch

weiterhin durch gezieltes Kostenmanagement und ein aktives Kapital-Management im Sinne

eines starken Rating Profils und einer attraktiven Ausschüttungspolitik flankiert. Sie werden

sicherlich Verständnis dafür haben, dass ich auf die Einzelheiten der strategischen und

finanziellen Zielsetzungen für das Jahr 2012 im Rahmen der Bilanzpressekonferenz am 14.

Februar näher eingehen möchte. Ich kann jedoch bereits an dieser Stelle sagen, dass wir

2011 ein hervorragendes Ergebnis erwirtschaftet haben und wir anlässlich der bereits

vorgenommenen Weichenstellungen für weiteres Wachstum, wie dem Vollzug des Erwerbs

der verbleibenden Eurex-Anteile im 1. Halbjahr, optimistisch ins Jahr 2012 blicken.

Im Namen auch meiner Kollegen im Vorstand danke ich allen Mitarbeiterinnen und

Mitarbeitern, die in den vergangenen zwölf Monaten mit größtem Einsatz daran gearbeitet

haben, den Zusammenschluss zu verwirklichen. Ich danke auch unseren Aktionären, die uns

mit ihrer nahezu einhelligen Zustimmung zu dem Zusammenschluss in hervorragender Weise

unterstützt haben. Den Kollegen der NYSE Euronext danken wir für die partnerschaftliche

Zusammenarbeit.

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Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Verständnis, dass wir an einem Tag

wie heute noch keine längeren Ausführungen machen werden. Das werden wir spätestens zur

Bilanzpressekonferenz am 14. Februar nachholen.