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Regionale Gewerkschafts Blätter Heft 36 Der Kapp-Putsch 1920 Ein Lesebuch über Ereignisse in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt

Regionale Gewerkschafts Blätter · [Leitsätze für den Beschluß des RKab. als Anlage zum Schreiben des RWeM vom 4.3.20 (R 43 I/690, Bl. 91–93). Darin wird zunächst die Aufstellung

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Regionale Gewerkschafts Blätter

Heft 36

Der Kapp-Putsch 1920

Ein Lesebuch über Ereignisse

in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt

1

INHALTSVERZEICHNIS

GEGEN DAS VERGESSEN

Vorwort Seite 2

Thematische Einführung Seite 3

Die deutsche Reichsregierung

in den Tagen des Kapp-Putsches 1920 Seite 5

09. März 1920 - Bekanntgabe eines Beschlusses … Seite 5

12. März 1920 - Mitteilungen … Seite 5

12. März 1920 - Bericht des Chefs der Admiralität … Seite 6

13. März 1920 - Bericht des Chefs der Heeresleitung … Seite 8

13. März 1920 - Bericht des Unterstaatssekretärs … Seite 10

14. März 1920 - Aufruf der Reichsregierung … Seite 11

15. März 1920 - Der Reichsinnenminister … Seite 13

16. März 1920 - Verhandlungen des Reichskabinetts … Seite 14

17. März 1920 - Verhandlungen Reichsjustizminister… Seite 16

18. März 1920 - Verhandlungen mit Gewerkschaften… Seite 18

22. März 1920 - Tagebuchaufzeichnung … Seite 23

März 1920 in Braunschweig Seite 25

März 1920 in Dessau Seite 37

März 1920 in Halle/Saale Seite 41

März 1920 in Hannover Seite 49

März 1920 in Magdeburg Seite 55

März 1920 in Osnabrück Seite 60

März 1920 in Quedlinburg Seite 65

Korrespondenzblatt -

„Der Generalstreik gegen den Monarchistenputsch“ Seite 69

2

VORWORT

Das vorliegende „Lesebuch“ erinnert an den Kapp-Lüttwitz-

Ludendorff-Putsch vom 13. März 1920 gegen die junge

Weimarer Republik. Für den Deutschen Gewerkschafts-

bund (DGB) haben diese vier Tage im März 1920 einen

hohen Stellenwert. Reaktionäre Offiziere und nationalis-

tische Kräfte aus Bürgertum und Beamtenschaft haben,

wenn auch dilettantisch durchgeführt, gegen die demokra-

tisch gewählte Regierung unter Reichskanzler Gustav Bauer

geputscht. Dank des entschlossenen Widerstands der

Arbeiterbewegung konnte dieser Angriff auf die Verfassung

abgewehrt werden.

Dies zeigt den Mut von Gewerkschafterinnen und Gewerk-

schaftern, für die damals junge und ungeübte Demokratie

in Deutschland ein eindeutiges Signal zu - das Signal, dass

Demokratie ein hohes Gut für alle Menschen ist. Diese

Erinnerung zu erhalten ist bis zum heutigen Tag für

Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ein verbinden-

des Element geblieben.

In dem vorliegenden Heft wird das Engagement, aber auch

die Unterschiedlichkeit der Menschen in den Tagen des

März 1920 beschrieben. Die verschiedenen Formen der

„Berichterstattung“ - Zeitzeugenberichte, Presseartikel und

ein Romanausschnitt - und damit auch die verschiedenen

Blickrichtungen sollen das Einstehen für eine demokra-

tische Orientierung darstellen.

Der 90. Jahrestag dieses Staatsstreiches erinnert uns daran,

dass die demokratischen Verhältnisse, in denen wir heute

leben, nicht selbstverständlich sind. Werte wie Freiheit,

Gleichheit und Toleranz müssen in jeder Generation immer

wieder erlernt und gelebt werden, nur so können wir den

demokratischen und sozialen Rechtsstaat vor Aushöhlung

und Verfall schützen. Die jüngere deutsche Geschichte

zeigt uns eindringlich, wohin es führen kann, wenn Freiheit,

Gerechtigkeit und Solidarität durch Unrecht, Ignoranz und

nationalistischen Größenwahn verdrängt werden.

Hartmut Tölle DGB-Bezirksvorsitzender

Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt

Hannover, im Februar 2010

3

Die deutsche

Reichsregierung

in den Tagen des

Kapp-Putsches

1920

Grundlage für diesen Text

sind Protokolle

und Notizen aus der

Reichsregierung Müller im

März 1920*)

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer - Band 1

Dokumente Nr. 184,

Kabinettssitzung vom

9. März 1920]

*) Die Unterlagen wurden aus der Internet-Adresse

„www.bundesarchiv/

aktenreichskanzlei/

1919-1933/“ herausgezogen.

Um die Lesbarkeit zu

erhalten, wurden nicht alle

Anmerkungen aus den

Dokumenten berücksichtigt.

09. März 1920:

Bekanntgabe eines Beschlusses der Reichsregierung an

das Heer über das Fortbestehen des Heeres und über die

den Truppen zustehenden Gebührnisse und

Versorgungen.

Der Reichswehrminister trug den Inhalt seines Schreibens

vom 4. März 1920 […] vor, nach dem gewisse Bezüge an die

zurzeit noch im Heere bleibenden Mannschaften gezahlt

werden sollten. Im übrigen glaubte er auf die Leitsätze16

[Leitsätze für den Beschluß des RKab. als Anlage zum

Schreiben des RWeM vom 4.3.20 (R 43 I/690, Bl. 91–93).

Darin wird zunächst die Aufstellung des Übergangsheeres

gemäß dem Kabinettsbeschluß vom 24. 2., TOP 2, angekün-

digt] verweisen zu können. Unterstaatssekretär Moesle

erwiderte, daß er mit der Angelegenheit noch nicht befaßt

gewesen sei, daß er sie aber am nächsten Tage in einer

Chefbesprechung regeln wolle. Das Kabinett stimmte der

Vorlage zu vorbehaltlich einer Verständigung des

Reichsministers der Finanzen mit dem Reichswehrminister

über die strittigen Fragen.

12. März 1920:

3. Mitteilungen des Reichswehrministers über das

Bevorstehen eines militärischen Putsches.

[In der vom RJM Schiffer „nach persönlichen Erinnerungen“

nach 1941 angefertigten Niederschrift „Der Kapp-Putsch“

heißt es dazu: „In der Sitzung wurde zunächst der sachliche

Teil der Tagesordnung erledigt. Alsdann wurden die

Referenten entlassen, und die Minister blieben allein, um

die Lage vertraulich zu besprechen. Noske gab in großen

Umrissen ein Bild der Situation, wie sie sich nach den

Ereignissen der letzten Tage herausgestellt hatte. Er hielt

sie für gespannt, glaubte zwar immer noch, sie, was auch

kommen möge, zu beherrschen, rechnete aber damit, daß

etwas kommen könne. Seine Zuhörer waren weniger

pessimistisch. Sie nahmen an, daß alle diese Zuckungen sich

beruhigen und alle diese Ansätze zu Unruhen im Sande

verlaufen würden. […]

Der Reichswehrminister teilt mit, daß nach sicheren Nach-

richten seit einiger Zeit in einem engen Kreise regelmäßige

Besprechungen stattfänden, mit dem Ziele, eine andere

Zusammensetzung der Reichsregierung herbeizuführen.

Man habe versucht, zu diesen Besprechungen auch

Offiziere hinzuzuziehen.

4

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1

Dokumente Nr. 186,

Kabinettssitzung vom

12. März 1920]

In diesen Besprechungen sei betont worden, daß die

Regierung in ihrer jetzigen Zusammensetzung zu schwach

sei, […]

Vor 14 Tagen habe man in diesen Kreisen überlegt, die

Wilhelmstraße zu besetzen und eine Umbildung des

Kabinetts herbeizuführen. Die Bestrebungen würden

geleitet von Generallandschaftsdirektor Kapp und dem

Hauptmann von [!] Pabst. Er, der Reichswehrminister, habe

es für richtig gehalten, die in Bildung begriffene Organisa-

tion sofort zu zersprengen. Er habe deshalb die Verhaftung

der Hauptbeteiligten angeordnet. Zurzeit gehe das

Gerücht, dass gewisse Truppenteile, insbesondere die

Marinebrigade, mit der Absicht umgingen, die dargelegten

Pläne in der kommenden Nacht zu verwirklichen.

Er habe deshalb den Alarmzustand und verschärfte

Bewachung angeordnet. Die Nachricht von dem

bevorstehenden Marsch der 2. Marinebrigade auf

Berlin scheint der RWeM während der Kabinettssitzung

erhalten zu haben.

12. März 1920

Bericht des Chefs der Admiralität über seine Inspektion

des Lagers Döberitz am 12. März 1920

[RWeM Noske hatte am 12. 3. während der Sitzung des

RKab. die Nachricht erhalten, daß die 2. Marinebrigade

unter KKpt. Ehrhardt plane, in der Nacht zum 13. 3. vom

Lager Döberitz aus Berlin zu besetzen. In einer Besprechung

mit GenMaj. Reinhardt und VAdm. von Trotha äußerte der

RWeM zunächst den Wunsch, selbst nach Döberitz zu

fahren, um „mit den Leuten [zu] sprechen und festzustellen

versuchen, was eigentlich im Gange sei“, wogegen

Reinhardt unter Hinweis auf die Gefahr einer Verhaftung

des RWeM Einspruch erhob. Daraufhin beauftragte Noske

VAdm. von Trotha, „der dazu keine rechte Neigung hatte“,

„nach Döberitz zu fahren, sich von dem Stand im Lager zu

unterrichten und mit Ehrhardt zu sprechen“ […] Trotha will

dagegen vorgebracht haben, daß er keine Befehlsgewalt

mehr über Ehrhardt habe. Seine ablehnende Haltung zu

einem Militärputsch kenne Ehrhardt; sei dieser dennoch

entschlossen, in der Nacht zu marschieren, so werde er, der

ChdAdm., „ihn so wie seine Natur ist, jetzt nicht mehr

umstimmen“ können.] […]

5

Warnung von

Kapp-Putsch-Soldaten an

die Berliner Bevölkerung

Ich habe dem Herrn Reichswehrminister nach meiner

Rückkehr aus Döberitz am Freitag, den 12. März abends,

ungefähr um 8.30 [Uhr] folgende mündliche Meldung in

Gegenwart des Majors von Gilsa erstattet: Ich habe –

telephonisch angemeldet – bei meiner Ankunft in Döberitz

dort vollkommene Lagerstille angetroffen. Beurlaubte

passierten das Tor, der Eindruck war ein völlig friedlicher,

auch als ich zu Fuß bis zur Baracke des Kpt. Ehrhardt ging.

Ich habe E[hrhardt] dann unter 4 Augen gesprochen, habe

ihm die in Berlin eingegangene Nachricht mitgeteilt und ihn

kurz noch einmal darauf hingewiesen: er wisse, wie ich

solche Pläne verurteile3, ich könne nur noch einmal auf das

Ernsteste davor warnen; die Verantwortung wüchse noch

höher, nachdem nunmehr mit vorbereitetem Widerstand

zu rechnen wäre. Ich sage ihm hier noch einmal in meiner

dienstlichen Stellung, dass er eine solche Tat unter keinen

Umständen ausführen dürfte. […]

E[hrhardt] habe mir persönlich einen ganz veränderten

Eindruck gemacht. Er sei mir gegenüber gedrückt und

„verbaast“ gewesen und hätte dabei zum Ausdruck

gebracht, dass er allerdings durch die Geschehnisse der

letzten Tage für manche Persönlichkeit, vor der er bisher

Achtung besessen hätte, eine gründliche Nichtachtung sich

angeeignet habe. […]

Auf eine Zwischenbemerkung des Reichsministers: wenn er

nur nicht heute Nacht marschiert, bis morgen haben wir

die Stimmung schon so hochgebracht, daß keine Gefahr

mehr besteht, – habe ich gesagt:

Ich hätte die Truppe in völliger Ruhe angetroffen; ich wisse

nicht, wie viel Zeit zur Alarmierung gehöre. Ich könne mir

aber denken, dass wenn E[hrhardt] um 1 Uhr marschieren

wolle, er erst um 12 Uhr alarmiere.

Was die Stimmung von Kpt. E[hrhardt] angehe, so wäre sie

m[einer] A[nsicht] nach eine Folge davon, daß sich um die

Truppe seit 36 Stunden ein Wirbelwind von Befehlen,

Beeinflussungen und Rücksprachen gedreht hätte, die dort

den Eindruck erwecken müßten, dass in Berlin alles vor der

Truppe vor Angst zittere; ein Beweis für mich, dass ich am

Donnerstag [11. 3] Nachmittag vollkommen recht gehabt

hätte, als ich dringend vor dem Befehl gewarnt hätte, die

Unterstellung der Truppe zu ändern (sie wurde dem

6

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1

Dokumente Nr. 187,

Bericht des Chefs der Admiralität über seine

Inspektion des Lagers

Döberitz am 12. März 1920]

General von Lüttwitz fortgenommen und mir unterstellt)

[…] Die Stimmung, in der sich E[hrhardt] und die Marine-

brigade jetzt befände, wäre allerdings eine solche, daß auf

solchem Boden allerhand Unfug wachsen könne. Ich

bemerke noch, dass die M[arine-]Brigade, als ich draußen

war, mir befehlsgemäß nicht unterstand, sondern dem

Oberkommando in den Marken, das für die Truppen um

Berlin – auch, wie ich besonders festgestellt habe, für die

M[arine-]Brigade – eine gewisse Alarmbereitschaft

befohlen hatte. (Trotha will sich bei Gen. von Olders-

hausen rückversichert haben, daß durch den Alarmbefehl

des RWeM der „militärische Befehlseinfluß“ zwischen ihm

und Ehrhardt wieder unterbrochen worden war].

Begleitet hat mich, auf Vorschlag des Majors von Gilsa, der

Kapitänleutnant Canaris, der aber der Besprechung nicht

beiwohnte. Ich hatte gegen ein Angebot des Generalmajors

Reinhardt mich, wenn ich wünschte, zu begleiten

gestimmt, aus der Erkenntnis heraus, dass der General

R[einhardt] bei der Brigade sehr stark angefeindet war,

wollte ich einen Einfluss ausüben, so konnte seine

Anwesenheit nur nachteilig sein. gez. von Trotha

13. März 1920

Bericht des Chefs der Heeresleitung über die

Kabinettssitzung

Morgens. Über diese entscheidende Kabinettssitzung vor

der Verlegung des überwiegenden Teils der RReg. nach

Dresden liegt ein von Beamten der Rkei in der herkömm-

lichen Form gefertigtes Protokoll nicht vor. […]

Dem Ersuchen des Herrn Untersuchungsrichters beim

Reichsgericht um einen Bericht über den Verlauf der

Kabinettssitzung am 13. März morgens komme ich durch

die folgende Darstellung nach mit dem Vorbehalt, daß

meine Schilderung ganz nach dem Gedächtnis gegeben

wird, da ich keine Aufzeichnungen gemacht habe.

Der Reichswehrminister Noske bat den Reichskanzler etwa

um 2 [Uhr] morg[ens] telefonisch, die Kabinettsmitglieder

zusammenzurufen, nachdem er durch Rücksprache mit

einzelnen Generalen und Stabsoffizieren der Berliner

Militärischen Dienststellen sowie mit Offizieren der

Admiralität den Eindruck gewonnen hatte, dass die Abwehr

des in der Entwickelung gemeldeten Ehrhardt-Angriffes

von Döberitz her auf das Regierungsviertel voraussichtlich

mißlingen werde.

7

Putschende Soldaten

in Berlin

[…] Die Kabinettsmitglieder kamen zwischen 3 u[nd] 4 Uhr

morgens zusammen, hörten die Lage und Auffassung der

Generale, Admirale und Stabsoffiziere, die den Reichswehr-

minister in die Reichskanzlei begleitet hatten, schon

während ihrer Versammlung im Bibliothekssaal und zogen

sich, nachdem die Mehrzahl der Minister und auch der

Reichspräsident eingetroffen waren, in das Arbeitszimmer

des Reichskanzlers zur eigentlichen Kabinettssitzung

zurück, während die Offiziere im Bibliothekssaal auf die

Entscheidung warteten.[…]Teilnehmer: Ebert, Bauer,

Schiffer, Noske, Koch, Giesberts, David sowie, später

hinzukommend, Schlicke, Albert, Riezler und Rauscher. An

der eigentlichen Kabinettssitzung nahmen von den

Offizieren nur Gen. Reinhardt und Maj. von Gilsa teil. […]

Die Beratung lief erregt und ohne strenge Debatten-

Ordnung im wesentlichen auf die Beantwortung folgender

Fragen hinaus:

1. Sollen die Ehrhardtschen Forderungen angenommen

werden?

2. Soll überhaupt mit Ehrhardt verhandelt werden?

3. Soll Ehrhardt mit der Waffe bekämpft werden?

4. Soll die Regierung, wenn nicht oder erfolglos in Berlin

gegen Ehrhardt gekämpft würde, sich vergewaltigen lassen

oder Berlin verlassen und sich an einen sicheren Ort

verlegen?

5. An welchen Ort?

Ehrhardt hatte eine Reihe ultimativer Forderungen den

Generälen von Oven und von Oldershausen am Abend des

12. 3. bei deren Besuch in Döberitz mit dem Auftrag

übergeben, sie an das RKab. weiterzuleiten. Gemäß dem

Vortrag Oldershausens in der Nachtsitzung im RWeMin.

lauteten sie:

„1. An die Spitze der Armee tritt ein General. 2. Eine

größere Anzahl von Ministerien ist durch Fachminister zu

besetzen.

3. General der Infanterie von Lüttwitz ist wieder in der

Armee zu verwenden.

4. Den Politikern, die an dem Unternehmen teilgenommen

haben, wird Straffreiheit zugesichert (Kapp, Pabst, Bauer,

Schnitzler u. a.).

5. Die Truppen, die an dem Unternehmen beteiligt sind,

gehen straffrei aus.“ Eine Antwort erwartete Erhardt am

13. 3., morgens 7 Uhr, an der Siegessäule im Berliner

Tiergarten […]

8

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer , Band 1

Dokumente Nr. 188,

Bericht des Chefs der

Heeresleitung über die

Kabinettssitzung vom

13. März 1920]

Aus dem Hin und Her der Meinungen ergab sich zu 1 u[nd]

2 Ablehnung, zu 3 Ablehnung auf Grund der vom Reichs-

wehrminister Noske dargelegten Auffassung der Generale

v[on] Oven, v[on] Oldershausen und v[on] Seeckt, die von

einem nach ihrer Ansicht gegen die Ehrhardtschen über-

legenen Angreifer hoffnungslosen Verteidigungskampf

abgeraten hätten. Ich hatte am vorhergehenden späten

Abend einzelne Führer der Verteidigungstruppen an ihre

ernsten Pflichten gemahnt und die Überzeugung, daß sie

diese den Meuterern gegenüber erfüllen würden. […]

Ich schätzte zwar die Erfolgsaussichten für das Festhalten

der Wilhelmstraße gleichfalls nicht hoch ein, hielt aber

einen örtlichen Mißerfolg für weniger schädlich und eher in

Kauf zu nehmen als ein kampfloses Preisgeben der

Regierung mit seinen schweren Rückwirkungen auf das

ganze spätere Verhältnis zwischen Regierung, Reichswehr

und Volk.

13. März 1920

Bericht des Unterstaatssekretärs Albert über die

Vorgänge in der Reichskanzlei am 13. März 1920 morgens

[…] Die Vorgänge, welche zur Verdrängung der Regierung

und des Chefs der Reichskanzlei am 13. März 1920 führten,

haben sich im Wesentlichen wie folgt abgespielt.

[…] Über den fluchtartigen Aufbruch des RKab. und des

RPräs. liegen zahlreiche Berichte vor. Über die Flucht

RWeM Noskes, der mit Maj. Gilsa und Hptm. Hahn direkt

im Anschluß an die Nachtsitzung des RKab. mit dem Auto

nach Dresden fährt, […]

Am Sonnabend den 13. März vormittags etwa um ¾7 Uhr

betraten 3 Herren, nämlich Kapp, von Falkenhausen und

von Jagow das Gebäude des Reichskanzlers und wurden

hier von dem als Portier diensttuenden Kriminalwacht-

meister Süßmann gemeldet. Ich trat den Herren in der

Halle entgegen und fragte sie, was sie wünschten. Darauf

erwiderte Kapp, dass sie die Regierungsgewalt ergriffen.

Auf die Frage, mit welcher Legitimation dies geschehe,

erwi-derte Herr v[on] Jagow: „Mit dem Recht des 9.

November 1918.“ Daran knüpfte Herr Kapp die Frage, ob

ich der frühere sozialdemokratische Unterstaatssekretär

sei. Ich verneinte dies mit dem Bemerken, dass ich nicht

der frühere, sondern der gegenwärtig amtierende

Unterstaatssekretär und Chef der Reichskanzlei sei.

9

Eine Anordnung

wird verlesen

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1

Dokumente Nr. 189,

Bericht des Unterstaats-

sekretärs Albert

vom 13. März 1920]

Hierauf erwiderte Herr Kapp: „Das werden Sie die längste

Zeit gewesen sein.“ Ich forderte die Herren auf, das Haus

zu räumen, worauf sie unter Hinweis auf ihre Macht-

position – mit einer Handbewegung wurde auf die draußen

versammelte Militärmacht hingewiesen – eine solche Auf-

forderung als zweck- und nutzlos bezeichneten. Hieran

schloß sich nun ein schärferes Hin- und Herreden über

Formfragen an, indem ich Herrn Kapp wegen der Nach-

lässigkeit und Hochmütigkeit seines Auftretens um

Wahrung der Form ersuchte, während er behauptet[e], die

Form gewahrt zu haben. Diese Erörterung wurde dann

damit beendet, daß Herr von Falkenhausen eine formelle

Vorstellung vornahm. Die Herren fragten dann, wer von

den Mitgliedern der Regierung im Hause wäre, worauf ich

erwiderte, daß der Vizekanzler Schiffer in Vertretung des

abgereisten Kanzlers Bauer die Geschäfte übernommen

habe. Darauf wurde mir mitgeteilt, dass die Herren mit

dem Herrn Vizekanzler zu sprechen beabsichtigten. Sie

wurden darauf von dem Portier in das Bibliothekzimmer

geführt. Dort richteten sie sich sofort mit dem allmählich

nachgeströmten Personal vollständig ein und begannen

eine geschäftliche [!] Tätigkeit. […]

Kapp ernannte nachfolgend von Jagow zum PrIM, während

von Falkenhausen die Geschäfte eines Chefs der Rkei über-

nahm, die er jedoch am 14. 3. mittags wieder niederlegte.

gez. Albert

14. März 1920

Aufruf der Reichsregierung „An das deutsche Volk!“

Die nach Dresden ausgewichene RReg. hatte bereits am

13. 3. einen ersten Aufruf an das dt. Volk erlassen, in dem

der Staatsstreich Kapps und Lüttwitz’ als „Akt der Tollheit“

hingestellt, die von ihnen verfügten Anordnungen als

rechtsungültig bezeichnet und die Gefahren geschildert

werden, die drohen, „wenn das Volk die Besonnenheit

verliert“. […]

Es ist nicht wahr, daß die verfassungsmäßige Reichs-

regierung abgedankt hat. Die verfassungsmäßige Reichs-

regierung denkt nicht daran, abzudanken. Sie hat nur

dasselbe getan, was sie im Februar 1919 tat, als sie nach

Weimar übersiedelte. Um ruhig und sicher arbeiten zu

können, ist sie nach Dresden übergesiedelt und nimmt mit

dem Zusammentreten der Nationalversammlung ihren Sitz

in Stuttgart.

10

Reichspräsident

Friedrich Ebert

Was in Berlin vorgeht, ist eine „Cöpenickiade“ im Großen.

Die Berliner müssen sich den politisch klaren Blick bewah-

ren. Für die Cöpenick-Regierung Kapp besteht keine Mög-

lichkeit zu regieren; ihr Gebäude ist innen hohl. Sie kann

weder Kohlen noch Nahrungsmittel beschaffen. Ohne

Arbeiter kann man nicht regieren. Berlin kann nicht von

sich selbst leben. In wenigen Tagen bricht dies System

zusammen. Jeder, der es unterstützt, lädt den Fluch der

Verantwortung auf sich.

Beamte! Euch bindet nicht nur die politische Einsicht,

sondern auch der Eid auf die Verfassung. Ihr habt nur den

Befehlen der verfassungsmäßigen Reichsregierung zu

gehorchen. Wer die neue Regierung unterstützt, bricht

seinen Eid. Es ist nicht wahr, dass die Beamten am

9. November 1918 das Gleiche taten. Damals dankte der

Kaiser ab, der vom Kaiser eingesetzte Reichskanzler Prinz

Max von Baden gab mit der Abdankung des Kaisers seine

eigene bekannt und übertrug selbst die Reichskanzlerschaft

dem heutigen Reichspräsidenten Ebert. Er forderte die

Beamten auf, der neuen Regierung zu gehorchen. Heute

hat die Reichsregierung nicht abgedankt und die Usurpa-

toren in Berlin sind von keiner befugten Stelle eingesetzt.

Wer ihnen dient, wird entlassen.

Die Mehrheitsparteien stehen fest zusammen. Kapp, von

Jagow und Genossen, diese reaktionären Frevler, finden

keinen Widerhall im deutschen Volke. Für sie war schon die

Deutsche Tageszeitung ein radikales linkes Blatt, das sie

verbieten mussten.

Und das Ausland? Eine Militärdiktatur, eingesetzt von den

Baltikumtruppen, von der reaktionärsten preußischen

Militärpartei, die wird uns keine Erleichterung

des harten Friedens, keinerlei wirtschaftliche Hilfe bringen.

Die der verfassungsmäßigen Regierung in Aussicht gestellte

große Ententeanleihe wird Kapp und Genossen nicht

gewährt. Der Wert des deutschen Geldes, der eben mit

starkem Ruck in die Höhe ging, fällt tiefer als je.

Sorge jeder dafür, dass diese Militärdiktatur an ihrer

inneren Ho[hl]heit so schnell wie möglich zusammenbricht.

Sämtliche Landesregierungen, die westlichen preußischen

Oberpräsidenten, die Zentralverbände der deutschen

Arbeiter- und Angestellten, die staatlichen

11

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1

Dokumente Nr. 192,

Aufruf der Reichsregierung „An das deutsche Volk!“ vom

14.März 1920]

Unterbeamten, der Reichswirtschaftsverband deutscher

Berufssoldaten mit 96 000 Mitgliedern, sämtliche

süddeutsche Reichswehrteile und eine Reihe preußischer,

darunter das besonders wichtige Wehrkreiskommando

Watter (Ruhrbezirk) stehen fest hinter der verfassungs-

mäßigen Regierung.

Dresden, den 14. März 1920.

Der Reichspräsident gez. Ebert.

Die Reichsregierung

Bauer. Müller. Koch. Giesberts. Noske. Geßler. David.

15. März 1920

Der Reichsinnenminister an den Reichsjustizminister.

Stuttgart

[Betrifft: Kapp-Lüttwitz-Putsch.]

Lieber Schiffer!

In Eile ehe der Kurier abgeht:

1. Die gesamte Regierung bittet dringend, die Tagung der

Nationalversammlung nicht durch Vorschläge, in Berlin zu

tagen, zu stören. Das gibt nur Verwirrung, da die Abgeord-

neten teils hierhin teils dorthin gehen würden. Wir können

dort auch nicht in Ruhe tagen. Unsere Anordnungen

beruhen auf Kenntnis der Verhältnisse des Reichs. Es gibt

Gefahren von rechts und links. Der letzteren gegenüber

können wir uns in Berlin nicht durch die verräterische

Soldateska schützen lassen, ohne uns ungeheuer zu

kompromittieren. Hier ist Heer und Volk ruhig und treu.

Wir hoffen, dass Sie hierher kommen, sobald es möglich ist

und alle anderen mitbringen. Alles kommt auf Sammlung

hier an, wenn sie auch allmählich erfolgt.

2. Verhandlungen mit Kapp zu führen, ist zwecklos. Es

stärkt ihn, diskreditiert uns und führt nur zur Verlängerung

der Krise. Kapp muss zurücktreten oder seine Sache muss

ausbrennen. Wir dürfen nicht in die Verantwortung und

Krisis Kapps hineingezogen werden. Maerckers Angebot,

mit Kapp zu verhandeln, ist deshalb von uns abgelehnt

worden und seiner Reise nach Berlin haben wir widerraten.

Er wollte erst Geßler und mich bewegen, führend in die

neue Regierung einzutreten, und als wir Sonderverhandl-

ungen rund ablehnten, hat er in demselben Sinne mit der

Gesamtregierung verhandelt. Wir haben ihm nur erklärt, er

möge seinen Einfluss auf Kapp dahin ausnützen, dass er

zurücktrete. Wir haben durch Wolff auch dementiert, dass

wir Verhandlungen mit Kapp führen, habe ich das heute

12

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1 Dokumente Nr. 194,

Der Reichsinnenminister an

den Reichsjustizminister vom

15. März 1920]

Reichswehrminister

Gustav Noske

in der hiesigen Pressekonferenz mitgeteilt. – Wir bitten Sie

dringend, nicht mit Kapp über Bedingungen zu verhandeln.

Er muß zurücktreten.

3. Es ist unwahr, dass unsere Regierung zum Generalstreik

aufgefordert habe. Es handelt sich um eine plumpe

Mystifikation6. Bauer hat das heute der Pressekonferenz

erklärt, und Wolff wird es dementieren sowie darauf

hinweisen, dass die Nationalversammlung zusammen-

treten muss und wir erst mit dieser, soweit es noch

erforderlich ist, über das weitere Vorgehen gegen Kapp

Beschluss fassen werden.

4. Draußen steht alles gut. Die Berliner Gewalthaber haben

nur im Norden und Osten sich durchgesetzt. Die Reichs-

wehr im Westen ist entweder treu (Kassel, Industriebezirk)

oder passiv oder hält sich hinter Stacheldraht in ihren

Kasernen.

Ergeben[st]

Koch

16. März 1920

Verhandlungen des Reichskabinetts mit den Berliner

Abgesandten, insbesondere dem General Maercker.

Die Mission Gen. Maerckers und verschiedener Politiker der

Mehrheitsparteien war der RReg. bereits am 15. 3. abends

telefonisch angekündigt worden. In der Begleitung Maer-

ckers, der sich durch die Übernahme der Vermittlungs-

aktion „zwischen zwei Stühle gesetzt“ hatte (Koch),

befanden sich Oberstlt. Hasse und von Metzsch, der PrIM

Heine, StKom. Berger sowie weitere Reichswehr- und Sipo-

Offiziere und -Beamte. […]

Reichsminister Koch: Ich bin Gegner der Reise Maerckers

von Dresden nach Berlin gewesen. Kapp hat diese Tatsache

benutzt, um in einer Proklamation vorzuspiegeln, dass

Maercker Unterhändler der Reichsregierung sei und dass

die Reichsregierung sich mit ihm einigen wolle. Die

Reichsregierung könne sich gegenüber den Putschisten von

rechts nicht anders verhalten als den Kommunisten

gegenüber. Gerade eine Einigung mit Kapp würde den

Bürgerkrieg gegen Unabhängige und Kommunisten

bedeuten.

13

Reichskanzler

Gustav Bauer

(bis 26.03.1920)

Reichskanzler

Herrmann Müller

(ab 27.03.1920)

Wir sind auf jeden Fall im Stande, die Kappregierung

zu unterdrücken, wollen aber Gewaltmittel, die uns bis

jetzt angeboten sind, vorläufig noch nicht benutzen. Die

Verantwortung für alle Folgen tragen die Putschisten.

[…]

Reichsminister Bell wies auf die Abneigung der Bevölke-

rung der besetzten Gebiete gegen die jetzigen Berliner

Machthaber – die Kriegshetzer von ehemals – hin.

Präsident Fehrenbach: Eine Verhandlung der Reichs-

regierung mit Kapp und einem meineidigen General ist

unmöglich, da verlören wir erst recht die Reichswehr.

Er wies auch darauf hin, dass eine Einigung auch schon aus

politischen Gründen unmöglich sei. Die Reichsregierung

muß stark bleiben, sollte auch Blut fließen. Süd- und

Westdeutschland hält fest gegen ostelbische Machthaber

zusammen. General Maercker warf ein, dass Truppe nicht

gegen Truppe kämpfe. Die Reichsregierung brauche ja nicht

zu verhandeln, sie könne ja annehmbare Forderungen nach

Berlin stellen.

Reichskanzler Bauer möchte am liebsten auch ohne

Blutvergießen durchkommen. Wir würden die Bedingungen

stellen. Wesentlich ist unter anderem Abtransport der

Marinebrigade und ihre Demobilisation. Unterstellung

unter andere Offiziere.

Wenn Bürgerkrieg ausbrechen sollte, dann trifft der Fluch

Kapp und seine Leute. Wir können und wollen, wenn nötig,

Gewalt gebrauchen.

Präsident Ebert: Ich kann mit Kapp nicht verhandeln. Die

Vorschläge des Generals Maercker halte ich für ehrlich

gemeint. Wenn wir verhandeln, droht uns die Gefahr des

Bolschewismus und der Absplitterung von Süd- und

Westdeutschland. Wir müssen, wenn unbedingt nötig,

kämpfen, erst mit wirtschaftlichen Mitteln, dann mit

Waffen. Meine persönliche Meinung ist übrigens, daß die

Wahl zum Reichstag möglichst früh stattfinden müsse.

Aber diese Äußerung ist unabhängig von den jetzigen

Verhandlungen. Auf Anregung von Minister Heine erhält

General Maercker nochmals das Wort6. Er teilt mit, über

welche Bedingungen in Berlin verhandelt sei:

Reichsminister Müller wies noch darauf hin, daß die

Falschmeldung der Kapp-Regierung, daß Verhandlungen

mit der verfassungsmäßigen Reichsregierung schwebten,

14

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1

Dokumente Nr. 198,

Verhandlungen des Reichs-

kabinetts mit den Berliner

Abgesandten, insbesondere dem General Maercker vom

16. März 1920]

in Paris einen sehr schlechten Eindruck gemacht habe8.

Truppen würden in Straßburg gesammelt. Der Württem-

bergische Minister des Innern Heymann erklärte, dass

Württemberg fest hinter der jetzigen Regierung stände,

unter der Voraussetzung, dass sie nicht mit Kapp ver-

handele.

Die Nachricht über die vermeintlichen Ausgleichsverhand-

lungen hatte UStS Haniel am 15. 3. an alle dt.

Auslandsvertretungen telegrafiert. Am 16. 3. antwortet der

Gesandte Dr. Mayer, daß die „falsche Nachricht“ über den

Kompromiß in Paris eine starke Wirkung ausgelöst habe.

„Man betrachtet Kompromiß als Sieg der Rechten, die alles

erreicht habe.“ In der Presse werde die alte Reg. als

kompromittiert und „die Sache als abgekartetes Spiel

hingestellt“. Er habe dem Quai d’Orsay vom Stuttgarter

Dementi sofort Mitteilung machen lassen. […]

Auch der Vertreter Badens erklärte, dass die Aufnahme von

Verhandlungen Bürgerkrieg zur Folge habe. Dann könne

sich auch die jetzige badische Landesregierung nicht

halten.

Reichsminister Noske gab darauf die durch General

Maercker an die Regierung Kapp telephonisch zu

übermittelnden Kapitulationsbedingungen bekannt.

17. März 1920

Die Verhandlungen des Reichsjustizministers Schiffer zur

Beendigung des Kapp-Lüttwitz-Putsches.

Kabinettssitzung. Von Berlin nichts Neues. Aus München

böse Nachrichten. Die neue Beamtenregierung benimmt

sich so dumm wie alle Beamtenregierungen. Sie verbietet

den Streik und will die Streikführer verhaften. Sie verhängt

in Nürnberg, das ruhig ist, den Belagerungszustand. Sie hält

ihre Reden nur gegen Links. Ich will mich äußern, da

kommt mein Telefongespräch mit Schiffer. Das ist nun

unerhört und wirkliche Felonie. Der Reichskanzler sagt: Die

können nichts machen. Wir lehnen die Sache ab und es

bleibt bedeutungslos. Aber es schwächt uns doch, scheint

mir. […]

Der Reichskanzler kommt wieder: „Ich bin überrascht, ich

habe ganz anderen Bericht. Schiffer spricht mit Hülsen. Die

Lage ist bedrohlich. Die einzige Differenz sei Rückziehung

15

Verantwortlicher

des Putsches

Wolfgang Kapp

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1

Dokumente Nr. 201,

Aufzeichnung über die Kabinettssitzung...

Die Verhandlungen des

Reichsjustizministers Schiffer

zur Beendigung des Kapp-

Lüttwitz-Putsches

vom 17. März 1920]

der Truppen. Die Verhandlungen mit Kapp dagegen sind

gescheitert. Denn Hirsch sagt, dass die Berliner Funktionäre

ganz auf meinem Standpunkt stehen. Schiffer habe ich

gesagt, daß ein Vergleich ganz unmöglich ist.“

Geßler: Preger hat mit mir gesprochen: Schiffer ist nicht für

Verhandlungen, sondern für Rücktritt. Die alte Regierung

muß nach Rückkehr folgende 4 Maßnahmen treffen:

Amnestie an das Militär, Reichstagswahlen innerhalb von

60 Tagen, Wahl des Reichspräsidenten durch das Volk,

Umbildung der Regierung.

Koch: Ich bleibe bei meinem Bericht, Schiffer verhandelt

nicht mit Kapp, sondern beschließt vorher mit seinem

Gremium, was geschehen soll. Nachher erfolgt dann

der Rücktritt. Schiffer hat mir übrigens gesagt – ich habe

das zu sagen vergessen –, dass er seine Person zum Opfer

zu bringen bereit sei für das, was er beschließen lasse. Man

wird uns nachher vorwerfen, dass wir ein doppeltes Spiel

treiben, wenn wir nicht erfüllen, was der Vizekanzler

beschließen lässt.

Reichskanzler: Ich bin doch dafür, dass wir Kapp verständi-

gen, dass niemand in Berlin Recht hat, zu verhandeln oder

zu beschließen.

Reichspräsident: Entschieden dagegen. Wir können ohne

Kenntnis der Dinge Schiffer nicht desavouieren. Wir wollen

Alberts Ankunft abwarten.

Alles ist einig, dass Erfolg verpfuscht, wenn tatsächlich

solche Beschlüsse gefasst werden, aber Ebert siegt mit der

Auffassung, dass die Sachlage unklar ist und zunächst

nichts geschehen darf, ehe Albert da ist. […]

18. März 1920

Verhandlungen mit den Gewerkschaften - Bedingungen

der Gewerkschaften für den Abbruch des Generalstreiks.

Anwesend: Mitglieder der preußischen Regierung,

Reichsregierung, Gewerkschaftsbund, Vertreter der

Mehrheitsparteien, Freie Angestelltenverbände,

Gewerkschaftsbund Deutscher Beamtenvereine im

Staatsministerium.

16

17

Legien: Sprecher für die Arbeitsgemeinschaft der Freien

Angestelltenverbände und des Deutschen Beamtenbundes

und der Gewerkschaften. Gestern Forderung, den

Generalstreik zu verschärfen, weil Kapp-Regierung noch

Verbindungen habe. Selbstverständlich bereit dazu, wenn

es notwendig wird. Diese Notwendigkeit war nicht

gegeben. Dennoch gestern Abend beschlossen, dass

Generalstreik fortgesetzt werden soll, weil die Beseitigung

der […]

1. Regierung Kapp-Lüttwitz keine Bedeutung hat, sondern

weil vor allen Dingen die Besetzung Berlins durch

meuternde Truppen erledigt sein muss. Vorher wird der

Generalstreik nicht abgeblasen.

2. Noske darf nicht mehr als Wehrminister zurückkehren.

Noske hat uns in den Mehrheitsparteien und in der sozial-

demokratischen Fraktion ständig erklärt, dass die Reichs-

wehr zur Regierung stehe. Er hätte müssen den Einbruch

abwehren mit seiner Person. Weil er es nicht getan hat,

deswegen Rücktritt.

3. Entscheidender Einfluss auf Neuordnung der Dinge. Auf

dem Boden der Verfassung bleiben, aber wir sagen so: Die

Reichsregierung hat Berlin verlassen, Reichsregierung hat

die Arbeitnehmerschaft aufgefordert, auch Angestellte und

Beamte, in den Generalstreik einzutreten. Dieser Aufforde-

rung sind wir gefolgt. Alle Arbeitnehmerkreise sind für den

Generalstreik gewonnen worden.

4. Einzelne sozialpolitische Forderungen.

Heine: Nationalversammlung ist versammelt. Hier keine

Beschlüsse möglich. Nationalversammlung soll nach Berlin.

Das dauert Tage. Wenn Generalstreik so durchgeführt wird,

kann Regierung keine Kundgebung machen, während Kapp

noch die Möglichkeit hat. Gebührender(m) Einfluss der drei

Verbände bleibt jede Möglichkeit, wenn Reichsregierung

und Reichsparlament in Berlin sind.

Aufhäuser: Wir haben auch Interesse an Sicherheit gegen

Verbrecher und Plünderer. Das wird aber möglich sein

ohne die Truppenteile, die wir bezeichnet haben. Legien

wird noch über die Sicherung Groß-Berlins sprechen. Bei

der Aufrechterhaltung der Sicherheit soll die Arbeiterschaft

herangezogen werden.

18

Carl Legien

Vorsitzender des

Allgemeinen Deutschen

Gewerkschaftsbundes

(ADGB)

Siegfried Aufhäuser

Vorsitzender des

Allgemeinen freien

Angestellten-Bundes

(AfA)

Nicht nur nach rein militärischen Gesichtspunkten, sondern

innere Beruhigung der Berliner Arbeiterschaft mitverant-

wortlich für die Sicherheit.

Frage Noske: Zum mindesten muss unterbleiben, was

neuen Zündstoff in die Arbeiterschaft wirft. Abschaffung

eines bestimmten Systems. Wir suchen einen Weg, um

eine dauernde Sicherung von Berlin zu schaffen.

[…] Entscheidender Einfluss der organisierten Arbeiter-

schaft. Warum so wenig Verständnis? Vor wenigen Tagen

hat (wurde?) die Berliner Arbeitnehmerschaft von der alten

Regierung aufgefordert, von dem äußersten Kampfmittel

Gebrauch zu machen. Die alte Regierung rief die Geister!

Jetzt kann man sie nicht mehr wieder ausschalten. In den

Organisationen besteht ein gewisser Mangel an Vertrauen,

ob es der Regierung allein gelingen würde, die nötigen

Reformen durchzuführen. Diese Garantien sehen wir in

dem entscheidenden Einfluss der Arbeitnehmerforde-

rungen. Keine Ausschaltung der Demokratie und der

Verfassung. Wie das geschehen kann, darüber kann

gesprochen werden.

Vorschlagsrecht allein genügt nicht; ein gewisses Ein-

spruchsrecht mit der Möglichkeit, dass die Beschlußfassung

den parlamentarischen Stellen verbleibt. Es handelt sich

auch um die Neuordnung des Systems, und darüber ist sich

die Arbeitnehmerschaft einig. Die Nationalversammlung

hat in dieser Krise versagt und musste versagen. Die

Arbeiterschaft allein war die entscheidende Stelle, die

uns wieder aus der Misere gebracht hat. Wir führen den

Generalstreik nicht zugunsten der jetzigen Regierung,

sondern zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen

Zustände. Man sagt, wenn die Gewerkschaften das

verlangen, könnte auch jede andere Gruppe es verlangen.

Aber das ist nicht richtig. Alles und jedes hängt nur von der

Arbeiterschaft ab. Im Sinne der gesamten Bevölkerung

ist es gelegen, wenn man die Gewerkschaften mit diesem

erhöhten Einfluss ausgestaltet. Wir haben die Fühlung mit

der hiesigen und auswärtigen Arbeiterschaft. Der Kampf ist

keineswegs so abgebrochen, wie das hier scheinbar

teilweise angenommen wird. Es wird den Gewerkschaften

nicht leicht sein, die gesamte Arbeiterschaft zum Abbruch

zu bewegen. Wir wünschen aber, dass die Arbeiter(schaft)

mit gutem Gewissen ihr Kampfmittel aus der Hand legt.

Nicht eher, bevor sie bestimmte Sicherheiten hat. […]

19

Rausch [Gemeint ist der Vorsitzende der Berliner

Gewerkschaftskommission, Rusch]: Forderungen: Die

Minister haben erklärt, dass sie nicht

legitimiert sind, Forderungen entgegenzunehmen. Aber sie

werden diese Forderungen wohl der Regierung

unterbreiten. Gewerkschaftskommission hat beschlossen,

Streik weitergehen:

Im folgenden wird die Schreibweise stillschweigend

verbessert.

1. Völlige Neubildung des Kabinetts, nur sozialdemokra-

tische Arbeiter als Regierende. Bisher arbeiterfeindliche

Regierung. Wir betrachten eine Verfassung nicht als

nichtabänderlich. Also Abänderung der Verfassung.

2. Sofortige Zurückziehung aller meuternden Truppen und

Auflösung und Entwaffnung. Arbeiter müssen in die

Truppenteile mit hinein. Dann Entwaffnung und

Beseitigung der Meuterer.

3. Das bisher militaristische Regime hat dem Kapital als

Schutzgarde gedient, gegen Streikende. Deshalb Auflösung

der gesamten Söldnerscharen, auch der Einwohnerwehren.

4. Auflösung der Technischen Nothilfe. Dafür Arbeiterwehr

zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit.

5. Entscheidende Mitwirkung bei der Neuordnung.

6. Sofortige Aufhebung des Ausnahmezustandes.

Ehe diese Forderungen nicht erfüllt sind, haben wir nicht

die Absicht, mit Ihnen (ihnen?) weiterzuverhandeln oder

Streik abzublasen. […]

Über Antrag Schulz keine Entscheidung. Legien hat eine

Reihe von Forderungen überreicht. Legiens Vorschläge

werden durchgeschlagen [sic]. Legien weiter vorge-

schlagen, dass heute keine Entscheidung, sondern vertagt

wird bis morgen abend. Zu diesen Forderungen müssen die

Mitglieder der Regierungen und die Vertreter der Mehr-

heitsparteien Stellung nehmen. Frage, ob Mitglieder der

Regierungen und Parteien gemeinsam tagen sollen oder

getrennt? – Also gemeinsame Tagung. Um 3 Uhr. Wels

Wunsch ausgesprochen, Reichsregierung nach Berlin

zurückzukehren. Die Benachrichtigung der Regierung

geschieht durch Wels und Krüger.

20

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1 Dokumente Nr. 201,

Aufzeichnung über die

Kabinettssitzung...

Die Verhandlungen des

Reichsjustizministers

Schiffer zur Beendigung des

Kapp-Lüttwitz-Putsches vom

18. März 1920]

Der Streik der Eisenbahner dauert fort, bis die Forderungen

bewilligt worden sind. Hirsch: Vorschlag:

Gesamtsitzung um 7 Uhr. Auch im Staatsministerium. Die

Aussprache wird gegen 22 Uhr vertagt […]in einer Nacht-

sitzung vom 19./20. 3. zwischen Vertretern der RReg.

(RWiM Schmidt, RArbM Schlicke), der PrReg., der

Koalitionsparteien im Reich und in Preußen sowie Funktio-

nären des ADGB unter Führung Legiens, der Afa des DBB

und der Berliner Gewerkschaftskommission am 20. 3.

um 5 Uhr morgens zum Abschluss. Als Ergebnis wird

wiederum eine neun Punkte umfassende Vereinbarung

ausgehandelt, die zwar auf dem Neun-Punkte-Programm

der Freien Gewerkschaften vom 18. 3. basiert, jedoch

stellenweise hinter den dort gesteckten Zielen zurückbleibt.

[…] Die Freien Gewerkschaften erklären daraufhin am 20. 3.

um 7.05 Uhr den Generalstreik für beendet.

Legien: Wenn USPD mitmachen will, bestehen dagegen

Bedenken? Hirsch hat keine Bedenken. Aber keine neuen

Forderungen! Das bestätigt Legien. Ein Eisenbahner will

Vertreter der Eisenbahner dabei haben. Das wird

abgelehnt.

22. März 1920

Tagebuchaufzeichnung des Reichsinnenminister

[Innenpolitische Lage; Abbruch des Generalstreiks.]

[…] Die Gewerkschaften stellen weitgehende Forderungen,

die man nach Bauer erfüllen muss, um die Mehrheitssozia-

listen von den übrigen Gewerkschaftlern abzusprengen, da

man der einheitlichen Front nicht gewachsen sei.

Die Bedingungen sind:

1. Aufhebung des verschärften Belagerungszustandes,

2. Eintritt von Arbeitern in die Sicherheitswehr,

3. Zurückziehung der Truppen aus Berlin. Diese drei

Forderungen trägt Bauer als zunächst zu erfüllen vor.

4. Bildung einer reinen Arbeiterregierung.

[…]

Wenn wir [Reichsregierung] Punkt 1, 2, 4 bewilligen, so

können auch die Mehrheitssozialisten uns nicht gegen

Punkt 3 helfen. Dann wird die Arbeiterregierung entweder

mit oder gegen sie gemacht. Diese Regierung aber ist

die Räterepublik, denn [sic] meine Freunde und ich sind

nicht bereit, einer solchen Regierung auch nur einen Tag

unser Vertrauen zu gewähren. Sie verwechseln Berlin mit

Deutschland. […]

21

Anmerkung zu „strengsten Bestrafung“: 775 Offiziere, waren am Kapp-Putsch beteiligt, davon: 486 Verfahrenseinstellungen, 91 Beurlaubungen, 57 Versetzungen, 48 Dienstenthebungen,

13 disziplinare Erledigungen, 74 mal noch 1923 keine Entscheidung, sechs Verabschiedungen;

die Gesamtstrafe: fünf Jahre Gefängnis.

22

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1

Dokumente Nr. 209,

Innenpolitische Lage;

Abbruch des Generalstreiks

vom 22. März 1920]

Abkürzungen:

Ebert: Kein Anlass zur Verzweiflung. Es fehlt klare, feste

Haltung der Regierung. Taktik der Radikalen geht immer

auf Zermürbung unserer Position. Wir dürfen uns von

Verfassung und Demokratie nicht ablenken lassen. Es ist

die Gefahr, dass man abwärts gleitet wie in München.

Militärisch darf man nicht nachlassen. Aber schnelle

Säuberung des Heeres und Hochverratsverfahren. Das

muss

alsbald in die Bevölkerung durch Zeitungen. Streik ist erst

zu Ende, wenn Kraftwerke, die in Händen wirklicher

Kommunisten sind, wieder in Gang gebracht werden. Alles

andere hilft nichts. […]

Auf der Grundlage der vorstehenden Kabinettsentschei-

dungen beraten die Führungsgremien des ADGB, der Afa,

der Berliner Gewerkschaftskommission, der USPD und der

SPD bis gegen 24 Uhr. Sie einigen sich schließlich, den

Streikenden die Beendigung des Generalstreiks vom 23.ab

zu empfehlen, da die RReg. neben der „Anerkennung“ der

Vereinbarungen vom 20. 3. die „bindende Erklärung“

abgegeben habe, „1. daß die Truppen in Berlin bis auf die

Spreelinie zurückgezogen werden, 2. [daß] der verschärfte

Belagerungszustand aufgehoben wird, 3. daß die bewaffne-

ten Arbeiter, insbesondere im Ruhrrevier, nicht angegriffen

werden sollen, 4. [daß] mit den gewerkschaftlichen

Verbänden über die Einreihung der Arbeiter in die Sicher-

heitswehren in Preußen verhandelt werden soll“.

ChdAdm Chef der Admiralität

GenMaj Generalmajor

KKpt Korvettenkapitän

Kpt Kapitän

Oberstlt Oberstleutnant

PrIM Preußischer Innenminister

RJM Reichsjustizminister

RKab Reichskabinett

RPräs Reichspräsident

RReg Reichsregierung

RWeM(in) Reichswehrministerium

RKab Reichskabinett

StKom Standortkommandant

UStS Unterstaatssekretär

VAdm Vizeadmiral