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| Monatsschrift Kinderheilkunde 10·98 Originalien 972 U. Heininger · Klinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche,Friedrich-Alexander-Universität Erlangen · M. Richter · Niedergelassener Kinderarzt, Lohfelden Rezidivierende hypoton- hyporesponsive Episoden nach DTa P-Hib-Impfung Kasuistik und Literaturübersicht nen bei ähnlicher Wirksamkeit im Ver- gleich zu Ganzkeimvakzinen belegt [15, 19, 22]. Dennoch muß auch nach Imp- fung mit azellulären Pertussiskombina- tionsimpfstoffen gelegentlich mit dem Auftreten einer hypoton-hyporesponsi- ven Episode gerechnet werden, wie die nachfolgende Kasuistik eindrucksvoll verdeutlicht. Sie stellt gleichzeitig die bislang erste Beobachtung des Wieder- auftretens dieser unerwünschten Be- gleitreaktion bei erneuter Impfung dar. Fallbericht Die Vorgeschichte des männlichen Säuglings war unauffällig. Bei normaler statomotorischer und neurologischer Entwicklung erfolgten im Alter von knapp 4 Monaten die ersten Immuni- sierungen mit einem DTPa-Hib-Kom- binationsimpfstoff, einer Hepatitis-B- Vakzine sowie einem oralen Poliomye- litisimpfstoff, welche nebenwirkungs- frei vertragen wurden. Etwa 4 Wochen später fanden bei dem gesunden Kind gegen 12.00 Uhr mittags die 2. Impfung gegen Hepatitis B sowie die erneute Ga- be der DTPa-Hib-Vakzine statt. Unmit- telbar postvakzinal ergaben sich keine Auffälligkeiten. Nach dem Mittags- schlaf präsentierte sich der Säugling plötzlich mit „glasigen Augen“,war apa- thisch und reagierte nicht auf Stimula- tionen. Der Zustand hielt für etwa 15 min an, ehe das Kind der Mutter wieder völlig normal erschien. Fieber trat nicht Hypoton-hyporesponsive Episoden sind eine seltene Begleiterscheinung bei Säuglingen nach Diphtherie-Teta- nus- (DT-) und insbesondere Diphthe- rie-Tetanus-Pertussis-Impfung (DPT- Impfung) [6]. Sie manifestieren sich meist in den ersten Stunden nach der Impfung. Die betroffenen Säuglinge be- finden sich in einem schockartigen Zustand mit Blässe der Haut und redu- ziertem Muskeltonus („hypoton“) und wirken apathisch („hyporesponsiv“). Häufig besteht gleichzeitig Fieber. Gele- gentlich wird eine begleitende Zyanose beobachtet, meist sind aber die Vital- funktionen wie Atmung und Kreislauf unbeeinträchtigt. Hypoglykämien wer- den nicht beobachtet. Nach wenigen Minuten, ausnahmsweise erst nach mehreren Stunden, ist die Episode plötzlich beendet, und die Impflinge sind wieder völlig unbeeinträchtigt [4]. Die dem Ereignis zugrundeliegenden pathophysiologischen Vorgänge sind bis heute ungeklärt. Sorgfältige Nach- untersuchungen belegen, daß in kei- nem Fall mit Spätschäden zu rechnen ist [1, 18]. Eine hypoton-hyporesponsive Episode stellt dennoch aus Gründen der Vorsicht eine Kontraindikation für eine erneute Impfung mit der gleichen Vakzine dar. Seit 1994 wurden in Deutschland und anderen Ländern die bis dahin ge- bräuchlichen Pertussisganzkeimimpf- stoffe weitgehend durch azelluläre Vak- zinen abgelöst. Sie wurden in Kombina- tion mit Diphtherie- und Tetanustoxoid umfangreichen Prüfungen unterzogen. In Deutschland fanden 3 dieser Studien statt und haben die deutlich verbesserte Verträglichkeit der azellulären Vakzi- Originalien Monatsschr Kinderheilkd 1998 · 146:972–975 © Springer-Verlag 1998 Zusammenfassung Hintergrund: Hypoton-hyporesponsive Epi- soden treten als seltene Begleiterscheinung binnen weniger Stunden nach Diphtherie- Tetanus- (DT-) oder Diphtherie-Tetanus- Pertussis-Impfung (DPT-Impfungen) im Säuglingsalter auf. Sie sind durch einen schockartigen Zustand mit Blässe der Haut, reduziertem Muskeltonus und Apathie ge- kennzeichnet, der Minuten bis Stunden an- hält, ehe eine plötzliche Normalisierung mit Restitutio ad integrum eintritt. Die Ursache ist ungeklärt. Fall: Ein unauffällig entwickelter männlicher Säugling zeigte im Alter von 5 Monaten nach der 2. DTPa-Hib-Kombinationsimpfung (mit azellulärer Pertussiskomponente) eine erste hypoton-hyporesponsive Episode. Bei der 3. DTPa-Hib-Immunisierung 1 Monat später kam es erneut zu einer hypoton-hyporespo- siven Episode. Beide Episoden blieben ohne Folge, der Junge entwickelte sich weiterhin völlig normal. Diskussion: Unsere Mitteilung soll an die seltene Begleiterscheinung einer schockähn- lichen Reaktion nach DT- bzw. DPT-Impfung im Säuglingsalter erinnern. Sie wird auch bei den neuen, sehr gut verträglichen azellulä- ren Pertussisvakzinen beobachtet, wenn auch offenbar seltener als nach DPT-Imp- fung mit den herkömmlichen Ganzkeim- vakzinen. Das hier erstmals berichtete wie- derholte Auftreten einer solchen Reaktion läßt bei unserem Patienten an eine indivi- duelle Disposition denken. Schlüsselwörter Hypoton-hyporesponsive Episode · Impfung · Unerwünschtes Ereignis · Azelluläre Pertussisvakzine Priv.-Doz. Dr. U. Heininger Universitätsklinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Loschgestraße 15, D-91054 Erlangen& / f n - b l o c k : & b d y :

Rezidivierende hypoton-hyporesponsive Episoden nach DTa P-Hib-Impfung Kasuistik und Literaturübersicht

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| Monatsschrift Kinderheilkunde 10·98

Originalien

972

U. Heininger · Klinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Friedrich-Alexander-Universität

Erlangen · M. Richter · Niedergelassener Kinderarzt, Lohfelden

Rezidivierende hypoton-hyporesponsive Episodennach DTa P-Hib-ImpfungKasuistik und Literaturübersicht

nen bei ähnlicher Wirksamkeit im Ver-gleich zu Ganzkeimvakzinen belegt [15,19, 22]. Dennoch muß auch nach Imp-fung mit azellulären Pertussiskombina-tionsimpfstoffen gelegentlich mit demAuftreten einer hypoton-hyporesponsi-ven Episode gerechnet werden, wie dienachfolgende Kasuistik eindrucksvollverdeutlicht. Sie stellt gleichzeitig diebislang erste Beobachtung des Wieder-auftretens dieser unerwünschten Be-gleitreaktion bei erneuter Impfung dar.

Fallbericht

Die Vorgeschichte des männlichenSäuglings war unauffällig. Bei normalerstatomotorischer und neurologischerEntwicklung erfolgten im Alter vonknapp 4 Monaten die ersten Immuni-sierungen mit einem DTPa-Hib-Kom-binationsimpfstoff, einer Hepatitis-B-Vakzine sowie einem oralen Poliomye-litisimpfstoff, welche nebenwirkungs-frei vertragen wurden. Etwa 4 Wochenspäter fanden bei dem gesunden Kindgegen 12.00 Uhr mittags die 2. Impfunggegen Hepatitis B sowie die erneute Ga-be der DTPa-Hib-Vakzine statt. Unmit-telbar postvakzinal ergaben sich keineAuffälligkeiten. Nach dem Mittags-schlaf präsentierte sich der Säuglingplötzlich mit „glasigen Augen“, war apa-thisch und reagierte nicht auf Stimula-tionen. Der Zustand hielt für etwa 15min an, ehe das Kind der Mutter wiedervöllig normal erschien. Fieber trat nicht

Hypoton-hyporesponsive Episodensind eine seltene Begleiterscheinungbei Säuglingen nach Diphtherie-Teta-nus- (DT-) und insbesondere Diphthe-rie-Tetanus-Pertussis-Impfung (DPT-Impfung) [6]. Sie manifestieren sichmeist in den ersten Stunden nach derImpfung. Die betroffenen Säuglinge be-finden sich in einem schockartigenZustand mit Blässe der Haut und redu-ziertem Muskeltonus („hypoton“) undwirken apathisch („hyporesponsiv“).Häufig besteht gleichzeitig Fieber. Gele-gentlich wird eine begleitende Zyanosebeobachtet, meist sind aber die Vital-funktionen wie Atmung und Kreislaufunbeeinträchtigt. Hypoglykämien wer-den nicht beobachtet. Nach wenigenMinuten, ausnahmsweise erst nachmehreren Stunden, ist die Episodeplötzlich beendet, und die Impflingesind wieder völlig unbeeinträchtigt [4].Die dem Ereignis zugrundeliegendenpathophysiologischen Vorgänge sindbis heute ungeklärt. Sorgfältige Nach-untersuchungen belegen, daß in kei-nem Fall mit Spätschäden zu rechnenist [1, 18]. Eine hypoton-hyporesponsiveEpisode stellt dennoch aus Gründender Vorsicht eine Kontraindikation füreine erneute Impfung mit der gleichenVakzine dar.

Seit 1994 wurden in Deutschlandund anderen Ländern die bis dahin ge-bräuchlichen Pertussisganzkeimimpf-stoffe weitgehend durch azelluläre Vak-zinen abgelöst. Sie wurden in Kombina-tion mit Diphtherie- und Tetanustoxoidumfangreichen Prüfungen unterzogen.In Deutschland fanden 3 dieser Studienstatt und haben die deutlich verbesserteVerträglichkeit der azellulären Vakzi-

OriginalienMonatsschr Kinderheilkd1998 · 146:972–975 © Springer-Verlag 1998

Zusammenfassung

Hintergrund: Hypoton-hyporesponsive Epi-

soden treten als seltene Begleiterscheinung

binnen weniger Stunden nach Diphtherie-

Tetanus- (DT-) oder Diphtherie-Tetanus-

Pertussis-Impfung (DPT-Impfungen) im

Säuglingsalter auf. Sie sind durch einen

schockartigen Zustand mit Blässe der Haut,

reduziertem Muskeltonus und Apathie ge-

kennzeichnet, der Minuten bis Stunden an-

hält, ehe eine plötzliche Normalisierung mit

Restitutio ad integrum eintritt. Die Ursache

ist ungeklärt.

Fall: Ein unauffällig entwickelter männlicher

Säugling zeigte im Alter von 5 Monaten nach

der 2. DTPa-Hib-Kombinationsimpfung (mit

azellulärer Pertussiskomponente) eine erste

hypoton-hyporesponsive Episode. Bei der

3. DTPa-Hib-Immunisierung 1 Monat später

kam es erneut zu einer hypoton-hyporespo-

siven Episode. Beide Episoden blieben ohne

Folge, der Junge entwickelte sich weiterhin

völlig normal.

Diskussion: Unsere Mitteilung soll an die

seltene Begleiterscheinung einer schockähn-

lichen Reaktion nach DT- bzw. DPT-Impfung

im Säuglingsalter erinnern. Sie wird auch bei

den neuen, sehr gut verträglichen azellulä-

ren Pertussisvakzinen beobachtet, wenn

auch offenbar seltener als nach DPT-Imp-

fung mit den herkömmlichen Ganzkeim-

vakzinen. Das hier erstmals berichtete wie-

derholte Auftreten einer solchen Reaktion

läßt bei unserem Patienten an eine indivi-

duelle Disposition denken.

Schlüsselwörter

Hypoton-hyporesponsive Episode · Impfung ·

Unerwünschtes Ereignis ·

Azelluläre Pertussisvakzine

Priv.-Doz. Dr. U. HeiningerUniversitätsklinik mit Poliklinik für Kinder und

Jugendliche, Loschgestraße 15,

D-91054 Erlangen&/fn-block:&bdy:

Monatsschrift Kinderheilkunde 10·98 | 973

U. Heininger · M. Richter

Recurrent hypotonic-hyporesponsiveepisodes after immunization with adiphtheria-tetanus-acellular pertussis-Hib component vaccine

Summary

Background: Hypotonic-hyporesponsive

episodes are rare side effects which may

occur in infants within a few hours after

immunization with diphtheria-tetanus-

toxoid (DT) or diphtheria-tetanus-pertussis

(DTP) vaccine.The patients appear in a

shock-like condition, become pale, limp and

unresponsive.This condition lasts for minu-

tes to hours before the infants appear nor-

mal again. No sequelae have been reported.

The etiology of this phenomenon is

unknown.

Case: A healthy 5 month old boy expe-

rienced a first hypotonic-hyporesponsive

episode 3 hours after having received his

second DTP(acellular)-Hib combined im-

munization along with a second dose of

hepatitis B vaccine. One month later he

received a third dose of the same DTPa-Hib

vaccine and oral Polio and again a hypo-

tonic-hyporesponsive episode occurred.The

boy’s further development was normal, no

sequelae have been observed.

Discussion: The purpose of our report is to

remind physicians of the rare possibility of a

shock-like reaction after DT- or DTP immun-

ization in infancy, which has also been ob-

served in association with the use of the new

acellular pertussis component vaccines – alt-

hough less frequently than after conventio-

nal whole cell pertussis component vaccines.

Furthermore, this is to our best knowledge

the first report of a recurrent hypotonic-

hyporesponsive episode and it suggests a

predisposition for this reaction in our pa-

tient.

Key words

Hypotonic-hyporesponsive episode ·

Immunization · Adverse event · Acellular

pertussis vaccine

Diskussion

Die Erstbeschreibung hypoton-hypore-sponsiver Episoden geht auf Hopperzurück [13]. Seitdem sind diese Erschei-nungen wiederholt publiziert worden,immer im engen zeitlichen Zusammen-hang mit DT- oder DPT-Immunisie-rungen [14]. In größeren Untersuchun-gen zeigte sich, daß mit dem Auftretenvon hypoton-hyporesponsiven Episo-den nach DPT-Ganzkeimimpfung in ei-ner Häufigkeit von 1:1000–1:30000 zurechnen ist (Tabelle 1). Aber auch nachDT-Impfungen sind diese Episoden be-obachtet worden. Sie wurden von Pol-lock et al. mit einer Häufigkeit von1:2500 nach DT-Impfungen sogar gleichhäufig wie nach DPT-Impfungen beob-achtet [18]. In einer italienischen Feld-studie traten kürzlich 2 hypoton-hypo-responsive Episoden bei 4540 DT-Im-munisierungen auf. Wir selbst sahendieses Ereignis nach keiner von 4977DT-Impfungen [22].

Vermeintliche bleibende Schädennach Pertussisimpfung, die heute zwei-felsfrei widerlegt sind [6], aber auchvorübergehende, unangenehme Be-gleiterscheinungen wie Lokalreaktio-nen und Fieber führten zur Entwick-lung der azellulären Pertussisvakzinen.Deren ausgezeichnete Verträglichkeitund gute Wirksamkeit in der Verhütungvon symptomatischen Bordetella-per-tussis-Infektionen wurde kürzlich in ei-ner Reihe von Untersuchungen belegt

auf. Der Kinderarzt wurde über diesesEreignis nicht informiert. Einen Monatspäter erhielt der mittlerweile 6 Monatealte und weiterhin regelrecht entwickel-te Junge die 3. DTPa-Hib- und 2. Polio-myelitisimpfung. Auf der 15minütigenHeimfahrt von der Praxis schlief dasKind im PKW ein. Bei Ankunft zu Hau-se war der Junge hypoton, zeigte auchauf Stimulationen wie Kneifen keineReaktion und war nicht erweckbar. DieEltern kehrten sofort in die Kinderarzt-praxis zurück, wo sie etwa 20 min spä-ter eintrafen. Der Patient war auffälligblaß und weiterhin apathisch, die Kör-pertemperatur betrug 36,4° C. Die Pu-pillen waren normal weit und reagier-ten auf Licht, die Konjunktiven warengerötet. Die Herzfrequenz war rhyth-misch und schwankte zwischen 64 und88 Schlägen/min. Wenige Minuten spä-ter war das Kind wieder völlig unbeein-trächtigt, reagierte normal und lachte.Der weitere postvakzinale Verlauf warunauffällig.

Bei der 5 Wochen später stattgefun-denen Vorsorgeuntersuchung U 5 zeigtesich ein gesunder, altersentsprechendentwickelter Säugling. Eine aufgrundder Ereignisse veranlaßte EEG-Unter-suchung ergab ebenfalls einen norma-len Befund. Der Junge ist heute 8 Mona-te alt und gesund.

Monatsschr Kinderheilkd1998 · 146:972–975 © Springer-Verlag 1998

Tabelle 1

Häufigkeitsangaben hypoton-hyporesponsiver Episoden nach DPT-Impfungenmit Pertussisganzkeimkomponente (DPT) bzw. azellularer Pertussiskomponente(DTaP)

Autor(en) Jahr Land/Region Vakzine

DPT DTaP

Hannik u. Cohen [12] 1979 Niederlande 1:2700 a

Cody et al. [7] 1981 Los Angeles County 1:1750 a

Pollock et al. [18] 1984 England 1:2500 a

Feery et al. [8] 1985 Australien 1:1000 a

Baraff et al. [2] 1989 Los Angeles County 1:1750 a

Siddiqui et al. [20] 1989 Maryland, USA 1:30000 a

Greco et al. [9] 1996 Italien 1:1500 1:27500Gustafsson et al. [10] 1996 Schweden 1:1200 1:15400Schmitt et al. [19] 1996 Deutschland a 1:67000Liese et al. [15] 1997 Deutschland a 1:20800Stehr et al. [22] 1998 Deutschland 1:16800 (0:16600)

a nicht untersucht

[9, 10, 15, 19, 21–23]. Diese kontrolliertenStudien gaben aufgrund ihres außeror-dentlichen Umfangs auch die Gelegen-heit, seltene Impfreaktionen wie bei-spielsweise hypoton-hyporesponsiveEpisoden zu erfassen. Die Angaben inTabelle 1 veranschaulichen die auch imHinblick auf seltene Ereignisse verbes-serte Verträglichkeit der azellulärenVakzinen. In den beiden nicht in Tabel-le 1 aufgeführten Studien aus Göteburg[23] und dem Senegal [21] traten keinehypoton-hyporesponsiven Episoden auf.Werden die Beobachtungen aller 8 ver-gleichenden Feldstudien der 90er Jahrein einer Metaanalyse zusammen ge-führt, ergeben sich die in Tabelle 2 dar-gestellten Verhältnisse. Es ist offensicht-lich, daß hypoton-hyporesponsive Epi-soden nach Impfungen mit azellulärenPertussiskomponenten um eine Zeh-nerpotenz seltener vorkommen als nachGabe von Ganzkeimpertussisimpfun-gen und keinesfalls häufiger als nachDT-Impfungen ohne Pertussiskompo-nenten.

Die pathophysiologischen Ursa-chen der hypoton-hyporesponsivenEpisoden sind bislang ungeklärt. Zere-brale (atonische) Krampfanfälle lassensich anamnestisch, durch EEG-Ablei-tungen sowie den späteren Verlauf klarabgrenzen.

Ausgehend von der Beobachtungim Tierversuch, daß die Applikationvon Pertussistoxin bei Mäusen eine Hy-perinsulinämie und Hypoglykämie ver-ursacht [17], sind durch die Impfungverursachte Störungen des Glukose-stoffwechsels als Auslöser der Episodenangeschuldigt worden. Daß dies keinebefriedigende Erklärung sein konnte,ergibt sich allein schon aufgrund derBeobachtung von hypoton-hypore-sponsiven Episoden nach alleiniger DT-Impfung, also ohne Pertussisantigene.Tatsächlich konnte gezeigt werden, daßbei Säuglingen wenige Stunden nachDPT-Impfung eine leichte Erhöhungdes Plasmainsulinspiegels meßbar war,ohne daß es jedoch zu einer Hypoglyk-ämie kam [11, 16]. In einer kontrollier-ten Untersuchung zeigten Blumberg etal., daß erhöhte Plasmainsulinspiegelnicht nur bei einigen DPT-Impflingenmit hypoton-hyporesponsiven Episo-den, sondern in ähnlicher Weise auch ineiner Kontrollgruppe (Kinder mit Fie-berkrampf) vorlagen [3]. Kein Kind er-litt jedoch eine Hypoglykämie. Auch

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sches Begleitsymptom geschildert wur-de [4, 7]. Bislang einmalig in der Litera-tur ist unsere Beobachtung, daß beidemselben Patienten eine hypoton-hy-poresponsive Episode wiederholt aus-gelöst wurde. Pollock et al. impften 8von 13 Kindern, bei denen nach DPT ei-ne hypoton-hyporesponsive Episodeaufgetreten war, später erneut mit DPT(n=3) bzw. DT (n=5), ohne daß sich dasEreignis wiederholte [18]. Auch Cherry(persönliche Mitteilung) berichtete vonversehentlich erneut DPT-geimpftenKindern, ohne daß sich das zuvor beob-achtete Ereignis wiederholt hätte.

Wir können zwar nicht mit Sicher-heit ausschließen, daß die zeitgleichdurchgeführten anderen Impfungen (1.Episode: Hepatitis B, 2. Episode: Polio-myelitis oral) bei unserem Patientenjeweils das Ereignis auslösten, haltendies aber für unwahrscheinlich undführen es eher auf die beide Male appli-zierte DTaP-Hib-Kombinationsvakzinezurück.Wir planen deshalb, bei den an-stehenden Immunisierungen im 2. Le-bensjahr zunächst auf die Pertussis-komponente zu verzichten und dieseggf. zu einem späteren Zeitpunkt nach-zuholen. Auf die Möglichkeit, daß sichdennoch eine hypoton-hyporesponsiveEpisode erneut entwickeln könnte, wer-den wir die Eltern hinweisen müssen.

Der sich gegenwärtig abzeichnen-de Trend hin zu Kombinationsimpfstof-fen mit 5 und mehr antigenen Kompo-nenten wird zukünftig die Zuordnungvon unerwüschten Begleitreaktionenerschweren und resultiert möglicher-

weitere metabolische Untersuchungen(Elektrolyte, Nieren-, Nebennieren- undLeberstoffwechsel einschließlich derTriglyzerid- und Cholesterinspiegel) er-gaben bei diesen Patienten keine Auf-fälligkeiten. Ferner konnte in dieserUntersuchungsreihe gezeigt werden,daß im Serum dieser Kinder kein Per-tussistoxin meßbar war. Schließlichkonnte in einer Studie von Baraff et al.kein Zusammenhang zwischen demunterschiedlichen Endotoxingehalt ver-schiedener Chargen von DPT-Vakzinenund dem Auftreten hypoton-hypo-responsiver Episoden festgestellt wer-den [2].

Die Prognose der hypoton-hypore-sponsiven Episoden ist günstig. Nach-untersuchungen bei betroffenen Impf-lingen ergaben in allen Fällen eine nor-male Entwicklung [1, 18]. Dennoch si-chern sich Impfstoffhersteller ausverständlichen Gründen ab und nen-nen das Auftreten von hypoton-hypore-sponsiven Episoden bzw. „Kollaps undSchock-ähnlichen Zuständen“ in denFachinformationen und Beipackzettelnvon DPT- (und DTaP-) Vakzinen alsWarnhinweis und warnen vor weiterenImpfungen mit Pertussiskomponenten.Der Tatsache, daß diese Reaktionenauch nach DT-Impfungen auftretenkönnen, wird dadurch nicht Rechnunggetragen.

Unser dargestellter Fall ist in zwei-erlei Hinsicht ungewöhnlich. Der Pati-ent zeigte weder bei der 1. noch bei der 2.Episode eine Fieberreaktion, die in denbisherigen Beschreibungen als typi-

Tabelle 2

Metaanalyse der Häufigkeit von hypoton-hyporesponsiven Episoden nachImpfung mit heute verfügbaren DPT-, DTaP- und DT-Impfstoffen; DPT Diphtherie-Tetanus-Pertussis/Ganzkeim, DTaP Diphtherie-Tetanus-Pertussis/azellular,DT Diphtherie-Tetanus

Studie Hypoton-hyporesponsive Episoden/Zahl der Impfdosen

DPT DTaP DT

Schweden/Göteburg [23] –/– 0/5124 0/5130Schweden/Stockholm [10] 5/6143 1/15349 0/7667Italien [9] 9/13520 1/27474 2/4540Senegal [21] 0/6595 0/6881 –/–Deutschland/Mainz [19] –/– 1/67000 –/–Deutschland/München [15] –/– 2/41615 –/–Deutschland/Erlangen [22] 1/16424 0/16644 0/4977

Summe 15/42682 5/180087 2/22314Häufigkeit 1:2845 1:36017 1:11157

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Monatsschrift Kinderheilkunde 10·98 | 975

weise bei einigen Impflingen in einemgenerellen Abbruch der Impfserie. Eserscheint deshalb sinnvoll, die heutegültigen Kontraindikationen zur Wei-terführung des Impfschutzes nach „un-erwünschten Ereignissen“ bei der vor-ausgegangenen Impfung zu überarbei-ten.

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