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ROM IM HOHEN MITTELALTER Studien zu den Romvorstellungen und zur Rompolitik vom 10. bis zum 12. Jahrhundert REINHARD ELZE zur Vollendung seines siebzigsten Lebensjahres gewidmet .Herausgegeben von Bemhard Schimmelpfennig und Ludwig Schmugge Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1992

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ROMIM HOHEN MITTELALTER

Studien zu den Romvorstellungenund zur Rompolitik vom 10. bis zum 12. Jahrhundert

REINHARD ELZEzur Vollendung

seines siebzigsten Lebensjahresgewidmet

.Herausgegeben vonBemhard Schimmelpfennig und

Ludwig Schmugge

Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen1992

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Kirche - Kommune - Kaiser

VON LUDWIG SCHMUGGE

Hochverehrter Herr Elze, meine Damen und Herren!

Eine Zusammenfassung dieser Tagung zu geben ist schwer, allemal für den, der weder inDumbarton Oaks noch bei den vorhergehenden Tagungen über verwandte Themen anwesendwar. Trotzdem will ich versuchen, einige Gedanken zusammenzufassen, die beim Hören dervielen für mich sehr lehrreichen Referate Gestalt angenommen haben. Ich möchte es unterfolgenden Aspekten tun:

1.Welche Formulierungen sind den Referaten gemeinsam; auf welche Fragen, die von denverschiedensten Disziplinen her gestellt worden sind, läßt sich zurückkommen?

2. Welche offenen Probleme oder welche Forschungsdesiderate ergeben sich aus dem, waswir hier gehört haben?

Die Zusammenfassung trägt ganz und gar den Charakter eines Wagnisses und ist daher imStil des mündlichen Vortrags verblieben. Auf Anmerkungen wurde verzichtet, weil dieNachweise im Einzelnen aus den hier gedruckten Beiträgen entnommen werden können.

Ich möchte nicht in der Reihenfolge der Vorträge vorgehen, sondern die drei K »Kirche,Kommune, Kaiser- in dieser Reihenfolge behandeln, weil ich der Meinung bin, daß dieDominante in dem Thema, das wir hier angeschnitten haben, die Kirche ist. Also gehe ich vonder Kirche aus, werde mich dann der Kommune zuwenden und erst zum Schluß - das hat auchnoch persönliche Gründe - der Person des Kaisers zu nähern wagen.

I.

Herr Fuhrmann hat einleitend in einem großen Bogen - souverän wie immer - gezeigt, wie sichdie Romana Ecclesia aus der Idee der Sedes Apostolica und der Sedes Petri entwickelt, daß abervor dem Investiturstreit »die Inspirierung fehlt, daß die stadtrömische Kirche gleichzusetzen seimit der Kirche der gesamten Welt«. Die petrinische Qualität des Papsttums und der Kirche wirdzwar 418 bereits festgestellt, ecclesia romans episcopus ecclesiae romanae, id est papa und Isidordefiniert catholica, hoc est universalis ecclesia. Und aus dieser Stellung des römischen Bischofs,die sich ja ursprünglich von der anderer ökumenischer Bischöfe nicht wesentlich unterschied,entwickeln sich nun in den folgenden Jahrhunderten verschiedene Prärogativen, die, gestütztauf das petrinische Privileg, den Bischof zum Universalpapst werden lassen. Die zentraleEpoche ist sicherlich - das ist ja nichts Neues - die Zeit des Irrvestiturstreits. Die Irrtumsfreiheitdes römischen Papsttums, die Pflicht der gesamten Kirche zum Gehorsam, im Dictatus papae

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formuliert, werden zu wichtigen Voraussetzungen und auch zu wichtigen Forderungen an dieKirche, nicht nur an die römische, sondern an die Universalkirche. Und ecclesia uniuersalis - sohat Herr Fuhrmann uns gezeigt - wird seit dem 8.19.Jahrhundert - in Absetzung gegen dieÖkumene - zum Scheidewasser gegenüber den kirchlichen Ansprüchen von Byzanz. Insofernkommen beide Ausdrücke und beide Begriffe konvergent auf Rom zu, uniuersalis und romanaecclesia universalis wird zur ecclesia romana bei Leo IX., bei Gregor VII., und sie wird auchgleichzeitig zur mater universalis. Dieser Begriff ist nachher besonders wichtig geworden, weildie Mutterfunktion etwas Animalisch-Urtümliches evoziert. Nun, seit Innozenz Ill., darinkulminierten Fuhrmanns Ausführungen, finden wir schließlich den - wohl auch anerkannten -Anspruch, daß ecclesia universalis ... una et eadem est ecclesia romanae urbis et ecclesia totiusmundi (Huguccio von Pisa). Römische Kirche und Gesamtkirche sind nicht mehr trennbar,nicht mehr voneinander lösbar, obwohl die Kanonisten im Hinblick auf die Frage Episkopalis-mus - Papalismus (und später auch der Konziliarismus) die Relation durchaus in Frage gestellthaben, aber diese Ansätze haben sich effektiv nicht durchgesetzt. Seit Innozenz ist derltAlleinvertretungsanspruche der römischen Kirche für die Gesamtkirche, die Behauptung, daßdie römische Kirche die Gesamtkirche repräsentiere, unbestritten ... Die ecclesia romana brauchtnicht die Kirche von Rom mit ihrem Bischof zu sein, und die ecclesia universalis konntezurückgeführt werden auf einen Rückhalt bei den einzelnen Gläubigen. An der Begriffsver-schiebung von ecclesia romana und ecclesia uniuersalis läßt sich der Aufbruch zu einem neuenund differenzierten Denken ablesen (das letztlich erst im 1.Vatikanum abgeschnitten wurde)«.

Was Fuhrmann angedeutet hat, wird im Beitrag von Frau Blumenthai vertieft, indem sie dasRombild der Kanonistik nachzuzeichnen versucht. Die Kanonessammlung des Deusdedir alswichtigste Quelle für stadtrömische Tendenzen unter den Reformern steht im Mittelpunkt ihrerAusführungen. Deusdedit tritt uns - nicht zuletzt durch seine Haltung in der Frage derPapstwahl- als ltunermüdlicher Vorkämpfer- der angestammten Vorrechte der Kardinalpres-byter und Kardinaldiakone, und damit der Traditionen des christlichen Roms gegen diewachsenden Ansprüche eines monarchischen Papsttums entgegen. Die Privilegien der sanctaromana ecclesia weiß er klar von den päpstlichen Vorrechten zu trennen, der Papst erhältlediglich lteinen Ehrenplatz innerhalb der römischen Kirche zugewiesene, eine Einstellung, mitder er historisch auf verlorenem Posten steht. .

Mit diesem großen kanonistischen Bogen der Entwicklung lassen sich nun eine Reihe vonweiteren Beobachtungen, die im Laufe dieserTagung gemacht worden sind, verbinden. In derDiskussion ist schon hingewiesen worden auf die Folgen dieses Anspruches, auf die Bürokrati-sierung, auf die Fiskalisierung, auf die Forderung der Liturgieanpassung als einem Akt desGehorsams (Elze). Dagegen hat Herklotz betont, daß es ja Ehrentitel wie ecclesia universalisoder mater ecclesiae durchaus auch bei anderen römischen Kirchen gegeben habe. ApostolischeTraditionen dieser Art sind, wie man im 11.Jahrhundert an dem Streit mit Compostela sehenkann, wo auch Kardinäle existierten und wo es ebenfalls eine ecclesia apostolica gab, eben nichtzum Zuge gekommen.

Herrn Maleczek gelang es in seinem Referat, in einer sogenannten »Probebchrung« an dreiStellen - nämlich der Zeit des Adelspapsttums, der Zeit der Reform (UrbanII., PaschalisII.)und schließlich noch etwa in der Zei~der Kommune - uns zu schildern, wie diese Kirche nun dieRombeherrschung in die Hand nimmt. Die spinosa Cathedra Petri, wie bezeichnenderweise einAusländer, nämlich der Engländer Nicholas Breakspear sie genannt hat, entwickelt in den

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Herrschaftsbereichen Gericht, Zölle, Münzen, Truppen, Verwaltung und Elitebeziehungeneine Reihe von Kennzeichen, die die Kirche als führende Macht auf dem Erdkreis nicht nur imgeistigen, sondern auch im materiel~en Sinne in Er~cheinu~g treten lassen. Wie ~ir ~.u~hd~rchdie kanonistischen Forschungen wissen, haben die weltlichen Machthaber, die Könige, ihreHerrschaftsapparate weitgehend nach denen der Kirche gestaltet und revidiert. Aus MaleczeksBeobachtungen ging hervor: Während der Bischof von Rom noch z~r Zei~des Adelspapsttu~s- das wurde sehr klar herausgestellt - sich von anderen -Kollegen« m Italien kaum unterschiedund die weltliche Herrschaft der Tuskulanerpäpste in Rom dem Regiment glich, das vieleBischöfe auch anderswo ausübten, ist es in der Reformzeit schon ganz anders. Es kommt zueiner ersten Krise dieses Bischofsregiments: Die 'Päpste halten sich nun mehrheitlich außerhalbRoms auf, weil sie - jetzt können wir wieder an Fuhrmanns Bogen anknüpfen - als Leiter derUniversalkirche aus Rom vertrieben worden sind, zum Teil durch die Adelsfraktionen, zumand ern aber auch aufgrund ihrer Sorge für die ecclesia universalis.

Die Probleme der Rombeherrschung setzen hier eigentlich erst ein, vorher war dieBeherrschung der Stadt eine Frage von Fraktionskämpfen, jetzt sind es Existenzkämpfe für dasPapsttum. Paradoxerweise wird die Rombeherrschung umso problematischer, je mehr diePäpste in ihre Rolle als Leiter der Universalkirche hineinwachsen, wie Maleczek formulierte. Estreten zudem neue Adelsgruppen in den Vordergrund, deren Herkunft - die Frage hat HerrEsch in der Diskussion gestellt - trotz aller prosopographischen Bemühungen von Hüls undanderen bei weitem noch nicht geklärt ist. Die Päpste verfügen vorerst kaum über militärischeMittel, die Kardinäle werden in die Verwaltung einbezogen, Kurie und Kammer nachcluniazensischem und Kanzlei und Kapelle wahrscheinlich doch nach Reichsvorbild organi-siert. Die Gerichtsbarkeit, eine doppelte Gerichtsbarkeit - die des Präfekten und die derKardinäle - wird ausgebaut. Unter den in der Zeit zwischen Eugen Ill. und Lucius Ill. kreiertenneunzig Kardinälen sind nur acht Römer. Während früher stadtrömische Notare als Schreiberamteten, übernehmen nun mobile Pfalznotare, dem sacrum palatium Lateranense zugeordnet,diese Aufgaben, gehen zur Minuskel über und entwickeln einen eigenen Kanzleistil. AuchHerrschaftszeichen - da sind wir dann wieder bei einem zentralen Thema - werden auf Grundimperialer Vorgaben hauptsächlich aus Byzanz übernommen: die Tiara, der Papstsessel oder diePapstsessel, Porphyr, Rosso Antico, die Ferula. Imitatio imperii scheint nun die Parole zulauten.

Die zunehmende Romferne hat wohl auch - und das ist der dritte Punkt in Herrn MaleczeksAusführungen gewesen - die kommunale Bewegung überhaupt erst ermöglicht oder dochzumindest begünstigt. Ähnlich wie Herr Elze bei den Kaisern, rechnete Maleczek uns vor, wieselten die Päpste in der Urbs anwesend waren: Eugen nur 16 von seinen 100Monaten, Hadrianetwa die Hälfte, Alexander gar nur etwa 10-15 Prozent des Pontifikats: 252 Monde hat er denThron Petri besessen und 36 davon hielt er sich in Rom auf. Das zeigt deutlich, daß dieseRomferne eine Umstrukturierung sowohl der papalen Administration wie auch eine notwen-dige Umstrukturierung der Beziehungen zur Stadt nach sich ziehen mußte. Die verschiedenenRichter, Ämter und Funktionen, von denen Frau Baumgärtner gesprochen hat und nach derenAufgaben auch Herr Bertram gefragt hat, sind noch keineswegs erfaßt. Was haben die Leuteeigentlich zu tun, wer setzt sie in ihre Ämter ein, ernennen sie sich gar selbst, wie HerrSchimmelpfennig provokativ gefragt hat? Wir besitzen zwar die Richterlisten, wir kennenzahlreiche Namen, aber wir können uns noch keinen Reim auf diese vielen Daten machen.

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Ein Fazit des Vortrags von Herrn Maleczek lag darin, daß die Rombeherrschung imZentrum der päpstlichen Bemühungen steht. daß aber von Romerneuerung eigentlich kaumetwas zu spüren sei. Die petrinische ealesia romans (ganz im Fuhrmannsehen Sinne) wirdselbstverständlich betont, aber Romerneuerung durch die Päpste im materiellen Sinn - daraufkam dann ja später Herr Claussen zu sprechen - fand nicht statt. Wenn die Nachfolger Petrieiner Rom-Idee folgen, dann der als »Abbild und Vorbild der ecclesia uniuersalis«.

Die Diskussion im Anschluß an Herrn Maleczeks Vortrag schien mir besonders fruchtbarzu sein, weil hier eine Reihe von weiterführenden Fragen erörtert worden ist, die auchForschungsfragen sein könnten: der Aufstieg der neuen Familien, die genaue Umschreibungder römischen Ämter. Auf der anderen Seite erhoben sich so banale Fragen wie die nach denmateriellen Zuständen in Rom in der Zeit um 1100: Wieviel Einwohner hatte die Stadt(10-20000, das ist die Formel, auf die man sich einigt)? Welche Kirchen - 350 nennt der Liberpontificalis - gab es da wirklich? Den Historiker~ wie den Kunsthistorikern fehlt so etwas wieeine Verfassungstopographie Roms. Kann man eine solche - das ist eine etwas kühne Frage-für das Rom des t2.Jahrhunderts nicht auch in Angriff nehmen? Ferner fehlt für die Urbs indieser Zeit auch eine solide Mittelalterarchäologie und eine Rekonstruktion des materiellenZustands der Stadt, der »pompösen Stadtc, wie sie Herr Claussen einmal genannt hat, mitihren Porticusstrukturen und den neuen Bauten, die hier zum Teil wiederentstehen. Undschließlich fehlt - ein Ergebnis der Diskussion zwischen den Herren Herklotz und Schaller -zwar nicht die Bestandsaufnahme der Inschriften, da gibt es ja eine Reihe von grundlegendenWerken, sondern eine Epigraphik, die eine sichere Zuweisung der Schriften und der einzelnenTitel ermöglicht.

Es entstehen seit der Reformzeit eine Vielzahl von Reliquienfälschungen und Ablaßfäl-schungen, wir finden ganze Translationsberichte auf mehreren steinernen Dokumenten inRom. Gerade dieser Fundus der »Inscriptionese bietet sowohl auf kunsthistorischer als auchauf rein historischer Ebene noch viel Material. Schließlich ist auch die Frage erörtert worden,ob die rege Bautätigkeit nur von den Päpsten oder nicht doch auch von der hinter ihnenstehenden Gruppe ihrer Kurie, insbesondere den Kardinälen, angeregt worden ist, und zwarim Sinne - wie Esch betont hat - einer positiven Konkurrenz, wie sie für die Zeit Pius'lI. undder Renaissance-Päpste bekannt ist und jüngst auf der Tagung ,.Arte e committenza« desDeutschen Historischen Instituts behandelt worden ist.

Herr Schimmelpfennig hat uns dann in den Anachronismus - oder sagen wir es besser indie »Scheinwelt« - des Zeremoniells geführt, ein Ausdruck, den er selbst verwendet hat -.»Scheinwelt .. des Zeremoniells deswegen, weil, wie auch Herr Elze mit seinen drastischenBeispielen uns vor Augen geführt hat, hier normative Ansprüche keineswegs eingelöst werdenkönnen. Ordines sind keine normativen Texte, obwohl sie sich so geben, und Herr Schimmel-pfennig hat aus seiner profunden Kenntnis des päpstlichen Zeremoniells evident machenkönnen, wie in einzelnen Texten (Cencius, Albinus, Benedikt und in den von ihm ediertenTexten) die einzelnen Feste des Kirchenjahres gestaltet werden, wie der Papst lOLiturgein derStadt, Fürsorger für die Stadt und gleichzeitig auch Herr über die Stadt ist«, wie seitHonorius Ill. das Zeremoniell nicht mehr auf die Stadt Rom fixiert ist, wenngleich alteBezeichnungen weiter fortleben, wie dieses in der Liturgie zum Ausdruck kommt, wie aberauch der Bezug zur Antike gesucht wird, etwa in der vom Janusbogen ausgehenden Lichtmeß-prozession oder in den Laudes Comomanie, den Fruchtbarkeitskulten und bei anderen

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Festen. Hier erhebt sich die Frage, ob durch die Anwendung anthropologisch-volkskundlicherMethoden weiterzukommen wäre?

Schließlich hat sich herausgestellt, insbesondere nämlich bei den Prozessionen anläßlich derPapsterhebung, daß auch da noch eine Reihe von Fragen offen ist: Bei den Krönungszeremo-nien wird der possesso im Lateran, vom Zug nach St. Peter und der Rückkehr zum Lateran klarunterschieden. Hier wird der Papst als Herrscher über die Stadt Rom gefeiert, es werden ihmLaudes gesungen, er wird gekrönt: als Vorbilder dienen wiederum imperiale Herrschaftszei-chen, das Phrygium, das Regnum, und schließlich bei der Weihe die Wergverbrennung. Aber,so betonte Esch, es fehlt nicht nur die Verfassungstopographie - es fehlt auch eine -topographiereligieuse« von Rom, wie die Franzosen das genannt haben, an der wir diese Prozessionenfestmachen können. Unklar bleibt: Wer nimmt daran teil? Ist die Teilnahme verpflichtend? Wiesteht es mit der Zahlung von Presbyterien? Wie geht die Einbindung desVolkes der 12Regionenvor? Meidet oder sucht man den Durchzug durch bevölkerungsdichte Quartiere? Das sind allesFragen, die Herr Schimmelpfennig gestellt hat, oder die in der Diskussion aufgekommen sindund die zum Weiterdenken anregen.

Interessant war noch - wie Schimmelpfennig zeigen konnte -, daß die Texte, welchewahrscheinlich auf ältere Vorlagen zurückgehen oder doch mindestens ins späte 10. oder frühe11.Jahrhundert zurückweisen, in der Zeit des 12.Jahrhunderts teilweise gar nicht mehrverstanden wurden. Man nimmt anachronistische, archaische Formen auf oder behält sie bei,obwohllängst klar ist, daß es keine Bezüge mehr zur zeitgenössischen »Ideologie« der Päpstegibt. Die enge Bindung zwischen Papst und Stadt ändert sich endgültig in der Zeit Inno-zenz'I1l.: Die Kardinäle und die Spitzen der Universalkirche werden gemäß ihrem hierarchi-sehen Rang und Weihegrad in den Prozessionen dem Papst zugeordnet. Dieser tritt nicht mehrals Herr des Lateranpalastes und der Stadt Rom in Erscheinung, sondern als Leiter derUniversalkirche.

Vielleicht werden Sie sich wundern, warum ich den Bericht über den Vortrag von HerrnClaussen hier anschließe. Herr Claussen hat in seiner Untersuchung der Antikenrezeption undRomerneuerung in der Kunst gezeigt, daß ein scharf zu beobachtender Schnittpunkt ebenfalls inder Mitte des 12.Jahrhunderts liegt. Ausgehend von den ja nicht sicher zu datierenden Portalenvon Monte Cassino hat Herr Claussen nachgewiesen, daß noch anfangs des 12.Jahrhunderts-er nannte das BeispielJohannes' von Venedig- eine bedeutendere Künstlerkolonie in Rom nichtexistiert, und daß die Reformer auf byzantinische Vorbilder zurückgreifen, sichtbar etwa in denApsismosaiken. Erst ab 1100 ..kommt es zu einer Erneuerungswelle- in Rom.

Claussen bringt nun Hinweise für die alte These, die süditalienische und die römischeRenovatio in der Kunst sei von Montecassino ausgegangen: Seit der Übernahme von S.Ceciliadurch Abt Desiderius kommt es zu insgesamt sechs Altarweihen noch in der Zeit desMontecassineser Abtes, erhalten hat sich das "Opus sectile« am 1073 erneuerten Altar inS. Cecilia: Ein erster Hinweis darauf, "daß sich die Marmor- und Pavimentkunst in Rom nichterst nach 1100 quasi aus dem Nichts entwickelte, sondern daß ein erster Anstoß durch Geld,Ideen und Handwerker vom Montecassino schon zur Zeit des Desiderius erfolgte«,

Als Erklärungen dafür, warum Rom seit 1100 "selbst den Römern renovierungsbedürftigerschiene, galten bis dahin der Normannensturm (Krautheimer) oder die Person Paschalis'lI.(Kitzinger). Claussen meint, es könne auch der Wunsch nach -der Würde und dem Glanzbesserer Tage« gewesen sein, der zu den großen baulichen Anstrengungen geführt hat. Er

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verbindet diese architektonisch-konstruktiven Anstöße mit der neuen reformerischen Haltungder Kirche, mit dem Ideal der vita apostolica. Er nimmt an, daß mehrere hundert KirchenLatiums als »lirurgisches Ensemble- in ähnlicher Weise wie S.Clemente in den etwa 150Jahrenbis 1250 renoviert worden sind. In der Diskussion wies Herr Ladner ausdrücklich darauf hin:vita apostolica postuliere einen Rückbezug nicht so sehr zur römischen, als vielmehr zurfrühchristlichen Antike! So entstand eine Reihe von grandiosen Bauten, deren Bauschmuck fastnur aus Spolien besteht, in den Chorabschrankungen, Kapitellen, Säulen und dann schließlich inden Pavimenten der Cosmaten (Magister Paulus in St. Peter zuerst), die einen ganz neuenVersuch der »Umsetzung dieser Reformgedanken mit den Mitteln der bildenden Kunst«darstellen. Unter dem Pontifikat Kalixts 11. erkennt Claussen neue »Sprachformen kirchlicherRenovatio: statt bescheidener Zeichen kirchlicher Restauration nun imperiale Zeichen kirchli-chen Triumphes-. - Ganz so glanzvoll, wie Claussen es wahrhaben will, sind allerdings dieErgebnisse des Wormser Konkordats 1123vom Konzil nicht bestätigt worden. - Vorhallen, wiesie neben den charakteristischen Glockentürmen in etwa 20 Exemplaren noch heute erhaltensind, hätten nicht nur die Kirchen, sondern auch zahlreiche Häuser von Händlern undHandwerkern geschmückt - auch hier ist wohl eher ein Fragezeichen anzubringen.

Dieser neue Umgang mit der Antike etwa seit 1150- da will Claussen einen weiteren Bruchkonstatieren, der sich in der Benutzung des opus romanum manifestiert, wie etwa in derZiegelornamentik der Casa Crescentii - schuf nun »eine fiktionale, eine Art mittelalterlicheAntike«, die dann eben nicht mehr nur Spolien verwendet, sondern jetzt auch antikeMonumente nachbildet. Zeitlich glaubt Claussen diesen »Wechsel vom -Spolium- zu einerneugeschaffenen Pseudoantike« mit der Epoche der Renaissance des mittelalterlichen senatusromanerum um 1143/1144 gleichsetzen zu können. Die Frage, warum das geschah, mußteoffenbleiben; sei es, daß, wie wir bei der Kommune gesehen haben, man die preziosen oder auchrarer gewordenen Antiken zu schützen versuchte, sei es, daß tatsächlich ein eigenständigeskünstlerisches Formungsbewußtsein entstanden ist. Jedenfalls mausern sich die künstlerischenFormen, mit denen in Rom auf die kirchliche und kommunale Renovatio geantwortet wird, vonder Spolienjägerei zur Marmorveredlung und schließlich zur Antikenkopie: die »kleinteiligePolychromie- der Cosmaten entwickelt sich zu einer »fiktionalen und deshalb notwendigmittelalterlichen Antike«.

Egal, ob etwa die Verwendung von Spolien nach 1150 ganz aufgehört hat - Herr Herklotzhat so gefragt und zugleich die Frage verneinr-, es ist auch in der Kunst um 1150ein Umbruchzu konstatieren, in dem fiktionale Antike als Zeichen der triumphierenden Kirche ohne weiteresmit der Reform und mit den Reformpäpsten verbunden werden kann. Wer diese Entwicklungim Einzelnen angeregt hat, ist bei weitem noch nicht geklärt.

11.Dadurch, daß Herr Claussen ausgehend von Desiderius von Montecassino auch die kommuna-len Bestrebungen ins Blickfeld gerückt hat, kann ich sofort auf das nächste ,.K« überwechseln,nämlich auf die Geschichte der römischen Kommune. Herr Claussen hat illustriert, wie an denBeispielen des Senatorenpalastes über das Tabularium - um 1160 fertiggestellt - bis zur CasaCrescentii das »Vorweisen der wiederverwendeten Antike zuerst dazu dient, Anschlußherzustellen an die große Zeit Roms«, wobei sdie Antiken-Renovario noch durch die Spolie

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geschieht«. Die Casa Crescentii, sicherlich ein merkwürdiges Monument und in ihrer Datierung(spätes 11.Jahrhundert oder 1160) noch keineswegs gesichert, gestattet immerhin einenVergleich mit den ,.republikanischen« Mirabilia.

Durch die Untersuchungen von Frau Baumgärtner werden die Forschungen über dieKommune auf eine neue Ebene gehoben: Gegenüber dem bisherigen Gesamtbild, zuletzt vonRobert Benson auf die Formel »intoxicared by antiquiry« gebracht, hat Frau Baumgärtnerihrerseits mittels nüchterner historischer Grundlagenforschung versucht, die verschiedenenDokumente, Urkunden und Briefe zur Geschichte der Kommune zusammenzustellen. Die hiervorgelegten Beiträge ergänzen ihren Artikel »Rombeherrschung und Romerneuerung. Dierömische Kommune im 12.Jahrhundert« (QFIAB 69, 1989, S.27-79). Hieraus geht zuersteinmal hervor, daß der Begriff des sacer senatus eine Art programmatische Bedeutung hat -sanctus käme ja auch nicht in Frage, sanctus ist die Ecclesia und der Papst, aber sacer nähert sichdoch dem sehr an; ob der Ausdruck direkt auf antike Vorbilder zurückgreift, das ist noch offen.Aber in der Diskussion um die Auswertung dieser Namen scheinen mir wichtige Hinweisegegeben worden zu sein: Einmal auf die Bedeutung der prosopographischen Methode, die jaFrau Baumgärtner durchaus erfolgreich anwendet, und dann auf die Rückbesinnung auf diediplomatische Methode, wie Herr Betram und Herr Esch es vorgeschlagen haben.

Die Erneuerungsbestrebungen der Römer kommen in den Formeln renovatio senatus undrestauratio senatus am treffendsten zum Ausdruck und spiegeln zugleich das kommunaleSelbstbewußtsein. Einmal an der Macht, geht nun die Kommune die Herrschaftssicherung inder Stadt mit typisch römischen Methoden an. Sie verwendet mangels eines eigenen geschultenPersonals die päpstlichen Amtsträger neben den kommunalen. Ja, die Frage stellt sich, ob manpäpstliche und kommunale Amtsträger überhaupt scheiden kann. Es scheint eher so zu sein, daßin den folgenden Jahren der Wiederannäherung an das Papsttum die Amtsträger wechselseitigoder auch parallel in beider Diensten gestanden haben. In dem vorliegenden Beitrag versuchtFrau Baumgärtner dies am Beispiel des bibliothecarius zu zeigen, eines traditionellen päpstli-chen Titels, der bis 1144 in der päpstlichen Kanzlei erscheint, um dann aus ihr völlig zuverschwinden. In stadtrömischen Urkunden taucht der Titel erstmals 1162 auf und wird derGruppe der iudices palatini zugeordnet, die neben den iudices dativi und den Advokaten alskommunale ,.Spitzenbeamte« in Erscheinung treten. Frau Baumgärtner kann drei Träger diesesstadtrömischen Amtes festmachen: Paulus (1155-1166), Malpilius (1172-1183) und StephanusLaurentii (1192-1201), die ,.als Richter den Abschluß von Verträgen überwachen«, DieAmtsinhaber konnten sich gegen Ende des 12.Jahrhunderts auch kaiserlich legitimieren, so daßder bibliothecarius nach Baumgärtner keinem der drei Rechtskreise (Kurie, Kommune, Kaiser)eindeutig zugeordnet werden kann. Die Kommune beschäftigte »Beamte mit traditionellenTiteln, die von Seiten des Papsttums arbeitslos geworden waren«.

Das Fehlen Arnolds von Brescia wurde in der Diskussion von Herrn Maleczek bedauerndzur Kenntnis genommen, aber es ist ein Trend der heutigen Geschichtsschreibung, von denHeroen abzukommen, zumal Arnolds Einwirken auf die kommunale Bewegung erst seit 1149bemerkbar ist. Seine Rolle ist, obwohl Herr Esch zu seiner Ehrenrettung angesetzt hat,keineswegs so ganz klar.

Herr Schaller hat in seinem Beitrag über die Herrschaftszeichen eindrucksvoll herausgear-beitet, wie die Kommune auf drei verschiedenen Ebenen deutliche Symbole verwendet, dienoch erhalten oder doch zumindest rekonstruierbar sind: Auf der Ebene des Gerichtslebens _

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vor dem Lateran, aber auch an anderen Stellen, wie Herr Schimmelpfennig ergänzend in derDiskussion festgestellt hat - mit der Wölfin, den Gesetzestafeln der lex regia und der Aurel-Statue, also Kaiser Konstantin, den klassischen Symbolen der kommunalen Macht. DieSymbole der Verwaltungsebene sind weniger gut bekannt. Besondere Gewänder, Stab undStirnreif des patridus kämen als antik-römische Formen inFrage, wobei ferner unsicher ist, obdie Konsuln zum Beispiel fasces verwendet haben? Auf der Ebene der politischen Herrschafts-zeichen ist sicher die Fahne, der Gonfalone oder das uexillum belegt: Seit 1149gibt es das Amtdes oexillifer, und Cola di Rienzos Beispiel der vier Fahnen hat gewiß ihre Tradition auch imkommunalen Zeitalter gehabt. Schließlich behandelt Schaller dann die Münzprägungen mit derUmschrift Roma caput mundi und S.P.Q.R. sowie die Grenzsteine, das Löwenwappen und dasnur durch schriftliche Quellen belegte sigil/um senatus.

Falkenstein hob in der Diskussion mit Recht die materiellen und wirtschaftlichen Interessender römischen Münzprägungen hervor, die in die Champagne verweisen: Im Zentrum derChampagnernessen werden damals ebenfalls Denare mit der Umschrift Roma caput mundi undS.P.Q.R. geprägt. In der Diskussion wurde weiter gefragt, ob etwa auch die Trajan-Säule, vonder 1162Bemühungen, sie zu schützen, erwähnt werden, als eine figura mundi galt, oder gar derganze Testaccio von der Kommune bereits als signum totius mundi, wie Herr Esch angemerkthat, angesehen wurde. So lassen sich eine Reihe von Herrschaftszeichen benennen, welche dieKommune sicherlich stolz und selbstbewußt verwendet hat, die sich zum Teil auf die Antike,zum Teil aber auch auf allgemeine Vorstellungen - die Löwenköpfe sind ja ein gängigesHerrschaftssymbol - beziehen.

Das Thema Kirche und Kommune abschließend, ist auf drei Beiträge dieses Bandes zuverweisen, die in Augsburg nicht vorgetragen werden konnten, die aber das Thema inwillkommener Weise bereichern, da sie die Sicht auf das Rom des Hochmittelalters von Außenbeisteuern. Rudolf Schieffer fragt unter dem Titel »Mauern, Kirchen und Türme« nach demErscheinungsbild Roms bei deutschen Geschichtsschreibern des 10. bis 12.Jahrhunderts. Vorabwar die Kenntnisnahme der imperii sedes Romani, wie Hrosvith Rom bezeichnet, bei dendeutschen Geschichtsschreibern sehr beschränkt, Gelerntes und Erlebtes vermischen sichuntrennbar. Was macht Eindruck? In erster Linie die Stadt als ummauerte Festung, die Mauern,das castellum sancti Petri, die Engelsbrücke, erst dann die zahlreichen Kirchen, allen voranSankt Peter als Ort der Kaiserkrönung, seltener der Lateran .• Für eine Vedute, ein Panoramades hochmittelalterlichen Rom würde bei weitem nicht hinreichen, was die zeitgenössischenGeschichtsschreiber im »Regnum Teutonicum« von der Ewigen Stadt zu vermitteln wußten«.

Vom Erzählhorizont des altfranzösischen Romans her, den Friedrich Wolfzettel uns amBeispiel des sEracle« und »Ille et Galeron« des Gautier d'Arras erschloß, gewinnt Rom eineeher erhabene Stellung. Kenntnisreich, was Topographie und Geschichte der Stadt angeht, zeigtsich der Autor voll von echter Bewunderung für die mit der dvitas eterna zusammenhängendeliterarische Tradition, gilt doch der Artus-Hof als ein zweites Rom. Die Stadt offenbart fürGautier den Vorrang des »göttlichen Wissens vor weltlich-feudalen Verhältnissen«, Denromanischen Autoren erscheint Frankreich »als legitimer Erbe der antiken, mit dem NamenRom verbundenen Überlieferung«: hierverbindetsich »chevalerie« und »clergie«, Rom wird im»Eracle« fast zum »Kristallisationspunkt des neuen Ideals der -courtoisie«, Der KlerikerGautier von Arras, neben Chretien de Troyes »Begründer des post-antikisierenden Romans«,reflektiert in seinem um 1176/1184 entstandenen Werk »enrscheidende Aspekte der Romidee«

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und des wachsenden Hasses auf das schismatische Konstantinopel, die Stadt Rom erscheint alsSymbol einer neuen höheren Ordnung mit universaler Mission, wobei verblüffende Parallelenetwa zur Kanonistik und zum Selbstverständnis des Papsttums aufscheinen. Für den Dichterwird der Ort Rom zum »Mittel- und Endpunkt einer biographischen Entwicklung, welche dieÜberwindung feudaler und -nationalerx Ordnungen zugunsten der einen und universalenOrdnung sichtbar machte, in der sich aber auch Weisheit und Wissen, Eros und Machtbegegnen wie in einer »mythischen Kürzel«, wie Wolfzettel es auf einen Nenner bringt.

Die Sicht eines Gelehrten, der rund hundert Jahre später gelebt hat und der Rom aus deretablierten akademischen Welt des Pariser studium generale ins Visier nimmt, vermittelt PaulGerhard Schmidt in seinem Beitrag über Johannes de Garlandia. Der fast schon chauvinistischdenkende Franzose, für den Paris die richtungsweisende Stadt ist, zeichnet uns aus der Distanzein schablonenhaftes Rombild - ohne die Stadt je gesehen zu haben: Lilien (das Papsttum) undDornen (Unsicherheit und Amoralität) bestimmen das Aussehen der Stadt, deren Besuch ernicht einmal für erwägenswert hält: Für Johannes de Garlandia stehen nicht Rom oderJerusalem, sondern liegt Paris im Mittelpunkt der Welt. Für einige Zeit - etwa bis in die Mittedes 15.Jahrhunderts - verliert Rom seinen alle anderen Städte der Christenheit überragendenRang.

III.

Damit komme ich zum dritten »K« - nämlich zu den Kaisern. Reale und fiktive Insignien mitRombezogenheit, von denen Herr Fillitz zu sprechen hatte, gab es nicht; sie sind jedenfalls, sosagte er, nicht erhalten. Dafür hat Fillitz sehr deutlich gemacht, daß auch bei der Verwendungder Herrschaftszeichen zwei Phänomene zu erkennen sind: Die Antikenrezeption, in der Kunstdes 12.Jahrhunderts allgemein zu konstatieren, und die Hinwendung nach Byzanz. Am Beispieldes Cappenberger Barbarossakopfes hat er versucht, die Beziehungen zur christlichen Antikedes 4.Jahrhunderts aufzuzeigen: Die Binde um den Kopf ähnelt stark einem Stephanos des4.Jahrhunderts. Ist das politische Propaganda, ist das »Renovatio-Politik«, hat ein Staufer je-mals einen solchen Stephanos getragen? Wahrscheinlich nicht. Hat denn, so die provokativeFrage von Herrn Falkenstein, ein Betrachter den Antiken-Bezug überhaupt feststellen können?Die Kunsthistoriker haben dagegen einhellig empört protestiert: Es sei undenkbar, daß ein sol-cher Künstler völlig unbezogen auf antike Beispiele, die ihm bekannt waren, ein kaiserlichesMonument wie den Cappenberger Barbarossakopf habe stilisieren können. In seinem schrift-lichen Beitrag hat Fillitz deutlich gemacht, welche Bedeutung der Rombezug im 11. und1l.Jahrhundert besaß, bis dann nach der Heiligsprechung Karl des Großen »Rom als Stadt, alsmöglicher Inbegriff für das Imperium- für die kaiserliche Ikonographie unwichtig wurde.

Frau Mütherich hat sodann ein methodisch sehr wichtiges und im Anschluß an dieDiskussion des Aufsatzes von Bloch aufschlußreiches Kapitel aufgeschlagen. Siewarnte vor denSchlüssen, die der Historiker besonders bei Quellenmangel gern auf Grund lexikalischer oderlexikographischer Argumentation zu ziehen geneigt ist. (Und vielleicht darf man hier dieelektronische Auswertung von Texten einbeziehen!?). Am Beispiel der Schuhe aus dem»iibellus« hat sie überzeugend herausgearbeitet, wie realitätskonform, aber auch typengerechthier argumentiert wird; typengerecht, insofern der Schreiber eben auch den Typus dieser vonihm dargestellten Herrschaftszeichen zu beschreiben wußte. Der warnende methodische

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Finger, den Frau Mütherich hier erhoben hat, dürfte für Historiker, die sich bei begriffsge-schichtlicher Argumentation gern philologisch-lexikalischer Methoden bedienen, sehr ange-bracht sein.

Bei der Annäherung an die Figur des Kaisers und seiner Bezogenheit auf die Antike - ichwage von Renovatio gar nicht zu sprechen, denn dieser Begriff scheint mir wirklich zerzaustworden zu sein - sind wohl die meisten Hindernisse vorhanden. Sie sind auch in dieser Tagungnicht ausgeräumt worden. Deshalb komme ich erst am Schluß meiner Ausführungen auf diebeiden Referate, die am Eingang unserer Tagung gestanden haben, zu sprechen, nämlich aufdiejenigen von Herrn Elze und von Robert Benson. Benson hat, in Kongruenz mit denErgebnissen von Fuhrmann und Maleczek, aber auch in Deckung mit dem, was Herr Claussengezeigt hat, an Hand zweier vernachlässigter Texte aus Johann von Salisbury und Arnulf vonLisieux herausziseliert, daß es in der Reflexion der Zeitgenossen der sechziger Jahre so etwas wieein »grand design- (Munz, Rassow) des Kaisers gegeben hat, indem Barbarossa in klarerErkenntnis und in Anerkennung des päpstlichen Machtpotentials, im Ansatz eines Zugriffs aufdie ecclesia universalis und in einem Pakt mit dem Papst, den Versuch gemacht hat, diereformatio imperii anzugehen; eine reformatio imperii totius orbis, die dann mit der Herrschaftüber die urbs zu kombinieren gewesen wäre. Die tendenziöse Interpretation der antistaufischenAutoren bestand darin, zu behaupten, dieser Plan habe sich gegen die Herrschaft oder gar dieExistenzberechtigung der anderen regna (der reguli, wie Rainald von DasseI gespottet hat)gerichtet. Barbarossas Pläne sind mißlungen, er hat von diesem »grand design«, der in Konstanz1153 bevorzustehen schien, Abschied nehmen müssen.

Ich will auf die Diskussion um die zwei oder vier Schwerter jetzt gar nicht weiter eingehen,das Problem ist in der Diskussion von Herrn Miethke und anderen zur Sprache gebrachtworden. Der Versuch einer Ausnutzung der politisch-kirchlichen Verhältnisse wurde durchden neuen Kaiser in einer sehr vorsichtigen und gar nicht, wie Johann von Salisbury behauptet,in »deutschen Militärstiefeln« einhertretenden brutalen Manier angegangen, sondern imbehutsamen Abtasten der bestehenden Möglichkeiten, was als Ergebnis des Vortrags von HerrnBenson festgehalten werden kann.

Lebhaften Protest hat in der Diskussion das Elzesche »negative Kaiserbild- erregt. ReinhardElze ist ja als ein »Anrihiseoriker-, wenn ich so sagen darf, bekannt. Als wir 1961 zum ersten-mal seine Vorlesungen am Friedrich-Meinecke-Instirut der Freien Universität Berlin hörendurften, sind wir mit einem Hochschullehrer konfrontiert worden, der die traditionaleGeschichtswissenschaft mehr als einmal in Frage stellte. Seine sokratische Methode, seinZweifeln, sein Fragen, seine Kritik an all dem, was an überkommenen und liebgewonnenenBegriffen gerade der junge Student sich so gerne aneignet, haben unser sich formendesMittelalterbild ganz schön durcheinander gebracht. Und dieses noch dazu in einer unorthodo-xen Weise: Wenn nicht Senatssitzungen (da sind wir mitten beim Romthema!) ihn davonabgehalten haben, seine Vorlesungen so vorzubereiten, wie er das eigentlich gewünscht hätte -und dies bestand darin, daß er zwei Tage vorher seine Zettel sammelte und nicht etwa einManuskript aus dem Regal zog - dann ist in fast jeder Vorlesungsstunde eine »communisopinio« zerzaust, manchmal sogar ein Denkmal gestürzt worden. Ganz auf dieser Linie, hat eruns heute ein negatives Kaiserbild gezeichnet, das den erstaunten, manchmal sogar empörtenProtest der Teilnehmer hervorgerufen hat.

Elzes nüchterne Annäherung an den Mythos des Kaisers hat aber viel Positives. Zum

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KIRCHE - KOMMUNE - KAISER 179

Beispiel die Beobachtung, daß der Kaiser nicht eigentlich als Kaiser in Rom herrschte, sondernnur dadurch, daß eine Vorstellung von ihm, eine Idee von ihm existierte, indem man, nachSchiller, den Kaiser zum Herrn haben möchte, um keinen Herrn zu haben. Bis hin zumbekannten Satz rex imperator in regno SUD dient die Definition des imaginären Kaiserbildes dochgleichzeitig zur Fixierung und zur Definierung von Herrschaft an sich. Elzes provokante undkonstant wiederholte Formulierung »Ich weiß nicht, was ein Kaiser ist«, erhält eine gewisseBerechtigung, wenn er uns vorrechnet, daß trotz der 16Kaiserkrönungen, die in Romstattgefunden haben, in den fast 500Jahren des kaiserlichen Mittelalters die Präsenz einesKaisers am Tiber sich auf ganze fünf Jahre beläuft, die am Ende dann eben wenig Spurenhinterlassen hat. Auf der anderen Seite steht der Kaiser als Konstantin dauernd vor dem Lateran,er ist präsent, die Notare berufen sich auf ihn, die Kirche betet für ihn, sie bezieht ihn in ihreLiturgie ein - insofern ist die Idee des Kaisers in Rom vorhanden, sei es die des Augustusimperator, sei es die des mittelalterlichen Kaisers. In dieser Infragestellung dessen, was frühereHistorikergenerationen viel sicherer gewußt zu haben glauben, liegt das typisch Elzesche, wasauch in diesem Vortrag wieder zum Ausdruck kam. Während wir von neuen und von derAufschließung bekannter Quellen für Kirche und Kommune noch einiges erwarten können,dürfte über den Kaiser kaum mehr viel Neues zu erfahren sein! Insofern bedeutet die ElzescheAnnäherung an diesen Mythos, der ja auch in der deutschen Geschichtstradition - darauf hatHerr Wolfzettel hingewiesen - seit dem 18.Jahrhundert sei~en Platz hat, sicherlich einenFortschritt. Nicht nur für diese Einsicht haben wir Reinhard Elze zu danken!