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CERN-OPEN-2017-016 09/02/2017 33 HEFT 1 / 66. JAHRGANG / 2017 ELEMENTARTEILCHENPHYSIK / PdN PHYSIK in der Schule 1 Einführung Früher war es eine Selbstverständlichkeit, dass spätestens im Unterricht der Sekun- darstufe II mit radioaktiven Präparaten ge- arbeitet wurde. Es wurden Aktivitäten ge- messen, Halbwertszeiten aufgenommen, vielleicht sogar Neutronen erzeugt. Seither ist viel Zeit vergangen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen wurden (vielleicht nicht ganz zu Unrecht) immer schärfer. In den meisten Bundesländern gibt es keine radioaktiven Präparate mehr in den Samm- lungen der Schulen und so ist der Unter- richt zur Radioaktivität immer theoreti- scher geworden. Das ist bedauerlich. Wie wir im Folgenden zeigen wollen, gibt es aber nach wie vor verschiedenste Möglich- keiten, ionisierende Teilchen experimen- tell zu detektieren, selbst wenn keine Prä- parate (mehr) vorhanden sind. Wir werden dazu die verschiedenen kommerziell er- hältlichen sowie selbst herzustellende Ge- räte beschreiben und deren Empfindlich- keiten, Kosten sowie deren Vor- und Nach- teile beschreiben. 2 Geräte 2.1 Spinthariskop Erste Experimente der Teilchenphysik wur- den mit dem Spinthariskop durchgeführt. Es besteht aus einem Zinksulfidkristall, der im Dunkeln durch eine Lupe betrachtet wird. Der Raum muss dabei nicht verdun- kelt sein. Es genügt, wenn man seinen Kopf zusammen mit dem Spinthariskop und einem Alphastrahler (z. B. Ra-226, 4 kBq) unter ein schwarzes Tuch steckt. Es ist verblüffend, wie schnell sich das Auge ausreichend adaptiert. Nach maximal 20 Sekunden sind Lichtblitze zu sehen, egal wie die Lichtbedingungen vorher waren. Selbst wenn das Szintillationsmaterial Umgebungslicht ausgesetzt war, kann man nach 20 s in Dunkelheit bereits etwas sehen. Der Einsatz – falls man mit einem Präparat arbeiten darf – erscheint uns durchaus sinnvoll, um zu zeigen, wie müh- selig Teilchen-/Atomphysik vor 100 Jahren war. Es ist schon erstaunlich, wie einfach und kostengünstig (ca. 50 € für das Spin- Verschiedene Detektoren für den Unterricht – ein Überblick A. Feistmantl, J. Woithe, G. Wiener u. M. Hopf Abb. 1: Zwei kostengünstige Trockeneis-Nebelkammern, die sich sehr einfach mit einem Marmeladen- glas (a) beziehungsweise mit Bratpfanne und Plastikbecher (b) herstellen lassen. a) b)

s03 50:Heft 1 - CERN

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CER

N-O

PEN

-201

7-01

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/02/

2017

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HEFT 1 / 66. JAHRGANG / 2017 ELEMENTARTEILCHENPHYSIK / PdN PHYSIK in der Schule

1 EinführungFrüher war es eine Selbstverständlichkeit,dass spätestens im Unterricht der Sekun-darstufe II mit radioaktiven Präparaten ge-arbeitet wurde. Es wurden Aktivitäten ge-messen, Halbwertszeiten aufgenommen,vielleicht sogar Neutronen erzeugt. Seitherist viel Zeit vergangen und die gesetzlichenRahmenbedingungen wurden (vielleichtnicht ganz zu Unrecht) immer schärfer. Inden meisten Bundesländern gibt es keineradioaktiven Präparate mehr in den Samm-lungen der Schulen und so ist der Unter-richt zur Radioaktivität immer theoreti-scher geworden. Das ist bedauerlich. Wiewir im Folgenden zeigen wollen, gibt esaber nach wie vor verschiedenste Möglich-keiten, ionisierende Teilchen experimen-tell zu detektieren, selbst wenn keine Prä-parate (mehr) vorhanden sind. Wir werdendazu die verschiedenen kommerziell er-hältlichen sowie selbst herzustellende Ge-räte beschreiben und deren Empfindlich-keiten, Kosten sowie deren Vor- und Nach-teile beschreiben.

2 Geräte2.1 SpinthariskopErste Experimente der Teilchenphysik wur-den mit dem Spinthariskop durchgeführt.Es besteht aus einem Zinksulfidkristall,der im Dunkeln durch eine Lupe betrachtetwird. Der Raum muss dabei nicht verdun-kelt sein. Es genügt, wenn man seinenKopf zusammen mit dem Spinthariskopund einem Alphastrahler (z. B. Ra-226,4 kBq) unter ein schwarzes Tuch steckt. Esist verblüffend, wie schnell sich das Augeausreichend adaptiert. Nach maximal 20Sekunden sind Lichtblitze zu sehen, egalwie die Lichtbedingungen vorher waren.Selbst wenn das SzintillationsmaterialUmgebungslicht ausgesetzt war, kannman nach 20 s in Dunkelheit bereits etwassehen. Der Einsatz – falls man mit einemPräparat arbeiten darf – erscheint unsdurchaus sinnvoll, um zu zeigen, wie müh-selig Teilchen-/Atomphysik vor 100 Jahrenwar. Es ist schon erstaunlich, wie einfachund kostengünstig (ca. 50 € für das Spin-

Verschiedene Detektoren für den Unterricht – ein ÜberblickA. Feistmantl, J. Woithe, G. Wiener u. M. Hopf

Abb. 1: Zwei kostengünstige Trockeneis-Nebelkammern, die sich sehr einfach mit einem Marmeladen-glas (a) beziehungsweise mit Bratpfanne und Plastikbecher (b) herstellen lassen.

a)

b)

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PdN PHYSIK in der Schule / ELEMENTARTEILCHENPHYSIK HEFT 1 / 66. JAHRGANG / 2017

Empfindlich für Vorteile Nachteile Kosten

Tab. 1: Überblick über verschiedene Detektoren

reräußerung „Habt Ihr das gesehen“ undviele Jugendliche, die eben gerade nichtsgesehen haben, sind eher die Regel als dieAusnahme. Selbst mit einem einge-schraubten Präparat ist die Demonstra-tion von Spuren wenig überzeugend.

2.2 Kontinuierliche NebelkammerJeder und jede von uns ist schon einmalfasziniert vor der großen, kontinuierlichenNebelkammer gestanden und hätte Stun-

sionsnebelkammer sehr umständlich:Traditionell wurde die Expansionsnebel-kammer mit einem Präparat versehen.Außerdem bedarf es erheblichen experi-mentellen Geschicks, um die Nebel-schicht zu erzeugen. Diese ist zudemdann nur ganz kurz vorhanden und kannerst nach 30 Sekunden Pause ein weiteresMal erzeugt werden. So bedarf es dannGlücks, um eine Spur von kosmischenTeilchen zu sehen. Eine begeisterte Leh-

thariskop + Alphastrahler) man Alpha-strahlung über Szintillation nachweisenkann. Ob sich der Aufwand für diesen „net-ten Effekt“ lohnt, muss vermutlich jederfür sich entscheiden.

2.2 ExpansionsnebelkammerDies ist eine einfache Anordnung, umSpuren eines radioaktiven Zerfalls sicht-bar zu machen. Allerdings ist nach unse-rer Erfahrung die Handhabung der Expan-

Spinthariskop

Expansions-

nebelkammer

Kontinuierliche

Nebelkammer

Selbstbau

Nebelkammer

mit Trockeneis

Geiger-Müller-

Zähler

Pixeldetektoren

α-Teilchen

Hauptsächlich Myonen. (Andere Teil-

chenarten werden auch sichtbar ge-

macht, aber die aktive Zeit der Kam-

mer ist so gering, dass diese prak-

tisch nicht zu beobachten sind.

(α-Teilchen des Präparats sind auch

gut zu sehen.)

Ionisierende Teilchen

Ionisierende Teilchen

Elektronen und γ-Strahlung;

Je nach Bauart auch α-Teilchen

Ionisierende Teilchen

Kostengünstig (bis

auf Präparat)

Relativ günstig

Dauerhafte Beobach-

tungen möglich; sehr

eindrucksvolles De-

monstrationsgerät

Leicht erhältliche Ma-

terialien; kostengün-

stig; SuS können ei-

genständig bauen

Relativ günstig;

Möglichkeit zur Mes-

sung der Aktivität;

Anwendung im

Strahlenschutz

Anschauliche

Darstellung ionisie-

render Teilchen; Ge-

naue Klassifizierung

möglich, Energie des

detektierten Teil-

chens wird gemes-

sen; Anwendung in

Physik

Beobachtung nur im Dun-

keln möglich; Präparat ist

erforderlich.

Kurze Beobachtungszeit;

Eigentlich nur sinnvoll mit

Präparat zu verwenden;

30 Sekunden Pause zwi-

schen zwei Beobachtun-

gen.

Kosten (bei kommerziellen

Geräten); Aufwand des

Nachbaus (bei Selbstbau)

ca. 10 Minuten Vorlauf zur

Kühlung

Sicherheitsbestimmungen

bei Benutzung und Lage-

rung von hochprozentigem

Alkohol (Isopropanol) und

Trockeneis; nur grobe

Klassifizierung möglich

Keine Klassifizierung der

Teilchenart

Momentan noch sehr teu-

er und sehr zerbrechlich;

(eine kostengünstigere

und besser handhabbare

Version wird gerade ent-

wickelt)

Ca. 50 € (ohne

Präparat)

Ca. 400 € (ohne Zu-

behör und ohne

Präparat).

Ca. 1500 € (kom-

merziell), ca. 400 €

(Selbstbau) (jeweils

ohne Zubehör und

Netzgerät)

Ca. 20 € + Kosten

für Trockeneis

Ab 200 €

Ca. 5000 €

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HEFT 1 / 66. JAHRGANG / 2017 ELEMENTARTEILCHENPHYSIK / PdN PHYSIK in der Schule

haben sie ein großes Potential für den Phy-sikunterricht. Einerseits kann man dasInteresse der Schülerinnen und Schülerwecken, indem man eine Technologie ver-wendet, die tatsächlich so in der For-schung verwendet wird. Andererseits kön-nen diese Detektoren mit geeigneter Soft-ware neben dem Detektieren und Unter-scheiden einfallender Teilchen auch derenEnergie messen. So können ähnliche Teil-chenspuren wie in der Nebelkammer, aberauch Energiehistogramme dargestellt wer-den. Im S’Cool LAB, dem Schülerlabor amCERN, werden Pixeldetektoren bereits er-folgreich in einem speziell entwickeltenWorkshop eingesetzt.

3 ZusammenfassungUm Eigenschaften ionisierender Teilchenim Unterricht zu behandeln, sollte unbe-dingt eine Nebelkammer vorhanden sein.Ob man dann eher mit Trockeneis arbeitenwill oder eine kontinuierliche Nebelkam-mer bevorzugt, ist nach unserer Auffas-sung Geschmackssache. Daneben ist es si-cher sinnvoll, einen Geigerzähler in derSchule zu haben. Ob die kürzlich vorge-stellten Anordnungen zum Einsatz einesSmartphones als Zählgerät [4] einen Gei-gerzähler ersetzen können, bleibt momen-tan noch offen. ■

Literatur[1] Raytrax1 von Conatex[2] Backmund, U.; Wilhelm, Th. (2009): Selbst-bau einer kontinuierlichen Diffusions-Nebel-kammer. In: Praxis der Naturwissenschaften –Physik in der Schule 58, Nr. 1 S. 27 – 32[3] http://cern.ch/s-cool-lab/content/downloads[4] Kuhn, J.; Frübis, J.; Lück, S.; Wilhelm, Th.(2013): Smarte Physik: Smartphone als Geiger-zähler? — Die App Radioactivity-Counter. In:Physik in unserer Zeit 44, 253–255

Anschriften der VerfasserAlexandra Feistmantl, Teacher and StudentProgrammes Section, CERN, Genève 23,SchweizE-Mail: [email protected] Woithe, Teacher and Student ProgrammesSection, CERN, Genève 23, SchweizE-Mail: [email protected] Wiener, Teacher and Student Programmes Section, CERN, Genève 23,SchweizE-Mail: [email protected] Hopf, AECC Physik, Universität Wien, Österreichisches Kompetenzzentrum für Didaktik der Physik, Porzellangasse 4, Stiege 2, A-1090 WienE-Mail: [email protected]

immer wieder lokale Universitäten Tro-ckeneis ab, auch im Lebensmittelhandel(Fleisch, Frischfisch, Restaurants) wird Tro-ckeneis verwendet. Darüber hinaus kannTrockeneis auch in kleinen Mengen relativgünstig über das Internet bestellt werden.Wichtig ist allerdings, Sicherheits- undTransportbestimmungen im Umgang mitTrockeneis zu beachten.

2.4 Geiger-Müller-ZählerEin allseits beliebter Detektor für denSchulgebrauch ist der Geiger-Müller-Zäh-ler. Dabei unterscheidet man zwischen ver-schiedenen Bauarten. Alle Bauarten besit-zen ein Zählrohr. Dieses zählt, wie vieleTeilchen pro Sekunde durch das Detektor-fenster fliegen. Damit geben sie die Akti-vität des radioaktiven Materials an. Das fürden Geiger-Müller-Zähler typische „Pie-pen“ bei Detektion eines Teilchens ist denmeisten Schülerinnen und Schülern ausFilmen oder Dokumentationen bekannt.Bei kleinen, handlichen Geiger-Müller-Zäh-lern ist das Zählrohr direkt mit der Elektro-nik in einem Gehäuse eingepasst. Es gibtjedoch auch Anordnungen, bei denen dasZählrohr separat mit einem Kabel mit demZählwerk (oder mit einem Computerinter-face) verbunden ist. Dadurch kann man dieAktivität eines Materials messen, ohnedem Material zu nahe zu kommen. Geiger-Müller-Zähler sind sehr gut geeignet, umüber Strahlenschutz zu sprechen. Durchdas akustische Signal beim Detektieren ei-nes Teilchens kann man vielen Schülerin-nen und Schülern gleichzeitig ein Gefühlfür das Abstandsgesetz oder die Abschir-mung geben. Leider sagt das Signal nichtsüber die Art der einfallenden Teilchen aus.(Hauptsächlich) die Dicke des Fensters vordem Zählrohr entscheidet über seine Emp-findlichkeit für Alpha-Teilchen.

2.5 PixeldetektorenIm Gegensatz zu Geiger-Müller-Zähler undNebelkammern sind Pixeldetektoren fürden Schulgebrauch noch wenig bekannt.Die Hauptanwendung solcher Detektorenist am CERN zu finden. Sie werden in dengroßen Experimenten am LHC (ATLAS,CMS ...) als innere Detektorschicht verwen-det. Der Pixeldetektor besteht je nach Bau-form aus einer Matrix von mehr als 60000Einzeldetektoren („Pixel“) auf 2 cm2. Eineinfallendes Teilchen ionisiert Atome inder Halbleiterschicht der einzelnen Pixel.Dabei werden Elektronen frei, die in jedemPixel einzeln als elektrischer Strom gemes-sen werden.

In der Schule sind diese Detektoren aberim Moment nur selten zu finden. Dennoch

den damit verbringen können, die Spurenzu beobachten. Sei es im Deutschen Mu-seum in München, in einem Science Cen-ter oder am CERN, viele Institutionen ha-ben es sich geleistet, dieses Gerät anzu-schaffen. Überall ist es eine Attraktion. Fürden Schulgebrauch ist es leider uner-schwinglich. Es gibt aber Alternativen. Ein-erseits kann man im Lehrmittelbedarf kon-tinuierliche Nebelkammern erwerben (z.B.[1]). Andererseits kann man mit etwas Ge-schick auch selbst eine anfertigen [2]. Bei-de basieren auf der Kühlung einer Metall-platte durch Peltier-Elemente und habenBeobachtungsfelder mit Durchmessern inder Größenordnung von 10 cm. Sie erlau-ben die dauerhafte Beobachtung von Kon-densationsspuren kosmischer Teilchenoder Teilchen aus schwach radioaktivenProben; für den Einsatz im Unterricht emp-fiehlt sich die Projektion mit einer kleinenKamera. Es sollte aber auch allen Lernen-den die direkte Einsicht in die Kammer ge-stattet werden. Selbst Lehramtsstudieren-de versammeln sich immer wieder um einelaufende Nebelkammer. Mit beiden Bau-formen gibt es sehr gute Erfahrungen undwir empfehlen (mittelfristig) die Anschaf-fung bzw. den Bau einer kleinen kontinu-ierlichen Nebelkammer für die Schule.

2.3 Trockeneis-NebelkammerIn vielen Schulen, auch international, wirdeine durch Trockeneis gekühlte Nebelkam-mer schon regelmäßig im Unterricht ge-baut (Abb. 1). In den Lehrerfortbildungenam CERN ist ein Besuch im S’Cool LAB zumBau dieser Nebelkammern fest eingeplant.Eine detaillierte Anleitung zum Selbstbaueiner solchen Nebelkammer ist online zufinden [3].

Da die Materialien leicht erhältlich sind,ist sie eine gute Alternativen zur deutlichteureren permanenten Nebelkammer. Mitdem Trockeneis wird ein Temperaturunter-schied zwischen Kammerboden und Alko-hol von ca. 100 K erzeugt. Dadurch wird dieLuft im Inneren der Kammer mit Alkoholübersättigt und ionisierende Strahlungwird durch Kondensationsstreifen sicht-bar. Aus den Formen der Streifen lassensich Rückschlüsse ziehen, um welcheStrahlung bzw. welches Teilchen es sichhandelt. Empfehlenswert ist es, bei derKlassifizierung auf die Eigenschaften derTeilchen einzugehen. Nebenbei lässt siesich gut im Unterricht einbetten um kos-mische Strahlung zu behandeln. Das Bau-en der Kammer ist bei Jung und Alt erfah-rungsgemäß ein Riesenspaß. Die Beschaf-fung von Trockeneis ist nach unserer Erfah-rung leichter als gedacht. Nicht nur geben

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