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Erich H~usser, Schilddriise, Nebenschilddriise, Hypophyse und Kauorgan !75 Aus der Universlt/itsklinik und Poliklinik fiir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten Hamburg (Direktor: Prof. I)r. Dr. K, Schnchardt) Schilddriise, Nebenschilddriise, Hypophyse und Kauorgan Yon Prof. Dr. Erich Hausser, Hamburg Mlt 7 Abbildungen Die vielf/iltige Bedeutung des EinfluBes des innersekretorischen Systems auf die allgemeinen/Wachstums- und Stoffwechselvorg/tnge k0nnte mit I-Iilfe neuer Forsehungsmethoden in vielen Einzelheiten geki//rt werden. Es bcstehen jedoeh noch zahlreiche Unk]arheiten fiber die Auswirkung des innersekretorischen Sy- stems auf das Kauorgan. Insbesondere erseheint der Anteil des innersekretorischen Svstems an der Entstehung yon Gebiganomalien in vielcr I-[insieht noch nicht hinreichend gekl/~rt. Auf einen Zusammenhang yon St6rungen der inneren Sekretion und der Ent- wieklm~g yon GebiganomMien weisen zwar zahlreiehe Beobaehtungen him die Entstehung bestimmter Gebigfehlbildungen abgesehen yon der Akromegalie, die erst im 3. Lebensjahrzehnt entsteht auf Grund innersekretoriseher Ein- fliisse konnte jedoeh bisher nieht eindeutig festgesSellt werden. Wenn es aueh in vielen F/~llen durehaus wahrseheinlieh sein mag, dab eine ursgchliche Beteiligung des innersekretorischen Systemslan der Entwicklung der Gebil]fehlbildung besteht. I)ie Sehwierigkeiten bei der K1/irung dieser Zusammenh/~nge sind augerordentlieh groB, da zwischen der Tgtigkeit der einzelnen Driisen des innersekretorisehela Systems korrelative, /~ul~erst komplizierte und hoehgradig differenzierte Zusam- menh//nge vorhanden sind, deren Bestimmung umfangreiehe endokrinologische Untersuchungen erfordern, und bei den engen Weehselbeziehungen der endokrinen Drfisen untereinander /iugerst selten reine Krankheitsbflder beobachtet werden k6nnen. Bei der Vielzahl der an der Entstehung ~,on GebiBanomalien beteili~en /itiologisehen Faktoren k6nnen sieh auch ohne auffallende oder naehweisbare innersekretorisehe St6rungen gleiche crier /~hntiche Gebil3fehlbildungen, wie sic urs~chlich auf den Einflu8 innersekretoriseher St6rungen zurtiekgefiihrt werden, entwiekeln./Die Bestimmung des Anteils einer St6rung des innersekretorischen Systems an der Entstehung yon Gebiganomalien erfordert somit bei der kom- plexen Bedingthei~ der Gebigfehlbildungen ein besonders sorgf/~ltiges Vorgehen und ein Abw/igen des Einflusses der versehiedenen '~tiologischen und genetischen Faktoren. Enge Beziehungen zwischen der Entwickhmg des Kauorgans und dem inner- sekretorischen System sind hinsichtlieh der Sehilddrfise schon lange bekannt. Die Inkrete Thyroxin und Trijodth~'onin s~euern vorwiegend die t~eifungs-, Wachs- rums- und Umbauprozesse. Bei einer I-Iyperthyreose kommt es zum Morbus Basedow, w//hrend eine Hypothyreose zu Myx6dem und Kretinismus ffihrt. Cha- rakteristische Kennzeichen ffir eine Dysfunktion der Schilddriise sind fin Kauorgan der Zatmdurehbrueh und der .weehsel, bei einer Hyperthyreose eine Besehleuni- gung und bei einer Hypothyreose eine Verz6gerung. Biedl konnte allerdings bei seinen F'&llen feststellen, daft aueh bei Hyper~hyreosen die Z//hne ein rasehes und regelm//Biges Waehstum zeigten und sieh ein regelm/~13iges Gebi8 mit kr/~ftigen Ziihnen bildete. Bei einer Unterfunktion der Sehilddriise fand Kra n z (sehon 1910)

Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Hypophyse und Kauorgan

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Page 1: Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Hypophyse und Kauorgan

Erich H~usser, Schilddriise, Nebenschilddriise, Hypophyse und Kauorgan !75

Aus der Universlt/itsklinik und Poliklinik fiir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten Hamburg (Direktor: Prof. I)r. Dr. K, Schnchardt)

Schilddriise, Nebenschilddriise, Hypophyse und Kauorgan Yon Prof. Dr. Erich Hausser, Hamburg

Mlt 7 Abbildungen

Die vielf/iltige Bedeutung des EinfluBes des innersekretorischen Systems auf die allgemeinen/Wachstums- und Stoffwechselvorg/tnge k0nnte mit I-Iilfe neuer Forsehungsmethoden in vielen Einzelheiten geki//rt werden. Es bcstehen jedoeh noch zahlreiche Unk]arheiten fiber die Auswirkung des innersekretorischen Sy- stems auf das Kauorgan. Insbesondere erseheint der Anteil des innersekretorischen Svstems an der Entstehung yon Gebiganomalien in vielcr I-[insieht noch nicht hinreichend gekl/~rt.

Auf einen Zusammenhang yon St6rungen der inneren Sekretion und der Ent- wieklm~g yon GebiganomMien weisen zwar zahlreiehe Beobaehtungen him die Entstehung bestimmter Gebigfehlbildungen abgesehen yon der Akromegalie, die erst im 3. Lebensjahrzehnt entsteht auf Grund innersekretoriseher Ein- fliisse konnte jedoeh bisher nieht eindeutig festgesSellt werden. Wenn es aueh in vielen F/~llen durehaus wahrseheinlieh sein mag, dab eine ursgchliche Beteiligung des innersekretorischen Systemslan der Entwicklung der Gebil]fehlbildung besteht. I)ie Sehwierigkeiten bei der K1/irung dieser Zusammenh/~nge sind augerordentlieh groB, da zwischen der Tgtigkeit der einzelnen Driisen des innersekretorisehela Systems korrelative, /~ul~erst komplizierte und hoehgradig differenzierte Zusam- menh//nge vorhanden sind, deren Best immung umfangreiehe endokrinologische Untersuchungen erfordern, und bei den engen Weehselbeziehungen der endokrinen Drfisen untereinander /iugerst selten reine Krankheitsbflder beobachtet werden k6nnen. Bei der Vielzahl der an der Entstehung ~,on GebiBanomalien bete i l i~en /itiologisehen Faktoren k6nnen sieh auch ohne auffallende oder naehweisbare innersekretorisehe St6rungen gleiche crier /~hntiche Gebil3fehlbildungen, wie sic urs~chlich auf den Einflu8 innersekretoriseher St6rungen zurtiekgefiihrt werden, entwiekeln./Die Bestimmung des Anteils einer St6rung des innersekretorischen Systems an der Entstehung yon Gebiganomalien erfordert somit bei der kom- plexen Bedingthei~ der Gebigfehlbildungen ein besonders sorgf/~ltiges Vorgehen und ein Abw/igen des Einflusses der versehiedenen '~tiologischen und genetischen Faktoren.

Enge Beziehungen zwischen der Entwickhmg des Kauorgans und dem inner- sekretorischen System sind hinsichtlieh der Sehilddrfise schon lange bekannt . Die Inkrete Thyroxin und Tri jodth~'onin s~euern vorwiegend die t~eifungs-, Wachs- rums- und Umbauprozesse. Bei einer I-Iyperthyreose kommt es zum Morbus Basedow, w//hrend eine Hypothyreose zu Myx6dem und Kretinismus ffihrt. Cha- rakteristische Kennzeichen ffir eine Dysfunktion der Schilddriise sind fin Kauorgan der Zatmdurehbrueh und der .weehsel, bei einer Hyperthyreose eine Besehleuni- gung und bei einer Hypothyreose eine Verz6gerung. B i e d l konnte allerdings bei seinen F'&llen feststellen, daft aueh bei Hyper~hyreosen die Z//hne ein rasehes und regelm//Biges Waehstum zeigten und sieh ein regelm/~13iges Gebi8 mit kr/~ftigen Ziihnen bildete. Bei einer Unterfunktion der Sehilddriise fand K r a n z (sehon 1910)

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ein geh~uftes Auftreten yon Gebil~anomalien, eine verz6gerte Dentit ion und eine aul~erordentlich starke Kariesanf~lligkeit. ~'~h" eine mangelha~te Entwieklung der Z~hne ergaben jedoch die Untersuchungen yon K r a n z keblen Anhaltspunkt, w/ihrend B i e d l sie immerhin fiir mSglich h~lt. Weder K r a n z noch andere Unter- sueher (Downs , K o r k h a u s , S a l z m a n n , S c h o u r ) fanden hinreichende Beweise fiir die En~stehung best immter Fehlbfldungen im Kauorgan infolge einer Schild- driisenerkrankung, das Gebil] zeigte freilieh im allgemeinen eine dem Grad der Erkramkung entsprechende EntwicklungsverzSgertmg. Diese Stenerung der En t - wicklung kommt auch in einer Diskrepanz yon Lebel~salter, Zahnalter und Knochenalter deutlich zum Ausdruck.

Einen wesentlichei~ Einfiu8 auf die Bildung tier Zahnhartsubstanzen und die Verkalkung des Knoehens haben die Nebenschilddr[isen. Das yon den Epi~hel- kSrperohen produzierte Para thormon reguliert den Kalzium- uud Phosphor- stoffwechsel. Bei einer Unterfunktion entsteht eine SeIlkung des Blutkalzium- spiegels und bei einer (Jberfunktion kommt es zu einer vermehrten Ausseh/it tung yon Kalzinm und Phosphor im Harm Die Senkung des Blutkalziumspiegels f i ihrt zu VerkalkungsstSrungen. die sich an den Z/~hnen als Hypoplasien ( S c h o n r ) zeigen. Nach den grundiegenden Untersuehnngen yon E r d m a n n und T o y o - f u k u hs F 1 e is e h m a n n die Entstehung yon S chmelzhypoplasien fiir eine Folge friihkindlicher parathyreopriver Tetanie, die in ihrem Erscheinungsbfld tier in der tteilungsphase der Rachitis zu beobachtenden Spasmophylie ~hnlich ist. So ist auch fiir die Rachitis im gewissen Sinne eine Beeinflussung dureh eine Unterfunk- t ion der EpithelkSrperchen anzunehmen, worauf K o r k h a u s und A. M. S c h w a r z hinweisen. Schmelz- und Dentinbfldung werden dagegen yon eiher (]berfunktion der Epithelk6rperchen ebensowenig beeinfluBt, wie die Nebenschilddriisen an- scheinend aueh keinen EinfluB auf Zahnwachstum und -durohbruch haben.

Die zentrale Umschalt- und Regulationsstelle fiir das ganze endokrine System stellt zweifellos die Hypophyse dar. I m Hypophysenvorderlappen entstehen alas somatotrope Hormon. das nach seiner Wir l~ng als Wachstumshormon bezeichne~ wird, und glandotrope Hormone, yon dene~ thyreotrope, adenocorticotrope und gonadotrope Hormone entsprechend der dureh sie beeinflul~ten Driisen, die wie- derum dm'ch ihre eigenen Hormone deren Wirkung hemmen kSnnen, bisher be- kannt sind. Eine 1]berproduktion des Wachstumshormons vet AbschluB der Ent- wieklung 15st einen allgemeinen l~iesenwuebs aus, naeh Abschlul~ der kSrperlichen Entwieklung ftihrt sie zu einem iibermi~Bigen Wachstum der Akren und damit zu dem Krankheitsbfld der Akromegalie, bei dem es aueh zu einer progenen Front- zahnokklusion kommen kann. Diese Art der Progenie hab jedoeh naeh den Ans- ~iihrungen yon K o r k h a l / s keinen Zusammenhang mit dem kieferorthop~idisehen Krankheitsbild Progenie, dessen Entwicklung eindeutig,,.auf endogene, im Keim- plasma verankerte erbliche Einfliisse zuriiekzuliihren ist.i S e h o u r and S a 1 z m a n a be riehten al]erdings, dal~ bei einer Uberfunktion yon Waehstumshormon im ju: gendliehen Alter nieht nur eine Besehleunigung des Zahndurchbruehs, sondern aueh ein iiberm/~l~iges Waehstum de~ Alveolarfortsatzes, sowie eine VergrS{~6rung der Kiefer, besonders des Unterkiefers and der Zunge zu finden sein. Diese Ver- ~nderung der GrSBenverh~ltnisse fiiifi:t S c h o u r auf eine hypophysi~r gesteuerte verst/~rkte enehondra]e Knochenbildnng zuriiek, in derenFolge eine Liiekenstellung der Z/~hne, deren GrSBe unbeeinfluBt blefbt, entstehen sell.

Charakteristisch ffir eine hypophys~re Unterfunktion ist der hypophys'~re Zwergwuehs mit einem allgemeinen Wachstums- und Entwieklungsriickstand. Der Durehbrueh der Milehz~hne und der Zahnweehsel erfolgen verz6ger~, und

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Erich Hausser, Sehflddrfise, ~ebenschilddriise. ttypophyse und Kauorgan 177

auch die Wurzelbildung kann nach S c h o u r . s t a r k gehemmt sein, indem kurze Wurzeln mit welt offenem Foramen apieale und weitr/~umige Pulpenr/;ume vor- handen sind. Nach den Beobachtungen yon A d l e r , die yon P e r a b o und P r a d e r best//tigt werden, liegt bei einer hypophys~ren Un~erfunktion das Zahnalter abet immer h6her als das Knochenalter und erf/~hrt die ZahngrSBe keiue Verminderung. Dagegen beriehtet S a lz m a n n bei einzeh~en F/~llen ~ueh yon einer Verminderung der Zahngr6Be. w/~hrend er bei anderen einen Engsvand durchsehnittlieh grofter Z//hne bei zu kleinen Kiefern fund. Naeh Hypophysektomie hat B a u m e bei l~atten eine ,,Arretierung" tier ZahngrSge beobaehtet. Die Gabe yon Wachstums- horm0n fiihrte zu einem beaehtliehen Waehstum der Z~hne und Kiefer. eine Be- einflussung des Zahndm'chbruches war jedoch nicht festzustellen. Die Verz6gerung des Zahndurchbruehs erkt/~rt A d l e r auch als eiae Folge des gehemmten Knochen- wachstums und somit nut als eine indirekte Auswirkung einer hypophys/~ren Unterfunktion.

Einen kausalgenetisehen Zusammenhang einer hypophys~ren Unterfunkt ion mit der Entstehung vo~ bestimmten Zahnsteltungsalmmalien hatten D o w n s , M a r k u s und S e h o u r nicht ftir erwiesen. Auck die yon L e o p o l d auf Grund tier Untersuchung einer groBen Zahl yon Kindern mit hypophys~ren St6rungen be- schriebene H/~ufigkeit yon Diastemen und deren Entstehung in Korrelatio~l mi t den endokrinen St6rungen hat bisher keine Best~tigung erfahren. Das ebenfalts von L e o p o l d beriehtete h~ufige Vorhandensein eines hohen Gaumens, dessert Entstehung im Zusammenhang mit St6rungen im innersekretorischeu System stehen sell, hat auch B o b e r bei seinen Untersuehungen einer groBen Zah] yon Lehrlingen und Schu]kindern festgestellt, er bezeichnet die Steilgaumentr~ger als eine ,,dm'eh dienzephalo-hyp0physs gesteuerte RegutationsstSrungen stig- matisier~e Personengruppe", da bei vielen in auffallender Weise allgemeine S tS- rungen, die als Auswirkungen einer ab~rtigen Funktion des innersekret~rischen Systems anzusehen sirld, vorhanden waren. Um die Auswirkung wahrseheinlich vererbter, endokriner StSrungen sell es sich nach Ansicht yon K o r k h a u s aueh bei. der Dysostosis eleidoeranialis handeln, bei tier kombinierg mit Schliisselbein- defekten ein abnormer Ablauf des Zahnweehseis und des -durehbruehs, multiple Zatmanlagen und Retentionen. eine mangelhafte Entwiekhmg des Sch~delskeletts und allgemeiner Zwergwuehs zu beobaehten sind.

Eine Disharmonie tier Gesiehtsziige deuten 1~. und A. M. S e h w a r z als eine Dyshormonie. 1~. S ehw a r z h~lt es aueh ftir wahrseheinlieh, dab Progaathie und Retrognathie yon dem Einflu8 der l:[ormone des Hypophysenvorderlappens auf das Waehstum im Gesichtssoh/~del abh~ngig sind. und A. ~ . S c h w a r z schlie/tt daruus aueh anf einen abwegigen Einfluft seitens des Hirnanhanges bei der Ent- stehung des giiekbisses.

Die Hypophyse sell gewissermagen die regelreehte Steueruug des Kieferwaohs- turns in diesen F/ilIen verloren haben. Die Auswirkungert sind nach Ansieht yon A. ~ . S c h w a r z jedoch nicht auf die Kieferentwieklung besehr/inkt: sondern aueh die allgemeine Entwiektung des Tr~gers tier GebiBfehlbildnng erf~hrt eine ent- sprechende StSrung. In /thnlicher Weise wie S e h o u r glaubt auch S a l z m a n n , dab bei einer hypophysKren Unterfunktion die Entwieklung nnd das Waehstum des Gesichtsseh~dels in sagittaler and vertikaler t~ichtung vermindert sind, er h/ill dadureh die Entsteh~ng einer Riicklage des Kinns, eines engen hohen Guu- mens und eines tiefen Bisses ffir mSglieh.

Es steht somit antler Zweifel. da/3 Sc.hilddrCise, Nebenschildch'~ise und Hypo- physe die Entwicldung der Zghne, tier Kiefer und des Gesichtsschgdels in vieler

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178 Fort.schrit%e der Kieferorthop~die Bd. 21 K. 2 (1960)

Hinsicht zu beeinflussen verm6gen. Es besteht jedoeh noch manche Unklarheit fiber die Art dieses Einflusses und seine Auswirkungen auf die Form des Kauorgans. Diese Fragen diirften nur anhand eines gro3en klinisehen Untersuchungsmaterials eine weitere K1/~rung erfahren k6nnen.

So konnte in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit der Kinderklinik des Universit/itskrankenhauses Eppendorf eine l%eihe yon Kindern mit eindeutig naehweisbaren endokrinen St6rungen einer eingehenden Un%ersuchung ihres Kau- organs und Sehs unterzogen werden. Die endokrinen Untersuehungen wurden yon der Universits mid dem radiologisehen Universit~ts- institut vorgenommen, yon denen die Befunde zur Verffigung gestellt warden1). Die Auswertung des zahn~rztlichen Untersuchungsmaterials erfolgte in Zusam- menarbeit mit D. L a e s e e k e , die sie aueh im Rahmen ihrer Dissertation 2) ver- wertete.

Die Untersuchung erstreckte sieh auf 17 Kinder im Alter yon 6 bis 19 Jahren0 bei 3 bestand eine Athyreose, bei 7 eine Hypothyreose und bei 7 Bin hypophyss Zwergwuchs. der bei 4 Fs yon einer sekund~ren Itypothyre0se begleitet wurde. Bei den F~llen mit hypophyss Zwergwuchs war die Krankheitsform unbeein- flul~t~ da keine entspreehende Hormontherapie m5glieh ist. w~hrend die thyreo- genen Krankheitsbilder bereits mehr oder weniger therapeutlsch beeinflul3t waren.

ttinsichr de r durch eindI)ifferenz yon Zahn-, Knoehen-and ehrono]ogisehem Alter ausgedrfckte~l Versehiedenheit der Skelett- und Zahnentwiekluug konnte festgestellt werden, :dali bei 12 F~llen das Zahnalter zwisehen Lebensa]ter und I<nochenalter lag. Bei 4 Fs hat sich die Therapie bereits ffrdernd auf die Knoehenentwiekhmg, die vor der Behandlung hinter der Zahnentwicklung zurfiek- tag, ausgewirkt. Nur bei 1 Fall yon hypophyss Zwergwuchs mit sekunds Hypothyreose war ohne Therapiebeeinflussung die Knochenentwieldung der Zahnentwicklung 3 Monate voraus. Es konnte also ~llgemein eine Verzfgerung yon Knochen: und Zahnentwicklung festgestellt werden, es ist jedoeh die Knoehen- entwieklung im a]lgemeinen sts beeinfiutlt als die Zahnentwicklung, ohne dab jedoeh ein bestimmtes Verh~ltnis der Entwicklungsverz6gerungen zu er- mitteln ist.

Interessanter, weise konnte auch Gom b e r t Zl bei einer Untersuchung des Ver- hs yon chronologischem Alter, Zahnalter and Knoehenalter bei 200 Sehul- kindern ohne naehweisbare endokrine Stfrungen feststellen, dal~ nur bei etwa 7,5% eine Ubereinstimmung besteht. Das Knochenalter lag bei zwei Drittel aller Fitl]e unter dem Lebensalter und bei etwas fiber die Hs aller F~lle lag das Knochenalter auch unter dem Zahnalter, das jedoeh bei et~a 45% fiber dem chronologischen Alter lag.

Die Durchtrittsfolge der Zs zeigte, abgesehen yon 2 Fs mit auch sonst zu beobachtenden unbedeutenden Abweichungen nut bei einem 19 Jahre alten Patienten mit bypophyss Zwergwuehs und sekund~rer Hypothyreose eine beachtenswerte Unregelm~[~igkeit (Abb, 1, 2). Die zweiten ~olaren und tier reehte untere Prs und Eckzahn sind erst im Durchbrueh0 w~hrend im Oberkiefer beide Eekz~hne and der linke erste Premolar noch nicht durchbreehen. Der zwelte linke obere Premolar ist nicht angelegt, Die Zubment~deklung entspricht somit einem l l ~ his 121/~j/~hrigen.

1) Herrn Prof. Dr. yon H~rnack und den Herren Priv.-Doz. Dr. Bierich und Dr. Horst sel aueh an dieser Stelle fiir ihre liebe~swiirdige Unterstiitzung und L~berlassung ihrer Un~er- suehungsbefunde besonders gedank~.

2} Med. ])issertation, Hamburg 1958

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Erich Hausser, Schikldriise, ~ebenschflddriise, ttypophyse und Kauorgan i79

Die Untersuchung d6r Kiefer-Gesichts-Sch~delbeziehungen ergab, da~ der Sphenoidalwinkel nur bei 2 hypophys~ren Zwergen mit 1220 bzw. 1250 als ext rem klein anzusehen ist: Bef allen anderen F/~llen liegt seine GrSl3e innerhalb der be- kannten Variationsbreite.

Bei 15 F~llen konnte ein Gelenkhochstand festgestellt werden, ohne da$ ein signifikanter Unterschied zwischen dem h)Tophysgren Zwergwuchs und den Hyp0thyreosen vorhanden wi~re. Bei beiden Krankheitsbildern war eirlmal ein Gelenktiefstand vorhanden.

Das Verh~ltnis Von 0berkieferbasis zur Sch~delbasis zeigte bei den Hypothy- re0sen 7mal eine Retroinklination und 3mal eine geringgrddige Anteinklination, wgihrend bei d e n hypophys~iren Zwergen 4mal eine Ante- mad: 2mal eine Retro- inklination, die allerdings durch eine gegens~tzliche Position in ihrer Wirkung auf- gehoben werden, ~estzuste]len war,

Abb, 1 Abb. 2

Abb. 1 und .2. Gebil~beflmd eines 19 J a h r e a l ten P a t i e n t e n m i t hypophys~irera Zwergwuchs r a i t wahrscheinl ich t hy reogenem Einflu/~

Die GrSfte des Unterkieferwinkels iibersteigt weiterhin bei 11 F~llen mit Werten bis zu 148 s die obere Grenze des Durchschnittswertes, nur bei 3 Fi~llen entsprach sie in etwa dem Mittelwert, bei 3 anderen F~llen lag sie an der oberen Normgrenze.

Aus dem Vergleich der Gr6f~e der Ober- und Unterkieferbasis und der Ls des aufsteigenden Astes ergab sich, daf~ das harmonisehe Verh/~ltnis der Strecken zueinander bei den meisten F/~llen dureh eine zu kleine Unterkieferbasis gest6rt ist. Nur bei 2 F~llen mit Hypothyreose war eine im Verhi~ltnis zum aufsteigenden Ast allerdings nur wenig grS~ere Unterkieferbasis festzustelten.

Diese Besonderheiten im Aufbau des Gesichtsschadels bedingen bei 10 :F~llen eine Riieklage des Unterkiefers im Sinne eines Riickgesichtes, die bei 5 F~llen besonders stark ausgepr/~gt in Erscheinung tri t t . Diese l~iicklage des Unterkie- fers konnte h~ufiger (bei 7 yon 10 F~llen) bei der Hypothyreose als bei den hypo- phys~ren Zwergen (einmal ausgepr/~gt, 2real geringgradig) festgestellt werden.

Die Gr61~e der Z~hne erseheint bei den Hypothyreosen im Gegensatz zu den hypophyss Zwergen nieht vermindert. SO s nur bei einem Fall eine besonders kleine S I yon 29 mm vorhanden, fiir die ein Zusammenhang mit der endokrinen StSrung jedoeh nieht wahrseheinlich ist, da sie bei dem erkrankten Par tner eines eineiigen Zwillingspaares gefunden wnrde und der andere Partner ebenso kleine Z/ihne hat. In~ den anderen F~llen lag die S I bei 32 m m und h6her, in einem Fall betrug sie 36 ram. Trotz dieser grol~en Z~hne ist bei dem 8~/_~ J~hre alten Jungen mit einer hinsiehtlich der Knochen- und Zahnentwieklung gut ausgeglichenen

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180 For~sohritte der Kieferorghop/idie Bd. 2L Hi 2 (1960)

Athyreose nur ein geringgradiger frontaler Engstand bei einer bemerkenswert guten Entwicklung der Kiefer vorhanden.

Dagegen ist bei einem 8.~ J ahre alten Jungen mit einer therapeutisoh nieht ausreiehend kompensierten Athyreose, dessen Knoohenentwicklung einen Riick- stand Yon 2 Jabx'en aufweis~, ein Migverh/~ltnis zwisohen der KiefergrSge und der Zahngr6ge (SI 34,5 ram) vorhanden, in deren Folge sieh ein ausgeprggter fron- ta le r Engstand bildete. Insgesamt war bei 6 F/~lten ein frontaler Engstand und bei 2 weiteren nut ein solcher im Unterkiefer festzust, ellen.

Die Zatmgr6Be bei den hypophys/~ren Zwergen liegt mit einer S I zwisehen 27 und 32,5 mm und aueh einer entspreehenden Kleinheit der Seitenz~.hne im wesentliehen unter dem Durchschnittswer~. Bei 4 Patienten finden die kleinen

Abb. 3. l?ernrOntgelumfnahme einer 13j/ihrigen Patientin mit ttypo~hyreose 1lath Durchffihrung der kleferortho- p~dischen JBehandlung (Entfernung der 1. mltere~t ~Prgmo!aren bei i~{esiMokklusion im Molarenbereich)

Z/~hne auch ausreichend Platz zur Einstellungim'Zahnbogen. Bei 3 anderen Pa- tienten mit grSgeren Z/~hnen (SI 31 his 32,5 mfn)bes teh t 'dagegen ein gewisser Platzmangel.

Eine echte Diastemenbildung war bei keinem Fall mit hypophys/~rem Zwerg- wuehs festzustellen. Bei 3 Fgllen bestand zwar eine geringe Liickenbildung zwi- sehen den Frontz~thnen, diese Ltieken stehen abet in Zusammenhang mit Folgen vorzeitigem Milehzahnveriustes oder einer Protrusion der Schneidez/~hne. Bei den ttypoth3n'eosen bestand bei einem lla/t Jahre Mtem M/~dchen mit einem um 41/2 Jahre vermindertem Knoehenalter infolge ungeniigenden Ausgleiehs eine Liieken- bfldung yon 3 mm zwisehen den oberen mittleren Sehneidez/~hnen. Bei der diver- gierenden Aehsenriehtuhg der oberea mittleren Sehneidez/~hne, die vor kurzem erst dnrchgebroehen sind, ist jed0eh ndeh nicht zu entseheiden, ob es sich um ein eehtes Diastema oder nut Um eihe Liickenbildung im Zusammenhang mit dem Frontzahnweehsel handelt. Nine geringe Ltiekenbildung im Frontzahngebiet steht

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Erich tIausser, Schild(lr~ise, Nebensghilddriise, Itypoph:~se und Kauorg~n :[81

be i2 Weiteren F//llen eindeutig im Zusammenhang mit Folgen vorzeitigem 5Ii!ch. zahnverlustes.

Weiterhin war ein abnorm hoher Gaumen bei' keinem Fall zu finden. Die Okklusion und Bil3lage demonstriei'ten sieh bei den I-[ypothyreosen bei

5 Fgllen Ms neutral, bei 4 F'~llen als distal (?r Pb.), Bei einem ]~'M1 bestand eine MesiMokldnsion um eine ganze Zahnbreite. Die Hypothyreose dieses Patien- ten ist in k5rperlicher Hinsieht gut ausgegliehen, es f//llt jed0eh e i n erheblieher psychJscher 'Riickstand auf, wobei ein : angeblich erbliches Vorkommen yon Schwachsinn in der Familie wohl yon Einflul3 ist. An der Entstehung der Progenie diirfte, wie ~us der im Alter yon 5 Jahren erhobenen Anamnese hervoI:geht, ein atypisehes Lutsehen an der Zunge, die vor die oberen Frontz/ihne gepreBt warde, einen wesentliehen Anteil haben, worauf auch die starke Verktirzung des oberen

k b b . 4 Abb. 5

At)b, 6 Abb, 7

Abb. 4 bis 7. Gsbiflbefur~4 einer 10!L~j~ihrigen Pat ient in mi t hypophys~rem Zwergwuehs lind sekuad/~rer tt:ypo: thyreoso bei tmzureiehendem therapeutisehem Ausgleich vor ~nd naeh kieferorthopitdischel" :Behandhmg. tgeeh- dem eiae Naeheiltwickiuag des Oberkiefers auf ~niiberwindliche Sehwierigkeiten stieB, wurden d i e1 . oberen

und tmteren l~rAmolaren entfern~

Zahnbogens und das Fehlen eines mandibulgren Wachstumsvorsprungs trotz der mesialen Okklusion um eine ganze Zahnbreite hinweisen. Wie die Fernr6nt- genaufnahme nach Absch]uB der kieferorthopgdischen Behandlung zeigt (Abb. 3), konnte die progene Verzahnung aueh durch Mveols Umformungen (Nachent- wieklung des Oberkiefers und Entfernung der ersten unteren Pr/~molaren bei Belassung der mesialen' Okldusion im Molarengebiet) zum Ausgleieh gebraeht werden.

Bei den ~:~llen mit hypolohys/~rem Zwergwuchs ist die Biltlage 4mM neutral, 2mal distal (imal: um 3~ Pb.) und lmM mesiM um eine hMbe Prgmolarenbreite. gel diesem Patienten wurde im Alter yon 10 Jahren eine Mlgemeine Entwieklungs- hemmung um etwa 3 Jahre festgestellt. Die progene Verzahnung ist, wie auch an der erst sp/~ter hergestellten FernrSntgena.ufnahme zu sehen ist, zu einem groBen Tell dureh eine Unterentwieklung des Oberkiefers uud des oberen Zahnbogens

l~ortsch~it~e der Kieferorthoi~tdie Bd. 21 ]J:. 2 13

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182 Fortschrit~e der Kiefero~bhop~die Bd. 2I It. 2 (I960)

bel guy ausgebildetem Un~erkiefer bedhlgt. Eine ausreiehende Nachentwieklung des Oberkiefers dureh kieferorthop/fdische M~Bnahmen stieB auf gro{]e Schwierig- keiten, so d~g die Entfernung der ersten Pr/~mola.ren angezeigt crsehien. Eine N~ehuntersuehung dieses ~'alles im Alter yon 13 Jahren hat einen R iickstand der Nnoehenenfwieklung um 41/~ Jahre ergeben.

Aus diesen Befunden ergibt sich eine eindeutige Besg/i~igung fib" eine Beein- flussung des Knochenwachstums und des Zahndurchbruehes dutch t Iypophyse nnd Schildch'iise: Es finder anch die Annahme einer Steuerung der sagit~alen nnd vertikalen ]~ntwicklung des Oesichtsschgde]s eine Stiitze. Weiterhin is~ die Klein- heir der Zghne bei den Fgllen mit hypophys/irem Zwergwuchs auffallend. Die Befnnde verm6gen jedoeh keinen Hinweis auf die Entst, ehung best immter t~2oi- scher Zahnstellungs- nnd Bil3anomalien in Zusammenhang mit endokrinen StSrun- gen zu geben.

Wenn aueh be / einer Dysfml_ktion des endokrinen Systems die Ents tehnng pathognomiseher Gebil3anomMien nieht beobachtet werden kann und nur eine Tendenz zu GeMl3fehlbildungen gegeben zu sein scheint, darf jedoeh nicht der dominierende Einflug des innersekregorischen Systems auf alle Lebens- nnd Ent- wicklungsvorg/~nge und damit anch auf die Entwieklung yon Sehgdel und Kau- organ nnterseh/~tzt werden.

Xl~schrift d. Veri: : tIamburg 20, Le~hartzs~r, 9