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Schnittpunkt der Dimensionen

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Nr. 283

Schnittpunkt derDimensionen

Mit Ra dem Barbaren auf dem Planeten der Weltentore - eine Reise ohne Wiederkehr beginnt

von CLARK DARLTON

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft erbittert um seine bloße Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen.

Gegen diese inneren Feinde ist der Kristallprinz Atlan, der rechtmäßige Thronerbe von Arkon, mit seinen inzwischen rund 14.000 Helfern bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Seine geheime Zentrale, von der die meisten Aktionen gegen Orbana­schol ihren Anfang nehmen, ist Kraumon. Auch auf diesem abgelegenen Planeten ist inzwischen bekannt, daß Orbanaschols Position immer unhaltbarer wird. Daher rech­net sich Atlan längst eine reelle Chance aus, den Usurpator zu stürzen.

Die diesbezüglichen Bemühungen des Kristallprinzen sind jedoch bisher nicht von vollem Erfolg begleitet gewesen – auch seine Freunde und Helfer haben noch nichts Entscheidendes gegen Orbanaschol erreichen können. Einer von Atlans ältesten Ge­fährten sieht sich sogar veranlaßt, sich vom Kristallprinzen zu trennen.

Dieser Freund und Kampfgefährte ist Ra, der Barbar. Er durchlebt eine schwere psychische Krise, und er geht auf eine Reise ohne Wiederkehr – auf einen Flug zum SCHNITTPUNKT DER DIMENSIONEN …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Kristallprinz entläßt Ra aus seinen Diensten.Ra - Der Barbar macht sich auf die Suche nach seiner Heimat.Srinakor - Kommandant einer Expedition ohne Wiederkehr.Orotak - Das erste Opfer einer Dimensionsfalle.Der Alte, der Sucher und der Träger - Bewohner des Planeten der Weltentore.

1.

Ziemlich genau 312 000 000 Kilometer von seiner kleinen und namenlosen roten Sonne entfernt umkreiste der Planet Krau­mon das Muttergestirn, vom Weltraum aus gesehen, ein bedeutungsloser Himmelskör­per am Rand des galaktischen Zentrums. Und doch war dieser Wüstenplanet Atlans wichtigster Stützpunkt in seinem Kampf ge­gen Orbanaschol III. den Imperator des Großen Imperiums von Arkon und Mörder seines Vaters.

Hier auf Kraumon befand sich wohlge­tarnt und gut geschützt das Machtzentrum des Kristallprinzen, der den ihm zustehen­den Anspruch auf den Thron des Imperators noch nicht aufgegeben hatte. Nach seinem vergeblichen Versuch, über die Amnestie-KAYMUURTES unerkannt nach Arkon zu gelangen, war Atlan nach Kraumon zurück­gekehrt, wo seine Freunde ihn erwarteten.

Fartuloon und sein geheimnisvolles Schwert Skarg.

Eiskralle, der letzte Chretkor. Corpkor, der Tiermeister. Ra, der Barbar von einem unbekannten

Planeten. Morvoner Sprangk, der Kommandant des

Stützpunkts. Und viele tausend andere, die Atlan treu

ergeben waren und nur ein einziges Ziel kannten: zurück nach Arkon, als freie Arko­niden!

Auch an diesem Tag fand die übliche La­gebesprechung abends statt, und eigentlich war nur eine Tatsache etwas ungewöhnlich: Ra fehlte.

Zuerst achtete niemand darauf. Morvoner Sprangk hielt einen kurzen Vortrag und be­

richtete, daß der Sieger der Kampfspiele in­zwischen auf Arkon eingetroffen sei. Mehr sei nicht bekannt. Dann teilte er mit, daß es wieder Unruhen gegeben habe, in die angeb­lich auch die Vereinigung »Macht der Son­nen« verwickelt sei. Diese Nachricht löste einige Verwirrung aus, weil diese Organisa­tion sehr einflußreiche Mitglieder besaß, die als Freunde des Imperators galten. »Es tut mir leid«, schloß Sprangk, »daß ich euch keine weiteren Einzelheiten berichten kann, aber auch unser Kurier wußte nichts über die Zusammenhänge der Unruhen und deren Ausgang. Aber es sieht ganz so aus, als hätte das Machtgefüge Orbanaschols abermals einen harten Stoß erhalten. Lange hält es nicht mehr.«

»Keine voreiligen Schlüsse«, warnte Far­tuloon und versuchte, seine beachtliche Lei­besfülle unter den Tischrand zu schieben. »Es kann eine Falle sein. Es wäre nicht das erste Mal, daß uns der Geheimdienst eine Falschmeldung zuspielt.«

»Die Meldungen sind echt, Bauchauf­schneider«, widersprach der Kommandant von Kraumon. »Ich verbürge mich dafür. Aber du hast natürlich Recht, wir sollten uns nicht zu früh freuen. Wer weiß, was hinter den Unruhen steckt.«

»Ich setze schon Rost an«, meinte Corp­kor lakonisch und drückte damit aus, was ei­gentlich alle dachten. »Warum nutzen wir die Situation nicht aus? Hier werden wir alle dick und fett – wie Fartuloon.«

»Das sind Muskeln, Schlangenbändiger!« rief Fartuloon ihm zu.

Atlan, der sich bisher schweigsam verhal­ten hatte, griff in den beginnenden Streit der Freunde ein:

»Ich verstehe deine Ungeduld, Morvoner, aber Fartuloon hat recht, wenn er zur Beson­

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nenheit und Vorsicht mahnt. Orbanaschol weiß, daß sein Thron wackelt, und er greift zu jedem noch so hinterlistigen Mittel, um uns aus der sicheren Reserve zu locken. Ich schlage vor, wir warten weitere Informatio­nen durch unsere Spione und Kuriere ab, ehe wir uns entschließen.«

»Richtig!« gab Eiskralle ihm recht, der mal wieder so saß, daß er vor dem hinter ihm befindlichen Licht nahezu transparent gemacht wurde. Man konnte seine Körperor­gane deutlich erkennen. »Außerdem tun uns ein paar Tage Urlaub ganz gut.«

Atlan warf Morvoner Sprangk einen for­schenden Blick zu.

»So sehr hat Ra sich eigentlich noch nie verspätet. Wo steckt er denn?«

»Keine Ahnung. Ich habe ihn heute noch nicht gesehen.«

Fartuloon sagte ernst: »Ich wollte noch nicht darüber sprechen,

aber es sieht so aus, als müßten wir uns bald um unseren Freund kümmern.«

»Wie meinst du das?« fragte Atlan. »Ra hat sich in den letzten Wochen sehr

verändert. Du weißt, daß er mir vieles anver­traut, was er euch – und besonders dir, Atlan – niemals mitteilen würde. Gestern noch führte ich ein längeres Gespräch mit ihm, das mir Antworten auf viele Fragen gab. Es sind mehrere Faktoren, die hier zusammen­treffen und seine seelische Verfassung stark beeinflussen. Ra ist psychisch instabil ge­worden.«

Atlan zog die Augenbrauen in die Höhe. »Instabil? Bei seiner robusten Natur?« »Bei der Beurteilung eines Charakters

solltest du dich nicht von der äußeren Ge­stalt irreführen lassen«, warnte Fartuloon mit einem leisen Vorwurf. »Ra, der von ei­ner uns unbekannten Welt stammt, war ein Barbar, als wir ihn kennenlernten. Aber auch Lebewesen, die wir für primitiv und robust halten, haben eine Seele, und zwar oft eine empfindlichere als wir. Das trifft auf Ra voll und ganz zu.«

Atlan nickte.»Schön und gut, du magst recht haben,

CLARK DARLTON

aber was hat das damit zu tun, daß er heute nicht zur Besprechung erschien?«

»Das versuche ich gerade zu erklären. Ra fühlt sich seelisch krank. Es spielen mehrere Dinge zusammen, an erster Stelle seine un­glückliche Zuneigung zu Ischtar. Er ist fest davon überzeugt, daß du sie ihm weggenom­men hast, obwohl es, wie wir ja alle wissen, ihre eigene Entscheidung war. Er kann sie, seine Goldene Göttin, nie vergessen. Auch dann nicht, wenn sie tot ist. Aber sie ist nicht tot, und für ihn würde sie niemals tot sein. Er ist davon überzeugt, daß es nur einen Ort im Universum gibt, wo er sie wie­derfindet und wo sie ihn liebt, so wie sie ihn einst dort liebte.«

Atlan starrte Fartuloon fast erschrocken an.

»Du meinst doch nicht etwa …?« »Doch! Der unbekannte Planet, der so

grün und so blau wie ein Juwel sein soll! Die Heimatwelt Ras. Dort will er sie wieder­finden, sagte er mir. Er hat Heimweh nach dieser Welt, und er ist – verzeih meine Of­fenheit – für unsere Aufgabe nicht mehr ge­eignet.«

»Übertreibe nicht!« warf Morvoner Sprangk ein. »Er wird seine Depression schon überwinden.«

»Das glaube ich nicht«, meinte Corpkor. Eiskralle nickte nur. Atlan biß sich auf die

Lippen. Fartuloons Enthüllung war so abrupt erfolgt, daß er ihre volle Bedeutung nicht so­fort erfassen konnte – oder wollte. Der hyp­nogeschulte Barbar hatte in schon mehr als nur einer Krise gesteckt und sie immer wie­der erfolgreich überwunden. Aber was Far­tuloon jetzt sagte, klang in der Tat recht ernst.

»Ich werde mit ihm sprechen«, sagte er. »Vielleicht kann ich ihn aufrütteln. Außer­dem habe ich ihm einmal versprochen, sei­nen Heimatplaneten zu suchen, sobald mit Arkon alles wieder in Ordnung ist. Wir ha­ben seine Koordinaten nicht, sondern ken­nen nur die ungefähre Richtung. Es muß sich um eine gelbe Normalsonne handeln, die am Ende eines Spiralarms steht. Ziem­

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lich sternenarme Zone, wenn ich an Ras Schilderung des Nachthimmels denke, die er mir einmal gab.«

»Wenn es hilft, versprich es ihm auch weiter«, riet Fartuloon trocken. »Aber ich bin überzeugt, wir werden seine Welt nie­mals finden. Wir haben zu wenig Daten.«

Atlan nickte resigniert. »Ich fürchte, du hast Recht, aber das muß

Ra nicht unbedingt wissen. Die Hoffnung hat schon vielen Verzweifelten geholfen. Nur wiederstrebt es mir, ihn bewußt zu belü­gen. Auch glaube ich, daß die Positronik des Observatoriums weiterhelfen kann. Noch ein paar Fakten, und wir erhalten sogar die un­gefähren Koordinaten des Systems.«

»Mit Werten von Plus oder Minus tausend Lichtjahren«, prophezeite Fartuloon pessi­mistisch. »Da kann er aber lange suchen.«

Atlan stand auf. »Na schön, das wär's für heute. Wir sehen

uns morgen. Ich suche Ra jetzt auf.«

*

Ra war nicht in seinem Quartier. Befremdet stellte Atlan Nachforschungen

an und erfuhr zu seiner Überraschung, daß Ra schon seit einigen Tagen nicht mehr im Stützpunkt selbst wohnte, sondern sich am Rand des Tales in einer verlassenen Hütte niedergelassen hatte, die früher einmal Hir­ten als Unterkunft gedient hatte. Man mußte etwa zehn Minuten gehen, um sie zu errei­chen.

Atlan verzichtete auf den Gleiter. Etwas Bewegung würde ihm gut tun. Er kannte die Hütte, die so gar nicht zu den Bauwerken des modern eingerichteten Stützpunkts paß­te. War das der Grund, warum sich Ra dort­hin zurückgezogen hatte?

Während er ging, sah er in den Himmel von Kraumon. Obwohl es gerade erst zu dämmern begonnen hatte, standen schon mehr als hundert helle Sterne am Himmel, bald würden es ein paar tausend sein. Das Zentrum der Galaxis war nicht weit. Ras Heimatplanet mußte demnach ungefähr drei­

ßigtausend Lichtjahre entfernt sein, irgend-wo in den unerforschten Randzonen der Milchstraße.

Er sah die Hütte vor sich auftauchen. Aus dem einzigen Fenster fiel Licht. Dagegen hob sich ein dunkler Schatten ab, der hin und her wanderte.

Atlan klopfte an die hölzerne Tür. Drin­nen verstummten die Schritte.

»Wer ist da?« kam die rauhe Stimme Ras. »Ich bin's, Atlan. Kann ich reinkommen?« Eine Weile war es ruhig, dann ging die

Tür auf. Ra stand im Licht der Kerze und sah den unerwarteten Besucher nicht gerade freundlich an.

»Was willst du, Atlan? Ich glaubte, weit genug vom Stützpunkt entfernt zu sein, um meine Ruhe zu haben. Ich muß nachden­ken.«

»Das ist kein Grund, der täglichen Be­sprechung fernzubleiben«, sagte Atlan mit leisem Vorwurf und trat an Ra vorbei in die Hütte. Er sah einen Stuhl und ein Bett. Die Kerze stand auf dem Tisch. Das war die ganze Einrichtung. »Darf ich mich setzen?«

»Nimm den Stuhl«, riet Ra und ließ sich auf dem Bett nieder. Er sah Atlan fragend an. »Was verschafft mit also die Ehre deines Besuchs?«

»Ich habe mich mit Fartuloon unterhal­ten«, begann Atlan zögernd und wich dem forschenden Blick seines Gegenübers aus. »Er meint, du hättest Sorgen. Willst du mit mir darüber sprechen?«

Ra lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, so daß er quer auf dem Bett lag. Sei­ne Augen funkelten für eine Sekunde amü­siert auf, aber dann bekamen sie wieder den schwermütigen Ausdruck, der Atlan schon bei der knappen Begrüßung aufgefallen war.

»Sorgen? Wie man's nimmt. Aber du wirst der letzte sein, der mir helfen könnte.«

»Sag das nicht, Ra. Schließlich sind wir Freunde – oder nicht?«

»Doch, doch!« protestierte Ra, ohne daß sein Blick freundlicher wurde. »Aber du weißt genau, was zwischen uns steht.«

»Ischtar, ich weiß. Doch es geht nicht al­

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lein um sie, Ra. Du hast Sehnsucht nach dei­ner Heimatwelt, nach deinem Stamm, den du verlassen hast, nach den dichten Urwäl­dern und wilden Flüssen – vielleicht sogar nach deiner Holzkeule, mit der du die Jagd­beute erschlugst. Habe ich recht?«

»Meine Heimat …«, sann Ra vor sich hin. »Ja, ich habe Sehnsucht nach meinem Plane­ten, und ich hoffe, daß er niemals von den Arkoniden entdeckt wird. Mein Volk kennt keine Zivilisation – noch nicht. Es wird sich von allein entwickeln und seinen Weg ge­hen, es braucht keine fremde Hilfe. Das ist der einzige Grund, warum ich dich nicht bit­te, mich dorthin zu bringen.«

»Du möchtest zu deiner Welt zurückkeh­ren?«

»Es ist mein sehnlichster Wunsch, Atlan. Aber vielleicht …«

Er verstummte jäh, als hätte er es sich an­ders überlegt.

»Vielleicht – was?« Ra schüttelte den Kopf. »Es ist nur ein verrückter Gedanke, gebo­

ren aus meinen heimlichen Wünschen, die ich dir nicht anvertrauen darf, ohne die kaum vernarbte Wunde wieder aufzurei­ßen.«

Atlan nickte. »Ich verstehe. Ischtar! Du hoffst, sie wird

wieder zu deinem Barbarenplaneten kom­men. Sprich es ruhig aus, mein Freund, ich kann dich gut verstehen. Wahrscheinlich würde ich an deiner Stelle ebenso denken.«

»Könntest du das wirklich?« vergewisser­te sich Ra hoffnungsvoll.

»Natürlich. Aber was immer wir auch be­schließen, wenn diese Unterredung beendet ist, mein Freund, du mußt mir versprechen, daß sich der Vorfall, von dem mir Fartuloon berichtete, nie mehr wiederholt. Kannst du mir das Versprechen geben?«

Ra starrte ihn an. »Fartuloon hat es dir er­zählt?«

»Ja! Er suchte dich in deinem Quartier auf und kam gerade rechtzeitig. Du wolltest dich mit deinem Handstrahler töten. Du hast ihm dein Wort gegeben, es nie wieder zu versu-

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chen. Bleibt es dabei?« Ra nickte verstört. »Ich hätte in den letzten beiden Tagen ge­

nug Gelegenheit dazu gehabt. Aber ich habe es nicht getan. Es muß einen anderen Aus­weg geben.« Er sah Atlan offen in die Au­gen. »Weißt du einen?«

»Sonst wäre ich nicht hier, Ra. Ich habe dir einen Vorschlag zu machen. Ich hätte ihn dir ohnehin gemacht, wenn Orbanaschol endlich bestraft sein wird, aber mir scheint, so lange kannst du nicht mehr warten. Deine eigenen Sorgen sind zu groß, als daß du auch noch die meinen teilen könntest. Ich entbinde dich von deinem Schwur, der dich an unsere Gemeinschaft fesselt. Du bist frei.« Ra wehrte ab.

»Nein, Atlan, das klingt verbittert und nicht nach Freundschaft. Ich weiß, was ich dir alles zu verdanken habe. Entbinde mich nicht von dem Schwur, aber gib mir Urlaub. Gib mir ein Schiff, damit ich versuchen kann, jenen unbekannten Planeten wiederzu­finden, der meine Heimat ist. Vielleicht keh­re ich zu dir zurück, wenn ich erkennen muß, daß mir mein Volk fremd geworden ist. Und wenn nicht …«

»Du bekommst ein Schiff und erfahrene Männer dazu. Ihr werdet ins Ungewisse flie­gen, denn niemand kennt die Koordinaten deiner Heimatwelt. Ihr werdet nur wenige Anhaltspunkte haben: die ungefähre Rich­tung und Entfernung – und die Konstellatio­nen, an die du dich vielleicht erinnerst.«

»Ich würde sie wiedererkennen. Es waren Bilder, die ich nie vergessen kann.«

Atlan lächelte, stand auf und klopfte Ra auf die Schulter.

»Das Schiff ist in zwei Tagen startbereit, und ich hielte es für besser, wenn du dich um das Schiff kümmerst und Abschied von deinen Freunden nimmst. Wir möchten dich noch zwei Tage unter uns wissen.«

Ra nickte. »Du hast Recht, ich werde mit dir kom­

men. Gehen wir.«

*

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Es war Atlan nicht verborgen geblieben, daß viele Raumfahrer auf Kraumon die Un­tätigkeit mißbehagte. An sie dachte er, als er sich überlegte, welche Besatzung er Ra mit­geben sollte.

Vor einigen Wochen hatte Dermitron ein arkonidisches Schiff erobert und nach Krau­mon gebracht, den zweihundert Meter durchmessenden Kugelraumer HAGAAR. Ein gutes Schiff, dessen Schäden ausgebes­sert worden waren. Startbereit, aber noch ohne Mannschaft stand es im Hangar unter der Oberfläche von Kraumon.

Ab morgen sollte die HAGAAR Ra gehö­ren.

Ra … Wahrscheinlich würde er seinen Heimat­

planeten niemals wiederfinden, dazu gab es viel zu viel Sterne. Schon damals mußte es ein Zufall gewesen sein, daß der Prospektor Darmigon die unbekannte gelbe Sonne und ihre Planeten entdeckte – und Ra mitnahm.

Solche Zufälle wiederholten sich nicht. Aber im Grunde genommen ging es Atlan

nicht so sehr darum, daß Ra seine Heimat wiederfand. In erster Linie sollte Ra seine Depression überwinden. Die Hoffnung war ein gutes Heilmittel. Zwar rechnete er nicht damit, ihn jemals wiederzusehen, aber das war nicht so wichtig wie die Gesundung des bewährten Freundes.

Endlich schlief Atlan ein, und als er am anderen Morgen erwachte, ging er die Liste der im Augenblick nicht aktiven Raumfahrer durch und stieß dabei auf einen Namen, der abenteuerliche Erinnerungen in ihm weckte.

Srinakor! Auf der Flucht vor einem arkonidischen

Flottenverband war Atlan vor einigen Jahren in eine sternenarme Zone fast zehntausend Lichtjahre von Arkon entfernt geraten. Meh­rere Blindtransitionen hatten sein Schiff ent­kommen lassen. Alle Spuren waren ver­wischt, aber eine Reparatur zwang Atlan, ein System anzufliegen und auf einem Planeten zu landen.

Der Planet war unbewohnt und nicht auf den Karten verzeichnet, kein Wunder, denn

er bestand nur aus Wüste und Felsgebirgen. Aber ganz so unbewohnt, wie er zu sein

schien, war er dann doch nicht gewesen. In einem Augenblick, in dem niemand daran dachte, erfolgte der Überfall durch eine Gruppe von Schmugglern und Piraten, die sich hierher zurückgezogen hatten. Es ge­lang ihnen, Atlan und einige Offiziere seines Schiffes in ihre Gewalt zu bringen.

Die Piraten wollten das Schiff. Im Verlauf der langwierigen Verhandlun­

gen voller Mißverständnisse stellte es sich allmählich heraus, daß die meisten der Ar­koniden, die sich auf die unbekannte Welt zurückgezogen hatten, aus politischen Moti­ven aus dem Großen Imperium geflohen wa­ren. Um überleben zu können, mußten sie il-legale Geschäfte betreiben.

Nun konnte Atlan mit offenen Karten spielen. Er lüftete das Geheimnis seiner Per­son.

Unter großem Jubel wurden er und seine Offiziere freigelassen. Atlan bot ihnen an, mit nach Kraumon zu kommen, um von dort aus mit besseren Mitteln den Kampf gegen den Diktator fortzusetzen; ein Vorschlag, der mit großer Begeisterung angenommen wurde. Und so geschah es, daß zwei Wo­chen später eine Flotte von vier Schiffen auf Kraumon landete.

Srinakor! Ja, er würde der richtige Mann sein, Kom­

mandant der HAGAAR zu werden. Die Un­tätigkeit auf Kraumon behagte ihm nicht, ihn lockten die Sterne und das Abenteuer.

Atlan aktivierte die Sprechanlage auf sei­nem Schreibtisch. Eine Zentrale meldete sich.

»Rufen Sie Srinakor aus. Bitten Sie ihn, sich bei mir im Büro zu melden.«

»Wird gemacht, Sir.«

*

Srinakor beaufsichtige mit einigen seiner alten Freunde einen Kommandotrupp von Arbeitsrobotern verschiedener Typen. Eini­ge führten kleinere Reparaturen und Über­

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holungsarbeiten aus, andere waren damit be­schäftigt, die Hüllen der im unterirdischen Hangar stehenden Schiffe auf Hochglanz zu bringen.

Ein älterer Arkonide in Bordkombination näherte sich Srinakor, der mit dem Rücken gegen eine Proviantkiste lehnte.

»Feine Beschäftigung für Rentner wie uns«, knurrte er unzufrieden. »Möchte wis­sen, wann es nun endlich losgeht.«

Srinakor gab über das Kommando-Steuer­gerät dem Robot Nr. 78 den Auftrag, die Ge­lenkbefestigung der Landbeine eines Schif­fes zu kontrollieren. Dann erst antwortete er:

»Ich auch, Logor, alter Haudegen. Aber vielleicht kommt das schneller, als du an­nimmst. Immer wieder werden Einsätze ge­startet, und einmal werden auch wir dabei sein.«

Der Aufruf über den Lautsprecher unter­brach die Unterhaltung.

Srinakor sah Logor verblüfft an. »Ich soll zu Atlan kommen?« Er grinste.

»Vielleicht war mein Ausspruch eben doch nicht so utopisch, mein Freund. Warum soll­te Atlan mich sprechen wollen?« Er klopfte Logor kräftig auf die Schultern. »Paß auf die Roboter auf, ich bin sicher bald zurück.«

Er eilte davon. Logor sah ihm mit gerun­zelter Stirn nach.

Srinakor nahm den Lift und dann einen der kleinen Elektrowagen, um möglichst schnell das Hauptgebäude im Tal zu errei­chen, in dem sich die Verwaltung befand. Die Robotsicherung war bereits informiert und ließ ihn durch, nachdem sie ihn positro­nisch abgetastet hatte.

Als sich die Tür hinter ihm schloß, war Srinakor mit Atlan allein.

»Setz dich, Srinakor«, sagte dieser. »Ich habe dir einen Vorschlag zu machen, und ich nehme es dir nicht übel, wenn du ihn ab­lehnst. Es handelt sich um einen Auftrag, der völlig selbständiges Handeln erfordert, der es jedoch wahrscheinlich erscheinen läßt, daß du niemals zurückkehrst.«

Als Atlan schwieg, meinte Srinakor: »Das ist mir egal, wenn es nur gegen Or-

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banaschol geht.« »Das tut es nicht, wenigstens nicht di­

rekt«, enttäuschte Atlan seine Hoffnungen. »Aber der Auftrag dient dazu, einen unserer Freunde zu belohnen. Wir würden das glei­che für dich und jeden anderen tun. Willst du immer noch hören, worum es geht?«

Srinakor nickte entschlossen. »Natürlich, wenn es der Sache dienlich ist

und außerdem garantiert, daß ich Kraumon für einige Zeit verlassen kann. Mir ist es hier zu langweilig geworden.«

»Ja, ich weiß es. Dir und anderen auch. Du wirst siebzig Leute mitnehmen können, nach eigener Wahl. Aber nur Freiwillige. Solltest du annehmen, wird dir ab sofort die HAGAAR gehören – dir und Ra, der als Ex­peditionsleiter gilt. Du würdest der Kom­mandant des Schiffes sein. Nun?«

»Meine Entscheidung ist bereits gefallen, Atlan. Worum geht es diesmal?«

Und Atlan erklärte ihm, worum es ging.

*

Logor sah erstaunt auf, als er seinen Freund eine knappe Stunde später herbeiha­sten hörte. Dann war Srinakor bei ihm, atemlos und von der ungewohnten Bewe­gung sichtlich mitgenommen.

»Was ist denn mit dir los? Ärger gege­ben?«

Srinakor schüttelte heftig den Kopf und keuchte:

»Im Gegenteil, Logor! Ruf die Bande zu­sammen! Wir treffen uns heute nach Feier­abend in Messe Sieben. Alle! Es geht los!«

»Was geht los?« »Später, habe jetzt keine Zeit. Muß noch

mit ein paar anderen Männern sprechen. Bis dann …«

Er war verschwunden, ehe Logor noch ei­ne Frage stellen konnte.

Den Rest des Tages verbrachte Srinakor damit, geeignete Anwärter für den Flug ins Ungewisse aufzusuchen, kurz zu informie­ren und zu bitten, am Abend in der Messe Sieben zu sein.

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Schließlich kehrte er zu Logor zurück. »Hier alles klar?« »Natürlich! Und was ist mit dir? Hast du

erreicht, was du wolltest?« »Das stellt sich in zwei Stunden heraus,

nach dem Essen. In der Messe Sieben.«

*

Schon eine Stunde vor dem vereinbarten Termin ging es in der siebten Messe hoch her. Der Wein floß in Strömen, als Srinakor eintraf und mit Hallo empfangen wurde. Mit einiger Mühe gelang es ihm, die Leute zu beruhigen.

»Hört gut zu, was ich euch zu sagen habe! Wie ich sehe, sind wir ziemlich zahlreich vertreten. Hundert Männer, schätze ich. Ich brauche genau siebzig. Also haben noch dreißig von euch Gelegenheit, die Messe durch die Hintertür zu verlassen. Aber wehe, es sind mehr als dreißig!«

»Sag doch endlich, worum es geht!« rief einer ungeduldig.

»Seid ruhig, dann erfahrt ihr es! Atlan hat mich soeben zum Kommandanten der HA­GAAR ernannt – das ist der Kahn, der kürz­lich aufgebracht und von uns repariert wur­de. Das ganze Unternehmen geht um Ra.«

»Um den Barbaren?« wunderte sich je­mand.

Srinakors buschige Augenbrauen rutsch­ten in die Höhe.

»Laß ihn das nur nicht hören, Kantoro, sonst bekommst du von ihm eine Keule über die Nase. Ra wird unser Expeditionsleiter sein. Er ist ein enger Freund Atlans, vergiß das nicht.«

»War ja auch nicht so gemeint.« »Will ich hoffen. Also weiter: Ra hat die

Absicht, den Planeten seiner Herkunft wie­derzufinden. Wir sollen ihm dabei helfen. Es gibt keine sicheren Koordinaten. Wir wissen nur die ungefähre Richtung und daß es sich um eine gelbe Sonne handelt. Sie steht in den Randbezirken der Galaxis.«

»Da stehen aber eine ganze Menge«, warf jemand ein.

Srinakor nickte. »Richtig, mein Freund, eine ganze Men­

ge. Aber wir haben ja immerhin die Rich­tung. Die Angaben und Vermutungen über die Entfernung schwanken beträchtlich. Es können zehntausend Lichtjahre sein, aber auch dreißigtausend. Letzteres ist wahr­scheinlicher. Die HAGAAR ist ein gutes Schiff, aber vielleicht brennen ihre Trieb­werke bei einer solchen Entfernung aus, denn für uns gibt es keinen Flottenstütz­punkt, den wir anfliegen können. Es wird vielleicht ein Flug ohne Rückkehr. Nun, wollt ihr noch länger zuhören oder geht ihr lieber?«

»Weiter!« brüllte Kantoro, der seinen Fehler wiedergutmachen wollte.

»Für Atlan und seinen Freund Ra tun wir alles.«

»Das habe ich fast erwartet. Aber es gibt nicht mehr viel zu erzählen. Wir werden mit der HAGAAR starten und den Planeten su­chen. Ich brauche siebzig Mann, mich einge­schlossen. Männer, die den Tod nicht fürch­ten. Wer kommt mit?«

Vorerst erhielt Srinakor keine Antwort auf seine Frage, denn ein allgemeiner Tu­mult brach los. Diskussionsgruppen entstan­den, einer redete auf den anderen ein, und niemand konnte sich verständlich machen.

Logor schob sich durch die aufgeregte Menge, bis er Srinakor erreichte.

»Du hast nichts anderes erwartet?« erkun­digte er sich.

»Natürlich nicht, alles verläuft geradezu normal. Jeder versucht jetzt den anderen da­von zu überzeugen, daß er der geeignete Mann für das Unternehmen ist. Und die paar, die gern zurücktreten möchten, trauen sich nicht. Man sollte sie dazu ermuntern.«

»Warte erst ab, wie entschieden wird. Kann ja auch sein, daß du nicht genügend Leute zusammenbekommst.«

»Kann auch sein«, gab Srinakor unum­wunden zu.

Die einzelnen Gruppen lösten sich auf, neue entstanden. Anhänger und Gegner des kühnen Projekts, das an die alten Tage der

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Pionierzeit erinnerte, schienen sich nicht ei­nig werden zu können.

Kantoro stieß wie zufällig zu den beiden Männern.

»Ziemlich viel los«, meinte er und griff nach einem vollen Glas, das auf der Theke stand. Nach einem kräftigen Schluck fuhr er fort: »Es sind nur wenige, die nicht mitma­chen wollen. Die meisten sind dabei, aber sie beginnen sich zu streiten, weil ja nur sie­bzig mitkommen sollen. Du wirst mehr als ein Dutzend zurückweisen müssen.«

Srinakor nahm ihm das Glas ab und leerte es.

»Ausgezeichnet, Kantoro. Ich brauche ja nicht erst zu fragen, wie du darüber denkst …?«

»Natürlich nicht! Kommt Logor auch mit?«

Seine Stimme klang skeptisch, aber Logor antwortete, ehe Srinakor etwas sagen konn­te:

»Was glaubst du denn, Grünschnabel? Natürlich bin ich dabei, und zwar schon von Anfang an! Du weißt genau, daß ich damals in den alten Zeiten immer den Feuerleitstand bediente. So wird es auch diesmal sein. Hast du was dagegen?«

Srinakor mischte sich ein: »Nein, Kantoro hat nichts dagegen, ganz

im Gegenteil. Als Erster Offizier und mein Stellvertreter wird er froh sein, einen so tüchtigen Mann auf einem so verantwor­tungsvollen Posten zu wissen. Nicht wahr, Kantoro, so ist es doch? Oder …?«

Kantoro sah sich überrumpelt und fühlte sich gleichzeitig geehrt.

»Ich – dein Stellvertreter? Was wird Ra dazu sagen?«

»Er ist froh, wenn ihn überhaupt jemand begleitet. So, und nun kümmere dich mal um unsere Mannschaft.«

Kantoro trat sofort in Aktion. Er kannte viele der Leute von früher her und wußte, wie man mit ihnen umging. Mit einer Behut­samkeit, die im Widerspruch zu seinem im­pulsiven Charakter stand, brachte er die Zweifler dazu, sich freiwillig zurückzuzie-

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hen und zu verschwinden, so daß am Schluß genau noch jene Männer in der Messe wa­ren, die der von Atlan geforderten Teilneh­merzahl entsprachen.

Srinakor hielt eine kurze Ansprache und teilte die wichtigsten Posten ein. Dann gab er der nun kompletten Mannschaft den Rat, sich am kommenden Tag im Hangar einzu­finden, damit die letzten Einzelheiten be­sprochen werden konnten. Er selbst würde Atlan unterrichten und um die Festlegung des Starttermins bitten.

*

Zu seiner Freude konnte Atlan feststellen, daß Ra wieder aufzuleben begann. Er schien zuerst nicht an die Verwirklichung des Pro­jekts geglaubt zu haben, denn seiner Mei­nung nach mußte es an Freiwilligen fehlen, die das Wagnis auf sich nehmen würden, ihn in die unbekannten Weiten des Kosmos zu begleiten. Aber dann lernte er Srinakor ken­nen.

Der ehemalige Schmuggler und Pirat erin­nerte ihn vage an die mutigen Männer seines Stammes auf jener unbekannten Welt, die seine Heimat war und die er wiederzufinden hoffte. Sie schienen das Wagnis zu lieben so wie er, als er, nur mit einer Keule oder ei­nem Speer bewaffnet, in den Urwald ein­drang, um ein wildes Tier zu erlegen und den Hunger der Frauen und Kinder zu stil­len.

Diese Welt, seine Heimatwelt …! Tausende von Sternen standen nachts am

Himmel von Kraumon, und einer von ihnen war vielleicht die Sonne, um die sein Planet kreiste. Früher hatte er nicht gewußt, was ein Planet und eine Sonne war, doch heute wußte er es. Aber er wußte auch, wie schwer es war, eine bestimmte Sonne wiederzufin­den, wenn man ihre Koordinaten nicht kann­te.

Das Heimweh nach jenem namenlosen Planeten am Rand der Galaxis begann seine Wunde zu schließen, die Ischtar gerissen hatte. Er wollte seine Welt wiederfinden, das

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war alles. So wenigstens redete er es sich ein. Was er nicht ahnen konnte, war die Tat­sache, daß selbst dieser Wunsch nach Rück­kehr zur Heimat dem im Unterbewußtsein schlummernden Wunsch entsprang, Ischtar wiederzusehen. Dabei schien es unwahr­scheinlich, daß die Goldene Göttin jemals den Wunsch empfunden hatte, die grünblaue Urwelt noch einmal aufzusuchen.

Als Atlan sein Zimmer betrat, war Ra ge­rade damit beschäftigt, seine persönlichen Dinge zu ordnen und zu verpacken. Er nick­te dem Besucher zu und deutete auf einen Sessel.

»Es sammelt sich doch einiges an – nach so langer Zeit«, sagte er fast ein wenig ver­legen. »Ich werde nicht alles mitnehmen können.«

»Können schon«, meinte Atlan und setzte sich. »Auf der HAGAAR ist Platz genug. Wenn du deine Welt wiedergefunden hast, wirst du froh sein, gewisse Bequemlichkei­ten nicht sofort aufgeben zu müssen. Ich glaube kaum, daß Srinakor die Absicht hat, mit seinen Männern bei dir zu bleiben.«

»Das verlange ich auch nicht.« Ra lächel­te. »Und was die Bequemlichkeit angeht, so habe ich noch nicht vergessen, welche Macht mir damals das Feuerzeug gab. Es wird sich inzwischen nicht viel geändert ha­ben.«

Atlan sah zu, wie er eine Kiste verschloß und die nächste in Angriff nahm. Auf den Packen mit Unterwäsche legte Ra zwei Funksprechgeräte, einen kleinen Translator, einen Ministrahler mit einigen Ersatzmaga­zinen und andere technische Gerätschaften.

»Ich werde dich vermissen«, sagte Atlan. Ra nickte, ohne aufzusehen. »Ich dich auch. Ich werde euch alle ver­

missen. Gern verlasse ich euch nicht – schon deshalb nicht, weil deine Aufgabe noch nicht gelöst ist. Ich bin ein Deserteur.«

»Rede dir diesen Unsinn nur nicht ein«, riet Atlan freundschaftlich. »Es war unsere eigene Idee und sicherlich schwer genug, dich zu überzeugen. Du kannst dich auf Sri­nakor verlassen. Mit ihm und Kantoro bin

ich die Sternkarten der in Frage kommenden Sektoren durchgegangen. Von Kraumon aus gesehen, verbreitert sich die Zone gleichmä­ßig nach allen Seiten, was deine Suche er­schweren wird. Nur Zufall und Glück kön­nen euch helfen.«

»Darauf verlasse ich mich«, versicherte Ra. Er schloß die Kiste und zog die nächste zu sich heran. »Ohne Glück und Zufall hät­ten auch wir beide uns niemals kennenge­lernt. Und …«

Er schwieg plötzlich, aber Atlan wußte auch so, was er hatte sagen wollen.

»Deine Freundschaft und Hilfe haben mich meinem Ziel ein gutes Stück näherge­bracht. Der Rest wird nicht mehr so schwer sein. Wir werden es bald geschafft haben.«

»Ich wünsche es dir.« Atlan erhob sich. »Fartuloon hat in seinem Bungalow ein

Abschiedsessen arrangiert. Bringe einen gu­ten Appetit mit.«

»Keine Sorge, den habe ich«, versprach Ra mit einem gelösten Lächeln. »Ich werde pünktlich sein. Der Start ist also morgen?«

»Es bleibt dabei. Also – bis dann.« Corpkor lungerte draußen im Gang herum

und kam Atlan entgegen. »Nun? Geht es ihm besser?« »Er lebt auf, du kannst beruhigt sein. Wir

haben ihm die einzige Medizin verabreicht, die ihm helfen konnte. Welchen Sinn hätte es gehabt, ihn festzuhalten? Wir werden alle unsere Kräfte für den bevorstehenden End­kampf benötigen, jede Ablenkung kann un­ser Verderben sein.«

Sie hatten den Ausgang des Gebäudes er­reicht. Von ihrem etwas erhöhten Stand­punkt aus konnten sie draußen im Tal die zweihundert Meter hohe HAGAAR auf ih­ren Teleskopstützen sehen. Das Schiff hatte den Hangar bereits verlassen. Transportfahr­zeuge brachten Lebensmittelvorräte und Ki­sten mit den letzten Ausrüstungsgegenstän­den, die von Robotern und Antigravplatten an Bord gehievt wurden. Dazwischen be­wegte sich Srinakors Mannschaft. Wahr­scheinlich würde es heute Abend eine lär­

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mende Abschiedsfeier in Messe Sieben ge­ben.

»In einer Stunde also bei Fartuloon«, sag­te Atlan und ging davon.

Corpkor sah ihm nach. Dann kehrte er in das Gebäude zurück.

*

Am anderen Tag war es soweit. Der Rand des Landefelds war so gedrängt

voll, daß der Wagen mit Ra, Atlan und den engsten Freunden kaum durchkam. Es sah ganz so aus, als wollten sämtliche auf Krau­mon lebenden Arkoniden dem »Barbaren« das letzte Geleit geben.

Srinakor erwartete seinen Passagier auf der kleinen Plattform vor der Einstiegsluke. Seine Mannschaft befand sich bereits an Bord.

Als der Wagen dicht neben den Teleskop­stützen hielt, sprang Ra als erster hinaus. Mit einem Blick, der alle seine geheimsten Gefühle nur zu deutlich verriet, sah er an der Kugelhülle des Schiffes hoch und erinnerte sich jener Tage, in denen er zum ersten Mal ein solches Gebilde auf seinem Heimatpla­neten erblickt hatte. Damals war es für ihn eine »Götterburg« gewesen, heute nichts an­deres als ein Verkehrsmittel, das ihn zur Heimat zurückbringen sollte.

Atlan trat zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Du weißt, daß dich unsere besten Wün­sche begleiten, Ra. Sie werden dir helfen, wenn ihr Schwierigkeiten habt. Niemand kann wissen, was euch begegnet, denn jener Sektor der Galaxis ist so gut wie unbekannt. Selten nur haben sich Expeditionen bis dort­hin vorgewagt. Viele von ihnen kehrten nie zurück, aber vielleicht fanden sie auch das Paradies und blieben.«

»Leb wohl, Atlan! Ich danke dir für alles, und ich werde niemals die Hoffnung aufge­ben, dich eines Tages wiederzusehen – als Imperator deines Imperiums.«

Fartuloon gab ihm nur wortlos die Hand, ehe er Eiskralle Platz machte, der Ra nur

CLARK DARLTON

vorsichtig den kleinen Finger reichte. Dann kamen Morvoner Sprangk, Corpkor und alle die anderen, mit denen Ra Freundschaft ge­schlossen hatte.

Doch schließlich war auch das überstan­den. Oben beim Einstieg begann Srinakor ungeduldig zu werden. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen. Mit einem Knopfdruck ließ er die Leiter einfahren, auf deren unterster Sprosse Ra stand und zu­rückwinkte. In seinen Augen war ein seltsa­mer Ausdruck, eine Mischung von Freude und Trauer.

Ein letzter Gruß, dann schloß sich die Lu­ke.

Atlan stieg mit den anderen wieder in den Wagen, der zurück bis zum Rand der Sicher­heitszone fuhr. Sie hatten diese kaum er­reicht, als sich die HAGAAR auf ihren Anti­gravfeldern erhob und schwerelos nach oben schwebte. In großer Höhe erst schaltete sich der Antrieb ein, der das Schiff schneller und schneller werden ließ, bis es nur noch ein kleiner, dunkler Punkt im Himmel war, der Sekunden später verschwand.

Ra hatte Kraumon für immer verlassen. Auf der Rückfahrt zum Stützpunkt waren

Atlan und die anderen sehr schweigsam. Sie wußten, daß die HAGAAR sich nur in ei­nem extremen Notfall über Funk melden würde, und das auch nur dann, wenn sie noch nicht zu weit entfernt war.

Die Gefahr, daß Schiffe der Imperiums­flotte sie orteten und verfolgten, war zu groß. Srinakor sollte kein Risiko eingehen.

»Wir sind einen Freund los, aber auch ei­ne große Sorge«, sagte Fartuloon, als wolle er sich vor den anderen rechtfertigen. »Es war so am besten.«

Morvoner Sprangk überging die Bemer­kung. Fast ein wenig überhastet wechselte er das Thema und ging zur Tagesordnung über:

»Ich erwarte noch heute einen Kurier mit wichtigen Meldungen über die Vorgänge auf Arkon. Die ›Macht der Sonnen‹ scheint in der Tat einen Putschversuch unternommen zu haben. Wir kennen die Hintergründe und den Ausgang noch nicht, aber es sieht ganz

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so aus, als hätten wir einflußreiche Verbün­dete.«

»Darauf dürfen wir uns nicht verlassen«, meinte Atlan. »Unsere nächsten Schritte müssen wir sehr sorgfältig planen. Orbana­schol wird übervorsichtig geworden sein und vor allem mißtrauischer.« Der Wagen hielt an. Sie stiegen aus. »Wir werden uns neue Taktiken einfallen lassen müssen.«

»Wird Zeit, daß auch ich mal wieder Ar­beit bekomme«, deutete Corpkor eine Be­schwerde an. »Vielleicht kann ich Orbana­schol eine Horde abgerichteter Wanzen in den Palast schicken.«

»Du wirst sehr bald was zu tun bekom­men«, tröstete ihn Fartuloon, »wenn es wahrscheinlich auch keine Wanzen sein werden.«

2.

Srinakor saß hinter den Kontrollen und beobachtete, wie Kraumon schnell kleiner wurde. Längst hatte er die erste Transition programmiert und durch den Navigationsau­tomaten einleiten lassen.

Aus Sicherheitsgründen würde die HA­GAAR einen größeren Sprung vornehmen, um jede Entdeckung von Atlans Stützpunkt zu vereiteln. Bei der Rematerialisation, Lichtjahre entfernt, würde niemand die Spur durch die Dimensionen zurückverfolgen können.

Ra hatte sich sofort nach dem Start in sei­ne Kabine zurückgezogen. Der kleine Inter­kom-Schirm, mit dem Panoramaschirm in der Kommandozentrale gekoppelt, ließ ihn die Geschehnisse außerhalb des Schiffes verfolgen.

Er sah Kraumon verschwinden und konn­te nicht verhindern, daß seine Gedanken in die Vergangenheit zurückwanderten und Er­innerungen weckten, die er längst vergessen glaubte. Zusammen mit Atlan hatte er die unglaublichsten Abenteuer erlebt und heil überstanden. Er hatte Frauen und Männer kennengelernt, die seine Freunde wurden und die er nun für immer verließ. Er hatte

die unterschiedlichsten Welten und Zivilisa­tionen gesehen und war sogar in den Mikro­kosmos eingedrungen, in dem ein Planet nicht größer als ein Staubkorn war.

Und nun war er auf dem Weg zurück in die Heimat. Es klopfte an der Tür.

Für einen Augenblick wunderte sich Ra, daß der Besucher nicht die übliche Inter­kom-Anmeldung vorgenommen hatte, aber dann ging er, um zu öffnen.

Es war der alte Logor. »Mein Besuch ist völlig überflüssig«, sag­

te er, nachdem er Platz genommen hatte. »Eigentlich bin ich nur gekommen, um dir zu sagen, daß wir in fünf Minuten die erste Transition vornehmen. Es wird besser sein, du legst dich hin.«

»Und du?« Logor winkte verächtlich ab. »Ich bin älter als du und habe schon Tau­

sende solcher Transitionen mitgemacht. Es genügt, wenn ich hier im Sessel sitzen blei­ben darf.«

»Wirst du nicht in der Zentrale ge­braucht?«

»Jetzt nicht. Aber ich müßte mich beeilen, wenn nach Beendigung der Transition plötz­lich ein Flottenverband Orbanaschols auf­taucht.«

»Wie weit werden wir dann von Kraumon entfernt sein?«

»Etwa siebenhundert Lichtjahre in der Randzone des Imperiums. Aber die Scout­schiffe des Imperiums dringen viel weiter in das unbekannte Gebiet vor. Manchmal mehr als zehntausend Lichtjahre.«

»Wir werden also niemals vor ihnen si­cher sein?«

»Niemals, Ra. Sie sind überall. Aber kei­ne Sorge, ich werde schon zu verhindern wissen, daß sie einen Hyperfunkspruch ab­strahlen. Vernichten werde ich ein Schiff niemals, denn Arkoniden steuern es. Es ge­nügt, wenn wir ihre Antennen in Atome ver­wandeln.«

Ra hatte sich lang auf sein Bett ausge­streckt. Noch immer war ihm der Entzer­rungsschmerz bei einer Transition unange­

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nehm, und der Gedanke daran, für Bruchtei­le von Sekunden stofflich völlig aufgelöst zu werden, bereitete ihm jedesmal Unbehagen. Aber es gab keine andere Möglichkeit, der­artige kosmische Entfernungen in Nullzeit zu überwinden.

Logor sah auf seinen Zeitmesser. »Noch ein paar Sekunden …« Ra krampfte die Hände zu Fäusten zusam­

men, als der Schmerz einsetzte, aber er be­saß genügend Selbstbeherrschung, um auf den Bildschirm sehen zu können.

Die Sterne verschwanden und machten absoluter Finsternis Platz, um nach einem Atemzug wieder aufzutauchen – aber es wa­ren andere Sterne. Fremde Konstellationen füllten den Himmel aus, der schwarz geblie­ben war.

Ra wußte, daß die HAGAAR nicht sofort wieder eine Transition vornehmen konnte. Die genaue Position mußte bestimmt und der nächste Sprung berechnet und program­miert werden. Das nahm mindestens eine halbe Stunde in Anspruch, abgesehen davon, daß der Antrieb eine kurze Erholungspause benötigte.

Logor, der sich nicht gerührt hatte, sagte: »Sieht gut aus, würde ich meinen. Wie oft

ist es schon geschehen, daß bei der Remate­rialisation plötzlich die Schiffe des Imperi­ums in der Nähe standen, weil sie auf uns warteten. Dann mußten wir eine blinde Transition vornehmen und konnten nicht einmal ahnen, wo wir wieder herauskamen. Das waren bange Augenblicke, kann ich dir versichern. Wenn diesmal Gefahr drohte, hätte es schon Alarm gegeben. Ich kann also noch bleiben – wenn du nichts dagegen hast.«

Ra setzte sich aufrecht. »Im Gegenteil, ich bin froh, daß du mich

besuchst. Erzähle mir etwas aus deinem Le­ben. Hast du geschmuggelt?«

Logor lachte dröhnend und setzte sich be­quemer.

»Geschmuggelt …? Ja, das auch. Und wenn wir keine Ware einkaufen konnten, haben wir sie uns auf andere Art und Weise

CLARK DARLTON

besorgt. Es gibt genug Handelsfrachter im Dienst der Flotte. Private Händler ließen wir in Ruhe.«

»Also Pirat?« vergewisserte sich Ra und grinste.

»Ja, wenn du so willst. Ich gehöre zu Sri­nakors Leuten. Wenn du mich heute fragen würdest, warum wir schon immer gegen Or­banaschol waren, wüßte ich keine Antwort. Nicht etwa, weil er eine Staatsordnung re­präsentiert …«, er schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nein, das war es wohl nicht. Vielleicht so etwas wie Instinkt. Wir moch­ten den Kerl einfach nicht, der sicher und geschützt auf Arkon saß und durch seinen Geheimdienst anständige Arkoniden verfol­gen und töten ließ. Erst viel später erfuhren wir von Atlan, daß er der Mörder seines Vorgängers ist. Das rechtfertigte im nach­hinein unsere Handlungen, denn unser Ge­fühl hatte uns nicht getrogen.«

Ra schüttelte verwundert den Kopf. »Zu der Zeit, von der du sprichst, jagte

ich noch in den Wäldern jener Welt, die zu suchen wir aufgebrochen sind. Niemand von uns ahnte, daß die winzigen Lichtpunkte am nächtlichen Himmel Sonnen darstellten, um die andere Welten kreisten. Und auch dann, wenn wir es geahnt hätten, wäre uns niemals der Gedanke gekommen, daß Stammesfeh-den auch kosmische Ausmaße annehmen könnten. Auf unserer Welt stritten wir uns um eine Waldlichtung oder ein paar Höhlen, vielleicht auch um wildreiche Waldstücke. Im Universum geht es um ganze Sonnensy­steme. Liegt der Unterschied nur in der Re­lation?«

Logor nickte. »Wahrscheinlich, Ra. Vielleicht haben In­

telligenzen immer Meinungsverschiedenhei­ten, weil sie immer mehr wollen, als sie ha­ben.«

»Das wollen wilde Tiere auch, daran also kann es nicht liegen.«

»Woran denn?« Ra zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht, Logor. Du bist älter

und erfahrener als ich. Wenn du keine Ant­

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wort kennst …« »Es wird niemals eine Antwort darauf ge­

ben.« Das Summen des Interkoms ließ sie auf­

schrecken. Es war Srinakor. »Ihr müßt das Ding abschalten, Freunde,

sonst kann unter Umständen die ganze Be­satzung eure philosophischen Betrachtungen mithören. Wollt ihr meine Meinung dazu hören?«

Logor hatte sich schnell von seiner Über­raschung erholt.

»Ich kann sie mir vorstellen, aber schieß nur los!«

Srinakor lachte. »Na schön, wenn du meinst. Meinungs­

verschiedenheiten werden sich niemals gänzlich abschaffen lassen, höchstens in uto­pischen Theorien, die nichts mit der Realität zu tun haben. Es fängt schon bei den Bakte­rien an und endet bei kosmischen Superzivi­lisationen.«

»Programmierung der zweiten Etappe be­endet«, sagte eine Stimme in der Kontroll­zentrale. »Einleitung in zehn Minuten.«

Srinakors Zeigefinger tippte scheinbar aus dem Bildschirm heraus.

»Habt ihr gehört? Es geht weiter, und zwar bald. Und jetzt schaltet den Interkom ab, damit ich mich wieder realeren Dingen zuwenden kann. Das muß ich nämlich, sonst landen wir in einer Sonne.«

Logor blieb ruhig sitzen und grinste breit. Ra stand auf und drückte auf einen Knopf.

Das Bild auf dem Schirm blieb, aber die Verbindung war nun einseitig.

»Ich hatte es vergessen«, entschuldigte er sich. Er setzte sich wieder. »Glaubst du, daß wir meine Heimatwelt finden werden? Wa­rum bist du überhaupt mitgekommen?«

Logor lehnte sich zurück. »Natürlich glaube ich es nicht, Ra, um

ehrlich zu sein. Suche mal ein ganz be­stimmtes Sandkorn am Strand eines Ozeans. Und mitgekommen bin ich deshalb, weil ich zu alt bin, um Zeit mit Nichtstun zu vertrö­deln. Das überlasse ich den Jungen, die noch ihr ganzes Leben vor sich haben. Von die­

sem Flug ins Ungewisse verspreche ich mir zumindest ein wenig Abwechslung, außer­dem liebe ich das Abenteuer und das Unbe­kannte. Schon das Gefühl, in Regionen vor­zustoßen, in denen noch niemand vor uns war, vermittelt mir einen Lebensmut – wenn du verstehst, was ich meine.«

»Ich versuche es, Logor, wenn deine Worte auch keinen Trost für mich bedeuten und schon gar keine Hoffnung. Niemand von euch ist meinetwegen mitgekommen.«

Logor lächelte nachsichtig. »Aber das sollte dich nicht stören. Wir sind mit dir un­terwegs, nur das zählt!«

Aus dem Interkom, der von der Zentrale aus jederzeit zu allen Zweigstellen einge­schaltet werden konnte, kam Srinakors un­verkennbare Stimme:

»Transition bei Null!« Gleichzeitig begann die Automatik zu

zählen. Sie begann bei hundert. »Leg dich wieder hin«, riet Logor fast ge­

langweilt. »In zwei Minuten haben wir die nächsten paar hundert Lichtjahre hinter uns.«

*

Als neue Sterne auf dem Bildschirm er­schienen und man sie unterscheiden konnte, sprachen die Fernorter und Massetaster der HAGAAR sofort an. Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit wurden die eintreffenden Meßwerte von den Computern ausgewertet und analysiert. Das Ergebnis war beunruhi­gend.

»Alarmstufe zwei!« gab Srinakor durch und fügte hinzu: »Logor! Sofort zum Feuer­leitstand!«

Damit war klar, was die Fernorter ermit­telt hatten.

Es handelte sich um zwei Erkundungs­schiffe der Imperiumsflotte, die etwa vier Lichtjahre entfernt standen und den Transiti­onsschock registriert haben mußten. Wahr­scheinlich hatte die eine Einheit die andere gerade abgelöst und sie tauschten Informa­tionen aus. Sie mußten die HAGAAR ent­

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weder für das Schiff einer fremden Zivilisa­tion oder für einen arkonidischen Schmugg­ler halten. In beiden Fällen bestand die Pflicht der Untersuchung.

»Sind kleiner als wir«, stellte Logor fest, und seine Stimme klang fast ein wenig ent­täuscht. »Alte Außenantennen, ein Kinder­spiel. Unsere Energieschirme halten ihren Waffen stand.«

»Sie werden uns kaum angreifen wollen«, vermutete Srinakor. »Trotzdem müssen wir ihre Antennen unbrauchbar machen. Später können sie dann auf den Stützpunkten erzäh­len, was sie wollen. Es wird zu spät sein.«

»Klarer Fall!« bestätigte Logor. Wie erwartet, verschwanden die beiden

arkonidischen Einheiten wenig später vom Bildschirm und tauchten Bruchteile von Se­kunden später in unmittelbarer Nähe der HAGAAR wieder auf. Sie waren sehr exakt gesprungen.

Außerdem wußten die Kommandanten nun, daß sie es mit einem arkonidischen Schiff zu tun hatten, und zwar offenbar mit einem Kreuzer der Flotte. Im Klartext kam die Aufforderung zur Identifikation.

»Sollen wir ihnen ein Märchen erzählen?« schlug Kantoro vor.

»Glaubt uns ja doch niemand.« Srinakor nickte Logor zu. »Schieße ihnen die Anten­nen ab, ehe sie auf den Gedanken kommen, eine Meldung an den nächsten Stützpunkt durchzugeben.«

Der schützende Energieschirm war noch nicht eingeschaltet worden, weil dazu kein Grund vorhanden war. Außerdem hätte das sofort den Verdacht der arkonidischen Kom­mandanten geweckt. Es ging darum, schnel­ler zu handeln, als sie denken konnten.

Logor ließ die Automatik auf die beiden Ziele einpendeln und preßte den Knopf für das Punktfeuer ein. Zwei schmale Bündel reinster Energie verließen die Waffenkuppel der HAGAAR und zerschmolzen in Sekun­denschnelle die deutlich sichtbaren Außen­antennen für den Hyperfunk. Gleichzeitig schaltete sich der Schutzschirm ein.

Über Normalfunk meldete sich einer der

CLARK DARLTON

beiden Kommandanten. »Haben Sie den Verstand verloren, Sie Pi­

rat? Warum greifen Sie uns an?« »Das war alles«, beruhigte ihn Srinakor

spöttisch. »Sie können Ihren Flug fortsetzen, wir wollen nichts von Ihnen.«

»Und warum zerstören Sie die Hyper­funkantennen?«

»Sie dürfen dreimal raten.« Mehrere Energieschüsse glitten vom

Schutzschirm der HAGAAR ab. »Zu welcher Einheit gehören Sie?« kam

eine sinnlose Frage. »Haben Sie nicht selbst behauptet, wir

wären Piraten? Na also! Bleiben wir dabei! Wir wünschen guten Flug!«

»Sie werden das bereuen! Glauben Sie, ungestraft Einheiten der Flotte des Großen Imperiums angreifen zu können, die …«

»… die dem Kommando des unvergleich­lichen Imperators Orbanaschol unterstehen, wollten Sie wohl sagen? Bestellen Sie Ihrem Imperator, daß er ein Mörder ist, ein Verbre­cher, ein Schandfleck des Imperiums! Sagen Sie ihm das, wenn Sie Ihren Stützpunkt er­reichen. Ende!«

Srinakor nickte in Richtung der Navigati­on.

»Nächste Transition einleiten, alte Rich­tung, gleiche Entfernung! Keine Pause!«

Die beiden Flotteneinheiten hatten das Feuer eingestellt. Niemand vermochte zu sa­gen, ob sie es taten, weil sie die Sinnlosig­keit eines Angriffs auf die HAGAAR er­kannt hatten, oder ob es Srinakors Worte ge­wesen waren.

Dann drehten sie ab. Bevor sie in die Transition gingen, sagte

eine Stimme: »Wünschen ebenfalls guten Flug!« Dann verschwanden die beiden Schiffe. Kantoro grinste Srinakor zu. »Vielleicht hast du ein paar Leute sehr

nachdenklich gemacht«, vermutete er hoff­nungsvoll. »Hört sich ganz so an.«

»Das gehört ebenfalls zu unserer Aufgabe …«

Die HAG AAR ging zum drittenmal in

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die Transition. Als sie rematerialisierte, war sie exakt

2100 Lichtjahre von Kraumon entfernt.

*

Mit entsprechenden Zwischenaufenthalten flogen sie in den folgenden Tagen weitere fünf Transitionsetappen und kehrten in einer Entfernung von mehr als achttausend Licht­jahre von Kraumon in den Normalraum zu­rück.

Die Fernorter und anderen Meßinstrumen­te gaben keinen Alarm. Der Raum um sie herum war leer, wenn man von der namenlo­sen blaßroten Sonne absah, die einen kleinen Teil des Bildschirms ausfüllte.

Srinakor, der nach einer längeren Ruhe­pause in die Zentrale zurückkam, um Kanto­ro abzulösen, studierte mit gerunzelter Stirn die verschiedenen Kontrollen, sagte aber nichts.

»Was nicht in Ordnung?« erkundigte sich Logor vom Feuerleitstand her. »Bei mir ste­hen alle Anzeigen auf Null.«

»Hauptkontrollen ebenfalls«, gab Srina­kor zurück. »Aber gerade das gefällt mir nicht. Der Fernorter registriert nicht einmal die Sonne, obwohl wir sie deutlich genug auf dem Bildschirm sehen können. Für die Instrumente ist sie einfach nicht vorhanden.«

»Irgend etwas muß defekt sein«, vermute­te Kantoro unsicher. »Oder es ist die Sonne. Haben wir sie auf der Karte?«

»Die Karten dieses Sektors sind ungenau und nicht vollständig.« Srinakor blätterte durch einen Stapel von Folienblättern. »Sie ist zwar eingezeichnet, aber ohne Bezeich­nung und Daten. Vielleicht war mal ein Scoutschiff hier und registrierte sie, mehr aber auch nicht.« Er starrte einige Sekunden auf den Bildschirm. »Die Sonne …? Ich weiß nicht, ob sie es ist.«

»Dann vielleicht doch die Instrumente«, versuchte Logor zu helfen. »Wäre ja nicht das erste Mal, daß so etwas passiert.«

»Diesmal aber nicht!« behauptete Srina­kor. »Keine der Kontrollen zeigt einen De­

fekt an. Es muß an den Bedingungen außer­halb des Schiffes liegen …«

Noch während er sprach, begannen sich einige Veränderungen abzuzeichnen, die vorerst unerklärlich blieben. Die blaßrote Sonne begann intensiver zu leuchten, so als käme sie aus einem Schleier hervor, der sie vorher bedeckt hatte. Gleichzeitig schlugen auch die Massetaster aus und registrierten sie, was vorher nicht der Fall gewesen war.

Aber noch etwas anderes geschah: die Fernorter zeigten plötzlich eine Zusammen­ballung von Materie an, die jener eines mitt­leren Planeten entsprach. Automatisch rich­teten sich die Nahteleskope darauf ein. Die Außenkameras begannen zu arbeiten. Auf dem Panoramaschirm materialisierte ein Bild – ein Planet.

Die dem Schiff zugewandte Seite bestand in der Hauptsache aus einem riesigen Konti­nent, der von langen Strömen und zahllosen Seen in der Art eines Gitternetzes aufgeteilt war. Im Norden und Süden verdeckten wei­ße Wolkenfelder die Oberfläche, aber die Ozeane wurden einwandfrei von den Instru­menten registriert. Auch zeigten sie eine üp­pige Vegetation an, die jener einer Urwelt entsprach.

»Der Planet war vorher nicht da«, stam­melte Logor verwirrt. »Was sollen wir da­von halten?«

Srinakor antwortete nicht. Hastig schalte­te er den Interkom ein.

»Mollnor soll sofort in die Kommando­zentrale kommen! Wir benötigen ihn drin­gend hier. Hast du gehört, Mollnor? Wenn nicht, soll ihn jemand informieren.«

»Bin schon unterwegs, Srinakor.« Logor fragte: »Der Physiker? Meinst du, der kann uns

helfen?« »Wir haben es auf jeden Fall mit einem

physikalischen Problem zu tun«, wich Srina­kor aus. »Wir werden ja sehen, was Mollnor dazu meint.« Er sah wieder auf den Bild­schirm. »Ein verrückter Planet!«

»Nicht nur der Planet! Die Sonne, alles hier ist verrückt, wenn du mich fragst.«

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Kantoro blätterte durch die Karten, sah aber nicht hin. »Oder wir sind es.«

Logor rief vom Feuerleitstand her: »Meine Instrumente zeigen starke elektro­

magnetische Felder an, aber die Angaben schwanken ständig. Die Felder können also nicht stabil sein. Genausowenig wie die Sonne und der Planet.«

Srinakor ging zu Logor und sah auf Ska­len und Kontrollen. Dann schüttelte er den Kopf.

»Das sind keine üblichen Energiefelder, mein Freund. Das ist etwas anderes. Nicht sie schwanken, sondern wir. Das bedeutet, daß wir instabil sind, nicht der Raum, der uns umgibt.«

In diesem Augenblick kam Mollnor in die Zentrale gestürzt. Unterwegs schien er schon einen Blick auf die Monitoren geworfen zu haben, denn der Anblick des Planeten über­raschte ihn nicht. Ohne Fragen zu stellen, las er die Anzeigen der Instrumente ab. Als er aufblickte, zeigte sein Gesichtsausdruck Be­sorgnis und Befremden. Obwohl er nicht ge­hört hatte, was Srinakor vor seinem Eintref­fen in der Zentrale zu Logor sagte, äußerte er eine ähnliche Vermutung:

»Instabilität dieses Raumsektors – mit höchster Wahrscheinlichkeit. Wir müssen hier fort, so schnell wie möglich!«

»Immer mit der Ruhe, Mollnor!« riet Sri­nakor und ging zu ihm. »Was bedeutet Insta­bilität des Raumes überhaupt?«

»Ich bin wirklich kein Spezialist auf die­sem Gebiet, aber es ist mit dem meinen zu­mindest verwandt. Ich nehme an, daß die Energiefelder dieser Sonne damit zu tun ha­ben. Wahrscheinlich eine Überlagerung mehrerer Dimensionen. Und wir sind mitten drin!«

»Bedeutet das eine absolute Gefahr?« »Bestimmt, wenn ich sie auch nicht defi­

nieren kann. Es wäre jedoch möglich, rein theoretisch, daß wir in einen übergelagerten Raum stürzen, ohne es verhindern zu kön­nen. Eine Rückkehr in unsere eigene Dimen­sion wäre dann fraglich.«

»Bei einer normalen Transition bewegen

CLARK DARLTON

wir uns ebenfalls durch eine andere Dimen­sion, und trotzdem fallen wir stets wieder in unseren eigenen Raum zurück.«

»Du vergißt, wie das zu Beginn der Tran­sitionsentwicklung war. Du kennst die Be­richte der Pionierzeit. Eine Unzahl von Schiffen ging damals in Probetransition – und sie sind bis heute verschollen. Niemand kann sagen, wo sie geblieben sind. Möglich, daß ihre Besatzungen Jahrtausende überleb­ten und noch heute existieren, weil für sie nur Sekunden vergangen sind, aber sie exi­stieren in einer anderen und uns unerreich­baren Dimension.«

Srinakor war nachdenklich geworden. Mit fest aufeinandergepreßten Lippen betrachte­te er den Planeten auf dem Bildschirm. Es schien, als würde sich – unmerklich langsam fast – ein Schleier über ihn ziehen. Er be­gann allmählich zu verschwinden, wurde un­deutlicher in seinen Umrissen – und war dann verschwunden.

Mollnor starrte fassungslos auf den Bild­schirm.

»Das ist … das ist …« Mehr brachte er nicht hervor. »Weg hier!« rief Logor von der Feuerleit­

stelle her. »Aber so schnell wie möglich! Mollnor hat recht …«

Srinakor zögerte noch immer. »Wir fliegen im Augenblick ohne An­

trieb. Was kann passieren, Mollnor, wenn wir ihn einschalten? Wenn das stimmt, was du eben von den Dimensionen sagtest, wäre es gefährlich, jetzt in eine Transition zu ge­hen, sie aber bietet uns die einzige Möglich­keit, schnell von hier zu verschwinden.«

Mollnor nickte geistesabwesend. »Verschwinden …! Das ist es eben! Ich

fürchte, wir würden für immer verschwin­den. Du mußt es mit dem Normalantrieb versuchen.«

»Das dauert Stunden.« »Mir sind Stunden lieber als Ewigkeiten«,

knurrte Logor. »Logor hat recht«, stimmte nun auch

Kantoro zu. »Schleichen wir uns aus dem System heraus. Es ist zu unheimlich.«

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19 Schnittpunkt der Dimensionen

Srinakor warf Mollnor einen fragenden Blick zu.

Der Physiker nickte. »Keine andere Wahl«, sagte er mit ge­

preßter Stimme. »Wenn es noch nicht zu spät ist«, fügte er dann hastig hinzu.

Er hatte das letzte Wort kaum ausgespro­chen, als mehrere Dinge gleichzeitig gescha­hen.

Auf dem Bildschirm wurde der Planet wieder sichtbar, aber die Massetaster zeigten nichts an. Kontrollampen begannen spora­disch zu flackern, und sämtliche Zeiger fie­len auf Null zurück. In der Zentrale erlosch das gedämpfte Licht, als hätte jemand die Energiezufuhr gestoppt. Das Unheimlichste aber …

Zwischenwände und Außenhülle der HA­GAAR begannen transparent zu werden.

Srinakor war mit einem Satz vor den Kontrollen und fiel in den Kontursessel. Mit fliegenden Fingern aktivierte er den Norma­lantrieb und wartete auf die automatische Bestätigung. Als sie kam, atmete er sichtlich auf. Doch beim zweiten Mal, als er den Kurs um hundertachtzig Grad korrigierte, blieb sie aus.

Das Schiff fiel weiter auf den unbekann­ten Planeten zu.

»Steuerung blockiert«, murmelte er fas­sungslos. »Jemand will uns dort auf den Pla­neten haben.«

»Das ist unwahrscheinlich«, sagte Kanto­ro. »Es gibt dort keinerlei Anzeichen für ei­ne technische Zivilisation. Dann sähe er an­ders aus.«

»Es ist der Raum«, behauptete Mollnor mit unsicherer Stimme. »Wir sind schon halb in einem anderen Raum. Selbst der Bo­den unter unseren Füßen beginnt durchsich­tig zu werden. Nicht mehr lange, und wir fallen einfach durch das Schiff hinaus.«

»Unsinn! Die Materie ist stabil geblie­ben!«

»Das ist nur scheinbar der Fall«, wider­sprach der Physiker. »Wir haben diesen Ein­druck nur, weil wir ebenfalls dabei sind zu entstofflichen. Versuch noch mal eine Kurs­

änderung! Es wird höchste Zeit!« Srinakor bemühte sich vergeblich, aber zu

seiner Erleichterung verlor sich allmählich wieder die Transparenz der Schiffswände und der Hülle. Das Licht in der Zentrale ging wieder an.

Mollnor schlug vor: »Na schön, dann lande eben auf dem Pla­

neten. Vielleicht finden wir dort die Lösung des Problems.«

Ra kam in die Zentrale. Er hatte von sei­ner Kabine aus die Vorgänge verfolgen kön­nen und war somit informiert, wenn er auch ebensowenig begriff wie die anderen.

»Landen? Warum versuchen wir nicht auszubrechen? Eine Transition vielleicht …?«

»Zu riskant«, belehrte ihn Mollnor. »Wir halten uns in einem Dimensionstrichter auf, und der einzige Ausweg daraus scheint mir der enge Ausflußkanal zu sein. Es ist, als würdest du Wasser in einen normalen Trich­ter gießen, und zwar unter dem Einfluß der Gravitation. Nach oben kann es nicht weg, nur nach unten. Der Planet dort – der ist nun unser Unten.«

Sie sahen auf den Bildschirm. Der Planet war mal wieder verschwunden.

Nur die Sonne leuchtete blaßrot auf der ova­len Mattscheibe – und ein paar Sterne.

»Wie soll ich auf einem Planeten landen, der dauernd unsichtbar wird?« verlangte Sri­nakor verzweifelt zu wissen.

»Mit Hilfe der Instrumente, der Masseta­ster.«

»Und wenn auch die wieder ausfallen?« »Dann nach Gefühl und Erinnerung«, riet

Mollnor trocken. Der Kurs mußte nicht geändert werden,

als der Planet wieder erschien. Der Antrieb arbeitete zufriedenstellend und begann mit dem Abbremsmanöver, als Srinakor es woll­te. Sein vorsichtiger Versuch, den Kurs nun doch entscheidend zu ändern, mißlang.

Der Planet kam näher. Nun blieb er sichtbar und verschwand

nicht mehr.

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3.

Der Graue erreichte auf dem bekannten Pfad die Lichtung im Urwald und verharrte. Die mit brauner Lederhaut überzogene Hand, die ein primitives Beil hielt, hing lose herab. Die Beute, die er gewittert hatte, war längst geflohen. Vielleicht hatte er beim An­schleichen zuviel Geräusch verursacht, als er die riesigen Farne beiseite schob.

Der Graue war gut drei Meter groß und kräftig gebaut. Abgesehen von seiner Größe besaß er die Umrisse eines Arkoniden, zwei Arme und zwei Beine, und natürlich einen Kopf mit den normalen Sinnesorganen. Grü­nes Haar rahmte sein Gesicht ein.

Auf seiner nackten, muskulösen Schulter saß eine abgeflachte graue Kugel, die sich mit Hilfe von neun Saugnäpfen festhielt. Bei jedem Schritt des Riesen bewegte sich ihr handgroßer Körper wie Gallerte.

Langsam ging der Graue weiter. Vielleicht hätte er doch den Jäger gehen

lassen, statt nach heftiger Diskussion dessen ureigenste Aufgabe zu übernehmen. Der Jä­ger war besser als er, das wußte er – und es ärgerte ihn.

»Wir werden schon ein Urkon erlegen«, flüsterte er seinem kugelförmigen Begleiter zu, der sich sofort zu verfärben begann, was ein Zeichen freudiger Erregung war. »Und wenn nicht, bringen wir Wurzeln und Pilze mit zurück zum Lager. Mit leeren Händen jedenfalls wird man uns nicht empfangen müssen …«

Der Sooster auf seiner Schulter antwortete telepathisch, da er einer Lautsprache nicht mächtig war.

»Nicht mit leeren Händen, Grauer«, be­stätigte er seinem Träger.

Er war bei ihm, seit er auf diese Welt kam. Die Goranen waren gute Träger und besaßen kräftige Gastkörper. Sie wußten, daß sie ohne die Soosten hilflos waren wie primitive Tiere – und sie gingen mit den kleinen Polypen eine ewig währende Sym­biose ein. Noch niemals hatte sich ein Soo-

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ster freiwillig von seinem Goranen getrennt, es sei denn, er war plötzlich spurlos ver­schwunden.

Es begann bereits zu dunkeln, als der Graue es aufgab.

Enttäuscht trat er den Rückweg an, denn ein saftiges Stück Urkon wäre ihm lieber als Pilze und Wurzeln gewesen. Seine Gefähr­ten würden ihn mit Spott und Hohn über­schütten.

»Ich werde dich zu den süßen Knollen führen«, versprach der Sooster lautlos. »Du weißt, wie selten sie sind. Der Jäger könnte sie niemals finden, aber ich weiß, wo es sie gibt.«

»Ja, führe mich«, stimmte der Graue freu­dig zu.

Er durchquerte einen flachen Sumpf, der in der Mitte ein wenig trockener wurde. Sei­ne Füße, deren Sohlen wie dickes, festes Le­der waren und selbst kleinere Steine zer­malmten, knirschten durch Kies und Sand, als er das Ufer der kleinen Insel betrat. Ringsum war nur der Sumpf und der Rand des unermeßlichen Dschungels, der nur von Lichtungen, Flüssen und riesigen Seen un­terbrochen war.

Einmal nur in seinem Leben hatte der Graue das Gebirge gesehen, das Tagemär­sche vom Lagerplatz entfernt war. Es hatte ihm dort nicht gefallen, weil es weniger zu essen gab. Pilze und Wurzeln gab es nur im Wald, auch die seltenen Knollen, deren Ge­nuß ein wenig berauschte.

»Hier mußt du graben«, teilte der Sooster mit, als der Graue ein wenig ratlos vor den grünen Büschen stand, die auf der Insel wuchsen. »Die Knollen sind die Wurzeln dieser Sträucher. Du darfst immer nur eine nehmen, sonst sterben die Pflanzen, und es gibt dann keine Knollen mehr.«

Mit dem Beil hackte der Graue den Boden auf und grub dann mit den Schaufelhänden weiter, bis er die erste Knolle freilegte. Sie war so groß wie sein Sooster und roch süß.

Gehorsam befolgte er alle Ratschläge des Polypen, bis der Jagdbeutel gefüllt war. So eine Ausbeute hatte selten ein Gorane mit

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ins Lager gebracht. Der Jäger würde ihn nicht verspotten können, denn er konnte nur Urkons erlegen. Er fand keine Knollen.

Da es fast finster geworden war, folgte er dem schmalen Pfad durch den Urwald schneller als sonst. Sein Sooster leitete ihn, denn er konnte auch bei Nacht sehen. Der Graue nicht.

Aber er sah von fern schon den Schein des Lagerfeuers, das noch vom letzten Blitz her brannte. Es durfte nie erlöschen, denn es kam selten vor, daß der Blitz einen trockenen Baum fand, den er entzünden konnte.

Der Jäger und der Alte kamen ihm entge­gen, als sie seine Schritte hörten.

»Wo ist deine Beute?« fragte der Jäger voller Verachtung. »In deinem Beutel viel­leicht? Das muß aber ein winziges Urkon gewesen sein, über das du stolpertest …«

Der Graue beachtete ihn nicht. Er ging an ihm vorüber zum Lagerplatz, um das die an­deren Goranen herumsaßen und ihm neugie­rig entgegenblickten – neugierig und hung­rig von der Arbeit des Tages.

Wortlos schüttelte er die begehrten Knol­len auf den Boden.

Sie stürzten sich darauf wie heißhungrige Tiere, die wochenlang nichts mehr in den Rachen bekommen hatten, aber jeder nahm nur eine der Knollen. Der Alte erwischte die letzte, und der Jäger ging leer aus, weil er nur spottete und zu langsam war.

Der Schein des Feuers wurde von den mächtigen Steinquadern reflektiert, die den Lagerplatz in einer seltsamen Anordnung umgaben. Man hätte sie bei oberflächlicher Betrachtung als Schutzmauer ansehen kön­nen, wenn die viel zu großen Zwischenräu­me nicht gewesen wären.

Die Goranen hatten sie auf den Rat ihrer Sooster aus dem Trockengebiet jenseits des Urwaldflusses herbeigeschafft, was Wochen und Monate in Anspruch genommen hatte.

Nun wurden sie hier an diesem Platz be­hauen und aufgestellt.

Kein einziger Gorane wußte, warum das so war.

*

In dieser Nacht hielt der Träger die Feuer­wache.

Er war besonders stark und kräftig gebaut und konnte mehr Gewicht schleppen als sei­ne Gefährten. Das hatte ihm seinen Namen eingebracht. Dank seiner mächtigen Gestalt wirkte der Sooster auf seiner Schulter klei­ner als die anderen, aber das war eine Täu­schung.

»Es ist eine warme Nacht«, flüsterte er leise, um die Schlafenden nicht zu stören, die in dem hohen, trockenen Gras herumla­gen. »Man kann die Sterne sehen, so klar ist es.«

»Sie sind immer da«, versicherte ihm der Polyp. »Aber wenn die Räume verschmel­zen, kann man sie nicht sehen. Natürlich auch dann nicht, wenn der Himmel bewölkt ist.«

Der Träger schob ein Stück Holz in die Flammen.

»Warum ist vor einigen Tagen der Schnelle verschwunden?« fragte er dann sei­nen ständigen Begleiter.

»Der Schnelle …? Ach ja, ich weiß schon. Niemand trägt Schuld daran, außer er selbst. Sein Sooster muß ihn rechtzeitig ge­warnt haben, aber er betrat achtlos den Schnittpunkt der Räume. Er mag noch unter uns sein, aber wir sehen und hören ihn nicht mehr.«

»Das verstehe ich nicht«, gab der Träger zu.

»Niemand versteht es, auch wir nicht, Träger. Wir wissen nur, daß es so ist. Wa­rum es so ist, weiß niemand.«

»Warum machen wir das mit den großen Steinen?«

Erst nach einer langen Minute meinte der Sooster:

»Du stellst heute viele ungewöhnliche Fragen.«

»Es ist die richtige Nacht zum Fragen stellen.«

»Sicher, aber vielleicht nicht die richtige

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Nacht zum Antworten.« »Kennst du denn die Antworten, Soo­

ster?« »Ein ›Ja‹ oder ein ›Nein‹ wäre schon zu­

viel für dich, Träger. Es ist nicht deine Auf­gabe, unergründlichen Geheimnissen nach­zugehen. Wäre sie es, hättest du einen ande­ren Namen.«

»Dann erlaube mir eine letzte Frage.« »Welche?« »Seit wann seid ihr bei uns? Wart ihr

schon immer da?« »Wir waren schon immer da, aber ihr

konntet uns nicht wahrnehmen. Wir lebten auf einer anderen Welt, und sie war hier, wo die eure ist. Sie ist auch jetzt hier, aber die Rückkehr ist uns verschlossen.« Es entstand eine winzige Pause. Dann: »Es war deine letzte Frage, vergiß es nicht.«

Der Träger schwieg. Er wußte aus Erfah­rung, daß von dem Sooster keine Reaktion mehr zu erwarten war. Vielleicht schlief er schon, wenn sie überhaupt schliefen.

Vielleicht wußte der Sucher mehr, denn sein Name bezog sich nicht nur auf seine gu­te Spürnase, die Urkons selbst auf Tagesrei­seweiten witterte. Der Träger beschloß, auch ihm morgen ein paar Fragen zu stellen.

*

Als der Sucher erwachte, schob sich gera­de das Morgengrauen über den östlichen Horizont empor. Aus den Augenwinkeln heraus sah er etwas am dämmerigen Him­mel, das nicht dorthin gehörte.

Ein schnell dahinziehender Stern war es. Er flog der noch verborgenen Sonne ent­

gegen und wurde heller und allmählich lang­samer, je mehr er sich dem Horizont näher­te, hinter dem er schließlich verschwand.

Der Sucher hatte noch nie einen wandern-den Stern gesehen.

Er unterdrückte den Wunsch, seinen Soo­ster zu fragen und weckte die anderen Ge­fährten, um ihnen von seiner Beobachtung zu berichten. Sie hörten ihm zu, aßen dabei die Reste ihrer Knollen und erhoben sich

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dann, um mit der gewohnten Arbeit zu be­ginnen. Der wandernde Stern war für sie oh­ne jedes Interesse.

Nun entschloß sich der Sucher doch, den Sooster zu fragen.

Der Polyp antwortete. »Es war ein Schiff.« »Ein Schiff? Was ist das?« »Ein Fahrzeug, mit dem man Räume

überwinden kann. Wir sahen sie oft, früher, als wir noch auf unserer Welt lebten. Sie tauchten auf und verschwanden wieder, wenn sie in ihren eigenen Raum zurückkehr­ten.«

»Wer ist in den Schiffen?« »Wesen, die intelligent genug sind, sie zu

bauen. Das Universum ist voll von ihnen. Das Schiff eben ist das erste, daß hier zu uns gekommen ist. Wir wollen es nicht bei uns haben. Geh zu deinen Freunden und hilf ih­nen, die Steine zu ordnen.«

Der Sucher wollte noch etwas dazu be­merken, aber dann schwieg er. Wortlos be­gab er sich an seine gewohnte Arbeit.

*

Der Alte hatte heute die Aufsicht. In seiner Jugend war er nicht gerade ein

Schwächling gewesen, trotzdem mußte er die Kräfte des Trägers bewundern, der die schwersten Steine mühelos allein schleppte. Lediglich bei den größeren verlangte er den Beistand der Gefährten.

»Es muß ein Kreis werden«, teilte ihm sein Sooster mit. »Ein großer Kreis um das ganze Lager. Nur dann schneiden sich die Raumebenen, wie es unser Ziel ist.«

Der Alte machte nur eine zustimmende Bewegung mit der Hand, gab aber keine Antwort. Zu lange lebte er schon mit seinem Sooster zusammen. Er wußte, was er von ihm erwarten konnte und was nicht.

Sein Vater hatte ihm Geschichten aus der Vergangenheit erzählt, die von den meisten schon vergessen worden waren. Eines Ta­ges, so behauptete er, waren die Sooster da gewesen. Niemand wußte, woher sie kamen

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und wohin einige von ihnen später wieder gegangen waren. Fast sah es so aus, als wüß­ten die Sooster es auch nicht mehr.

Aber sie wollten, daß Steine herbeige­schafft und richtig gelegt wurden. Manch­mal entstand dann über ihnen ein schim­merndes Leuchten, und einmal hatte der Al­te sogar in diesem Leuchten eine andere Welt gesehen – eine Welt mit riesigen Stei­nen, in denen strahlende und rechteckige Löcher waren und die durch weit geschwun­gene Bänder verbunden schienen. Auf die­sen Bändern rasten seltsame Gegenstände dahin, und auf breiten Pfaden bewegten sich fremdartige Gestalten in künstlichen Fellen.

Als die Erscheinung verblaßte, waren drei Goranen ohne Sooster. Nur neun kleine und blutunterlaufene Stellen waren geblieben, genau auf dem Fleck, wo sie auf der Schul­ter gesessen hatten.

Auch der Alte besaß seinen zweiten Soo­ster.

Er würde nie vergessen können, wie er den ersten verlor.

Damals, jung und ausdauernd, nannten sie ihn den Spürer. Tagelang wanderte er durch die Wälder, um Steinbrüche und Transport­wege zu erkunden. Sein erster Sooster leitete ihn. Anfangs fiel ihm nicht auf, daß er im­mer weitere Ausflüge unternehmen mußte und daß der Sooster ihn systematisch vom Lager der anderen fernhielt.

Eines Tages fand er einen günstigen Platz mit vielen Steinen, die lose herumlagen, wenn auch ungeordnet und ohne jedes Sy­stem.

»Der Platz ist gut«, teilte ihm der Sooster mit. »Beginne mit der Arbeit!«

»Hier? Ohne meine Gefährten?« »Ja, hier! Und ohne die Gefährten!« Der Alte verstand den Befehl nicht, aber

er war gewohnt, seinem Sooster zu gehor­chen. Also begann er mit der Arbeit.

Diesmal mußte er die Monolithen so le­gen, daß sie ein Sechseck bildeten. In der Mitte des freien Platzes, der durch die Um­risse der Figur gebildet wurde, lag wie durch Zufall ein runder und sehr flacher Stein,

nicht höher als ein halber Fuß. Als es dunkelte, konnte der Alte sehen,

daß der Stein von innen heraus leuchtete und ein geisterhaftes Licht verbreitete.

»Geh in den Kreis!« befahl sein Sooster. Diesmal zögerte der damals noch junge

Gorane, dem Befehl zu folgen. Der leuch­tende Flachstein und das Flimmern darüber war ihm unheimlich. Er hatte Angst davor.

»Es wird dir nichts geschehen«, drängte der Sooster.

»Ich fürchte mich.« »Du brauchst keine Furcht zu haben, es

wird dir nichts geschehen«, wiederholte der Polyp, diesmal schon ungeduldiger.

Der Gorane wußte, daß verärgerte Sooster für ihren Träger sehr unangenehm werden konnten, wenn sie nicht gehorchten. Er war mit dem seinen bisher stets gut ausgekom­men. Warum sollte er diesmal seinen Wor­ten nicht trauen, ihnen keinen Glauben schenken?

Er betrat das Sechseck und blieb vor dem Leuchtstein stehen.

Und einen Augenblick später stand er im Nichts.

Nur das Sechseck war noch vorhanden, aber alles, was jenseits der Steine lag, war nicht mehr da. Statt des gewohnten Nacht­himmels wölbte sich eine silberne Halbku­gel über der kleinen Insel festen Bodens, die von einem schwarzen Abgrund eingeschlos­sen wurde.

Und dann, abermals von einem Augen­blick zum anderen, war alles wieder wie frü­her.

Er stand vor dem Stein, der nicht mehr leuchtete, und auf seiner Schulter fehlte der Sooster.

Als er in sein Dorf zurückkehrte, wurden keine Fragen gestellt. Eine Frau war gestor­ben, und der junge Spürer erhielt einen neu-en Sooster.

Ein paar Jahre später wurde er dann der Alte, obwohl er noch immer jünger war als viele seiner Freunde. Seinen zweiten Namen und den zweiten Sooster würde er bis zum Tode behalten.

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»He, Träger! Der Stein dorthin!« Der Kreis der Steine begann sich allmäh­

lich zu schließen.

*

Am Himmel pulsierte die blaßrote Sonne. Das tat sie oft, und niemand regte sich

darüber auf. Die Goranen lebten seit Ewig­keiten mit dem Geheimnisvollen und Uner­klärlichen zusammen. Sie kannten keinen Fortschritt. Es gab Früchte und Pilze, Knol­len und Wurzeln. Und es gab das nahrhafte Urkon. Hunger hatte nur der, der nicht su­chen oder jagen wollte.

Sie konnten nicht ahnen, daß ihre Sonne – und damit auch der einzige Planet dieser Sonne – im Schnittpunkt kosmischer Ge­schehnisse stand und mit diesem langsam um das Zentrum der Galaxis wanderte. Es waren mehrere Dimensionen, die sich hier überlagerten und versuchten, im Normal­raum real zu werden.

Natürlich war jede dieser verschiedenen Dimensionen für sich selbst real, aber der re­lative Normalraum war der einzige, der sta­bil blieb, wenn keine dimensionalen oder temporalen Eingriffe erfolgten.

In einem Schnittpunkt wie diesem war das jedoch an der Tagesordnung, einer der Gründe, warum die Goranen keine Zivilisa­tion entwickeln konnten, selbst wenn sie es gewollt hätten.

Raumschiffe intelligenter Völker, die die­sen Sektor kannten, mieden ihn wie eine tödliche Seuche. In ihren Karten war die blaßrote Sonne besonders gekennzeichnet, lediglich die Arkoniden hatten es versäumt, eine Kennzeichnung vorzunehmen.

Derartige Dimensionsverschiebungen konnten auf jeder Welt und in jedem Sektor des Raums auftreten, aber nicht in dieser konzentrierten Form wie hier. Es war auch schon geschehen, daß Raumschiffe mit Un­terlichtgeschwindigkeit unversehens in Transition gingen und für immer verschwan­den. Sie waren in einen Schnittpunkt hinein­geflogen.

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An solchen Schnittpunkten ist der Über­gang von einer Dimension in die andere be­sonders leicht, so sogar unvermeidlich. Meist gibt es dann keine Rückkehr in die ur­sprüngliche, es sei denn, man findet einen anderen Schnittpunkt, der den Übergang er­möglicht.

In engem Zusammenhang mit diesen Raumüberlagerungen stehen die unwillkürli­chen temporalen Verschiebungen, die nichts mit einer physikalisch erklärbaren Zeitdila­tation zu tun haben. Zeitebenen können sich überlagern und schneiden, so daß auch in diesem Fall ein ungewollter Übergang er­folgt.

Nur so ist zu verstehen, daß ein Lebewe­sen plötzlich eine andere Zeitregion betritt, sich eine Weile darin aufhält – ohne es zu bemerken – und vielleicht, wenn es Glück hat, in seine gewohnte Region zurückkehrt, um zu seiner Verblüffung festzustellen, daß hier statt Stunden eventuell Jahre vergangen sind.

Im Fall der blaßroten Sonne handelte es sich in erster Linie jedoch nur um räumliche Dimensionen. Die Sooster waren vor langer Zeit aus der ihren in den Normalraum ge­langt, eben auf den einzigen Planeten dieser Sonne. Einigen von ihnen gelang die Rück­kehr, den meisten jedoch nicht.

Tief im Unterbewußtsein schlummerte das Geheimnis der Möglichkeit einer sol­chen Rückkehr, aber das physikalische Wis­sen darum war verlorengegangen. Manch­mal half der Zufall, wenn die Cromlechs richtig angelegt wurden und die Monolithen das erforderliche Ornament bildeten, aber je mehr Zeit verging, desto verschwommener wurden Erinnerung und Anordnung der Stei­ne, die zudem noch die richtige Größe haben mußten.

So wurde allmählich aus einer physischen und psychischen Notwendigkeit ein religiö­ser Kult, dessen Bedeutung im Dunkel der Zeit unterging.

In den Goranen fanden die Sooster willige Hilfskräfte. Was die Polypen im Unterbe­wußtsein erstrebten, führten die Riesen ge­

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horsam aus. Für sie war diese Unterwerfung ein echter Fortschritt.

Doch auch das ist nur relativ zu bewerten.

4.

Sie standen oder saßen in der Kommando­zentrale und starrten mit verkniffenen Ge­sichtern auf den Bildschirm. So unbegreif­lich alles war, was um sie herum geschah, so real schien der Planet zu sein, den sie an­steuerten. Seit sie die Landung eingeleitet hatten, war er stabil und sichtbar geblieben.

»Sieht ganz so aus, als bekämen wir nun keine Schwierigkeiten mehr«, hoffte Srina­kor, der vor den Kontrollen saß. »Wenn es wirklich eine intelligente Macht ist, die uns am Weiterflug hindert, so scheint sie nun mit uns zufrieden zu sein.«

»Ich glaube nicht an eine Intelligenz«, lehnte Mollnor die Vermutung ab. »Es han­delt sich ganz zweifellos um ein physikali­sches Phänomen, wie ich schon andeutete. Trotzdem befürworte auch ich die Landung, weil sie uns die Möglichkeit gibt, die Vor­gänge besser zu studieren. Wenn wir die Ur­sachen kennen, werden wir auch die Folgen beseitigen können.«

»Wenn da etwas Greifbares dahinter­steckt, soll es sich vor uns in acht nehmen!« erklärte Kantoro wütend.

Ra verhielt sich schweigsam und zurück­haltend. Obwohl er der offizielle Leiter der Expedition war, wußte er doch, daß die ehe­maligen Schmuggler und Piraten die größere Erfahrung besaßen. Er war ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Und sie alle wie­derum diesem Unbekannten, das sie bedroh­te.

Die Oberfläche der fremden Welt war deutlich zu erkennen und zum Greifen nah, als die HAGAAR eine niedrige Umlaufbahn einschlug. Es gab nur zwei große Kontinen­te, von denen der eine aus lückenlosem Ur­wald bestand und nur von riesigen Tieren bewohnt wurde. Der andere Kontinent hin­gegen wartete mit einer Überraschung auf.

»Das sind künstlich angelegte Bauten!«

rief Logor und deutete auf den Bildschirm. »Seht doch! Ein exakter Kreis, in dessen Zentrum sich ein Opferaltar oder etwas Ähn­liches abzeichnet. Das kann nicht von selbst entstanden sein!«

Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß Logors Beobachtung richtig war. Außer­dem verriet der rötliche Punkt dicht dane­ben, daß ein Feuer brannte. In der beginnen­den Dämmerung war es deutlich zu erken­nen.

»Nach einer weiteren Umrundung ist es dort unten Tag. Wir werden landen.« Srina­kor nickte Logor zu. »Dein Platz wird dann für alle Fälle am Feuerleitstand sein.«

Sie verringerten die Geschwindigkeit und gingen tiefer, wobei die verstärkten Anti­gravfelder einen Absturz verhinderten. Da sie der Sonne entgegenflogen und sie schließlich zurückließen, erreichten sie den Urkontinent in der Nacht und überquerten ihn. In der Finsternis wären ihnen Lagerfeu­er sicherlich aufgefallen, aber es gab keine.

Von Westen her näherten sie sich dann abermals dem anderen Kontinent und er­reichten ihn bei Sonnenaufgang.

An vielen Stellen konnten sie nun die durch Steine gebildeten Figuren erkennen, die wie Zeichen aussahen und die nur aus großer Höhe einen Sinn zu ergeben schie­nen. Welchen Sinn, das blieb natürlich ein Geheimnis.

Der zweite Kontinent bot mehr Lebens­möglichkeiten als der erste, wenn man vom Standpunkt eines Arkoniden urteilte. Srina­kor hätte überall landen können, aber er wollte es dort tun, wo er das Feuer gesehen hatte. Feuer bedeutete halbwegs intelligentes Leben.

Am Fuß des Gebirges, das den Kontinent in zwei Hälften teilte, sahen sie sogar eine primitive Siedlung. Sie bestand aus niedri­gen Hütten, die wahllos errichtet worden waren und in seltsamen Gegensatz zu den geometrischen Figuren auf Ebenen und Lichtungen standen.

Dank des Kursspeichers war es für Srina­kor nicht schwierig, die Stelle wiederzufin­

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den, an der er zu landen gedachte. Als sie in Sicht kam, ging er auf nahezu Nullge­schwindigkeit und ließ die HAGAAR lang­sam dem Plateau entgegensinken, das wie ein ausgetrockneter See im hier stark gelich­teten Urwald lag. Dicht dahinter floß ein breiter Strom träge dem fernen Meer entge­gen.

Dann erblickten sie die Riesen. Der Alte, der die Arbeit heute überwach­

te, stellte befriedigt fest, daß sich der Kreis aus Steinen allmählich zu schließen begann. Die Sooster hatten darauf bestanden, daß ein besonders großer Monolith im Zentrum auf­gestellt wurde. Das obere Ende war zu einer rohen Spitze geformt worden, die senkrecht in den Himmel zeigen sollte.

Dann hörte er plötzlich ein seltsames Ge­räusch. Es klang wie das Summen eines bös­artigen Insekts und näherte sich.

Als er aufsah, entdeckte er die riesige Ku­gel am Himmel.

Vor Schreck rührte er sich nicht. Sein Sooster schickte wirre Gedankenimpulse aus, wahrscheinlich informierte er seine Art­genossen. Dann erst wandte er sich an den Alten direkt:

»Ein Schiff! Das ist eins der Schiffe, von denen ich dir einmal erzählte und das der Sucher gestern in der Abenddämmerung sah. Es werden Lebewesen daraus hervorkom­men, wenn es hier landet. Sie werden starke Waffen haben, mit denen sie euch töten kön­nen, also verhaltet euch abwartend. Aber vielleicht wollen sie nichts von euch und sind friedlich.«

»Könnt ihr uns nicht verteidigen?« »Nein, wir haben nicht die Macht dazu.

Aber wenn sie uns angreifen, ziehen wir uns in den Wald zurück. Doch fürchte dich nicht, vielleicht helfen uns die Steine. Arbei­tet weiter, es kann unsere einzige Rettung sein.«

Der Alte rief seinen Gefährten zu, das Schiff zu ignorieren.

Sie gehorchten, wenn auch mit sichtli­chem Unbehagen.

Sie halfen dem Träger, den mittleren Mo-

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nolithen im Zentrum des Kreises aufzustel­len.

*

»Sie kümmern sich nicht um uns!« sagte Kantoro fassungslos. »Sie arbeiten weiter an ihren Steinen, als würden hier jeden Tag Raumschiffe landen. Das begreife ich nicht.«

»Wir dürfen uns nicht durch ihre schein­bare Arglosigkeit täuschen lassen«, riet der alte Logor bedächtig. »Vielleicht wollen sie uns nur in Sicherheit wiegen.«

»Unsinn!« rief Kantoro aufbrausend. »Sie sind zwar fast doppelt so groß wie wir, aber primitiv. Um so verblüffender ist doch, daß sie nicht davonlaufen. Einer hat mal herge­schaut, dann seine Arbeit an den Steinen wieder aufgenommen. Das ist absurd und unnatürlich. Aber eine Gefahr sehe ich in diesem Verhalten nicht.«

Srinakor mischte sich nicht ein. Er hatte genug damit zu tun, die HAGAAR sicher zu landen, was in diesem Gelände gar nicht so einfach war. Überall lagen Steine herum, be­hauene und unbehauene. Der beste Platz lag zweifellos innerhalb des großen Kreises, den die Monolithen bildeten. Die Landestützen würden gerade genügend Raum zum Aufset­zen finden.

Als das Schiff niederging und sich damit den Goranen gefährlich näherte, zogen sich diese auf Anordnung des Alten nun doch zu­rück. Sie versammelten sich am Lagerfeuer außerhalb des Steinkreises. Die Sooster ver­suchten, ihre Träger zu beruhigen.

Srinakor atmete auf, als die Kontrollichter erloschen und eine glatte Landung anzeig­ten. Er schaltete den Antrieb ab und die An­tigravfelder auf halbe Stärke, um ein Einsin­ken der Stützen in den unbekannten Boden zu verhindern. Die Außenkameras richteten sich auf die übergroßen Eingeborenen, die in Gruppen um ihr Feuer standen und mitein­ander diskutierten. Die Außenmikrophone fingen undefinierbare Wortfetzen auf. Damit konnte selbst der Translator nichts anfangen.

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Vorerst wenigstens nicht. »Was nun?« fragte Kantoro ungeduldig.

»Selbst wenn sie uns verstehen, werden sie uns bestimmt nicht sagen können, warum wir hier landen mußten. Sie haben sicher nichts damit zu tun.«

»Natürlich nicht!« ereiferte sich Mollnor. »Die physikalischen Verhältnisse sind es, die uns …«

»Du kannst ihnen ja Unterricht geben«, riet Kantoro.

»Streitet euch doch nicht!« Srinakor sah unentwegt auf den Bildschirm und beobach­tete die Eingeborenen, die keinerlei Anstal­ten zur Flucht machten. »Seht euch lieber die Kerle da draußen genauer an. Die schei­nen alle ein Geschwür auf ihrer Schulter zu haben.«

»Schalt mal die Vergrößerung ein«, bat Hoffgart, der an Bord der HAGAAR als Arzt fungierte. Gleichzeitig verwaltete er auch die Vorräte. »Das muß ich mir anse­hen.«

Srinakor tat ihm den Gefallen. »Nun?« Hoffgart zögerte. »Hm, ich weiß nicht recht. Aber wenn ich

ehrlich sein soll, so muß ich zugeben, noch nie in meinem Leben Geschwüre mit neun Beinen gesehen zu haben.«

»Geschwüre mit neun Beinen?« Mollnor bekam bald einen Lachkrampf, dann beru­higte er sich wieder. »Na schön, wir sind auf einer fremden Welt und stehen fremden Le­bewesen gegenüber. Da müssen wir mit un­bekannten Dingen rechnen, selbst mit un­möglichen Dingen.«

»Es sind keine Geschwüre«, fuhr Hoffgart unbeirrt fort. »Es sind kleine Lebewesen, die auf der Schulter der Riesen sitzen. Vielleicht Parasiten oder so was.«

»Warum nehmen sie dann die Dinger nicht ab?« fragte Logor ratlos.

»Vielleicht brauchen sie sich gegenseitig, also eine Art Symbiose. Wir können die Burschen ja mal fragen. Vielleicht können wir ihnen helfen.«

Srinakor warnte:

»Immer langsam, Freunde. Mißtrauisch bleiben hat schon vielen von uns das Leben gerettet – mehr als nur einmal. Logor hat völlig Recht, wenn er uns zur Vorsicht mahnt. Die Eingeborenen verhalten sich nicht normal, das steht fest. Wir müssen her­ausfinden, warum das so ist.«

»Dazu müssen wir Kontakt mit ihnen auf­nehmen«, sagte Kantoro.

»Sicherlich, das werden wir auch. Spä­ter.«

»Warum denn nicht sofort? Warum willst du warten?«

»Weil Logor recht hat«, erwiderte Srina­kor etwas schroff.

»Eine Frage, Ra«, sagte Logor und deute­te auf den Bildschirm. »Du hast ja auch ein­mal auf einer primitiven Welt gelebt und kanntest keine Zivilisation. Versuche dich zu erinnern, bitte. Was tatet ihr, als zum er­sten Mal ein Raumschiff bei euch landete? Wie war eure Reaktion? Weißt du das noch? Und würdest du behaupten können, ihr habt ähnlich gehandelt wie die Riesen da drau­ßen?«

Ra schüttelte den Kopf. »Nein, unsere Reaktion war ganz anders.

Für uns waren es Götter, die vom Himmel herabstiegen, und entsprechend verhielten wir uns. Die da draußen betrachten uns nicht als Götter, für sie scheinen wir eine alltägli­che Erscheinung zu sein. Aber das wieder­um widerspricht allem, was wir bisher von dieser Welt sahen.«

»Sehr richtig! Und darum rate ich auch zur Vorsicht. Warten wir ab, was sie weiter tun …«

Eine Stunde später kehrte Mollnor aus dem kleinen analytischen Labor der HA­GAAR zurück, warf einen Blick auf den Bildschirm und stellte fest, daß sich am La­gerfeuer der Eingeborenen nichts verändert hatte.

»Nun?« fragte Srinakor. »Von dem ursprünglichen Phänomen ist

nichts mehr festzustellen. Keine Strahlung, keine Energiefelder, nichts. Immerhin liegt eine vollständige Analyse der Planetenbe­

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dingungen vor. Atmosphäre atembar, keine gefährlichen Krankheitserreger, Gravitation normal, Rotation und Umlaufzeit entspricht den physikalischen Voraussetzungen. Ein absolut gewöhnlicher Planet wie tausend an­dere.«

»Ist es möglich, von seiner Oberfläche aus die Verhältnisse in – sagen wir mal – ei­ner Entfernung von fünfzig Millionen Kilo­meter Entfernung zu registrieren? Da näm­lich begannen unsere Schwierigkeiten.«

Mollnor nickte und wurde unsicher. »Haben wir getan, Srinakor. Ergebnis:

null! Es ist, als wäre eine undurchdringliche Mauer dazwischen. Wir scheinen isoliert zu sein.«

»Was soll das heißen: isoliert?« »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken

soll … Wenn die Instrumente richtig funk­tionieren, dann hält sich dieser Planet in ei­ner relativ stabilen Zone auf, die jedoch äu­ßerst begrenzt scheint. Das System selbst al­lerdings, also Sonne und Planet gemeinsam, befindet sich im Zentrum kosmischer Insta­bilität. Verschiedene Dimensionen über­schneiden sich, wie ich schon früher vermu­tete. Eine höchst ungewöhnliche Situation.«

»Und wie kommen wir da wieder her­aus?«

Mollnor zuckte die Schultern. Kantoro verlor abermals die Geduld. »Wir stehen hier herum und verplempern

wertvolle Zeit. Gehen wir doch hinaus und fragen die Eingeborenen. Vielleicht wissen die einen Rat. Schließlich sind sie hier zu Hause.«

Hoffgart, der den Bildschirm nicht aus den Augen gelassen hatte, während die an­deren diskutierten, sagte plötzlich:

»Seht nur, die Riesen! Sie fangen wieder an zu arbeiten!«

So war es in der Tat. Als sei nichts ge­schehen, das den normalen Tagesablauf ver­änderte, begannen die Eingeborenen wieder damit, ihre Steine zu bearbeiten und aufzu­stellen. Einige der übergroßen Wesen ver­schwanden sogar aus dem Sichtbereich der Kameras, weil sie zwischen den Teleskop-

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stützen nicht mehr von ihnen erfaßt werden konnten.

»Bodenkamera einschalten«, befahl Srina­kor beunruhigt.

Auf einem kleineren Bildschirm war nun zu beobachten, was sich unmittelbar unter dem Schiffsunterteil abspielte.

Die Goranen – so nannten sich die Einge­borenen, wie sich später herausstellte – be­gannen damit, einen besonders sorgfältig be­hauenen Steinmonolithen aufzustellen, der vorher flach im Mittelpunkt des Kreises ge­legen hatte. Es würde ein ziemliches Stück Arbeit sein und Stunden dauern. Sie benutz­ten dazu Holzstämme als Hebel und aus Gras geflochtene Seile.

Der Monolith war etwa fünf Meter lang. Unter der HAGAAR wäre Platz für mehrere aufeinandergestellte Steine der gleichen Sor­te gewesen.

»Was soll denn das nun wieder bedeu­ten?« Mollnor sah ein wenig ratlos aus, und sicher war er das auch. »Es ist doch unmög­lich, daß sie uns einfach ignorieren und ihre Arbeit fortsetzen! Dazu noch unter dem Schiff!«

»Man könnte meinen, sie sähen uns nicht«, knurrte Hoffgart.

Ra blieb schweigsam. Zusammengekauert saß er in einem Sessel und ließ den Bild­schirm nicht aus den Augen. Er und seine Stammesbrüder hatten sich völlig anders verhalten, als das Schiff der Arkoniden lan­dete. Auch als Ischtar, die »Goldene Göt­tin«, zu ihnen kam, waren sie in die Wälder geflohen.

Das Verhalten der Riesen mit den Poly­pen auf den Schultern ergab absolut keinen Sinn. Für niemand an Bord der HAGAAR.

»Ob wir sie nicht besser davonjagen?« fragte Kantoro, dessen Geduld allem An­schein nach zu Ende ging. »Und zwar jetzt, bevor es zu spät ist!«

»Das wäre der größte Fehler, den wir ma­chen könnten«, lehnte Srinakor brüsk ab. »Du vergißt, daß wir hier festsitzen, und wenn uns überhaupt jemand helfen kann, dann diese Riesenkerle da draußen. Laß sie

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doch ihre Steine aufstellen, aus welchen Gründen auch immer.«

»Na schön«, brummte Kantoro unwillig. »Dann laß uns wenigstens hinausgehen und mit ihnen reden, sonst erfahren wir nie et­was.«

»Ich begleite euch«, erbot sich Ra sofort. »Wer geht?«

Nach kurzer Beratung wurde beschlossen, daß Kantoro und der alte Logor Ra begleiten sollten. Srinakor blieb hinter den Kontrollen der HAGAAR, um jederzeit eingreifen zu können, falls sich die Riesen nicht friedlich verhielten. Außerdem sollten einige Männer mit Handwaffen in der Luftschleuse postiert werden.

Logor hing sich den Translator vor die Brust und ging voran. Wie Kantoro und Ra war er unbewaffnet.

Die schwere Außenluke öffnete sich, was die unter dem Schiff arbeitenden Goranen dazu veranlaßte, ihren halb aufgerichteten Monolithen im Stich zu lassen. Ohne beson­dere Hast zogen sie sich bis zum Rand des Kreises zurück, wo sie sich zu ihren Artge­nossen gesellten. Ihr Verhalten verriet keine Furcht, höchstens Vorsicht.

Logor kletterte als erster die ausgefahrene Leiter hinab, gefolgt von Ra und Kantoro. Mit Absicht verzichteten sie auf den Trans­port durch eine Antigravplatte, um die Ein­geborenen nicht zu verwirren.

Logor wartete, bis seine beiden Begleiter neben ihm standen. Er schaltete den Transla­tor ein, ehe er ihnen zunickte und sich lang­sam in Bewegung setzte. Die Gewißheit, daß jede ihrer Bewegungen von der Kontrollzen­trale aus beobachtet wurde, verlieh den drei Männern ein Gefühl der Sicherheit, das sie jetzt unbedingt benötigten. Immerhin hatten sie keine Waffen bei sich, und der Anblick der fast doppelt so großen Bildhauer wirkte nicht gerade beruhigend.

Einige der Goranen hielten noch ihre Äxte in den Händen. Einer hackte sogar noch an einem Stein herum, ohne sich um die drei Fremden zu kümmern, die aus dem Schiff gekommen waren. Der Monolith schien ihm

wichtiger als alles andere zu sein. Logor hielt an, als sie noch zehn Meter

von der Gruppe entfernt waren und sich ih­nen ein besonders kräftig gebauter Riese zu­wandte, in der lässig herabhängenden Rech­ten das Beil. Der Polyp auf seiner Schulter hatte sich flammend rot gefärbt.

Der Alte sagte etwas in einer Sprache zu den Fremden, aber aus dem Translator ka­men nur undefinierbare Laute. Logor justier­te ihn ein, bis die Wortfetzen endlich ver­ständlicher wurden und einen Sinn bekamen.

»… ihr auf unserer Welt?« Der Sinn der Frage war trotz der Ver­

stümmelung klar. »Wir kommen, um Hilfe von euch zu er­

bitten«, sagte Logor und stellte befriedigt fest, daß nun aus dem Translator ähnliche Laute kamen, wie sie vorher der Gorane von sich gegeben hatte. Das Gerät funktionierte einwandfrei. »Seid ihr dazu bereit?«

Es war eine ungewöhnliche Art der Be­grüßung, aber Logor ging es in erster Linie darum, den Eingeborenen ihr Selbstbewußt­sein nicht zu nehmen, es im Gegenteil sogar zu stärken. Das würde sie vertrauensseliger und hilfsbereiter machen.

Srinakor konnte in der Zentrale der HA­GAAR jedes Wort über die eingeschalteten Telekome mithören und so die Unterhaltung verfolgen. Sein anfängliches Mißtrauen be­gann sich zu legen, wenn er auch immer noch nicht begriff, warum sich die Eingebo­renen so seltsam benahmen. Logor war klug genug, keine diesbezüglichen Fragen zu stel­len. Er nahm das Verhalten seiner Ge­sprächspartner scheinbar für selbstverständ­lich.

Die Mehrheit der Goranen schienen schließlich jedes Interesse an den Fremden verloren zu haben, denn sie machten sich wieder an ihre Arbeit, vermieden es aber, das Innere des Steinkreises zu betreten. Der halb aufgerichtete Monolith unter den Tele­skopstützen wurde nicht angerührt.

Logor versuchte dem Alten zu erklären, warum sie mit dem Schiff gelandet waren und welche Umstände sie daran hinderten,

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ihren Flug fortzusetzen. Er tat es mit einfa­chen und – so hoffte er zumindest – ver­ständlichen Worten, denn es war ihm klar, mit welchen Schwierigkeiten es verbunden sein mußte, einem nicht raumfahrenden Volk Begriffe verständlich zu machen, die ihm selbstverständlich waren.

»Wir müssen uns beraten«, war schließ­lich alles, was er zur Antwort erhielt.

Man ließ sie einfach stehen. Kantoro knurrte so leise, daß der Transla­

tor es nicht mehr aufnahm: »Mit wem wollen sie sich beraten? Mit

ihren Schulterquallen etwa? Ich wette, die haben nichts von dem verstanden, was du ih­nen erzählt hast.«

»Immerhin haben wir einen ersten Kon­takt hergestellt. Geben wir uns vorerst damit zufrieden. Kommt, gehen wir zurück ins Schiff.«

Ra hielt ihn am Arm fest. »Gib mir den Translator, Logor. Ich will

versuchen, mehr zu erfahren.« »Du hast doch gehört, daß sie allein blei­

ben wollen.« »Trotzdem! Ihr Arkoniden habt nicht den

Kontakt zur Natur wie ich, der auf einer pri­mitiven Welt wie dieser geboren wurde. Ich glaube, daß ich ihr Vertrauen gewinnen kann, wenn ich allein mit ihnen spreche.«

Logor gab ihm den Translator. »Wenn Srinakor einverstanden ist, kannst

du es ja versuchen. Aber bleibe in Sichtwei­te und laß den Telekom eingeschaltet.«

Ra sah zu, wie seine Gefährten im Schiff verschwanden. Die Luke blieb geöffnet. Er entfernte sich ein wenig von der Gruppe der Goranen und setzte sich auf einen der be­hauenen Steine, um sie zu beobachten. Was sie miteinander sprachen, nahm der Transla­tor nicht mehr auf.

Seine Hände spürten die Konturen des Steines, auf dem er saß. Obwohl nur roh be­arbeitet, hatten die Goranen ihm eine ganz bestimmte Form gegeben – einigermaßen rund und fast zwei Meter lang, etwa wie ei­ne Säule. Beide Enden waren stumpf, und das eine zeigte genau zum Mittelpunkt des

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Kreises, wo der fünf Meter lange Monolith lag.

Ra entsann sich der religiösen Opferstät­ten auf seinem Heimatplaneten, den sie ein­fach »Welt« genannt hatten. Aber dort wa­ren aus Steinen Altäre und Tempel errichtet worden, meist auf Anhöhen und Berggip­feln, aber sie hielten keinen Vergleich mit diesen Steinkreisen aus. Außerdem würde sich der Monolith im Zentrum des Kreises kaum als Opferaltar eignen.

Ihm war, als verspüre er ein leichtes Krib­beln im ganzen Körper, als seine flache Hand über die Kanten des Steines strichen. Er versuchte es noch einmal, und diesmal spürte er nichts.

Also doch nur Einbildung? Die Gruppe der Goranen löste sich auf.

Einige gingen wieder an ihre Arbeit, zwei verschwanden im Wald, und der Alte, mit dem Logor gesprochen hatte, kam auf Ra zu und blieb vor ihm stehen.

»Du gehörst nicht zu ihnen?« fragte er und deutete zum Schiff hinüber. »Du siehst anders aus als sie.«

Ra blieb ruhig sitzen. »Ich bin von einem anderen Volk, aber

wir sind Freunde.« Der Alte setzte sich auf den nächsten

Stein, keine zwei Meter von Ra entfernt. Sein Sooster schimmerte bläulich.

»Ihr kommt aus dem anderen Raum?« Ra verstand nicht sofort und erwiderte: »Der Raum über den Welten ist groß, un­

endlich groß. Ja, wir kommen aus ihm, von sehr weit her. Aber eure Sonne hält uns fest.«

»Sie ist mächtiger als alles andere«, bestä­tigte der Alte und sah auf Ra hinab. »Hat eu­er Raum auch Sonnen?«

»Es gibt sie überall, denn ohne sie ist kein Leben möglich. Eure Sonne ist nur eine von vielen. Jeder Lichtpunkt am Nachthimmel ist eine Sonne.«

Er entsann sich seiner Jugend auf der Hei­matwelt. Wie oft hatte er unter dem Nacht­himmel am Lagerfeuer gesessen und die Sterne betrachtet, ohne zu ahnen, was sie

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wirklich waren. Den Goranen mußte es ähn­lich ergehen.

»So hat auch der Sucher gesprochen, Fremder. Er hat also nicht gelogen …«

Ra rang sich die Frage ab: »Das … das Ding auf deiner Schulter …?

Was ist es?« Der Alte zögerte lange, ehe er darüber

sprach. Ra begriff nicht alles, was der Gora­ne ihm zu erklären versuchte. Für ihn waren die kleinen Polypen nichts anderes als Para­siten, die aus dem Weltraum auf diesen Pla­neten verschlagen worden waren. Allem An­schein nach waren sie eine Symbiose mit den Riesen eingegangen.

Er stellte weitere Fragen, erhielt aber kei­ne befriedigenden Antworten. Als er sich schließlich erkundigte, was der Steinkreis und der Monolith in seiner Mitte zu bedeu­ten habe, erhob sich der Alte, knurrte etwas Unverständliches und ging davon.

Ra fühlte sich allein gelassen. Aus dem Telekom kam Srinakors Stim­

me: »Es reicht jetzt, Ra. Du verlangst zuviel.

Komm zurück ins Schiff und berichte, wir konnten nicht alles verstehen.«

»Ich habe noch viel weniger verstanden«, gab Ra zu und gehorchte.

*

Der Alte saß neben dem Feuer und hielt Zwiesprache mit seinem Sooster. Der Jäger kehrte mit einem erlegten Urkon aus dem Wald zurück und zerlegte es. Die anderen Goranen arbeiteten an den Steinen, als sei nichts geschehen.

»Was sollen wir tun?« fragte der Alte sei­nen Ratgeber.

»Nichts, was ihr sonst auch nicht tun wür­det«, lautete die stumme Antwort des Soo­sters. »Beendet euer Werk, und die Fremden werden euch wieder verlassen.«

»Aber sie tun uns nichts, sie lassen uns in Frieden.«

»Sie sind Fremde und gehören nicht hier­her!«

»Wart ihr nicht auch Fremde, als ihr kamt?«

Der Sooster gab keine Antwort, verfärbte sich dunkel. Der Alte konnte das nicht se­hen.

*

»Was ist dein Eindruck, Ra? Glaubst du, daß sie uns helfen wollen oder können? Oder meinst du, es wäre vielleicht besser, wenn wir es an einer anderen Stelle versu­chen? Wir haben ja Ansiedlungen bemerkt.«

»Dort ist es auch nicht anders, Srinakor. Diese hier kennen wir jetzt, und wir haben Kontakt mit ihnen. Ich glaube, mit dem Al-ten kann man reden, wenn ich auch das Ge­fühl habe, daß sie von ihren Sooster, wie sie die Polypen nennen, geleitet werden. Mit ih­nen müßten wir Verbindung aufnehmen.«

»Und wie?« Ra zuckte die Schultern. »Das weiß ich auch nicht.« Hoffgart mischte sich ein: »Ich müßte so ein Ding untersuchen kön­

nen, aber sie scheinen fest mit ihren Trägern verwachsen zu sein.«

»Na und?« Kantoro hatte seine Enttäu­schung über die erste Begegnung mit den Eingeborenen noch immer nicht überwun­den. »Wir warten die Nacht ab und entfüh­ren einen der Goranen. Dann kann Hoffgart in aller Ruhe eine Untersuchung vornehmen. Morgen lassen wir den Burschen dann wie­der frei …«

»… und haben den ganzen Clan auf dem Hals, sicher!« Srinakor schüttelte den Kopf. »Das kommt überhaupt nicht in Frage – we­nigstens vorerst noch nicht. Warten wir den morgigen Tag ab. Vielleicht sind sie dann kontaktfreudiger. Sie haben ihren Schock noch nicht überwunden.«

»Was für einen Schock? Ich habe nichts von einem Schock bemerkt.«

»Vielleicht reagieren sie anders als wir«, meinte Logor.

Ra hatte sich nicht mehr an der Diskussi­on beteiligt. Mit einem kurzen Nicken ver­

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ließ er die Zentrale und suchte seine Kabine auf. Er legte sich angezogen aufs Bett und schloß die Augen.

Die Sooster mußten Telepathen sein, dar­an konnte kein Zweifel bestehen.

Vielleicht konnten sie seine Gedanken aufnehmen …

5.

Der Läufer war die ganze Nacht unter­wegs gewesen, ehe er das Dorf jenseits des Stromes erreichte. Atemlos überbrachte er die Botschaft des Alten und sorgte dafür, daß auch die Nachbarstämme alarmiert wur­den. Als der Abend dämmerte, hatten sich mehrere hundert Goranen versammelt und bereit erklärt, die Anordnung des Alten zu befolgen. Ihre Sooster bestärkten sie in die­ser Absicht. Noch vor Anbruch des nächsten Tages erreichten sie den Waldrand und sa­hen das große Schiff auf der Lichtung ste­hen, mitten in dem fast vollständigen Kreis. Es fehlten nur noch ein paar Dutzend Steine.

Der Alte berichtete, daß inzwischen nichts geschehen sei. Drei der Fremden waren wie­der zu ihnen gekommen und hatten mit ihm gesprochen, dann waren sie wieder gegan­gen.

»Wir müssen den Zauberkreis vollenden, so schnell wie möglich. Zum Schluß erst stellen wir den Monolithen auf. Macht euch an die Arbeit, geht mit dem Träger. Bringt neue Steine.«

Als Srinakor am dritten Tag aus dem Luk sah, erblickte er ein ganzes Heer Goranen, die Steine herbeischleppten und mit ihren Beilen bearbeiteten. Sie mußten sich in der vergangenen Nacht verzehnfacht haben. Der Eifer, mit dem sie versuchten, den Kreis aus Steinen um die HAGAAR zu vollenden, wirkte beunruhigend.

Srinakor informierte über Interkom die gesamte Besatzung und kehrte dann in die Zentrale zurück. Ra und die anderen beob­achteten die neue Entwicklung auf dem Bildschirm.

»Was soll dieser verdammte Kreis?«

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wollte Kantoro wissen. »Sie verfolgen doch einen ganz bestimmten Zweck damit! Soll­ten wir nicht endlich etwas unternehmen, statt untätig abzuwarten?«

»Wir müssen sie am Weiterarbeiten hin­dern«, stimmte Hoffgart ihm zu. »Ich habe ein ungutes Gefühl.«

»Unsinn!« Srinakor belog sich selbst und versuchte, Ruhe und Besonnenheit auszu­strahlen. »Sollen sie doch ihre Steine legen, was stört uns das? Vielleicht bauen sie uns einen Tempel, wer weiß?«

»Sie wollen uns helfen«, sagte Ra plötz­lich mit einem Tonfall, der keinen Zweifel an der Richtigkeit seiner erstaunlichen Be­hauptung aufkommen ließ. »Mit dem Kreis aus Steinen wollen sie uns helfen, in unsere Heimat zurückzukehren.«

Srinakor warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Wie kommst du denn darauf? Haben sie dir das gesagt?«

»Nicht direkt, und schon gar nicht die Go­ranen. Aber die Sooster.«

»Die Polypen?« »Ja, die Sooster! Sie wollen, daß der

Kreis um die HAGAAR fertiggestellt wird!« »Steine!« Hoffgart schnaubte verächtlich.

»Als ob uns Steine dazu verhelfen könnten, diesen verrückten Planeten zu verlassen! Mollnor hat ganz recht, wenn er von Dimen­sionsüberschneidungen spricht, und dagegen können auch Steine nicht helfen.«

»Aber die Sooster behaupten es«, sagte Ra überzeugt.

»Und wie? Haben sie es dir gesagt?« »Nein, Srinakor, gesagt haben sie es mir

nicht. Aber sie haben es mich fühlen lassen. Es war, als hätten sie lautlos zu mir gespro­chen, in der vergangenen Nacht. Sie müssen Telepathen sein.«

»Aber du bist keiner!« »Dann sind sie eben auch Hypnos, die ei­

nem Nichttelepathen ihre Gedanken mittei­len können. Ich habe ihre Impulse deutlich in meinem Bewußtsein gespürt. Sie drangen sehr vorsichtig ein.«

»Unsinn!« Hoffgart ließ sich nicht über­

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zeugen. »Bring mir so ein Ding, damit ich es untersuchen kann!«

»Das kann ich nicht.« »Dann werde ich es mir selbst holen«,

drohte der Arzt. »Hört endlich auf damit!« fuhr Srinakor

ihn streng an, und er meinte auch Ra. »Heute gehe ich selbst hinaus und spreche mit den Goranen. Ich werde den Alten fra­gen, was das alles zu bedeuten hat.«

»Er wird es dir nicht verraten«, prophe­zeite Ra.

Sie warteten bis zum Mittag. Als sich die Goranen um das Feuer versammelten und die halbrohen Fleischstücke in sich hinein­schlangen, verließ Srinakor in Begleitung von Ra und Logor das Schiff. Wieder gingen sie ohne Waffen, aber hinter sich wußten sie die Feuerkraft des Schiffes.

Der Alte sah auf, als sie nahe genug her­angekommen waren, kaute aber ruhig wei­ter. Die anderen Goranen taten so, als hätten sie die drei Fremden nicht bemerkt. Alle Sooster schimmerten rötlich.

»Wir haben einige Fragen«, begann Srina­kor und bedauerte zutiefst, daß der Transla­tor seinen höflichen Tonfall nicht naturge­treu wiedergab. »Würdest du so liebenswür­dig sein, sie zu beantworten?«

Der Alte stand auf und warf den Knochen ins Feuer.

»Dort drüben, bei den Steinen.« Sie setzten sich, während die anderen Go­

ranen beim Feuer blieben. »Fragt!« forderte der Alte sie auf. Srinakor kam sofort zur Sache: »Die Steine hier – warum macht ihr das?

Weichen Sinn soll das haben? Unser Freund hier …«, er deutete auf Ra, »… behauptet, ihr wolltet uns damit helfen.«

»Euch und uns«, sagte der Alte nur. »Euch und uns?« Srinakor war für einen

Augenblick ratlos. »Wie sollen wir das ver­stehen? Wie können Steine uns helfen?«

»Ihre Anordnung ist das Tor zu anderen Welten«, lautete die rätselhafte Antwort. »Und ihr kommt ja von einer anderen Welt und wollt zu ihr zurückkehren. Also helfen

wir euch.« »Unser Schiff fliegt nicht mit Steinen«,

versuchte Srinakor ihn zu belehren. »Es legt weite Strecken zurück, aber niemals mit Hil­fe von Steinen.«

»Ihr werdet sehen«, war alles, was der Al­te dazu sagte.

Auch Logor stellte einige Fragen, aber niemand konnte mit den Antworten viel an­fangen. Schließlich stand Srinakor auf, gab seinen Begleitern einen Wink und kehrte zum Schiff zurück.

Zwei Stunden waren unnütz vergeudet worden.

*

»Wir sollten einfach starten und versu­chen, das System zu verlassen«, riet Moll­nor. »Vielleicht haben sich die Verhältnisse verändert, und es gelingt uns.«

Srinakor deutete mit einer wütenden Handbewegung auf die Anzeiger der Or­tungsgeräten und Energietaster.

»Sieh doch selbst, Schlaukopf, was dort los ist! Die Instrumente spielen verrückt, viel schlimmer als vor vier Tagen. Sie zei­gen Bedingungen im Weltraum an, die wir niemals überstehen würden. Ein Start ist ab­solut sinnlos.«

»Du willst dich also auf die Hilfe dieser Steinmetze verlassen?«

»Wir haben keine andere Wahl.« »Vor zwei Stunden hast du anders ge­

dacht.« »Das war vor zwei Stunden!« sagte Srina­

kor, wütend über sich selbst. Ra fragte ruhig: »Habt ihr etwas dagegen, wenn ich wie­

der allein hinausgehe?« »Warum? Was willst du denn tun? Du

hast doch selbst erlebt, wie stur sie sind. Du wirst nichts erreichen!«

»Vielleicht doch. Zwar verstehe ich nicht viel von dem, was Mollnor über andere Di-mensionen und Schnittpunkte erzählt, aber ich weiß, daß es solche Dinge gibt. Ich war mit Atlan im Mikrokosmos, und das ist auch

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eine andere Dimension. Primitive Völker ha­ben oft eine engere Beziehung dazu als wir, die wir uns zivilisiert nennen. Und ich erin­nere mich da an ein Erlebnis auf meiner un­bekannten Heimatwelt, die zu suchen wir aufgebrochen sind …«

»Ein Erlebnis? Auch mit Steinen?« fragte Kantoro spöttisch.

Ra nickte ungerührt. »Ja, auch mit Steinen. Ein fremder

Stamm, mit dem wir in ständiger Fehde leb­ten, machte einige Gefangene. Wir wollten sie befreien und schlichen uns an ihr Lager heran, das am Fuß eines Hügels lag. Auf dem Gipfel des Hügels hatten sie Steine auf­geschichtet, in einer ganz bestimmten An­ordnung. Es war kein Kreis, aber ein Qua­drat. In der Mitte war eine Steinplatte, flach und eben.«

»Na, und?« fragte Srinakor, als Ra schwieg.

»Sie stellten ihre vier Gefangenen auf die­sen Stein, an Händen und Füßen gebunden. Wir hatten uns nahe genug herangeschli­chen, um alles gut beobachten zu können. Sobald die fremden Krieger ihre Waffen er­hoben, um unsere Stammesbrüder zu töten, wollten wir eingreifen. Aber dazu kam es gar nicht erst.«

Wieder machte Ra eine Pause, und dies­mal blieb es still.

»Der Häuptling des räuberischen Stam­mes sorgte dafür, daß keiner seiner Krieger in dem Steinquadrat verblieb, dann bückte er sich und machte sich an einem der Quader zu schaffen. Da dieser auf Holzrollen ruhte, war es nicht schwer, ihn zu bewegen. Ein Stoß genügte, und er verschob sich so, daß eine Lücke geschlossen wurde. Im gleichen Augenblick waren meine vier Stammesbrü­der verschwunden.«

»Verschwunden?« Srinakor starrte Ra verwundert an. »Was soll das heißen, ver­schwunden?«

»Sie waren nicht mehr da. Der Stein, auf dem sie gestanden hatten, war leer. Die feindlichen Krieger brachen in Freudenge­heul aus, und damit endete das Fest.«

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»Das glaube ich nicht!« sagte Mollnor. »Das ist eine physikalische Unmöglichkeit. Wahrscheinlich sind sie von dem flachen Stein in eine Fallgrube gestürzt worden.«

»Wir konnten das nicht näher untersu­chen, denn es wurde höchste Zeit, uns in Si­cherheit zu bringen. Aber ich kehrte später zurück und sah mir den Tempel an. Der fla­che Stein war zu schwer, um ihn anheben zu können, aber es gab keine Anzeichen für ei­ne Grube darunter. Ich habe euch die Ge­schichte auch nur deshalb erzählt, weil auch die Goranen geometrische Formen aus Stei­nen bilden. Ich glaube, eine Parallele zu se­hen.«

»Und darüber willst du mit ihnen spre­chen?« fragte Srinakor voller Zweifel.

»Ich möchte es zumindest versuchen.« »Von mir aus. Aber wir können dir nicht

helfen, wenn sie über dich herfallen – we­nigstens nicht schnell genug.«

»Ich paß schon selbst auf mich auf.« »Nimm eine Waffe mit.« Ra schüttelte den Kopf. »Nur den Translator.« Als er das Schiff verlassen hatte, sahen sie

ihn noch eine Weile auf dem Bildschirm. Er passierte die Gruppen der arbeitenden Gora­nen, die sich nicht um ihn kümmerten, und verschwand dann im Wald.

*

»Er ist verrückt geworden«, stellte Moll­nor fest. »Ob er wirklich daran glaubt, daß man mit Steinen Menschen verschwinden lassen kann?«

»Er stammt von einer primitiven Welt, wo die Eingeborenen noch an Geister und Göt­ter glauben«, erinnerte ihn Logor. »Du bist Physiker und Energiespezialist und siehst al­les viel nüchterner. Aber ich glaube, du weißt auch nicht alles. Vergiß vor allen Din­gen nicht, unter welchen ungeklärten Bedin­gungen wir hier strandeten. Selbst du fan­dest keine Erklärung für die Vorkommnisse. Und noch etwas: Hast nicht gerade du im­mer von Dimensionen gesprochen, die sich

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in diesem System überschneiden?« »Was hat denn das damit zu tun?« »Vielleicht viel, vielleicht überhaupt

nichts.« Einer der Arkoniden, die mit in der Zen­

trale waren, sagte vom Heckbildschirm her: »Sie machen sich wieder unter dem Schiff

zu schaffen. Ich glaube, sie wollen den Mo­nolithen aufrichten …«

Der große Steinkreis war nahezu ge­schlossen, als der Sooster dem Alten mitteil­te:

»Lasse eine Lücke von zwei Steinen und richte den Monolithen auf. Erst wenn das geschehen ist, schließe den Kreis endgültig. Niemand darf ihn dann mehr betreten.«

Der Alte gab die Anordnung weiter. Etwa ein Dutzend Goranen begann mit

der Aufrichtung des Zentralmonolithen unter dem Schiff. Das war eine ziemlich kompli­zierte Arbeit, die nur mit Hilfe von Rollen, Holzstützen und Seilen getan werden konn­te. Zuvor war der Boden geglättet und ein wenig ausgehöhlt worden.

Auch als Srinakor und Kantoro im geöff­neten Luk erschienen, ließen sich die Gora­nen nicht stören. Unverdrossen arbeiteten sie weiter.

Logor gesellte sich zu den beiden. »Ich habe ein ungutes Gefühl. Vielleicht

sollten wir sie daran hindern, ihren Stein aufzurichten.«

»Warum denn?« fragte Srinakor. »Zugegeben, mir behagt das alles auch nicht, aber ich sehe nicht ein, daß wir Angst vor einer Bande von Medizinmännern zei­gen sollen. Was meinst du, Kantoro?«

»Wenn es nach mir ginge, würden wir sie davonjagen. Wenn Ra meint, sie würden uns helfen, irrt er sich. Aber du bist ja der Boß, Srinakor, nicht ich.«

Hoffgart und Mollnor kamen ebenfalls in die Schleuse. Srinakor sagte:

»Wer ist in der Zentrale?« »Kordar und Ranschora haben übernom­

men«, beruhigte ihn Hoffgart. »Ich habe üb­rigens mit Orotak gesprochen. Wie ihr wißt, gilt er als Spezialist für Eingeborenenkon­

takte, weil er als Schmuggler viel mit Primi­tivwelten zu tun hatte. Er meint, wir sollten uns in der Umgebung mal umsehen. Mit dem Gleiter vielleicht. Es könnte gut sein, meinte er noch, daß wir es hier gerade mit einem wenig entwickelten Stamm zu tun ha­ben, während in anderen Regionen Goranen leben, die uns wirklich helfen könnten.«

»Da hat er nicht unrecht«, stimmte Kanto­ro sofort zu. »Mit diesen Steinklopfern ist ohnehin nichts anzufangen. Ich bin für den Gleiter.«

»Und was ist mit Ra?« erkundigte sich Srinakor. »Über Telekom hat er sich noch nicht gemeldet.«

»Sollen wir vielleicht auf ihn warten?« »Hast du es so eilig, Kantoro?« »Klar habe ich es eilig, oder glaubst du,

ich wollte hier zwischen den Steinen ver­schimmeln?«

Srinakor seufzte. »Also gut, stellen wir eine Expedition zu­

sammen. Kordar und Ranschora bleiben in der Kommandozentrale, Orotak wird uns be­gleiten. Ich werde den alten Goranen infor­mieren, daß wir einen Erkundungsflug un­ternehmen. Hoffentlich regen sie sich nicht über den Gleiter auf.«

»Warum sollten sie? Die HAGAAR hat sie auch nicht aus der Ruhe gebracht.« Kan­toro ging ins Schiff zurück. »Ich gehe dies­mal nicht ohne eine Waffe.«

»Es sind genug im Gleiter«, rief Srinakor hinter ihm her, dann kletterte er die Leiter hinab, um mit dem Alten zu sprechen.

Noch während er ihm erklärte, was sie planten, kam der Gleiter aus der Hangarluke und landete sanft neben einer der Teleskop­stützen. Die arbeitenden Goranen sahen nur kurz hin, und damit war der Fall für sie erle­digt.

Logor versuchte indessen, Kontakt mit Ra aufzunehmen, erhielt aber keine Antwort. Er stieg in die Gleiterkabine. Kantoro saß be­reits hinter den Flugkontrollen. Hoffgart, Mollnor und Orotak zwängten sich ebenfalls in die engen Sitze und warteten auf Srina­kor.

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Der alte Gorane hörte sich dessen Erklä­rungen mit stoischer Ruhe an, dann sagte er:

»Ihr werdet nicht da sein, wenn euer Schiff heimkehrt.«

»Doch, bis dahin sind wir zurück«, erwi­derte Srinakor, um den Alten nicht zu verär­gern. »Wir sind euch sehr dankbar für eure Hilfe. Weißt du übrigens, wohin unser Freund Ra gegangen ist? Er verschwand im Wald.«

»Der Mann mit dem schwarzen Pelz auf dem Kopf? Vielleicht ging er auf die Jagd, ich weiß es nicht. Er ist sehr klug und hat ungewöhnliche Gedanken.«

»Woher weißt du das?« fragte Srinakor schnell. Konnten die Goranen etwa Gedan­ken lesen? »Sagte er dir das?«

»Mein Sooster teilte es mir mit.« Also doch! Ra hatte sich nicht getäuscht.

Die Sooster waren Telepathen – wenigstens was Ra anging.

Srinakor ging zum Gleiter und schloß die Kabinentür.

»Dann los, Kantoro! Halte geringe Höhe, damit wir mehr sehen. Ich halte Funkverbin­dung zum Schiff, und vielleicht hören wir endlich etwas von Ra. Er scheint den Gora­nen ja mächtig imponiert zu haben.«

Er berichtete, was der Alte ihm gesagt hatte.

Orotak sagte: »Wie ihr wißt, habe ich meine Erfahrun­

gen mit den Eingeborenen der unterschied­lichsten Welten gemacht, und mir ist aufge­fallen, daß gerade die primitiven Völker en­geren Kontakt mit den Gesetzen der Natur haben als wir. Die Goranen, so glaube ich, wissen mehr über die seltsamen physikali­schen Verhältnisse in diesem System als wir, auch mehr als Mollnor.«

»Ich muß doch sehr bitten!« empörte sich der Physiker. »Dann frage doch mal die Go­ranen, was sie sich unter Dimensionskonti­nuum und Zeitebenen vorstellen. Bin ge­spannt, was sie antworten.«

»Sie haben andere Ausdrücke dafür«, gab Orotak zu. »Das ist alles.«

Der Gleiter strich dicht über die Baum-

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wipfel des Urwalds dahin und näherte sich dem breiten Fluß, dessen Lauf Kantoro zu folgen gedachte. Vielleicht sah Ra sie und meldete sich endlich.

Nach etwa zehn Kilometern wurde der Wald lichter. Auf mehreren kleineren Hü­geln erblickten die Arkoniden wieder Steine, alle gleichmäßig geformt und geometrisch genau ausgerichtet. Einige Goranen, die sich anscheinend auf der Jagd befanden, flohen panikartig, als sie den langsam dahinschwe­benden Gleiter bemerkten.

»Da haben wir schon den Unterschied!« stellte Orotak befriedigt fest, weil seine Theorie sich bestätigte. »Die hier benehmen sich ganz anders als jene beim Schiff.«

»Wir landen«, befahl Srinakor. »Sehen wir uns doch mal so einen Flachtempel da unten an. Mollnor, kümmere du dich um die Meßinstrumente. Ich möchte wissen, ob sie uns etwas verraten.«

Die Instrumente im Gleiter waren nicht so empfindlich und weitreichend wie jene an Bord der HAGAAR. Physikalische Eigenar­ten im Weltraum konnten damit nicht regi­striert werden.

»Sie zeigen gewisse Schwankungen an«, sagte Mollnor. »Immer dann, wenn wir einen Haufen Steine überflogen, schlugen die Zeiger bis zum Anschlag aus. Ich kann mir das nicht erklären.«

»Energiefelder?« »Mehr Überlagerungen von Energiefel­

dern«, berichtete der Physiker. »Wie draußen?« »So ähnlich, nur stärker.« »Stärker?« »Richtig! Stärker!« Srinakor schüttelte den Kopf. »Wenn sie stärker wären, würden sie uns

festhalten oder zumindest technische Störun­gen verursachen. Hast du etwas Derartiges bemerkt, Kantoro?«

»Keine Spur, alles in Ordnung.« Mollnor verteidigte seine Angaben: »Es handelt sich um Störungen, die nur

Bruchteile von Sekunden dauern und sich nicht auf den relativ schwerfälligen Antrieb

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auswirken können, wohl aber auf die Anzei­gen der Instrumente. Meiner Meinung nach treten sie nur dann auf, wenn wir in den Schnittpunkt mehrerer Energiefelder geraten – genau über den Steinformationen. Ob es sich lediglich um Energiefelder handelt, oder um Dimensionsebenen, kann ich nicht mit Sicherheit sagen.«

»Also hätten die Steine doch einen Ein­fluß darauf?« vergewisserte sich Srinakor, plötzlich sehr besorgt.

»Ich glaube – ja.« Srinakor rief die HAGAAR und atmete

erleichtert auf, als sich Ranschora meldete. »Wie sieht es aus bei euch? Alles in Ord­

nung?« »Die Kerle arbeiten noch immer, Chef.

Unter dem Schiff haben sie den Monolithen bald aufgerichtet. Scheint ihnen Schwierig­keiten zu bereiten. Mit einem Antigravfeld hätten wir es in fünf Minuten geschafft. Sol­len wir ihnen helfen?«

»Auf keinen Fall! Beobachtet weiter und laßt sie nicht aus den Augen. Informiert uns, wenn sich etwas ändert. Wir bleiben in Ver­bindung.«

»Noch etwas: Ra ist für einen Moment hier aufgetaucht. Als er hörte, daß ihr mit dem Gleiter unterwegs seid, ist er wieder ge­gangen. Er sagte, er hätte vergessen, den Te­lekom einzuschalten.«

»So ein Esel!« schimpfte Srinakor. »Dem werde ich was erzählen!«

Er schaltete um und rief Ra. »Tut mir leid«, entschuldigte sich Ra,

nachdem er sich die kurze Strafpredigt ange­hört hatte. »Aber ich war wirklich so in Ge­danken, daß ich es vergaß. Wir haben eine verrückte Welt entdeckt, Srinakor. Eine Welt, die stabil zwischen den Dimensionen existiert. Die Steine sind Tore zu anderen Daseinsebenen. Die Goranen müssen anneh­men, wir kamen aus einer anderen Dimensi­on, und dorthin wollen sie uns auch zurück­befördern. Sie haben keine Ahnung davon, daß sie und wir in derselben Dimension le­ben. Der Begriff 'Raum' hat für sie eine an­dere Bedeutung als für uns. Sie meinen da­

mit Dimension, wir aber verstehen darunter die reale Entfernung zwischen zwei Punk­ten, das ist alles.«

Mollnor wurde ganz aufgeregt, als er das hörte. Srinakor fragte: »Wo bist du jetzt?«

»Nicht weit vom Schiff entfernt im Wald. Ich unterhalte mich mit dem Jäger.«

»Mit wem?« »Der Jäger gehört zu ›unserem‹ Stamm.

Es war schwer, sein Vertrauen zu erringen, aber nun sagt er alles, was er weiß.«

»Quetsche ihn aus. Wir sind in einer halb-en Stunde wieder beim Schiff, nachdem wir hier einen Steinhügel besichtigt haben.«

»Seid vorsichtig!« warnte Ra plötzlich sehr besorgt. »Geht auf keinen Fall zu nahe an die Steine heran.«

»Wir glauben nicht an Zauberei«, erwi­derte Srinakor und gab Kantoro ein Zeichen, zur Landung anzusetzen. »In einer halben Stunde also beim Schiff.«

Der Gleiter sank langsam tiefer. Auf der großen Waldlichtung begannen sich die Konturen des flachen Hügels deutlich abzu­zeichnen, auf dessen Gipfelplateau die be­hauenen Steine in fünfeckiger Formation herumlagen. Lediglich einer der sonst exakt ausgerichteten Steine lag quer. Seine Längs­seite zeigte nicht auf den Mittelpunkt des Fünfecks, das durch einen Monolithen ge­kennzeichnet wurde.

Mollnor registrierte erneut Störungen, die aber sofort nachließen, als Kantoro den Gleiter seitwärts abtreiben ließ und etwa hundert Meter neben dem Hügel landete.

»Jetzt will ich es aber wissen!« sagte er, entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. »Ich habe schon die verrücktesten Dinge erlebt, aber daß einfache Steine Tore zu anderen Dimensionen sein sollen, wie Ra sich ausdrückt, will mir nicht in den Kopf. Vielleicht ist es besser, wenn einer im Glei­ter bleibt und die Instrumente beobachtet. Er soll uns warnen, wenn eine Veränderung eintritt.«

»Ganz wohl ist dir also auch nicht, was?« erkundigte sich Kantoro, der ihm gefolgt war. »Ich jedenfalls gehe mit! Das muß ich

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mir ansehen.« »Ich bleibe hier«, erbot sich Mollnor.

»Schaltet eure Telekome ein, damit ich euch unterrichten kann.«

Srinakor sah den flachen Abhang hinauf. »Gehen wir«, sagte er.

*

Als der Jäger sich entfernt hatte, um noch ein Urkon für die Goranen zu erlegen, blieb Ra nachdenklich auf dem Baumstamm sit­zen, der am Rand einer kleinen Lichtung lag.

Was er in Erfahrung hatte bringen kön­nen, war mehr als phantastisch. Die Goranen kannten das Geheimnis, von einer Dimensi­on in die andere überwechseln zu können, ohne daß sie wußten, worum es sich dabei handelte. Selbst die Sooster hatten es ver­gessen, obwohl sie einst aus einer anderen Dimension auf diese Welt gekommen wa­ren. Die Erinnerung daran war bei ihnen noch vorhanden, nicht aber das reale Wis­sen.

Hinzu kam, daß es bisher noch keine Rückkehr nach einem Verschwinden gege­ben hatte.

Es war eine Dummheit gewesen, die HA­GAAR ausgerechnet mitten in einem Stein­kreis zu landen. Dem Schiff drohte größte Gefahr.

Ra ahnte es mehr, als daß er es wußte. Aber die Arkoniden hörten nicht auf ihn. Sie waren nüchterne Denker und hielten nichts von übernatürlichen Dingen.

Er rief den Gleiter. Mollnor meldete sich. »Ist es wichtig, Ra? Ich muß mich um die

Instrumente kümmern, da Srinakor und die anderen einen Hügel mit einer Steinformati­on untersuchen wollen.«

»Ruf sie zurück, es ist gefährlich!« »Damit ich ausgelacht werde? Was soll

denn an den Steinen so gefährlich sein?« »Das weißt du selbst ganz genau, Moll­

nor. Es handelt sich in der Tat um Tore zu einer anderen Dimension.«

»Und wenn schon! Kann doch nur gut

CLARK DARLTON

sein, wenn wir mehr darüber herausfinden, sonst können wir den Rest unseres Lebens auf diesem Urplaneten verbringen, und dazu verspürt keiner von uns große Lust.«

»Ruf sie zurück!« wiederholte Ra, obwohl er annehmen mußte, daß auch Srinakor ihn hörte. »Ich erwarte euch beim Schiff.«

»Geh schon mal vor«, riet Mollnor und sah wieder auf seine Skalen.

Die Zeiger begannen sich zu bewegen und krochen langsam zum Anschlagspunkt vor.

*

Als sie das kleine Plateau erreichten, wirkte alles harmlos und friedlich. Die be­hauenen Steine schimmerten im Schein der blaßroten Sonne und warfen unterschiedli­che Schatten. Bis auf den einen kleinen Mo­nolithen war das Fünfeck perfekt.

Orotak sagte: »Wir müssen herausfinden, was an der

Geschichte dran ist. Dieser eine Stein hier unterbricht die sonst exakte Formation. Wir müssen ihn zurechtrücken. Mollnor sollte dann eine Veränderung der energetischen Felder registrieren können.«

Niemand hatte etwas gegen den Versuch einzuwenden. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen schließlich, den Stein an seine ur­sprüngliche Stelle zurückzuwuchten, die deutliche Spuren hinterlassen hatte.

Mollnor meldete sich: »Die Zeiger stehen am Anschlag. Starke

Energieüberlagerungen!« Srinakor schüttelte verzweifelt den Kopf. »Und das nur, weil wir einen Stein ver­

schoben haben …!« Über dem Fünfeck, genau über dem Zen­

trumsstein, schien die Luft zu flimmern, aber das konnte auch eine ganz natürliche Erklärung haben. Es war ziemlich warm, und der Boden war felsig. Die erwärmte Luft stieg nach oben und verursachte das Flimmern.

Srinakor bückte sich, nahm einen faust­großen Stein auf und warf ihn mitten in das Fünfeck.

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39 Schnittpunkt der Dimensionen

Der Stein fiel dicht neben den Monolithen und blieb liegen.

»Na also!« sagte Hoffgart triumphierend. »Ist ja alles purer Unsinn! Du hast wohl er­wartet, Srinakor, daß er verschwindet?«

»Unterbewußtsein, vielleicht. Aber ich finde es völlig normal, daß er liegengeblie­ben ist. Hat jemand von euch Lust, ihn wie­der herauszuholen?«

Orotak nahm die Aufforderung ernst. »Ich gehe. Riten und Gebräuche primiti­

ver Völker haben mich schon immer interes­siert, und diesmal möchte ich wirklich genau wissen, was hier auf dieser verrückten Welt los ist.«

»Du gehst nicht!« rief Srinakor ihm schnell zu. »Es war nicht so gemeint …«

»Natürlich gehe ich, oder wir erfahren nie, was es mit diesen Steintempeln auf sich hat. Willst du mich daran hindern?«

»Ich tue es nicht. Du gehst auf deine eige­ne Verantwortung.«

Orotak nickte und schritt durch zwei der Steine hindurch, die etwa in einem Abstand von zwei Metern nebeneinander lagen und so das Fünfeck bildeten. Die Entfernung bis zum mittleren Monolithen betrug ungefähr dreißig Meter.

Vorerst geschah nichts. Orotak ging sehr langsam. Er setzte Fuß

vor Fuß, als taste er das Gebäude ab. Moll­nor meldete vom Gleiter her starke Unregel­mäßigkeiten der energetischen Messungen. Kantoro fingerte völlig unnötig an seinem Handstrahler herum. Srinakor sah Orotak mit erstarrtem Gesicht nach.

»Er hätte nicht gehen dürfen«, flüsterte Logor ahnungsvoll.

Orotak war nur noch fünf Meter von dem Monolithen entfernt, als er stehenblieb und sich umwandte.

»Es kribbelt mir in den Knochen, als stün­de ich unter Strom. Könnt ihr von dort aus etwas sehen oder spüren?«

»Nein, aber komm zurück«, riet Srinakor besorgt.

»Dann haben wir nichts erreicht«, wider­sprach Orotak.

Er drehte sich wieder um und ging. Sie alle konnten beobachten, was dann

geschah, als er den Stein im Zentrum des Fünfecks erreichte.

Zuerst schienen seine Umrisse zu ver­schwimmen, als er den Stein mit der Hand berührte und dann zurückzuckte. Dann be­gann er, allmählich transparent zu werden …

… und dann war er verschwunden. »Orotak!« rief Srinakor entsetzt. »Orotak!

Zurück!« Aber er bekam keine Antwort mehr. »Was ist passiert?« fragte Mollnor vom

Gleiter her. Gleichzeitig meldete sich auch Ra, eine Sekunde später Ranschora aus der HAGAAR.

Srinakor starrte noch immer auf den lee­ren Platz, wo Orotak gestanden hatte.

»Orotak ist verschwunden, als er den Mo­nolithen berührte. Er ist einfach nicht mehr da. So als ob er …«

»… als ob er in eine andere Dimension übergewechselt wäre?« erkundigte sich Ra. »Ich habe euch gewarnt, aber ihr habt nicht auf mich hören wollen. Mit dem Schiff wird das gleiche geschehen, wenn niemand die Goranen daran hindert, den Kreis zu vollen­den.«

»Wir kommen sofort zurück, Ra. Wo bist du jetzt?«

»Am Lagerfeuer der Goranen. Sie brau­chen nur noch einen Stein zu legen, denn der Monolith in der Mitte steht. Seine Spitze zeigt genau auf die Unterseite der HAG AAR.«

Kantoro sagte in seinen Telekom: »Kordar, verjage sie mit einigen Energie­

salven!« »Auf keinen Fall!« protestierte Srinakor

erregt. »Damit würden wir alles nur noch schlimmer machen. Wartet, bis wir bei euch sind!«

Sie liefen den Hügel hinab zum Gleiter. Mollnor machte Platz, als Kantoro sich

hinter die Flugkontrollen setzte. Die Kabi­nentür schloß sich.

Überhastet startete der Gleiter.

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40

Unten über dem Hügel mit dem steiner­nen Fünfeck lag ein flimmernder Nebel, der von den Instrumenten deutlich registriert werden konnte.

»Orotak ist nicht tot«, sagte Mollnor über­zeugt. »Aber er wird nie mehr zu uns zu­rückkehren können. Ich fürchte, wir werden ihm trotzdem wieder begegnen. Drüben …«

6.

Ra sah den Jäger mit seiner Beute aus dem Wald kommen, die er neben dem Feuer ablegte und sofort zu zerlegen begann. Eini­ge der Goranen warfen hungrige Blicke in Richtung des Urkons, unterbrachen aber ihre Arbeit nicht. Sie rückten den letzten Stein zurecht, während andere den großen Kreis abschritten und die Lage der Monolithen überprüften, Ra unterdrückte den Impuls, zum Schiff zu gehen. Die Warnung in sei­nem Unterbewußtsein war nicht zu überhö­ren. Dem Jäger weitere Fragen zu stellen, war sinnlos, er hatte ihm schon alles gesagt, was zu sagen war.

Der Alte kam zu ihm und setzte sich. »Willst du nicht zu deinen Freunden?«

fragte er, nachdem Ra den Translator einge­schaltet hatte.

Ra schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier.« »Wie du willst. Aber deine Freunde wer­

den uns bald verlassen.« »Ich bleibe hier«, wiederholte Ra stör­

risch. Noch nie in seinem Leben war er so von

Zweifeln erfüllt gewesen wie gerade jetzt. Auf der einen Seite war er davon überzeugt, daß nichts geschehen würde, wenn die Gora­nen ihren Steinkreis vollendeten. Aber auf der anderen Seite war da sein Instinkt, der ihn warnte, und vor allen Dingen überzeugte ihn die ruhige Gelassenheit der Goranen, die mit einer Zielstrebigkeit ihr Vorhaben aus­führten, die nur überzeugen konnte.

Er hielt den Telekom nahe an den Mund. »Srinakor, wo steckt ihr?« »Sind bald dort«, kam es zurück.

CLARK DARLTON

»Wie sieht es aus?« »Der Kreis ist bald fertig. Der alte Gorane

hat mich aufgefordert, ins Schiff zu gehen, aber ich bleibe außerhalb des Kreises. Viel­leicht sollte die HAGAAR starten, bevor es zu spät ist.«

»Sie startet nicht eher, bis wir alle an Bord sind«, gab Srinakor entschlossen zu­rück. »Was immer auch geschehen mag, wir bleiben zusammen – aber es wird nichts ge­schehen.«

»Du vergißt Orotak!« warnte Ra. Srinakor gab keine Antwort. Die Goranen, die den Kreis inspiziert hat­

ten, trafen sich mit dem Alten unweit des Feuers. Ra konnte nicht aufnehmen, was sie besprachen. Wahrscheinlich teilten sie ihm mit, daß alle Steine richtig lagen.

Nun hatte auch der letzte der Monolithen die gewünschte Stellung, denn die Goranen, die an ihm gearbeitet hatten, richteten sich auf und kamen zum Feuer, wo der Jäger die ersten Fleischstücke auf den Holzspieß schob. Sie beachteten Ra nicht, der ihnen Platz machte.

Auch der Alte kam zurück zum Feuer. »Du willst bei uns bleiben, Ra?« fragte er.

»Warum glaubst du mir nicht?« »Ich warte noch auf meine Freunde, die

wegflogen. Einer von ihnen ist verschwun­den, als er einen … Tempel betrat.«

»Dann war es ein unberührtes Tor, das er betrat.«

Ra erinnerte sich, was der Jäger ihm er­zählt hatte. Die Steinfiguren waren Tore zu anderen Räumen, aber ihre Wirkung war nur einmalig. Sie konnte sich nicht wiederholen, wenigstens nicht an derselben Stelle. Warum das so war, wußte niemand. Es war eines der vielen Geheimnisse die verlorengegangen waren.

»Dieser Kreis dort …«, Ra deutete hin­über zum Schiff, »… ist ebenfalls unbe­rührt?«

»Ja, das ist er … aber sieh selbst! Es ist soweit …!«

Ra blieb ganz ruhig auf seinem Platz sit­zen und sah in Richtung der HAGAAR. Ihm

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war, als hätte sich zwischen ihn und das Schiff ein feiner Nebelschleier gesenkt, der die Form einer riesigen Halbkugel besaß. Dann begann die metallene Hülle langsam transparent zu werden.

Es war genauso wie draußen im Welt­raum, als sie in das System einflogen und die Wände des Schiffes durchsichtig wur­den.

Ra schrie in den Telekom: »Kordar, Ranschora! Startet sofort!

Schnell!« Aber statt einer der beiden in der Kom­

mandozentrale der HAGAAR sagte Srinakor scharf:

»Was soll das, Ra? Bist du überge­schnappt! Wir sind in wenigen Minuten dort …«

»Das Schiff wird durchsichtig, es beginnt zu verschwinden!« unterbrach ihn Ra. »Ich habe euch rechtzeitig gewarnt. Nur der so­fortige Start kann die HAGAAR mitsamt der Besatzung noch retten.«

Im Telekom war nur das Atmen von Sri­nakor zu hören.

Sonst nichts. Kordar und Ranschora antworteten nicht

mehr. Als auch der letzte metallene Schimmer

des Schiffes erlosch und das Innere des Kreises leer war, sprang Ra auf. Er starrte fassungslos auf den einsamen Monolithen in der Mitte.

Der Alte trat neben ihn und sagte: »Sie sind in ihren Raum zurückgekehrt,

für immer. Du kannst ihnen noch folgen, wenn du willst, aber dafür müssen wir ein neues Tor errichten. Dieses hier ist nun tot …«

Ra antwortete ihm nicht. Über dem Wald sah er den Gleiter auftauchen. Im Telekom war ein Durcheinander von erregten Stim­men, es war kein Wort zu verstehen. Srina­kor und seine Begleiter hatten den nun lee­ren Steinkreis erblickt.

Der Gleiter landete im Kreis, der nun kei­ne Gefahr mehr bedeutete. Srinakor kam als erster aus der Kabine, Kantoro folgte ihm

mit gezogener Waffe. Er sah wild um sich und schien die Nerven verloren zu haben. Zum Glück erschien Logor und drückte sei­nen Strahler nach unten, so daß die Mün­dung auf den Boden zeigte. Auch Hoffgart und Mollnor kamen ins Freie.

»Sie ist nicht gestartet«, sagte Ra, sich der Gruppe nähernd. »Sie ist einfach ver­schwunden, als habe sie sich in Luft aufge­löst. Wir werden die HAGAAR nie mehr wiedersehen.«

Srinakor sah plötzlich sehr müde aus. »Wie Orotak! Auch er verschwand vor

unseren Augen.« Er sah hinüber zu dem Mo­nolithen im Zentrum des Kreises. »Aber das ganze Schiff, alle Arkoniden an Bord … das ist doch unmöglich! Vielleicht steht die HA­GAAR noch am alten Platz, vielleicht ist sie nur unsichtbar geworden …«

Ra schüttelte den Kopf und ging ein paar Schritte weiter. Als er stehen blieb, griff er mehrmals mit beiden Händen in die Luft.

»Hier war eine der Teleskopstützen, der Eindruck im Boden ist noch deutlich zu er­kennen. Ich spüre nichts. Sie ist nicht mehr da.«

Kantoro hielt den Strahler noch immer in der Hand, als er auf das Feuer zuging, um das sich die meisten der Goranen versam­melt hatten. Unterwegs nahm er Ra den Translator ab. Der Alte kam ihm entgegen, hoch aufgerichtet und stolz.

»Ihr holt unser Schiff wieder zurück, aber schnell!« fuhr Kantoro ihn an, aber sein Schreien verriet nur seine Unsicherheit. »Ihr holt es zurück, oder ich schicke euch alle dorthin, wo es keine Zauberkunststückchen mehr gibt.« Er hielt dem Alten seinen Strah­ler unter die Nase. »Weißt du, was das ist? Soll ich es dir zeigen?«

Ra kam schnell herbei. »Laß das, Kantoro! Es ist sinnlos! Sie ha­

ben nichts Böses gewollt, sie wollten uns nur helfen und …«

»Du verteidigst sie auch noch? Wie soll ich denn das verstehen? Bist wohl ihr Freund, du verrückter Barbar? Misch dich nicht ein, sonst kannst du mit ihnen ster­

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ben.« »Ra hat recht«, kam Logor zu Hilfe. »Er

hat uns mehrmals gewarnt. Außerdem ist es sinnlos, jetzt ein Blutbad unter den Goranen anzurichten, das würde uns keinen Schritt weiterbringen. Wir sollten lieber überlegen, was zu tun ist.«

Kantoro schob die Waffe in den Gürtel zurück.

»Schön, überlegen wir. Aber ich werde diesen Kerlen noch einen Denkzettel verpas­sen, darauf kannst du Gift nehmen! Wenn sie uns nicht helfen wollen …«

Mollnor war in den Gleiter zurückgekehrt. Über den Telekom berichtete er:

»Die Instrumente zeigen nichts an, alles völlig normal. Keine Energiefelder, keine fremden Dimensionen, nichts.«

»Das Tor ist tot«, wiederholte Ra das, was der Alte ihm gesagt hatte. »Seine Wirkung ist mit dem. Verschwinden der HAGAAR erloschen.« Er erklärte ihnen, was das zu be­deuten hatte und schloß: »Die Goranen müs­sen für jeden Übergang in eine andere Di­mension ein neues Tor legen. So nennen sie die Steinkreise.«

»Du scheinst dich gut mit ihnen zu verste­hen«, knurrte Kantoro zornig. »Hast du auch eine Erklärung dafür, wie das alles möglich ist?«

»Nein.« Ra schüttelte den Kopf. »Sie wis­sen es selbst nicht.«

Srinakor sah sich ein wenig in den Hinter­grund gedrängt.

»Hört endlich auf zu streiten! Mollnor, bring den Gleiter aus dem Kreis heraus und lande ihn drüben am Fuß des bewaldeten Hügels. Wir kommen zu Fuß nach.«

»Was willst du denn dort?« fragte Hoff­gart.

»Ein Feuer anzünden und Kriegsrat hal­ten«, sagte Srinakor.

*

Der Träger und der Sucher bereiteten das Gefäß vor, mit dem sie Feuer über viele Ta­gesmärsche hinweg transportieren konnten,

CLARK DARLTON

ohne daß es erlosch. Ihre Aufgabe hier war beendet.

Ursprünglich hatte das große Tor einem anderen Zweck dienen sollen, aber dann wa­ren die Fremden mit dem Schiff gekommen. Nun war es wertlos geworden. Die Sooster empfahlen die Wanderung nach Westen, der sinkenden Sonne nach. Jenseits des Waldes gab es unberührte Tore.

Der Jäger sah den Fremden nach, die ih­rem Gleiter entgegengingen, der drüben beim Hügel gelandet war. Der Alte gesellte sich zu ihm.

»Du hast dich lange mit dem Mann unter­halten, der Ra genannt wird. Er ist nicht un­ser Feind?«

»Nein, er ist ein Freund. Er hat den Wunsch geäußert, daß wir ihm ein Tor bau­en, damit er zu seiner Heimatwelt gelangen kann. Er sprach immer von einer Goldenen Göttin, die dort auf ihn wartet.«

»Eine Goldene Göttin? Wer ist das?« »Das sagte er nicht, aber ich fühle, daß er

sie liebt. Er will zu ihr zurück. Wir müssen ihm dabei helfen.«

»Wer von uns weiß, was jenseits eines Tores liegt …?« murmelte der Alte. »Niemand weiß es, auch die Sooster nicht.«

»Vielleicht kommt man dorthin, wohin man sich wünscht«, vermutete der Jäger. »Ra sollte es versuchen.«

»Wir werden ihm helfen«, versprach der Alte und mahnte dann die anderen zum Auf­bruch. »Wir werden zum Dorf wandern und dann zu den trockenen Hügeln, wo es viele Sterne gibt.«

Das kostbare Feuer wurde in den Behälter gelegt, der mit Laub und Zunder gefüllt war. Unten im Boden des Gefäßes waren ein paar kleine Luftlöcher. Sonst gab es nicht viel zu­sammenzupacken. Jeder Gorane trug sein Beil und einige leichte Habseligkeiten.

Nach einem letzten Blick auf den leeren Kreis und den fernen Gleiter mit den Frem­den setzte sich der Trupp in Marsch.

Wenn Ra ihnen folgen wollte, so würde er keine Schwierigkeiten haben, ihre Spuren zu finden.

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43 Schnittpunkt der Dimensionen

*

»Was du nicht sagst …!« polterte Kantoro und warf Ra einen giftigen Blick zu. »Du willst also freiwillig so einen verdammten Kreis aus Steinen betreten, um deine Hei­matwelt zu finden? Wer sagt dir, daß du nicht in der Hölle landest?«

»Könnte dir das nicht egal sein?« »Natürlich ist es mir egal, aber was wird

dann aus uns? Du bist der einzige, der mit diesen Eingeborenen zurechtkommt. Schließlich sind wir freiwillig mit dir ge­kommen, um dir zu helfen, und nun willst du einfach verschwinden. Da machen wir nicht mit.«

»Augenblick!« mischte sich Logor, der Besonnene, ein. »Wenn Ra das Risiko auf sich nehmen will, so ist das seine Sache. Vielleicht haben wir auch keine andere Wahl, als durch eines dieser Tore zu gehen. Die Ungewißheit ist besser als die Gewiß­heit, auf dieser trostlosen Welt sterben zu müssen.«

»Ich habe kein Schiff mehr, ich bin nicht mehr euer Kommandant«, sagte Srinakor. »Jeder kann tun und lassen, was er will. Wenn Ra sich den Goranen anschließen möchte, so kann er das von mir aus tun.«

Mollnor, der trübsinnig in die Flammen des Feuers starrte, meinte:

»Ich habe lange über das Phänomen nach­gedacht, und ich glaube, daß wir die Gora­nen und ihre geheimnisvolle Tätigkeit mit den Dimensionsüberschneidungen draußen im Raum in Verbindung bringen können. Sie sind dafür verantwortlich. Mein wissen­schaftlicher Verstand sagt mir zwar, daß es unmöglich ist, mit Steinen, die lediglich ein wenig behauen werden, die Naturgewalten zu zähmen oder gar andere Dimensionen zu erreichen, aber sind wir nicht alle Augen­zeugen solcher Ereignisse geworden?«

»Das schon«, gab Srinakor widerwillig zu, »aber es kann auch andere Erklärungen dafür geben. Nicht die Eingeborenen, son­dern eine natürliche Überschneidung von

Energiefeldern im Raum sind daran schuld. Die Goranen haben vielleicht gar nichts da­mit zu tun. Die Geschichte mit den Toren ist reiner Zufall.«

»Das glaubst du doch selbst nicht!« rief Mollnor ihm zu. »Dann war das mit dem Kreis hier und dem Verschwinden der HA­GAAR wohl auch nur ein Zufall, was?«

Srinakor zuckte die Schultern und schwieg.

Ra erhob sich. »Ich gehe jetzt«, sagte er. »Ich höre meine

Goldene Göttin rufen. Sie wartet auf mich. Lebt wohl, Freunde …«

»He, warte!« Kantoro stand auf, die rech­te Hand am Griff seiner Waffe im Gürtel. »Du kannst nicht einfach fortgehen, das sag­te ich dir doch schon.«

»Ich gehe«, wiederholte Ra unbeein­druckt.

»Setz dich, Kantoro!« befahl Srinakor. Kantoro blieb stehen. »Du hast selbst gesagt, daß du nicht mehr

unser Kommandant bist, also hast du mir auch nichts mehr zu befehlen.«

»Ich habe aber auch gesagt, daß jeder tun und lassen kann, was er will. Wenn Ra uns verlassen will, dann soll er das tun. Niemand darf ihn daran hindern, auch du nicht, Kan­toro!«

Ra nickte ihm und den anderen zu. »Ich danke euch dafür, daß ihr mir helfen

wolltet, meine Welt wiederzufinden. Und ich werde sie wiederfinden, denn ich kann meine Goldene Göttin schon sehen. Ihre gol­denen Haare wehen im frischen Wind mei­ner Heimatwelt. Sie steht auf einem Hügel und winkt mir zu …«

»Ja, geh nur!« forderte Kantoro ihn auf. »Was sollen wir mit einem Verrückten? Geh, wir wollen dich nicht mehr sehen.«

Ra nickte abermals, dann drehte er sich um und ging in Richtung des Waldes davon.

*

Ra folgte den Spuren der Goranen. Um ihn herum wucherte der urweltliche Dschun­

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gel der Welt ohne Namen. Manchmal fiel der blasse Schein der rötlichen Sonne durch das Laub der riesigen Bäume.

Immer sah er Ischtar vor sich, die Göttin mit den goldenen Haaren, die er später an Atlan verlor.

Atlan! Er war schuld, daß sie sich von ihm trenn­

te, aber so sehr er sich auch bemühte, den Freund zu hassen, er konnte es nicht. Atlan hatte nicht um Ischtar gekämpft und sie ihm weggenommen. Nein, Ischtar hatte ihn frei­willig verlassen, um sich dem Kristallprin­zen zuzuwenden.

Aber jetzt war sie zurückgekehrt. Sie war noch weit von ihm entfernt, und er würde noch weit gehen müssen, wenn er sie errei­chen wollte. Aber er konnte sie sehen, halb durchsichtig auf einem Hügel stehend.

Der Boden, auf dem sie stand, war die Oberfläche der Heimatwelt. Die Sonne da­hinter war gelb, und erst im Untergang färb­te sie sich allmählich rot.

Die Spuren wurden frischer. Er holte die Goranen langsam ein.

Doch dann kam die Nacht, und er mußte anhalten. Er kletterte auf einen Baum und suchte sich eine bequeme Astgabelung, um ein paar Stunden zu schlafen. Als er wieder erwachte, graute schon der neue Tag. Er ver­spürte Hunger und kletterte auf den Waldbo­den hinab.

Dann hörte er Kantoros Stimme hinter sich:

»Also doch! Bleib stehen, Ra! Bist du be­waffnet?«

»Auf dieser Welt sind Waffen überflüssig, Kantoro. Was willst du?«

Hoffgart stand neben Kantoro, ebenfalls den Strahler in der Hand.

»Wir gehen mit dir«, sagte der Mediziner. »Du bringst uns zu den Goranen, damit ich ihre Polypen untersuchen kann. Vielleicht bringt uns das weiter.«

»Hat Srinakor euch gehen lassen?« »Er wird unser Fehlen inzwischen be­

merkt haben, Ra. Vielleicht kommt er mit dem Gleiter nach. Er ist ein Dummkopf.

CLARK DARLTON

Los, geh weiter, folge den Spuren.« »Die Goranen werden nicht zulassen, daß

ihr die Polypen angreift. Sie sind mit ihnen eine lebenslange Symbiose eingegangen.«

»Laß das unsere Sorge sein – los!« Ra ging voran, gefolgt von den beiden Ar­

koniden mit ihren Waffen.

*

Srinakor fluchte ausgiebig, als er am Mor­gen das Fehlen der beiden bemerkte. Logor versuchte ihn zu beruhigen.

»Sie sind wahrscheinlich hinter Ra her, warum, das weiß ich natürlich nicht. Sollen wir ihnen folgen?«

Srinakor zögerte. »Ich weiß nicht … immerhin haben wir

den Gleiter.« »Wir könnten das Dorf, von dem Ra

sprach, vor ihnen erreichen, vielleicht sogar noch vor den Goranen. Aber ich frage dich: welchen Sinn hat das? Mollnor, was meinst du?«

Der Physiker fröstelte nach der kühlen Nacht unter freiem Himmel und hielt die Hände über die Flammen des Lagerfeuers.

»Unsere Lebensmittel im Gleiter reichen für eine gute Woche, wenn wir nicht allzu sparsam damit umgehen. Wenn wir auf die­ser Welt bleiben wollen, müssen wir uns um Vorräte kümmern. Srinakor hat Recht, wenn er sagt, wir hätten den Gleiter. Wir sollen unsere Zeit nicht damit verschwenden, Ra und die anderen zu suchen.«

»Und wenn sie hierher zurückkehren und uns nicht mehr finden?« Srinakor blickte fragend in die Flammen des Feuers. »Wäre das fair?«

Mollnor winkte ab. »Sie sind auch nicht fair, einfach wegzu­

laufen.« Sie stritten sich noch eine Weile – früh­

stückten – und einigten sich schließlich dar­auf, einen Erkundungsflug zu unternehmen, der sie in die ungefähre Richtung des ver­muteten Dorfes führen sollte.

Der Start verlief völlig normal. Fast ge­

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räuschlos erhob sich der Gleiter, in dessen Kabine nun genügend Platz für die drei Ar­koniden war. In geringer Höhe strich er dann über den Urwald dahin und folgte später dem breiten Fluß stromabwärts.

Sie hatten alle drei den Schock über das spurlose Verschwinden der HAGAAR und deren Besatzung noch nicht überwunden, aber ohne jede Absprache versuchte jeder, seine Gefühle hinter einer Maske der Gleichgültigkeit zu verbergen. Sie taten alle so, als hätten sie es mit einer unvermeidli­chen Naturkatastrophe zu tun.

Mollnor saß wieder hinter den Meßinstru­menten und verfolgte das unruhige Spiel der Anzeigen mit einem Gemisch aus Sorge und Interesse. Die Angelegenheit mit Ra, Kanto­ro und Hoffgart war ihm ziemlich egal, so wenigstens redete er sich ein. Er wollte wis­sen, was auf dieser absurden Welt gespielt wurde und wer dahintersteckte. Waren es wirklich die Goranen?

Srinakor saß hinter den Kontrollen. Lo­gor, der neben ihm Platz genommen hatte, versuchte mehrmals, Funkkontakt zu Ra oder den beiden anderen aufzunehmen, er­hielt jedoch keine Antwort.

»Vielleicht sind die energetischen Unre­gelmäßigkeiten daran schuld, oder sie wol­len nicht, daß wir sie anpeilen«, versuchte er eine Erklärung.

»Sie wollen nicht!« knurrte Mollnor. Sie überflogen mehrere der aus Stein ge­

legten geometrischen Figuren, ohne daß die Instrumente Besonderes anzeigten. Wahr­scheinlich handelte es sich um sogenannte »Tote Tore«, wie Ra sie genannt hatte. Sie hatten keine Bedenken, es zu tun, denn als sie über jenes Tor flogen, in dem Orotak verschwunden war, war auch nichts gesche­hen, außer daß die Instrumente verrückt spielten.

Dann deutete Srinakor nach vorn. »Dort … eine Ansiedlung! Vielleicht ist

es die, aus der unsere Goranen kamen. Sol­len wir landen?«

»Von mir aus – nein!« sagte Mollnor. »Ansehen können wir sie uns ja«, schlug

Logor vor. »Die Mehrheit siegt«, gab Srinakor den

Ausschlag. »Ich sehe da einen freien Platz abseits der Hütten. Haltet die Waffen be­reit.«

Noch während der Gleiter abstieg, sahen die Arkoniden die Dorfbewohner flüchten und im Wald verschwinden. Sie benahmen sich völlig anders als die Steinmetze am Landeplatz der HAGAAR. War es möglich, daß keinerlei Verbindung zwischen beiden bestand?

Sie durchsuchten die Hütten und fanden keinen einzigen Goranen.

Ein wenig ratlos standen sie auf dem lee­ren Dorf platz.

»Weiter!« forderte Mollnor sie auf. »Hier erreichen wir nichts.«

»Und was erreichen wir woanders?« frag­te ihn Srinakor.

»Das weiß ich nicht, aber ich hasse Untä­tigkeit.«

Logor deutete auf den Gleiter. »Wir haben die Möglichkeit, den ganzen

Planeten zu erforschen. Energie und Zeit sind vorhanden, um Lebensmittel werden wir uns noch kümmern. Warum sehen wir uns nicht den zweiten Kontinent an?«

»Guter Gedanke«, gab Srinakor zu. »Wir können uns später immer noch um Hoffgart, Kantoro und Ra kümmern.«

»Wenn sie dann noch existieren«, warf Mollnor ein.

Srinakor hatte seine Meinung endgültig gefaßt.

»Kommt, wir starten. Logor hat Recht. Sehen wir uns die Welt an, auf die uns das Schicksal verbannte.«

7.

Gehorsam ging Ra vor Kantoro und Hoff­gart her, die ihre Waffen auf seinen Rücken gerichtet hatten. Er wußte, daß Kantoro ihn haßte, wenn er auch den Grund nicht kannte. Hoffgart hingegen haßte ihn nicht, er war nur neugierig. War es wissenschaftliches In­teresse, das ihn so handeln ließ? Oder glaub­

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te er wirklich, einen Ausweg aus dem Di­lemma finden zu können, wenn er die qual­lenartigen Polypen untersuchte?

Die Spuren der langsam weiterziehenden Goranen wurden immer frischer. Nicht mehr lange, und man würde sie eingeholt haben.

Ra fürchtete sich vor diesem Augenblick. Er besaß keinen Translator mehr. Den hatte noch immer Kantoro. Aber Kantoro hatte auch einen Energiestrahler.

Zur Not konnte er sich mit den Goranen durch Zeichensprache verständigen, wie es unter primitiven Völkern üblich war. Außer­dem kannte er nun genügend Begriffe aus ihrem Leben und ihrer Vorstellungswelt. Er brauchte also keinen Translator, um ihnen seine Wünsche verständlich zu machen.

»Sie werden euch töten«, sagte er und ging ruhig weiter, ohne sich umzudrehen. »Ihr werdet nichts erreichen.«

»Das laß nur unsere Sorge sein«, herrsch­te Kantoro ihn an. »Bring uns in ihr Dorf, dann sehen wir weiter.«

»Wir folgen ihnen«, hakte Hoffgart ein. »Mehr kann Ra auch nicht tun.«

Kantoro warf ihm einen scheelen Blick zu und schwieg.

Als es Mittag wurde, hörten sie weiter vorn Geräusche. Äste knackten, wenn die mächtigen Füße der Goranen auf sie traten, und bald war auch das gutturale Geschnatter ihrer Sprache zu vernehmen.

»Weiter!« befahl Kantoro, als Ra langsa­mer ging. »Wir haben sie in wenigen Minu­ten eingeholt.«

Das aber war es, wovor Ra Angst hatte. Die Goranen waren die einzigen, die ihm jetzt noch helfen konnten, zu Ischtar zu ge­langen, und wenn Kantoro und Hoffgart sie verärgerten, würden sie sich auch um ihn nicht mehr kümmern.

Die Riesen rasteten auf einer Lichtung und schienen nur wenig überrascht zu sein, als die drei Fremden auftauchten. Der Alte sah die Waffen in den Händen der beiden Arkoniden, mit denen sie Ra bedrohten. Die Situation war für ihn eindeutig.

Er ging ihnen entgegen.

CLARK DARLTON

»Was wollt ihr?« fragte er, als er sie er­reichte.

Kantoro hatte den Translator eingeschal­tet. Er deutete auf den Sooster des Alten.

»Wir brauchen so ein Ding, um es zu un­tersuchen. Wir glauben, daß wir dann eine Lösung für unser Problem finden. Sie sind doch intelligent, eure Polypen, oder nicht?«

»Ich bin Mediziner und verstehe viel von kosmologischer Biologie«, drängte sich Hoffgart vor. »Gebt mir so einen Polypen! Vielleicht kann ich euch dann auch helfen.«

»Wir brauchen keine Hilfe«, lehnte der Alte würdig ab. »Die Sooster sind unsere Freunde.«

Kantoro fuchtelte mit dem Strahler in der Luft herum.

»Wenn ihr nicht zur Kooperation bereit seid, nehmen wir uns so einen verdammten Sooster mit Gewalt. Ihr habt doch genug da­von.«

Ein paar der Goranen hatten sich erhoben und kamen näher. Ra erkannte sofort ihre Absicht der Einkreisung. Kantoro und Hoff­gart hingegen konzentrierten sich völlig auf den Alten, ihren Gesprächspartner, und ach­teten nur wenig auf ihre Umgebung.

»Es ist unmöglich, sich von einem Soo­ster zu trennen, solange man lebt. Nur wenn wir sterben, lösen sie sich von uns und su­chen sich einen neuen Träger.«

»Das vereinfacht die Sache«, stellte Kan­toro brutal fest und hob den Strahler, um ihn auf den Alten zu richten. »Wenn du also tot bist, haben wir einen Sooster.«

Ra brachte sich mit einem Satz seitwärts in Sicherheit, als sich die Goranen von allen Seiten auf die beiden Arkoniden stürzten, die von dem plötzlichen Angriff so über­rascht wurden, daß sie im Nu entwaffnet wa­ren. Sie wurden zu Boden gerissen und mit Faserseilen gefesselt, ehe sie so richtig be­griffen, was geschah. Kantoro begann zu fluchen und rief:

»He, Ra, was stehst du so tatenlos da her­um, statt uns zu helfen?«

»Ich habe euch gewarnt«, machte Ra ihn aufmerksam. »Ich kann und will euch nicht

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helfen. Ihr seid selbst schuld. Seid froh, daß sie euch nicht gleich umbringen.«

»Verräter! Und für so einen Kerl haben wir unser Leben riskiert!«

Der Alte gab seinen Gefährten einen Wink, die daraufhin die Gefesselten zum Waldrand schleppten und dort niederlegten. Ra folgte ihnen und nahm Kantoro den Translator ab. Der Jäger hatte inzwischen mit seinem Beil die beiden Energiestrahler zertrümmert.

»Sie überfielen mich unterwegs«, sagte Ra zu dem Alten. »Sie zwangen mich, sie zu euch zu bringen.«

»Du brauchst mir nichts zu erklären, Ra. Du bist anders als sie. Ich weiß, daß sie böse sind, und wir wollen sie nicht hier haben. Morgen bringen wir sie zu einem unberühr­ten Tor.«

Am anderen Tag marschierten sie in nord­westlicher Richtung, bis sie den Rand des Urwalds erreichten. Der Boden war trocken und felsig. Auf einem flachen Hügel konnte Ra die Steine sehen, wohlgeordnet zu einem regelmäßigen Oval gelegt.

»Was haben die mit uns vor?« fragte Hoffgart, als Ra in seine Nähe kam.

»Sie werden euch fortschicken. Dort oben auf dem Hügel ist ein Tor. Bald werdet ihr wissen, wohin Orotak und die anderen ge­gangen sind. Ich kann nichts mehr für euch tun.«

»Das ist glatter Mord!« »Und was hattet ihr mit dem Alten vor?« Hoffgart schwieg. Kantoro fluchte leise

vor sich hin. Die Goranen brachten ihre beiden Gefan­

genen auf den Hügel und legten sie in der Mitte des Ovals nieder. Dann machten sie sich schweigend daran, mit einem letzten Stein das Oval zu schließen.

»Ra!« rief Kantoro, und seine Stimme überschlug sich vor Wut und Angst. »Ra, ich sehe dich wieder! Eines Tages wirst du uns folgen, und wir warten drüben auf dich, wo immer das sein mag!«

»Ich werde woanders hingehen«, gab Ra überzeugt zurück.

Aus den Andeutungen des Jägers hatte er entnehmen können, daß die Form des Tores ebenfalls seine Bedeutung hatte. Er würde niemals durch ein Tor gehen, das wie ein Oval geformt war.

Als der Schlußstein in Position war, erstarb Kantoros Rufen plötzlich. Gleichzei­tig begann er transparent zu werden, und dann war er verschwunden.

Hoffgart folgte ihm eine Sekunde später in das Unbekannte.

Der Alte bückte sich und legte Ra die Hand auf die Schulter.

»Wir ziehen weiter. Wirst du mit uns kommen?«

»Ich bleibe bei euch.« Während des Marsches schaltete er den

Telekom ein und rief Srinakor, der sich auch sofort meldete. Leidenschaftslos berichtete er dem ehemaligen Kommandanten, was ge­schehen war. Bestürztes Schweigen war die Antwort.

»Sie hätten nur weiteren Unfrieden gestif­tet«, fuhr Ra fort, als niemand etwas sagte. »Was werdet ihr tun?«

Logor erwiderte an Srinakors Stelle: »Nichts. Wir sind mit dem Gleiter nach

Westen vorgedrungen und werden das Meer überqueren. Vielleicht finden wir einen gu­ten Platz, an dem wir bleiben können. Eine Insel oder eine große Lichtung. Wir wissen es noch nicht. Und du?«

»Ich bleibe bei den Goranen, denn sie werden mir helfen, meine Welt wiederzufin­den.«

»Du glaubst das wirklich?« »Ja, ich weiß es, Logor.« Eine Weile war Schweigen, dann sagte

Logor: »Viel Glück, Ra. Wenn du uns brauchst,

dann rufe uns. Wir werden das Gerät nicht abschalten, bis du uns darum bittest.«

Das waren die letzten Worte, die Ra mit seinen alten Freunden wechselte.

Er hörte nie mehr wieder etwas von ihnen …

*

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Sie ließen den Kontinent hinter sich und überquerten das Meer. Etwa tausend Meilen westwärts kam eine größere Insel in Sicht, die nur an ihrem Rand von dichter Vegetati­on bedeckt war. Landeinwärts gab es kahle Gebirge und grasige Ebenen. Ein blauer See speiste einen Fluß, der in weiten Windungen dem Meer entgegenfloß.

»Keine Anzeichen von Eingeborenen«, bemerkte Logor erleichtert. »Hier sollten wir eine Weile bleiben.«

»Die Instrumente …!« warnte Mollnor. »Sie fangen wieder an.«

Srinakor sah angestrengt nach unten und entdeckte vier unterschiedliche Steinforma­tionen auf einem Plateau, die allerdings ein ziemlich genaues Quadrat bildeten. Er flog direkt darauf zu.

»Mach besser einen Umweg«, rief der alte Logor.

Srinakor änderte den Kurs nicht. Mollnor war so mit seinen Instrumenten

beschäftigt, daß er Srinakors Absicht nicht wahrnahm. Logor hingegen ahnte, was sein Kommandant plante. Doch als er es begriff, besaß er nicht mehr die Kraft, sich dagegen zu wehren.

Vielleicht wollte er es auch nicht. Srinakor steuerte den Mittelpunkt des

Quadrats an, das von den vier Toren gebildet wurde. Der Gleiter flog nur noch in geringer Höhe. Unten zog die Ebene vorbei, und an den Ufern des Flusses standen ein paar pri­mitive Hütten.

Also lebten auch hier Goranen. »Willst du wirklich …?« fragte Logor

endlich. Srinakor nickte stumm. »Warum warten wir nicht damit?« Mollnor fragte von den Instrumenten her,

ohne aufzublicken: »Wovon redet ihr eigentlich? Ihr solltet

die Skalen mal betrachten – total verrückt! Hier müssen sich gleich ein halbes Dutzend Dimensionen schneiden. Wird besser sein, wir machen, daß wir fortkommen.«

»Genau das werden wir auch tun«, sagte Srinakor ruhig.

CLARK DARLTON

In einer Höhe von knapp zehn Metern überflog der Gleiter die erste Steinformati­on, einen Kreis. Links lag ein Dreieck, da­hinter ein Sechseck. Die vierte Figur erin­nerte an ein Kreuz mit vier gleich langen Balken.

Srinakor steuerte genau auf den Mittel­punkt zu und verlangsamte die Geschwin­digkeit. Als er den Gleiter über dem Zen­trum nur noch auf seinen Antigravfeldern stillschweben ließ, begann er die Verände­rung zu spüren, die mit ihm vorging.

Zuerst war es nur ein leichtes Kribbeln am ganzen Körper, dann sah er, wie Logor neben ihm durchsichtig zu werden begann. Gleichzeitig wurde das Material des Gleiters transparent.

Mollnor begann zu schreien, als er be­merkte, was geschah. Aber sein Protest kam zu spät. Er konnte sich nicht mehr bewegen, denn er war am ganzen Körper wie gelähmt.

Srinakor versuchte, alles in sich aufzuneh­men, was geschah. Er war bewußt in das Di­mensionstor hineingeflogen, weil er keinen anderen Ausweg mehr für sich und seine Kameraden sah. Außerdem wollte er das Rätsel lösen, und wenn er es mit seinem Le­ben bezahlen mußte.

Die Landschaft unter ihm begann zu ver­schwinden und einer absoluten Leere Platz zu machen, die sich nach allen Seiten bis ins Unendliche ausdehnte. Er sah Logor nicht mehr, auch Mollnor nicht. Der Gleiter war nicht mehr vorhanden.

Allein schwebte er im Nichts. Und dann, fast ohne Übergang, fühlte er

festen Boden unter seinen Füßen und sah, wie Logor und Mollnor dicht neben ihm re­materialisierten. Um sie herum entstand eine paradiesische Landschaft mit grünen Hügeln und Wäldern, Wiesen und Flüssen. Der Himmel war strahlend blau, und hoch über dem Horizont stand eine violett schimmern-de Sonne.

Der Gleiter blieb verschwunden, wie auch alle andere anorganische Materie ver­schwunden war.

Srinakor, Logor und Mollnor waren völlig

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nackt. »Wo sind wir?« stöhnte Mollnor fas­

sungslos. »Ist das eine andere Dimension?« »Ja, wir sind in einer anderen Dimensi­

on«, sagte Srinakor, und er war sich seiner Sache absolut sicher. »Wir haben alles zu­rückgelassen. Wir aber sind hier, und es sieht nicht schlecht aus. Seht ihr die Früchte an den Bäumen? Und drüben am Hang sind Tiere. Wir werden nicht verhungern.« »Sollen wir die roh essen?« fragte Logor.

»Wir müssen ganz von vorne anfangen …«

Mollnor stand unbeweglich da und hielt den Kopf schief, als lausche er. Dann sagte er:

»Habt ihr es auch bemerkt?« »Was bemerkt …?« »Dieses Tasten im Gehirn, dieses behutsa­

me Tasten.« »Ach was, das sind die Nachwirkungen

des Dimensionswechsels«, beruhigte ihn Srinakor. »Komm, suchen wir uns einen La­gerplatz.«

Sie hatten etwas Ungeheuerliches erlebt, fanden sich aber schnell damit ab, weil sie Schlimmeres befürchtet hatten. Diese Welt war besser als jene der Goranen – wenig­stens schien es so. Sie gingen ein Stück bachaufwärts und beschlossen, unter einigen Bäumen die vorläufige Unterkunft einzu­richten. Holz gab es genug, aber kein Werk­zeug.

»Hoffentlich wird die Nacht nicht zu kalt«, jammerte der nackte Mollnor.

»Nimm zwei trockene Stückchen Holz und versuche, ein Feuer zu machen«, schlug Logor vor. »Mit einem Feuer beginnt die Zi­vilisation.«

»Manchmal endet sie auch damit«, knurr­te Mollnor und machte sich auf die Suche.

Drei Stunden später fühlten sie sich schon wohler. Sie saßen um das knisternde Feuer und überlegten, wie sie in Zukunft ihr Leben gestalten sollten. Es sah ganz so aus, als be­säßen sie den Planeten für sich allein. Abge­sehen von den Tieren hatten sie noch keine anderen Lebewesen entdecken können.

Das geschah erst am anderen Morgen, als sie erwachten.

Srinakor schob mit dem Fuß ein paar Äste ins Feuer, bis die Flammen hell aufloderten. Er richtete sich auf, um die Hände zu wär­men, die in der Kälte steif geworden waren.

Da bemerkte er auf den Schultern von Lo­gor und Mollnor die beiden Sooster.

Fest saßen sie mit ihren neun Saugnäpfen im Fleisch der beiden Arkoniden und schim­merten rötlich zufrieden.

Srinakor sah nach rechts und erschrak. Auf seiner Schulter saß ebenfalls ein Po­

lyp. Und dann spürte auch er zum ersten Mal

das tastende Flüstern in seinem erwachen­den Bewußtsein, während Logor und Moll­nor mühsam die Augen aufschlugen und sich zu regen begannen.

Das Flüstern wurde verständlicher. Und dann hörte Srinakor die lautlose

Stimme in seinem Gehirn: Wir sind froh, daß ihr gekommen seid.

Ihr werdet wunderbare Träger sein. Wir werden gut miteinander auskommen.

Srinakor sprang auf und versuchte, den Polypen von seiner Schulter zu reißen, aber sofort durchzuckte ihn ein furchtbarer Schmerz.

Wir bleiben zusammen, bis du stirbst, sag­te es in seinem Gehirn.

Logor und Mollnor waren endgültig wach und sahen, was in der Nacht geschehen war. Nach einigen vergeblichen Versuchen, die Polypen zu entfernen, gaben sie es auf.

»Wir werden uns an sie gewöhnen müs­sen«, meinte Srinakor resigniert. »Vielleicht können sie uns sogar helfen, hier zu überle­ben. Sie kamen also von dieser Welt zum Planeten der Goranen …«

»Und wo ist der?« fragte Mollnor und sah sich nach allen Seiten um.

»Er ist auch hier, aber wir können ihn nicht sehen. Er existiert in einer anderen Di­mension – in unserer Dimension. Es gibt keine Rückkehr für uns.«

Nein, es gibt keine Rückkehr, teilte sein Sooster mit und fuhr fort: Laßt das Feuer

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brennen und geht auf die Jagd. Ihr müßt es­sen.

Auch die beiden anderen Arkoniden hat­ten den Befehl vernommen.

Logor legte ein paar dicke Äste ins Feuer und seufzte:

»Vielleicht hast du Recht, Srinakor, und die Sooster helfen uns wirklich, auf dieser Welt zu überleben …«

Sie brachen sich frische Äste ab und gin­gen hinaus in die Steppe.

*

Vier Tage lang sah Ra die Goldene Göttin in seinen unruhigen Träumen, dann hielt er es nicht mehr aus und faßte seinen Ent­schluß.

Er begegnete dem Alten auf dem Dorf­pfad, dicht neben seiner Hütte.

»Baut ihr mir ein Tor?« fragte er ihn und deutete nach Norden. »Ich weiß, daß es dort viele Steine gibt. Ich will fort von hier, zu­rück in meine Welt.«

Der Alte sah lange auf ihn herab, dann er­widerte er:

»Ich wußte, daß du nicht lange bei uns bleiben würdest. Morgen werden wir dich zu den Hügeln begleiten und ein Tor legen. Es muß eine ganz bestimmte Form haben, sagt mir mein Sooster, sonst wirst du nicht an dein Ziel gelangen. Zwölf Steine werden wir brauchen, du selbst wirst die Stelle des drei­zehnten einnehmen.«

In dieser Nacht schlief Ra nicht, aber er sah trotzdem die Goldene Göttin auf dem grasbedeckten Hügel stehen. Ihr langes Haar flatterte im Wind, und am Himmel stand ei­ne warme, gelbe Sonne.

Am nächsten Morgen kam der Alte in Be­gleitung des Grauen, des Jägers, des Trägers und des Suchers. Weitere zwei Dutzend Go­ranen begleiteten sie. Stumm blickten sie Ra an, als täte es ihnen leid, ihn ziehen lassen zu müssen.

»Wir sind bereit«, sagte der Alte. Sie gingen zwei Stunden, bis sie die Hü­

gel erreichten, auf denen tote Tore lagen.

CLARK DARLTON

Ohne weiteren Aufenthalt machten sie sich an die schwere Arbeit, und Ra half ihnen da­bei. Die Steine mußten herbeigeschleppt und richtig behauen und gelegt werden. Als der Abend schon dämmerte, waren sie endlich fertig.

Die zwölf Steine bildeten ein unregelmä­ßiges Zwölfeck, dessen Zentrum durch einen Holzpflock markiert wurde. Man hatte ihn einfach in den weichen Grasboden des klei­nen Plateaus gesteckt.

Der Alte kam auf Ra zu. »Du kannst bis morgen warten«, bot er

an. Ra schüttelte den Kopf. »Ich gehe noch heute, mein Freund. Und

ich danke euch.« Er hielt ihnen die offenen Handflächen entgegen – eine Geste der Ver­söhnung und Freundschaft. »Ich will euch niemals vergessen, wenn ich euch auch nie ganz begriffen habe. Lebt wohl!«

Er wandte sich ab, schritt durch zwei der Steine hindurch und ging, bis er den Holz­pflock erreichte. Dort erst blieb er stehen und sah zurück zu den wartenden Goranen, die unbeweglich außerhalb des magischen Zwölfecks stehengeblieben waren.

Er spürte das beginnende Kribbeln. Und dann sah er, wie die Gruppe der Rie­

sen undeutlich wurde, als senke sich ein Ne­belschleier auf sie herab, aber er wußte, daß es genau umgekehrt war. Er war es, der un­sichtbar wurde und hinüber in eine andere Dimension glitt.

Er konzentrierte sich auf die Heimatwelt und auf Ischtar, seine Goldene Göttin. Er sah sie deutlich vor sich, die Welt und Ischt­ar, als der Planet der Goranen einer großen, dunklen Leere Platz machte, die das Tor der zwölf Steine für ihn schuf.

Er schwebte in diesem Nichts, sah und spürte nichts mehr, und das Bild seiner Welt und seiner Goldenen Göttin war nur noch in seinen Gedanken.

Dann wurde es wieder hell. Aber es war eine dämmrige Helligkeit, er­

füllt mit dem Summen der Insekten und dem gelbrötlichen Schein der untergehenden

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Sonne. Er stand auf einem Hügel und sah hinab in die weite Ebene mit den Wäldern und Flüssen. Am fernen Horizont war das Gebirge.

Aber Ischtar war nicht da. Er konnte nicht erwarten, sie sofort zu fin­

den, tröstete er sich. Er mußte sie suchen, denn die Welt war groß.

Als es dunkler wurde, sah er unten in den bewaldeten Ebenen einen winzigen Licht­punkt. Er betrachtete ihn lange genug, um keinen Zweifel mehr zu haben. Die Kälte kroch unter seine nackte Haut.

Er konnte kein Feuer machen, vielleicht

hatte er es schon verlernt. Aber dort unten im Wald brannte ein Feu­

er. Mit einem letzten Blick auf die erlöschen­

de Abenddämmerung im Westen ging er den Hügel hinab, dem Lagerfeuer entgegen.

Seine Rechte umklammerte die Holzkeu­le, die er unterwegs aufgelesen hatte.

Ra wußte, daß er von nun an wieder um seinen Platz am wärmenden Feuer kämpfen mußte …

E N D E

Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 284:EINE FALLE FÜR DIE MEDONvon Harvey Patton.Ein Arkonide erfüllt den Plan der Maahks – er ist ein »Umgestellter«.