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Bernd Ochs Die Firma Georg Schütz GmbH – Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager Sonderdruck aus dem Heft 50 – 2011 Der Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Heimatkunde Oberursel e.V.

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Bernd Ochs

Die Firma Georg Schütz GmbH –

Erste Süddeutsche Ceresinfabrik

in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager

Sonderdruck aus dem Heft 50 – 2011

Der Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Heimatkunde Oberursel e.V.

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Sonderdruck aus dem Heft 50 – 2011

der Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Heimatkunde Oberursel e.V.

Bernd Ochs

Die Firma Georg Schütz GmbH –

Erste Süddeutsche Ceresinfabrik

in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager

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Am 1. November 1891 gründete Georg Schütz inFrankfurt am Main, Hanauer Landstraße 185, eineCeresinfabrik. Im Frankfurter Adressbuch von 1912wurde die Fabrik unter der Hausnummer 150 derHanauer Landstraße geführt.1

Rohes Erdwachs, also ein sekundäres, fossilesErdölprodukt, war der erste Rohstoff der »Ceresin-fabriken«, die in Deutschland um 1890 mit ihrerTätigkeit begannen. Hier wurden die Wachse raffi-niert, gebleicht, in Fraktionen zerlegt und veredelt,um dann Anwendungen in der Industrie zu finden.2

Anfang 1914 verlegte Georg Schütz die Fabrikationnach Weißkirchen am Taunus, weil am bisherigenStandort keine weitere Ausdehnungsmöglichkeitbestand . Die Geschäftsleitung und Hauptverwal-tung verblieben in Frankfurt in der BockenheimerLandstraße 83 und später im Grüneburgweg 101bis zur Zerstörung/Beschlagnahmung (im »Sperr-gebiet« 3) des dortigen Anwesens 1945.

Die Ausdehnung der Anlagen und des Geschäfts-umfanges in Weißkirchen waren das Werk seinesSohnes und Alleininhabers Heinrich (Heinz)Schütz (geb.27.8. 1897), der nach dem frühen Todseines Vaters am 9. März 1920, das Unternehmenleitete. Die hergestellten und veredelten Wachse warenunter dem Sammelbegriff »GS-Wachse« bekanntund erlangten Weltruf. Die Firma Georg Schützentwickelte sich zur größten Ceresinfabrik Europas.

Die ausgedehnten und modernen Anlagen desWerks Weißkirchen befanden sich auf einer Flächevon ca. 100.000 qm, in denen nach den neuestenwissenschaftlichen Erkenntnissen der Wachsraffi-nation und der Wachschemie, durch Säure- undHallogensalzraffination, durch adsorptive Blei-chung, durch Filtrierung und selektive Extraktion,durch Destillation, durch Oxydation und durchchemische Umsatzprozesse anderer Art, die ver-schiedenen Arten der GS-Wachse hergestellt wur-den. Neben den eigentlichen Grundwachsen, wiezum Beispiel Ozokerit4, synthetisches Hartwachs

________________________1 Anmeldung zum Eintrag in das Handelsregister beim Kö-

niglichen Amtsgericht Abth. IV zu Frankfurt a.M. vom 26.August 1891 (siehe auch Abbildung) und »Expose« über dieGeschichte der Firma Georg Schütz, 1954, Institut für Stadt-geschichte Frankfurt/M., Sign. HR-2670 und S3/1.601 so-wie Frankfurter Adressbücher 1892-1915.

2 Taunus-Anzeiger, Jubiläums-Ausgabe (100 Jahre) vom 21.09. 1963, Stadtarchiv Oberursel.

3 Im IG-Farben-Haus richtete die amerikanische Militärre-gierung 1945 ihr Hauptquartier ein sowie ebenso einen vomPalmengarten bis zum Oederweg reichenden, durch Sta-cheldraht gesicherten und für Deutsche unpassierbarenSperrbezirk.

4 Ozokerit = Erdwachs/Montanwachs, in seiner chemischenZusammensetzung ein Gemenge verschiedener Kohlenwas-serstoffe. Wird bergmännisch abgebaut (keine Vorkommenin Deutschland) und liefert bei Destillation Ceresin.

Die Firma Georg Schütz GmbH – Erste Süddeutsche Ceresinfabrikin Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlagervon Bernd Ochs

Foto vom 29.02.1988 Stadtarchiv Oberursel, 25 III65

Teil I: Das Werden und Vergehen der Firma Georg Schütz von 1891 bis 1988

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usw. spielten auch die zahlreichenSpezialwachse eine große Rolle, derenHerstellung in engster Anlehnung andie Praxis, durch eine ausgedehnteanwendungstechnische Forschungs-arbeit, in großen und modern ausge-rüsteten Laboratorien, vorbereitetund laufend überwacht wurden.5

1934 änderte das Unternehmen sei-nen seitherigen Firmennamen »Ge-org Schütz, Ceresinfabrik« in »GeorgSchütz, Erste Süddeutsche Ceresinfa-brik«.6

Im Schreiben von Heinrich Schützan die Wirtschaftskammer Hessen,Außenhandelsstelle Frankfurt/Main,vom 29. 12. 1936, wird von immer grö-ßer werdenden Rohstoffschwierigkei-ten (Abhängigkeit von ausländischenRohstoffen) berichtet, die bereits zuwiederholten Stilllegungsanträgen ge-führt haben. Der »Vierjahresplan«7

stelle auch sein 45 Jahre bestehendesFabrikunternehmen vor die Aufgabe,entweder eine Umstellung auf deut-sche Rohstoffe zu versuchen oderstillzulegen. Diese Umstellung erfor-dere eine Neuanlage, die fabri-katorisch die Ergebnisse seiner La-borarbeit auszuführen hätte, wozujedoch räumlich der Platz fehle. SeineBestrebungen, das an die Fabrikan-lage angrenzende Ackergrundstückeines Weißkirchener Landwirts zukaufen, scheiterten, da man sich nichtüber den Preis einigen konnte. Schützstellte nun einen Antrag auf Enteig-nung mit der Schlussbegründung »Es ist alsoschon ein öffentliches Interesse, dass unser imNotstandsgebiet liegender Fabrikbetrieb den er-forderlichen Raum sich käuflich erwerben kann,um im Zeichen des ›Vierjahresplanes‹ die Umstel-lung zu versuchen«, sowie dem Hinweis auf dieBelieferung von wichtigen Industrien, die seineErzeugnisse für den Heeresbedarf benötigten.

Am 12. Oktober 1937 erging vom Regierungsprä-sidenten in Wiesbaden ein »Enteignungs- undEntschädigungsfeststellungsbeschluss«, womit derFirma Schütz das Recht verliehen wurde, den o.g.Acker des Weißkirchener Landwirts im Wege derEnteignung zu erwerben. Für die 4.071 qm großeFläche wurde eine Entschädigung von 1,00 RM(Reichsmark) pro qm festgesetzt.

________________________5 Exposé über die Geschichte und das Fabrikationsprogramm

der Firma Georg Schütz, 1954, Institut für StadtgeschichteFrankfurt/M., Sign. S3/1.601 und Schreiben der Industrie-u.Handelskammer vom 28.12.1962 betr. HR-Sache GeorgSchütz Nr. -18008-, Hessisches Wirtschaftsarchiv Darm-stadt, Sign. Abt.3, Firmenakten und Hessisches Haupt-staatsarchiv Wiesbaden Abt. 520/FZ-7206.

6 Firmenkarte Georg Schütz und Umschreibung im Handels-register Amtsgericht Frankfurt/M. unter HR A 757 am 6.Mai 1938, Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt, Sign.Abt.3, Firmenakten.

7 Adolf Hitlers geheime Denkschrift vom August 1936 zum»Vierjahresplan« umriss programmatisch das Ziel, Wirt-schaft und Armee innerhalb von vier Jahren in Kriegsbereit-schaft zu versetzen. Unter der Leitung des Beauftragten fürden Vierjahresplan, Hermann Göring, wurde die privateWirtschaft gezwungen, sich den Erfordernissen anzupassen.Staat und Partei griffen durch verordnete Programme diri-gierend in den Produktionsprozess ein.

Registrierungsurkunde beim Königlichen Amtgericht Frankfurt a.M.vom 27.August 1891 Quelle: ISG Frankfurt, Handelsregister 2670

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Der »Ministerpräsident Gene-raloberst Göring, Beauftragterfür den Vierjahresplan, Amtfür deutsche Roh- und Werk-stoffe« erteilte der FirmaSchütz mit Schreiben vom 24.September 1937 (siehe Abbil-dung auf der folgenden Seite)die Baugenehmigung zur Er-richtung einer Großversuchs-anlage zur Herstellung von2.500 jato8 Ozokerit und Cere-sin in Weißkirchen aus Raffi-nationsrückständen von deut-schen Erdölen und Teerpro-dukten mit der Auflage, dassdie Qualität der erzeugten Pro-dukte den bisher eingeführtenoder aus Braunkohlenteer her-gestellten Ozokeriten und Ce-resinen entsprechen müsse.9

Bereits 1938 (?) war der technische Stand des Wer-kes so hoch, dass es in der Zeit der Wirtschafts-lenkung die Forderung nach »deutschen Wachsenaus deutschen Rohstoffen« erfüllen konnte, um sodie für die Wehrwirtschaft benötigten Produkteherzustellen. Harte und plastische Wachssortenwurden damals geschaffen, die sich nach 1948 alsdurchaus exportfähig erwiesen.10

Am 23./24. Oktober 1941 kam es im Werk zu einemGroßbrand mit Explosion. Von dem Brand, derin der Selektivanlage – vermutlich durch Selbst-entzündung – entstand, waren folgende Gebäudebzw. Anlagen betroffen: Totalschaden: Selektiv-anlage, Schmelz- und Kühlwalz-Wellblechhalle,Lager- und Packhalle, Wellblechhaus und dieUmkleide- und Gefolgschaftsräume. Teilschäden:(Mauer u. Dachschäden) an der Siedekesselanlageund der Bleich-und Mischanlage. Die Schadens-summe betrug etwa 400 000 RM.

Auch der alte, aus Holz gebauteWasserturm13, der den brand-schutztechnischen Anforderun-gen nicht mehr standhielt, wur-de abgebrochen und 1942 ananderer Stelle des Werksgeländesein neuer und 42,20 m hoherWasserturm und Kühlturm, ausStahlbeton in Gleitbauweise er-richtet. Der obere Teil des Turmswar für ein Volumen von 200cbm Trinkwasser, der untere Teilfür 80 cbm Brauchwasser ausge-legt. Das Wasser diente einmalder mit Wasserdampf vorgenom-menen Verflüssigung der Roh-wachse und zum anderen alsKühlwasser zur Verfestigung derin mehreren Arbeitsgängen her-gestellten Wachse.14

Das Wasser wurde aus dem 1939von der Firma Schütz gepachteten NiederurselerWasserwerk im Wiesenbereich von Stierstadt ein-gespeist und von dort aus hochgedrückt und derbestehende Hochbehälter erfuhr den Einbau einerEntsäuerungs- und Entkeimungsanlage.

Der 1977 sanierte Wasserturm, der auch als einesder Wahrzeichen von Weißkirchen bezeichnetwird, steht seit 1988 unter Denkmalschutz. In derDenkmalakte heißt es: »Der Turm ist von bau-und industriegeschichtlichem Interesse«.15

Die im Bau befindlichen bzw. bereits fertiggestell-ten Neuanlagen wurden durch den Brand nichtbetroffen. Nach dem Brand wurden von den Auf-sichtsbehörden, Gewerbeaufsichtsamt, StaatlichesHochbauamt unter Mitwirkung der NassauischenBrandversicherung, zum Verhüten einer Wieder-holung eines solchen Unglücksfalles, für denWiederaufbau zur Auflage gemacht, dass die ver-schiedenen Fabrikationsstufen in getrennten Ge-bäuden aufgestellt werden und dass zwischen deneinzelnen Gebäuden, dem Gleisanschluss11 undden Straßen im Werk die vorgeschriebenen Min-destabstände von 25 bis 35 m eingehalten werden.12

________________________8 Jato = Tonnen pro Jahr.9 HHStaW Abt. 507 Nr. 8112 und Abt. 520/FZ Nr. 7206.10 Taunus-Anzeiger, Jubiläums-Ausgabe (100 Jahre) vom 21.

09. 1963, Stadtarchiv Oberursel und Karteikarte GeorgSchütz, Eintragung 29. 10.41/2271 Gs., Hessisches Wirt-schaftsarchiv Darmstadt, Sign. Abt.3, Firmenakten.

11 Das Werk besaß einen eigenen Gleisanschluss, der mit Hil-fe eines von der Wehrmacht gestellten Pionier-Kommandos– wohl in den 1930er Jahren – angelegt wurde. Der Gleisan-schluss wurde mit einem Dieseltriebfahrzeug bedient.

12 HHStaW Abt. 520/FZ Nr. 7206 und Franz Simon (ehem.Ortsvorsteher von Weißkirchen) in Frankfurter RundschauNr. 54 vom 04.03. 1988, S.II, Stadtarchiv Oberursel sowieBundesarchiv Freiburg, Sign. RW 21- 19/9

13 Franz Simon in Frankfurter Rundschau Nr. 54 vom 04.03.1988, S.II, Stadtarchiv Oberursel.

14 Denkmalakte der Unteren Denkmalschutzbehörde der StadtOberursel und aus Aufzeichnungen von Franz Simon vomMärz 1989, Stadtarchiv Oberursel Sign. Weißkirchen Top 111.

15 Aufzeichnungen von Franz Simon vom März 1989, Stadtar-chiv Oberursel Sign. Weißkirchen Top 111 und Denkmalakteder Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Oberursel so-wie Bauschein Nr. 199 vom 19.8.1939 in Bauakte, Stadtver-waltung Oberursel.

Heinrich (Heinz) Schütz, 1972Repro aus Taunus-Zeitung v. 26. 8. 1972 Stadtarchiv Oberursel, Biogr.OU 101

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Im Rahmen des sofort begonnenen Wiederauf-baus und der Instandsetzungen entstanden auchzusätzliche Räumlichkeiten für Wohnbenutzungin Barackenform.Über die Nutzung der Barackenwird im Teil II dieses Artikels berichtet.Küche undEssensräume standen der Firma Jos. Kleebach,Modellbau, zur Mitbenutzung zur Verfügung.16

In einer Vorbemerkung zur Baubeschreibung derneuen Selektivanlage heißt es u.a.: »Für das durchBrand zerstörte Bauwerk muss sofortiger Ersatzgeschaffen werden zur Aufnahme der teilweiseunterbrochenen Herstellung kriegsentscheidenderStoffe«. Aus den Erläuterungen zu einem Lageplangeht hervor, dass ein Teil der Neubauten auf neuerworbenen Grundstücken, die an die »Landstra-ße/Reichsstraße« (Kurmainzer Straße) grenzten,vorgenommen wurde.17

Die Weißkirchener Feuerwehr berichtet in ihrerFestschrift von 1954 von weiteren Bränden im Fir-mengelände am 7. Februar 1940 und am 24. April1944.18

In den Jahren von 1938 bis 1942 wurde das Schütz-Grundstück durch weitere Landzukäufe von meh-reren Besitzern beträchtlich vergrößert, wobei vonSchütz ein Preis von 1,70 RM pro qm gezahlt wur-de. Ausgehend von einer Grundfläche von 4.021qm per 31.01. 1933 wurde diese dann bis 1942 etwaum das zwanzigfache vergrößert.Begründet wurdediese Erweiterung mit dem erheblichen zusätz-lichen Platzbedarf für die Produktion nach demneuen Verfahren, aus Gründen des Brandschutzes(Abstände, Löschteiche) und zuletzt noch durcheine Auflage von Reichsstellen, große Mengenbrennbaren Materials auf dem Gelände zu lagern,das wegen der Luftgefährdung aus dem Ruhrge-biet nach hier verlagert werden sollte.

Für die Wahrnehmung der Interessen der FirmaSchütz bei den obersten Reichs-und Wehrmachts-behörden wie den nachgeordneten Dienststellenin Berlin, zur Beschaffung von Arbeitskräften,Aufrechterhaltung des Rohstoffkontingentes, derschnelleren Bewilligung und Zuteilung von Hilfs-stoffen (Perchloraethylen), schnellerer Zuteilungdes benötigten Eisens für die Bauvorhaben und zurHerbeiführung der durchgreifenden Unterstüt-zung der an der schnelleren Fertigstellung der Bau-vorhaben besonders interessierten Dienststellen,war ein in Berlin ansässiger freiberuflicher Diplom-Chemiker und Beratender Chemiker im NSBDT19

(früherer Sachbearbeiter im Reichsamt für Wirt-schaftsausbau, RWA) mit großem Erfolg tätig.

Das Reichsamt für Wirtschaftsausbau und dasReichswirtschaftsministerium hatten weiterhingrößtes Interesse an einem noch erweiterten Aus-bau der Schütz-Anlage mit einer entsprechendenProduktionssteigerung und drohten mit Konse-quenzen, wenn der Ausbau nicht termingemäßdurchgeführt werde. In diesem Zusammenhangwurde die Firma Schütz 1943 von der Stilllegungdes Bauvorhabens »Weißkirchen-Ozokerit« undder Stilllegung des Werkes Weißkirchen durch denWirtschaftsverband »Ceresin-Fabriken« bedrohtund hier auch wegen nicht eingehaltener Liefe-

________________________16 Aufzeichnungen von Franz Simon vom Juni 1983, Stadtar-

chiv Oberursel Sign. Weißkirchen Top 111 und HHStAWAbt. 520/FZ Nr. 7206 und Abt. 507 Nr. 8112.

17 Baubeschreibung vom 30.11.1941 in Bauakte, Stadtverwal-tung Oberursel.

18 Festschrift Freiw. Feuerwehr Weißkirchen zum 25jährigenBestehen am 29./30.5.1954, S.19, Stadtarchiv Oberursel Sign.Weißkirchen soc. Freiw. Feuerwehr 501.

19 NSBDT = NS-Bund deutscher Technik war ein der Natio-nalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP) angeschlossenerVerband.

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rungen, zum Beispiel an Munitionsfabriken. Auchvon einer möglichen Enteignung und Übernahmedurch die I.G. Farben war die Rede.20 Dem obengenannten Berliner »Beratenden Chemiker imNSBDT« gelang es, die verfügten Stilllegungen ineinem Einspruchs- und Beschwerdeverfahren vordem Reichsminister für Beschaffung und Muni-tion (Albert Speer) abzuwenden.21

Zwischen 1942 und 1944 fanden umfangreicheBautätigkeiten statt; so der Wiederaufbau der ab-gebrannten Gebäude und erforderliche baulicheErweiterungen in Verbindung mit dem neuen Pro-duktionsverfahren; die neue Selektivanlage konn-te wohl erst 1943 fertiggestellt werden, sowie Tief-bauarbeiten für Wasserversorgung, Kanalisationund eine fabrikeigene Kläranlage.22

Im Werksgelände befand sich auch ein Wohnhaus,in dem leitende Angestellte wohnten.

Bei einem Jagdbomberangriff auf das Betriebsge-lände am 21. Februar 1945 fanden zehn Menschenden Tod; der materielle Schaden für die Firma be-lief sich auf ca. 150 000 RM. Der Angriff galt vor-her noch der Lokomotive eines Zuges der Bahn-linie Rödelheim-Weißkirchen.23

Was die Anzahl der Schütz-Mitarbeiter vor 1945angeht, ließen sich aus diversen Dokumenten fol-gende ungefähren Zahlen ermitteln:24

1933 = 10 1938 = 27 1939 = 521941 = 100+ 1943 = 200

Bei den Zahlen für 1941 und 1943 ist unklar, ob dieFremdarbeiter und Kriegsgefangenen mit einge-schlossen sind.Das Unternehmen verzeichnete 1939 einen Jahres-umsatz von 1268907,89 RM.25

Nach dem Einzug der amerikanischen Truppen inWeißkirchen am 29. März 1945 wurde der Betriebvon der Besatzungsarmee für militärische Zwecke(Panzereinheit) beschlagnahmt und besetzt. Erstim Januar 1946 konnte die Produktion mit Ge-nehmigung der amerikanischen Militärregierung

________________________20 Möglicherweise hier auch in Zusammenhang mit der nicht-

arischen Abstammung (Urgroßeltern) von Heinrich Schütz(eidesstattliche Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern derFirma Schütz von 1948, HHStaW Abt. 520/FZ-7206). ImGegensatz hierzu wird in der Handelskammer-Doku Nr.62909 vom 27.05. .1936 die Firma als »arisches Unterneh-men« bezeichnet (Hessisches Wirtschaftsarchiv DarmstadtSign. Abt. 3, Firmenakten).

21 HHStaW Abt. 507 Nr. 8112, Abt. 519/V-3107-463 und Abt.520/FZ Nr. 7206.

22 HHStaW Abt. 520/FZ Nr. 7206 und Stadtarchiv OberurselSign. Weißkirchen IV, 2 und Weißkirchen Top 111.

23 Aufzeichnungen von Franz Simon vom Juni 1983, Stadtar-chiv Oberursel Sign. Weißkirchen Top 111 und Heimatge-schichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes undder Verfolgung 1933-1945 Hessen I Regierungsbezirk Darm-stadt, 1995, S.191 sowie HHStaW Abt. 520/FZ Nr. 7206.

24 HHStaW Abt. 519/3 Nr. 13926 und Abt. 52o/FZ Nr. 7206und Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt Sign. Abt. 3,Firmenakten.

25 HHStaW Abt. 519/3 Nr. 23860.

Heinrich (Heinz) Schütz, (†1979), Bernd Schütz (†2004), Erna Schütz, geb. Greiner (†), und der damaligeBetriebsleiter Karl Goldbach (rechts, †1990). Anlass war dessen Jubiläum nach 50jähriger Tätigkeit in derFirma Schütz am 1. November 1977 (siehe Seite 23). Foto: Goldbach

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Erläuterungen:PförtnerLaborSiedekesselanlageRaffination

SpringbrunnenVergußhallePackhalleGatscheAbort

GatscheLagerhallen, teil-weise abgebranntKesselhausKüche

2 Schwefelsäure-BehälterGarageWerkstattOxydation

LagerFeuerteichLager & PackhalleWasserturmFeuerteich West

Tor Tor

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Kl. TanklagerAlkylierungVor.Dest.Gas-OfenGr. Tanklager

DestillationPumpstationKühlturmWohn-Barackezerst.Speisebaracke

zerst.Bürobarackezerst.WaschbarackeWohnhausBarackeAbort

StallGatschlagerRohwachsschuppenAufbereitungs-AnlageHalbstoff-Tanklager

Abscheider für WarmwasserSelektiv-AnlageLösemittel-TanklagerAbscheider für AbwasserFeuerteich OstSaugsch. für Feuerwehr

Landstraße nach Weißkirchen

Lageplan von 1952. Quelle: Bauakte, Stadt Oberursel

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und des Landeswirtschaftsamtes für Großhessenin Wiesbaden, unter der Lizenz-Nummer 51/584,wieder aufgenommen werden. Die Besatzungs-schäden wurden auf über 1 Million RM beziffert.

Es wurden nun alle verfügbaren Mittel undKräfte dazu eingesetzt, neben der Produktion dieschweren Besatzungsschäden zu beheben, was sichbis weit in das Jahr 1948 hinzog. Es herrschte einMangel an Arbeitskräften und die Produktionkam nur sehr zögerlich in Gang. Das Unterneh-men versorgte bisher die Industrie im wesent-lichen mit gelben bis braunen Weichwachsen,während nach der Währungsreform im Juni 1948nur noch Interesse an harten und möglichst hellenhochwertigen Wachsen bestand, wovon die Kun-den, zunächst äußerst zurückhaltend, nur kleineMengen bestellten.Das Unternehmen befand sich in dieser Zeit ineiner äußerst angespannten Finanzlage.26

Schütz beschäftigte im Juli 1948 79 Mitarbeiter;im März 1949 waren es bereits 116 Mitarbeiter, beieiner Lohnsumme von 37.130 DM. Die Grund-steuer für den Monat Januar 1949 belief sich auf523,44 DM.27

Am 2. Dezember 1949 hob das »Hessische Staats-ministerium Der Minister für politische Befrei-ung« die Sprüche der Spruchkammer auf und ord-nete die erneute Durchführung des Verfahrens vorder Spruchkammer Frankfurt/Main in andererBesetzung an. In einer nichtöffentlichen Sitzungder Zentralspruchkammer Hessen-Süd am 28. Ja-nuar 1950 erging der nicht anfechtbare Beschluss,das Verfahren einzustellen.28

In den folgenden Jahren bildeten die Produkte»GS-Ozokerit« auf Basis von Erdölrohstoffen und»GS Hartwachs« aus Steinkohleprodukten derFischer-Tropsch-Synthese das Rückgrat der neuen Schütz’schen Export-Produktion. Braunkohlen-produkte wie Montanwachs und Paraffin erweiter-ten den Herstellungsbereich. Durch die Vereini-gung von Wachsrohstoffen mit Kunstharzen undthermoplastischen Kunststoffen bahnten sich neueEntwicklungswege an, die vor allem auf dem Ge-biet der Spezialwachse für Verpackungsmittel zubedeutenden Erfolgen führten und zu weltbekann-ten Spezialerzeugnissen der Firma Schütz wurden.

1947/48 stellten politische Parteien von Weißkir-chen und der Bürgermeister von Weißkirchen so-wie der bereits erwähnte Weißkirchener Landwirt(Landenteignung) Anträge auf Wiederaufnahmeeines Spruchkammerverfahrens gegen HeinrichSchütz. In der Begründung wurde angeführt, derBetroffene sei Aktivist und insbesondere Nutz-nießer des Naziregimes gewesen.

Die Spruchkammer Obertaunus beschloss, auf-grund der vom Öffentlichen Kläger angestelltenErmittlungen, eine Wiederaufnahme des Spruch-kammerverfahrens gem. Artikel 48 des »Gesetz zurBefreiung von Nationalsozialismus und Milita-rismus vom 5. März 1946«. Gleichzeitig wurde ge-gen Heinrich Schütz ein Beschäftigungsverbotund eine Vermögenskontrolle erlassen sowie einüberwachender Treuhänder eingesetzt. Am 7./8.September 1948 gab es eine mündliche Verhand-lung in einer öffentlichen Sitzung bei der Spruch-kammer Frankfurt/Main. In der folgenden Sit-zung der Spruchkammer vom 4./5. Oktober 1948erging der Beschluss, das Verfahren gegen Hein-rich Schütz, weil vom Gesetz nicht betroffen, ein-zustellen.Die Berufung des Weißkirchener Landwirts wur-de am 25. Mai 1949 durch die Berufungskammerals unbegründet zurückgewiesen. Gleichzeitigwurde die Vermögenskontrolle aufgehoben.

Die Industrie brauchte nun Wachse mit Schmelz-punkten von 45 bis 135 Grad Celsius in allen er-denklichen Härte- und Weichheitsgraden und mitden vielfältigsten Eigenschaften für aroma-, was-ser- und fettdichte Verpackungspapiere, -folienund Kartons, für Textilien und Leder, für Schuh-creme, Bohnerwachs, Auto- und Möbelpolituren,für Kerzen, Wachswaren und Kohlepapier, Bunt-stifte, Kosmetika und Salben, für elektrische Iso-lierungen, Vergussmassen und Feingussmodelle,sie brauchte Schutz- und Gleitwachse für Sinter-metalle, Kunststoffe und Gießerei-Formenpulver,um nur einige Verwendungszwecke zu nennen.29

Um 1953 erfolgte der Ausbau der ehemaligen La-ger- und Packhalle zu Labors (Labor I und II).30

In der Handelskammer-Mitteilung vom 01.09.1957 wird Heinrich Schütz u.a. als »unabhängigerFabrikant, der die technische Entwicklung seinesFachgebietes maßgeblich förderte«, beschrieben.31

________________________26 Chronik der Gemeinde Weißkirchen/Ts., S. 94, Privatarchiv

B.Ochs und Stadtarchiv Oberursel Sign.Weißkirchen XV, 1und Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 507-8112 so-wie 519V-3107/463.

27 Stadtarchiv Oberursel Sign. Weißkirchen IV, 2, 1948 Bd. 2.28 HHStaW Abt. 519/V Nr. 3107-463 u. Abt. 520/FZ Nr. 7206.29 Taunus-Anzeiger, Jubiläums-Ausgabe (100 Jahre) vom 21.

09. 1963 und vom 11./12.11.1966, S.4, Stadtarchiv Oberursel.30 Bauschein Nr. 30 vom 6.12.1952 in Bauakte, Stadtverwaltung

Oberursel.31 Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt Sign. Abt. 3, Fir-

menakten.

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1957 verzeichnete die Firma Schütz einenJahresumsatz von 4.250.000 DM undbeschäftigte 84 Mitarbeiter32. 1966, imJahr ihres 75-jährigen Bestehens, warenes 100 Mitarbeiter und es wurden etwa450 verschiedene Wachssorten in Formvon Platten, in Schuppen, in Pastillen-form oder als Wachsstaub hergestellt.33

Mit der Anmeldung der Sitzverlegungder Firma Schütz von Frankfurt/M. nachWeißkirchen wurde im Dezember 1962eine längst fällige Berichtigung des Han-delsregisters eingeleitet. Die Eintragungerfolgte am 9. Januar 1963 unter Nr.HRA657 durch das Amtsgericht Bad Hom-burg v.d.H.34

Die Adresse der Firma Schütz lautete an-fangs »Weißkirchen, am Bahnhof«, spä-ter Bahnhofstr. 54; ab 1968, im Rahmeneiner Neunummerierung der Bahnhof-straße, waren es die Nummern 74-76.35

Infolge der Gebietsreform von 1972 wur-de die Bahnhofstraße in die KurmainzerStraße integriert und dem Schütz-Ge-lände wurden die Hausnummern 148-166 der Kurmainzer Straße zugeordnet.Das weitläufige Industriegelände führtseit 1988 die Adressen Hiroshimastraße 1und 2.»Heinz Schütz blieb selbständig. Chefdes Weißkirchener Ceresinwerkes feiert75. Geburtstag«; unter diesem Titel wür-digte die Taunus-Zeitung in ihrem Arti-kel vom 26. August 1972 die Verdienste des »Pio-niers der deutschen Ceresinindustrie« mit einemRückblick auf seine 52jährige Tätigkeit als Allein-inhaber seiner Firma.36

Am 1. November 1977 konnte Karl Goldbach aufseine 50jährige Tätigkeit in der Firma Schütz zu-rückblicken. In dieser Zeit stieg er zum Betriebs-leiter auf und hatte auch in schweren Zeiten derFirma die Treue gehalten. Der Hessische Minister-präsident und die Industrie- und Handelskammerwürdigten seine Verdienste.37

Nach dem Tod von Heinrich Schütz am 20. Mai1979 wurde das Unternehmen 1980 in eineGmbH. umgewandelt und firmierte als »GeorgSchütz G.m.b.H. Erste Süddeutsche Ceresinfa-brik«. Persönlich haftende Gesellschafter warendie Ehefrau des Verstorbenen, Kauffrau Erna Jo-hanna Schütz geb.Greiner und ihr Sohn, derKaufmann Bernd Schütz.38

Als die Firma Schütz in einer Anzeige der Taunus-Zeitung vom 8. Februar 1986 eine Fremdsprachen-Korrespondentin mit guten Kenntnissen in Eng-

________________________32 Schreiben der Industrie-u. Handelskammer vom 28.12.1962

betr. HR-Sache Georg Schütz Nr. -18008-, Hessisches Wirt-schaftsarchiv Darmstadt, Sign. Abt.3, Firmenakten.

33 Taunus-Anzeiger vom 11./ 12. 11 . 1966, Seite 4, StadtarchivOberursel.

34 Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt Sign. Abt. 3, Fir-menakten.

35 Bei der Neunummerierung der Bahnhofstraße von 1968 er-hielten die Anlieger der Gemeinde Weißkirchen die geradenHausnummern, die Anlieger der Gemeinde Stierstadt dieungeraden Hausnummern, Stadtarchiv Oberursel, Sign.Weißkirchen III, 50.

36 Stadtarchiv Oberursel Sign. Biogr. OU 101.37 Taunus-Zeitung vom 1. 11. 1977, Stadtarchiv Oberursel. 38 Stadtarchiv Oberursel Standesamtsregister 1979 Nr. 107 und

Handelsregister A Nr. 1437 vom 2. September 1980 und BNr. 2299 vom 25. September 1980, Hessisches Wirtschafts-archiv Darmstadt, Sign. Abt.3, Firmenakten.

Seite 1 eines Prospekts von 1954. Im Mittelgrund sieht man eineidealisierte Darstellung des Firmengeländes mit dem Wasserturmlinks vorne. ISG Frankfurt, Sammlung S3, 1601

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lisch und Französisch für ihre Export-Abteilungsuchte, war nach außen nicht erkennbar, dass dasbaldige Ende des Industriebetriebes bevorstand.39

Zur großen Überraschung der Mitarbeiter wurdein der Lokalpresse Ende Oktober 1987 die Schlie-ßung des Werkes zum 31. 1. 1988 verkündet. Wieverlautete, machte das Unternehmen in den letz-ten Jahren steigende Verluste; die Ursache seienschrumpfende Aufträge aus der Automobil- undPapierindustrie. Dazu käme ein Mangel an neuenProdukten, weil das mittelständische Unterneh-men nicht mit der Forschung der kapitalkräftigenGroßindustrie mithalten könne.Am 11. November 1987 unterzeichneten der Be-triebsrat und die Firmenleitung einen Interessen-plan, der auch einen Sozialplan einschloss. Durchdie Werksschließung verloren 52 Mitarbeiter ihrenArbeitsplatz.Es wurde bekannt, dass das Firmengelände an denjapanischen Autokonzern Mazda verkauft werdensollte, der hier sein europäisches Forschungs- undEntwicklungszentrum errichten wolle. Was zu-

nächst wohl nur als Gerücht galt, wurde wenigspäter zur Realität. Mazda erwarb etwa 71 000 qmmit 11 000 qm Nutzfläche des Schütz Geländessowie eine Wegeparzelle von der Stadt Oberursel;die restlichen ca. 10 000 qm erwarb die FirmaWebb Service (Mister Minit) zur Einrichtungihrer Hauptverwaltung mit Vertrieb und Hoch-regallager.

Die ehemaligen Schütz-Mitarbeiter standen imAbseits – »Wir fühlen uns von allen Seiten imStich gelassen« – argumentierte ein ehemaligesBetriebsratsmitglied. Als besonders kränkend wur-de empfunden, dass die Firma Mazda nur eineneinzigen Schütz-Mitarbeiter übernahm.40

________________________39 Taunus-Zeitung vom 08.02.86, S.25, Stadtarchiv Oberursel.40 Oberurseler Kurier Nr. 85 vom 23./24. 10. 1987 S. 1, Nr.91

vom 13./14. 11. 1987 S. 1, Nr. 93 vom 20./21. 11. 1987 S. 1, Nr. 98vom 08. 12. 1987 S. 1, Nr. 95 vom 29. 11. 1988, S. 1; Taunus-Zei-tung vom 24. 10. 1987 S. 19, 12. 11. 1987 S. 19, 19. 11. 1987 S.19,18.03. 1988, 06.07. 1988, S. .18, 11.7. 1988 S. 14; FrankfurterRundschau Nr.263 vom 12. 11. 1987, F.R. Nr. 45 vom 23.02.1988, S. II und Nr. 52 vom 02.03. 1988 S.II und F.AZ. Nr. 125vom 31.05. 1990, S.51 – alle Stadtarchiv Oberursel.

Seite 2/3 des Faltprospekts von 1954 Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Sammlung S3, 1601

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Durch Beschluss der Gesellschafterversammlungder Schütz GmbH vom 8. 12. 1988 wurde dieFirma der Gesellschaft und der Gegenstand desUnternehmens geändert sowie der Sitz der Gesell-schaft von Oberursel nach Steinbach/Ts. verlegt.Neue Firma: J. und B. Schütz Verwaltungsgesell-schaft mbH. Neuer Gegenstand des Unterneh-mens: Erwerb, Veräußerung und Verwaltung vonbebautem und unbebautem Grundbesitz aller Art,wie Grundstücke . . . usw.41

»Schadstoffsuche in 70 Metern Tiefe«. Unter die-sem Titel berichtete die Taunus-Zeitung in ihrerAusgabe vom 05.08.2000 über die von der ehe-maligen Ceresinfabrik Schütz verursachte Verun-reinigung des Bodens und des Grund-wassers mit Lösungsmitteln.

Im Nordteil des Betriebsgeländes be-fand sich ein unterirdisches Tanklager,in dem bis 1973 Lösungsmittel gelagertwaren. Wegen eines Verdachtes wurden1987 im Auftrag der Firma Schütz um-welttechnische Untersuchungen vorge-nommen, wobei die Experten im Be-reich des Tanklagers eine großflächige,sanierungsbedürftige Verunreinigungdes Bodens und des Grundwassers mitLösungsmitteln feststellten.

men von der Oberurseler Firma Hydrodata, erga-ben, dass die Belastungen des Grundwassers starkabnahmen, je weiter man sich von dem früherenTanklager entfernte.

Erst wenn alle Ergebnisse vorliegen, könne maneine Prognose erstellen wie sich der Eintrag in dasGrundwasser bisher gestaltet habe und wie er sichin den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwick-eln werde. Auf jeden Fall sollen in den kommen-den Jahren alle sechs Monate Wasserproben an denfünf Bohrstellen entnommen werden, um festzu-halten, wie sich der Abfluss des Grundwassers unddie Schadstoffausbreitung entwickeln, um notfallsweitere Maßnahmen veranlassen zu können.

Ab 1989 und bis Mitte 2000 wurden aufKosten des ehemaligen EigentümersMaßnahmen zur Sanierung der Boden-luft über den Einsatz von Aktivkohlefil-tern mit einigem Erfolg durchgeführt.Die weiteren Maßnahmen bzgl. derGrundwasserverunreinigung konntenvon Schütz finanziell nicht mehr gelei-stet werden und die weitere Bearbeitungdieses Altlastenfalles wurde vom LandHessen der Hessischen IndustriemüllGmbH (HIM) übertragen; das LandHessen stellte für die Untersuchung ca.300.000 DM bereit.

Es waren fünf Bohrungen zwischen derHiroshimastraße und dem WasserwerkPraunheim zur Einrichtung von Meß-stellen geplant, von denen im August2000 bereits vier niedergebracht waren.Über eine Grundwasseranalyse sollteherausgefunden werden, in welcherGrößenordnung die Lösungsmittel insGrundwasser gelangten und in wieweiteine laterale Verlagerung stattgefundenhat. Erste Untersuchungen, vorgenom-

________________________41 HR B2299-12.1.1989 in Taunusbote vom 18.1.1989, Stadtarchiv Oberursel.

Der Prospekt (hier Seite 4) trägt die Handschrift des Oberurse-ler Werbegraphikers Himke Faber (1914-1973). Er arbeitete fürzahlreiche renommierte Firmen und Organisationen. So gestal-tete er z.B. auch das weltweit verbreitete IAA-Plakat 1967, dasaus 200 internationalen Bewerbungen ausgewählt wurde.

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»Ausländische Zivilarbeiter«, »Fremdarbeiter«oder »Fremdvölkische« wurden die im sogenann-ten Reichseinsatz zur Beschäftigung gebrachtenAusländer im NS-Sprachgebrauch genannt.»Zwangsarbeiter« ist ein Nachkriegsbegriff für Per-sonen, die aus den von NS-Deutschland erobertenGebieten Europas in das Deutsche Reich gebrachtwurden, um hier in Industrie, Landwirtschaft undPrivathaushalten zu arbeiten.

Der verharmlosende Pauschalbegriff »Fremdarbei-ter« meint Angehörige aller Völker und Nationa-litäten, in deren Staaten NS-Deutschland mit derWaffengewalt der Wehrmacht eingefallen war, sieaus ihren Lebenszentren deportiert und in dasZwangssystem der Kriegswirtschaft des »DrittenReiches« eingebunden hatte. Ein kleiner Teil da-von kam in der Frühphase des Krieges aus Frank-reich, Belgien, den Niederlanden, aber auch ausPolen sowie der Sowjetunion zur Arbeitsaufnahme»freiwillig« ins Reichsgebiet. Die danach inDeutschland erlebten, stark reglementierten wierepressiven Arbeits-, Lebens- und Rechtsverhält-nisse führten aber selbst den »Freiwilligen« baldden »Zwangscharakter« ihres kriegsbedingten Ar-beitseinsatzes vor Augen.

Im »Heimatgeschichtlichen Wegweiser zu Stättendes Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945«heißt es auf Seite 191 : »Ende 1942 (?)49 wurden fürdie ausländischen Zwangsarbeiter Baracken er-richtet. Sie mussten u.a. Kanalarbeiten für diefabrikeigene Kläranlage durchführen. Außer denZwangsarbeitern waren bei der Firma Schütz auchGefangene aus dem Gefängnis in Frankfurt-Preun-gesheim eingesetzt; im Juli 1944: 34 Justizstrafge-fangene«.In den Bauakten der Stadt Oberursel befindet sichein Lageplan vom 22. Dezember 1941, in dem viergeplante »Baracken nur für Kriegsdauer« einge-zeichnet sind (siehe Abb.) Einzelheiten zu denBaracken, wie Baupläne, wurden nicht gefunden.Die Baracken hatten folgende Abmessungen: 20 x8,15 m / 26,45 x 8,15 m / und 39,8 x 8,20 m (2).50

Eine weitere Registrierung des Zwangsarbeiterla-gers bei der Firma Schütz findet sich im »Catalo-gue of Camps and prisons in Germany and Ger-man-occupied Territories Sept. 1st, 1939 -May 8th,1945« prepared by International Tracing ServiceHq., Arolsen, 24th June 194951; sie lautet:

Ebenfalls wurden Kriegsgefangene, entgegen derGenfer Kriegsgefangenenkonvention, zur Arbeitin der deutschen Rüstungsindustrie gezwungen.42

Auch die Ceresinfabrik Georg Schütz, beschäftig-te ab 1941/1942 Fremdarbeiter und französischeKriegsgefangene, deren Unterbringung zunächstin den Weißkirchener Gasthäusern »Zum Hirsch«(30 Belgier, 1942 ?) und »Zur Hainlust« (28 Belgier,1942 ?) und dann in einem sogenannten »Gemein-schaftslager«43 (Barackenlager) auf firmeneigenemGelände erfolgte. Die Ceresinfabrik stellte damalsProdukte für synthetische Treiböle her und warvon daher ein kriegswichtiger Betrieb.

In zwei Listen der Deutschen Arbeitsfront (DAF)44

ist die Unterbringung der Fremdarbeiter wie folgtregistriert:45

Liste vom 21.o9. 1942:Gemeinschaftslager1 G.Schütz, Weisskirchen:

25 Deutsche m.46

50 Flamen m.47

Liste vom 1.04. 1943:Gemeinschaftslager G. Schütz, Weißkirchen:

58 Inländer 37 Russen48

42 Flamen

________________________42 Thomas Lange/Klaus-Dieter Reck in: Zwangsarbeit im

Volksstatt Hessen 1939-1945, veröffentlicht durch HessischesStaatsarchiv, Darmstadt, Digitales Archiv, URL: http://di-gada.de/Zwangsarbeiter/uebersichtzwangsarbeiter.htm.

43 »Gemeinschaftslager« wurden von mehreren Firmen, dieZwangsarbeiter beschäftigten, gemeinsam unterhalten.

44 Für die Betreuung der in Lagern untergebrachten deutschenund ausländischen Arbeitskräften in nichtlandwirtschaft-lichen Betrieben war seit 29.4./1.5. 1942 die DAF [DeutscheArbeitsfront, eine Zwangsgemeinschaft der Unternehmerund abhängig Beschäftigten, eine Art Ersatz für die zer-schlagenen Gewerkschaften] zuständig. Der Bevollmächtig-te für den Arbeitseinsatz im Gau Hessen-Nassau war Gau-leiter Jakob Sprenger. Taunus-Anzeiger vom 3.6. 1942.

45 HHStaW Abt. 483 Nr. 7328 und Kreisarchiv Hochtaunus-kreis, Nachlass A. Baeumerth sowie Ursula Krause-Schmitt,Jutta von Freyberg: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zuStätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945Band 1/1 Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, Herausge-geben vom Studienkreis Deutscher Widerstand, Frank-furt/Main: VAS 1995, Seite 191, Privatarchiv B.Ochs.

46 Deutsche = wohl Häftlinge/Justizstrafgefangene aus demGefängnis Frankfurt-Preungesheim. m. = Männer.

47 Flamen ( aus der belgischen Region Flandern ) waren als»Westarbeiter germanischer Abstimmung« eingestuft.

48 Russen = »Ostarbeiter«, die auf der untersten Stufe der Aus-länderhierarchie standen (»Ostarbeiter-Erlasse« vom 20. Fe-bruar 1942).

49 Nach den Recherchen des Autors wohl bereits Anfang 194250 HHStaW Abt. 520/FZ Nr. 7206.51 In Martin Weinmann: Das nationalsozialistische Lagersy-

stem (CCP), 4. Auflage, April 2001, Privatarchiv B.Ochs.

Teil II: Das Barackenlager für die Zwangsarbeiter auf dem Gelände der Firma Georg Schütz

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Weisskirchen Krs. Obertaunus US Zone L51/M 67CWC: Erste Mitteldeutsche Ceresinfabrik, GeorgSchuetz, 100 pers. (Buergermaster)52

Die Auswertung von weiteren Quellen ergab fol-gende Ergebnisse zu dem Einsatz von ausländi-schen Arbeitskräften bei der Firma Schütz:

Nationalitäten: Franzosen (Kriegsgefangene), Bel-gier, Flamen, Holländer, Russen sowie deutscheJustizstrafgefangene.

Behandlung der ausländischen Arbeiter

Es soll zu Misshandlungen von französischenKriegsgefangenen gekommen sein; auch musstensie zeitweilig an Sonntagen arbeiten. Als das Stalagdavon hörte, wurde der Firma angedroht, ihr imWiederholungsfalle, die Gefangenen zu entziehen.Besonders schlecht sollen die Ostarbeiter behan-delt worden sein, auch hier soll es zu Misshand-lungen gekommen sein, sowie bei geringen Verge-hen zum tagelangen Entzug von warmen Mahl-zeiten und Einsperren in einen Bunker. Allgemeinsoll es auch zu Beschwerden hinsichtlich des kata-strophalen Zustands der Arbeitskleidung sowieder zeitweilig schlechten Verpflegung gekommensein.55

Bereits 1941 kamen etwa 20 französische Kriegsge-fangene, als Außenkommando des »Stalag IX«53

(ob vom IXA Ziegenhain oder IXB Bad Orb/Weg-scheide ist unklar) zum Arbeitseinsatz.54 Ebensounklar ist deren Unterbringung vor dem Bau desSchütz’schen Barackenlagers. Die Kriegsgefange-nen wurden von einem Landesschützen, vermut-lich vom Landesschützenbataillon 633, bewacht.

1943 wurden die französischen Kriegsgefangenenin den »Zivilarbeiterstatus« überführt. Angeblichsind sie 1945, nach Kriegsende, hiergeblieben.

Die belgischen Zivilarbeiter, die von der Firma LeHecq, Brüssel, kamen, hatten wohl einen Sonder-status, denn sie wurden u.a. wesentlich höher ent-lohnt.Die Russen wohnten separat in der »Ostarbeiter-baracke«.

________________________52 CWC = Civilian Workers Camp (»Mitteldeutsche« = Feh-

ler), 100 Personen nach Angaben des Bürgermeisters.53 »Stalag«=Stammlager, im Nationalsozialismus die Bezeich-

nung für Lager zur Unterbringung von Kriegsgefangenendes Zweiten Weltkriegs. »IX« = Wehrbereich Kassel. Dergrößte Teil der Kriegsgefangenen musste außerhalb des Sta-lag in Arbeitskommandos Zwangsarbeit in der Industrie undLandwirtschaft leisten.

54 Die Unternehmen mussten für die Arbeit der Kriegsgefan-genen Löhne an die Wehrmacht abführen, von denen west-liche Kriegsgefangene etwa die Hälfte in »Lagergeld« ausbe-zahlt bekamen.

55 Eidesstattliche Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern derFirma Schütz von 1948, HHStaW Abt. 520/FZ-7206.

»Baracken nur für Kriegsdauer« Ausschnitt aus Lageplan vom 22. 12. 1941. Quelle: Bauakte Stadt Oberursel

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Am 12. Februar 1942 wurde der 21jährige belgischeZivilarbeiter Isaak . . . 56 ins Polizeigefängnis Frank-furt eingeliefert, weil er auf seiner ArbeitsstelleStreitigkeiten mit einem Hilfspolizisten hatte. Am16. Februar wurde er der Kripo Frankfurt überge-ben und dem Richter vorgeführt, Haftbefehl nichterlassen, am 18. Februar der Staatspolizei überstelltund am 23. Februar wieder entlassen.

Der 50jährige Sowjetrusse Roman Galaibida wur-de vom 26. November 1942 bis 13. Januar 1943wegen Arbeitsverweigerung von der StaatspolizeiFrankfurt in Haft genommen und in das AEL (Ar-beitserziehungslager Heddernheim)57 überführt.58

Am 6. Juni 1943 wurden die Ostarbeiter Iwan L.,Wadin O. und Wasil S. unerlaubt in Oberursel an-getroffen; sie wurden in die Arrestzelle eingeliefertund dort vom Schütz-Werkschutz abgeholt.

Am 27. Januar 1945 sind die Ostarbeiter Ilja L.,Iwan P. und Wladimir M. ohne Urlaub heimlichnach Frankfurt gefahren und erst am nächsten Tagzurückgekehrt. In der Meldung der Firma Schützan den Gendarmerieposten Stierstadt heißt es:»Wir bitten um eine empfindliche Bestrafung,damit diese Disziplinwidrigkeit nicht weiter ein-reißt«; der Gendarmerieposten erstattete Straf-anzeige bei der Ortspolizei Weißkirchen.

Im Folgenden werden Auszüge auswerksinternem Schriftverkehr/Berichtswesender Firma Schütz in den Jahren 1942/1943

abschriftlich wiedergegeben.

Es handelt sich dabei um Passagen aus Berichtender Vertrauensmänner, des Werkschutzes, des Ab-wehrbeauftragten und der Werkschwester, dieüberwiegend einen Bezug zu den Fremdarbeiternhaben.63

Weisskirchen, den 30. Januar 1943

Bericht der Vertrauensmänner für Dezember 194264

Verschiedene Gefolgschaftsmitglieder65 haben bei denVertrauensmännern Klage geführt, dass in Wasch-räumen, wo sie sich waschen, sogar fremde Russen sichbaden würden. Auch ein Teil der Belgier sei verlaustund man könne sich das Ungeziefer dort dann auchholen. Von den Vertrauensmännern wurde festgestellt,dass tatsächlich einmal Russen aus Oberursel sich beiuns gebadet haben. 10 Minuten später kam dann un-sere Gefolgschaft. Es war am Samstag den 19.12.42.Die Vertrauensmänner bitten den Betriebsführer66,dem Lagerführer Bescheid zu geben, dass dies in Zu-kunft nicht mehr geschieht. Bei den Belgiern warauch der Fall, das beim Umzug67 verlauste Belgierfestgestellt wurden.

G VertrauensmannAnfang 1943, als die Krankenhäuser die Aufnahmevon Ausländern verweigern mussten, wurde imWerk ein Krankenrevier mit ca. 10 Betten einge-richtet. Ein Weißkirchener Arzt war für die Be-treuung aller Beschäftigten und die hygienischenEinrichtungen als Betriebsarzt zuständig. Auch einSanitätsraum für erste Hilfe und Sprechstunden-tätigkeit war vorhanden.59

In einer Baracke hat sich am 14. 8. 1944 ein fünfzig-jähriger deutscher Justizstrafgefangener erhängt.60

Unter den zehn bei dem bereits erwähnten Jagd-bomberangriff vom 21. Februar 1945 getötetenMenschen befanden sich auch vier Belgier vomBarackenlager. Drei Belgier wurden einige Jahrenach Kriegsende in ihre Heimat überführt ; JeanWillms erhielt auf dem Gemeindefriedhof Weiß-kirchen am Kriegerdenkmal ein Ehrengrab.

Die Lager- Baracken dienten später noch längereZeit den Flüchtlingen und Heimatvertriebenen alsUnterkunft; viele fanden hier auch einen Arbeits-platz.61

In einem Lageplan von 1952 (siehe Abb.) sind nochBaracken eingezeichnet und wie folgt benannt:Wohnbaracke, zerstörte Speisebaracke, zerstörteBürobaracke, Baracke, zerstörte Waschbaracke.62

________________________56 Nachname aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes in dem

Dokument unleserlich gemacht.57 Die AEL waren Sonderlager der Gestapo und dienten der

Disziplinierung von »Arbeitsverweigerern, arbeitsvertrags-brüchigen und arbeitsunlustigen Elementen«, wie es in derLagerordnung des AEL-Heddernheim vom 16. April 1942heißt. Die Haftbedingungen waren KZ-ähnlich.

58 Personenkartei der Staatspolizeistelle Frankfurt im HHStaW Abt. 486.

59 Eidesstattliche Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern derFirma Schütz von 1948, HHStaW Abt.520/FZ-7206 undStadtarchiv Oberursel Sign. Hauptamt Nr. 322, Bd. 1.

60 Eidesstattliche Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern derFirma Schütz von 1948, HHStaW Abt.520/FZ-7206 undStadtarchiv Oberursel Sign. Standesamtsregister 1944 Nr. 6.

61 Aufzeichnungen von Franz Simon vom Juni 1983, Stadtar-chiv Oberursel Sign. »Weißkirchen Top 111« und »Gräberli-ste für öffentlich gepflegte Gräber« der Stadt Oberursel vom20.03. 1973.

62 Bauakte, Stadtverwaltung Oberursel.63 Aus Archiv der Arbeitsgemeinschaft »Nie wieder 1933«,

Oberursel. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurdevon den Nachnamen der Personen immer nur jeweils der er-ste Buchstabe wiedergegeben.

64 Im Nationalsozialismus wurden durch das Arbeitsord-nungsgesetz von 1934 alle betriebsrätlichen Aktivitäten ver-boten. Die Betriebsräte wurden durch so genannte Vertrau-ensräte (Vertrauensmänner) abgelöst.

65 Gefolgschaft (Vokabular des Nationalsozialismus) = Beleg-schaft.

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Werkschutz Weisskirchen, den 29. Mai 1942

Monatsbericht des Werkschutzes68

In den ersten Tagen dieses Monates war vom Ab-wehroffizier der Abwehrstelle Frankfurt/M.69 eineArbeitstagung einberufen worden. Es war eine sehrlehrreiche Tagung für mich gewesen, es wurde übereine Stunde über die Pflichten und Aufgaben desWerkschutzes gesprochen.Seit diesen Tagen versucheich, unseren Werkschutz straffer und zwar nachmilitärischen Grundsätzen aufzubauen. Bis auf FFranz, der auch nicht immer weiß, was er will, aberin seiner Dienstauffassung und Pflichterfüllung sehrgenau ist, eignen sich die anderen Werkschutzleutenicht für ihre Aufgabe. Schwatzhaftigkeit, nie ernstzu nehmende Verantwortung und dadurch keinerichtige Pflichterfüllung sind an der Tagesordnung.

wischt, die Briketts mit nach dem Lager nehmenwollten. Am 16.5.42 erwischte ich einen Belgier beimRauchen innerhalb des Werkes. Auf Anordnung desBetriebsleiters übergab ich diese Sache der Polizei.Der Belgier wurde abgeholt. Von der Polizei wurdebeanstandet, dass das polizeiliche Rauchverbot nichtin der Sprache der bei uns beschäftigten Ausländer anden Anschlagstafeln bekannt gemacht ist.

Es wurden in diesem Monat verschärfte Ausweiskon-trollen unserer Gefolgschaft sowie der Bauhandwer-ker durchgeführt. Ferner sehr scharfe Kontrollen, obMaterial usw. mitgenommen wird. Diese Kontrollenwurden unter meiner Aufsicht durchgeführt. Es sindGefolgschaftsmitglieder dabei, die sich nicht ange-wöhnen können, unaufgefordert ihren Ausweis vor-zuzeigen. Bei der ersten verschärften Ausweiskontrol-le waren von 40 kontrollierten Gefolgschaftsmitglie-dern 17 dabei, die ihren Ausweis überhaupt nichtdabei hatten. Es wurden verschiedentlich Belgier er-

Am 22.5.42 wurde ein weiterer Belgier innerhalb desWerkes beim Rauchen erwischt, und zwar durch denWerkschutzmann K Peter. Auch dieser Belgier wur-de von der Polizei abgeholt.Es wurde festgestellt, und zwar verschiedentlich, dassvon den Bauhandwerkern die Umzäunung an eini-gen Stellen gelöst wurde, um nicht beim Pförtner vor-bei zu müssen. Auch hier wurde Abhilfe geschaffen.

________________________66 Betriebsführer (Vokabular des Nationalsozialismus) =

Unternehmer, Inhaber oder Geschäftsführer eines Indu-striebetriebes; hier Heinz Schütz.

67 Vermutlich ist der Umzug von den Gasthäusern in dasBarackenlager gemeint.

68 Klaus Drobisch: Der Werkschutz in: Jahrbuch für Wirt-schaftsgeschichte 1965 IV, S.222. Der Werkschutz (hiernebenamtlich) hatte die Aufgabe, im Rahmen der bestehen-den Vorschriften die »Ruhe und Ordnung« im Werk auf-recht zu erhalten und an der Abwehr werksschädigenderUmtriebe mitzuwirken.

69 Abwehrstelle = Dienststelle der Wehrmacht, die mit Spio-nageabwehr beauftragt war..

Die Gleise der S-Bahn Linie 5 mit der Abzweigung des Werksgleises (links) neben dem Wasserturm derFirma Schütz, einem Wahrzeichen Weißkirchens Foto vom 29.02. 1988, Stadtarchiv Oberursel, 25 III 63

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Es müssten unbedingt die Schusswaffen herbei, umgegebenenfalls sich auch wehren zu können. Fernerfehlt den sämtlichen Werkschutzleuten noch die vor-geschriebene gelbe Armbinde.Tag und Nacht werden, nach verschiedenen Plänen,dauernd durch die Werkschutzleute Kontrollgängeinnerhalb des Werkes gemacht.

G Werkschutzleiter ––––––––––––––––––––––––––

Geheim (Stempel) Weisskirchen, den 31.August 1942

Bericht des Werkschutzes vom Monat August 1942

Der Monat August mit seinen vermehrten Flieger-alarmen auch bei Tage, stellte erhöhte Anforderungenan den Werkschutz. Es stellte sich heraus, dass einMann bei Alarm im Außendienst zu wenig ist. DieÜberwachung des Werkes muss bei Fliegeralarm so-fort im verstärktem Maße durchgeführt werden. Ausdiesem Grunde habe ich dem Abwehrbeauftragten70

folgende Gefolgschaftsmitglieder zum nebenamt-lichen Werkschutz vorgeschlagen: SG., MR., HH.und DFr. Bei den Tagesalarmen stellte es sich heraus,dass man die Belgier aus allen Verstecken immer erstherausholen musste. Nach Nachtangriffen musste beiHellwerden das Werksgelände sofort nach abgeworfe-nen Sachen, Brandplättchen71, Flugblätter usw. ab-gesucht werden. Flugblätter haben wir sehr viele ge-funden und der Polizei abgeliefert. Am 5.8.42 wur-de der Belgier S beim Rauchen in der Röhrendestilla-tion angetroffen; er wurde von der Polizei mit 30 RMbestraft. Am 7.8.42 wurde der Monteur H beim Rau-chen erwischt; er wurde vom Betriebsleiter mit einemschriftlichen Verweis bestraft. Am 29.8.42 wurde wie-der ein Belgier beim Rauchen angetroffen. Auch die-se Angelegenheit wurde sofort der Polizei übergeben.

Nach den Richtlinien des Mobilmachungsplanes72

für den Werkschutz muss der Betriebsführer über dieArbeit unterrichtet werden. Ich muss aber darauf auf-merksam machen, dass laut Mobilmachungsplanauch alles unter Geheim fällt. Ich bin von einem Of-fizier des Rüstungskommandos73 verpflichtet wordenund es soll mir nicht passieren, dass ich von dieserStelle, auch der des Abwehroffiziers Vorwürfe, even-tuell bestraft werde, dass Sachen des Werkschutzes,auch wenn sie noch so nichtig sind, an die Öffent-lichkeit kommen. Aus diesem Grunde bitte ich denBetriebsführer, auch den Werkschutzbericht als Ge-heim zu betrachten und in den Meisterbesprechun-gen nicht mehr vorzulesen. Ferner bitte ich Sie, denMobilmachungsplan und sonstige Anordnungen fürden Werkschutz, die erstens unter Werkschutz undzweitens in der Abwehrmappe abgelegt sind, durch-zulesen, damit auch Sie orientiert sind.

G Werkschutzleiter

An den BetriebsführerHerrn H. SchützFrankfurt a. Main Weisskirchen, den 28.1.43

G/AAm Dienstag Vormittag war ich auf einer Tagung, diean sich mit dem Betrieb nichts zu tun hatte. Daeiniges über die Ostarbeiter gesprochen wurde, willich Ihnen dies kurz mitteilen.

________________________70 Christian Schneider-Wollheim Memorial: Die Abwehrbe-

auftragten waren für die Verfolgung von Spionage, Sabota-ge und des Verrats von Betriebsgeheimnissen zuständig.Laut den 1939 von der Gestapo herausgegebenen »Richtli-nien für die sicherheitspolizeiliche Tätigkeit der Abwehrbe-auftragten« dienten sie als direktes »Hilfsorgan der Gehei-men Staatspolizei« in den Werken.

71 Zelluloidplättchen mit aufgetragenem Phosphor, der sichbei Sonnenschein entzündet und Felder und Scheunen inBrand setzen kann.

72 »Mobilmachungsplan für die Rüstungswirtschaft«, 1939vom OKW-Wehrwirtschaftsstab- herausgegeben, Sammel-heft IX Teil 2 Werkschutz in Klaus Drobisch: Der Werk-schutz in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1965 IV, S.221.

73 Die Rüstungskommandos stellten die kleinsten Dienststel-len des Reichsministers für Bewaffnung und Munition darund waren die koordinierenden und betreuenden Dienst-stellen für alle Unternehmen, welche Aufträge für die Teil-streitkräfte der Wehrmacht ausführten.

Die Mauer mit den Bogendurchbrüchen neben der Einfahrt

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Es sprach Regierungsrat Gucke von der GeheimenStaatspolizei, Frankfurt a.M.Die Ostarbeiter sind als fremdvölkische Arbeitskräf-te zu behandeln und müssen in Lägern untergebrachtsein. Diese Läger müssen im Winter ab 20 Uhr undim Sommer ab 22 Uhr verschlossen sein.Jeder Ostarbeiter muss sichtbar auf der Brust das Ost-abzeichen tragen. Ferner müssen sie vom Lager abge-holt und von der Arbeitsstätte zum Lager wieder zu-rückgebracht werden.

nicht in Frage; er kann sogar noch bestraft werden.Öffentliche Verkehrsmittel oder Fahrräder dürfennicht benutzt werden. Die Freizeitgestaltung darfnur im Lager geschehen.Im Großen und Ganzen wurde über sämtliche Aus-länder gesprochen.Sabotageakte und Brandstiftungen sind stärker ge-worden.Vorstehendes zu Ihrer Kenntnisnahme, soweit ichdarüber sprechen darf.

Heil Hitler G––––––––––––––––––––––––––

Bericht Werkschutz für Monat Januar 1943

1. Personelles

Hier kann berichtet werden, dass sämtliche Werk-schutzmänner wieder im Dienst stehen.Es wurde von mir beobachtet, dass die Werkschutz-männer nicht immer so zusammen stehen, wie es sichgehört. Einer hat Angst der Andere würde eine Mel-dung mehr machen als der Andere. Ich habe denWerkschutzmännern gesagt, dass sich das nicht gehörtund dass jeder seine Pflicht als Werkschutzmann zuerfüllen habe, und dass ich jede Kleinigkeit, auchwenn sie noch so unscheinbar und geringfügig er-scheint, gemeldet haben muss.

Die Ostarbeiter dürfen Sonntags unter Aufsicht ihresVertrauensmannes bis zu drei Stunden ausgehen,aber nicht länger. Dieser Vertrauensmann muss aberfür jeden Ausgang eine Bescheinigung des Betriebs-führers oder Lagerleiters haben, dass er in der oder derZeit mit so oder so viel Mann ausgehen darf.Es besteht aber ein Ortsausgehverbot. Aus dem Orts-bereich dürfen die Ostarbeiter nicht hinaus. Für un-sere Ostarbeiter wäre es der Ortsbereich Weisskirchen.Es wurden in letzter Zeit Kontrollen gemacht undfestgestellt, dass die Bestimmungen meistens nichteingehalten werden. Die betreffenden Ostarbeiterwurden in ein Lager gesteckt und der Betriebsführerbekam sie nicht wieder zurück. Ein Ersatz kommt

2. Meldungen1. 1.43Ostarbeiter waren in ihrer Baracke gegeneinandergeraten und haben sich geschlagen.Ordnung wurdevom Werkschutz wieder hergestellt.3. 1. 43In der Baracke der Bauarbeiter war nachts eine Frau,wahrscheinlich eine Flämin.5. 1. 43Durch den Werkschutz wurde eine Kontrolle bei denOstarbeitern wegen Einbruch in die Baracke derBelgier durchgeführt. Fast sämtliche Sachen wurdenwiedergefunden.9. 1. 4320:00 Uhr. Drahtzaun am Labor hatte einen Durch-schlupf. Wurde sofort in Ordnung gebracht.Um 22 Uhr einen Ostarbeiter im Keller der Kücheerwischt.22.1.43Drahtzaun am Flakweg und Bahnweg offen.

Allgemein

Wir können dauernd beobachten, dass die Baufir-men es mit den Ostarbeitern immer noch zu leichtnehmen; sie werden größtenteils nicht immer vonder Baracke abgeholt und hingebracht.

existiert noch. Foto v. 29.2. 1988, Stadtarchiv Oberursel, 25 III64

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Ohne zu fragen, wurde am Feldweg zur Flakstel-lung74 ein Stück Zaun weggemacht. Dies müsste un-bedingt unterbunden werden. Die Baufirmen lassensich meistens sehr wenig sagen.Die Belgier, welche bei den Handwerkern arbeiten,werden nicht genügend von den Betreffenden über-wacht. Wenn man durch die Fabrikanlagen geht,kann man dies immer beobachten. Im Oxydations-bau war ich in der letzten Zeit öfters, da ich festge-stellt habe, dass dort geraucht wird. Aber dort ist soviel Zeit, dass aufgepasst wird; es wird immer durcheinen Pfiff gewarnt. Dasselbe habe ich auch vorigeWoche in den neuen Luftschutzräumen erlebt.Ich schlage vor, die betreffenden Handwerker, welchemit den Belgiern arbeiten, kurz zusammenzurufen,um sie durch die Betriebsführung oder Leitung aufdiese Mängel aufmerksam zu machen.Außerdem müssen die Belgier mehr arbeiten.

Weisskirchen, den 29.1.43 G/AWerkschutzleiter G

gen, dass diese kleinen Feile als Schlüsselfeilen dienenkönnen. Man kann mit ihnen Schlüssel und Schlös-ser nachfeilen und verschlossene Schlösser öffnen.Dieser Van B und sein Sohn sind mir bei einer Kon-trolle vor Weihnachten 42 durch die viele und feineWäsche, welche dieselben besitzen, aufgefallen. Eskann sein, dass sie das nicht sind, was sie angeben.Tabak wurde in rauen Mengen gefunden. In einemSpind über 15 Päckchen. Ferner Kernseife, Pfeffer,Schokolade, Keks usw.Ich kann jetzt ganz gut verstehen, warum man dieseBelgier nicht so zur Arbeit heranzieht wie es sich ge-hört; hier werden Geschäfte gemacht.Bei den Ostarbeitern alles in Ordnung.

Abwb.76

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Weisskirchen, den 31. März 1943

Bericht der Vertrauensmänner für März 1943

Die Vertrauensmänner haben in diesem Monat zweiBesuche in den Baracken der Belgier und Ostarbeiterdurchgeführt. Einmal abends nach 20:00 Uhr. Hiersah es in den Baracken gerade nicht schön aus. Spei-sereste bleiben angeblich bis zum Saubermachen amanderen Tage liegen. Bei den Ostarbeitern wirdwahrscheinlich der ganze Schmutz und Unrat hinterdie Schränke getan. Es hat den Anschein erweckt, alshätte der Barackenwärter A Angst, den Russen etwaszu sagen. Diese stören sich gar nicht an seinen An-ordnungen.

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Bericht der Vertrauensmänner für Januar 1943

Im Laufe dieses Monats haben die Vertrauensmännerauch einmal die Baracken des Lagers durchgegangen.In der Ostarbeiterbaracke war der Weißbinder. Be-anstandungen keine.Es wurde schon verschiedentlich von den Vertrauens-männern beobachtet, dass Belgier und Ostarbeiter, inihrer Freizeit, sich beim Austreten immer vor ihre Ba-racke stellen. Dies müsste vom Lagerführer unter-bunden werden, denn, wenn die warme Jahreszeitkommt, wird man es dort nicht aushalten können.

Weisskirchen, den 30.1.43 G/AG

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An den Betriebsführer Geheim (Stempel)Herrn H. SchützFrankfurt a. Main Weisskirchen, den 27.2.43

G/ABetr. Ausländer

Aufgrund einer, von der Gestapo75 herausgegebenenAnordnung, wurde am 26.2.43 18:00 Uhr eineUnterkunftskontrolle der Belgier und Ostarbeitervorgenommen. Propaganda- und Sabotagematerialwurde nicht gefunden.Bei dem Belgier Van B wurde ein Satz (11 Stck.)kleinster Feilen und eine kleine Schmirgelscheibe ge-funden. Nach Rücksprache mit Meister F gehört die-ses Werkzeug der Werkstatt und wurde von dort mit-genommen. Etwas weitersehend kann man hier sa-

Ungefähr dasselbe erlebte der Vertrauensmann Gheute morgen. Kurz nach 5 1/2 Uhr war an seinerWohnung ein großer Krach. Als er herauskam, warenda einige Russen an der Südseite beschäftigt ihreStrohsäcke dort auszuleeren. Als die Russen ihn sahen,liefen sie weg. Es wurde der Werkschutz gesucht undda kam S J. und sagte, dass die Russen nicht hörenwürden, und der Werkschutzmann R weggegangensei. G gab den Auftrag, das Stroh oben an der Woh-nung sofort wegbringen zu lassen . S wollte die näch-sten Russen mitnehmen und die gehorchten ihm wie-der nicht. Nach Eingreifen von G gingen sie dannmit; sind dann später doch wieder weggelaufen.Auch hat der Koch sich schon mehrmals über die Rus-sen bei den Vertrauensmännern beschwert.Die Kartoffeln würden ihnen nicht langen. DieRussen hätten sich beim Lagerführer beschwert unddieser hätte dann gesagt, der Koch solle ihnen mehr

________________________74 Flakstellung Niederursel.75 Gestapo = Geheime Staatspolizei.76 Abwb.= Abwehrbeauftragter.

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geben. Der Koch sagt uns, dass er nicht mehr gebenkönne, als ihm pro Kopf zugeteilt würde.Die Vertrauensratsmitglieder sind sich darüber einig,dass unsere Russen etwas härter angefasst werdenmüssen, da sie unsere Gutmütigkeit nur ausnützen.Sie sollen auch in der Verpflegung nicht besser stehenals unsere deutschen Volksgenossen.77

Heil HitlerG Vertrauensmann

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Tätigkeitsbericht der Werkschwesterfür Monat März 1943

Krankenhauseinweisungen:

2 am 8.3.43 H, Heinrich Combustio 2.Grades78

12.3.43 O, Russe Appendicitis (Op.)79

Arztbehandlungen im Werk:

38 = 9 deutsche Gefolgschaftsmitglieder22 belgische Gefolgschaftsmitglieder7 Russen

Allgemeine Behandlungsfälle:

126 = 39 Deutsche50 Belgier33 Russen4 Franzosen

Eine am 11.3.43 vorgenommene Krankenkontrolleergab, dass die krankgeschriebenen Belgier van H undde V um 19 Uhr nicht anwesend, sondern angeblichin Frankfurt/Main waren. De V kam gegen 22:45Uhr zurück. Bei meinem letzten Durchgehen, um23:45 Uhr, waren van H und mit ihm vier andereBelgier, noch nicht im Lager. Das Licht brannte inallen Baracken und die Ordnung ließ sehr zu wün-schen übrig. Die Revierstube wurde am 30.3.43 zumersten mal belegt. Der Belgier W soll wegen Darm-bluten isoliert gehalten werden. Das Untersuchungs-material ist bereits an das Hygienische Institut weiter-gereicht worden.Am 22.3.43 besuchte ich die Werkschwester der Mo-torenwerke in Oberursel, um einen Einblick in dasTätigkeitsgebiet einer Werksschwester zu bekommen.Am 23.3.43 war ich mit Frl. R in Frankfurt/Main zueiner Tagung der Betriebsfrauenwalterinnen.80 Hier-über hat Frl. R bereits einen Bericht gegeben.Am 26.3.43 hatten Herr D und ich die Russen aufKleiderläuse untersucht und dabei festgestellt, dass siemit Läusen behaftet sind. Schritte dagegen wurden

Der größte Teil der zu Behandelnden leidet an Fu-runkulose, die zum Teil hartnäckig ist. Ab und zukommen kleine Verbrennungs- und Risswunden vor.

________________________77 »Volksgenosse« = entstammt dem rassistischen Sprachge-

brauch der NSDAP. »Staatsbürger kann nur sein, wer Volks-genosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschenBlutes ist, ohne Rücksichtnahme auf die Konfession. KeinJude kann daher Volksgenosse sein.«

78 Combustio = Brandverletzung.79 Appendicitis (Op,) = Blinddarmoperation.80 Betriebsfrauenwalterinnen (Vokabular des Nazionalsozia-

lismus) = Mitarbeiterinnen der Betriebsobmänner..

Ansicht von Süden am 29.02.1988 mit Wasserturm und Altkönig Stadtarchiv Oberursel. 25 III 67

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bereits unternommen. Zwei Fälle von Krätze wur-den bei den Belgiern festgestellt.

Werkschwester: Schwester AWeisskirchen, den 31.3.43 Schw./B

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Geheim (Stempel)Rundschreiben – verteilt anMeister und Angestellte, sowie Betriebsobmann.

Verschiedene Vorkommnisse veranlassen mich, auffolgendes aufmerksam zu machen:Wie bekannt, befindet sich im Werk eine Stelle, diefür folgende Angelegenheiten verantwortlich zeichnet:Spione, Sabotage, Brandstiftung, Hetzpropaganda etc.Die Stelle des ersten Verantwortlichen ist zur Zeit un-besetzt, und deswegen wird die Arbeit durch denzweiten Verantwortlichen erledigt, und zwar durchmich.Um die Arbeit dieser Stelle wesentlich zu erleichtern,und gerade in der jetzigen Zeit ist es unbedingt not-wendig, bitte ich Sie, jede Kleinigkeit, auch wenn sienoch so geringfügig erscheint, die obige Punkte be-treffen, an genannter Stelle zu melden. Selbstver-ständlich wird der Betriebsleitung, wie bisher, weiterMeldung gemacht.

Betreuung der ausländischen ArbeiterMai 1943

Das ganze Lager wurde im Monat Mai durch denKammerjäger wegen Wanzenverseuchung durchgastund die belgischen Arbeiter außerdem in Frank-furt/Main entlaust. Die Wanzenbrut ist aber in denbelgischen Barackenstuben noch nicht vernichtet, so-dass im Monat Juni nochmals desinfiziert werdenmuss. Auch gegen die Rattenplage im Lager ist vomKammerjäger Gift gelegt worden und wie es scheint,mit Erfolg. Im Kartoffelkeller der Küche unter derOstarbeiterbaracke dagegen will der Koch R nochwelche bemerkt haben. Der Kammerjäger hat dar-aufhin bei der letzten Desinfektion auch dort noch-mals Gift gelegt.Am 11.5.1943 fand im Volksbildungsheim in Frank-furt/Main eine Lagerführerdienstversammlung statt,zu der die D.A.F. die Betriebsführer, Betriebsobmän-ner und Lagerführer eingeladen hatte. DieBetriebs-leitung hat den Betriebsobmann S und mich nachdort entsandt.Es wurden Vorträge über Freizeitgestaltung der Ost-arbeiter, Urlaub und kulturelle Betreuung gehalten.Besonderen Wert wird durch den erhöhten Arbeits-einsatz der Ostarbeiter auf die Fortbildung des deut-schen Sprachunterrichtes gelegt.Es sind auch folgende Vorkommnisse zu melden:

Betriebsunfälle, Ausfälle von Maschinen, auch wennsie wieder gemacht werden, (Grund des Ausfallensangeben). Widersetzlichkeiten von deutschen undausländischen Gefolgschaftsmitgliedern.Beobachtungen, dass Gefolgschaftsmitglieder poli-tisch nicht einwandfrei sind.Sofortige Meldung, wenn ein Ausländer im Lagerfehlt.Ich mache darauf aufmerksam, dass jeder sich mitstrafbar macht, der Kenntnis von Angelegenheiten –wie genannt – hatte und nicht weitergemeldet hat.Sämtliche Angelegenheiten werden vertraulich be-handelt.Wenn sich jemand über die einzelnen Punkte nichtklar ist, kann er von mir Auskunft bekommen.Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.Da unsere Arbeit sehr verantwortungsvoll für Führerund Vaterland gemacht wird und auch soll, rufe ichjeden zur anständigen pflichtbewussten Mitarbeitauf.

G Weisskirchen, den 18.5.43G/A

Kopie an:Betriebsleitung, Abwehr, Betriebsobmann81, Lager-führer, Werkschutzleiter, Meister W, Meister F, Lage-rist H, Lagerist H, Herr S.

Am 25.5.1943 wurde das Lager durch den Gesund-heitsaufseher vom staatl. Gesundheitsamt, Bad Hom-burg v.d.H. besichtigt, der sich besonders über dieSauberkeit in den Wohnbaracken der Ostarbeiter lo-bend ausgesprochen hat. In den Wohnstuben der bel-gischen Arbeiter waren zu der frühen Morgenstundedie Barackenwärter noch beim Saubermachen.Die Arbeitskleidung der Ostarbeiter ist sehr abgeris-sen, und wenn nicht bald Lieferung von neuer Be-kleidung erfolgt, laufen diese in den nächsten Tagenohne Hosen herum. Ohne Röcke und Hemden laufensie schon teilweise die ganze Zeit. Bei den Bauarbei-ten wird die Bekleidung besonders sehr mitgenom-men.Der Zaun um die Ostarbeiterbaracke ist fertiggestellt,doch fehlt es noch an den Vorhängeschlössern, Tischenund Bänken, damit diese in der warmen Jahreszeitim Freien abends nach Arbeitsschluss sitzen können.

B Weisskirchen, den 31.5.1943B/B

________________________81 Betriebsobmann= Vorsitzender der Vertrauensmänner (Ver-

trauensrat), Vertreter der DAF/NSDAP.

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Impression vom Firmengelände am 04. 07.1988. Das Interesse des Fotografen Himmelhuber galt wohl inerster Linie der Höhe des Schornsteins. Stadtarchiv Oberursel, 26 II 56

Anhang mit Fotosvon damals und heute

Goldbachs Gemüsegarten vor der Schütz’schen Schlosserei inden 1970er Jahren. Foto: Goldbach

Alfred Goldbach, ehemaliger Schütz-Mitarbeiter, vor demWohnhaus Kurmainzer Str. 148 im früheren Schütz-Gelände,

Foto: B. Ochs, 14. 11. 2011

Schütz-Kühlturm (sog. Backsteinturm) 1993Foto: Stadtarchiv Oberursel Slg. 5001 Nr. 1.10.1.1

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Ehemaliges Pförtnerhaus mit Bogenmauer der Firma Schütz von der Kurmainzer Straße aus. (Siehe Plan Nr.1)

2 Schütz’sche Türme, Wasserturm (ein Wahrzeichen Weißkirchens) und Backsteinturm. Fotos: B. Ochs, Okt. 2011

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Fortsetzung

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Fortsetzung

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Artikel des Autors Bernd Ochsin den Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Heimatkunde

Oberursel (Taunus) e.V.

Heft 46 – 2006Eine Oberurseler Familie und ein Brief vom 16. August 1870

Heft 47 – 2008Ein vergessenes LagerBarackenlager der KHD (Klöckner-Humboldt-Deutz AG) in Oberursel 1942 bis 1946Teil I: 1942-1945 Lager für „NS-Zwangsarbeiter“Teil II: 1945-1946 US-Arbeitslager für deutsche Kriegsgefangene

Vom ehemaligen „Skagerrak-Denkmal“ zum Gedenkstein „Den Opfern der Marine“

Der „Alte Bahnhof“ von Oberursel

Auch die Hohemark hatte einen Bahnhof (1900-1933)

Der ehemalige „Handwerkerbrunnen/Froschbrunnen“

Heft 48 – 2010Ein Fahrweg durch den heimischen Waldmit einer Brücke über den Heidetränkbach für die Kaiserin Friedrich

Ein Zwangsarbeiter-Lager in Oberursel 1943-45: das „Lager Kupferhammer“

Heft 50 – 2011Die Firma Georg Schütz GmbH-Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen(Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager

Heft 51 – 2012Die Rosalino-MühlePapiermühle und Tapetenfabrik in Oberursel, Herzogtum Nassau1812 bis 1848

Heft 53 – 2014Der Frankfurter Kunstmaler Otto Flecken und seine Zeit in Oberursel

Die Firma Georg Schütz in WeißkirchenErgänzung zum Artikel in den „Mitteilungen“ 50 – 2011

Heft 54 – 2015Offizielle Einladung zur Eröffnung des Gausiedlungshofesin Oberursel am 3. September 1938, mit Anlagen

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Bernd Ochs

Die Firma Georg Schütz GmbH –

Erste Süddeutsche Ceresinfabrik

in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager

Sonderdruck aus dem Heft 50 – 2011

Der Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Heimatkunde Oberursel e.V.