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Schuldenreport 2012

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Stand der staatlichen Verschuldung weltwei

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Page 2: Schuldenreport 2012

Schuldenreport 2012

erschienen: März 2012

Eine Publikation von

erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung e.V.undKindernothilfe e.V.

RedaktionSebastian BonseJürgen KaiserIrene KnokeFrank MischoKristina Rehbein

EndredaktionSebastian BonseEvelyn Wagner

Layout Sebastian Bonse

BildnachweisVorwort - © Kindernothilfe e.V.S. 12 - © Gerd Altmann, pixelio.deS. 17, 20, 21 © Beyer / Kindernothilfe e.V.S. 23 - Sebastian BonseS. 36 - © Dieter Schütz, pixelio.deS. 28 - © Holger Gräbner, pixelio.deS. 32 - © Florentine, pixelio.de

DruckKnotenpunkt Offsetdruck GmbH, Buch / Hunsrück

Weitere Informationenerlassjahr.de - Entwicklung braucht EntschuldungCarl-Mosterts-Platz 140477 DüsseldorfTel.: +49 (0) 211 46 93 196Fax: + 49 (0) 211 46 93 197E-Mail: [email protected]

Jürgen Kaiser ist politischer Koordinator desEntschuldungsbündnisses erlassjahr.de - Entwick-lung braucht Entschuldung.

Irene Knoke ist Mitarbeiterin des Bonner Südwind-Insituts. Dort arbeitet sie unter anderem zu den The-mengebieten Finanzierung, Umwelt und Entwicklung.

Berhard Jimi Merk arbeitet in der InformationsstellePeru zu den Themen Verschuldung und Global-isierung.

Frank Mischo arbeitet im Bereich Lobby- und Öf-fentlichkeitsarbeit der Kindernothilfe und ist unter an-derem im Bündnisrat für erlassjahr.de tätig.

Kristina Rehbein ist Mitarbeiterin bei erlassjahr.deund ist - neben ihrer Arbeit in der Geschäftsführungdes Vereins - unter anderem mit der Analyse von län-derspezifischen Indikatoren beschäftigt.

Hartmut Kowsky ist zur Zeit als Mitarbeiter für dieWelthungerhilfe im Sudan tätig. Er arbeitet unter an-derem zu den Themen Ernährungssicherheit undNahrungsmittelspekulationen.

Lee C. Buchheit ist Partner der New Yorker Anwalt-skanzlei Cleary, Gottlieb, Steen and Hamilton, dieunter anderem auf Schuldenrestrukturierung spezial-isiert ist. Lee Buchheit hat in den meisten spek-takulären Umschuldungen der letzten zehn Jahre dieSchuldnerregierungen beraten.

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30 Jahre Schuldenkrise – Ein unlösbares Schuldenproblem?Ein Vorwort von Dr. Jürgen Thiesbonenkamp

Ein offener Brief an den Finanzminister von Ruritanienvon Lee Bucheit

Nicht nur Griechenland: Kritisch verschuldete Staaten weltweitvon Jürgen Kaiser und Kristina Rehbein

Deutschland als Gläubiger und Schuldnervon Irene Knoke

Simbabwe: Die Menschen warten auf einen Neuanfangvon Frank Mischo

Von Mexiko bis Griechenland – Die europäische Staatsschuldenkriseund die Überschuldung von Entwicklungsländern seit 1982von Jürgen Kaiser

Entwicklungszusammenarbeit und eigene Wirtschaftsförderung – eine neue Überschuldungswelle durch neue Geber?von Kristina Rehbein und Frank Mischo

Verantwortungsvolle Kreditaufnahme: Anforderungen an Schuldnerregierungenvon Bernhard Jimi Merk

Nahrungsmittel im Sog der Finanzkrisevon Hartmut Kowsky

Glossar

Links und neue Literatur und Links zum Thema

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Der Schuldenreport 2012 beschäftigt sichmit den Lehren aus den Schuldenkrisen derletzten 30 Jahre, vor allem aber mit aktuel-len Entwicklungen und den Zukunftsper-spektiven von Staatsverschuldungen.

Am 26. August 2012 jährt sich der mexika-nische Zahlungsstopp für den Schulden-dienst durch das Festestellen derZahlungsunfähigkeit Mexikos zum 30. Mal. Es ist das traurige Jubiläum des Sichtbar-werdens der ersten weltweiten Schulden-krise, aber seither auch ein Zeichen derHoffnung für eine Vielzahl von Entschul-dungsinitiativen, die umgesetzt werdenkonnten.

Der vierte Schuldenreport von erlassjahr.de– Entwicklung braucht Entschuldung undKindernothilfe e.V. setzt einerseits die Tra-dition fort, die Schuldenstände und -ent-wicklungen zu analysieren, andererseitswird neben der Rolle Deutschlands als Kre-ditgeber auch thematisiert, welche neuenAkteure die Verschuldungsproblematik mit-bestimmen, aber auch welche Auswirkun-gen Überschuldung auf die Bevölkerunghat.

Die aktuelle Schuldendiskussion wird inEuropa deutlich durch Griechenland und dieeuropäische Finanzkrise beherrscht. Welt-weit gibt es aber einige Staaten, die kaumeine Chance auf einen Rettungsfondshaben und in denen die Lebenssituation,vor allem durch eine fehlende staatlicheLeistungsfähigkeit, zum Beispiel im Bereichder Grunddienste für Bildung und Gesund,deutlich dramatischer ist.

Ein Land, in dem die Überschuldung, nebeneinigen anderen Entwicklungsproblemen,immer weiter zunimmt, ist Simbabwe. Trotzder unsicheren politischen Rahmenbedin-gungen hat sich die Kindernothilfe 2010 ent-schlossen, die Arbeit in Simbabwe wiederaufzunehmen. Denn die Menschen und vorallem auch die Kinder Simbabwes braucheneinen möglichst schnellen Wiederaufbauund eine effektive Armutsbekämpfung.Dafür gibt es trotz der immer noch schwie-rigen politischen Situation Hoffnung. Derzeitist ein Schuldenaudit in der Diskussion. Undnach einem Regimewechsel käme Sim-

babwe für das Entschuldungsverfahrennach den erweiterten HIPCII-Kriterien inFrage. Aber auch andere Verfahren sindmöglich. Besonders Erfolg versprechendwäre es, wenn weltweit ein faires und trans-parentes Schiedsverfahren erstmals in Sim-babwe eingeführt würde. Auch daranarbeitet erlassjahr mit einer konkreten Simu-lation. Anhand der im Schuldenreport 2011vorgestellten vierzehn Schritte, um dasSchuldenschiedsverfahren in Simbabweumzusetzen.

Das Verfahren hat den großen Vorteil, dieZivilgesellschaft nicht nur in repräsentativerForm mit einzubeziehen, sondern die Men-schen so fortzubilden, dass sie bei Ent-scheidungen sinnvoll mitwirken können, diesie betreffen. So werden die Ergebnissenachhaltiger von allen Beteiligten mitgetra-gen, und die aktive Zivilgesellschaft kannals kritische Bevölkerung zukünftige Fehl-entscheidungen fachkundig vermeiden hel-fen.

Die Kindernothilfe hat in Simbabwe Ende2011 eine Partnerbefragung durchgeführt.Sie zeigt das Bewusstsein der Partner fürdie armutsverschärfenden Folgen der Ver-schuldung, aber auch das Engagement ein-zelner Partner der Kindernothilfe für eineLösung der simbabwischen Schuldenkrise;zum Beispiel durch eine Mitarbeit im sim-babwischen Entschuldungsbündnis ZIM-CCOD. Für die Umsetzung des fairen undtransparenten Schiedsverfahrens setzensich erlassjahr.de und die Kindernothilfe seitvielen Jahren ein. Durch Simbabwe gibt esjetzt die Hoffnung, das Verfahren in abseh-barer Zeit für die Lösung der sozialen undwirtschaftlichen Probleme und zum Bestender simbabwischen Bevölkerung umsetzenzu können. Es ist nach 30 Jahren Über-schuldungserfahrung höchste Zeit, die Ent-scheidungsmechanismen zur Lösung deraktuellen Schuldenkrise demokratisch zuverändern und zukünftige Schuldenkrisenzu verhindern.

30 Jahre Schuldenkrise – Ein unlösbares Schuldenproblem?

Dr. Jürgen ThiesbonenkampVorstandsvorsitzender der

Kindernothilfe e.V.

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Sehr geehrter Herr Minister,

es gibt kein Drumherumreden: Ruritanien ist pleite. Es ist nicht nur illiquide – was auch immerdas beuteten mag. Es ist auch nicht nur zeitweise finanziellen Schwierigkeiten ausgesetzt oderhat einen schwarzen Tag. Ruritanien hat einen Schuldenberg aufgebaut, den es selbst unter denwohlwollendsten Wachstumsvorhersagen nicht abtragen kann. Solange dieser untragbareSchuldenberg nicht aus der Welt geschafft ist, steht es schlecht um die wirtschaftliche Zukunft Ru-ritaniens - und zwar für alle kommenden Generationen.

Dutzende Länder mussten dieser Wahrheit in den vergangenen 30 Jahren ins Auge blicken. Einigedieser Länder sind gut mit der Situation umgegangen und haben sich schnell von der Schuldenkriseerholt. Andere Länder haben sich in diesem Prozess verfangen und sahen sich über Jahre miteiner andauernden finanziellen Krise konfrontiert, wie ein brüllender in einer Grube gefangenerElefant.

Die Geschichte lehrt uns eine wichtige Lektion: Pathologische Verzögerungstaktiken bei der An-erkennung der Schwere des Schuldenproblems und bei der Implementierung der notwendigenLösungsschritte durch das Schuldnerland machen die Krise immer teurer für alle Beteiligten - denSchuldner und seine Bürgerinnen und Bürger sowie auch für den Gläubiger. Jede Faser im Körperdes Schuldners schreit danach, das Unausweichliche zu vermeiden. Das ist verständlich, ist derProzess doch niemals angenehm und oft schmerzhaft. Die Krise hinauszögern, bis die nächsteRegierung sich mit dem Problem befassen muss, ist natürlich eine verlockende Option.

In der heutigen Welt könnte diese instinktive Vorliebe der Politiker gar von unerwarteter Seite Un-terstützung erfahren: Auch die Gläubiger wollen den Tag der Abrechnung so weit wie möglich hin-auszögern. Die Gläubiger werden kommen und Sie abwechselnd hofieren ("Das stolze Ruritanienstand bisher immer fest zu seinem Wort") und prügeln ("Wir werden weder vergeben nochvergessen, sollte Ruritanien pleite gehen"). Am Ende werden sie vor allem eines bewirken: DieRuritanische Regierung lähmen. Auch aus den Nachbarländern Ruritaniens könnte weitere Ver-leugnung und Verzögerung drohen, fürchten die Nachbarn doch Ansteckung und Marktversagenals Reaktion auf eine ruritanische Umschuldung. Je nachdem wie groß davor die Angst bei denNachbarn ist, werden sie vielleicht kommen und anbieten, Ruritanien all das Geld zu leihen, dases benötigt, um seinen sichtbar zu großen Schuldendienst weiterhin zu leisten. Dieser Pfad jedochführt unausweichlich dazu, dass ebendiese sichtbar zu hohen Schulden dann eben bi- und multi-lateralen Gläubigern geschuldet werden.

Die Befürworter von Inaktivität werden niemals öffentlich erklären, dass die Staatsschulden einenPunkt erreicht haben, an dem eine Restrukturierung der Schulden das einzig Machbare ist.Sparsamkeit, Haushaltsdisziplin, Opfer Bringen und Geduld, werden sie sagen, werden das Prob-

Ein offener Brief an den Finanzminister von Ruritanien

von Lee C. Buchheit

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lem auf kurz oder lang lösen. Aber das ist dann auch der Zeitpunkt, zu dem Ihnen genauso gutElfenstaub und profunder Glaube an die Wirksamkeit von Gebeten als Lösung in den Sinn kommenkönnten. Wenn Sie den Ökonomen erlauben, eine gütige Vorsehung in ihre mathematischen Mod-elle einzubeziehen, kann plötzlich jeder Schuldenberg als nachhaltig bezeichnet werden. Sogardie Ökonomen des Internationalen Währungsfonds haben unter dem Druck einflussreicher Anlegerschonmal den Flügelschlag einer Fee bei der Erstellung einer Schuldentragfähigkeitsanalyse ver-nommen.

Mein Rat, Herr Minister, ist der folgende:

- Schenken sie keiner Schuldentragfähigkeitsanalyse Glauben, welche mit einer Wahrscheinlichkeitvon 50% oder mehr davon ausgeht, dass Jesus Christus vor Fälligkeit der nächsten Anleihewiederkommt.

- Vermeiden Sie unrealistischen Optimismus einerseits, aber gleiten sie andererseits auch nichtin eine seelenzerstörende Verzweiflung. Eine an die Geschäftsführung des InternationalenWährungsfonds gerichtete Bitte um finanzielle Unterstützung sollte auf keinen Fall mit den Worten"Unser letztes Kamel ist heute Mittag gestorben" beginnen. Panik ist genauso ansteckend wieTatenlosigkeit. Gelassenheit und Kontrolle können sich allerdings ebenso verbreiten.

- Sobald klar geworden ist, dass Schritte hinsichtlich der Schulden getan werden müssen, machenSie es! Gläubigern mag der Gedanke, einen Teil der Forderungen abschreiben zu müssen oderauf fällige Rückzahlungen zu verzichten, nicht gefallen. Aber sie verabscheuen ebenso künstlichverlängerte Entscheidungen und Zögern. Die Märkte werden Effizienz, Disziplin und Fairness auchdann lange in Erinnerung behalten, wenn die Verluste durch eine Umschuldung, so unbeliebt sieauch waren, schon lange vergessen sind.

Eine Staatsschuldenkrise ist genau und nur das: eine Krise. Sie muss nicht zu einer Katastrophewerden.

Hochachtungsvoll,

Lee C. Buchheit

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Die dramatisch zugespitzte Staatsschulden-krise im Euro-Raum hat in den letzten bei-den Jahren gezeigt, wie schnell dieVerschuldung eines Staates kritisch werdenkann. Aber man sieht auch, dass nicht dieabsolute Höhe von Schulden ein Problemist, sondern das Missverhältnis zwischenSchulden und wirtschaftlicher Leistungsfä-higkeit.

Seit 1982 haben sich die wichtigen Schul-denindikatoren einzelner Länder in manch-mal dramatischen Bewegungen nach obenund nach unten verändert. Entsprechend istjede Einschätzung, ob ein Land ein (drohen-des) Schuldenproblem hat oder nicht,immer nur eine Momentaufnahme. Hinzukommt, dass auch das Verständnis der In-ternationalen Finanzinstitutionen, aber auchbei Nichtregierungsorganisationen wie er-lassjahr.de, sich in dem Maße verändert,wie die Erfahrung mit der Entstehung undder Abwendung von Staatspleiten wächst.Entsprechend verändern sich auch die Ein-schätzungen die in unseren jährlichenSchuldenreports hinsichtlich der Überschul-dungsgefahren getroffen werden.

Schließlich muss bedacht werden, dass einÜberblick, wie der Schuldenreport 2012 ihnhier bietet, sich auf die Schuldenstände undihre absehbare Dynamik bezieht. Wichtige,aber schwer kalkulierbare Faktoren, die alsexterne Schocks, Staaten ohne ihr eigenesZutun in die Überschuldung stürzen kön-nen, im Überblick nicht berücksichtigen wer-

den. Das versuchen wir in konkreten einzel-nen Fällen bei den genaueren Länderana-lysen, die unter www.erlassjahr.de imInternet zu finden sind.

Wann hat ein Land ein Überschuldungsri-siko?

Schulden können unter verschiedenenBlickwinkeln untragbar sein, zunächst mussdabei zwischen den Auslandsschuldeneines Landes und seinen öffentlichen Schul-den unterschieden werden.

Zu den Auslandsschulden gehören die Ver-bindlichkeiten sowohl des öffentlichen Sek-tors als auch des Privatsektors einesLandes gegenüber ausländischen Gläubi-gern. Sie stehen traditionell im Fokus derEine-Welt-Bewegung. Auf sie bezogen sichauch meistens die Angaben in den bisheri-gen Ausgaben des Schuldenreports.

Der in den Medien am häufigsten verwen-dete Indikator zur Beschreibung der Kriseim Euroraum bezieht sich indes nicht auf dieAuslandsschulden, sondern auf die öffentli-chen Schulden. Das sind die expliziten undimpliziten Verbindlichkeiten der öffentlichenHand - von der Zentralregierung bis hin zuöffentlichen Unternehmen, oder auch priva-ten Unternehmen, für die der Staat eine Ga-rantie ausgesprochen hat. Grafik 1 illustriertdie verschiedenen Kategorien.

In der Vergangenheit haben die Internatio-nalen Finanzinstitutionen häufig recht me-chanistisch Schulden unter einemfestgelegten Grenzwert als tragfähig unddarüber als nicht tragfähig eingeschätzt. Aufder Grundlage solcher Grenzwerte wurdezum Beispiel entschieden, welche der ärms-ten Länder Schuldenerlasse erhalten konn-ten, und wieviel.

Dass Länder wie z.B. Irland in der Eurozo-nen-Krise von einem niedrigen Schuldenni-veau aus fast über Nacht in dieZahlungsunfähigkeit gerutscht sind, auf deranderen Seite Schwellenländer wie z.B. derLibanon seit Jahren mit extrem hohen Indi-katoren leben, ohne einmal umschulden zu

Nicht nur Griechenland: Kritisch verschuldete Staaten weltweit

3 Schuldenreport 2012

Von Jürgen Kaiser undKristina Rehbein

Grafik 1 - Schuldenzusammensetzung

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1 Anm.: Wobei wir bei der folgenden Darstel-lung Mitglieder der Europäischen Union, dadiese gemeinsamen europäischen Mechanis-mus unterliegen, sowie die G20-Länder mitder Ausnahme von Brasilien und Argentinienund Länder mit geringen Annäherungen andie Grenzwerte ausgelassen haben. Dasheißt, das Länder, die im letzten Schuldenre-port als gefährdet identifiziert wurden (z.B. Li-tauen und Lettland) in diesem Schuldenreportnicht mit aufgenommen sind.

4Schuldenreport 2012

müssen, zeigt allerdings, dass eine ge-nauere Analyse in jedem einzelnen Länder-fall notwendig ist.

In diesem Sinne wollen wir mit den Grenz-werten, die wir hier angeben, auch keineZahlungseinstellungen vorhersagen, son-dern zeigen, in welchen Ländern auf derGrundlage festgelegter Grenzwerte eine ge-nauere Analyse notwendig ist, um das Ri-siko einer Staateninsolvenz einzuschätzen.

Diese Kriterien sind die für die Auslandsver-schuldung "klassischen" Kriterien im Rah-men der HIPC-Initiative für die ärmstenLänder:

Schuldenstand zu jährlichen Exportein-nahmen von 150 Prozent;

Ein Schuldendienst (Zinsen und Tilgun-gen) im Verhältnis zu den jährlichen Export-einnahmen von 15 Prozent.

Für die in Grafik 1 als „haushaltsrelevant“bezeichnete öffentliche Verschuldung, be-ziehen wir uns auf die Grenzwerte, die derIWF für Schwellenländer als kritisch für dielangfristige Tragfähigkeit und als "maximaltragfähig" angibt. Die erstere Grenze be-ginnt bei 49 Prozent des Bruttoinlandspro-dukt (BIP); die zweite, kritischere, bei 63-78Prozent.

Diagramm 1 - Auslandsverschuldung im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen

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Entsprechend weisen wir für jeden Indikatoreinen Grenzwert zur Überschuldungsgefahraus.

Anhand dieser Indikatoren haben wir 135Entwicklungs- und Schwellenländer1 unter-sucht und betrachten auf den folgendenSeiten 51 dieser Länder näher, die beieinem, zweien oder allen Indikatoren ober-halb des jeweiligen Grenzwertes liegen(siehe Diagramme 1 - 3 auf den Seiten 4, 5und 6).

Welche Länder weisen welches Risiko auf?

Dabei lassen sich die Länder in die folgen-

den Kategorien einteilen, je mehr Indikato-ren ein Land dabei in seinen Grenzwertenüberschreitet, desto höher ist das Über-schuldungsrisiko des Landes:

• Alle drei Indikatoren oberhalb der Grenz-werte: Grenada, Libanon, Simbabwe, St.Kitts & Nevis, Sri Lanka, Uruguay.

• Zwei Indikatoren oberhalb der Grenzwerte:Argentinien, Barbados, Bhutan, Dominica,Elfenbeinküste, Jamaika, Mauretanien, Mol-dawien, Mosambik, Nikaragua, Pakistan,Senegal, St. Vincent und die Grenadinen,Sudan, Tadschikistan.

Diagramm 2 - Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum jährlichen Bruttoinlandsprodukt

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2 Dabei kommt es vor, dass aufgrund einermangelhaften Datenlage nur Trends von z.B.2007 bis 2008 oder 2008 bis 2009 identifiziertwurden.

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• Ein Indikator oberhalb der Grenzwerte:Ägypten, Antigua und Barbuda, Armenien,Belize, Brasilien, Bosnien und Herzego-wina, Burundi, Ecuador, El Salvador, Gam-bia, Georgien, Guyana, Kap Verde,Kasachstan, Kirgistan, Kolumbien, Komo-ren, Laos, Malediven, Mazedonien, Nepal,Philippinen, Sierra Leone, Tonga, St. Lucia,Sao Tomé und Principé, Ukraine.

In einem folgenden Schritt haben wir füretwas mehr als 26 dieser Länder, für dieentsprechende Daten vorhanden waren, dieTrends der vergangenen Jahre näher be-trachtet. Diese werden in den folgendenTrend-Grafiken dargestellt (siehe Dia-gramme 4 - 6).

Der Normalfall sollte in allen Fällen infolgeder Weltfinanzkrise ein Anstieg der Indika-toren sein, dies wird in der Grafik entspre-chend farblich dargestellt. Ist stattdessenzum jeweils vorangegangenen Jahr einRückgang zu konstatieren, so wird dies alsEntwarnungssignal gedeutet, und ist nichtgesondert ausgewiesen. Gemäß dieser Be-trachtung nach den Trends der Länder las-sen sich die folgenden abgestuftenLänderrisiko-Kategorien anhand der jeweilsletzten verfügbaren Daten für das jeweiligeLand unterscheiden:

• alle drei Indikatoren oberhalb der Grenz-werte mit einem Trend zur Verschlechterung(des jeweils letzten bekannten Wertes im

Diagramm 3 - Auslandsschuldendienst im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen

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Vergleich zum Vorjahr): Grenada.

• zwei Indikatoren oberhalb der Grenzwertemit dem Trend zur Verschlechterung: Ar-gentinien, Barbados, Jamaika, Maureta-nien, St. Kitts & Nevis, Tadschikistan,Uruguay.

• einzelner Indikator oberhalb des Grenz-wertes mit einem Trend zur Verschlechte-rung: Antigua und Barbuda, Bhutan,Ecuador, Gambia, Kap Verde, Malediven,Pakistan, Senegal, Simbabwe, Sao Tomé &Principé, St. Vincent und die Grenadinen,Sri Lanka, Sudan.

Dabei muss berücksichtigt werden, dass beiden meisten Ländern kaum vollständigeDaten im Zeitraum 2007 bis 2010 vorhan-

den sind, so dass durchaus auch in hiernicht aufgeführten Ländern Risiken beste-hen können, bzw. möglicherweise Ver-schlechterungs- oder Verbesserungstrendsvorhanden sind, die wir jedoch nicht identi-fizieren können.

Wie bereits im letzten Schuldenreport auf-gezeigt, gibt es im Zeitraum von 2008 bis2009 nur in seltenen Fällen Verbesserun-gen der Indikatoren. In den meisten Län-dern verschlechtert sich in Zeiten derFinanzkrise logischerweise die Wirtschafts-situation. Auch wenn nur bei ca. 20 LändernDaten für das Jahr 2010 vorhanden sind, sozeigt sich bei etwa der Hälfte dieser zwanzigLänder zwar, dass sich die Situation zumVorjahr verbessert hat. Jedoch reicht diese

Diagramm 4 - Verhältnis Auslandsschuldenstand zu jährlichen Exporteinnahmen

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Verbesserung nicht aus, um den Einbruchvon 2008 auf 2009 aufzufangen. Damit zeigtsich, dass diese Länder mit den Auswirkun-gen der Finanzkrise zu kämpfen haben.

Die bereits im Schuldenreport 2011 aufge-zeigten kritischen Gruppen stehen weiterhin

im Fokus. Unsere Analyse wird dabei durchdie Schuldentragfähigkeitsanalysen fürNiedrigeinkommensländer, die vom Interna-tionalen Währungsfonds und der Weltbankangefertigt werden, weit gehend bestätigt.Kritische verschuldete Staaten finden sichdemnach hauptsächlich in den folgendendrei Ländergruppen:

Diagramm 5 - Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum Bruttonationaleinkommen

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3 erlassjahr.de und Kindernothilfe (2011):Schuldenreport 2011, einzusehen unter:http://bit.ly/zxpymF

9 Schuldenreport 2012

in noch stärkerem Maße als im vergan-genen Jahr kleine Inselstaaten, derenVolkswirtschaften besonders anfällig für ex-terne Schocks wie Naturkatastrophen sind.

Post-Completion-Point-HIPCs, also Län-der, die in den letzten zehn Jahren unter dermultilateralen Entschuldungsinitiative einengroßen Teil ihrer Schulden erlassen bekom-men haben.

Transformationsländer, deren Volkswirt-schaften erst in den 1990er Jahren im Zugedes Übergangs vom Staatssozialismus zurMarktwirtschaft liberalisiert wurden.

Zusätzliche Risiken: Die Analysen des IWF

Im Schuldenreport 2011 identifizierten wirsieben der damals 32, unter der multilatera-len Entschuldungsinitiative HIPC entschul-deten Länder, die wieder ein hohesÜberschuldungsrisiko laut IWF und Welt-bank aufwiesen3. Daran hat sich nichts ge-ändert für Afghanistan, Burkina Faso,Burundi, die Demokratische RepublikKongo, Gambia, Sao Tomé & Principé undHaiti. Dass diese Länder zum Teil nicht inden obigen Graphen vorkommen, liegtschlicht daran, dass ihre Verschuldungsin-dikatoren nicht über den definierten Tragfä-higkeitsgrenzwerten liegen. Das heißt aber

Diagramm 6 - Verhältnis Auslandsschuldendienst zu jährlichen Exporteinnahmen

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4 Siehe ausführlich dazu erlassjahr.de undKindernothilfe (2011): Schuldenreport 2011,Staatsschuldenkrisen im 21. Jahrhundert.

5 Siehe ausführlicher Länderartikel zu Gui-nea-Bissau unter http://bit.ly/A6EQa8

6 Vgl. http://bit.ly/zkzRLc

7 Siehe genauere Länderanalysen zu den ge-nannten Ländern unter http://bit.ly/w8USLH

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nicht, dass die Verschuldung des Landesdamit unproblematisch ist. So kann die Ver-schuldung eines Landes rein anhand der In-dikatoren unproblematisch erscheinen;Schuldentragfähigkeit kann aber durch dasZusammenspiel von bestimmten Risikofak-toren und strukturellen Schwächen trotzdem„in Gefahr“ sein4. Dem tragen die genaue-ren Analysen des IWF, wie auch unsere ei-genen Beurteilungen in den Länderpapierenauf www.erlassjahr.de Rechnung.

Zu der oben genannten Liste der bereitsEntschuldeten kommen Guinea-Bissau5

sowie die Demokratische Republik Kongo,welche erst im Jahr 2010 entschuldet wur-den und gleich den Status hoch überschul-dungsgefährdeter Länder erhielten, hinzu.

Dies hat unterschiedliche Ursachen: so hatdie DR Kongo gleich nach der Entschuldungneue Kredite mit zum Teil hohen Zinsen ineinem Umfang von insgesamt über 6 Milli-arden für den Infrastrukturausbau aufge-nommen. Bei Guinea-Bissau sind es vorallem strukturelle Faktoren, wie z.B. diehohe Abhängigkeit von nur einem landwirt-schaftlichen Exportprodukt, die innenpoli-tisch prekäre Sicherheitslage, die dieMobilisierung von ausländischen Geldernbehindert, obwohl das Land einen immen-sen Finanzierungsbedarf aufweist, aberauch die mangelhafte Koordination derGläubiger, da ein Teil der Gläubiger demSchuldenerlass für Guinea-Bissau nicht zu-gestimmt hat.

Dass die HIPC-Initiative häufig nicht in derLage ist, ein tragfähiges Maß an Verschul-dung herzustellen, zeigt sich auch an Togo:so hat das Land den Vollendungspunkt imJanuar 2011 erreicht, weist jedoch nochimmer ein mittleres Überschuldungsrisikoauf.

Eine besonders alarmierende Entwicklungzeigt sich bei der erst genannten Risiko-gruppe, den kleinen Inselstaaten: so weisenDjibouti, Grenada, Kiribati, die Malediven,Sao Tomé & Principé und Tonga laut Wäh-rungsfonds und Weltbank ein hohes Über-schuldungsrisiko auf. Bei den Salomonen istes inzwischen ein mittleres Risiko. Die Ko-moren sind bereits lange im Zahlungsver-zug. St. Lucia und St. Vincent und dieGrenadinen befinden sich ebenfalls im mitt-leren Risikobereich.

Dabei ist zu beachten, dass die Inlandsver-schuldung nicht in die Risikoanalyse desFonds und der Weltbank miteinfließt, ob-

wohl gerade diese in den Inselstaaten be-sonders hoch ist. Das heißt, dass das ei-gentliche Risiko eines Bankrotts in diesenLändern wahrscheinlich noch viel höherliegt. Länder wie Antigua und Barbuda, diedurch die globale Finanzkrise in die Zah-lungsunfähigkeit gerutscht sind6, erscheinengar nicht erst in der Länderliste des IWF.Weitere, ebenfalls nicht einbezogene Insel-staaten mit ähnlich problematischer öffent-licher Verschuldung, wie St. Kitts und Nevisoder Sri Lanka, kommen also zu dieserGruppe noch dazu. All diese Länder haben(bis auf die Komoren, die bereits den Ent-scheidungspunkt der Schuldenerlassinitia-tive erreicht hat und Sao Tomé & Principé,die bereits entschuldet wurden) keinen Zu-gang zu der HIPC-Initiative.

Dazu kommen einige politisch besondersgelagerte Fälle, die sich keiner Gruppen-Systematik zuordnen lassen7:

Simbabwe, das seit mehr als zehn Jah-ren seine Gläubiger nur noch zu einem ge-ringen Teil der vertraglichen Verpflichtungenbedient, und politisch äußerst instabil ist.Hier sind sich die Gläubiger inzwischeneinig, dass das Land eine Entschuldung be-nötigt, welche der andernorts gewährtenEntlastung unter der HIPC/MDRI-Initiativeentspricht. Nicht einig ist man sich indes,unter welchen politischen Voraussetzungeneine solche Entlastung zu gewähren sei.Und deswegen wurde sie bislang auch nichtgewährt.

Ägypten, dessen Auslandsverschuldungnicht, dessen öffentliche Verschuldung abersehr wohl dramatisch ist. Die demokratischeRevolution Anfang 2011 hat zu erheblichenEinbrüchen bei der wichtigsten Einnahme-quelle des Landes, dem Tourismus geführt,so dass die erhoffte „Demokratie-Dividende“für die Bevölkerung im Moment alles andereals sicher ist.

Die Elfenbeinküste hat nach dem bluti-gen Machtwechsel die Zahlungen an dieGläubiger noch nicht wieder aufgenommen.Das Land befindet sich in der „Interim-Phase“ der HIPC-Initiative.

Im Moment ist ebenso unsicher, wann derendgültige Schuldenerlass für das westafri-kanische Land erreicht sein könnte, wieauch, ob die neue Regierung unter Präsi-dent Alassane Ouattara vor dem Schulden-erlass die Schulden des Vorgängerregimesüberhaupt zu bedienen gedenkt oder dieseerst gar nicht anerkennt.

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Der Blick auf das Ganze

Griechenlands öffentliche Schulden liegenim Moment bei rund 160 Prozent des BIPund damit deutlich höher als in fast allenLändern auf unserer Liste. Das macht dievergleichsweise niedrigeren Grenzwerte inEntwicklungs- und Schwellenländern nichtweniger problematisch. Dafür sind vor allemzwei Gründe verantwortlich:

Anders als Griechenland haben diemeisten der Länder auf den obigen Listeneine zwanzigjährige Geschichte von Ein-sparungen und nationalem Ausverkauf hin-ter sich. Die Spielräume dafür, den Gürtelenger zu schnallen und damit eine tempo-räre Krise zu überwintern, sind deutlich ge-ringer als in europäischen Peripherie-ländern. Würden im Senegal, Moldawien

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Die Länderanalyse auf einen Blick:

Länder oberhalb der Grenzwerte

Ein Indikator oberhalb des Grenzwertes:Ägypten, Antigua und Barbuda, Armenien, Belize, Brasilien, Bosnien und Herzegowina, Burundi, Ecuador, El Salvador, Gambia, Georgien, Guyana, KapVerde, Kasachstan, Kirgistan, Kolumbien, Komoren, Laos, Malediven, Mazedonien,Nepal, Philippinen, Sierra Leone, Tonga, St. Lucia, Sao Tomé und Principé, Ukraine.

Zwei Indikatoren oberhalb der Grenzwerte:Argentinien, Barbados, Bhutan, Dominica, Elfenbeinküste, Jamaika, Mauretanien,Moldawien, Mosambik, Nicaragua, Pakistan, Senegal, St. Vincent und dieGrenadinen, Sudan, Tadschikistan.

Drei Indikatoren oberhalb der Grenzwerte:Grenada, Libanon, Simbabwe, St. Kitts & Nevis, Sri Lanka, Uruguay.

Länder im Abwärtstrend

Ein Indikator oberhalb des Grenwertes mit einem Trend zur Verschlechterung:Antigua und Barbuda, Bhutan, Ecuador, Gambia, Kap Verde, Malediven, Pakistan,Senegal, Simbabwe, Sao Tomé & Principé, St. Vincent und die Grenadinen, Sri Lanka, Sudan. "

Zwei Indikatoren oberhalb der Grenzwerte mit einem Trend zur Verschlechterung:Argentinien, Barbados, Jamaika, Mauretanien, St. Kitts & Nevis, Tadschikistan,Uruguay

Drei Indikatoren oberhalb der Grenzwerte mit einem Trend zur Verschlechterung:Grenada

oder Uruguay vergleichbare Einsparungenversucht, wie Griechenland sie in den letz-ten 18 Monaten auf Druck der Gläubigerumgesetzt hat, würde das nicht nur zur Ver-armung, sondern zur Verelendung weiterTeile der Bevölkerung in diesen Ländernführen.

Die Fähigkeit ärmerer Länder, externeSchocks zu überstehen ist ungleich geringerals in Europa. So führte das Erdbeben von2011 in Neuseeland – die größte Naturkata-strophe, die das Land in den letzten hundertJahren getroffen hat - zu materiellen Schä-den in Höhe von 4 Prozent des BIP. Dem-gegenüber zerstörte der Hurrikan Ivan inGrenada 200 Prozent der jährlichen Wirt-schaftsleistung. Daher ist es angemessen,die Grenzwerte für eine kritische Verschul-dung in ärmeren und verletzlichen Länderndeutlich tiefer anzusetzen als in Europa.

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1 Vgl. http://bit.ly/z1u1Zx

2 Hierbei handelt es sich um den Gesamt-schuldenstand der öffentlichen Haushalte,also Bund, Länder und Gemeinden. Vgl.OECD Economic Outlook, 2011/1. Die ent-sprechenden Daten finden sich in der Daten-tabelle Debt unter: http://bit.ly/zkK48N

3 Vgl. BdS: http://bit.ly/yk0iiP

12Schuldenreport 2012

Die Rolle Deutschlands als „Gläubiger“ hatin der letzten Zeit eine ganz neue Wahrneh-mung erfahren: Im Zuge der Eurokrise istDeutschland zum großen Zahlmeister avan-ciert, der mit immer größeren Beiträgen zuden Rettungsschirmen die Länder des Sü-dens (in Europa) aus dem Schlamassel zie-hen und den Euro retten soll. Dabei sind eszunächst einmal Banken und private Anle-ger, die den europäischen Krisenländern(Griechenland, Irland, Portugal und Spa-nien) Mitte des Jahres 2010 insgesamt 388Mrd. Euro geliehen hatten, wobei Spanienden weitaus größten Anteil ausmachte.1

Für den deutschen Staat bedeutet diese pri-vate Gläubigerposition dennoch die Gefahreiner erhöhten Staatsverschuldung, dannnämlich, wenn mit aufwändigen Paketen dieBanken gerettet und/oder die Konjunkturangekurbelt werden muss. Entsprechendhat sich die Staatsverschuldung Deutsch-lands seit Ausbruch der Finanzmarktkrisevon 65,3 Prozent des Bruttoinlandsproduk-tes (BIP) (2007) auf 87,3 Prozent des BIP(2011) erhöht.2 Damit liegt Deutschland aufabsehbare Zeit deutlich über dem Indikator,der im Rahmen des Stabilitätspaktes undden sogenannten Maastricht-Kriterien inBezug auf den staatlichen Schuldenstandfestgelegt wurde: 60 Prozent.

Wer kennt sie nicht, die sich rasant bewe-gende Schuldenuhr des Bundes der Steu-erzahler, die sich mit gegenwärtig 1.556

Euro pro Sekunde stetig weiterdreht? Ins-gesamt beläuft sich die deutsche Staatsver-schuldung schon binnen Jahresfrist auf über2.000 Milliarden Euro, wovon rund dieHälfte der Schulden gegenüber dem Aus-land sind3. Sind wir damit selbst ein Kandi-dat für die Umschuldung?

Sicherlich ist die VerschuldungssituationDeutschlands ernst zu nehmen, dennochlassen sich die rund 1 Billionen Euro Aus-landsverschuldung des deutschen Staatesnur bedingt mit den 1,4 Billionen US-Dollarvergleichen, mit denen die gesamten öffent-lichen Haushalte aller Länder mit niedrigenund mittleren Einkommen 2010 im Auslandverschuldet waren. Denn selbst die Schul-den, die Deutschland gegenüber dem Aus-land hat, sind größtenteils in Euro notiert. InDeutschland war eine Staatsverschuldungin fremder Währung lange Zeit sogar verbo-ten.

Die Entwicklungsländer müssen demgegen-über ihre Auslandsschulden größtenteils inausländischer Währung (meist in US-Dollar,Euro oder Yen) aufnehmen. Ein sich ver-schlechternder Wechselkurs ist damit auto-matisch mit dem Anwachsen der Schuldenverbunden, denn nun muss mehr Geld ineinheimischer Währung aufgebracht wer-den, um dieselbe Menge an Dollar oderEuro zurückzahlen zu können. Damit wirdauch ein wichtiges wirtschaftspolitisches In-strument zur Verbesserung der Wettbe-

Deutschland als Gläubiger und Schuldner

Von Irene Knoke

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Page 17: Schuldenreport 2012

werbsfähigkeit, nämlich die Abwertung dereigenen Währung, zur Gratwanderung,denn sie hat denselben Effekt. Auch in denEntwicklungsländern ist daher in den ver-gangenen Jahren die Inlandsverschuldungimmer wichtiger geworden. Sie wurde langeZeit bei der Berechnung der Schuldentrag-fähigkeit der Entwicklungsländer nicht mitberücksichtigt und hatte daher auch keineAuswirkung auf die Schuldenerlasse.

Mittlerweile hat aber auch der InternationaleWährungsfonds das Problem erkannt undführt in der Regel sowohl eine Schulden-tragfähigkeitsanalyse für die öffentliche Ver-schuldung, als auch für die Auslands-verschuldung durch.

1. Forderungsbestände Deutschlands

Deutschland hat sich also mit großen Sum-men über Staatsanleihen verschuldet. DieKäufer dieser Anleihen sind meist Banken,Versicherungen, Investment- oder Pensi-onsfonds aber auch Privatpersonen. Auchauf deutscher Seite investieren die gleichenFinanzmarktakteure in ausländische Staats-anleihen, und das sogar in größerem Um-fang als die Summe der deutschenVerbindlichkeiten. Insgesamt betrachtet istDeutschland somit also Nettogläubiger. Ge-genüber diesen immensen Summen, nimmtsich der Betrag, den Entwicklungs- undSchwellenländer dem deutschen Staatschulden, mehr als bescheiden aus. Insge-samt hält der deutsche Staat (Stand31.12.2010) Forderungen an diese Länderin Höhe von 19,9 Mrd. Euro.

Das Bundesministerium der Finanzen(BMF), das den Stand der Forderungen ge-genüber ausländischen Staaten und dieentsprechenden Schuldendienstzahlungenüberwacht, veröffentlicht alljährlich eineListe, die gegenwärtig 90 Länder, inklusiveder osteuropäischen und asiatischen Trans-formationsländer und dem nahen und mitt-leren Osten umfasst4.

Dabei gibt es zwei Arten von Schulden: ZumEinen gibt es die Forderungen aus der Fi-nanziellen Zusammenarbeit (FZ), die ge-meinhin auch als Entwicklungshilfebezeichnet werden und die mit günstigenKonditionen, wie niedrigen Zinssätzen undlangen Laufzeiten aufwarten. Zum Zweitengibt es die Handelsforderungen, die ur-sprünglich zwischen privaten Geschäftsein-heiten in Deutschland und dem Schuldner-

land bestanden, von staatlicher Seite aberabgesichert wurden (in Deutschland läuftdas über die Hermes-Bürgschaften). Kommtes seitens des Importeurs im Schuldnerlandzu einem Zahlungsausfall, wird der deut-sche Exporteur entschädigt und die Forde-rungen gehen an den Staat über. Da dieseKredite in der Regel zu Marktkonditionenvergeben werden, sind sie für die Entwick-lungsländer sehr viel ungünstiger. Tabelle 1gibt einen Überblick über den aktuellen For-derungsbestand, wobei die Länder der Ini-tiative für hoch verschuldete arme Länder(HIPC-Initiative), sowie die größten Schuld-nerländer einzeln aufgeführt sind.

Insgesamt lag der Forderungsbestand derBundesrepublik an die Schwellen- und Ent-wicklungsländer bei 19,9 Mrd. Euro, wobeider größte Teil (13,4 Mrd. Euro) Forderun-gen aus der FZ sind. Die deutschen Han-delsforderungen sind in den vergangenenJahren deutlich gesunken, von 30,7 Mrd.Euro im Jahr 2004 auf 8,5 Mrd. Euro im Jahr2006 und rund 6,5 Mrd. Euro bis Ende2010. Größere Erlasssummen innerhalbund außerhalb der HIPC-Initiative (z.B. Ka-merun und Nigeria) sind dafür jedoch weni-ger verantwortlich als vielmehr dievorzeitige Rückzahlung Russlands und ei-niger weiterer Länder, sowie reguläre Rück-zahlungen.

Die HIPC-Länder, die die Initiative bereitsvollständig durchlaufen haben, haben in derRegel nur noch geringe Forderungsbe-stände. Eine Ausnahme bilden hier Ghana,das seit seiner Entschuldung kontinuierlichwieder neue Kredite aufgenommen hat, unddie DR Kongo, die im Rahmen von HIPCbislang nur einen Schuldenerlass von rund50 Prozent erhalten hat (vgl. Tabelle 2).

Die Handelsforderungen von Liberia undTogo wurden im Februar bzw. Juni 2011vollständig erlassen5. Anzumerken ist andieser Stelle aber nach wie vor die Beharr-lichkeit, vielen HIPC-Initiative-Ländern, so-fern sie nicht zu den am wenigstenentwickelten Ländern (Least DevelopedCountries, LDC) zählen, Mittel der Entwick-lungszusammenarbeit in Form von – wennauch zinsgünstigen – Krediten zu gewäh-ren. Viele andere Industrienationen verge-ben auch an diese Ländergruppe nur nochnicht zurückzahlbare Zuschüsse. Deutsch-land tut dies nur für die LDC.

Nicht unbeträchtlich sind auch die Forde-rungsbestände an die Länder, die die Initia-

4 BMF: Forderungen des Bundes gegenüberdem Ausland: http://bit.ly/wAlqcV

5 Vgl. Pressemeldungen auf der Homepagedes BMF unter: http://bit.ly/ybkZcB

13 Schuldenreport 2012

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Tabelle 1 - Forderungen des Bundes gegenüber dem Ausland / Stand 30.12.2010 (in Mio. Euro)6

14Schuldenreport 2012

6 Quellen: BMF, 2011a: Forderungen desBundes gegenüber dem Ausland, Stand31.12.2010; http://bit.ly/wAlqcV und erlass-jahr.de 2011: Schuldenreport 2011 unter:http://bit.ly/zxpymF

Page 19: Schuldenreport 2012

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Tabelle 2 - Erlasse im Rahmen von HIPC-Initiative (Finanzielle Zusammenarbeitund Handelsforderungen)9

7 Vgl. erlassjahr.de-Schuldenreport 2010,www.erlassjahr.de

8In einem EU-weiten Stufenplan hat sich die

Bundesrepublik verpflichtet, ihre ÖffentlicheEntwicklungszusammenarbeit (Official Deve-lopment Assistance – ODA) bis 2015 auf dielange versprochenen 0,7 % des BNE zu erhö-hen. 2010, als nach dem Stufenplan der EU0,56 % als Zwischenziel erreicht werdensollte, lag der deutsche Beitrag bei 0,38 %.

9 Quelle BMF, 2011b: Deutscher Schuldener-lass, Stand 30.06.2011; http://bit.ly/AcFSYZ

15 Schuldenreport 2012

tive noch nicht voll durchlaufen haben. Diepolitische Lage in Myanmar und Sudan ver-hindert im Moment, dass diese Länder inden Genuss eines Erlasses im Rahmen derHIPC-Initiative kommen, für den sie sichprinzipiell qualifizieren würden. Diese Län-der haben in den vergangenen Jahren innicht unerheblichem Maße Verzugszinsenangehäuft, weil sie ihre Schulden größten-teils nicht bedient haben.

So lagen die Handelsforderungen 2005 fürMyanmar noch bei 155 Millionen Euro undfür den Sudan bei 153 Millionen Euro7.Sollte sich die Lage in diesen Ländern än-dern und sie einen Schuldenerlass erhalten,

würde durch diese rein buchhalterischeÜbung das Erlassvolumen somit künstlichaufgebläht. Das wäre nicht weiter problema-tisch, wenn es nicht nach wie vor gängigePraxis in Deutschland – wie leider in vielenOECD Staaten – wäre, dass Schuldener-lasse auf die Mittel in der öffentlichen Ent-wicklungszusammenarbeit (ODA-Quote)angerechnet werden8. Insbesondere in denJahren 2005 und 2006 war die ODA-Quotedurch die sehr hohen Erlasse an den Irakund an Nigeria künstlich aufgebläht worden.

Die sechs größten Schuldner Deutschlands(Ägypten, Indien, China, Pakistan, Indone-sien und Irak) machen fast die Hälfte des

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gesamten Forderungsbestandes der Bun-desrepublik aus, wobei Indien und Indone-sien weiter dabei sind, wie schon in denvorangegangenen Jahren diese Forde-rungsbestände abzubauen. Bei diesen Län-dern dominieren (mit Ausnahme des Irak)die Forderungen aus der finanziellen Zu-sammenarbeit, die mit etwas mehr als 8 Mil-liarden Euro 82 Prozent des Forderungs-bestandes an diese Länder ausmachen.

Hierin spiegelt sich wider, dass es bei denvergebenen Handelskrediten nur ver-gleichsweise geringe Zahlungsausfälle gibt.

Weitere 62 Länder, von denen 21 Länder je-weils weniger als 10 Millionen Euro Schul-den gegenüber Deutschland haben,vereinigen rund 7,2 Millionen Euro auf sich,die sich etwa jeweils zur Hälfte aus FZ undHandelsforderungen zusammensetzen.

2. Schuldenerlasse

Insgesamt wurden im Rahmen der HIPC-Initiative bis zum 30.06.2011 3,26 MilliardenEuro der insgesamt möglichen 4,30 Milliar-den Euro erlassen. Darüber hinaus wurdenden HIPC-Ländern außerhalb HIPC-Initia-tive im Laufe der Zeit 4,47 Milliarden Euroerlassen, allen weiteren Entwicklungslän-dern 9,79 Milliarden Euro. Die Bundesrepu-blik hat damit den Entwicklungsländern seit1978 insgesamt 19,35 Milliarden Euro anSchulden erlassen. Davon waren 13,02 Mil-liarden Euro Handelsforderungen und 6,33Milliarden Euro Forderungen aus der FZ10.

In Tabelle 2 werden die Schuldenerlasse fürdie HIPC-Länder aufgeführt. Dabei wirddeutlich, dass die meisten Länder, die dieInitiative vollständig durchlaufen haben, tat-sächlich 100 Prozent ihrer Forderungen er-lassen bekommen haben.

Die Elfenbeinküste, Guinea und Tschadhaben den Vollendungspunkt noch nicht er-reicht. Guinea-Bissau wurde im Mai 2011 imPariser Club verhandelt. Die bilaterale Um-setzung zwischen den beiden Regierungender Länder dürfte ebenfalls auf einen100 Prozent Erlass hinauslaufen. Dagegenscheint sich die Umsetzung der Beschluss-lage für die Demokratische Republik Kongozu verzögern. Während das Land bereits imNovember 2010 im Pariser Club verhandeltwurde, gibt es bis heute keine Informationenüber die bilaterale Umsetzung.

3. Ausblick

Der Trend des deutlich gesunkenen Forde-rungsbestandes bei den Handelsforderun-gen könnte sich in den kommenden Jahrenwieder umkehren. Viele Rohstoffe sind aufdem Markt verknappt worden, darunterauch einige kritische metallische Rohstoffe,die für Hochtechnologieprodukte u.a. auchim Bereich der erneuerbaren Energien not-wendig sind. Die Bundesregierung regtdaher in ihrer Rohstoffstrategie vom Okto-ber 201011 u.a. an, dass sich die rohstoffver-arbeitende Industrie in Deutschland wiederstärker im Bergbau engagieren soll, um soden Zugang zu Rohstoffen zu sichern.

Viele dieser Rohstoffe lagern aber in Ent-wicklungsländern, oft genug da, wo die po-litische Lage nicht sehr stabil ist und dieEinhaltung der Menschenrechte nicht unbe-dingt groß geschrieben wird. Die Bemühun-gen der Industrie will die Bundesregierungmit sogenannten Rohstoffpartnerschaftenflankieren, wobei Rohstoffvorkommen offen-sichtlich ein wichtigeres Kriterium sind alsRegierungsführung, Demokratie und Einhal-tung von Menschenrechten. So wurde bei-spielsweise eine Absichtserklärung für einesolche Partnerschaft mit Kasachstan unter-zeichnet, weitere Gespräche laufen mit An-gola und Nigeria.12

Mittels Kreditgarantien und Garantien fürungebundene Finanzkredite13 will die Bun-desregierung solche Vorhaben der Industrieund die entsprechenden Investitionen weiterfördern. Bis 2010 lag der Kreditrahmen bei-spielsweise für die ungebundenen Finanz-kredite bei 2,1 Milliarden Euro, die vorrangigin Russland und Osteuropa ausgeschöpftwurden. Die Höhe der Garantien für dieseund andere Gewährleistungen des Bundeswird über haushaltsrechtliche Ermächtigun-gen festgelegt.

Dieser Ermächtigungsrahmen wurde zum 1.Januar 2011 auch aufgrund des hohen Be-darfs bei den ungebundenen Finanzkreditenvon 40 Milliarden Euro auf 50 Milliarden an-gehoben.

Solange die deutsche Industrie daraufdrängt, dass ihre Wettbewerbsfähigkeit vorallem vom ungehinderten Zugang zu Roh-stoffen abhängt, ist es möglich, dass dieseGewährleistungen des Bundes genutzt wer-den, um weitere Rohstoffquellen in Entwick-lungsländern erschließen zu können.

10 BMF, 2011b: Deutscher Schuldenerlass,Stand 30.06.2011; http://bit.ly/AcFSYZ

11 BMWi (Bundesministerium für Wirtschaftund Technologie) (Hrsg.), 2010: Rohstoffstra-tegie der Bundesregierung – Sicherung einernachhaltigen Rohstoffversorgung Deutsch-lands mit nicht-energetischen mineralischenRohstoffen. http://bit.ly/zyETof (25.10.2011).

12 Mit Werten von 1,9 (Angola) 2,4 (Nigeria)und 2,9 (Kasachstan) auf einer Skala von 1bis 10 liegen diese drei Länder auf den Plät-zen 168, 134 und 105 (von insgesamt 178Ländern) des Korruptionsindexes von Trans-parency International aus 2010. (vgl.http://bit.ly/yDpZhJ)

13 Die ungebundenen Finanzkredite bietendie Möglichkeit, Ausfallrisiken von Darlehenöffentlich abzusichern, die nicht an deutscheLieferungen und Leistungen gebunden sind.

16Schuldenreport 2012

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Die Schuldenkrise und die aktuelle Lebens-situation in Simbabwe

In den letzten 10 Jahren hat sich die Ver-schuldung Simbabwes ständig bis auf 9,6Milliarden US-Dollar im Jahr 2011 erhöht.Mit 16,6 Prozent Verhältnis des Schulden-dienstes zur Exportrate ist Simbabwe nichtin der Lage einen angemessen Schulden-dienst zu entrichten. Dadurch steigt derSchuldenstand immer weiter und Simbabweist de facto zahlungsunfähig1.

Trotz eines leichten Wirtschaftswachstumsgibt es keine Perspektiven die Verschuldungaus eigener Wirtschaftskraft zu reduzieren.Der langfristige Verkauf von Minenkonzes-sionen ist nur ein Beispiel dafür, wie einLand dauerhaft die Einkommensmöglichkei-ten zukünftiger Generationen verpfändet.Nach dem simbabwischen FinanzministerTendai Biti werden mehr als 10 MilliardenUS-Dollar benötigt, um die zerstörte Infra-struktur Simbabwes wieder aufzubauen. Erversucht einen Teil des Geldes dafür durchEntwicklungs-Bonds am Kapitalmarkt auf-zunehmen2.

Wenn es Investoren gäbe, steigt dadurchnatürlich auch der Schuldenstand weiter an.Simbabwes wirtschaftlicher und sozialerNiedergang hat viele Gründe: Die Gesamt-verschuldung hat viel mit der zerbrochenen

Wirtschaftsstruktur und der unverantwortli-chen Schuldenaufnahme und Kreditvergabezu tun. Im ersten Halbjahr 2010 wurden 1,3Millionen US-Dollar an Schuldendienst anden Internationalen Währungsfonds be-zahlt. Welche Bedeutung diese Summe fürdie soziale Situation haben könnte, zeigt,das 400.000 Menschen nicht die Möglich-keiten hatten, an die lebensnotwendigenAidsmedikamente zu kommen. Der größtenTeil hätte mit dem Geld finanziert werdenkönnen3.

Simbabwe galt lange Zeit als die „Kornkam-mer“ Afrikas, das Bildungswesen war vor-bildlich. Der einstige HoffnungsträgerRobert Mugabe hat sich jedoch vom Frei-heitskämpfer zum Diktator gewandelt. DieWirtschaft, allem voran die Landwirtschaft,das Gesundheits- und Bildungssystem lie-gen am Boden. Nach der Welternährungs-programm sind im Jahr 2011 1,7 MillionenSimbabwer von Nahrungsmittelhilfe abhän-gig, 20.000 der 80.000 Lehrer sind ins Aus-land abgewandert, Unterricht findetunzureichend statt, so dass bereits jetzt voneiner „verlorenen Dekade“ sogar von einer„verlorenen Generation“ gesprochen wird.400.000 von den 1,2 Millionen von derHIV/Aids-Betroffenen erhalten keine Aids-medikamente und genauso führt auch diehohe Zahl an Auswanderungen zu einemAnstieg der Zahl von Waisen auf 1,4 Millio-nen und damit auch zu einem Anstieg vonkindgeführten Haushalten.

Simbabwe: Die Menschen warten auf einen Neuanfang

1 Vgl. Afrikanische Entwicklungsbank CountryBrief 2013: http://bit.ly/zyeAiN

2 Vgl. APANEWS, “Zimbabwe mulls bondissue to revamp collapsed infrastructure”,February 17, 2012.

3 Vgl. Länderseite der Weltbank zu Simbabwehttp://bit.ly/zHvIHY

17 Schuldenreport 2012

Von Frank Mischo

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Page 22: Schuldenreport 2012

Politisch hat die Unterzeichnung des „Glo-bal Political Agreements“ zur Bildung einergemeinsamen Regierung zwischen RobertMugabes ZANU-PF und der MDC-Parteivon Oppositionsführer Morgan Tsvangirai,(Movement for Democratic Change) imSeptember 2008 Hoffnungen in eine Stabi-lisierung des Landes geweckt. Die politischeLage des Landes wird nach wie vor unter-schiedlich beurteilt. Vor allem die Anhängerder MDC sprechen von Erfolgen durch dieEinführung des US-Dollar und einer Verbes-serung von sozialen Dienstleistungen. Diemeisten armen Familien können jedochwegen der Kosten für Schuluniformen,Essen und Bücher weder ihre Kinder in dieSchule schicken, noch die Gebühren füreine Behandlung im Krankenhaus aufbrin-gen.

Die Erarbeitung einer Verfassung mit Betei-ligung der Bevölkerung ist Voraussetzungfür Neuwahlen und eine zentrale Bedingungfür die Wiederaufnahme der bi- und multila-teralen staatlichen Entwicklungszusammen-arbeit. Dieser Verfassungsreform-Prozessbietet den Menschen die Möglichkeit, zu ler-nen sich für ihre Bürgerrechte einzusetzen.Gleichzeitig wird er von der Angst vor einerRückkehr der Gewalt wie nach den Wahlen2008 überschattet. Es geschieht zwar weni-ger systematische politische Verfolgung,aber Vertreter der VerfassungsgebendenVersammlung wurden massiv eingeschüch-tert. Erschwert wird die Mobilisierung derBevölkerung natürlich durch den täglichenÜberlebenskampf. Der Spagat zwischen derAufgabe, ihre Familie zu ernähren undgleichzeitig für die Achtung der Menschen-rechte und die Forderung nach sozialer Ge-rechtigkeit einzustehen, ist eine großeHerausforderung für zivilgesellschaftlicheOrganisationen.

Nach der Zeit der Hyperinflation des Sim-babwe-Dollars sind seit 2009 Dank der offi-ziellen Dollarisierung die Regale in denGeschäften wieder gefüllt. Nachdem diePreise extrem gestiegen waren, bleiben siejetzt auf dem hohen Niveau. Die meisten Ar-tikel des täglichen Bedarfs sind damit füreinen Großteil der Simbabwer unerschwing-lich. Die Einführung des Dollars hat denHandel zwar wieder etwas in Schwung ge-bracht, die Produktion und das Handwerkliegen aber nach wie vor am Boden. Sim-babwe erbringt gegenwärtig eine Wirt-schaftsleistung, die nur 6 Prozent desWertes vom Jahr 2000 entspricht. Seit die-ser Zeit sind praktisch keine Investitionenmehr getätigt worden. Seit langem überfäl-lige Reparaturen der Infrastruktur können

nur zögerlich in Angriff genommen werden.Es fehlt das Geld. Der Exodus von qualifi-ziertem Personal, vor allem aus dem Bil-dungs- und Gesundheitswesen, hält immernoch an. In Großbritannien arbeiten mehrsimbabwische Ärzte als in Simbabweselbst. Fast 4 Millionen der 12,6 MillionenSimbabwer leben jetzt außer Landes.

Einmalig in der Geschichte Afrikas ist dieTatsache, dass alle staatlichen Geber ihreMittel zur Entwicklungszusammenarbeit seiteinigen Jahren eingefroren haben. Die Bun-desregierung hat ihre Zusammenarbeit seit2002 eingestellt. Staatliche Unterstützunggeschieht nur über die Humanitäre Hilfe. Esgibt klare Vereinbarungen der Geberstaa-ten, wann wieder über die Regierung Gelderfließen könnten. Da der Normalisierungs-prozess nur sehr langsame Fortschrittemacht und es manchmal auch noch Rück-schritte gibt, findet die Unterstützung durchhumanitäre Hilfe statt, die zum Beispielauch zur Verbesserung der sanitären Ver-sorgung der Bevölkerung eingesetzt wirdund über die Gründung von Fonds, die mitverschiedenen Gebern Bereiche wie Bil-dung oder die Wiederherstellung kleinbäu-erlicher Produktion über lokaleNichtregierungsorganisationen finanzieren.

Die Kindernothilfeaktivitäten in Simbabwe

Seit Juli 2010 engagiert sich die Kindernot-hilfe wieder in Simbabwe. Erneutes Enga-gement ist dringend erforderlich:Menschenrechte finden inzwischen stärkereBeachtung, Kinderrechte leider noch nicht.Die Schwerpunkte der Arbeit der Kindernot-hilfepartner sind deshalb die psychosozialeUnterstützung von traumatisierten Kindern und Jugendlichen, Programme zurLinderung der Folgen von HIV/AIDS und dieBetreuung von Waisen und besonders ge-fährdeten Kindern, sowie die Aidspräventionfür Kinder und Jugendliche, Kindesschutz-maßnahmen und die Stärkung von Netz-werken für die Kinderrechtsarbeit.

Der Kollaps des Bildungssektors wirkt sichnegativ auf ihre Zukunftschancen aus. Da-rüber hinaus werden immer mehr KinderOpfer von Missbrauch. Besonders betroffenvon Gewalt und Missbrauch sind die rund1,4 Millionen Waisen, die in Simbabweleben. Mehr als eine Million Kinder, soschätzen die Vereinten Nationen, habenihre Eltern durch Aids verloren. Während

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Childline für Aids-Waisen im Notfall als An-sprechpartner und Vermittler fungiert, küm-mert sich die Partnerorganisation JekesaPfungwa Volingqondo („Öffne DeinenGeist“), dass Kinder nicht perspektivlos auf-wachsen. Jekesa verbessert durch praxis-nahe landwirtschaftliche Kurse und denZugang zu Land die Lebensperspektiven,aber auch durch das Aufbrechen der Aus-grenzung von Aidswaisen und durch Prä-ventionsarbeit. Vielen Waisen bleibtansonsten nichts anderes über, sich als bil-lige Arbeitskraft anzubieten und sich aus-beuten zu lassen. Viele Kinder werden auchsexuell missbraucht. Jekesa geht diesesProblem umfassend an und arbeitet aufdem Land beispielsweise mit fortgebildetenEhrenamtlichen, die die Waisenkinder regel-mäßig besuchen und als psychosoziale Be-treuer zur Verfügung stehen. Durch dieintensive Begleitung entwickelt sich dieChance auf eine bessere Lebensperspek-tive.

Die Kindernothilfe unterstützt über ihre Part-ner Jekesa Pfungwa Vulingqondo, Womenof Zimbabwe Arise (WOZA), Justice for Chil-dren Trust (JCT), Youth Alive und ChildlineZimbabwe zurzeit knapp 2.700 Mädchenund Jungen. In den Selbsthilfegruppen sindaber zehntausende Menschen in Simbabwegerade dabei, befähigt und aktiv zu werden,um sich zum Beispiel politisch für Kinder-rechte im verfassungsgebenden Prozessvor der Wahl und auch für weitere sozialpo-litische Verbesserungen ihrer Lebenssitua-tion einzusetzen.

Eine Befragung der Kindernothilfepartner zuden Folgen der Verschuldung Simbabwesfür die Bevölkerung

Im Dezember 2011 befragte die Kindernot-hilfe ihre Partnerorganisationen mit einemFragebogen in dem es hauptsächlich darumging das Problem der Verschuldung anzu-gehen. Der Wissensstand bei den Partnernzu den Folgen von Verschuldung für die Be-völkerung in Simbabwe wurde abgefragt.Die eigenen Ideen zur Lösung der Schul-denkrise und die Einbeziehung der Zivilbe-völkerung in Entschuldungsverfahrenwurden diskutiert, sowie die Frage, ob einfaires und transparentes Schiedsverfahrenfür Simbabwe sinnvoll wäre.

Von den Partnern haben sich vor allem dieKinderrechtsorganisation Justice for Chil-

dren Trust (JCT), und Frauenselbsthilfeor-ganisation Jekesa Pfungwa Volingqondo(JPV) und Ntengwe mit dem Schulden-thema beschäftigt. Justice for Children Trusthat den Schwerpunkt in rechtlicher Unter-stützung für Kinder und Kindesschutzpro-grammen. Ntengwe ist eineKinderrechtsorganisation und JekesaPfungwa Vulingqondo arbeitet mit Frauen-gruppen zusammen. Insgesamt sind zehn-tausende Mitglieder in den Netzwerkenaktiv. Das heißt schon allein die Partner derKindernothilfe stellen schon einen nennens-werten Teil der aktiven Zivilgesellschaft dar.

Die Antworten der Befragung machen deut-lich, wie spürbar sich für die Menschen derinterviewten Organisationen die Folgen derVerschuldung für den Mangel an sozialenGrunddiensten im Bildungs- und Gesund-heitsbereich auswirken. Als Bespiel wirddazu der Vergleich zu Sambia herangezo-gen, wo nach der HIPC-Entschuldung deut-lich mehr Finanzmittel in die Gesundheits-und Bildungssysteme fließen konnten.Gleichzeitig wird deutlich gemacht wie ex-trem knapp Finanzmittel in allen Bereichendes Lebens sind. Für Organisationen ge-nauso wie für Infrastrukturaufgaben desStaates. Eine größere Mitbestimmung derZivilgesellschaft wird stark gewünscht. DieBeteiligung der Zivilgesellschaft an der Ver-fassung ist ein guter Schritt in die richtigeRichtung, aber der Aufbau einer institutiona-lisierten Mitbestimmungsmöglichkeit auchzur Lösung der Verschuldungsproblematikwäre ein weiterer Fortschritt. Zwei Organi-sationen sind auch bereit sich aktiv in demSchuldennetzwerk ZIMCODD für die Ein-führung eines fairen und transparentenSchiedsverfahrens zu beteiligen.

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin istder weitere Ausbau der Fähigkeiten zur Be-teiligung der Mitglieder. Dafür bieten sichWorkshops an und die Expertise der Kinder-nothilfe soll verstärkt miteinbezogen wer-den.

Die Befragung zeigt, wie gut die Zivilgesell-schaft schon bis hin zum Teil auf die staatli-che Ebene organisiert ist und sich auch mitden übergeordneten sozialen und wirt-schaftlichen Problemen beschäftigt. Dabeiwerden auch erfolgreich die Meinungen derÄrmsten der Armen miteinbezogen. Die Be-fragung verdeutlicht auch, dass die Beteili-gung der Zivilgesellschaft für ein faires und

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transparentes Schiedsverfahren einen län-geren Prozess zur Fortbildung und zum Auf-bau von Kapazitäten für eine sinnvolleBeteiligung von Menschen aus Selbsthilf-einitiativen voraussetzt. Natürlich mussauch eine ausreichende Beteiligungsmög-lichkeit, Sicherheit und Meinungsfreiheit derBeteiligten gewährleistet sein.

Beteiligungsmöglichkeiten der Zivilgesell-schaft für ein faires und transparentesSchiedsverfahren in Simbabwe

Ein faires und transparentes Schiedsverfah-ren benötigt nicht nur die Beteiligung derKreditgeber, es muss auch die betroffeneBevölkerung und vor allem die hauptsäch-lich den Preis der Überschuldung zahlen-den Armen mit einbeziehen. WelcheFormen der Beteiligung sind möglich undsinnvoll, um einen breiten, partizipativen An-hörungsprozess zu erreichen bei dem diewichtigsten Bedürfnisse der Bevölkerungund der sozialen und wirtschaftlichen Rand-gruppen einfließen können? Die Befragungder Kindernothilfe belegt, die Zivilgesell-schaft in Simbabwe ist organisiert und durchAufbau von Mitsprachekapazitäten in derLage die Meinung der besonders verletzli-chen Bevölkerungsgruppen zu vertreten.Nur die aktive Miteinbeziehung der Zivilge-

sellschaft macht es möglich die notwendi-gen Grundlagen eines fairen und transpa-renten Schiedsverfahrens von GoodGovernance, Transparenz, Effizienz, Ver-antwortlichkeiten und Nachprüfbarkeit füreine Entschuldung umzusetzen. Eine starkeZivilgesellschaft stellt ein gutes Frühwarn-system für Krisen und das Fehlverwendenvon Mittel dar. Selbsthilfegruppen sind daskosteneffektivste Mittel, um extreme Armutzu bekämpfen und Krisenschutzmechanis-men aufzubauen. Zur Verwirklichung vonMenschen- und Kinderrechten sind sie be-sonders erfolgreich und wären ein gutesForum für einen partizipativen Anhörungs-prozess.

Die Vorteile für eine Umsetzung von HIPCoder eines fairen und transparentenSchiedsverfahrens nach einem Demokrati-sierungsprozess in Simbabwe

Durch die auflaufenden Zinsen wird Sim-babwes Schuldenstand von mehr als 9 Mil-liarden US-Dollar im Jahr 2011 auf 13Milliarden US-Dollar im Jahr 2013 steigen4.

Eine Lösung der Schuldenkrise in Sim-babwe ist deshalb auch möglichst schnell 4 Vgl. ZIMCODD, http://bit.ly/A4LDW1

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Gruppenbild mit Frauen und Kindern in Simbabwe

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nötig. Internationale Geber wünschen nacherfolgreichen Demokratisierungsbemühun-gen eine Entschuldung nach den erweiter-ten HIPCII-Regeln, um Einfluss auf dieEntwicklung in Simbabwe zu behalten.

Die simbabwische Regierung hat mit derZimbabwe Accelerated Arrears Clearence,Debt and Development Strategy schon eineStrategie entwickelt, um für die Gläubigereine Struktur für eine Entschuldung nachHIPC Regeln vorzubereiten. Hauptsächlichspekuliert die Regierung bei der Rückzah-lung von Krediten auf die Verpfändung dernatürlichen Ressourcen. Ein Beispiel ausdem Juli 2009 ist die Sicherheit für einenchinesischen 5 Milliarden Dollar Kreditdurch eine Konzession für Platin-Ressour-cen im Wert von 15 Milliarden US-Dollar5.Ist das aber auch die beste Lösung für dieMenschen in Simbabwe?

Zuerst wird sowohl von Seiten der Zivilge-sellschaft überlegt einen Nationalen Schul-den-Audit durchzuführen. Denn bisher istkein Überblick über die Gesamtstaatsver-schuldung möglich. Das wäre eine guteGrundlage für jedes Entschuldungsverfah-ren.

Der Geschäftsführer Hadebe des simbabwi-schen Verschuldungsnetzwerks ZIMCODDbeschreibt die HIPC-Initiative als eine lan-gen Prozess, der an eine Reihe von umstrit-tenen makroökonomischen Anpassungs-maßnahmen gebunden ist. Bis zum Schul-denerlass am Completion Point vergehennach den HIPC-Erfahrungen sechs bis sie-ben Jahre. In der Zwischenzeit muss Sim-babwe als Zeichen des guten Willens denSchuldendienst erhöhen, was auch nochzum kurzfristig belastenden Anstieg derAusgaben führt. Und einige entschuldeteHIPC-Länder sind gerade schon wiederdabei, in neue Verschuldungsprobleme zugeraten6. Was ist also die Alternative?

Es gibt drei entscheidende Nachteile derHIPC-Initiative gegenüber einem fairen undtransparenten Schiedsverfahren für diedurch die Belastung der Schuldendienstebetroffene Zivilgesellschaft in Simbabwe:

1. Das HIPC-Verfahren ist deutlich Geber-dominiert. Die Geber behalten eindeutigenEinfluss im Verfahren und entscheiden inihrem Sinne.

Beim fairen und transparenten Schulden-schiedsverfahren sitzen gleichviel Vertreterder Gläubiger und aus Simbabwe im Ent-

5 Vgl. SinoGate Investment Consulting,http://bit.ly/zyaCpI

6 Vgl. ZIMCODD, http://bit.ly/zHvIHY

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Schulklasse in Simbabwe

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scheidungspanel. Dazu kommt ein von bei-den Seiten bestellter Vermittler.

2. Beim HIPC Verfahren werden die Schul-den nicht nach ihrer Herkunft analysiert undillegitime Schulden werden genauso wie be-rechtigte Schulden in das Verfahren einbe-zogen. Vor allem aber findet das Verfahrennicht für alle Beteiligten transparent statt.

Beim fairen und transparenten Schulden-schiedsverfahren werden alle Kredite undihre Rückzahlungsvereinbarungen öffentlichund damit transparent diskutiert.

3. Beim HIPC-Verfahren ist keine Beteili-gung der Zivilgesellschaft vorgesehen. Esgab weder Qualitätsstandards und in denmeisten Fällen gab es nur geringe Beteili-gungsmöglichkeiten für die Bevölkerung,erst Recht für die Armen und besonders ver-letzlichen Bevölkerungsgruppen.

Das faire und transparente Schulden-schiedsverfahren verfügt hier über einenentscheidenden Unterschied, weil das Ver-fahren nicht nur eine landesweite Beteili-gung vorsieht, sondern auch den Aufbau

von Kapazitäten für die Einbeziehung vonbesonders Armen und verletzlichen Bevöl-kerungsgruppen vorsieht.

Das faire und transparente Schiedsverfah-ren als Lösung für die Schuldenkrise in Sim-babwe

Alle drei Faktoren sprechen aus Sicht dersimbabwischen Bevölkerung, die die Haupt-last der Verschuldung zu tragen hat, für einfaires und transparentes Schiedsverfahren.Gerade die unsichere politische Situationder letzten Jahre und die Unverantwortlich-keit der extremen Verschuldung belegen,das die Kapazitäten zur Beteiligungsfähig-keit in der Zivilgesellschaft unbedingt aufge-baut werden müssen. Einmal um dasVerfahren in Simbabwe nachhaltig umzuset-zen, ist eine breit angelegte Anhörung undBeteiligung der Zivilgesellschaft im Ent-schuldungsprozess notwendig. Aber auchum danach von vornherein zu verhindern,das es wieder zu einer ähnlichen Verschul-dungssituation kommen kann.

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Fakten zur Lebenssituation in Simbabwe

Human Development Index (HDI):

Simbabwe wurde im Human Development Report nicht berücksichtigt, da keine Datenzur Verfügung gestellt werden konnten. 2008 belegte Simbabwe mit einem Wert von0,513 Rang 151 von 177. Sein heutiger Wert liegt unter dem von 1975 (0,550)

Arbeitslosenquote:

Die Arbeitslosenquote liegt bei 92 Prozent ; die strukturelle Arbeitslosigkeit ist 2008 auf80% angestiegen (UNDP Zimbabwe 2009)

Lebenserwartung:

Die Lebenserwartung ist insbesondere durch HIV/AIDS rapide gesunken und beträgtfür Frauen nur noch 34, für Männer 37 Jahre. Dies führt gleichzeitig zu einem enormenAnstieg der Waisen: die Zahl wird auf 1,6 Mio. geschätzt. (Website Auswärtiges Amt).

Bildungssituation / Alphabetisierungsgrad:

Laut „Zimbabwe Multiple Indicator Monitoring Survey“ (MIMS 2009) sind 91 Prozent derKinder im schulfähigen Alter eingeschult (Stadt: 94 Prozent, Land: 90 Prozent). DieQualität der Bildung ist jedoch sehr schlecht: Unter anderem weil 20.000 der 80.000Lehrer ins Ausland gezogen sind.

Ernährung:

29 Prozent der Kinder leiden an akuter Mangelernährung, 1,7 Millionen Menschen sindvon Nahrungsmittelhilfe abhängig (FAO 2011).

Gesundheit:

HIV/AIDS: Prävalenzrate 13,7 Prozent in 2009.

Kindersterblichkeit 90 von 1.000 Geburten.

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Eines der seltsamsten Merkmale derStaatsschuldenkrisen in der jüngeren Ver-gangenheit ist der hartnäckig wiederkeh-rende Glaube der Krisenmanager, dass"dieses Mal alles anders ist". Ja, es gibtsogar Politikerinnen und Politiker, die die ak-tuelle Krise im Euroraum für einzigartig hal-ten. Das ist nicht nur wirtschaftshistorischein bedenkliches Zeichen von Ignoranz:Schließlich war beispielsweise das aktuellbetroffene Griechenland rund 100 der letz-ten 200 Jahre im Zahlungsverzug1. Es legt– bedenklicher noch – die politische An-nahme nahe, die aktuelle Krise könne durcheinmalige Anstrengungen, welcher Art auchimmer, bewältigt und dann zu den Akten ge-legt werden.

Die europäische Krise hat das Thema einesmöglichen Staatsbankrotts seit dem Er-scheinen des Schuldenreport 2011 auf dieTagesordnung gebracht, wie schon langekein Ereignis mehr. Deshalb betrachten wirhier Gemeinsamkeiten und Unterschiededer heutigen europäischen Krise und der1982 "ausgebrochenen" Schuldenkrise der"Dritten Welt".

1. Was macht(e) die Krise aus?

Öffentliche Schulden sind nicht durch ihreschiere Existenz oder Größe ein Problem.Sie werden es erst durch ein Missverhältniszwischen ihrer Höhe, oder der des Schul-

dendienstes, und der wirtschaftlichen Leis-tungsfähigkeit des Schuldners.

Der gängigste Überschuldungs-Indikator imZusammenhang mit der Eurokrise ist dasVerhältnis von öffentlichen und öffentlich ga-rantierten Schulden zum Bruttoinlandspro-dukt (BIP). Dieser Indikator bezieht sich aufdie Schulden der öffentlichen Hand im In-land und im Ausland. In der traditionellenDiskussion um die Schulden von Dritte WeltLändern, werden in der Regel die inländi-schen Schulden der öffentlichen Hand nichteingerechnet. Dafür werden alle Auslands-schulden berücksichtigt, also auch diejeni-gen der privaten Kreditnehmer. Der Grunddafür ist, dass auch diese zahlungsbilanz-relevant sind, also zu ihrer Bedienung De-visen erwirtschaftet werden müssen.

Der Schuldenstand-zum-BIP-Indikator liegtfür die kritisch verschuldeten Länder der eu-ropäischen Peripherie im Bereich dessen,was auch Ende der 80er Jahre die amschwersten verschuldeten Länder aufwie-sen. In Europa sind der griechische und derportugiesische Schuldenberg infolge vonmangelnder Konkurrenzfähigkeit der Wirt-schaft und einer allzu lockeren Fiskalpolitikseit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise auf150 Prozent bzw. 100 Prozent des BIP ge-stiegen. In Irland lag dieser Indikator in denletzten Jahren bei ca. 30 Prozent. Durchdas außergewöhnliche Wachstum des iri-schen Bankensystems auf eine Größenord-

Von Mexiko bis GriechenlandDie europäische Staatsschuldenkrise und die Überschuldung vonEntwicklungsländern seit 1982

1 Reinhart,C., K.Rogoff: This time is different.Eight centuries of financial folly; Oxford 2009;S.99

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Von Jürgen Kaiser

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nung von rund 1400 Prozent des BIP habendie teuren Bankenrettungen die öffentlichenSchulden Irlands aber seit 2008 auf rund 90Prozent des BIP verdreifacht.

Unter den Krisenländern im Süden hattengroße Schuldner wie Mexiko und Brasilienmit 41 bzw. 27 Prozent relativ moderateSchuldenstände im Verhältnis zum BIP. Pro-blematischer war bei ihnen die hohe Ab-sorption von Devisen durch denSchuldendienst, also das Verhältnis vonSchuldendienst zu Exporteinnahmen. In derGrößenordnung der heutigen europäischenProblemländer bei Schulden im Verhältniszum BIP lagen dagegen viele der späterenHIPC-Staaten2 wie Bolivien, Guinea, Malawi(allesamt um 90 Prozent im Jahr 1990), mitAusreißern von mehr als 200 Prozent beiMosambik oder gar fast 1000 Prozent in Ni-caragua. Von daher bietet auch der Ver-gleich mit der "Überwindung" derSchuldenkrise der ärmsten Länder den in-teressantesten Vergleichspunkt mit denheutigen Krisenbekämpfungsmechanis-men.Qualitative Unterschiede zwischen denSchuldenproblemen damals und heute be-stehen darin, dass die Eurozonen-Länder inihrer eigenen Währung verschuldet sind,und dass die Trennung in inländische bzw.in Inlandswährung denominierte Schuldenund Auslandsschulden weniger eindeutigist, was hauptsächlich, aber nicht allein,eine Folge der Gemeinschaftswährung Euroist. Die Bedeutung des Schuldenproblemssowohl für die fiskalische Lebensfähigkeitdes Staates wie auch die Zahlungsbilanz istdagegen durchaus vergleichbar.

2. Was macht das europäische Krisenma-nagement aus?

Mit der Erklärung des griechischen Premier-ministers Papandreou im April 2010 er-reichte die europäische Schuldenkrise denPunkt, an dem die Entwicklungsländer imOktober 1982 waren: Ein bedeutenderSchuldner räumt ein, dass ohne bislangnicht vorgesehene Unterstützung vonaußen der reguläre Schuldendienst in ab-sehbarer Zeit nicht mehr geleistet werdenkann.

Der augenfälligste Unterschied zwischenbeiden Situationen besteht darin, dass inGriechenland eine Zahlungseinstellung andie privaten Gläubiger durch die Mobilisie-rung von Mitteln zunächst vermiedenwurde. Im Fall Mexikos – und zahlreicherweiterer Schwellenländer, welche dem me-

xikanischen Beispiel in den nächsten Mona-ten folgten – wurde eine teilweise Zahlungs-einstellung hingenommen. Allerdingswurden gleichzeitig Mittel aus internationa-len Töpfen mobilisiert, mit deren Hilfe dieFunktionsfähigkeit des Staates und dergrößte Teil der Schuldendienstfähigkeit ge-währleistet und in einigen Ländern die Zah-lungseinstellung auch abgewendet wurde.

Ansonsten zeigen sich in den Reaktionenauf die Zahlungseinstellung zahlreiche Pa-rallelen. Diese manifestierten sich in zweiPhasen:

Phase 1: „Wir tun so, als handele es sichnur um eine Liquiditätskrise.“

Diese Phase dauerte in Lateinamerika vomOktober 1982 bis zum Herbst 1989. Es wur-den ad-hoc für verschiedene Länder Zwi-schenfinanzierungen bereitgestellt, undgehofft, dass die Länder aus ihrer vorüber-gehenden Illiquidität herauswachsen wür-den. In einigen wenigen Ländern, dietatsächlich nur konjunkturell illiquide waren,führte das zum Erfolg. In den meisten nicht.In Griechenland dauerte diese Phase ziem-lich genau ein Jahr. In ihrem Mittelpunktstand das erste Rettungspaket in Höhe von110 Milliarden Euro. Der Privatsektor wurdehöflich gebeten, sein Engagement in Grie-chenland nicht zu reduzieren, was JosefAckermann dem Bundesfinanzminister beieiner Pressekonferenz solidarisch zusagte.3

Anschließend reduzierten Banken und Ver-sicherungen ihr Exposure in Griechenlandum etwa die Hälfte.

Phase 2: „Auch der Privatsektor muss blu-ten.“

1989 wurde der nach dem seinerzeitigenUS-Finanzminister benannte Brady-Planaus der Taufe gehoben. Er sah vor, dassinsbesondere amerikanische Banken undSparkassen ab 1989, also nachdem sieausreichend Zeit bekommen hatten, um un-einbringbare Forderungen abzuschreiben,ihre ursprünglichen Forderungen gegenneue, geringer bewertete, aber durch dasUS-Schatzamt garantierte Brady-Anleihentauschte. Die Abschläge auf den Nennwertlagen je nach Schuldnerland zwischen 10und 70 Prozent. In Griechenland war dieserMoment mit dem EU-Gipfel im Juli 2011 er-reicht, bei dem auf Vorschlag des IIF4 ein„freiwilliger Forderungsverzicht“ in Höhe von21 Prozent des Nennwerts der ursprüngli-

2 Also der ärmsten Staaten, welche späterunter der Heavily Indebted Countries Initiative(HIPC) entlastet wurden. Siehe unten.

3 Die "Vienna Initiative" ist eine freiwillige Ver-abredung zwischen Multilateralen Institutio-nen und dem Privatsektor, in denjenigenosteuropäischen Ländern die durch exzes-sive Liberalisierung ihres Banken-Marktes inSchwierigkeiten geraten waren, schockartigeKapitalabflüsse zu vermeiden. Siehe:http://bit.ly/yNCNDv. Die Initiative hat im Zu-sammenhang mit den Zahlungsschwierigkei-ten einiger osteuropäischer Länder 2009 und2010 recht gut funktioniert, bezog sich aller-dings nur auf einen überschaubaren Kreis vonBanken und Krisenländern. Zu den Unter-schieden zwischen der griechischen und derosteuropäischen Situation siehe: "WienerSackgasse"; FTD 21.6.2011

4 Das Institute of International Finance (IIF)mit Sitz in Washington,D.C. fungiert als einDachverband der großen international agie-renden Geschäftsbanken.

24Schuldenreport 2012

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chen Forderungen ausgesprochen werdensoll.

Auch, wenn dieser Schritt gegenüber demzuvor herrschenden Dogma, den ursprüng-lichen Investoren dürfte keinesfalls ein For-derungsverzicht zugemutet werden, einqualitativer Fortschritt ist: Quantitativ könnteder Prozess für die Banken ein Schnäpp-chen werden. Schließlich liegt der Sekun-därmarktwert griechischer Anleihen seitJahresmitte 2011 bei nur 50 Prozent oderdeutlich darunter.5

Phase 3: „Umfassender Schuldenschnitt istnötig.“

In Lateinamerika hat der Brady-Plan in einerReihe von Ländern die öffentliche Zahlungs-fähigkeit wiederhergestellt. In einigen ärme-ren Ländern des Kontinents sowie in derMehrheit der afrikanischen Länder hatte dieKrisenfinanzierungs-Strategie der erstenPhase allerdings dazu geführt, dass Schul-den bei privaten Gläubigern durch solchebei den Multilateralen Finanzinstitutionen er-setzt wurden.

Angesichts der Unbezahlbarkeit dieserneuen Multilateralen Schulden schufen dieGläubigerregierungen mit der HIPC/MDRI-Initiative zwischen 1996 und 2005 die Mög-lichkeit zu einem umfassenden Schulden-erlass für diese Länder.

In Griechenland steht diese Phase bei Re-daktionsschluss noch bevor: Die Troika-Be-richte machen deutlich, dass ein erheblichgrößerer Schuldenschnitt bei den Privat-gläubigern als 21 Prozent notwendig seinwird. Die Regierungen halten selbst nur ge-ringe direkte Forderungen an Griechenland,sind aber als wichtigste Financiers der Eu-ropäischen Rettungsfazilität EFSF invol-viert. Inwieweit der öffentliche Sektor(Regierungen und internationale Finanzin-stitutionen) nicht nur Garantien und neue Fi-nanzierungen bereitstellt, sondern beieinem Schuldenschnitt auf eigene Forde-rungen verzichten muss, ist (noch) Gegen-stand von Verhandlungen.

Es zeigt sich, dass die politisch Verantwort-lichen – ganz im Sinne des Rogoff/Reinhart„This time is different syndrome“ – die euro-päische Krise bislang als einzigartige oderzumindest erste ihrer Art behandelt haben.Dabei hätten die Europäer aus der (Nicht-)

Bewältigung der Schuldenkrise des Südenseinige sehr nützliche Lehren ziehen können.

3. Die Krisen von 1982 und 2010: Be-schlüsse und Erfahrungen

Krisenfinanzierung statt Krisenüberwindung

Die Strategie der Gläubiger die Solvenz derSchuldnerstaaten künstlich aufrecht zu er-halten hat den letztendlich unvermeidlichenSchuldenschnitt nicht nur hinausgezögert,sondern auch teurer als nötig gemacht, daein wesentlicher Teil der Rettungsfinanzie-rung zwar für Griechenland im Verhältnis zudessen Marktbedingungen zinsgünstig war,aber über den Marktzinssätzen etwa fürDeutschland liegt. Mit dem griechischenSchuldenberg wuchs deshalb logischer-weise auch der Erlassbedarf. Die Entschul-dung der ärmsten Länder hat diesen fatalenWeg vorgezeichnet. So lag zum Beispiel derSchuldenstand der fünf lateinamerikani-schen HIPCs6 1983 nach Ausbruch der Me-xiko-Krise zusammen bei 12,1 MilliardenUS-Dollar. 1996, als die HIPC-Initiative ausder Taufe gehoben, aber nicht alle fünf Län-der sich dafür qualifizieren konnten, bei 18,4Milliarden, also mehr als 50 Prozent höher.1999, als sich vier der fünf Länder unterHIPC-II endlich für einen Schuldenerlassqualifizierten waren es bereits bei 20,3 Mil-liarden US-Dollar. Der gesamte Schulden-erlass unter der HIPC und MDRI-Initiative(einschließlich erlassener Zinszahlungen)belief sich auf 18,2 Milliarden US-Dollar.

Ein schneller Schuldenschnitt im Jahr 1982wäre nicht nur für die betroffenen Schuld-nerländer die günstigere Lösung gewesen.

Sozialisierung von Verlusten

Unter dem Brady-Plan trugen die privatenInvestoren einen (begrenzten) Teil der Kri-senkosten, indem sie Abschläge zwischen10 Prozent und 70 Porzent auf den Nomi-nalwert ihrer Forderungen hinnahmen. Derspäter einsetzende HIPC-Prozess, durchden 40 der ärmsten Länder in den Genusseiner weit reichenden Entschuldung kom-men können, implizierte eine weit gehendeVerschiebung uneintreibbarer privater For-derungen auf die öffentlichen Haushalte:

ein wesentlicher Teil der später zu erlas-senden Schulden entstand überhaupt erst

5 Ausführlicher ist die freiwillige Privatsektor-Beteiligung beschrieben in: "Die (vorläufige)Rettung Griechenlands: Was erreicht wurdeund was nicht." erlassjahr-Fachinfo Nr. 32.

6 Bolivien, Guayana, Haiti, Honduras, Nicara-gua

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durch im Interesse der Exportförderung öf-fentlich verbürgte private Handelsgeschäfteund Kredite;

die unter HIPC und der Nachfolgeinitiativevon 2005, der MDRI, gewährten Schulden-erlasse durch die Multilateralen Finanzinsti-tutionen wurden zu einem großen Teil ausden Entwicklungshilfehaushalten der Ge-berländer refinanziert.

Da die meisten erlassenen bilateralen For-derungen auf verbürgte Handelsgeschäftezurückgingen, erhielten auf diese Weise dieExporteure ihr Geld auf Kosten der Entwick-lungsbudgets.

Diese Sozialisierungs-Prozesse schreitenauch im EU-Zusammenhang rasant voran,da die privaten Gläubiger sich in großem Stiloder in kleinen unauffälligen Schritten ausden Krisenländern zurückziehen, so langediese noch schuldendienstfähig sind. Anihre Stelle treten nun die Mittel aus derEFSF7. Wenn ein Haircut, d.h. eine weit rei-chende Reduzierung der Forderungen anGriechenland, Irland und Portugal unver-meidlich sein wird, wird der Privatsektor inviel geringerem Maße betroffen sein, als eres heute wäre. Vielmehr wird er die derzeitzu zahlenden Zinsen – z.B. bis zu 12 Pro-zent auf die letzte einjährige Portugal-An-leihe – dann kassiert und sich unauffälligverabschiedet haben.

Welche Anreize entstehen durch die Ant-worten auf die Krise?

Die Verschiebung der bereits Ende derachtziger Jahre erkennbaren Staateninsol-venz in den HIPC-Staaten um fast zweiJahrzehnte führte dazu, dass Staaten in derZwischenzeit Kredite aufnahmen, die die Si-tuation eher verschärften, als dass sie dieSchuldentragfähigkeit wieder hergestellthätten.

Nur nach und nach entstand durch dieSchaffung des Debt Sustainability Frame-work8 ein begrenzter Druck auf die Schuld-nerstaaten, von riskanten FinanzierungenAbstand zu nehmen. Kein vergleichbarerDruck wurde je auf die neuen Gläubiger die-ser Länder ausgeübt, so dass (im wahrstenSinne des Wortes) Risiko-Kapitalgeber sichmit zweistelligen Renditen für (nicht injedem Fall ordnungsgemäße) Kredite anLänder entlohnen ließen, die vor einem Zu-gang zum Kapitalmarkt eigentlich zunächst

einen Kapitalschnitt in ihre Altschulden ge-braucht hätten.

Das Mantra der Europäischen Regierun-gen, dass die Kapitalmärkte keinesfallsbeunruhigt werden dürften, erfüllt heute dengleichen (vergeblichen) Zweck: Geldgeberwerden ermutigt, zu eigentlich nicht tragfä-higen Bedingungen Kredite zu vergeben,um aktuelle Löcher in den Haushalten undZahlungsbilanzen der überschuldeten Staa-ten zu stopfen. Diese Neukredite erhöhenlogischerweise den Gesamtschuldenstand.

Das Schuldenproblem wird so eher erhöhtals verringert. Solange die europäischenRegierungen dafür Sorge tragen, dass derInsolvenzfall nicht eintritt, verhelfen sie denprivaten Investoren zu dem besten aller Ge-schäfte: Die von den Investoren erhobenenZinsen sind so hoch, dass sie den Gläubigerfür einen eventuellen Wertverlust entschä-digen. Dieser tritt aber dank der aufgewand-ten öffentlichen Mittel nie ein.9

Was würde passieren, wenn Schulden tat-sächlich reduziert werden müssten?

Wovor die europäischen Entscheidungsträ-ger keinesfalls Angst haben sollten, ist diedurch die Fachpresse geisternde Befürch-tung, dass Länder, die einen Schulden-schnitt erzwingen, sich damit auf Dauer vonden Kapitalmärkten ausschließen. SolcheWeltuntergangs-Szenarien wurden bislangnoch vor jeder der real existierenden Ent-schuldungsinitiative von den Privatgläubi-gern und ihren Interessenvertretern an dieWand gemalt. Dauerhaft eingetreten ist einsolcher Automatismus noch nie. Wo es tat-sächlich zu anhaltenden Schwierigkeitenbeim Kapitalzugang kam, hing dies nicht mitdem Schuldenschnitt als solchem, sondernmit seinen Begleitumständen zusammen:

entweder mit der Tatsache, dass einSchuldnerland so extrem arm war, dass pri-vate Investoren sinnvolle und im Blick aufSchuldentragfähigkeit verantwortbare In-vestitionen dort ohnehin nicht leisten konn-ten; ein Beispiel dafür ist Afghanistan nachseiner HIPC-Entschuldung;

oder den politischen Begleitumständeneiner Zahlungseinstellung, also etwa demkonfrontativen Kurs der argentinischen Re-gierung im Jahr 2001-03.

Die Schuldenreduzierung selbst bewirkt im

7 European Financial Stability Facility = Euro-päische Fazilität für Finanzmarktstabilität

8 Das DSF ist ein technisch kompliziertes Ver-fahren durch welches, abhängig von der Qua-lität der wirtschaftlichen und politischenStrukturen eines Landes ein nicht zu über-schreitender Schuldenstand von Weltbankund IWF errechnet wird. Ausführlich dazusiehe: erlassjahr.de: Schulden müssen trag-bar sein. Düsseldorf 2005.

9 Gänzlich auf die Spitze getrieben wird dieseKonstellation mit den so genannten CreditDefault Swaps. Das sind Quasi-Versiche-rungspolicen, mit denen Anleihekäufer sichgegen den Ausfall der erworbenen staatlichenSchuldverschreibungen versichern können.Da diese CDS von den Emittenten wiederumverbrieft und am Finanzmarkt gehandelt wer-den können, ist für eine öffentliche Aufsichtnicht mehr nachvollziehbar, wer im Fall einerStaatspleite tatsächlich einspringen müsste.Deswegen wurden diese Risiken zu einemder wichtigsten Argumente für die Politik,einen Zahlungsausfall in Griechenland undanderswo keinesfalls zuzulassen. Für die He-rausgeber der CDS ist das Geschäftsmodellperfekt: Man verkauft eine Versicherung, aberder Schadensfall kann nie eintreten, weil maneinen Dritten gefunden hat, der es - ohne dieFolgen wirklich beziffern zu können – nicht da-rauf ankommen lassen kann.

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Regelfall das genaue Gegenteil: ein ent-schuldeter Staat ist logischerweise für jedenKreditgeber attraktiver als einer, der untereinem Berg von Altlasten stöhnt. Die HIPC-Initiative als bisher umfassendste Entschul-dungsinitiative für souveräne Staaten wurdevon Weltbank, Währungsfonds und G8 mitdem expliziten Ziel einer Wiederherstellungder Kapitalmarktfähigkeit auf den Weg ge-bracht. Gute Beispiel dafür sind diejenigenHIPC-Staaten, die nach einer fast vollstän-digen Streichung ihrer Schulden bei priva-ten und öffentlichen Gläubigern dabeiwaren, an den Kapitalmärkten langsam Fußzu fassen, als die globale Finanzkrise ein-setzte. Bespiele dafür sind Ghana, Tansaniaoder Mosambik.

Ansteckung?

Eine zentrale Befürchtung der Politik im Zu-sammenhang mit der Griechenland-Kriseist, dass eine Zahlungseinstellung Grie-chenlands umgehend dazu führen würde,dass andere mögliche Pleitekandidaten inder Eurozone keinen bezahlbaren Zugangzum Kapitalmarkt mehr hätten. Da dieserAnsteckungs-Effekt auf irrationalem Verhal-ten von Markt-Teilnehmern basiert, lässtsich darüber weder positiv noch negativeine verlässliche Vorhersage treffen.

Wer eine Ansteckung befürchtet argumen-tiert damit, dass die Solvenz ohnehin nurnoch künstlich durch die starken Staatender Eurozone aufrecht erhalten werde. In-soweit dies tatsächlich geschieht – mögli-cherweise befindet sich Irland mitakzeptablen Konjunkturdaten gerade aufdem Weg aus dieser Konstellation heraus –ist die Befürchtung nachvollziehbar. Wird siefür die Politik handlungsleitend, ist sie aller-dings insofern fatal, als sie nahelegt, dasses zu dem Schrecken ohne Ende (also dieanhaltende Erpressbarkeit der öffentlichenHaushalte) nicht einmal mehr die Alternativedes Endes mit Schrecken geben kann.

4. Was man mit 700 Milliarden Euro Besse-res tun könnte

Die Kosten des Europäischen Rettungspa-kets sind enorm, und jenseits der nun erstmal zur Verfügung gestellten Summe nochgar nicht abzusehen.

Da stellt sich die Frage, ob die enormen Mit-tel nicht auch besser hätten verwendet wer-

den können? Denn im Grundsatz gilt, dassbei einem (privaten) Insolvenzverfahrenmöglichst wenig Mittel in die (ohnehin aus-sichtslose) Bedienung von Altforderungenfließen, und möglichst viel für die Finanzie-rung eines Neuanfangs zur Verfügung ste-hen soll. In diesem Sinne sollten diegleichen öffentlichen Mittel für die Überbrü-ckung einer Finanzierungslücke nach einemHaircut zur Verfügung gestellt werden. Dennes wird zumindest eine Übergangsphasegeben, in der die Griechen finanzielle Hilfenbenötigen werden. Aber für den Neuanfang,und nicht für ein Fass ohne Boden. Dieswiederum setzt natürlich voraus, dass eineRestrukturierung in einem fairen und trans-parenten Verfahren ausgehandelt wird.Weder darf es zu einer Überforderung derbetroffenen Schuldner-Staaten durch dieGläubiger kommen10, noch zu einer unfairenBenachteiligung einzelner Gläubiger, indemdiese von den Verhandlungen ausgeschlos-sen werden oder ein Ergebnis akzeptierenmüssen, dass sie objektiv in ihrer Existenzbedroht.

Um die Überforderung des Schuldners aus-zuschließen, darf eine Entscheidung nichtallein von den Gläubigern getroffen werden– wie es die Praxis des Pariser Clubs ist.Dieser hat den ärmsten Ländern in Afrikaseit 1989 gegen die Umsetzung drastischerund ökonomisch kontraproduktiver Struktur-anpassungsprogramme stets unzurei-chende Schuldenerleichterungen gewährt,bevor es nach 1999 zur (nahezu) vollstän-digen Streichung aller Altforderungen unterden "Cologne Terms" kam.

Hätte ein neutraler und kompetenter Gut-achter einem neutralen Schiedsrichter zu-gearbeitet, wäre die nach 1999 gewährteErleichterung deutlich eher gekommen. Ein"verlorenes Entwicklungsjahrzehnt" wäreAfrika mit hoher Wahrscheinlichkeit erspartgeblieben. Um solchen drastischen Struk-turanpassungen zu entgehen, hat Argenti-nien zu Beginn der letzten Dekade eineSchuldenerleichterung von seinen Privat-gläubigern erzwungen. Dabei gelang esdem Land tatsächlich, eine Rezession zuvermeiden, aber der eingeschränkte Zu-gang zu den Kapitalmärkten aufgrund derunvollständigen Entschuldung wirkte wieeine anhaltende Bremse für eine Volkswirt-schaft, die ansonsten ein hohes Wachs-tumspotenzial aufwies. Dieser Effekt wäreim Interesse beider Seiten damals vermeid-bar gewesen, wenn denn bereits im Jahr2001 ein faires Regelungsverfahren zur Ver-fügung gestanden hätte.

10 Es mehren sich die Anzeichen, dass diedramatischen Einsparungen in Griechenlandsöffentlichen Budgets den Punkt erreichthaben, bei dem die negativen Auswirkungenauf die Volkswirtschaft die positiven Einspa-rungseffekte übersteigen. Die griechischeÖkonomie wird nach Einschätzung des IWF2011 um 5,5% schrumpfen; langsame Besse-rungen werden vom IWF für 2012 in Aussichtgestellt, aber die Grundlage dafür wird auchvom IWF selbst als höchst fragwürdig einge-schätzt. Siehe: IMF: Greece: Fourth Reviewunder the Stand-by Arrangement; July 4th2011. Zudem ist es höchst zweifelhaft, dassdas ambitionierte Privatisierungs-Programmunter Ausverkaufs-Bedingungen am Markt dieerhofften bis zu 50 Mrd. € in den nächsten vierJahren einbringen kann.

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1 Siehe die einzelnen Mitgliedsstaaten unter:http://bit.ly/xrMvB1. Weitere Informationen zurArbeit und Bedingungen im Rahmen der Ent-wicklungszusammenarbeit der DAC, siehe:http://bit.ly/yR3aLq

2 Siehe zu den Eigenarten und Modalitätender Entwicklungsfinanzierung dieser Staaten-gruppe die Studie: Nkunde Mwase (2011):Determinants of Development FinancingFlows from Brazil, Russia, India, and China toLow-Income Countries, Working PaperWP/11/255, IMF, http://bit.ly/A6Es2Y

3 Vgl. Julie Walz und Vijaya Ramachandran(2010): Brave New World: A Literature Reviewof Emerging Donors and the Changing Natureof Foreign Assistance, Working Paper 273,Center for Global Development, S. 1 und 7.http://bit.ly/wOufFm

4 Ebd. St. 9.

5 Im Rahmen dieses Formats ist es leidernicht möglich, über eine exemplarische Dar-stellung einzelner Länder hinauszugehen. DaChina, Saudi-Arabien und Indien Schätzun-gen zufolge mit zu den größten Non-DAC-Gebern zählen, wurden sie in diesem Artikelfavorisiert.

6 Siehe ausführlichere Details dazu in Walzund Ramachandran: Brave New World: A Li-terature Review of Emerging Donors and theChanging Nature of Foreign Assistance, S. 6.

28Schuldenreport 2012

Ein Bündnis, das versucht nachhaltigeStrukturen für eine tragfähige Lösung vonStaatsüberschuldung zu schaffen, hat not-gedrungen mit den so genannten „neuenGebern“ zu tun. So beleben aufstrebendeWirtschaftsmächte wie Brasilien und Indien,die Volksrepublik China und die ölreichenGolfstaaten, zu denen Saudi-Arabien zählt,die Bildfläche. Sie verändern nicht nur dasMachtgefüge im internationalen Politikdialogoder das internationale Finanzsystem durchihre „Mitgestaltungsrechte“ im G20-Forum.Eine große Dynamik entsteht beim Engage-ment der neuen Geber in den so genanntenEntwicklungsländern. Dabei fällt eine ein-deutige Definition der Gruppe der „neuen“Geber aus unterschiedlichen Gründenschwer. Im Normalfall werden diejenigenStaaten als neue Geberländer bezeichnet,die bisher nicht im „Development AssistanceCommitee“1 (DAC) des Entwicklungsaus-schusses der Organisation für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwicklung(OECD) als Geberstaaten vertreten waren.Diese recht simple Einteilung wird aber derwachsenden Bedeutung und der Verschie-denartigkeit dieser Staaten nicht gerecht.Viele von ihnen leisten schon seit Jahrzehn-ten Entwicklungshilfe, jedoch bewusst au-ßerhalb des DAC, um von dessen Regelnunabhängig zu sein. Als neue Geber kön-nen dabei die wirtschaftlich stark aufstre-benden Staaten (z.B. die sogenanntenBRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien,China und seit kurzem auch Südafrika2) ge-meint sein, sowie die Geber der arabischenWelt oder kleinere Länder, die sich der Süd-

Süd-Kooperation verschrieben haben, wiez.B. Venezuela. In vielen Fällen habendiese Länder gemeinsam, dass sie selbstnoch einen hohen Bedarf an Investitionen inArmutsbekämpfung haben und in nennens-wertem Umfang selbst Entwicklungsmittelerhalten3. Unterscheidungen lassen sich aufmehrerlei Weise aufstellen, so zum Beispielhinsichtlich der Vergabemodalitäten oderder Rolle in der globalen Weltwirtschaft und-politik4. In diesem Artikel soll im Rahmendes begrenzten Formats exemplarisch dieForm des Engagements und die Implikatio-nen für die Verschuldung der sogenanntenEntwicklungsländer anhand der drei G20-Mitglieder China, Indien und Saudi-Arabiennäher betrachtet werden.5

Aktivitäten in der Entwicklungskooperation

Die bewusste Geberaktivität außerhalb desOECD-DAC hat zur Folge, dass nur wenigüber die genaue Vergabe und Volumina derbereitgestellten Finanzmittel bekannt ist6.Laut Schätzungen der OECD zählen China,Indien und Saudi-Arabien mit zu den be-deutsamsten neuen Gebern.

Gemeinsam ist den meisten neuen Geberneine Vermischung von traditioneller Ent-wicklungszusammenarbeit mit einer Koope-ration der Wrtschaft bzw. eigenerWirtschaftsförderung. Daher erstreckt sichdie Süd-Süd-Zusammenarbeit in jeglichen

Entwicklungszusammenarbeit und eigene Wirtschaftsförderung - eine neue Überschuldungswelle durch neue Geber?

Von Kristina Rehbein undFrank Mischo

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Page 33: Schuldenreport 2012

denkbaren Bereichen: im Bereich des Han-dels, der Darlehensvergabe durch niedrigverzinste und im geringeren Umfang hochverzinste Kredite, Schuldenerlasse, Kata-strophen- und Wiederaufbauhilfe, nichtrück-zahlbare Zuschüsse vor allem für sozialeProjekte wie Schulen oder Krankenhäuserund technische Zusammenarbeit8.

Laut einem Forschungsbericht der österrei-chischen Forschungsstiftung für internatio-nale Entwicklung ist dabei die Geberaktivitätvor allem mit eigenen außenwirtschaftlichenEigeninteressen verknüpft9. Damit nähernsich die neuen Geber traditionellen Musternder Entwicklungshilfe an, wobei die Tendenzdazu auch in westlichen Ländern wieder zu-nimmt, wie z.B. die Ausführungen von IreneKnoke zu Rohstoffabkommen mit umstritte-nen Ländern wie Kasachstan oder Nigeriaab Seite 12 zeigen.

Saudi-Arabien

Saudi-Arabien ist ein Vorreiter hinsichtlichder Höhe der Mittel: so übersteigen die Leis-tungen im Durchschnitt deutlich die Entwick-lungmittel von vielen DAC-Ländern.Saudi-Arabien leistete im Jahr 2008 1,3Prozent seines BNE an Entwicklungszu-sammenarbeit10. Im Durchschnitt erreichteSaudi-Arabien im Zeitraum 2000 bis 2008das offiziell festgesetzte ODA-Ziel von 0,7Prozent des BNE - eine Leistung, die kaumein westliches DAC-Mitglied erreicht.

Da jedoch zum Beispiel Leistungen an zivil-gesellschaftliche Organisation traditionellnicht aufgezeichnet werden, könnten inRealität noch mehr Gelder ausgegebenwerden11. Saudi-Arabien vergibt sowohl di-rekte bilaterale Unterstützung (die jedoch ankeinerlei internationale Rahmenbedingun-gen gebunden ist12) als auch multilateraleGelder, z.B. über die Mitgliedschaft in der

Weltbank. So zählt Saudi-Arabien auch alsein wichtiger Kapitalgeber von multilateralenEntwicklungsbanken, wie der IslamischenEntwicklungsbank. Saudi-Arabien vergibtvor allem niedrig verzinste Kredite13 undleistet häufig Katastrophen- und Wiederauf-bauhilfe in Krisengebieten.14

Das wichtigste Finanzierungsinstrument istder „Saudi Fund for Development“, der nied-rig verzinste Kredite an Entwicklungsländervergibt, aber auch Exportkredite stellt, z.B.an Länder wie Ägypten, Sudan oder Tune-sien.15

So führte der Fund im Jahre 1999 das Zielder Exportförderung in seine Statuten ein.Seit 2001 wurde die Vergabe von Exportkre-diten ausgebaut, allerdings ist die Gesamt-vergabe Ende 2009 noch recht gering:insgesamt 123 Vereinbarungen wurden un-terzeichnet, umgerechnet 1 Milliarde Eurowurde vergeben (4975 Millionen SaudiRiyal)16.

Im Jahr 2009 etwa, wurden Exportkreditefür Lieferungen von saudiarabischen Gütern(unter anderem landwirtschaftliche und in-dustrielle Maschinerie, Gerätschaften fürBewässerungsanlagen, Eisenkonstruktio-nen, Düngemittel17) in den Sudan, die Tür-kei, Pakistan, Ägypten, Jordanien undÄthiopien bewilligt, wobei der Sudan undÄgypten als Hauptzielländer aufgeführt wer-den.

Diese Auswahl hängt auch mit der nötigenOrientierung des Ölstaates auf andere Wirt-schaftszweige zusammen und damit alsomit dem Zwang, an einer Verbreiterung derauf Öl und Öl-Renten konzentrierten Wirt-schaft zu arbeiten. Inwieweit Saudi-Arabienaußerhalb des “Saudi Fund for Develop-ment” Exportkredite an Entwicklungsländervergibt, ist schwer zu ermitteln, denn Saudi-

7 Vgl. ebd. S. 67. Die Daten beziehen sich aufden Zeitraum 2009, bzw. möglicherweise aufden aktuellsten Zeitraum der zu bestimmenwar, der jedoch von den Autoren nicht näherspezifiziert ist.

8 Vgl. Chahoud, Tatjana (2008): Serie Ent-wicklungsfinanzierung: Neue Geber in derEntwicklungskooperation, Deutsches Institutfür Entwicklungspolitik, einzusehen unter:http://bit.ly/zjPx2I.

9 Vgl. Clemens Six und Karin Küblböck(2009): Neue Geber- Perspektiven für die(österreichische) Entwicklungspolitik, ÖFSE-Working Paper 23, online unter:http://bit.ly/wnCZB1, S. 9.

10 Vgl. The World Bank (2010): Arab Develop-ment Assistance – Four Decades of Coopera-tion, einzusehen unter: http://bit.ly/xRiuQm, S.67.

11 Vgl. Smith, Kimberly, Yamashira Forder-lone, Talita und Zimmermann, Felix (2010):Beyond the DAC – the welcome role of otherproviders of development cooperation, OECDDevelopment Co-operation Directorate, onlineeinzusehen unter: http://bit.ly/AEdseb.

12 Vgl. The World Bank (2010): Arab Develop-ment Assistance – Four Decades of Coopera-tion, einzusehen unter: http://bit.ly/xRiuQm,Fußnote 24.

13 Ebd., S. 37

14 So leistete Saudi-Arabien einen der größ-ten Beiträge zum „Haiti Emergency ResponseFund“ im Jahr 2010 und vergab im Jahr 2008eine Summe von ca. 727 Millionen US Dollaran humanitären Hilfsgeldern. Vgl.http://bit.ly/xlqBO1

15 Vgl. http://www.sfd.gov.sa

16 Vgl. http://bit.ly/A7u1Cq

17 Vgl. http://bit.ly/zaEfrC

29 Schuldenreport 2012

Tabelle 1 - Schätzungen zur jährlichen Entwicklungszusammenarbeit der Nicht-DAC-Geber China, Indien und Saudi-Arabien7

LandSchätzung

(in Mrd US-Dollar)Schätzungen in % des

Bruttonationaleinkommen

China 1,5 bis 25 Milliarden 0,04 bis 0,71

Saudi-Arabien 3,1 Milliarden 0,82

Indien 0,4 bis 2,1 Milliarden 0,04 bis 0,16

Page 34: Schuldenreport 2012

Arabien besitzt keine Export-Import-Bankwie China oder Indien zur Abwicklung der fi-nanziellen Zusammenarbeit.

Insgesamt flossen Gelder des Fonds imZeitraum 1975 – 2010 zu 30 Prozent inTransportinfrastruktur, dabei bevorzugt z.B.in den Ausbau von Straßen und Eisenbahn-netzen, zu 20 Prozent in den Energiesektorund zu 25 Prozent in den Infrastrukturaus-bau in sozialen Sektoren, also u.a. in denBau von Krankenhäusern und die Ausstat-tung von Schulen18. Auch wenn der „SaudiFund for Development“ erfreulich transpa-rent hinsichtlich seiner aktuellen Finanzie-rungen arbeitet, so finden sich in englischerSprache kaum konkrete Angaben zu denKreditkonditionen des Fonds.

Für Saudi-Arabien spielt vor allem die in-nere und äußere Sicherheit eine bedeu-tende Rolle bei der Kreditvergabe. Daher istdie Auswahl der Partnerländer, die saudi-sche Entwicklungshilfe erhalten und zueinem großen Teil muslimische Länder um-fassen19, nicht nur kulturell-religiösen oderSolidaritätsgefühlen geschuldet.

Vielmehr bestimmen vor allem politische In-teressen die meist regional fokussierte Ent-wicklungszusammenarbeit. So kannEntwicklungszusammenarbeit als Instru-ment zur Wahrung der regionalen Stabilitätdurch die Sicherung von Loyalität und damitauch als Unterstützung für die nationale Si-cherheit dienen. Weiter zeigen die bevor-zugten Bereiche der Investitionen, aberauch die politische Agenda von Saudi-Ara-bien bei der Teilnahme an den letzten G20-Treffen, dass Nahrungsmittelsicherung undalternative Energiequellen vorrangige Inte-ressen des weitgehend unfruchtbaren Lan-des darstellen20.

China

China leistet bereits seit 1950 auf unter-schiedliche Weise Entwicklungszusammen-arbeit, meist im Rahmen von bilateralenBeziehungen und selten durch multilateraleKanäle21. Laut eines Forschungsberichtsdes Center for Global Development ist dieZurückhaltung, multilaterale Beiträge zuleisten - unter anderem - auch der Abnei-gung geschuldet, sich westlich dominiertenInstitutionen untezurordnen. China stellt fastausschließlich Projektfinanzierungen, je-doch keine Budgetfinanzierung, welche vorallem westliche Geber favorisieren22.

Nach Regierungsaussagen leistete Chinabis Ende 2009 Entwicklungshilfe in Höhevon 38,8 Milliarden US-Dollar23 (256,29 Mil-liarden Renminbi Yuan), worunter die Re-gierung Schenkungen, zinsfreie und niedrigverzinste Kredite zählt. Die Konditionen derniedrig verzinsten Kreditvergabe variierenvon Land zu Land: Zinsraten können zwi-schen 1 bis 6 Prozent liegen, tilgungsfreieZeiträume zwischen 2 und 10 Jahren, Lauf-zeiten von 5 bis 25 Jahren24, ganz unabhän-gig davon, wie hoch die Wirtschaftsleistungeines Landes25 oder wie hoch es verschul-det ist. Schenkungen werden z.B. für denBau von Krankenhäusern oder Schulen, Ka-tastrophenhilfe und im Rahmen der techni-schen Zusammenarbeit geleistet.

In geringem Umfang vergibt China auchhoch verzinste Kredite an Entwicklungslän-der26, die das Land jedoch in seiner Veröf-fentlichung zur Entwicklungshilfe unerwähntlässt, auch wenn die Gelder für ähnlichebzw. identische Projektinvestitionen, wie beiniedrig verzinsten Krediten definiert, verge-ben werden27. Hauptfokus sind meist Infra-strukturinvestitionen. So weist Mosambikzum Beispiel einen hohen Finanzierungsbe-darf hinsichtlich Infrastrukturinvestitionenauf und hat erst kürzlich ein chinesischesDarlehen zur Modernisierung eines Flugha-fens im Umfang von 66 Millionen US Dollarerhalten. Das Darlehen hat bloß ein Schen-kungselement von 31 Prozent.

Als Mindesthöhe bei einem niedrig verzins-ten Kredit gilt im Rahmenwerk für Schulden-tragfähigkeit des InternationalenWährungsfonds ein Schenkungselementvon 35 Prozent. Kredite dieser Art werdenfast vollständig über die chinesische Export-Import-Bank (EXIM) abgewickelt. Eine wei-tere Form der Beteiligung Chinas sindSchuldenerlasse: so erließ China in denJahren 2000 und 2001 31 Ländern eineSumme von insgesamt 1,4 Milliarden US-Dollar28. Insgesamt hat die chinesische Re-gierung laut eigenen Aussagen bis Ende2009 50 Ländern einen Schuldenerlass imUmfang von insgesamt 25,58 MilliardenRenminbi Yuan (chinesische Währung)29,was ca. 3 Milliarden Euro entspricht, ge-währt oder zugesagt.

Zentrales Interesse der chinesischen Regie-rung ist es, wichtige Wirtschaftspartner undAbnehmer der eigenen Produkte zu gewin-nen30. Dies spiegelt sich auch in der Äuße-rung der chinesischen Regierung wider,dass die chinesische Entwicklungshilfe ge-meinsame Entwicklung und beidseitiger

18 Ebd.

19 Vgl. www.sfd.gov.sa oder ONE: The DataReport 2010: Kuwait, Saudi Arabia and theUAE, online einzusehen unter:http://bit.ly/xTBDtS

20 Nicht zuletzt erkennbar an der signifikantenAusbreitung des Handels zwischen afrikani-schen Staaten und Saudi-Arabien: so plantdie saudische Investmentfirma Foras mehr als1 Milliarde Euro in Ländern zu investieren, dieReis anbauen, wie z.B. Mali, Senegal, Sudanund Uganda. Auch sind diese Länder bei derVergabe von Mitteln des „Saudi Fund for De-velopment“ Fokusländer. Ebd. Außerdem:GRAIN (2010): Saudi investors poised to takecontrol of rice production in Senegal and Mali?http://bit.ly/wmFYL2

21 Vgl. White Paper: China’s foreign aid, inChina Daily vom 22.04.2011, verfügbar unter:http://bit.ly/zye5q9.

22 Vgl. Martin Dahle Huse und Stephen L.Muyakwa (2008): China in Africa: lending, po-licy space and governance, Norwegian Cam-paign for Debt Cancellation and NorwegianCouncil for Africa. S. 12.

23 Vgl. Walz und Ramachandran: Brave NewWorld: A Literature Review of Emerging Do-nors and the Changing Nature of Foreign As-sistance, S. 19.

24 Vgl. Jonas Bunte (2009): Bühne frei fürneue Kreditgeber: Chinas Engagement inAfrika, erlassjahr.de, Schuldenreport 2009, S.37.

25 Vgl. Vivien Foster, William Butterfield,Chuan Chen und Nataliya Pushak (2008):Building Bridges: China's Growing Role as In-frastructure Financier for Africa, Washington:The World Bank and Public-Private Infra-structure Advisory Facility, S. 47.

26 Für einen umfassenden Überblick vgl.Jonas Bunte (2009): Bühne frei für neue Kre-ditgeber:

27 Vgl. White Paper: China’s foreign aid,China Daily vom 22.04.2011, verfügbar unter:http://bit.ly/AsIvss.

28 Vgl. Jonas Bunte (2009): Bühne frei fürneue Kreditgeber, S. 38.

29 Vgl. White Paper: China’s foreign aid,China Daily vom 22.04.2011, verfügbar unter:http://bit.ly/xq8UmY.

30 Vgl. Christopher Burke, Lucy Corkin, Nas-tasya Tay (2007): China’s Engagement ofAfrica: Preliminary Scoping of African casestudies. Angola, Ethiopia, Gabon, SouthAfrica, Zambia, Centre for Chinese Studies,Stellenbosch.

30Schuldenreport 2012

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Vorteil bedeuten soll31. Ein Indikator dafür istz.B. die Entwicklung des Handels zwischenChina und afrikanischen Ländern: Von Be-ginn bis Mitte des Jahrtausends stiegen afri-kanische Exporte an China um über 40Prozent, wobei 85 Prozent der Gesamtex-porte Afrikas an China aus der Region Sub-sahara stammen (hauptsächlich Öl undmineralische Rohstoffe); afrikanische Im-porte aus China vervierfachten sich (haupt-sächlich Maschinen, industriegefertigteGüter)32.

In diesem Kontext verweist diese Entwick-lung auch auf ein Merkmal von Chinas In-vestitionen: in etwa 40 Prozent derProjektförderungen werden vollständigeProjektpakete geschnürt, die weit über diereine Finanzierung hinausgehen33 Sie bin-den die Bereitstellung von Finanzmitteln anMateriallieferungen aus der VolksrepublikChina und beinhalten außerdem die Durch-führung von Vorstudien und Konstruktiondes Projektes sowie die Beteiligung chine-sischer Auftraggeber an der eigentlichenDurchführung des Projektes34. Positiv ist,dass so die Umsetzung des jeweiligen Pro-jektes garantiert ist und Finanzmittel nichtzweckentfremdet werden. Der Nachteil istjedoch, dass durch diese Praxis möglicher-weise lokale Produktionsstrukturen ver-drängt bzw. nicht gestärkt werden.

Obwohl die chinesische Regierung keinepolitischen Konditionen an die Vergabe bin-det und das Erwirken politischer Privilegiendurch die Entwicklungszusammenarbeitverneint35, scheint es, als würde die chine-sische Regierung durch den Einsatz chine-sischer Arbeiter in Empfängerländern zur„Armutsbekämpfung“ in China beitragen36.

Lokale Arbeitsplätze in den Empfängerlän-dern werden dadurch in nur geringem Maßegeschaffen. Eine umstrittene Praxis in die-sem Zusammenhang ist es, sich die Rück-zahlung der Kredite im Falle nichtausreichender „Kreditwürdigkeit“ des (roh-stoffreichen) Empfängerlandes durch Roh-stofflieferungen absichern zu lassen. EinBeispiel ist Angola, welches zu den wich-tigsten Zielländern Chinas zählt. Das Landerhielt ein Darlehen für den infrastrukturel-len Wiederaufbau im Umfang von 4,5 Milli-arden US-Dollar. Dabei war dieProjektdurchführung an die Lieferung derAusrüstungsgüter, Materialien, Technolo-gien und Dienstleistungen aus China ge-bunden. Das Darlehen sollte durchÖllieferungen zurückgezahlt werden37.Diese Paketprojekte bzw. Finanzierungsme-

chanismen bezeichnet man als das „Ango-lanische Modell“38. Es beschreibt die Bereit-stellung niedrig verzinster Kredite Chinas anafrikanische Länder auf der Basis von Roh-stofflieferungen bzw. Garantien im Falle vonNichtzahlung. Jonas Bunte identifizierte al-lein im Zeitraum 2001-2007 acht solcherProjekte39, was die große Bedeutung vonKriterien wie Rohstoffreichtum und strategi-sche Position in der Region für die chinesi-sche Geberaktivität belegt.

Wie stark sich wirtschaftliche und strategi-sche Eigeninteressen mit Entwicklungsko-operation vermischen, zeigt sich auch ander Wahl der Partnerländer: vergibt ChinaEntwicklungshilfe an fast alle afrikanischenEntwicklungsländer40, beschränken sich Ak-tivitäten im Bereich Infrastrukturinvestitionvor allem auf einige wenige, ressourcenrei-che Länder, wie z.B. Angola, Nigeria,Sudan, Äthiopien und Sambia41. Mit diesemVorgehen sichert sich das rasant wach-sende China Partnerschaften und Loyalitä-ten vor allem bei rohstoffreichen Ländern,um den eigenen steigenden Energie- undRohstoffbedarf zu sichern.42

Indien

Von Indien werden im Rahmen des IndianDevelopment and Economic AssistanceScheme (IDEAS) in großem Umfang niedrigund hoch verzinste Kredite an Entwick-lungsländer vergeben. Wichtigstes Instru-ment ist dabei die Export-Import-Bank. EinEntwicklungsministerium gibt es nicht,zudem favorisiert Indien genau wie China fi-nanzielle Unterstützungen im Rahmen vonbilateralen Partnerschaften und nicht durchmultilaterale Entwicklungsbanken43.

Die Höhe der Zinsen bestimmt sich nachder wirtschaftlichen Klassifikation des jewei-ligen Landes und beträgt zwischen 1,75Prozent und dem Londoner Referenzzins-satz im Interbankengeschäft (LIBOR) plus0,5 Prozent pro Jahr44. Die „London Inter-bank Offered Rate“ ist dabei ein täglich fest-gelegter Referenzzinssatz. Es handelt sichum Sätze, zu denen die international tätigenBanken am Markt Gelder von anderen Ban-ken aufnehmen. Daher kann der Zinssatzstark variieren. Laut Angaben der EXIM-Bank hat Indien mit Stand vom 31. März2011 138 Kredite an 72 Länder in Afrika,Asien, Lateinamerika und Europa mit einemKreditvolumen von insgesamt 6,7 MilliardenUS-Dollar vergeben45. Zu den größten Kre-ditnehmern zählen derzeit beispielsweise

31 Vgl. die Aussage der chinesischen Regie-rung: „Adhering to equality, mutual benefit andcommon development. China maintains thatforeign aid is mutual help between developingcountries, focuses on practical effects, accom-modates recipient countries' interests, andstrives to promote friendly bilateral relationsand mutual benefit through economic andtechnical cooperation with other developingcountries.“ White Paper, http://bit.ly/xxJnV8.

32 Vgl. Jian-Je Wang (2007): What DrivesChina's Growing Role in Africa? IMF WorkingPaper WP/07/211, African Department des In-ternationalen Währungsfonds, S. 5.

33 Vgl. White Paper: China’s foreign aid,China Daily vom 22.04.2011, verfügbar unter:http://bit.ly/AsIvss.

34 Vgl. ebd. und Sebastian Paulo und HelmutReisen: Neue Geber, überholte Struktur, E+Z,einzusehen unter: http://bit.ly/wT8dpu.

35 Vgl. White Paper: China’s foreign aid,China Daily vom 22.04.2011, verfügbar unter:http://bit.ly/AsIvss.

36 Jian-Je Wang findet heraus, dass Firmender öffentlichen Hand hauptsächlich eigeneArbeitskräfte für die Umsetzung der Projekte„mitliefert“. Vgl. Jian-Je Wang (2007): WhatDrives China's Growing Role in Africa? IMFWorking Paper WP/07/211, S.19.

37 AFRODAD: Chinese Development Assis-tance in Angola, AFRODAD Fact Sheet, on-line einzusehen unter: http://bit.ly/ykLkAp

38 Es ist schwierig, für diese Form von Kredit-vergabe Finanzierungsbedinungen auszuma-chen, da Kreditbedingungen an den vorherausgehandelten Rohstoffpreis geknüpft sind.Vgl. Vivien Foster et.al. (2008): BuildingBridges: China's Growing Role as Infra-structure Financier for Africa, Washington:The World Bank and Public-Private Infra-structure Advisory Facility.

39 Bunte, Jonas: Bühne frei für neue Kredit-geber (2009) S. 39.

40 Vgl. ebd. Eine gute Übersicht über Zielsek-toren und Länder bietet Van de Looy, Judith(2006): Africa and China: A Strategic Partner-ship? http://bit.ly/xZaWwU, S. 10 ff.

41 Vgl. Six, Küblböck: NEUE GEBER, onlineunter: http://bit.ly/wnCZB1

42 Guinea-Bissau, welches unerschlossenesÖl besitzen und reich an Holz- und Fischvor-kommen sein soll, erhielt beispielsweise ver-schiedene prestigeträchtige Geschenke, wieden Bau eines Präsidentenhauses und einesStadions. Vgl. IMF (2011): Guinea-Bissau: Se-cond Review Under the Three-Year Arrange-ment Under the Extended Credit Facility andFinancing Assurances Review, S. 7, einzuse-hen unter: http://bit.ly/xrUw33

43 Walz und Ramachandran: Brave NewWorld: A Literature Review of Emerging Do-nors and the Changing Nature of Foreign As-sistance, S. 19.

44 Bei der Vergabe unterscheidet Indien zwi-schen HIPCs nach Definition der Weltbankmit einer Zinsrate von 1,75 %, Low IncomeCountries & Least Developed Countries miteiner Zinsrate von 2 % sowie Middle IncomeCountries mit einer Zinsrate von LIBOR plus0.5 % p.a. nach Definition des Hohen Beauf-tragten für die am wenigsten entwickeltenLänder, Binnenentwicklungsländer und klei-nen Inselstaaten.

45 Vgl. EXIM Bank, Annual Report 2010, S. 3,http://bit.ly/A1nPWe

31 Schuldenreport 2012

Page 36: Schuldenreport 2012

Bangladesh, der Sudan und die Demokrati-sche Republik Kongo46. Durch die starkeFörderung von direkten Nachbarländernspielen bei der Auswahl der Partnerländerwirtschaftliche und politische Faktorensowie regionale Beziehungen eine Rolle.

Doch auch bei der Indischen Entwicklungs-zusammenarbeit stehen häufig Wirtschafts-interessen im Vordergrund. So ist in denBedingungen für die Kreditvergabe festge-legt, dass Kreditnehmer Waren und Dienst-leistungen im Wert von mindestens 75Prozent der Kreditsumme aus Indien bezie-hen müssen47. Auch Indien fokussiert dabeineben direkten Nachbarländern eher res-sourcenreiche Länder, so zum BeispielSudan und Nigeria48, die jedoch meistschlechtere Kreditkonditionen als ressour-cenarme Länder mit einer guten Regie-rungsführung erhalten49. Die Kreditvergabeläuft dabei unabhängig von der politischenStabilität, der Höhe der Verschuldung undSchuldentragfähigkeit des Landes.

Prominentes Beispiel ist die geplante Kre-ditaufnahme der staatlichen Elektrizitätsge-sellschaft Burundis bei der indischenEXIM-Bank in Höhe von 80 Millionen US-Dollar für den Ausbau eines Staudamms. ImVergleich zu sonstigen Kreditvereinbarun-gen für Hochrisikoländer wie Burundi weistder Kredit ein nur geringes Schenkungsele-ment auf50. Der Kredit erhöht den Schulden-

stand des Landes beinahe um ein Drittelund es liegen keinerlei Voruntersuchungenzum Einfluss der Kreditaufnahme auf die all-gemeine Rückzahlungsfähigkeit des Lan-des vor. Burundi ist bereits heute erneut einLand mit einem hohen Überschuldungsri-siko, obwohl es erst im Jahr 2009 entschul-det wurde.

Technische Zusammenarbeit ist ein weitererSchwerpunkt der indischen Entwicklungszu-sammenarbeit. Im Rahmen der technischenZusammenarbeit gehören das Technicaland Economic Cooperation (ITEC) Pro-gramm und das Aid to African countriesthrough Special Commonwealth AssistanceProgramme for Africa (SCAAP) zu den zen-tralen Programmen51. Indien legt seinenSchwerpunkt dabei vor allem auf asiatischeStaaten. So hat Bhutan im Jahr 2010/201159 Prozent des gesamten indischen Ent-wicklungshilfebudgets in der technischenZusammenarbeit erhalten, gefolgt von Af-ghanistan mit 10,6 Prozent und Nepal mit5,1 Prozent.52

Implikationen für Schuldentragfähigkeit

Die Geberaktivitäten Indiens, Chinas undSaudi-Arabiens zeigen, dass neue Geberkommerziellen Kriterien und der eigenenAußenwirtschaftsförderung ein großes Ge-wicht bei der Kreditvergabe beimessen53,

46 Vgl. EXIM Bank India, Operative Lines ofCredit as on Sep’ 08, 2011, http://bit.ly/zSGjq4

47 Government of India, Ministry of Finance,Department of Economic Affairs: Terms andConditions and Procedure to be adopted in re-spect of Government of India (GOI) SupportedExim Bank Lines of Credit (LoC’s),F.No.21/6/2008-CIE-II, http://bit.ly/w2qF3V

48 Vgl. Vivien Foster, William Butterfield,Chuan Chen und Nataliya Pushak (2008):Building Bridges: China's Growing Role as In-frastructure Financier for Africa, Washington:The World Bank and Public-Private Infra-structure Advisory Facility, S. 51.

49 Nkunde Mwase (2011): Determinants ofDevelopment Financing Flows from Brazil,Russia, India, and China to Low-IncomeCountries, S. 7 und 13.

50 Burundi darf Kredite nur mit einem Schen-kungselement von mindestens 50 % aufneh-men. Für dieses Projekt macht der IWFallerdings eine Ausnahme, auch wenn die Be-gründungen dafür eher wenig nachvollziehbarsind. Vgl. dazu Kaiser, Jürgen (2011): Bu-rundi: Der Internationale Währungsfondsnimmt den Fuß von der Schuldenbremse, er-lassjahr.de Hintergrund, http://bit.ly/yU1iWv.

51 Das ITEC-Programm existiert seit 1964und umfasst eine große Vielfalt an Trainings-programmen, die in mittlerweile 159 Partner-ländern durchgeführt werden. Zwischen 2010und 2011 nahmen rund 5500 Personen anden Workshops und Kursen von ITEC/SCAAPteil. Government of India, Ministry of ExternalAffairs, Annual reports 2010-2011, S.130,http://bit.ly/yleoLz

52 Ebd. S. 214.

53 Vgl. Nkunde Mwase (2011): Determinantsof Development Financing Flows from Brazil,Russia, India, and China to Low-IncomeCountries, S. 14.

32Schuldenreport 2012

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Nachtaufnahme einer Straße in Hongkong

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wobei heute übliche Auflagen der westli-chen Industrienationen, wie z.B. gute Regie-rungsführung und wirtschaftspolitischeKonditionen, nicht im Vordergrund stehen.

Da vor allem bei China die Modalitäten derKreditvergabe nicht öffentlich transparentgehandhabt werden, ist es schwierig, eineklare Aussage über die Konsequenzen derKreditvergabe der neuen Geber für dieSchuldentragfähigkeit der Entwicklungslän-der zu treffen. Allerdings rechtfertigt die stra-tegisch orientierte Auswahl derPartnerländer die Frage nach der Schulden-tragfähigkeit. So kommt ein Forschungsbe-richt des Internationalen Währungsfonds zudem Schluss, dass neue Geber wie Indienund China stärker Kredite für ressourcenrei-che, jedoch politisch instabile Länder zurVerfügung stellen. Diese Länder erhalten je-doch schlechtere Kreditkonditionen als res-sourcenarme Länder mit einer gutenRegierungsführung54. Die eigennützigenVergabekriterien bergen ein hohes Risiko,denn verstärkt werden Kredite an Staatenvergeben, die laut des Rahmenwerks fürSchuldentragfähigkeit von IWF und Welt-bank (englisch: „Debt Sustainability Frame-work“55) bereits einen gefährlich hohenVerschuldungsgrad aufweisen, wie im FalleBurundis (siehe oben).

Die Kreditvergabe der neuen Geber könntesomit den Schuldenerlassinitiativen derwestlichen Geber entgegenwirken und ge-fährdete Länder in eine erneute Schulden-krise führen56. Dazu zählen auch politischumstrittene Länder wie der Sudan: so ver-gab China hoch verzinste Handelskreditean den Sudan für den Ausbau des Ölsek-tors, wobei der Sudan gleichzeitig seit Jah-ren keinen Schuldendienst mehr anwestliche Geber leistet und Zahlungsrück-stände in Milliardenhöhe aufweist57.

Hinzu kommt, dass die Kreditvergabe anEntwicklungsländer in China und Indienüber die Export-Import-Bank abgewickeltwird – eine Institution, die die eigene Export-förderung und ausländische Investitionenzum Ziel hat und keine Entwicklungs-agenda. Laut eines Forschungsberichts derAfrikaabteilung des Internationalen Wäh-rungsfonds vervierfachte sich die kommer-zielle Kreditvergabe der chinesischenEXIM-Bank58 im Zeitraum 2001 bis 2006,auch wenn aufgrund der mangelhaftenTransparenz bei der Kreditvergabe Chinasan Entwicklungsländer nicht eindeutig aus-zumachen ist, wie hoch der Anteil hoch ver-zinster Kredite an Entwicklungsländer ist.Damit ist jedoch ebenso wenig abschätzbar,wie hoch das Risiko von erneuter Über-

schuldungen in gerade erst entschuldetenEntwicklungsländern derzeit ist.

Die bereits erwähnte Intransparenz der Kre-ditvergabe z.B. im Fall von China, birgt dasRisiko einer Welle neuer, illegitimer Schul-den. Dies ist an den zum Teil politisch um-strittenen Empfängerländern wie dieDemokratische Republik Kongo oder demSudan zu sehen. So ist die VolksrepublikChina bereits seit über einem Jahrzehnt imSudan aktiv und füllt seit Ende der 1990erJahre trotz erheblicher Menschenrechtsver-letzungen der sudanesischen Regierung dieLücke, die westliche Geber nach Auferlegenvon Sanktionen und Rückzug ihrer Geber-aktivitäten hinterlassen haben59. Ähnlichverhält es sich mit Simbabwe: so engagie-ren sich Indien und China in dem Land60,welches seit Beginn des Jahrtausendskeine Entwicklungszusammenarbeit mehrmit dem Westen durchführt.

Der Aspekt der Schuldentragfähigkeit bleibtsomit auch insgesamt ein zentraler: Insbe-sondere ehemalige HIPC-Länder, die einenhohen Finanzierungsbedarf z.B. hinsichtlichInfrastruktur und Armutsbekämpfungspro-grammen aufweisen, könnten durch dieKreditvergabe der neuen Geber möglicher-weise in eine erneute Schuldenkrise gelan-gen.

Allerdings gibt die chinesische Regierungan, dass sie von Entwicklungsländern imFalle einer Zahlungsunfähigkeit die Rück-zahlung der Kredite (wenn es sich dabei umbilaterale staatliche Kredite handelt) garnicht verlangt61, also im Falle von Zahlungs-schwierigkeiten in individuellen Fällen zueinem Erlass bereit ist. Auf der anderenSeite sollte auch nicht übersehen werden,dass das Engagement der neuen Geberdurchaus die Wirtschaftsleistung der Länderverbessert hat, wie Jonas Bunte in einemArtikel zum Schuldenreport 2009 bereits de-taillierter herausgestellt hat. So kann die hö-here Nachfrage nach Rohstoffen vonseitender neuen Geber das Wirtschaftswachstumin vielen afrikanischen und asiatischenEmpfängerländern ankurbeln. Dabei gilt esaber auch zu Bedenken, dass der Abbauvon Rohstoffen nicht unbedingt zur Armuts-bekämpfung beitragen muss, sondern auchso genannte „Enklavenwirtschaften“ entste-hen lassen kann62. Gleichzeitig verstärktsich dadurch bei den rohstoffexportierendenLändern (z.B. bei den erdölreichen Ländern)die Konzentration auf eben den Rohstoffex-port, was dazu führen kann, dass diese Län-der auch in Zukunft in einer weiterhingeringen ökonomischen Diversifizierungverharren.

54 Ebd. S. 7 und 13, 14.

55 Mehr dazu siehe: erlassjahr.de: Schuldenmüssen tragbar sein. Handbuch 2005, sowieerlassjahr.de Fachinfo 11: Trittbrettfahrer iminternationalen Kreditgeschäft: Das „DebtSustainability Framework“ von IWF und Welt-bank, einzusehen unter: http://bit.ly/wC88pF.

56 Vgl. Bunte, Jonas: Bühne frei für neue Kre-ditgeber, S. 39.

57 Vgl. Martin Dahle Huse und Stephen L.Muyakwa (2008): China in Africa: lending, po-licy space and governance, Norwegian Cam-paign for Debt Cancellation and NorwegianCouncil for Africa, S. 21.

58 Vgl. Jian-Je Wang (2007): What DrivesChina's Growing Role in Africa? IMF WorkingPaper WP/07/211, African Department des In-ternationalen Währungsfonds, S. 14.

59 Vgl. Van de Looy, Judith (2006): Africa andChina: A Strategic Partnership?http://bit.ly/xZaWwU , Box 2, S. 17.

60 Vgl. die geplante Kredit vergabe der indi-schen Regierung an Simbabwe in einem Um-fang von 100 Millionen US Dollar, der für denGesundheitsbereich gedacht ist, sowie Pläne,die simbabwische Infrastruktur unter Beteili-gung indischer Firmen auszubauen:http://bit.ly/wlLXB7 . Im Hinblick auf das En-gagement Chinas vgl.: Tim Jones (2011): Un-covering Zimbabwe's debt: The case for ademocratic solution to the unjust debt burden,Jubilee Debt Capaign, London, erhältlichunter: http://bit.ly/zWx7CV.

61 Vgl. Penny Davies (2007): China and theend of Poverty in Africa – towards mutual be-nefit? Diakonia, S. 89.

62 Vgl. Chahoud, Tatjana: Neue Geber in derEntwicklungskooperation, einzusehen unter:http://bit.ly/zjPx2I.

33 Schuldenreport 2012

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34Schuldenreport 2012

Bislang waren bei der Vergabe von Kreditenvor allem klare Regelungen für die Geber-seite im Blick der Forderungen der weltwei-ten Entschuldungsbewegung.

Daneben war und ist aber auch die unver-antwortliche Aufnahme von Krediten eineder Hauptursachen internationaler Schul-denkrisen. Entschuldungsnetzwerke, wiezum Beispiel AFRODAD als Bündnis vonEntschuldungs-Netzwerken in Subsahara-Afrika, setzen sich daher verstärkt auch fürdie Schaffung verbindlicher Kriterien zurverantwortungsvollen Kreditaufnahme ein.

Mit der „AFRODAD Borrowing Charter“(2011) wendet sich das Netzwerk an die Re-gierungen dieser Region und stellt formaleund inhaltliche Forderungen für verantwor-tungsvolle Kreditaufnahme auf.

Voraussetzungen für eine solche verant-wortliche Kreditaufnahme sind eine Politik,die vor Aufnahme eines Kredits dessen Nut-zen, Tragfähigkeit und Legitimität klärt, undRegeln für den Vertrags-Prozess und dieVerwendung des Kredits, die Beteiligung,Transparenz und Kontrolle sicherstellen.

Die Charta betont die Bedeutung von Kre-ditaufnahme und Schuldenmanagement fürdie Entwicklung eines Landes. Die internen

Ursachen der Krise hätten viel zu den öko-nomischen und sozialen Problemen in derRegion beigetragen, Stabilität und Kredit-würdigkeit beeinträchtigt und Investitionenverhindert. Die Schuldendienstzahlungenhätten Ausgaben für Bildung und Gesund-heit blockiert.

Die Charta formuliert Prinzipien und Leitli-nien für Kreditaufnahme und Schuldenma-nagement der Regierungen, dadurch sollendie Kreditfonds effizient genutzt, eine Rück-kehr der Finanzkrise verhindert und die Re-gierungen zu verantwortlichem Handelngegenüber den Bürgern veranlasst werden.

Ziel ist die Schuldentragfähigkeit – dafür istökonomische Stabilität und nachhaltige Fi-nanzpolitik notwendig. Bei Auslandsanlei-hen sollen nur geringe Risiken eingegangenwerden, das Wachstum der Schulden-dienstbelastung darf nicht größer als dasWachstum der Exporte sein.

Anleihen sind staatliche Ressourcen undmüssen gemäß den Aufgaben des Staatesverwendet werden.

Die Charta fordert die Einrichtung einer un-abhängigen Einrichtung zur Überwachungvon Schulden, an der auch Vertreter der Zi-vilgesellschaft beteiligt sind. Diese überprüft

Verantwortungsvolle Kreditaufnahme: Anforderungen an Schuldnerregierungen

Von Bernhard Jimi Merk

Page 39: Schuldenreport 2012

die Konformität von Anleihen (vor Vertrags-abschluss) mit den Gesetzen und der Wirt-schaftspolitik des Landes. Dadurch soll dasSchuldenmanagement konsolidiert und ge-stärkt werden.

Die Staaten müssen Gesetze und Struktu-ren schaffen, die Koordination und Manage-ment der öffentlichen Schulden regeln:

Gesetze und Regelungen für Transparenzund Zustimmung des Parlaments zu Anlei-hen und Schuldenmanagement, zu den Ver-schuldungs-Höchstgrenzen und ihrerFestsetzung, für öffentliche Kreditnahme,Nutzung der Kredite sowie die Bedienungder Schulden und zur Festlegung von Kom-petenzen und Verantwortlichkeiten Dane-ben muss natürlich die Einhaltung dieserGesetze geregelt werden.

Die Festlegung von Verantwortung, Kompe-tenzen und Regeln für staatliche Kreditauf-nahme und Schuldenmanagement betrifftdas Finanzministerium, die Zentralbank,und die staatlichen Agenturen.

Hinsichtlich koordinierter und kohärenterStrukturen und Verbindlichkeiten fordert dieCharta von den Regierungen,

- dass ein nationales Schuldenmanage-ment-Büro für die Koordination und Kom-munikation der Beteiligten (unter anderemdie Zivilgesellschaft, betroffene Gemeindenund weitere) und die Koordination der Auf-nahme und Verwaltung von Anleihen zu-ständig ist;

- dass der Finanzminister: die Kredit-Anfor-derungen der Regierung und dem Parla-ment präsentiert, die Finanzen überwacht,dem Parlament gegenüber verantwortlich istund regelmäßige Fortschrittsberichte undAuswertungen vorlegt;

- das Parlament als Kontrollinstanz für dasAbfedern von Risiken durch exzessive undunproduktive Anleihen verantwortlich ist;

- dass die Regierung für die Aufstellung vonRegeln und Kriterien zuständig ist;

- dass die Zentralbank für Beratung, Trans-parenz und Monitoring zuständig ist und

- dass es einen unabhängigen Prüfer für dieStaatsfinanzen und Richtlinien für das Ma-nagement öffentlicher Fonds und die Kon-

trolle der öffentlichen Finanzen gebenmuss.

Weitere zentrale Forderungen betreffen dieöffentliche Beteiligung, Inklusivität und öf-fentliche Informationen. Wenn Betroffeneein Projekt als ihr eigenes betrachten(ownership), ist das entscheidend für seinenErfolg.

Die Beteiligung der Bevölkerung am Ent-scheidungsprozess (durch Parlament, di-rekte Bürgerbeteiligung oder Vertreter ihrerOrganisationen) muss sichergestellt wer-den, ebenso die Beteiligung ziviler Gruppenan der Überwachung der Projekte.

Transparenz und Rechenschaft muss inallen Sprachen des Landes gewährleistetsein.

Die Charta betont die Beachtung der Men-schen- und ökologischen Rechte. DasRecht auf nachhaltige Entwicklung, mussauch im Vertrags-Prozess respektiert wer-den. Negative Effekte müssen vor allem fürverletzliche Gruppen wie Kinder undFrauen minimiert werden.

Umsiedlung soll vermieden, bei Unvermeid-barkeit muss Entschädigung gezahlt wer-den.

Umweltschäden sollen vermieden, Sozial-,Arbeits- und Umwelt-Standards sowie inter-nationale Abkommen eingehalten werden.

Schließlich wird der gegenseitige Respektund die Partnerschaft auf Augenhöhe mitGeldgebern und Internationalen Finanzinsti-tutionen im Vertragsprozess und beimSchuldenmanagement gefordert.

Die Charta lehnt die Konditionalität bei Kre-dit- und Schuldenverhandlungen ab, weildie Regierungen dadurch den Gebern undnicht ihrer eigenen Bevölkerung gegenüberverantwortlich sind.

Lokale Institutionen sollen in diesem Pro-zess gestärkt werden, z.B. durch technischeund finanzielle Hilfe für Parlamente undÜberwachungsorgane, damit sie ihre Kon-trollfunktion wahrnehmen können.

Es soll für den Fall von Streit oder Zahlungs-schwierigkeiten ein Faires und transparen-tes Schiedsverfahren im Anleihevertraggeregelt sein.

35 Schuldenreport 2012

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1 Vgl. FAO (2009d): The State of Food Inse-curity in the World. Economic crises – im-pacts and lessons learned. Rom.

2 Vgl. Welthungerhilfe, IPRI, Concern (2011):Welthungerindex, Herausforderung Hunger:Wie steigende und stark schwankende Nah-rungsmittelpreise den Hunger verschärfen.

3 Vgl. In: Die Presse vom 28.10.08

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Die globale Finanzkrise, die Ernährungs-krise und die Auswirkungen des Klimawan-dels summierten sich zu einer ''weltweitenWirtschaftskrise'', warnte die ehemaligedeutsche Entwicklungsministerin Wieczo-rek-Zeul. Die Entwicklungsländer drohten''in eine schwere humanitäre Krise abzug-leiten''.

Jeder Prozentpunkt weniger globalesWachstum bedeutet dabei 20 MillionenArme mehr. Es sei daher notwendig, „mas-siv in die Landwirtschaft, in den Klima-schutz, in die Anpassung an denKlimawandel und in Erneuerbare Energienebenso wie in die Infrastruktur in Entwick-lungsländern zu investieren“.

Die Zahl der Menschen, die an Unterernäh-rung leiden, ist im Jahr 2009 zwischenzeit-lich auf über eine Milliarde gestiegen – diehöchste Zahl in der Menschheitsge-schichte.1 Gegenüber dem Jahr 2008 hatsich die Zahl damit nochmals um fast 100Millionen erhöht. Betroffen sind vor allemLandlose, städtische Arme sowie alleiner-ziehende Frauen und ihre Kinder.

Das Millenniumsentwicklungsziel, den Anteilder Hungernden gegenüber 1990 bis zumJahr 2015 zu halbieren (MDG 1), ist damitin weite Ferne gerückt. Die Mehrheit derHungernden lebt mit 642 Millionen in Asienund dem pazifischen Raum. In Subsahara-

Afrika sind 265 Millionen von Unterernäh-rung betroffen. Und auch in den Industrie-ländern ist als Folge der Krise die Zahl derArmen um 15,4 Prozent gestiegen.

Der Welthunger-Index (WHI) 20112 zeigt,dass sich die globale Ernährungssituationseit 1990 geringfügig verbessert hat, istdennoch das Ausmaß des Hungers weltweitweiterhin „ernst“.

Die Situation hat sich seit Anfang 2011 nochweiter verschärft und läuft auf eine neue Er-nährungskrise hinaus: Armut und Hungerwerden als Folge der Finanzkrise noch wei-ter zunehmen. Allein im diesem Jahr leben100 Millionen Menschen mehr in absoluterArmut und leiden an den Auswirkungen derNahrungsmittelkrise. Die Finanzkrise wirdauch auf die Weltwirtschaft einwirken undes ist zu befürchten, dass einige Länder inVerschuldungskrisen geraten bzw. dass derAgrarsektor wegbrechen kann.

Die Kreditkrise könnte die Zahl der Hun-gernden weltweit ansteigen lassen, warntauch Abdolreza Abbassian von der FAO3.Ebenso tragen die vermehrten Schulden-dienste der Länder des Südens dazu bei,das notwendige Kredite an Kleinbauerndurch die jeweiligen Staaten nicht vergebenwerden können bzw. neue Kredite auf deninternationalen Finanzmärkten aufgenom-men werden müssen, um für die Nahrungs-

Nahrungsmittel im Sog der Finanzkrise

Von Hartmut Kowsky

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mittel im eigenen Land zu subventionieren.Die Weltmarktpreise für Nahrungsmittelwaren zwar von ihrem Rekordhoch im Juni2008 bis zum Februar 2009 um 35 Prozentgesunken, seitdem sind sie aber wiederkontinuierlich angestiegen und liegen nochimmer weit über dem Niveau der Jahre vor2007 (vgl. Grafik 1). Mit den Preisen nahmauch der Hunger weiter zu.

Ein Grund für die Preissteigerung derGrundnahrungsmittel ist nach einer Studieder Welthungerhilfe4 in der Nahrungsmittel-spekulation an den Börsen zu finden.

Laut dieser Studie führte das Engagementder Kapitalanleger in den Jahren 2007 bis2009 auf den Getreidemärkten im Jahres-durchschnitt zu einer reellen Steigerung beiden Preisniveauerhöhungen von bis zu 15Prozent gegenüber einem über einen län-geren Zeitraum hinweg bestimmten Refe-renzwert. Allerdings sind die genauenWirkungsmechanismen der Übertragungvon Preisveränderungen von den Warenter-minmärkten zu den Spotmärkten noch nichthinreichend erforscht. Daher sind auch dievorgeschlagenen Maßnahmen zur Begren-zung des Einflusses von indexbasierten An-lagestrategien eher mit einemBreitbandmedikament als mit einer geziel-ten Therapie zu vergleichen.

Die Abhängigkeit der Entwicklungsländervon Nahrungsimporten ist im Laufe derJahre erheblich gestiegen: Bereits in denJahren 2005-2006 mussten elf afrikanischeStaaten mindestens die Hälfte ihres Getrei-debedarfs aus dem Ausland zukaufen. DieAusgaben für Lebensmittelimporte sind in

den Nettoimportländern mit niedrigem Ein-kommen zwischen 2000 und 2008 um dasVierfache gestiegen. Viele kleinbäuerlicheBetriebe kämpfen als Folge von Wirtschafts-und Ernährungskrise um das Überleben.Die meisten Kleinbauern sind vergleichs-weise arm und müssen neben ihrer gerin-gen Eigenproduktion Nahrungsmittel dazukaufen.

Die gestiegenen Preise bedeuteten für siealso selten (Netto-) Mehreinnahmen, da siehohe Kosten für die benötigten Vorproduktehaben und zur eigenen Versorgung teurereLebensmittel zukaufen müssen. Zudem sinddie Preise für Düngemittel um bis zu 160Prozent gestiegen, und damit stärker als diePreise für landwirtschaftliche Produkte5.Selbst mithilfe von staatlichen Subventionenfür Düngemittel, wie sie beispielsweise inGhana ausgegeben werden, können es sichärmere Landwirte nicht mehr leisten, denverteuerten Dünger zu kaufen. Dies gefähr-det ihren geringen Ertrag.

Die Welternährungsorganisation (FAO) be-fürchtet, dass diese Länder angesichts sin-kender Deviseneinnahmen infolge derglobalen Finanzkrise die Einfuhr von Nah-rungsmitteln reduzieren müssen, was dieErnährungssicherheit ihrer Bevölkerung zu-sätzlich gefährdet.6

Doch Hunger ist nicht allein eine Frage stei-gender Preise oder mangelnden Geldes.Auch eine Rekordernte wie im Jahr 2008schützt nicht vor Unterernährung. Aus denfolgenden Gründen: Oft werden auf denfruchtbarsten Böden Cash Crops angebaut,die aber nur geringes Einkommen für den

4 Vgl. Welthungerhilfe e.V. (2011): Finanz-märkte als Hungerverursacher, Hans H. Baas

5 Vgl. FAO (2009b): The State of AgriculturalCommodity Markets 2009. Rom.

6 Vgl.FAO (2009): The State of Food Insecu-rity in the World.Economic crises – impactsand lessons learned. Rom., S. 22.

37 Schuldenreport 2012

Diagramm 1 - Nahrungsmittelpreissteigerung

Quelle: FAO

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Erzeuger bringen. Und damit verbunden istin vielen Fällen eine mangelnde Eigenver-sorgung mit Grundnahrungsmitteln.

Die globale Ernährungskrise hat viele Ursa-chen. Eine davon ist die seit Jahrzehntenhandelsverzerrende Zoll- und Subventions-politik der Industrieländer.7 Die bekanntes-ten Beispiele sind die Milch- undZuckersubventionen der EU und der Baum-woll- und Reisprotektionismus der USA. Fürafrikanische oder asiatische Märkte bedeu-tet das damit verbundene Preisdumping oft-mals die Zerstörung der einheimischenAgrarproduktion.

Die massiv anwachsende Produktion vonAgrotreibstoffen hat zusätzlich zur Ernäh-rungskrise beigetragen. Der Boom in die-sem Bereich ist nach Einschätzung der FAOauch Grund dafür, dass die Weltmarktpreiselangfristig nicht mehr sinken werden.8 DerRaubbau landwirtschaftlicher Flächen fürdie Agrotreibstoffgewinnung zerstört oftmalsdie Grundlage für die kleinbäuerliche Le-bensmittelproduktion.

Die Auswirkungen der Nahrungsmittelpreis-steigerung auf Entwicklungsländer sindnach dieser Studie indirekt und zeitverzö-gert. Steigende Weltmarktpreise führenzwar regelmäßig zu steigenden Importprei-sen. Diese wiederum schlagen, quasi ineinem System „kommunizierender Röhren“,an dem lokale Spekulation nicht unbeteiligtzu sein scheint, teilweise trotz durchschnitt-licher oder gar überdurchschnittlich guter lo-kaler Ernten und auch bei nur geringenMarktanteilen des Importgetreides, auf dielokalen Verbraucherpreise durch. Aber armeHaushalte versuchen, durch verschiedeneBewältigungsstrategien einer Reduktion derNahrungsmittelenergiezufuhr zu entgehen –zum einen durch eine andere Zusammen-setzung der Nahrung, zum anderen durchEinsparen in anderen Bereichen (Gesund-heit, Schulbesuch). Die Zeitverzögerung inden relativ besser ausgestatteten Entwick-lungsländern entsteht durch staatliche Maß-nahmen, insbesondere auch durch dieSubventionierung von Lebensmitteln.

Was ist zu tun?

Um dem Problem von Nahrungsmittelpreis-spitzen und übermäßiger Volatilität entge-genzuwirken, müssen Maßnahmen ergriffenwerden, die einerseits die extremen Preis-ausschläge eindämmen und andererseits

arme Bevölkerungsgruppen vor den gravie-rendsten Folgen höherer und instabilerPreise schützen. Um die Ursachen der Nah-rungsmittelpreisanstiege und der Volatilitätzu bekämpfen, ist ein Umdenken bei derAgrartreibstoffpolitik erforderlich, die Aktivi-täten auf den Nahrungsmittelmärkten müs-sen reguliert und Strategien zur Anpassungan die Auswirkungen des Klimawandels ent-wickelt werden. Gleichzeitig ist es erforder-lich, die weltweiten Nahrungsmittelbeständeaufzustocken und zeitnah Informationenüber Nahrungsmittelmärkte bereitzustellen.Um Menschen dabei zu unterstützen, mitden Auswirkungen hoher und instabilerPreise umzugehen, müssen soziale Siche-rungssysteme gestärkt und auch die Kapa-zitäten der internationalen Gemeinschaftverbessert werden, bei allmählich einset-zenden Krisen, wie den Preiskrisen von2007/08 und 2010/11, unterstützend tätig zuwerden.

Weiter gilt es, die 400 Millionen Kleinbauernder Welt zu stärken. Sie sind in der Lage,die Menschen in den Entwicklungsländernzu ernähren. Die Vermittlung von Informa-tion, Technik und Können, das auch traditio-nelles Wissen einbezieht, kann ihnen dazuverhelfen, ihre Methoden auf eine nachhal-tige und multifunktionale Landwirtschaftauszurichten. Weiter brauchen die Klein-bauern besseren Zugang zu den Märkten,was Investitionen in die Wertschöpfung er-fordert. Sie benötigen Kapital für eine ange-passte Mechanisierung und die Verbes-serung der Böden, für Saatgüter und Dün-gemittel, die den lokalen Verhältnissen an-gepasst sind. Sie brauchen aber auch eineAbsatzgarantie für ihre Produkte zu fairenPreisen.

Die Ernährung von neun Milliarden Men-schen bis Mitte dieses Jahrhunderts istmöglich. Doch dazu müssen die Weichen inder Agrarpolitik heute neu gestellt werden.Die Rezepte der Vergangenheit taugennicht mehr. Eine Landwirtschaft, die mit for-ciertem Einsatz von Dünger, Wasser undPestiziden das kurzfristige Maximum ausden Böden herausholt, dabei die ökologi-schen Folgen und die sozialen Aspekteignoriert, zerstört ihre Grundlagen.Gebotenist ein fundamentaler Kurswechsel hin zueiner ökologischen, multifunktionalen Land-wirtschaft, die nicht den maximalen, son-dern den nachhaltig möglichen Ertraganstrebt, Böden und Gewässer schont, dieBiodiversität erhält und fördert, und derenProdukte auch für die Ärmsten zugänglichsind und hin zu einem Verbot der bedrohli-chen Nahrungsmittelspekulationen.

7 Vgl. World Bank (2009): Global MonitoringReport 2009. A Development Emergency.Washington, D.C.

8 Vgl. FAO (2009): The State of Food Inse-curity in the World. Economic crises – im-pacts and lessons learned. Rom.

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Page 43: Schuldenreport 2012

AFRODAD (African Network on Deptand Development): Das “AfrikanischeNetzwerk zu Schulden und Entwicklung”wurde 1994 gegründet und vereint Ent-schuldungsinitiativen in zehn afrikani-schen Ländern. Es spricht sich für einenformal und permanent institutionalisier-ten Schiedsgerichtshof für Auslands-schulden aus, der bei den VereintenNationen angesiedelt werden soll.

Biodiversität: Variabilität unter leben-den Organismen jeglicher Herkunft, da-runter unter anderem Land-, Meeres-und sonstige aquatische Ökosystemeund die ökologischen Komplexe, zudenen sie gehören; dies umfasst dieVielfalt innerhalb der Arten und zwi-schen den Arten und die Vielfalt derÖkosysteme (nach Definition der Biodi-versitäts-Konvention).

BIP – Bruttoinlandsprodukt: Das BIPist der Wert aller Güter (Sachgüter undDienstleistungen), die innerhalb einesbestimmten Zeitraumes (meist einesJahres) in einem Land erzeugt werden.Dazu gehören auch Güter, die von Aus-ländern und ausländischen Unterneh-men erstellt werden, die im Inlandansässig sind. Das Bruttoinlandspro-dukt spiegelt die gesamte wirtschaftli-che Leistung eines Landes wider. Beiinternationalen Vergleichen dient es oftals Gradmesser für die wirtschaftlicheLeistungskraft der einzelnen Länder.

BMF – Bundesministerium der Finan-zen

BNE – Bruttonationaleinkommen:Das BNE ist der Wert aller Güter (Sach-güter und Dienstleistungen), die inner-halb eines bestimmten Zeitraumes(meist eines Jahres) von den Staatsan-gehörigen eines Landes im In- und Aus-land erzeugt werden.

Brady Plan: Ein 1989 von NicholasBrady (US-Finanzminister) gemachterVorschlag zum Umgang mit der Schul-denkrise der Entwicklungsländer. Er sahdie Investition der internationalen Kapi-talmärkte verbunden mit der Durchfüh-rung eines „Strukturanpassungspro-gramms“, der Privatisierung von Staats-betrieben, Rohstoffressourcen undsogar Nationaparks vor.

Cologne Terms: Beim G7-Gipfel inKöln 1999 beschlossene Anhebung der

Erlassobergrenzen der Naples Termsvon 1994 auf 90 Prozent. Zusätzlich sol-len denjenigen Schuldnerländern, die indie Entschuldungsinitiative (HIPC) ein-bezogen werden, anders als im PariserClub bis dahin üblich, die Schulden ausder Entwicklungszusammenarbeit erlas-sen werden, und im Bedarfsfall über die90 Prozent hinaus ein vollständiger Er-lass aller Forderungen der Pariser ClubMitglieder ausgesprochen werden.

DAC-Länder – Development Assis-tance Commitee: Die entwicklungspo-litische Zielsetzung der Organisation fürwirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung (OECD) führte 1961 zurEinrichtung eines Fachausschusses fürEntwicklungszusammenarbeit, demDAC. Dem Ausschuss gehören mittler-weile 24 der 34 OECD-Mitgliedsländeran. Im DAC behandelt die OECD Fra-gen der Kooperation mit den sogenann-ten Entwicklungsländern.

DSF – Debt Sustainability Framework(dt: Schuldenrahmenwerk): 2005 stell-ten IWF und Weltbank ein neues Kon-zept zur Bestimmung vonSchuldentragfähigkeit vor. Nach diesemKonzept soll ein Land in Abhängigkeitvon dem bereits existierenden Schul-denstand und von der Qualität seiner öf-fentlichen Institutionen Zugang zu mehroder weniger neuen Krediten (= Schul-den) haben. Ziel des DSF ist es aus-drücklich nicht, den Erlassbedarfhinsichtlich der existierenden Schulden-belastung zu ermitteln.

Enklavenwirtschaft: Einschluss einesWirtschaftskomplexes, eines Unterneh-mens in eine regionale oder nationaleWirtschaft, ohne stärkere Integration invor- oder nachgelagerte Bereiche. Typi-sche Beispiele sind Produktionsstättenin sogenannten Entwicklungsländern,die unter Kontrolle transnationaler Kon-zerne Produktteile und Halbfabrikate fürden Weltmarkt herstellen, verarbeitenoder montieren.

ESAF – Enhanced Structural Adjust-ment Facility: Die erweiterte Struktur-anpassungsfazilität ESAF ist einegünstige Kreditlinie des IWF für Niedrig-einkommensländer, die bis 1999 verge-ben wurde. Die Kreditvergabe war andie Erfüllung eines dreijährigen Struktur-anpassungsprogramms geknüpft. Eine

vom IWF selbst durchgeführte Studiekam zu dem Ergebnis, dass die Maß-nahmen innerhalb dieses ProgrammsAuswirkungen auf die Armut in den je-weiligen Ländern nicht berücksichtigten.Im Herbst 1999 ging die ESAF in diePRGF (Poverty Reduction Growth Faci-lity) über.

EXIM-Bank – The Export-ImportBank: in verschiedenen Nationen ver-treten, vergibt die EXIM-Bank u. a. Im-port- und Exportkredite. Ihr Ziel ist dieFörderung der Außenwirtschaft, sie istjedoch keine Entwicklungsbank.

FAO – Food and Agriculture Organi-zation of the United Nations - Ernäh-rungs- und Landwirtschaftsorganisationder Vereinten Nationen

Gute Regierungsführung (deutsch fürGood Governance) bezeichnet eingutes Steuerungs- und Regelungssys-tem einer politisch-gesellschaftlichenEinheit wie etwa eines Staates odereiner Gemeinde. Es beinhaltet gutesRegierungs- und auch Verwaltungshan-deln einschließlich einer guten Haus-halts- bzw. Budget-Mittel-Bewirtschaft-ung (Quelle: wikipedia.de).

HIPC – Heavily Indebted Poor Coun-tries: Hoch verschuldete arme Länder.HIPCs qualifizieren sich im Grundsatzfür die gleichnamige Entschuldungsini-tiative.

HIPC I, auch HIPC-Initiative genannt:Weltbank und IWF ermöglichten denHIPC-Ländern mit dieser Initiative 1996erstmals einen Teilerlass ihrer multilate-ralen Schulden.

HIPC II, auch Kölner Schuldeninitiativegenannt: Beim G8-Gipfel 1999 in Kölnwurde eine deutliche Erweiterung ge-genüber HIPC I beschlossen. Die Be-lastbarkeitsgrenzen der Länder für dieRückzahlung ihrer Schulden wurden ge-senkt

Außerdem wurde eine Reform der Be-dingungen für Schuldenerlasse ange-stoßen: Schuldenerlasse wurdendemnach zusätzlich zur traditionellenStrukturanpassung an die Durchführungvon Armutsbekämpfungsprogrammengebunden.

Diese Programme basieren auf einem

39 Schuldenreport 2012

Page 44: Schuldenreport 2012

im jeweiligen Land zu erarbeitenden Po-verty Reduction Strategy Paper – PRSP.

Indexbasierte Anlagestrategien: Anla-gestrategie am Aktienmarkt, bei demder Verwalter eines Fonds einen vorge-geben Index möglichst genau abbildenmuss. Das heißt: er muss möglichstgenau so viele Papiere der verschiede-nen Risikokategorien, Ertragsklassenetc. in seinem Fonds haben, wie der voneiner externen Institution entwickelteIndex vorsieht. Sinn der Sache ist, dassder Anleger, der Anteile an dem entspre-chenden Fonds kauft, einschätzenkann, wie risikoreich oder risikoarm dieAnlagestrategie des Fonds aussieht.

IWF – Internationaler Währungsfonds/ IMF – International Monetary Fund:Der IWF wurde 1944 mit dem Ziel ge-gründet, die internationale Währungs-stabilität zu sichern. Er hat zur Zeit 184Mitgliedsstaaten, deren Stimmrecht sichnach ihrem Kapitalanteil richtet. DerIWF hat das Schuldenrahmenwerk DSFals Tragfähigkeitsanalyse erarbeitet undzusammen mit der Weltbank die HIPC-Initiative gegründet.

LDCs – Least Developed Countries (amwenigsten entwickelte Länder)

LIBOR - Londoner Referenzzinsrate:ist der durchschnittliche Interbanken-zinssatz, zu dem eine ausgewählteGruppe von Banken auf dem LondonerGeldmarkt bereit ist, einander Kredite zugewähren. Den LIBOR gibt es in 15Laufzeiten (Overnight bis 12 Monate)und in 10 verschiedenen Währungen.Die offiziellen LIBOR Zinssätze werdenan jedem Arbeitstag gegen 11.45 Uhr(London Time) von der British Bankers’Association (BBA) veröffentlicht. Der LIBOR wird sowohl von professio-nellen Parteien als auch von Privatper-sonen genau beobachtet, da der LIBORZinssatz von Banken und anderen Fi-nanzinstituten als Basiszins (Bench-mark) betrachtet wird. Senkungen undAnhebungen der LIBOR Zinssätze kön-nen sich auf die Zinshöhen von allerleiBankprodukten, wie zum Beispiel Spar-konten, Hypotheken und Krediten aus-wirken.

Londoner Club: Informelle Interessen-gemeinschaft von rund 1.000 internatio-nal agierenden Banken undFondsgesellschaften, bei Verhandlun-

gen mit Regierungen von Schuldnerlän-dern. Der Lenkungsausschuss desClubs besteht aus den gegenüber demjeweiligen Schuldnerland am stärkstenexponierten Banken. Er tritt bei Bedarfzusammen und verhandelt über die Um-schuldung von Krediten seiner Mitglie-der an den jeweiligen öffentlichenSchuldner.

MDRI – Multilateral Dept Relief Initia-tive (dt: Multilaterale Entschuldungsini-tiative): Beim G8-Gipfel 2005 inGleneagles (Schottland) beschlossenerSchuldenerlass für diejenigen Länder,die bereits durch die HIPC-Initiative ent-schuldet wurden. Dabei sollen die Welt-banktochter IDA, der IWF und derAfrikanische Entwicklungsfonds (AfDF)auf 100% ihrer vor dem 31.12.03 (beiIDA und AfDF) bzw. 31.12.04 (IWF) ent-standenen Forderungen an die betref-fenden Länder verzichten. IDA undAfDF lassen sich für die geleiteten Ent-schuldungen in voller Höhe aus denEntwicklungshilfehaushalten der Geber-länder entschädigen. Deswegen undwegen der frühen Cut-off-Dates fällt derErlass geringer aus als der Erlass "zu100 Prozent" nahe legt.

MDGs – Millenium DevelopmentGoals (Milleniums-Entwicklungsziele):Im September 2000 beschloss die UN-Vollversammlung in New York die Mil-lenniumserklärung. Zu ihrer Umsetzungwurden acht Ziele formuliert (u.a. dieHalbierung der Armut und Senkung derKindersterblichkeit), die bis zum Jahr2015 verwirklicht werden sollen.

ODA-Quote – Official Development As-sistance (Quote der Mittel in der öffent-lichen Entwicklungszusammenarbeit):Prozentualer Anteil der Gelder für Ent-wicklungszusammenarbeit des Bundesam Bruttoinlandsprodukt. Derzeit be-trägt die ODA-Quote 0,38 Prozent(Stand 2010). In einem Stufenplan solldiese Quote bis zum Jahr 2015 auf 0,7Prozent steigen.

Pariser Club: Informeller Zusammen-schluss von derzeit 19 Gläubigerregie-rungen, der seit 1956 besteht. ImPariser Club werden Umschuldungenund Schuldenerleichterungen von Ent-wicklungshilfedarlehen und staatlich ga-rantierten Exportkrediten für einzelneSchuldnerländer ausgehandelt. Nacheiner Einigung im Pariser Club werden

die rechtlich bindenden Abkommen aufbilateraler Ebene von jedem einzelnenClub-Mitglied mit der Schuldnerregie-rung geschlossen werden. Über„Gleichbehandlungsklauseln“ versuchtder Club auch nicht beteiligte Gläubigerzu zwingen, sich an den von ihm be-schlossenen Umschuldungen zu betei-ligen.

Schenkungselement: bezeichnet einZuschusselement/eine Konzessionalitätvon mindestens 25 Prozent, die bei denLeistungen der öffentlichen Entwick-lungszusammenarbeit, auch Official De-velopment Assistance (ODA) genannt,enthalten sein muss.

Spotmarkt: Auf dem Spotmarkt werdeninsbesondere Devisen, Wertpapiereoder vertretbare Sachen nach standar-disierten Verträgen gehandelt. DerSpot-Markt unterscheidet sich vom (->)Warenterminmarkt darin, dass die Lie-ferung sofort gegen Zahlung erfolgt. AnSpotmärkten werden freie Warenmen-gen gehandelt, die kurzfristig zur Verfü-gung stehen oder benötigt werden. Siespiegeln den aktuellen Bedarf, Knapp-heiten oder Überangebote wieder. Dem-entsprechend können sich die Preisesehr kurzfristig ändern, also stark stei-gen oder fallen.

Volatilität: Maß für die durchschnittli-chen Schwankungen von Wertpapier-und Devisenkursen sowie Zinssätzen inder Vergangenheit. Allgemein üblich istdie Messung der Volatilität eines Wert-papierkurses durch die Berechnung derStandardabweichungen relativer Kurs-differenzen.

Warenterminmarkt: Der Warentermin-markt beschreibt eine Handelsform, beider sowohl die Lieferung als auch dieZahlung von Waren nicht sofort, son-dern zu einem späteren Zeitpunkt er-folgt. Die Verträge werden jedoch schonheute geschlossen.

WHI – Welthunger-Index: Der Welt-hunger-Index ist ein vom InternationalenForschungsinstitut für Ernährungspolitik(IFPRI) entwickeltes Instrument. Er gibtAuskunft darüber, in welchen Regionendie Menschen am stärksten von Hungerbetroffen sind. Der Index basiert auf dreirelevanten Indikatoren und berücksich-tigt einen mehrdimensionalen Ansatzzur Berechnung.

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Netzwerke und Organisationen

Europäisches Netzwerk zu Schulden www.eurodad.org

Lateinamerikanisches Netzwerk zuSchulden und Entwicklungwww.latindadd.org

Afrikanisches Netzwerk zu Schuldenund Entwicklung www.afrodad.org

Internationales Bündnis “Entschärft dieSchuldenkrise” www.defusethedebtcrisis.org

Kindernothilfewww.kindernothilfe.de

Südwind-Institutwww.suedwind-institut.de

Informationsstelle Peruwww.infostelle-peru.de

Welthungerhilfewww.welthungerhilfe.de

Organisation für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung (OECD)www.oecd.org

Akademiker

Prof. Kunibert Rafferhomepage.univie.ac.at/Kunibert.Raffer/

Internationale Finanzinstitutionen

Weltbankwww.worldbank.org

Internationaler Währungsfondswww.imf.org

Bundesregierung

Bundesministerium der Finanzenwww.bmf.de

Bundesministerium für Wirtschaft undTechnologiewww.bmwi.de

Bundesministerium für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung www.bmz.de

Graeber, David: Debt - The First 5.000Years. Melville House Publishing.2011.

Das Buch wirft einen Blick auf dieGeschichte der Schulden von frühenAufzeichnungen aus Mesopotamien, bishin zur aktuellen Finanz- undSchuldenkrise, zeichnet “Schulden - Dieersten 5.000 Jahre” ein hervorragendvollständiges Bild zum Thema aus Sichtdes Kultur-Anthropologen David Grae-ber.

Frank Schirmcher schreibt in einem Ar-tikel aus der Frankfurter AllgemeinenSonntagszeitung vom 13.11.2011 überdas Buch:

“David Graebers Geschichte, übrigensdie erste ihrer Art aus der Hand einesAnthropologen, zeigt den historischenOrt, an dem wir stehen. Schon dieErzählung zeigt, dass es nicht gut ist,die Erörterung der Schuldenkrise einemKreis streitsüchtiger Ökonomen zuüberlassen. Praktisch alle Aufstände,Umstürze und sozialen Revolutionender europäischen Geschichte, schreibtGraeber, entstanden aus einer Situationder Überschuldung.

Die scheint eine der größten Kräfte inder Entfesselung von Unruhe und Re-volte zu sein und eine der über Genera-tionen zyklisch wiederkehrendenLebensbedrohungen - sowohl für denEinzelnen wie für die etablierte Macht.” 

Im Mai 2012 erscheint das Buch auch inder deutschen Übersetzung.

Tan, Kim:

Das Erlassjahr-Evangelium. NeufeldVerlag, 2011.

Zwar werden Schulden und Schulden-erlass in dem Buch von Kim Tan eherperipher thematisiert, insgesamt bietetdas Buch, das sozusagen Namensvet-ter von erlassjahr.de ist, ausgehend vonder alttestamentlichen Einrichtung desErlassjahres bis zum Pfingstwunder unddem Beginn der christlichen Gemeindeeinen Einblick in Prinzipien einergerechteren Welt.

United Nations Conference on Tradeand Development, Hochschule FürTechnik und Wirtschaft Berlin(Hrsg,):

The Financial and Economic Crisis of2008-2009 and developing countries.United Nations, 2010.

In dieser Sammlung von Aufsätzen zurSchuldenkrise der Jahre 2008 und 2009verdeutlichen die verschiedenen Au-toren Ursachen der Krise und gehen inFallbeispielen, z.B. zu Brasilien oder In-dien, auf die Auswirkungen der Krise aufEntwicklungs- und Schwellenländer ein.

Buckley, Ross P.:

Debt-for-Development Exchanges -History and New Applications. Cam-bridge, 2011.

Ross P. Buckle ist Professor für Rechtan der Universität von Neu Süd-Wales.In seinem Buch beschreibt er"Schulden-für-Entwicklung" als einwichtiges Instrument, das Schuldener-lass politisch attraktiver für die Indus-trienationen macht, und zwar dann,wenn Schuldenerlass und die Fi-nanzierung von Projekten der Entwick-lungszusammenarbeit miteinanderverbunden werden.

Raffer, Kunibert:

Debt Management for Developemt.Edward Elgar Verlag, 2010.

In seinem neuesten Buch “Debt Man-agement for Development” analysiertder Wiener Professor für Volks-wirtschaftslehre und Vordenker zumThema Staateninsolvenzverfahren, Ku-nibert Raffer, die internationaleSchuldenproblematik anhand vonBeispielen aus den Ländern des Sü-dens. Gleichzeitig stellt Prof. Raffer Lö-sungswege vor, die erstmals auch dieMillenniumsentwicklungsziele mitein-beziehen. Das englischsprachige Buchist inzwischen auch als Taschenbuch er-schienen.

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Links zum Thema Neue Literatur zum Thema

Page 46: Schuldenreport 2012

erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung e.V. und Kindernothilfe e.V.

www.erlassjahr.de www.kindernothilfe.de

Eine gemeinsame Publikation von

Nicht erst seit “Ankunft” der Finanzkrise in Europa sind öffentliche Schulden einwichtiges Thema für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: Im Jahr 2012 feiert dieSchuldenkrise ihr 30-jähriges Jubiläum. Seit der Zahlungseinstellung Mexikosim Jahr 1982 waren es immer wieder Entwicklungs- und Schwellenländer, dieunter hohen Schuldenbergen (beinahe) zusammengebrochen sind.

Der Schuldenreport 2012 analysiert die Verschuldung von Staaten weltweit undstellt Alternativen zum bestehenden Schuldenmanagement vor.