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Ich beweg’ mich! 40 Apotheken Umschau B 09/12 B 09/12 Fotos: W&B/Bernhard Huber. Illustrationen: W&B/Dr. Ulrike Möhle 41 Kinderleichte Bewegung Erziehung Kinder haben einen natürlichen Bewegungsdrang. Anspruchsvolle Projekte helfen, dass sie ihn nicht verlieren Rat & Hilfe N och vor ein paar Monaten hätten die Mädchen und Jungen der Klasse 5a die 400 Höhenmeter als Strafe empfunden. An einem Morgen Ende Juli haben die elf- und zwölfjäh- rigen Schüler der Mittelschule auf dem Lindenberg in Kempten ein gemein- sames Ziel: hinauf zur Alpe Oberberg in den Allgäuer Bergen – nicht als Strafe, sondern zur Belohnung für das erfolg- reiche Bewegungs-Projekt während des vergangenen halben Jahrs. Stolz funkelt in den Augen eines Mädchens, als es auf den Schrittzähler blickt, der an seinem Hosenbund klemmt. Immer wieder war Klassenleiter Hans Kramer an seinen Schülern verzweifelt: „Früher konnte ich bei Schulausflügen auch mal längere Wanderungen machen. Heute ist das kaum noch möglich.“ Zu rasch würden die Schüler aus der Puste geraten. Mit der 5a ist das jetzt anders. Dem Lehrer kam das Schulprojekt „Ernährung und Bewegung“ gerade recht. Ein halbes Schuljahr lang schickt der Kemptener Apotheker Dietmar Wolz seine Mitarbei- ter jetzt in die teilnehmenden Klassen. Pro Woche stehen dann eine Unter- richtsstunde zum Thema Bewegung und eine zu gesunder Ernährung auf dem Stundenplan. Weil die Theorie im Klas- senzimmer allein aber noch niemanden in Aktion versetzt, gibt es am Nachmittag zwei Stunden Bewegung pro Woche obendrauf, freiwillig. Höhepunkt für die Schüler ist das Klettern an der Kletter- wand. „Die Mischung aus Theorie und Praxis kommt ausgezeichnet an“, freut sich Apotheker Wolz, der Wert darauf legt, Mutter und Vater einzubeziehen. „Wir veranstalten auch Informationsa- bende für die Eltern. Ihre Unterstützung ist sehr wichtig.“ Vor vier Jahren begann Wolz mit dem Projekt. Zunächst finan- zierte er es selbst, inzwischen beteiligen sich auch eine Krankenkasse und die Stadt Kempten an den Kosten. Die Lokalpolitiker scheinen die Zei- chen der Zeit erkannt zu haben: Kinder- ärzte schlagen Alarm, Sportlehrer die Hände über dem Kopf zusammen, weil der Nachwuchs den Körper immer weni- ger fordert und ihm die eigentlich natür- liche Lust an Bewegung verloren geht. Frühe Prägungen Die Folgen der Entwicklung sind nicht zu übersehen: Teenager erkranken an Dia- betes Typ 2, viele Kinder tragen zu viele Pfunde mit sich herum. Rückenschmer- zen strecken nicht mehr erst 50-Jährige, sondern schon 15-Jährige nieder. Lang- fristig verhindere fehlende Bewegung zudem, dass sich eine Grundlage für an- haltende Leistungsfähigkeit und Lebens- qualität bilden könne, sagt Professor Klaus Bös, Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft der Universität Karlsruhe. Damit Erwachsene Bewegung als et- was Positives und Angenehmes empfin- den, müssen sie dies am besten schon als Kinder gelernt haben. „Bis zum zehnten Lebensjahr findet eine Art Prägung statt“, sagt Bös. „Wenn Bewegung bis dahin als wichtiges und positives Verhalten E „Die Unterstützung der Eltern ist wichtig“ Dietmar Wolz, Apotheker aus Kempten, beim Wandern mit den Schulkindern Gute Freunde Zusammen macht’s doppelt Spaß. Sich in der Gruppe zu messen spornt Kinder an. Sich gegen- seitig zu helfen macht sie kooperativ und fördert ihr Selbstvertrauen. Sie wissen, wie gut Bewegung tut: Vermitteln Sie es Kindern und Enkeln!

Schulprojekt in der ApoUmschau

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Schulprojekt der Bahnhof-Apotheke in der ApoUmschau 15. September 2012

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Kinderleichte Bewegung Erziehung Kinder haben einen natürlichen Bewegungsdrang. Anspruchsvolle Projekte helfen, dass sie ihn nicht verlieren

Rat & Hilfe

N och vor ein paar Monaten hätten die Mädchen und Jungen der Klasse 5a die 400 Höhenmeter als

Strafe empfunden. An einem Morgen Ende Juli haben die elf- und zwölfjäh-rigen Schüler der Mittelschule auf dem Lindenberg in Kempten ein gemein-sames Ziel: hinauf zur Alpe Oberberg in den Allgäuer Bergen – nicht als Strafe, sondern zur Belohnung für das erfolg-reiche Bewegungs-Projekt während des vergangenen halben Jahrs. Stolz funkelt in den Augen eines Mädchens, als es auf den Schrittzähler blickt, der an seinem Hosenbund klemmt.

Immer wieder war Klassenleiter Hans Kramer an seinen Schülern verzweifelt: „Früher konnte ich bei Schulausflügen auch mal längere Wanderungen machen. Heute ist das kaum noch möglich.“ Zu rasch würden die Schüler aus der Puste geraten.

Mit der 5a ist das jetzt anders. Dem Lehrer kam das Schulprojekt „Ernährung und Bewegung“ gerade recht. Ein halbes

Schuljahr lang schickt der Kemptener Apotheker Dietmar Wolz seine Mitarbei-ter jetzt in die teilnehmenden Klassen.

Pro Woche stehen dann eine Unter-richtsstunde zum Thema Bewegung und eine zu gesunder Ernährung auf dem Stundenplan. Weil die Theorie im Klas-senzimmer allein aber noch niemanden in Aktion versetzt, gibt es am Nachmittag zwei Stunden Bewegung pro Woche obendrauf, freiwillig. Höhepunkt für die Schüler ist das Klettern an der Kletter-wand. „Die Mischung aus Theorie und Praxis kommt ausgezeichnet an“, freut

sich Apotheker Wolz, der Wert darauf legt, Mutter und Vater einzubeziehen.

„Wir veranstalten auch Informationsa-bende für die Eltern. Ihre Unterstützung ist sehr wichtig.“ Vor vier Jahren begann Wolz mit dem Projekt. Zunächst finan-zierte er es selbst, inzwischen beteiligen sich auch eine Krankenkasse und die Stadt Kempten an den Kosten.

Die Lokalpolitiker scheinen die Zei-chen der Zeit erkannt zu haben: Kinder-ärzte schlagen Alarm, Sportlehrer die Hände über dem Kopf zusammen, weil der Nachwuchs den Körper immer weni-ger fordert und ihm die eigentlich natür-liche Lust an Bewegung verloren geht.

Frühe Prägungen

Die Folgen der Entwicklung sind nicht zu übersehen: Teenager erkranken an Dia-betes Typ 2, viele Kinder tragen zu viele Pfunde mit sich herum. Rückenschmer-zen strecken nicht mehr erst 50-Jährige, sondern schon 15-Jährige nieder. Lang-fristig verhindere fehlende Bewegung zudem, dass sich eine Grundlage für an-haltende Leistungsfähigkeit und Lebens-qualität bilden könne, sagt Professor Klaus Bös, Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft der Universität Karlsruhe.

Damit Erwachsene Bewegung als et-was Positives und Angenehmes empfin-den, müssen sie dies am besten schon als Kinder gelernt haben. „Bis zum zehnten Lebensjahr findet eine Art Prägung statt“, sagt Bös. „Wenn Bewegung bis dahin als wichtiges und positives Verhalten E

„Die Unterstützung der Eltern ist wichtig“

Dietmar Wolz, Apotheker aus Kempten, beim Wandern mit den Schulkindern

Gute FreundeZusammen macht’s doppelt Spaß. Sich in der Gruppe zu messen spornt Kinder an. Sich gegen-seitig zu helfen macht sie kooperativ und fördert ihr Selbstvertrauen.

Sie wissen, wie gut Bewegung tut: Vermitteln Sie es Kindern und Enkeln!

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Bestand. „Relativ rasch treten die Kinder wieder aus, und bereits bei den Neun- bis Zehnjährigen ist der Effekt verpufft.“ Ver-mutlich vermiesen die motorischen De-fizite so manchem Kind den Spaß an der Bewegung in der Gruppe. „In vielen Ver-einen wird schon sehr früh eine Speziali-sierung verlangt“, sagt Roth. Doch Kin-der wollen sich oft nicht sofort für eine bestimmte Sportart entscheiden und hö-ren dann lieber ganz mit dem Sport auf.

Das dokumentiert auch die bundes-weite „Studie zur Gesundheit von Kin-dern und Jugendlichen“ (KiGGS), die das Robert-Koch-Institut durchführt: Von den befragten 14- bis 17-Jährigen gaben nur 15 Prozent an, sich mindestens eine Stunde pro Tag zu bewegen. Nicht ein-mal jeder siebte Jugendliche erreichte also das für diese Altersgruppe empfoh-lene Mindestmaß an Aktivität.

Ernüchterndes ergab die KiGGS-Studie auch zu den Einrichtungen, die eigent-lich etwas gegen den Bewegungsmangel tun könnten: Statt der empfohlenen drei Bewegungsstunden pro Woche sind es in der Grundschule nur zweieinhalb, im Kindergarten eineinhalb.

In der Grundschule ansetzen

Eine verpasste Chance, wie Sportwissen-schaftler Bös an einer Bad Homburger Grundschule zeigte. Im Rahmen eines Modellprojekts hatten die Schüler dort jeden Tag eine speziell konzipierte Sport-stunde. „Nicht nur die Fitness der Kinder verbesserte sich“, berichtet Bös. Die Un-fallhäufigkeit sank, die Schüler verhiel-ten sich weniger aggressiv gegenein-ander und gingen mit mehr Freude zur Schule. „Darüber hinaus stiegen Selbst-wertgefühl, Konzentration und Lernbe-reitschaft.“

Auch Dr. Katharina Eckert vom Institut für Gesundheitssport und Public Health der Universität Leipzig möchte im Grundschulalter ansetzen. Sie hat ein australisches Konzept in Deutschland

erlebt wird, bleibt sie über die nächsten Lebensjahrzehnte auch erhalten.“ Doch genau da hakt es. „Zum einen fallen die Eltern oft als Bewegungsvorbilder weg. Zum anderen gewinnen Fernsehen, In-ternet und Computerspiele immer mehr an Bedeutung“, sagt Bös.

Damit beschäftigt sich auch Professor Klaus Roth, Leiter des Instituts für Sport-wissenschaft der Universität Heidelberg. Bereits vor mehr als 30 Jahren verglich er das Spiel- und Bewegungsverhalten brasilianischer und deutscher Kinder. Damals wie heute bemängelt er, dass hierzulande die Straßenspielkultur nach und nach verschwindet. „In Deutschland spielen Kinder immer weniger im Freien, im Hof, auf der Wiese oder auf der Stra-ße“, sagt Roth. „Dabei sind genau das die Orte, an denen sie ihren Bewegungs-drang ausleben können und wichtige Bewegungsgrundlagen erlernen.“

Dabei reagieren viele Eltern darauf frühzeitig: „Noch nie zuvor waren so viele Vier- bis Fünfjährige in Sportver-einen organisiert“, stellt Roth fest. Doch die Quote trügt, denn sie hat nicht lange

Heimat entde-cken: Begegnung mit einer Kuh auf der Alpe

umgesetzt. Ihr Projekt „Der Laufende Schulbus“ startete sie zunächst an einer Heidelberger Grundschule. „Die Kinder treffen sich morgens an bestimmten Or-ten und gehen dann, begleitet von einem Erwachsenen, gemeinsam in die Schule“, erklärt Eckert. Täglich machen die Klei-nen so 800 bis 2000 zusätzliche Schritte. „Diese einfache Idee kommt hervorra-gend an: bei den Kindern, denen es viel Spaß macht, bei den Eltern und auch bei den Lehrern. Denn die Schüler sind in den ersten Schulstunden deutlich auf-nahmebereiter.“

Um von einzelnen Aktionen zu einem dauerhaften, selbstverständlichen Bewe-

gungsplus zu gelangen, müssen entspre-chende Strukturen geschaffen werden, zum Beispiel in Sportvereinen. Wirklich etwas in Bewegung gesetzt hat Sport-wissenschaftler Klaus Roth. Er hat mit der „Ballschule“ 1998 ein eigenes Bewe-gungskonzept ins Leben gerufen. Keine einzelne Sportart wird dabei bevorzugt, und die Übungsleiter greifen so wenig wie möglich in das Spielgeschehen ein. „Die Ballschule soll Lust auf Bewegung machen und Kindern einen Rahmen bie-ten, in dem sie ohne Leistungsdruck ihre Koordination und ihre Ballfertigkeiten verbessern“, sagt Roth. Im ersten Jahr machten nur ein paar Klassen des Stadt-viertels mit. Heute, 14 Jahre später, sind mehr als 10 000 Ballschul-Kinder im ganzen Bundesgebiet aktiv.

Die Begeisterung ist geweckt

Zwar lässt das Lebensumfeld von Kin-dern heute immer weniger Raum für Bewegung. Gleichzeitig beobachtet Roth aber, dass die Nachfrage nach zeitge-mäßen Angeboten eigentlich riesig wäre. Wenn die Kinder Spaß am Sport haben, würden sie sich auch bewegen, meint er. Das bestätigt Klassenleiter Kramer von der Mittelschule Kempten. Er blättert die Bewertungsbögen durch, die seine Schü-ler zum Abschluss ihres Schulprojekts ausgefüllt haben. Eine Frage lautete:

„Treibst du jetzt mehr Sport als zuvor?“ Viele Schüler haben ihr Kreuz bei „viel mehr“ gemacht. Dr. Ralph Müller-Gesser

Neu: online mitreden

Tauschen Sie sich online mit anderen aus: Nicht nur Kindern mangelt es an Bewe-gung, auch viele Erwachsene sind im Alltag nicht aktiv genug. Und Sie? Möchten Sie wieder in Schwung kommen? In unserer Online-Community „Ich beweg’ mich“ können Sie sich mit Gleichgesinnten aus-tauschen. Wie bringe ich mehr Bewegung in meinen Alltag? Wie motiviere ich meine Fami-lie zum Mitmachen? Verabre-den Sie sich mit anderen Mit-gliedern zum Walken, Joggen oder Radfahren! Berichten Sie über Ihre Erfahrungen und Etappensiege! Der Rückhalt in der Gruppe wird Sie anspornen.Klicken Sie rein, und diskutie-ren Sie mit: ich-beweg-mich.apotheken-umschau.de

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Lecker und fitDu bist, was du isst. Mit zu vielen Kilos fällt jeder Schritt schwer. Vitamine und Mineral-stoffe tun dagegen gut.

Frische LuftRaus mit euch, Kinder! Unter freiem Himmel können sich Kinder und Jugendliche austoben.Das stärkt ihr Immunsys-tem und macht sie neu-gierig auf Entdeckungen in der Natur. Damit Eltern keine Angst um sie ha-ben müssen, brauchen Kinder aber eine Infra-struktur mit genug Grün-flächen und Sicherheit im Straßenverkehr.

GuteVorbilderEltern und Lehrer prägen das Verhal-ten entscheidend. Je aktiver sie selbst sind, desto mehr Spaß haben auch Kinder an Bewe-gung. Das zeigen viele Studien.

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